Der Kausaliätsnachweis im Umweltstrafrecht


Hausarbeit, 2005

19 Seiten, Note: 11 Punkte


Leseprobe


Gliederung

A. Einführung und Problemdarstellung

B. Prozessuale Besonderheiten der Kausalitätsfeststellung
I. Erfordernis des Sachverständigenrats
1. Eindeutige Feststellungen der Sachverständigen
a. Wissenschaftliche Erkenntnisse als Tatbestandsmerkmal
b. Anwendungsbereich der Beweiswürdigungsgrundsätze
2. Streit in den Naturwissenschaften
a. Kausalgesetze im objektiven Tatbestand
b. Betonung von „in dubio pro reo“
c. Bevorzugte Anwendung von § 261 StPO
d. Stellungnahme
3. Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung
a. Subjektive Theorie
b. Objektive Theorie
c. Gemischt objektiv-subjektive Theorie
d. Stellungnahme
II. Methodik der Beweisführung
1. Positive Beweisführung
2. Negative Beweisführung
3. Kausalitätsnachweis durch Gesamtbewertung
B. Kausalitätsnachweis und einzelne Umweltdelikte
I. Erfolgsdelikte
II. Gefährdungsdelikte

C. Materielle Schwierigkeiten der Kausalitätsfeststellung
I. Allgemeines Kausalgesetz
II. Parallele Anwendung von Kausalgesetzen
III. Überprüfbarkeit von Kausalgesetzen
IV. Experimentelle Bestätigung

A. Einführung und Problemdarstellung

Das Umweltstrafrecht stößt häufig dann auf Schwierigkeiten, wenn im Tatbestand eines Deliktes die Kausalität nachgewiesen werden soll.

Zunächst ergeben sich Probleme bei der Beweisführung. Ein Beweis ist problematisch zu erbringen, sofern der Tatrichter auf die Wertung von Sachverständigen angewiesen ist, und diese beispielsweise im Bereich der Feststellung von Verschmutzungen nur lückenhafte Erkenntnisse aufweisen können.[1] Der Richter verfügt nicht über die nötige Sachkenntnis, um beurteilen zu können, ob eine Einleitung in ein Gewässer dessen Fauna tatsächlich Schaden zufügen kann. Manchmal gibt es diesbezüglich nicht einmal eindeutige naturwissenschaftliche Untersuchungen. Zudem ergeben sich materielle Schwierigkeiten bei der Anwendung der Äquivalenztheorie. Viele naturwissenschaftliche Zusammenhänge, insbesondere im Bereich von Synergie- und Summationseffekten bei gleichzeitig wirkenden Substanzen, sind überaus zweifelhaft. Deren Übertragung auf das Strafrecht ist fraglich.[2] Dem Richter obliegt die schwierige Aufgabe festzustellen, ob gerade die untersuchte Einleitung kausal für Schäden in der Umwelt geworden ist und ob nicht im konkreten Fall andere Faktoren ursächlich werden, die mit der Einleitung in keinem Zusammenhang stehen.

B. Prozessuale Besonderheiten der Kausalitätsfeststellung

Der Kausalitätsnachweis im Prozess hängt bei Umweltdelikten sehr

von der Stellungnahme von Sachverständigen ab (s.o.). Deren Ergebnisse sind in der Beweiswürdigung allerdings überaus umstritten.

I. Erfordernis des Sachverständigenrats

Der Richter ist immer dann auf Erläuterungen von Sachverständigen angewiesen, wenn Ursachenzusammenhänge festgestellt werden sollen, die sich der allgemeinen Lebenserfahrung entziehen (s.o.). Bei Umweltstraftaten ist dies vor allem dann der Fall, wenn die toxische Wirkung von Chemikalien belegt werden muss.

1. Eindeutige Feststellungen der Sachverständigen

Der denkbar einfachste Fall liegt vor, wenn alle hinzugezogenen Sachverständigenaussagen übereinstimmend zu einem plausiblen und sicheren Ergebnis kommen. Dies kann beispielsweise so ausfallen, dass die umwelttoxische Wirkung einer eingeleiteten Chemikalie eindeutig erwiesen ist. Der Richter kann dieses Ergebnis für den Prozess voraussetzen. Er kann anhand des Naturgesetzes die strafrechtliche Kausalität bestimmen. Auch im entgegengesetzten Fall ist die Vorgehensweise klar. Sofern alle Sachverständigen übereinstimmend einen Kausalzusammenhang verneinen, muss eine Anwendung auf den Einzelfall ausscheiden. Der Kausalitätsnachweis ist missglückt.[3] Bei einem eindeutigen Votum für oder wider die kausale Wirkung bestimmter Stoffe ist der Richter an die naturwissenschaftliche Erkenntnis gebunden und darf nicht von dieser abweichen. Der Richter stellt insoweit einen Laien dar, der sich auf das Expertenurteil verlassen muss. Das Urteil muss nachvollziehbar sein, somit darf der Richter nicht den Erkenntnissen der Wissenschaft zu wider handeln, da er sich andernfalls dem Vorwurf der Willkürlichkeit ausgesetzt sähe.[4] Er darf nicht feststellen, dass eine Chemikalie giftig ist, wenn alle Untersuchungen das Gegenteil belegen. Dies steht allerdings im Widerspruch zu dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO, sodass ein Spannungsverhältnis besteht. [5] Wie dieses aufzulösen ist, ist umstritten.

a. Wissenschaftliche Erkenntnisse als Tatbestandsmerkmal

Nach einer Anschauung sind die allgemeinen Kausalgesetze, welche sich aus den Naturwissenschaften ableiten, unmittelbar Bestandteile des objektiven Tatbestands eines Delikts. Im Bereich der Kausalität finden sie im Rahmen der Äquivalenztheorie Anwendung. Die richterliche Beweiswürdigung hat hier keinen Platz, sondern kommt erst zum Tragen, wenn der Tatrichter den tatsächlichen Sachverhalt unter die Tatbestandsmerkmale subsumiert.[6]

b. Anwendungsbereich der Beweiswürdigungsgrundsätze

Dem wird entgegengesetzt, dass eine Bindung des Gerichts an wissenschaftliche Erkenntnisse nur dazu führe, dass die freie Beweiswürdigung unterlaufen werde.[7] Andererseits fänden Urteile, die nicht auf ein solides wissenschaftliches Urteil aufbauen könnten, keinen

Rückhalt in der Bevölkerung. Eine Gefährdung des Rechtsfriedens sei die Folge.[8] Demnach falle die Anwendung der allgemeinen Kausalgesetze als prozessuales Kriterium sehr wohl in das Ermessen des Richters gemäß § 261 StPO, allerdings wäre dieses so weit zu beschränken, dass sich der Richter am Stand der Wissenschaft zwingend zu orientieren habe. Somit führen beide Ansichten in der Anwendung zu

gleichen Ergebnissen, eine Streitentscheidung entfällt. Wenn nach der Feststellung aller Sachverständigen erwiesen ist, dass die Kontamination des Bodens mit einem bestimmten Stoff immer toxische Auswirkungen hat, so ist der Richter an diese Feststellung gebunden.

2. Streit in den Naturwissenschaften

Bei eindeutigem Sachverständigenvotum ist der Richter folglich gebunden, jedoch ist ein solches Votum in der Naturwissenschaft selten. Es gibt häufig neben der herrschenden Lehre, auch abweichende Ansichten. Dem Richter könnte zumindest zuzubilligen sein, im Rahmen der Beweiswürdigung einer unpopulären Richtung zu folgen. Er könnte sich einer naturwissenschaftlichen Meinung anschließen, die die Toxizität einer Chemikalie bejaht, wobei alle übrigen Chemiker diese Wirkung begründet verneinen. Dies ist aber gerade aufgrund der üblicherweise hohen Anzahl an abweichenden Einzelmeinungen unzulässig. Dem Richter würde fast immer eröffnet, sich gegen eine Hauptansicht zu entscheiden, so dass im Ergebnis erneut Urteile aufträten, die die Öffentlichkeit befremdeten. Insofern ist der Richter auch bei nur dominanten Strömungen in der Naturwissenschaft gebunden, diesen zu folgen. Problematisch wird es erst, wenn eine dominante Linie nicht feststellbar ist und somit eine vernünftige Wahlmöglichkeit eröffnet wird.

a. Kausalgesetze im objektiven Tatbestand

Die Ansicht, die die Naturgesetze allein im Tatbestand des Delikts für erörternswert hält (s.o.), stellt insoweit eine konsequente Forderung auf: Komme die Naturwissenschaft zu keinem annährend überzeugenden Ergebnis, könne auch eine Subsumtion nicht erfolgen.[9] Es ist nach dem status quo zu entscheiden, wonach eben kein zutreffendes Kausalgesetz festzustellen sei.[10] Dies sei schon eine Gebot des Grundsatzes „in dubio pro reo.“

b. Betonung von „in dubio pro reo“

Nach anderer Ansicht kommt dem Grundsatz „in dubio pro reo“ in dem vorliegenden Kontext sogar entscheidende Bedeutung zu.[11] Dies führt zum selben Ergebnis wie die erste Ansicht. Der Angeklagte ist freizusprechen. Würde anders verfahren, entstünde der Eindruck, der Richter habe sich nach Beliebigkeit für eine ihm genehme Ansicht entschieden und ein Verfahren hätte jederzeit auch anders enden können.

c. Bevorzugte Anwendung von § 261 StPO

Die dritte Ansicht stellt auch in diesem Fall auf die Anwendung des Kausalgesetzes im Rahmen der Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO ab (wie oben bereits erläutert).[12] Der Richter habe nach seinem Ermessen abzuwägen, welche naturwissenschaftliche Ansicht er für nachvollziehbar halte. Er habe diese Ansicht dem Verfahren zu Grunde zu legen und die Kausalität betreffender Delikte hieran zu überprüfen.[13] Sei keine eindeutige oder wenigstens herrschende Lehre erkennbar, so dürfe der Richter im Rahmen des § 261 StPO noch immer beurteilen, ob aus den vorliegenden Ergebnissen nach seiner Auffassung ein Kausalgesetz hinreichend zu bestimmen sei. Auch ohne herrschende Ansicht in der Wissenschaft sei es somit dem Richter möglich, eine Entscheidung im Prozess zu treffen.

d. Stellungnahme

In Anbetracht der unterschiedlichen Ergebnisse bei der letztgenannten und den übrigen Ansichten ist eine Streitentscheidung erforderlich. Zunächst ist festzustellen, dass der „in dubio pro reo“ - Grundsatz nicht zur Lösung des aufgeworfenen Problems geeignet erscheint. Wie später noch näher zu erläutern sein wird, kann es eine über alle Zweifel erhabene Sicherheit in der Naturwissenschaft niemals geben. Konsequenterweise müsste „in dubio pro reo“ immer zur Anwendung gelangen. Die Strafbarkeit könnte bei den Delikten, die die Hinzuziehung von Sachverständigen erfordern, nicht festgestellt werden. Wie einem so unbefriedigenden Ergebnis Einhalt zu gebieten sei, wird nicht hinreichend geklärt. Der zweiten Ansicht ist demnach nicht zu folgen.

Die erste Ansicht ergänzt zu dem Argument aus „in dubio pro reo“, dass die freie Beweiswürdigung des Richters zu willkürlichen Entscheidungen verleite. Dem ist entgegenzuhalten, dass § 261 immer das Risiko einer willkürlichen Anwendung beinhaltet. Jedoch ist die Anwendung des Paragraphen insoweit hinreichend beschränkt, dass der Richter verpflichtet ist, sich eine fundierte und nachvollziehbare, und eben keine völlig willkürliche Überzeugung während des Verfahrens zu bilden.[14] Es ist darüber hinaus verfehlt, die Kausalgesetze allein als Tatbestandsmerkmale aufzufassen. Die Kausalgesetze stellen per se keine objektiven Merkmale dar, sie sind allein Thesen, die auf der menschlichen Beobachtung beruhen. Sie sind folglich immer als unvollkommen und subjektiv anzusehen und demnach im Rahmen der Beweiswürdigung zu untersuchen.[15] Demnach kann auch der erstgenannten Ansichten nicht gefolgt werden. Der Richter kann im vorliegenden Fall vom Recht der freien Beweiswürdigung nach § 261 StPO Gebrauch machen.

3. Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung

Fraglich erscheint nun, welche besonderen Anforderungen an eine richterliche Überzeugungsbildung nach § 261 StPO zu stellen sind.

a. Subjektive Theorie

Allein die persönliche Überzeugung des Richters sei ausschlaggebend, dies wird von einer Ansicht vertreten.[16] Es sei nicht erforderlich, dass alle Zweifel über das Bestehen des Kausalgesetzes ausgeräumt seien, solange nur der Richter zu einer festen Überzeugung gelangt wäre.[17]

Als einzige Einschränkung müsse jedoch gefordert werden, dass die Überzeugungsbildung des Gerichts zumindest nachvollziehbar sei.[18] Der Richter kann sich frei für eine vorliegende Meinung entscheiden und dieser mit guter Begründung im Verfahren folgen.

b. Objektive Theorie

Einer anderen Ansicht folgend sei gar nicht auf die Meinung des Richters abzustellen, allein objektive Kriterien müssten den Ausschlag für das Ergebnis der Beweiswürdigung geben. Ein Kausalgesetz liege immer dann vor, wenn die Naturwissenschaft eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit einräume.[19] Demnach darf das Gericht erst beim Vorliegen eines solchen Grades an Wahrscheinlichkeit vom Kausalitätsnachweis überzeugt sein. Der Richter muss untersuchen, aus welchen der vorliegenden naturwissenschaftlichen Ansichten sich ein überwiegend wahrscheinliches Ergebnis für seinen Fall ableiten lässt. Hieran hat er das Ergebnis seiner Beweiswürdigung zu orientieren.

[...]


[1] Hager, NJW 1991,134, 137.

[2] Hager, NJW 1991,134, 137.

[3] Denicke, S. 28.

[4] Möhrenschlager, WuV 1984, 47, 65; Bruns, S. 479; Denicke, S. 29-30.

[5] Kleine-Cosack, Umweltstrafrecht, S. 46.

[6] Kaufmann, JZ 1971, 569, 574; Schönke/Schröder (Lenckner), Vor §§ 13 ff Rn. 75.

[7] Kleine-Cosack, S. 48; Maiwald, S. 104.

[8] Maiwald, S. 104 .

[9] Schönke/Schröder (Lenckner), Vor §§ 13ff Rn. 75.

[10] Kaufmann, JZ 1971, 569, 575.

[11] Roxin, S. 73.

[12] Sendler, NJW 86, 2907,2908; Maiwald, S. 91; Volk NStZ 1996, 105.

[13] Maiwald, S. 91; LG Aachen, JZ 1971, 507, 510.

[14] Kuhlen, S. 67.

[15] Hoyer, S. 128.

[16] BGH GA 1954 (102), 152; Karlsruher Komm. (Schoreit), § 261 Rn. 2; Löwe/ Rosenberg (Gollwitzer), § 261 Rn. 7.

[17] Karlsruher Komm. (Schoreit), § 261 Rn. 3, KMR - Komm. (Paulus), § 244 Rn. 151; Löwe/ Rosenberg (Gollwitzer), § 261 Rn. 12.

[18] KMR - Komm. (Paulus), § 244 Rn. 153; Karlsruher Komm. (Schoreit), § 261 Rn. 4.

[19] Hoyer, ZStW 105 (1993), 522, 533; Heescher, S. 65.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Kausaliätsnachweis im Umweltstrafrecht
Hochschule
Universität Osnabrück
Note
11 Punkte
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V48002
ISBN (eBook)
9783638448185
Dateigröße
390 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kausaliätsnachweis, Umweltstrafrecht
Arbeit zitieren
Sebastian Zellmer (Autor:in), 2005, Der Kausaliätsnachweis im Umweltstrafrecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48002

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