Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Der historische Kontext des Sklavenhandels
2. Die Besonderheit der Ballade
3. Heines Verfahren zur Hervorhebung der Gesellschaftskritik in seiner Ballade
3.1 Die kapitalistische Sprache und Mentalität in Heines Ballade
3.2 Der Geist des Kapitalismus bei Mynheer van Koek
Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis.
Einleitung
Der durch den Kolonialismus resultierende transatlantische Sklavenhandel sorgte für ein düsteres Kapitel in der Geschichte der Menschheit, der durch die Ausbeutungen der Sklaven unter barbarischen Bedingungen gekennzeichnet war. Dieses misanthropische Weltbild wurde im 19. Jahrhundert durch Heinrich Heine dichterisch in seiner Ballade Das Sklavenschiff zum Ausdruck gebracht, welcher einerseits die politischen und sozio-ökonomischen Zustände seiner Zeit verstand und anderseits auch als einer der bedeutsamsten Dichter des 19. Jahrhunderts gilt (vgl. Grab 1982, S. 11). Durch die hohe künstlerische Form seiner Dichtung in der Ballade gelingt es ihm nicht nur die grauenhaften Taten der Menschen zu beschreiben, die maßgeblich an dem Sklavenhandel beteiligt waren, sondern auch die gesamte Sklaverei als gesellschaftskritischen Prozess darzustellen.
Das Ziel dieser Arbeit liegt darin, dass die gesellschaftskritischen Bezüge in Heines Ballade unter dem Hauptaugenmerk des Kapitalismus herausgearbeitet werden, um darauf aufbauend folgender Frage nachzugehen:
Kann Das Sklavenschaff als kapitalistische Gesellschaftskritik betrachtet werden?
Um diese Frage beantworten zu können, wird zu Beginn dieser Arbeit auf den historische Kontext des Sklavenhandels eingegangen, wo besonders die Lebensbedingungen der Sklaven veranschaulicht werden. Nachfolgend wird die Besonderheit der Ballade herausgearbeitet, um die Vorteile hinsichtlich anderer Gattungen aufzuzeigen, die Heine für sein Werk nutzte, um den Sklavenhandel zu thematisieren. Im Anschluss darauf werden Heines Verfahren in seiner Ballade zur Erzeugung der Gesellschaftskritik vorgestellt, die das dort enthaltene dichterische Bild zum Vorschein bringen. In diesem Zusammenhang wird zunächst die Besonderheit der dort verwendeten Sprache analysiert, wo nach Parallelen mit dem Werk Das Kapital des Gesellschaftstheoretikers Karl Marx gesucht werden. Als Nächstes wird die Mentalität der Figuren sowie religiöse Bezüge in der Ballade dargelegt, die vor dem Hintergrund des Werkes Die protestantische Ethik und der "Geist" des Kapitalismus, das vom Soziologen Max Weber verfassten wurde, aufgedeckt, um zu überprüfen, ob der Geist des Kapitalismus auch von einer der Figuren verkörpert wird.
Zum Schluss werden noch einmal die wichtigsten Befunde dieser Arbeit zu den kapitalistischen Merkmalen zusammengefasst, damit anschließend die zentrale Fragestellung eindeutig beantwortet werden kann.
1. Der historische Kontext des Sklavenhandels
Das Phänomen der Sklaverei war zu Heines Zeit nicht neu – so lässt sie sich ihr Beginn auf 10.000 Jahre v. Chr. zurückverfolgen, wo die Sklaverei bei sämtlichen Völkern vorzufinden war (vgl. Zeuske 2015, 5). Dennoch erreichte die Sklaverei insbesondere durch den Kolonialismus ein neues Ausmaß, das auch an Heine nicht spurlos vorbeiging.
Schätzungen zufolge wurden zwischen 1450 und 1900 mindestens elf Millionen Menschen in Afrika zum Opfer des Sklavenhandels, die zum Transport auf Schiffe verladen wurden (vgl. Priesching 2014, S. 57). Die verschleppten Sklaven dienten dabei primär als Arbeiter der Plantagenbesitzer in der Neuen Welt, da die Bewirtschaftung dieser riesigen Plantagen zahlreicher Arbeitskräfte bedarf. Nach Zeuske wird unter dem Begriff Sklaverei der Umstand verstanden,
„dass der Körper eines Menschen, Mann, Frau oder Kind, unter Kontrolle eines Halters (deshalb Sklaven halter) ist, der ihn mit Gewalt seiner Mobilität und Selbstentscheidung beraubt und ihm die Leistungen des Körpers (Arbeit, Dienstleitungen, Sex, Reproduktion, Schutz), Teile des Körpers (Eunuchen) oder gar das Leben selbst (Opfersklaven, Sklavensoldaten, symbolische Tötungen in Totenfolge oder zur Prävention von Rebellionen) abzwingt“ (Zeuske 2015, S. 6f.).
Die Europäer galten in dieser Beziehung als Inhaber und Verwalter des Sklavenhandels, die als Kaufleute besonders davon profitierten (vgl. Priesching 2014, S. 65).
Die langen Fahrten der Sklavenschiffe sowie die dort herrschenden miserablen Lebensbedingungen sorgten für eine hohe Sterblichkeit der verfrachteten Sklaven, so dass bis ins 17. Jahrhundert schätzungsweise jeder fünfte Sklave sein Leben verlor (vgl. ebd.). Aus diesem Grund wurden häufig auch Schiffschirurgen eingesetzt, um die Sterblichkeit auf den Sklavenschiffen möglichst gering zu halten: „Slave ship surgeons were expected to offer expert knowledge diagnosing and restoring a person’s health, although not every vessel sailed with a physician aboard (Mustakeem 2016, S. 45). Da Sklaven als sogenannte Tauschware einen hohen Wert aufwiesen, musste der Verlust von ihnen möglichst gering gehalten werden. Priesching weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Wert der Sklaven rund zwei Drittel der Gesamtkosten einnehme, die für den Transport des Sklavenschiffes anfallen, so dass bereits eine Sterblichkeit von nur einem Drittel der Sklaven jegliche Gewinne zunichtemachen würden (vgl. Priesching 2014, S. 65).
Deshalb wurden auch Methoden herangezogen, die zur Unterhaltung der Sklaven dienen sollten, um deren Sterblichkeit entgegenzuwirken. Zeuske verweist in diesem Zusammenhang auf Berichte über Tänze und Feste, die für die Versklavten organisiert wurden (vgl. Zeuske 2015, S. 144). Obwohl die Sklaverei offiziell in zahlreichen Abkommen verboten wurde, ist sie weiterhin ein gegenwärtiges Erscheinungsbild in der Moderne, weshalb Heines Ballade Das Sklavenschiff auch heute noch von Aktualität ist und seit den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erfahren hat.
2. Die Besonderheit der Ballade
Der Begriff Ballade, der seit dem 16. Jahrhundert im Deutschen auch unter der Bezeichnung Tanzlied zu verzeichnen ist, stammt ursprünglich aus dem Romanischen und steht für ein episches Lied, dessen Inhalt erzählend wiedergegeben wird (vgl. Weissert 1993, S. 1f.). In den drauffolgenden Jahren gab es immer wieder neue Definitionsansätze, die dafür sorgten, dass die Ballade einen Wandlungsprozess unterlief und eine exakte Verordnung dieser Gattung durch verschiedene Ansichten zahlreicher Autoren bisher auf keinen Konsens gestoßen ist. Darüber hinaus tauchte neben dem Begriff der Ballade auch der Begriff Romanze in Deutschland auf, wovon Letzteres durch das Charakteristikum komisch bestimmt wird, während die Ballade durch eine ernste Erzählweise gekennzeichnet ist (vgl. ebd., S. 2).
Bereits Goethe wies auf die Besonderheit der Ballade hin, in der die drei Grundarten der Poesie noch nicht voneinander getrennt sind, sondern als sogenanntes Ur-Ei vorliegen (vgl. Goethe 1980, S. 6). Segebrecht bringt es in seiner Formulierung hinsichtlich der Bestimmung von Balladen als Gedichte auf den Punkt, denn „sie bringen das Kunststück fertig, Lyrik, Prosa und Drama auf unterhaltsame und spannende Weise miteinander zu verbinden“ (vgl. Segebrecht 2012, S. 5).
Es ist daher sinnvoll, die wichtigsten Merkmale dieser Gattungen im Hinblick auf die Ballade aufzuzeigen. Während der epische Bestandteil in der Ballade durch die Anwesenheit eines Erzählers zum Vorschein kommt, bildet die Szene den wichtigsten dramatischen Bestandteil, wohingegen die lyrischen Bestandteile durch zahlreiche klangliche und rhythmische Elemente erkennbar sind (vgl. Weissert 1993, S. 15). Die Ballade lässt sich in weitere Unterarten gliedern, wobei über die Jahre hinweg eine Vielzahl von unterschiedlichen Einteilungen vorgenommen wurden, so dass gegenwärtig keine einheitliche Einteilungssystematik vorzufinden ist. Weissert verweist in diesem Zusammenhang auf die unzähligen Interpretationsmöglichkeiten, die dafür sorgen, dass verschiedene Balladen letztendlich in mehrere Untergattungen wiederzufinden seien (vgl. ebd., S. 22), so dass in dieser Arbeit nicht näher auf die einzelnen Balladenarten eingegangen wird.
Einigkeit dagegen herrscht bei den Gegenständen von Balladen, deren Themen auf humorvolle, ironische oder ernsthafte Art und Weise erzählt werden (vgl. Laufhütte 1979, S. 384). Die Entscheidung Heines Das Sklavenschiff als Ballade zu verfassen, war sehr sinnvoll. Durch sie lassen sich sowohl soziale als auch politische Kritikpunkte besonders hervorheben, indem sie die Empfindungen des Lesers besonders anspricht (vgl. Segebrecht 2012, S. 5; Fathalla 2008, S. 96). Die düstere Vergangenheit der Sklaverei, welche die grauenhafte Vorgehensweise der Menschen zum Vorschein brachte, kann durch das Zusammenspiel von lyrischen, epischen und dramatischen Elementen eine besondere Wirkung beim Leser hinterlassen, die zum anschließenden Nachdenken anregen.
3. Heines Verfahren zur Hervorhebung der Gesellschaftskritik in seiner Ballade
Heine greift in seiner Ballade auf eine Vielzahl von Besonderheiten im Sprachgebrauch zurück, welche sowohl die Gesellschaftskritik als auch die Entblößung religiöser Grundsätze ins Zentrum des Geschehens rücken. Die Ballade eignet sich besonders zur Hervorhebung der Gesellschaftskritik, da sie einen Schwerpunkt auf die Stimmung legt und von Umständen außergewöhnlicher Art berichtet (vgl. ebd., S. 96). Zusätzlich greift Heine auf einen ironischen, sarkastischen und zynischen Sprachgebrauch zurück, die dem Leser die Umstände auf dem Sklavenschiff auf eine besondere Art poetisch vor Augen führen und zur weiteren inhaltlichen Auseinandersetzung veranlassen.
Besonders auffallend ist der Umstand, dass der erste Teil der Ballade inhaltlich sozialkritisch geprägt ist, während der zweite Teil als eine religiöse Satire über die Ausbeutung der Menschen im Sklavenhandel beschrieben werden kann, an denen maßgeblich die Europäer beteiligt waren (vgl. Fathalla 2008, S. 96f.).
Aus diesem Grund wird der erste Teil unter der den zentralen Merkmalen der politischen Ökonomie nach Marx analysiert, während für den religiösen Teil der Ballade Erkenntnisse von Weber herangezogen werden, welcher die Zusammenhänge zwischen dem Protestantismus und dem Kapitalismus genauer untersucht hat.
3.1 Die kapitalistische Sprache und Mentalität in Heines Ballade
Heine legt in seiner Ballade das Hauptaugenmerk auf die Sprache – die sowohl in dem Gedicht selbst als auch bei den Figuren – im besonderen Maße kalt und herabwürdigend formuliert ist und an die Sprache von profitorientierten Kaufleuten erinnert. Bereits im Titel Das Sklavenschiffe wird dem Leser mit dem Begriff des Sklavenschiffes ein kapitalistisches Instrument des Kolonialismus vorgestellt. Fathalla machte bereits darauf aufmerksam, dass Heines degoutante Formulierungen in dessen Ballade den Leser dazu bewegen möchte, auf die dortigen menschenunwürdigen Zustände aufmerksam zu machen (vgl. Fathalla 2008, S. 91). Hier ist bemerkenswert, dass Das Sklavenschiff einige Berührungspunkte mit dem Werk Das Kapital von Marx aufweist, obwohl letzteres erst in den darauffolgenden Jahren veröffentlicht wurde, als Heine schon längst verstorben war (vgl. Kraft 1983, S. 119).
Direkt zu Beginn der Ballade greift Heine auf einen ökonomischen Sprachgebrauch zurück, der bereits in der ersten Strophe vom lyrischen Erzähler zum Vorschein kommt:
Der Superkargo Mynheer van Koek
Sitzt rechnend in seiner Kajütte;
Er kalkuliert der Ladung Betrag
Und die probabeln Profite. (V. 1-4)
Der Superkargo Mynheer van Koek, der „rechnend“ (V. 2) den „Betrag“ (V.3) seiner Ladung (ebd.) und die damit zu erzielenden „Profite“ kalkuliert (V. 4), wird als Kaufmann der Moderne beschrieben – der in Anlehnung zum Menschenbild des Homo oeconomicus den größtmöglichen Nutzen seines Geschäftes nachgeht, das durch eine Maximierung seiner Profite erreicht wird.
In der darauffolgenden Strophe gewährt der lyrische Erzähler Einblicke in die Ladung, die Mynheer van Koek auf seinem Schiff transportiert. Neben „Gummi“ und „Pfeffer“ (V. 5) sowie anderen wertvollen Waren wie „Goldstaub“ und „Elfenbein“ (V. 7) transportiert er außerdem die „schwarze Ware“ (V. 8), die bei Weitem mehr Profite garantiert, denn „die schwarze Ware ist besser“ (ebd.).
Der Gummi ist gut, der Pfeffer ist gut,
Dreihundert Säcke und Fässer;
Ich habe Goldstaub und Elfenbein –
Die schwarze Ware ist besser. (V. 5-8)
Kraft deutet auf die Besonderheit hin, dass der Begriff Ware im ökonomischen Sinne etwas Neues in einem Gedicht darstelle, weshalb es sinnvoll ist, diesen Begriff aus kapitalistischer Perspektive näher zu untersuchen (vgl. Kraft 1983, S. 119).
In Heines Ballade wird der Mensch als Sklave zum kapitalistischen Instrument entfremdet, wovon der Sklavenbesitzer besonders profitiert. Marx, der eine umfassende Analyse kapitalistischer Gesellschaften vor dem Hintergrund der dort herrschenden ökonomischen Produktionsprozesse in seinem Werk Das Kapital vorgenommen hat, beschreibt die Ware als ein Gebrauchsgut, dessen Wert durch seinen Tauschwert festgelegt wird (vgl. Marx 2009, 50ff.). Dieser Tauschwert wird auch bei den Sklaven deutlich, da die schwarze Ware besser ist als alle anderen aufgezählten Waren wie beispielsweise Goldstaub und Elfenbein. In der dritten und vierten Strophe kommt dieser Tauschwert auch bei Heines Ballade zum Vorschein:
Sechshundert Neger tauschte ich ein
Spottwohlfeil am Senegalflusse.
Das Fleisch ist hart, die Sehnen sind stramm,
Wie Eisen vom besten Gusse.
Ich habe zum Tausche Branntewein,
Glasperlen und Stahlzeug gegeben;
Gewinne daran achthundert Prozent,
Bleibt mir die Hälfte am Leben.
Bleiben mir dreihundert nur
Im Hafen von Rio de Janeiro,
Zahlt dort mir hundert Dukaten per Stück
Das Haus Gonzales Perreiro1. « (V. 9-20)
Durch den Tausch von „Branntewein, Glasperlen und Stahlzeug“ (V. 13f.) erhielt Mynheer van Koek sechshundert Sklaven, die ihm beim nächsten Tausch einen Gewinn von „achthundert Prozent“ (V. 15) garantieren – sofern die Hälfte der Sklaven den Transport überleben.
Die Gleichgültigkeit, mit welcher der Sklavenhändler über den Gewinn und das Leben der Sklaven berichtet, verdeutlicht die Grausamkeit der Sklaverei durch die Menschen, wo nur die Profite zählen. In Anlehnung an Marx resultiert diese Profitsucht des Superkargos aus dem Doppelcharakter der Arbeit, denn „Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert“ (Marx 2009, S. 60).
Wie bereits im ersten Kapitel beschrieben wurde, werden Sklaven zur Verrichtung menschlichen Arbeit eingesetzt und der Zustand der Sklaven, deren Fleisch als „hart“ (V. 11) und deren Sehnen als „stramm“ (ebd.) bezeichnet werden, veranschaulichen dem Leser, dass die menschliche Ware besonders wertvoll ist. Priesching erwähnt in diesem Kontext, dass Sklaven nur gegen wertvolle Waren eingetauscht werden können (vgl. Priesching 2014, S. 65), was in der Ballade durch die Waren „Branntewein, Glasperlen und Stahlzeug“ (V. 13f.) deutlich wird, die der Sklavenhändler für die sechshundert Sklaven am Senegalfluss eintauschen musste. Die Höhe des Tauschwerts eines Sklaven wird in der fünften Strophe genannt, der sich auf „hundert Dukaten per Stück“ beläuft (V. 19).
[...]
1 Kraft erwähnt in seiner Arbeit, dass es das Bankhaus Pereiro wirklich gab, welches in der Vergangenheit in diversen Sklavengeschäften verwickelt gewesen sein soll (vgl. Kraft 1983, S. 120).