Kohlbergs Stufenmodell der moralischen Entwicklung - Welche Rolle spielen Emotionen beim Stufenübergang?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Problemstellung

2 Kohlbergs Modell der 6 Moralstufen
2.1 Bedeutung von Deweys und Piagets Erkenntnissen
2.2 Weitere Grundannahmen zu Kohlbergs Theorie
2.3 Die Stufen moralischer Urteile
2.4 Entwicklung und Stufenübergang

3 Emotionen beim Stufenübergang
3.1 Der Zusammenhang zwischen Emotionen und kognitiven Prozessen
3.2 Funktion von moralischen Emotionen
3.3 Der Zusammenhang zwischen dem Stufenübergang und moralischen Emotionen
3.3.1 Moralische Emotionen
3.3.2 Die kognitive Relevanz moralischer Emotionen für den Stufenübergang

Literaturverzeichnis

1 Problemstellung

Die Psychologie der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts war geprägt von der Dominanz der Vernunft über die Emotion und Emotionen galten als die Kraft, die moralisches Verhalten verhindert. Den Erkenntnissen der neueren moral- und entwicklungspsychologischen Forschung indessen kann diese Sichtweise nicht mehr standhalten. Lind z. B. macht in seinem Beitrag zur bioethischen Diskussion deutlich, dass gerade die Integration von Vernunft und Emotionen als ideales Endziel einer tiefgreifenden, strukturellen Entwicklung einer Person zu sehen ist. Sie sei die Voraussetzung für Kohlbergs höchste Stufe der prinzipiengeleiteten Moral, die bestimmt ist von einer universellen und konsistenten Orientierung des eigenen Handelns an den Prinzipien der Gerechtigkeit und der Achtung vor der Würde des anderen (vgl. Lind 2001, 26).

Lawrence Kohlberg hat in einem Modell unterschiedliche Moralstufen, die der Mensch in seiner Entwicklungsgeschichte erreichen kann, identifiziert und ihre strukturellen Eigenschaften beschrieben. Dieses Themas wird sich Kapitel 2 dieser Arbeit annehmen, das zunächst die für das Verständnis von Kohlbergs Stufenmodell wichtigen Erkenntnisse von Dewey und Piaget behandelt (Kap. 2.1). Die grundlegenden Aspekte in Kohlbergs Modell, Interaktion, Gerechtigkeit und Konfliktsituationen, werden in Kap. 2.2 thematisiert. Daran schließt die Beschreibung des Modells selbst an mit der Darstellung der einzelnen Stufen (Kap. 2.3). In der vorliegenden Arbeit wird besonderes Augenmerk auf den Stufenübergang gelegt. Aus diesem Grund wird Kap. 2.4 näher darauf eingehen und sich in diesem Zusammenhang auch mit der kognitiven Entwicklung als solcher befassen. Auf die Darstellung der allgemeinen Kritik und der Grenzen des Modells wird in dieser Arbeit verzichtet, da sie nicht in direkter Verbindung mit dem Thema stehen. Mittelpunkt von Kapitel 3 sind die Emotionen beim Stufenübergang. Da Kohlbergs Modell vornehmlich die Entwicklung kognitiver Strukturen behandelt, wird in Kap. 3.1 zunächst einmal versucht, den Zusammenhang zwischen Emotionen und kognitiven Prozessen aufzuzeigen. Die Bedeutung von Emotionen für kognitive Prozesse findet in verschiedenen theoretischen Ansätzen unterschiedlich Erklärungen. Kap. 3.2 wird daher auf den indikativen und den konstitutiven Charakter von Emotionen eingehen. Kap. 3.3 stellt den direkten Bezug zwischen dem Moralstufenübergang als Veränderung kognitiver Strukturen und moralischen Emotionen dar, wobei zuerst auf die moralischen Emotionen Schuld, Scham und Empathie eingegangen wird (Kap. 3.3.1). Letztendlich wird deren kognitive Bedeutung für die strukturelle Veränderung moralischen Urteilens anhand der unterschiedlichen Ansätze von indikativer und konstitutiver Funktion bewertet und abschließend relativiert (Kap. 3.3.2).

2 Kohlbergs Modell der 6 Moralstufen

2.1 Bedeutung von Deweys und Piagets Erkenntnissen

Lawrence Kohlbergs Theorie der Entwicklung des moralischen Urteilens baut in großen Teilen auf den Erkenntnissen von John Dewey und Jean Piaget auf, nicht nur in Bezug auf die Strukturgenese des menschlichen Denkens, sondern auch hinsichtlich der Konzepte des Konstruktivismus und des Interaktionismus. Wie Uslucan in seinem Werk zu Deweys und Piagets Entwicklungspsychologie zusammenfassend beschreibt, distanziert sich Dewey bereits Ende des 19. Jahrhunderts in einem Ansatz zur genetisch-interaktionistischen Psychologie von „einer bis dato vorherrschenden ,Vermögenspsychologie’, die ungeachtet der Entwicklung menschliche Kompetenzen [z. B. Intelligenz] bestimmtem ,Vermögen’ zuordnete“ (2001, 74). Er betonte vielmehr, es bedürfe einer genetischen Methode in der Psychologie und machte in diesem Zusammenhang auf „die Notwendigkeit der Kontextualisierung von Handlungen, die fundamentale Rolle des Handlungskonflikts für Bewusstseins- und Reflexionsprozesse etc.“ (ebd., 69) aufmerksam. Dem zugrunde liegt Deweys Auffassung, der Mensch sei nicht ein den Umweltreizen passiv ausgesetzter Organismus, sondern ein seine Umwelt aktiv konstruierendes Wesen. Ein weiterer zentraler Punkt von Deweys Theorie ist, dass Handlung als Interaktion zwischen einem Organismus und seiner Umwelt aufgefasst werden könne, in der das handelnde Subjekt Reize von der Umwelt aufnimmt, aber sowohl auf seine Umwelt als auch auf sich selbst zurück reagiert und so die Ausgangsbedingungen seines weiteren Handelns verändert (vgl. ebd., 69 – 71).

Uslucan (vgl. 2001, 223) stellt weiterhin fest, es sei u. a. Piagets Verdienst gewesen, dass die menschliche Erkenntnisfähigkeit und der Intelligenzbegriff von dem basalen Vermögen eines Individuums getrennt werden konnte. Piaget stützt seine Theorie auf die zentrale These, die Intelligenz stünde von Beginn an dank der vererbten Anpassungstätigkeiten des Organismus in einem Beziehungsnetz, das Umwelt und Organismus umspannt (vgl. 2003, 29). Diese Anpassungsleistungen vollzögen sich, wenn sich der Organismus in Abhängigkeit von seiner Umwelt umgestaltet „und wenn diese Umgestaltung eine Verstärkung der Austauschbeziehungen zwischen Umwelt und Organismus zur Folge hat [...]“ (ebd., 15/16). Zum einen geschehe die Anpassung durch die Integration der äußeren Wirklichkeit in die aus dem eigenen Tun bereits gewachsenen Strukturen (Assimilation) und zum anderen durch die Anpassung dieser Strukturen an die veränderte äußere Wirklichkeit (Akkommodation). Der Prozess, der die eigentliche Entwicklung darstellt, sei das Streben nach einem Gleichgewicht zwischen den sich gegenseitig ergänzenden Mechanismen der Assimilation und der Akkommodation. Als Folge daraus ergibt sich, vereinfacht dargestellt, dass die kognitiven Strukturen durch die Konfrontation mit einer noch nicht assimilierten Umwelt an Komplexität zunehmen, woraus Piaget verschiedene Stufen der Komplexität dieser Strukturen, von der sensomotorischen Intelligenz eines 6 Monate alten Babys zur formal-operationalen Intelligenz eines Jugendlichen, ableitet (vgl. ebd., 17).

2.2 Weitere Grundannahmen zu Kohlbergs Theorie

Kohlberg übertrug Deweys Erkenntnisse auf die moralische Entwicklung. Zunächst leitete er aus ihnen den Schluss ab: „Moralstufen sind in erster Linie als Resultat der Interaktion des Kindes mit anderen zu verstehen und dürfen nicht als unmittelbare Entfaltung biologischer oder neurologischer Strukturen betrachtet werden“ (Kohlberg 1995, 31). Weiterhin erkannte er in ihnen Strukturen, die das Individuum aktiv konstruiert und deren Entwicklung die Ausrichtung auf ein Gleichgewicht mit der Umwelt bedeutet (vgl. Oser/Althof 1994, 68).

In dem Maße wie Piaget versuchte allgemeingültige Aussagen über das Zustandekommen komplexer Denkstrukturen zu machen, hatte Kohlberg sich zum Ziel gesetzt, „die spezifischen operatorischen Strukturen zu identifizieren, die bei der Lösung soziomoralischer Probleme (Hervorhebung d. Verf.) eingesetzt werden“ (ebd., 43). Kohlberg stützt sich auf die Annahme Piagets, der Gerechtigkeitssinn entwickele sich von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter in verschiedenen Kulturen annähernd gleich: die Bedürfnisse und Gefühle anderer Menschen finden zunehmend Beachtung und komplexere Vorstellungen von Reziprozität und Gleichheit werden erkennbar – eine Schlussfolgerung, die Kohlberg später aus einer eigenen kulturvergleichenden Forschung ableitete (Kohlberg 1995, 25/26). Er ordnete also moralisches Urteilen verschiedenen Stufen zu, die er anhand zunehmend reversibler Operationen definierte. Er untersuchte, inwieweit die systematischen Veränderungen der Struktur operativen Denkens über Gerechtigkeitsfragen zugleich ein Hinweis auf die entscheidenden Veränderungen in der Moralentwicklung sind (vgl. Oser/Althof, 46/47).

[...]

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Kohlbergs Stufenmodell der moralischen Entwicklung - Welche Rolle spielen Emotionen beim Stufenübergang?
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Wirtschaftspädagogik Prof. Beck)
Veranstaltung
Theorie und Praxis einer berufsmoralischen Qualifizierung kaufmännischer Auszubildender
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V48248
ISBN (eBook)
9783638450072
ISBN (Buch)
9783638773003
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kohlbergs, Stufenmodell, Entwicklung, Welche, Rolle, Emotionen, Stufenübergang, Theorie, Praxis, Qualifizierung, Auszubildender
Arbeit zitieren
Antje Adams (Autor:in), 2005, Kohlbergs Stufenmodell der moralischen Entwicklung - Welche Rolle spielen Emotionen beim Stufenübergang?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48248

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