Diese Seminararbeit untersucht Aufbruchs- und Erneuerungsversuchen in Walter Hasenclevers "Der Sohn" und Georg Kaisers "Von morgens bis mitternachts". Der literarische Expressionismus wird in vielerlei Hinsicht, seiner Undefinierbarkeit zum Trotz, als eine Epoche der Revolution angesehen. Im Gegensatz zum Impressionismus, in dem Subjekt und Allgemeinheit ein geschlossener Kosmos zu sein schienen, wird im Expressionismus die freudeberaubte Welt vom wiederentdeckten Ich abgetrennt und gleichermaßen übermannt. Weil zuvor jede Bewegung des Ichs in seiner entmenschlichten Umgebung einen analytischen und von Traditionen abhängigen Charakter hatte, flüchteten sich zahlreiche Autoren in eine literarische Welt, in welcher sich der gefesselte Mensch eigenständig befreit und aus sich selbst einen neuen, von seiner ursprünglichen Natur bestimmten Menschen erschafft. So sollte sich das menschliche Individuum in seiner menschlichen Substanz wiederfinden und seiner automatisierten Lebensbewältigung entsagen, um wieder Bestandteil des gemeinschaftlichen Menschheitskollektivs zu werden.
Die Befähigung zum neuen Menschen durch die Loslösung aus gesellschaftlichen Konstrukten ist auch in den Werken "Der Sohn" von Walter Hasenclever und "Von morgens bis mitternachts" von Georg Kaiser zentral. Zur Erläuterung der Aufbruchs- und Erneuerungsversuche in den genannten Dramen soll zunächst die problematische soziale Ausgangssituation der Protagonisten untersucht werden. Hierbei unterscheiden sich die Arten der Entmachtung im Sinne einer entweder innerfamiliären Kastration in Hasenclevers "Der Sohn" oder einer durch Gesetz und Gesellschaft induzierten Machtlosigkeit in Kaisers "Von morgens bis mitternachts".
Die daraus resultierenden Aufbruchs- und Erneuerungsversuche unterscheiden sich demnach ebenfalls je nach Ausmaß des Freiheitsdranges der Protagonisten. Während durch den innerfamiliären Druck in "Der Sohn" eine fast natürlich anmutende Sehnsucht nach Freiheit zu Tage tritt, welche durch extreme Aktionen erkämpft werden soll, erweist sich der Ausbruch des Kassierers in "Von morgens bis mitternachts" als gesteigerte und gesellschaftsübergreifende Variante der Befreiung von einer kontrollierenden, patriarchalischen Instanz. Beide Auf- und Ausbruchsversuche gehen einher mit dem Versuch zur Selbstformung zu einem neuen Menschen, was ambivalente bis hin zu apokalyptische Folgen für die Protagonisten hat.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das soziale Gefängnis als Problematik der Protagonisten
- Die innerfamiliäre Entmachtung der Jugend in Hasenclevers Der Sohn
- Der patriarchalische Tyrann in Form von Gesetz und Gesellschaft in Kaisers Von morgens bis mitternachts
- Aufbruchs- und Erneuerungsversuche der Protagonisten
- „Töte, was dich getötet hat“: Das Aufbegehren des Sohnes
- Der Ausbruch des Kassierers aus Recht und Ordnung
- Revolution oder Apokalypse? Die Folgen des Ausbruchs
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Essay befasst sich mit der Darstellung von Aufbruch und Erneuerung in den expressionistischen Dramen „Der Sohn“ von Walter Hasenclever und „Von morgens bis mitternachts“ von Georg Kaiser. Die Analyse untersucht, wie die Protagonisten in einem repressiven sozialen Umfeld gefangen sind und ihre Versuche, sich aus dieser Machtstruktur zu befreien. Dabei werden die unterschiedlichen Formen der Entmachtung in beiden Dramen beleuchtet: die innerfamiliäre Kastration im „Der Sohn“ und die durch Gesetz und Gesellschaft induzierte Machtlosigkeit in „Von morgens bis mitternachts“. Die Arbeit beleuchtet die Folgen dieser Aufbruchsversuche für die Protagonisten und analysiert, ob diese zu einer Revolution oder einer Apokalypse führen.
- Expressionismus und seine Revolte gegen Tradition und bürgerliche Ordnung
- Das soziale Gefängnis als zentrale Problematik in beiden Dramen
- Patriarchalische Strukturen und die Entmachtung der Protagonisten
- Aufbruch und Erneuerung als Versuche zur Selbstfindung
- Die Ambivalenz der Folgen des Ausbruchs aus der sozialen Ordnung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung bietet eine Einführung in den literarischen Expressionismus und stellt die zentrale These der Arbeit dar: die Darstellung von Aufbruch und Erneuerung in den beiden Dramen „Der Sohn“ und „Von morgens bis mitternachts“.
Kapitel 2 untersucht die soziale Problematik der Protagonisten. Es werden die unterschiedlichen Formen der Entmachtung in beiden Dramen beleuchtet: die innerfamiliäre Kastration im „Der Sohn“ und die durch Gesetz und Gesellschaft induzierte Machtlosigkeit in „Von morgens bis mitternachts“.
Kapitel 3 analysiert die Aufbruchs- und Erneuerungsversuche der Protagonisten. Es wird gezeigt, wie der Sohn im „Der Sohn“ durch eine gewaltsame Revolte versucht, sich von seinem Vater zu befreien, während der Kassierer in „Von morgens bis mitternachts“ einen Ausbruch aus dem System des Gesetzes und der gesellschaftlichen Ordnung vollzieht.
Schlüsselwörter
Expressionismus, Drama, Sozialkritik, Patriarchat, Entmachtung, Aufbruch, Erneuerung, Revolution, Apokalypse, Walter Hasenclever, Georg Kaiser, Der Sohn, Von morgens bis mitternachts.
- Citation du texte
- Isabell Rieth (Auteur), 2018, Der Entwurf einer neuen Ordnung. Aufbruchs- und Erneuerungsversuche in Walter Hasenclevers "Der Sohn" und Georg Kaisers "Von morgens bis mitternachts", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/484275