Hurenstigma. Die politische und gesetzliche Regulierung von Sexarbeit und die Rolle der Sozialen Arbeit


Thèse de Bachelor, 2019

114 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Gebiet der Sexarbeit
2.1 Über die Begriffe Prostitution und Sexarbeit
2.2 Ein historischer Überblick

3. Politik, Moral und Gesetzgebung
3.1 Wertevorstellungen und Traditionslinien
3.2 Regulierungsmodelle
3.3 Der Werdegang der Prostitutionspolitik
3.4 Das ProstSchG 2017 und seine Bestimmungen
3.5 Kritische Stimmen

4. Stigma und Stigmatisierung
4.1 Theoretische Ansätze
4.2 Prozess der Stigmatisierung
4.3 Funktionen von Stigmatisierung
4.4 Folgen aus der Stigmatisierung
4.5 Möglichkeiten von Stigma-Management

5. Das Hurenstigma

6. Die Regulierung der Sexarbeit und mögliche Verbindungen zur Stigmatisierung
6.1 Analyse der persönlichen Anmeldepflicht und Anmeldebescheinigung
6.1.1 Das Bild der Sexarbeiterin als hilfloses opfer
6.1.2 Die Anmeldepflicht und die diskreditierbare Sexarbeiterin
6.1.3 Kritik am Zwang zur Anmeldung und dem „Hurenausweis“...
6.2 Analyse der verpflichtenden gesundheitlichen Beratung und der Kondompflicht
6.2.1 Die Sexarbeiterin als Gefahrenquelle
6.2.2 Die virtuale soziale Identität von Sexarbeiterinnen
6.2.3 Die Kondompflicht und der Aspekt der Diskriminierung
6.3 Weitere Bestimmungen und Abschließende Betrachtung

7. Soziale Arbeit im Feld der Sexarbeit
7.1 Die Rolle der Sozialen Arbeit in Zusammenspiel mit der Politik
7.2 Die professionelle Sozialarbeit als „Normalisierungsarbeit“..

8. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Sozialerbeiter*innen, Professor*innen, Beschäftigte in einer Fabrik, Opernsänger*innen so­wie Sexarbeiterinnen arbeiten unter Einsatz ihres Körpers um Geld zu verdienen und damit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Einige haben optimale Arbeitsbedingungen, während andere sich schlechteren Gegebenheiten am Arbeitsplatz gegenüber sehen. Man­che verdienen viel Geld mit ihrem Beruf, wieder andere müssen sich mit einem geringen Lohn zufriedengeben. (vgl. Nussbaum 1998, S. 693 - 694) Doch einem der genannten Be­rufe wird häufig nachgesagt, kein Beruf wie jeder andere zu sein. Er erlangt immer wieder ein enormes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit, ist im Widerspruch dazu jedoch auch stark tabuisiert und nur schwer von Außenstehenden ohne direkte Berührungspunkte greif­bar. Dabei geht es um keinen anderen Beruf als den der Sexarbeit, dessen Geschichte bis weit hinter das Mittelalter zurück reicht (vgl. Ringdal 2006, S. 13 - 14). Über den Umgang mit Prostitution und der Vertretbarkeit des Berufes wird in der Öffentlichkeit heftig diskutiert und es gibt verschiedene Positionen zur Thematik die unvereinbar miteinander scheinen. Während einige die Thematik Sexarbeit im Kontext der Care-Arbeit , also einer fürsorgen- den Tätigkeit, als Ausdruck des sich Kümmerns betrachten, nehmen wieder andere eine gänzlich konträre Position ein (vgl. Schrupp 2015). Ein bekanntes deutsches Beispiel ist Alice Schwarzer, die Sexarbeit in den Kontext des Patriarchats, von Zwangsverhältnissen und der unterdrückung von Frauen stellt. Sie erklärt, dass 90 Prozent der Personen in der Tätigkeit sich nicht freiwillig dort befinden und eigentlich aussteigen wollen. (vgl. WELT 2013) Durch die in der Gesellschaft stark gespaltenen Meinungen zum Thema Prostitution, gestaltet sich eine nähere Betrachtung dieser Thematik besonders Interessant.

Die eigentliche Intention diese Bachelorthesis über den Beruf der Sexarbeit, vielmehr über das Hurenstigma zu schreiben, hat sich jedoch aus einer ganz persönlichen Erfahrungslage der Verfasserin entwickelt. Das Wissen gegenüber einem Haus zu wohnen, welches den Arbeitsplatz eines Bordells darstellt, veränderte den Blick darauf. Ein Haus und dessen „Bewohneri nnen “, welche sich zuvor der eigenen Beachtung entzogen, wurde fortan mit einer anderen Aufmerksamkeit betrachtet. So sah ich mich mit eigenen antizipativen An­nahmen, aber auch gesellschaftlich verbreiteten Stereotypen gegenüber Sexarbeiterinnen konfrontiert. Lediglich die Information über den Beruf der Frauen im Haus gegenüber, ver­ursachte einen Umschwung im eigenen Denken und das, obwohl diese doch zuvor als ganz „normale“ Nachbarn be trachtet wurden. Die Tatsache, dass diese bloße Information dazu führen konnte, diese Frauen plötzlich anders wahrzunehmen zeigte, wie unbegründet sol­che vorgefassten Meinungsbilder sind und dass Stereotype kritisch hinterfragt werden müs­sen. Aus diesem Grund soll sich die vorliegende Arbeit mithilfe theoretischer Ansätze der Stigmatisierung mit dem Thema Sexarbeit auseinandersetzen.

Ein so konträr betrachtetes Feld wie das der Sexarbeit, das mit vielen vorgefassten Urteilen und stereotypischen Betrachtungsweisen auf individueller oder auch auf gesellschaftlicher Ebene einhergeht begünstigt es, dass diese Thematik dabei einseitig betrachtet wird. Wie beispielsweise unter dem Gesichtspunkt des Menschenhandels, der Zwangsprostitution aber auch im Kontext von sexueller Selbstbestimmung. Zu einer Meinungsbildung müssen dabei keine direkten Erfahrungen gemacht oder die Sicht von Betroffenen gehört werden. Dies kann die Gefahr bergen, Pauschalisierungen anzustellen und diese auf Personen oder alle Frauen in der Sexarbeit anzuwenden. Gerade im Bereich der Politik kann dies zu ver­allgemeinernden Regelungen führen. (vgl. Macioti 2014, S. 1) In Deutschland trat im Jahr 2017 das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft und brachte neue gesetzliche Grundlagen speziell für Sexarbeiter*innen, aber auch deren Kund*innen und Bordellbetreiber*innen. Die Partei der Linken und der Grünen positionieren sich gegen das neue und umfassende Ge­setz, während die Christlich Demokratische Union sowie die Sozialdemokratische Partei Deutschlands das Gesetz verteidigen und es als Fortschritt für die Sexarbeit und den Schutz der in diesem Berufsfeld tätigen Personen betrachtet. (vgl. Deutscher Bundestag 2016) Daneben bezeichnen Fachberatungsstellen und Sexarbeiterinnen das Gesetz als stigmatisierend und kritisieren verschiedene Bestimmungen. Auch die Soziale Arbeit, wel­che Adressatinnen im Feld der Sexarbeit hat, meldet Kritik an und ist durch das Prostitu­iertenschutzgesetz ebenfalls in der eigenen Rolle und Handlungspraxis betroffen. Dies spiegelt die Komplexität der Thematik sowie die verschiedenen Haltungen gegenüber der Sexarbeit in der Politik oder anderen Bereichen wider, hinter der sich möglicherweise auch Wertehaltungen gegenüber den Personen in diesem Beruf verbergen. Gerade deshalb ge­staltet es sich interessant, dieses noch junge Prostituiertenschutzgesetz tiefergehend und mithilfe theoretischer Ansätze zur Stigmatisierung zu betrachten. Aus diesem Grund geht diese Arbeit folgender Frage nach:

In welchem Zusammenhang steht das Prostituiertenschutzgesetz mit der Stigmatisierung von Sexarbeiterinnen ?

Wie die aufgeworfene Fragestellung bereits impliziert, setzt sich die vorliegende Literatur­arbeit explizit mit der Situation von weiblichen Sexarbeiterinnen auseinander. Rein statis­tisch gesehen handelt es sich bei Frauen um eine Mehrheit der tätigen Personen in der Sexarbeit (vgl. Ott 2017, S. 23). Dies soll keineswegs unterstützen, dass die Tätigkeit, die ohnehin bereits weiblich imaginiert wird, zu Unsichtbarkeiten gegenüber Personen weiterer geschlechtlicher Identitäten in der Sexarbeit führt. Dieser Bereich ist nicht minder bedeu­tungsvoll, jedoch sollen die Auswirkungen und ein möglicher Zusammenhang von Stigma­tisierung und Gesetzgebung für die jeweiligen Personengruppen individuell betrachtet wer­den. Dies kann aufgrund der Komplexität dieses Themenfeldes in der vorliegenden Arbeit nicht geleistet werden, weshalb sie sich auf die weibliche Form der Sexarbeit beschränkt. Hervorzuheben ist auch, dass es bei der Aufarbeitung der Thematik nicht darum geht, Ar­gumente für oder gegen Sexarbeit zu sammeln um sich am Ende zu positionieren. Es wird zudem von einer Sexarbeit als Beruf ausgegangen und nicht von kriminellen Erscheinungs­formen oder Menschen in Zwangslagen. Dies ist ein gänzlich anderes Thema, welches ge­trennt von der legal ausgeübten Sexarbeit betrachtet werden muss.

Zu Beginn der Arbeit wird in Kapitel 2. ein kurzer Überblick über das komplexe Feld der Sexarbeit gegeben. Die begriffliche Unterscheidung und die Relevanz der Abgrenzung von legaler Sexarbeit zu Menschenhandel und anderen Straftatbeständen soll hierbei in einem separaten Punkt hervorgehoben werden, da dies auch in Bezug auf das Gesetz von Be­deutung ist. Im letzten Punkt dieses Kapitels wird ein kurzer historischer Überblick gegeben, der den Umgang mit der Prostitution in seiner Geschichte beleuchtet und einen möglichen Einblick über weit zurückreichende Stereotype von Sexarbeiterinnen geben kann. Im Rah­men des 3. Kapitels wird die Sexarbeit als Moralpolitik betrachtet. Dabei geht es unter an­derem um bestimmte Wertevorstellungen, die politische Akteurinnen beeinflussen können sowie um verschiedene europäische Regulierungsmodelle. In einem weiteren Punkt wird der Werdegang der Prostitutionspolitik in Deutschland kurz erläutert, bevor dann auf das aktuelle Prostituiertenschutzgesetz und dessen Bestimmungen eingegangen werden kann. Das Kapitel 4. bildet die theoretische Grundlage zur Stigmatisierung. Eine explizite Zusam­menführung der Thematik Sexarbeit und Stigmatisierung leistet anschließend das Kapitel 5., indem das Hurenstigma dargestellt wird. Im Rahmen des Kapitel 6. wird über einen möglichen Zusammenhang von Stigmatisierung und der Regulierung von Sexarbeit gespro­chen, bevor dann einzelne gesetzliche Bestimmungen anhand der Stigma-Konzepte ana­lysiert werden. Der Punkt 6.1 behandelt daraufhin die Themenbereiche der persönlichen Anmeldepflicht, sowie die Anmeldebescheinigung in Bezug auf Stigmatisierung. Im Punkt

6.2 wird anschließend die verpflichtende gesundheitliche Beratung und die Kondompflicht auf einen möglichen Zusammenhang mit Stigmatisierung überprüft, bevor das Kapitel mit einer finalen Betrachtung abschließt. Im 7. und letzten Kapitel, wird ein Blick auf die Soziale Arbeit geworfen und erläutert wie diese sich im Feld der Sexarbeit bewegt und wie diese ebenfalls mit der Politik in Verbindung steht. Den Abschluss der Arbeit bildet ein kurzes Fazit sowie ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen.

2. Das Gebiet der Sexarbeit

Die Thematik der Sexarbeit erfreut sich einem breiten Interesse der Öffentlichkeit. Trotz­dem gilt der Zugang zu diesem Bereich für die Gesellschaft, aber auch für die Wissenschaft als erschwert. Wertediskussionen, konträre Standpunkte und Tabuisierung prägen die De­batte um Sexarbeit. (vgl. Albert 2015, S. 10) Im heutigen Deutschland, genauer ab dem Jahr 2002, sind der Verkauf sowie der Kauf sexueller Dienstleistungen keine Sittenwidrig­keit mehr und Tätigkeiten im gesamten Gewerbe können legal als Erwerbsarbeit betrieben werden (vgl. Euchner 2015a, S. 2). Die bestehenden Regelungen wurden mit dem Prosti­tuiertenschutzgesetz, abgekürzt ProstSchG, erweitert und sollen die Situation der Sexar- beiter*innen in Deutschland verbessern. Jedoch besteht ein enormer Datenmangel, der es erschwert, sich in sachlicher und wissenschaftlicher Form mit der Thematik Sexarbeit aus­einanderzusetzen (vgl. Döring 2018, S. 48). Es liegen verschiedene Schätzungen zu der Anzahl an Personen vor, die in Deutschland in der Sexarbeit tätig sind. Diese reichen von geschätzten 150.000 bis zu 700.000 Personen und klaffen damit stark auseinander. Um zuverlässige Daten zu erheben, wurde 2017 eine Prostitutions-Statistikverordnung, abge­kürzt ProstStatV, erlassen. Dabei werden beispielsweise Daten zu den angemeldeten Pros­titutionsbetrieben, der Anmeldung der Tätigkeit bei den Behörden von Sexarbeiter*innen, oder Zahlen zu den geführten Prostitutionsfahrzeugen erhoben. (vgl. BR-Drucksache 375/17 S. 1-3) Gemäß den Übergangsregelungen des § 37 Abs. 1 ProstSchG sollten bis zum 31.12.2017 alle Sexarbeiterinnen ihre Tätigkeit anmelden, die bereits vor dem 1.07.2017 gearbeitet haben. Bis zu diesem Stichtag hatten sich in Deutschland insgesamt 6.959 Sexarbeiterinnen angemeldet (vgl. Statistisches Bundesamt o.J.b). Diese geringe Zahl der Anmeldungen lässt vermuten, dass ein Großteil der Sexarbeitenden dieser Anmel­defrist des neuen Gesetzes nicht nachgekommen ist. Aktuellere Zahlen vonseiten des Sta­tistischen Bundesamtes liegen derzeit nicht vor und die veröffentlichten Daten besitzen da­mit wenig bis keine Aussagekraft, worauf auch das Statistische Bundesamt hinweist, des­sen Seite sich immer noch im Aufbau befindet (vgl.STATiSTiscHES Bundesamt o.J.a).

Sexarbeit stellt heute einen sehr vielfältigen und im gesamten schwer erfassbaren Bereich dar. Die Gruppe der Frauen, die heute in der Prostitution arbeiten, wird als äußerst hetero­gen beschrieben. Diese Heterogenität beginnt bereits bei einem differenzierten Bildungsni­veau und dem Grad des Ausbildungsabschlusses der Sexarbeiterinnen. (vgl. Laskowski 1997, S. 81) Ebenfalls unterscheiden sich die in der Sexarbeit tätigen Frauen in ihren Mo­tiven der Ausübung, der aktuellen Lebenslage, ihrer Biographie, oder der Herkunft aus der sozialen Gruppe (vgl. Albert 2015, S. 10; Laskowski 1997, S. 84 - 85). Auch die Aus­übungsformen und Tätigkeitsbereiche, die meist nach dem Merkmal der Kontaktaufnahme mit Freier*innen voneinander unterschieden werden, sind vielfältig. unterschieden werden beispielsweise die Straßenprostitution, Bordellprostitution, Lokalprostitution, Wohnungs­prostitution, oder auch die Form der Arbeit als Domina. (vgl. Brüker 2011, S. 20 - 24)

Diese Heterogenität der Frauen in Bildungsgrad, Motivation oder gesellschaftlicher Rolle ist im Forschungskontext von enormer Relevanz. Viele der gängigen Forschungen berücksich­tigen diese Vielfalt jedoch nicht ausreichend und beschränken sich teilweise auf stereotypi­sche Annahmen zu Sexarbeiterinnen, auf denen diese Forschung dann aufbaut. (vgl. Löw/Ruhne 2011, S. 41) Zu beachten ist auch, dass Forschungen meist in keinem macht­freien Raum vorgenommen werden. So wird auch im Feld der Prostitution darauf hingewie­sen, dass den bestehenden Arbeiten oft verschiedene Interessen zugrunde liegen. Es gibt derzeit Befürworterinnen sowie Gegnerinnen der Sexarbeit. Zudem geht es aktuell vielen im deutschen Raum darum, die Notwendigkeit der Regulierung von Sexarbeit zu stützen oder zu widerlegen. Jede Interessensgruppe erhofft sich durch eine Studie oder wissen­schaftliche Arbeit somit Resultate, die den eigenen Standpunkt unterstützen. Zudem unter­scheiden sich die Ergebnisse auch dadurch, welche Personen für die Forschung akquiriert und damit untersucht werden können. Beispielsweise sind selbstbewusste Sexarbeiterin­nen, welcher der Ausgrenzung und Diskriminierung trotzen, leichter zu erreichen als jene, die sich möglicherweise für ihre Tätigkeit schämen oder unter der erfahrenen Stigmatisie­rung leiden. (vgl. BMFSFJ 2015, S. 6) In der „Zeitschrift für Sexualforschung“ wurden inner­ halb von 30 Jahren zehn Beiträge rund um die Prostitution veröffentlicht. Dies wird als eine niedrige Bilanz beschrieben und bemerkt, dass besonders eine Lücke an Forschungen be­steht, welche die verschiedenen Regulierungsmaßnahmen der Sexarbeit untersuchen. (vgl. Döring 2018, S. 48) Aus dem Bereich der Rechtswissenschaft wurde das Prostitutionsge­setz, abgekürzt ProstG, betrachtet, welches 2002 in Kraft trat (vgl. Böllinger/T emme 2001). Im Bereich der Sozialen Arbeit wurde unter anderem von Brüker eine Forschung zur Situ­ation von älteren Sexarbeiterinnen durchgeführt (vgl. Brüker 2011). Löw und Ruhne er­forschten durch interviews mit Sexarbeiter*innen, deren Kund*innen, Sozialarbeiter*innen und Nachbar*innen von Prostitutionsstätten das Feld und die Wahrnehmungsweisen der Prostitution (vgl. Löw/Ruhne 2011). Vorheyer untersuchte Haltungen und Rollenmuster von Sozialarbeiterinnen gegenüber dem Sexgewerbe und den dort tätigen Personen (vgl. Vor­heyer 2014). Lange standen vornehmlich Frauen im Fokus des Forschungsfeldes, ebenso wie ihre Beweggründe überhaupt in diesem Bereich zu arbeiten. Dies hat sich heute ge­wandelt und es entstehen vermehrt Arbeiten mit verschiedenen Zielgruppen und Fragestel­lungen. Jedoch ist die Analyse und das Wissen um das Feld der Sexarbeit und dazugehö­rigen Bereichen immer noch begrenzt. (vgl. Löw/Ruhne 2011, S. 43 - 44)

2.1 Über die Begriffe Prostitution und Sexarbeit

Im öffentlichen Sprachgebrauch gibt es in Bezug auf Menschen, die in der Sexarbeit tätig sind, eine Vielfalt an Bezeichnungen. Sehr häufig werden diese Begriffe synonym füreinander verwendet, ohne die eigentliche Wortherkunft und deren Bedeutung zu kennen oder dem Beachtung zu schenken. Eine Sensibilität im Wortgebrauch ist jedoch wichtig, da es für betroffene Menschen um die Vermeidung von Beleidigung und Diskriminierung geht und Sprache dabei eine große Wirkmacht besitzt (vgl. Ott 2017, S. 338). Zudem findet mit dem Gebrauch verschiedener Begriffe häufig eine moralische Wertung statt (vgl. Cam­pagna 2005, 50-21). So wird eine weitestgehend wertfreie Sicht auf Personen in diesem Bereich unmöglich. Ein hinzukommendes Problem ist vielmals die Unklarheit, ob mit dem verwendeten Begriff Personengruppen gemeint sind, die aus einer Zwangslage heraus und als Opfer von organisierter Kriminalität handeln, oder aus Freiwilligkeit und Selbstbestim­mung in einem Beruf arbeiten. (vgl. Wege 2015, S. 86) Genau deshalb scheint die Verwen­dung von Begriffen und deren bewusste Unterscheidung durch die Öffentlichkeit und der Politik immensen Stellenwert zu haben, im Besonderen für die betroffenen Personen selbst.

Sehr geläufig ist der Begriff der Prostitution, der ungefähr ab dem 18. Jahrhundert verwen­det wird, um das Kaufen sowie das Verkaufen von sexuellen Dienstleistungen zu beschrei­ben (vgl. Bergdoll/Wurms 2017, S. 688). Eine übereinstimmende wissenschaftliche Defi­nition gibt es jedoch bis heute nicht. Vielmehr ist die Auslegung des Begriffes der Prostitu­tion immer einem aktuellen gesellschaftlichen Verständnis und der derzeitig herrschenden Sexualmoral unterlegen. (vgl. Brüker 2011, S. 17) Damit ist die Begriffsbestimmung der Prostitution alles andere als statisch und wird ganz unterschiedlich definiert. Eine von vielen Betrachtungsweisen lautet: “Prostitution ist Sexualverhalten, das vorrangig nicht dem Aus­ druck von Gefühlen, dem Lustgewinn oder der Fortpflanzung dient, sondern der Lebenssi­ cherung oder der Kompensation materieller oder statusmäßiger Nachteile.“ (vgl. Betten­brock 1992, S. 196) Diese Definitionsvariante drückt aus, dass Personen, die der Prostitu­tion nachgehen, dies aufgrund der Sicherung ihres Lebensunterhalts tun oder um finanzi­elle Benachteiligung zu kompensieren. Dies ist eine eher einseitige Sicht auf diese Tätig­keit, die andere Beweggründe nicht miteinbezieht, möglicherweise ausschließt.

Der Philosoph Norbert Campagna hingegen beschreibt das Phänomen der Prostitution le­diglich als den Austausch eines sexuellen Gutes gegen ein anderes Gut, das nicht sexuell ist. Dabei möchte er antizipative Urteile über Beweggründe, eine patriarchalische Gesell­schaft oder Menschenhandel, sowie ein Ausbeuten von Frauen außen vor lassen und nicht werten, sondern lediglich den Tausch betrachten, der vollzogen wird. Er schlägt vor, auf die Verwendung des Begriffs Prostitution im öffentlichen Sprachgebrauch gänzlich zu verzich­ten. Zum einen, da er sehr unterschiedlich Anwendung findet und damit nicht klar ist, welche Personen damit gemeint sind und zum anderen, da er stark negativ besetzt ist und die Verwendung alles andere als neutral und machtfrei, sondern (bewusst) verurteilend ist. Dies gilt demnach auch für Begriffe mit noch stärkerem negativ konnotiertem Ausmaß, wie „Hure“, „Nutte“ oder „Schlampe“. (vgl. Campagna 2005, S. 50 - 51) Genau betrachtet ist der Begriff Prostitution auf das aus dem Latein stammende Verb prostituere “ zurückzuführen. Dies ist als öffentlich anbieten, entehren oder auch bloßstellen ins deutsche zu übersetzen. (vgl. Wermke/Kunkel-Razum/Scholze-Stubenrecht 2006, S. 634).

Aus juristischer Perspektive und vonseiten der deutschen Gesetzgebung wird, trotz nega­tiver Konnotation, weiterhin der Begriff Prostitution gebraucht. Dies zeigt sich deutlich in der Namensgebung des aktuellen Prostituiertenschutzgesetzes aus dem Jahr 2017 und einer Definition des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, abgekürzt BMFSFJ. (vgl. BMFSFJ o.J., S. 2) Dies wird zum einen aufgrund der negativen Konnotation kritisiert, zudem wird dadurch nicht deutlich, dass es sich um eine Form der Erwerbsarbeit handelt und der Begriff Prostitution impliziert, dass der gesamte Körper ohne Auswahlop­tion dargeboten wird (vgl. BÜSCHI 2011, S. 20 - 21). Das BMFSFJ merkt jedoch an, dass Prostitution auch Sexarbeit oder Sexwork genannt werden kann (vgl. BMFSFJ o.J., S. 2). Die Ursprünge dafür sind in der amerikanischen Prostituiertenbewegung zu finden. Die deutsche Hurenbewegung übernahm Ausdrücke wie Sexwork oder sex worker und etab­lierte deren deutsche Übersetzung. Die Begriffe Sexarbeit und Sexarbeiterinnen betonen den ökonomischen Charakter dieser Tätigkeit und stehen dafür, dass Sexarbeit Beruf ist. Zudem wird der Fokus darauf gelegt, dass Menschen in der Sexarbeit dies aus einer Frei­willigkeit tun, zu selbstbestimmtem Handeln fähig und keineswegs wehrlose Opfer sind. (vgl. Brüker 2011, S. 18 - 19) Doch auch der Begriff Sexarbeit ist nicht frei von Kritik. Be­mängelt wird unter anderem, dass er euphemistisch ist und rein das Tauschgeschäft be­trachtet, die Tätigkeit dadurch normalisiert und Negatives überdeckt (vgl. Schreiter/Ange- LINA 2018, S. 11).

Eine Abgrenzung der Personengruppen durch Begriffe ist daher von großer Bedeutung, wenn in Diskursen von Menschen gesprochen wird, die in der Sexarbeit tätig sind, oder aber Opfer von Menschenhandel oder Zwangsprostitution sind. Von Zwangsprostituierten wird gesprochen, wenn die Tätigkeit unfreiwillig ausgeübt, die Personen durch Gewalt, Druck oder Zwang zu sexuellen Handlungen gezwungen werden. Eine Entscheidungsfrei­heit besteht dann nicht mehr. Demnach ist Zwangsprostitution gemäß des § 232a Strafge­setzbuch auch ein Straftatbestand, welcher mit einer Freiheitsstrafe bis hin zu zehn Jahren bestraft werden kann. Ebenso ist Menschenhandel gemäß § 232 Strafgesetzbuch eine Straftat. Auch kann die Beschaffungsprostitution nicht als Form der Sexarbeit, die regulär als Beruf ausgeübt wird, betrachtet werden. Denn dabei werden sexuelle Handlungen aus­geführt, die lediglich als ein nötiges Mittel betrachtet werden, um sich Drogen zu beschaffen und einen möglichen Suchtdruck zu mindern. Dies geschieht dann meist aus einer Notlage oder Erkrankung heraus und wird von den betroffenen Personen selbst, oft nicht als eine Form der Erwerbsarbeit betrachtet. (vgl. Vorheyer 2014, S. 74) Sexarbeit und Zwangs­prostitution sind jedoch nicht immer strikt voneinander abzugrenzen. Ein Graubereich stellt diejenige Form der Prostitution dar, welche von Menschen aufgrund empfundener oder konkreter Hilflosigkeit ausgeübt wird. Ebenfalls kann ein Mangel an Perspektiven zur Tätig­keit in der Prostitution führen. Die Wahlmöglichkeiten dieser Personen sind in ausgeprägter Form eingeschränkt, während andere Personen sich ganz bewusst für die Arbeit als Sexar­beiterin entscheiden. (vgl. BMFSFJ 2005, S. 19) In Debatten oder Diskursen, bei dem es um das Treffen von Entscheidungen bezüglich Personen im Sexgewerbe geht, erscheint es daher wichtig, dass alle Beteiligten von einem annähernd gleichen Verständnis der ver­wendeten Begriffe ausgehen.

Wenn nun im Folgenden der Arbeit von Sexarbeit, Sexarbeiterinnen, Prostituierten oder Prostitution gesprochen wird, dann sind damit nicht Menschen gemeint, die zu dieser Tä­tigkeit gezwungen werden, oder Opfer von Kriminalität sind. Mit diesen Begriffen sollen Frauen bezeichnet werden, die Sexarbeit in einem legalen Rahmen ausführen, oder die sich für diese Tätigkeit entschieden haben. Die kriminalisierte Form und der Zwang von Frauen zu kommerziellen sexuellen Handlungen soll strikt davon unterschieden und mit den Worten Menschenhandel oder Zwangsprostitution bezeichnet werden. Vorrangig wird der Begriff der Sexarbeiterin verwendet, um Diskriminierung und eine starke moralische Wertung zu vermeiden. Zudem aus der Intention heraus, Sexarbeit als Arbeiten zu betrach­ten und die Personen nicht antizipativ mit Unfreiwilligkeit, Unterdrückung oder Gewalt in Verbindung zu bringen. Im öffentlichen Sprachgebrauch, in der Forschung und vonseiten der Gesetzgebung dominiert jedoch weiterhin der Begriff der Prostitution (vgl. Ott 2017, S. 22). um in diesem Kontext ein Abbild schaffen zu können und um tatsächliche Gege­benheiten nicht zu verschleiern, kommt diese Arbeit nicht umhin vom Begriff der Prostitution Gebrauch zu machen. Dieser bietet an bestimmten Stellen zudem mehr Raum um auf Un­gleichheitsverhältnisse, eingeschränkte Wahlmöglichkeiten oder Diskriminierung aufmerk­sam zu machen.

2.2 Ein historischer Überblick

Nach der amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum kann Prostitution nur dann wirk­lich gut verstanden werden, wenn sie im Kontext ihrer geschichtlichen und sozialen Gege­benheiten betrachtet wird (vgl. Nussbaum 1998, S. 700). Daher soll ein grober historischer Grundriss der Prostitution zum besseren Verständnis der vorliegenden Arbeit dienen. Dies kann hilfreich sein, den Beruf der Sexarbeit sowie dessen Bedingungen in der heutigen Gesellschaft besser zu verstehen. Ein Rückblick in die Geschichte zeigt schnell, dass die Tätigkeit überaus ambivalent betrachtet und daher auch verschieden damit umgegangen wurde. Sexarbeiterinnen nahmen dabei grundverschiedene Positionen ein. Sie wurden bei­spielsweise als Göttinnen, Opfergaben, Priesterinnen, aber auch als Kriminelle oder ge­sundheitsgefährdende Frauen behandelt. (vgl. BÜSCHI 2011, S. 37 - 38) Die kommerzielle Prostitution scheint in verschiedenen Kulturkreisen bereits sehr früh aufgetreten zu sein und dort eine Rolle gespielt zu haben (vgl. Borelli/Starck 1957, S. 4 - 5). Dies mag erklä­ ren, weshalb Prostitution häufig als das „älteste Gewerbe der Welt“ betitelt wird, womit die Tätigkeit als schon immerwährende Konstante in der Geschichte der Menschheit gewertet wird (vgl. Krafft 1996, S. 9 - 10). Anthropologen, sowie Geologen legen heute jedoch zahl­reiche Belege vor, welche die These ausschließen, Prostitution hätte es schon immer ge­geben und es sei ein unumgängliches gesellschaftliches Phänomen. Denn in den früheren Hochkulturen Chinas, des Indu-Deltas oder Ägypten lassen sich rund 2.000 Jahre vor der heutigen Zeitrechnung, Berufe wie die des Priesters oder des Beamten ausmachen, Pros­titution hingegen lässt sich in diesen Zivilisationen zu diesem Zeitpunkt nicht nachweisen. (vgl. RINGDAL 2006, S. 21)

Bereits im 3. Jahrtausend vor Christus existieren Aufzeichnungen von Prostituierten in Ba­bylon, einer der bedeutendsten Städte des Altertums. Die Tempelprostitution war damals eine Art Ritual, bei der sich junge Frauen einmal und um die Gottheiten zu ehren einem Mann hingeben mussten, der sie dann mit einer Münze entlohnte, die als gesegnet galt. Neben dieser religiös motivierten Form gab es eine simple Form der Schenkenprostitution, die legal und gesetzlich geregelt war, sowie die Gastprostitution. Bei letzterer Form war eine Ehefrau dem Ehemann Eigentum und hatte sich fremden Gästen, die das Haus be­suchten, hinzugeben, um Gastfreundschaft zu symbolisieren. (vgl. Borelli/Starck 1957, S. 5) Während der Zeit der griechischen Antike war das Ansehen der Prostituierten davon abhängig, welcher der drei bestehenden Kategorien sie angehörten. Zu den oft hoch ange­sehenen Frauen gehörten diejenigen Prostituierte, die Beziehungen zu mächtigen Männern hielten, danach kamen sogenannte Tanzmädchen, die auf Feierlichkeiten mit Gesang und oft nackt die Gäste unterhielten. Die unterste Schicht bildeten die Frauen, die als Sklavinnen gehalten, in Bordellen aufzufinden und mit einem bestimmten Gewand bekleidet waren. Aufgrund dessen waren sie leicht erkennbar und erfuhren dadurch Ablehnung und Stigma­tisierung durch die Bevölkerung. (vgl. Krumm 2014, S. 37)

Im spätmittelalterlichen Europa um das 14. - 15. Jahrhundert wurde die Frage aufgeworfen, wie mit der Prostitution, die damals überwiegend heimlich auf der Straße und unkontrolliert praktiziert wurde, umgegangen werden soll. (vgl. Ziemann 2017, S. 249) Denn die ökono­mischen Entwicklungen und der steigende Wohlstand erwecken in der Obrigkeit die Be­fürchtung, die sittliche Lebensweise der Bevölkerung könnte durch Verdorbenheit und Unzucht in Gefahr sein, was Maßnahmen zur Reglementierung unabdingbar erscheinen ließ (vgl. Rexroth 1999, S. 28 - 29). Folglich wurden nach griechischem Vorbild erstmals sogenannte „Frauenhäuser“ eingerichtet. Primäres Ziel war es Prostituierte, besonders freie Frauen, die von Stadt zu Stadt zogen, zu kontrollieren. Denn obgleich sogenannte „Dirnen“ der Stadt verwiesen, oder durch erniedrigende Riten, wie dem Abschneiden der Haare oder dem öffentlichen Anprangern bestraft und stigmatisiert wurden, verschwand die Prostitution nicht, sondern verlagerte sich an den Rand der Stadt oder bestimmte Gassen. Durch die Institutionalisierung der Prostitution, also dem Einrichten von Plätzen an denen Prostitution stattfinden konnte, wurde die wandernde Tätigkeit nun auch zu einer beständi­gen Tätigkeit in Frauenhäusern, die kontrolliert werden konnte (vgl. Ziemann 2017, S. 251 ­ 252). Die Obrigkeit duldete die Prostitution, die außer Frage stehend in Anspruch genom­men wurde, somit als notwendiges Übel und markierte die Frauen, die dieser Tätigkeit nach gingen als sittenlose soziale Gruppe, was die restliche Bevölkerung vor Devianz in diesem Sinne schützte. (vgl. Graus 2002, S. 324 - 325) Größere Städte verabschiedeten fortan Ver­ordnungen, die die Prostitution räumlich kontrollierte, sowie an die Stadtränder verschob. Diese Frauen wurden einer Aufsichtsperson in Frauenhäusern unterstellt, die mit Rechten und Pflichten, beispielsweise in Bezug auf Verpflegung, unterkunft oder Abgaben ihnen gegenüber, ausgestattet war. (vgl. Schuster 1995, S. 138 - 139)

Die Prostitution als Gewerbe, wie sie in ihren Grundzügen auch heute vorzufinden ist, bil­dete sich in Deutschland während der Industrialisierung. Da durch die Entwicklung eines kapitalistischen Systems, der Tauschakt mit Geld für den normalen Bürger leichter möglich wurde. Prostitution wurde ein Ort, an dem Männer ihrer Sexualität Freiraum geben konnten, ohne, dass dies mit irgendwelchen Pflichten einherging. Die Ehe galt gleichermaßen als Ort für den legitim ausgeübten Geschlechtsverkehr, während die Prostitution aufgrund der Se­xualität als unmoralisch verrufen wurde. Die Entwicklung der Erwerbsarbeit in einem kapi­talistischen System und die Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit machten vor der Prostitution halt und diese galt nicht als ein Beruf wie jeder andere. Frauen wurden als unschuldige Mädchen oder sittliche Hausfrauen und in ihrer Rolle als liebende Mutter be­trachtet, von dem die Prostituierten abgespalten wurden und lediglich dazu da waren den starken Sexualtrieb der Männer zu befriedigen, oder die Allgemeinheit vor Vergewaltigung zu schützten. (vgl. Bastian/Billerbeck 2011, S. 17) Die Prostitutionsdebatte im 19. Jahr­hundert dominierte die Thematik um steigende Zahlen von Syphiliserkrankungen, was be­deutete, dass die Bevölkerung nun nicht nur vor unsittlichkeit durch Prostituierte, sondern auch vor ansteckenden Krankheiten durch diese bewahrt werden musste (vgl. Ziemann 2017, S. 254). In den Diskurs um Maßnahmen waren verschiedene Disziplinen beteiligt und es bestanden konträre Ansichten und Vorschläge zur Thematik. Im Jahr 1856 wurde in Berlin ein definitives Verbot jeglicher Bordelle erwirkt. Dies geschah entgegen den Empfeh­lungen von liberalen Fürsprecherinnen, Medizinerinnen oder auch der Polizei. Um die 1870er Jahre sollte dann beinahe im gesamten Deutschland das Bordellwesen eingestellt sein, was als Akt der Bekämpfung gelten sollte. (vgl. Ziemann 2017, S. 260; Bastian/Bill- erbeck 2011, S. 19) Prostitution wuchs im 19. Jahrhundert zu einer Problematik auf der politischen, moralischen und sozialen sowie hygienischen Ebene an (vgl. Krafft 1996, S. 9). Nach der Schließung der Bordelle verlagerte sich die Prostitution zunehmend auf die Straße und trat ins öffentliche Bewusstsein, was zur Folge hatte, dass die Politik die Pros­titution nicht mehr unter Strafe stellte, jedoch streng kontrollierte und Maßnahmen zum Aus­stieg oder der „Resozialisierung“ von Prostituierten einrichtete. 1927 trat dann das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten in Kraft, was zu regelmäßigen Zwangsunter­suchungen von Prostituierten führte und die Allgemeinheit so vor Geschlechtskrankheiten schützen sollte. Während der Zeit des Zweiten Weltkriegs manifestierte sich das Bild der Prostituierten als Gefahrenquelle von sexuell übertragbaren Krankheiten. Als sogenannte „Volksschädlinge“ stellten diese eine Bedrohung für die Gesundheit der Menschen dar, die kriegsrelevant erschienen. Trotzdem wurden auch spezielle Bordelle für die Nationalsozia­listen errichtet, um so gegen Homosexualität vorzubeugen. Ebenfalls dienten Prostituierte in Konzentrationslagern dazu, die Leistungsfähigkeit der Insassen zu steigern. Ab dem Jahr 1939 wurden dann überwiegend alle Personen, die sich der Prostitution verdächtig gemacht hatten in Konzentrationslager deportiert. (vgl. Bastian/Billerbeck 2011, S. 19 - 22) Allge­meine Strafen, die den Prostituierten drohten, war das Abschneiden der Haare, Zwangs­sterilisation oder das Umherlaufen mit einem Schild, auf dem ihre Schande zu lesen war (vgl. Paul 1994, S. 15 - 16). Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in den westlichen Besat­zungszonen Bordelle und Prostitution, was jedoch beides stark kontrolliert wurde. Sehr schnell wurde eine Frau oder ein Mädchen ohne Fürsorge zur Prostituierten erklärt, auch wenn sie nur mit einem Soldaten gesehen wurde. Viele Frauen boten aufgrund der schlech­ten Versorgung gegen geringe Gegenleistung sexuelle Dienstleistungen an. Die Entwick­lung des Bildes der Prostituierten verlief unter Zuschreibungen des Sittenverfalls sowie der moralischen Gefahr. Die Frau bekam die Rolle der Verführerin zugeschrieben und war in den meisten Fällen, ob in der Prostitution oder bei ehelichen Verfehlungen, die schuldige Person, während Männer moralisch unbefleckt blieben, da diesen lediglich ein starker Se­xualtrieb nachgesagt wurde. (vgl. Bastian/Billerbeck 2011, S. 22 - 23)

Historisch betrachtet wurde auf das Phänomen Prostitution immer in irgendeiner Form re­agiert und interveniert. Drei Formen lassen sich dabei in Duldung, Unterdrückung und Re­gulierung unterscheiden. Diese Interventionsformen gingen demnach beispielsweise mit Kontrollen, strengen Erfassungen, Verboten und Überwachung oder aber mit rigiden Sanktionen einher. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Prostitution, trotz vorherigen Verboten, geduldet und trat wieder auf die gesellschaftliche Agenda. Es folgten bundes­landspezifische Regelungen im Bereich der Prostitution, die teilweise bis heute bestehen. Der Blick zurück in die Prostitutionsgeschichte zeigt zudem, dass trotz Verboten, der Stig­matisierung und Reglementierungen eine Beseitigung der Prostitution nie erfolgreich ein­getreten ist. (vgl. Ziemann 2017, S. 260; Bettenbrock 1992, S. 197) Diese Wirkungslosig­keit der Regulierung und Verbote wird auch darauf zurückgeführt, dass eine Nachfrage an Prostitution immer höher war als ihr tatsächliches Angebot. Zudem fanden die Tätigkeiten meist im Heimlichen statt und entzogen sich so in der Regel der öffentlichen Registrierung und ihrem Bewusstsein. Die Dienste von Prostituierten nahmen außerdem nicht nur ledig­lich Soldaten, Burschen oder Reisende in Anspruch, sondern ebenfalls Männer aus der bürgerlichen Schicht und Verheiratete, was im öffentlichen Bewusstsein jedoch keine The­matisierung fand. (vgl. Ziemann 2017, S. 250)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Prostitution schon sehr früh in verschie­denen Kulturkreisen aufgetreten ist und Sexarbeiterinnen verschiedene Stellungen anneh­men konnten. Im Laufe der Zeit sind auch verschiedene Bilder von Prostituierten entstan­den, die sich möglicherweise auch heute in Ansichten gegenüber Sexarbeiterinnen nieder­schlagen können. Regulierende Maßnahmen, Verachtung oder Vertreibung von Prostitu­ierten spielten in der gesamten Geschichte dabei eine große Rolle und so folgten verschie­dene Interventionsmaßnahmen wie die Tolerierung oder aber ein totalitäres Verbot nur kurz aufeinander. Darin spiegelt sich eine Unsicherheit im Umgang mit der Prostitution wider, sowie das Konfliktpotenzial, das die Thematik birgt. Hervorzuheben ist aber auch, dass trotz Verboten und Stigmatisierung eine Beseitigung der Prostitution nie eingetreten ist.

3. Politik, Moral und Gesetzgebung

Nicht nur die frühere Obrigkeit beschäftigte sich mit dem Umgang der Prostitution. Die The­matik spielt bis heute eine Rolle in der Politik und Gesetzgebung. Als Moralpolitik wird in der Politikwissenschaft ein Zweig bezeichnet, der politische Themen behandelt, denen ge­sellschaftliche Wertkonflikte zugrunde liegen. Dazu werden beispielsweise Bereiche wie Sterbehilfe, Schwangerschaftsabbrüche oder Sexarbeit gezählt (vgl. Euchner 2015a, S. 5; Knill u.a. 2015, S. 15). Politische Akteurinnen tendieren bezüglich solcher Thematiken zur Verwendung moralischer Begründungen, um Interessen durchzusetzen. Ein so bezeichne­ tes „moralisches Framing“ lenkt den politischen Prozess und beeinflusst diesen bis hin zu einer möglichen Entscheidungsfindung. (vgl. Knill 2013, S. 310) Der Grad der Moralisierung eines politischen Gegenstandes ist stark mit den Handlungsoptionen und der Macht politischer Akteurinnen gekoppelt (vgl. Knill u.a. 2015, S. 17).

Zu moralpolitischen Themen finden kontroverse Diskussionen statt. Umso höher das ge­sellschaftliche Interesse bezüglich einer Thematik, desto eher rückt diese auf der politi­schen Agenda nach oben und nähert sich der Umsetzung neuer Reformen möglicherweise an, da der Druck auf die politischen Entscheidungsträgerinnen wächst und es schlussend­lich um Wählerstimmen geht. (vgl. Knill u.a. 2015, S. 18) Es ist jedoch zu beachten, dass ein bloßes Erscheinen auf der politischen Tagesordnung alleine keine schnellen Entschei­dungen oder einen politischen Wandel herbeiführt, denn hierzu bedarf es erst einmal einer politischen Mehrheit, die es vermag Entscheidungen durchzusetzen. Dies ist nicht leicht, denn immer wieder kommt es in diesem Politikfeld zu innerparteilichen Unstimmigkeiten und Kompromisslösungen, die aufgrund der verschiedenen moralischen Wertvorstellungen nur schwer zu erreichen und nicht zufriedenstellend sind. (vgl. Knill u.a. 2015, S. 19) Ge­rade Deutschland ist in Sachen Moralpolitik für die Politikwissenschaft ein interessanter Fall, da christliche politische Akteurinnen sowie antiklerikale politische Akteurinnen pola­risieren und oft konträre Ansichten haben. Außerdem besitzen Kirchen und Gerichte einen nicht unerheblichen Einfluss auf politische Entscheidungen. Eine hohe Entscheidungsfreu­digkeit in moralpolitischen Themen ist daher aufgrund vieler Vetospielerinnen im politi­schen Prozess eher gering und auch innerparteiliche Unstimmigkeiten erschweren eine zü­gige Entscheidungsfindung. (vgl. Knill u.a. 2015, S. 19 - 20) Im Vergleich und der Analyse von zehn deutschen moralpolitischen Feldern wie Sexarbeit, Pornografie oder Schwanger­schaftsabbruch konnten vier übergreifende Erkenntnisse gewonnen werden. In den ver­schiedenen untersuchten Bereichen, deren Entwicklung und Wandel nicht einheitlich ver­lief, zeichnete sich eine Liberalisierungstendenz ab. Zudem stellte sich heraus, dass ein Wandel in der betriebenen Politik immer schubweise erfolgt und neue Reformen nicht kon­tinuierlich erlassen werden. Auch bringen neue Debatten Bewegung in die Thematik, was nicht zuletzt einen Wandel in der Politik mit veränderten gesellschaftlichen Anschauungs­weisen und einer Delegitimation bestehender Reformen oder politischer Trends zur Folge hat. Was in allen untersuchten Politikbereichen ebenfalls gleich festgestellt wurde, ist, dass Entscheidungen durch innerparteiliche Unstimmigkeiten und eingelegten Vetos, einen Wandel in der Politik, durch verschiedene Kompensationsstrategien, verhindert oder ver­zögert haben. Daher kommt es, dass der Grad an Nicht-Entscheidungen in moralpolitischen Themenbereichen sehr hoch ist. (vgl. Knill u.a. 2015, S. 21 - 23)

Das enorme Konfliktpotenzial des politischen Feldes der Prostitutionsregulierung resultiert aus völlig konträren Anschauungsweisen von fundamentalen Fragen. Es geht dabei explizit um die Treue und Sexualität in Ehe oder Partnerschaft, die gesellschaftliche Stellung und das Rollenbild der Frau, dem Dasein religiöser Einflüsse auf politische Entscheidungen, aber auch um die Legitimation staatlichen Eingreifens in die Intimsphäre oder sexuelle Selbstbestimmung von Bürgerinnen. (vgl. Euchner 2015a, S. 5) Neben zahlreichen mo­ralisch geprägten Argumentationslinien wird Sexarbeit zudem im Kontext von organisierter Kriminalität, Gewalt, Diskriminierung, Freiwilligkeit, dem Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie Gesundheit diskutiert (vgl. Euchner 2015b, S. 107 - 108). Diese divergenten Anschauungsweisen der Thematik lassen verschiedene Wertevorstellungen und Traditi­onslinien entstehen, welche es ermöglichen verschiedene interessensgruppen voneinan­der zu unterscheiden, die die Prostitutionspolitik jeweils anders betrachten und dement­sprechend agieren.

3.1 Wertevorstellungen und Traditionslinien

Eigene Werte, überzeugungen und Normen bilden sich unter anderem aus persönlichen Erfahrungen, sowie der Sozialisation und Erziehung einer Person. Diese überzeugungen erzeugen individuelle Maßstäbe und Vorstellungen von negativem oder positivem Verhal­ten. Diese Maßstäbe werden somit auch in politischen Diskussionen um die Prostitution angelegt und lassen sich übergreifend in eine liberale, eine christliche und ebenso in eine feministische Tradition einteilen. (vgl. Htun 2003, S. 29 - 30)

Die christliche Kirche übermittelt klare überzeugungen und Normen bezüglich Partner­schaft, Ehe und so auch zur Prostitution (vgl. Euchner 2015a, S. 6). In der Bibel, die das Fundament des Glaubens der evangelischen und katholischen Kirche mit dem alten und neuen Testament darstellt, finden Prostituierte direkte Erwähnung (vgl. 1. Hebräer 6,15, EIN).1 Prostituierte werden mit Räuberinnen verglichen, die anderen auflauern und als Ver­führerinnen dargestellt, die andere vom richtigen Weg abbringen (vgl. Sprüche 9,13-15; 23,28, EIN). Der Verkehr zwischen Mann und Frau soll laut Bibel in einer heiligen und ach­tungsvollen Weise und nicht aus leidenschaftlicher Begierde geschehen, weshalb Unzucht gemieden werden soll (vgl. Thessalonicher 4,3-5, EIN). Die religiöse Eheschließung, in der Frau und Mann sich vereinigen, besitzt auch heute einen wichtigen Stellenwert in der christ­lichen Kirche (vgl. Htun 2003, S. 35 - 36). Die Auslegungsformen der Bibel sind natürlich einem historischen und gesellschaftlichen Wandel unterlegen und verschiedene Überset­zungsformen oder Interpretationen sind dabei zu beachten. Die katholische Kirche bei­spielsweise betrachtet mit ihrer derzeitigen Sexualethik, die Sexarbeit ablehnend, ebenso ihre liberale staatliche Regulierung, jedoch setzt sie sich für die gesellschaftliche Wieder­eingliederung von Sexarbeiterinnen ein. Der „Verkauf’ 1 des eigenen Körpers wird als etwas betrachtet, das der christlichen Achtung des menschlichen Körpers widerspricht und als menschenunwürdig gilt. Zudem sollte Sexualität etwas darstellen, das vorrangig der Fort­pflanzung in Ehe oder fester Partnerschaft dient und nicht in losen oder einmaligen Kontak­ten stattfindet. Diese Positionierung zur Prostitution wird mit entsprechenden Bibelstellen belegt. (vgl. Deutsche Bischofskonferenz 1995, S. 388) Für einen Großteil dieser Über­zeugungen spricht sich die evangelische Kirche ebenso aus. Diese damit konkret vermit­telten Werte und Normen in Bezug auf Sexarbeit prägen das persönliche Werteverständnis vieler zur Thematik Sexarbeit. (vgl. Euchner 2015a, S. 6)

Bezüglich der Regulierung verschiedener Sexualpolitiken, so auch der Sexarbeit, fungiert die liberale Tradition oft als normative Opposition gegenüber der christlichen Überzeugun­gen und Standpunkte (vgl. Euchner 2015a, S. 7). Eine fundamentale Anschauungsweise der liberalen Tradition liegt darin, dass der Staat und die Religion, also die Kirche, getrennt voneinander fungieren sollen. Zudem haben die persönlichen Freiheitsrechte jeder Person einen hohen Stellenwert. (vgl. Htun 2003, S. 36 - 37) Personen, deren Überzeugungen in der liberalen Tradition fußen, sind gegen eine staatliche Überregulierung und starkem staat­lichen Eingreifen in die Sexualität und Selbstbestimmung der Bürgerinnen. Eine Bestra­fung von Freier*innen oder die gesamte Regulation der Sexarbeit in vielen Bereichen, die die Intimsphäre betreffen, sind aus Sicht dieser Tradition somit nicht vertretbar. (vgl. Euch­ner 2015a, S. 7)

Eine dritte Traditionslinie, die ebenfalls ein Einflussfaktor auf die Einstellungen und Über­zeugungen von verschiedenen Akteur*innen in der Politik sein kann und zahlreiche Vertre- ter*innen findet, ist die feministische Tradition (vgl. Htun 2003, S. 39). Die Thematik Pros­titution berührt auch deshalb ein feministisches Kernthema, da in der Sexarbeit zu einem Großteil Frauen beschäftigt sind und Männer auf der Seite der Nachfragenden stehen (vgl. Outshoorn 2005, S. 145). Diese Traditionslinie lässt sich jedoch noch einmal in zwei stark divergierende Standpunkte unterscheiden. Beide dieser feministischen Argumentationsli­nien haben ihren Ursprung in den feministischen und hart umkämpften politischen Debatten um die 1980er Jahre. Aus dem Englischen lassen sich die Bezeichnungen des radikalen Feminismus und des Sex-positiven Feminismus dafür übersetzen. (vgl. Ott 2014, S. 145) Im Rahmen des Radikalfeminismus wurde Sexualität besonders im Kontext männlicher Herrschaft und als strategisches Mittel in geschlechtlichen Gewaltverhältnissen besprochen (vgl. Ott 2014, S. 145). Vonseiten des Radikalfeminismus wird Sexarbeit somit abgelehnt, da es als Gewaltverhältnis und Zeichen der Unterdrückung in einer kapitalistischen sowie patriarchalen Gesellschaft gewertet wird. Zudem spiegeln sich in der Sexarbeit, nach dieser Traditionslinie, die rechtlichen, sowie die ökonomische Benachteiligungen von Frauen wie­der. Ebenso herrscht eine Doppelmoral, die Männern ein höheres Maß an sexuellen Frei­heiten einräumt, so der Tenor des radikalfeministischen Standpunktes. Somit spricht sich die radikalfeministische T radition gegen Sexarbeit aus und sieht diese in Teilen sogar lieber abgeschafft. (vgl. Grenz 2005, S. 12 - 15) Der sex-positive Feminismus, auch liberaler Fe­minismus genannt, befürwortet Sexarbeit als solches. Es wird sich vonseiten dieser Argu­mentationslinie gegen eine verallgemeinernde und antizipative Viktimisierung ausgespro­chen, was eine strikte Trennung von Zwangsprostitution und Sexarbeit nötig macht, sogar voraussetzt. Im Mittelpunkt steht also die individuelle Selbstbestimmung von Sexarbeiterin­nen und dem Absehen von einer paternalistischen perspektivischen Betrachtung. Eine Frau, die sich aus freien Stücken für die Arbeit als Sexarbeiterin entscheidet, sollte dies tun dürfen ohne diverse Reglementierungen, oder ohne mit Opfern von Menschenhandel gleichgestellt zu werden. (vgl. Grenz 2005, S. 15 - 17) Der sex-positive Feminismus sieht jedoch ein Problem in der Stigmatisierung von Sexarbeiterinnen und die Regulierung durch die bestehende Heteronormativität (vgl. Ott 2014, S. 147). In Deutschland setzen sich je­doch der radikale sowie der sex-positive Feminismus für die Stärkung der Situation von Sexarbeiterinnen ein. Dies soll vor allem durch politische- und gesetzliche Regelungen und Verbesserungen möglich werden. Gemeinsam ist beiden feministischen Traditionen auch eine Art Grundkonsens, der sich in einer Solidarität gegenüber allen Sexarbeiter*innen äu­ßert. (vgl. Grenz 2005, S. 11 - 12)

Eine klare Zuordnung, der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zu einer dieser Wertegerüste, gestaltet sich als schwierig. Nicht nur, da die parteilichen Entwicklungen ei­nem stetigen Wandel unterlegen sind, sondern auch, da die verschiedenen Traditionen in­einandergreifen können und es innerparteiliche Standpunkte gibt, die voneinander abwei­chen. Jedoch kann der Versuch unternommen werden, einige Parteien anhand ihrer ten­denziellen Ausrichtung oder ihres Grundkonsenses zu den jeweiligen Traditionslinien zu­zuordnen. (vgl. Euchner 2015a, S. 8) Die Christlich Demokratische Union bekennt sich klar zu christlichen Werten und auch die Christlich-Soziale Union, abgekürzt als CDU und CSU, spricht sich für christliche Wertgebundenheit aus (vgl. Zolleis/Schmid 2013, S. 430; Wei­gel 2013, S. 478). Damit können diese beiden Parteien in die Riege christlicher Traditions­linien eingestuft werden, da diese ihre politischen Überzeugungen aus der christlichen T ra- ditionslinie speisen. Die Partei des Bündnis 90/Die Grünen spricht sich in ihrem Leitbild für die Selbstbestimmung des Einzelnen sowie für Geschlechtergerechtigkeit aus (vgl. Probst 2013, S. 527). Damit kann die Partei der Grünen besonders dem sex-positiven Feminismus, sowie in Teilen auch der liberalen Traditionslinie zugeordnet werden. Zu die liberalen Stand­punkten tendiert die Freie Demokratische Partei ebenfalls in großen Teilen (vgl. Vorländer 2013, S. 504). Eine Einschätzung oder Einordnung zu der Partei der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands soll aufgrund einer bewegten innerparteiliche Geschichte und einem stetigen Wandel nicht getroffen werden.

3.2 Regulierungsmodelle

In bestimmten Teilen haben die beschriebenen Wertvorstellungen oder Traditionslinien, de­nen sich einzelne Mitglieder bedienen oder ganze Parteien zuordnen lassen, eine Verbin­dung dazu, wie politisch mit der Thematik Sexarbeit umgegangen wird. Denn bei der Be­gründung verschiedener Maßnahmen oder Regulierungsmodelle wird sich beispielsweise auf moralische oder auch feministische Werte berufen (vgl. Campagna 2005, S. 278). Die rechtliche und gesetzliche Regulierung bezüglich der Sexualität als intimen Bereich der Bürgerinnen, kann verschiedensten Modellen oder Leitgedanken und Regulierungsmoti­ven folgen. Zum einen geht es auch trotz des Vorsatzes der Enthaltung in bestimmten The­menbereichen um Bevölkerungspolitiken. Diese betreffen besonders die Förderung der Ehe, Familiennachzug oder Bildungspolitik des Landes. Zum anderen können das Staats­ansehen und die Öffentlichkeit Regulierungsmotive sein, da das Ansehen des Staates be­wahrt werden soll und Dritte vor sexuellen Darstellungen oder Aktivitäten in der Öffentlich­keit geschützt werden sollen. Kommerzielle Aspekte, der Jugendschutz, moralische Inte­ressen und die Berufung auf die Menschenwürde werden häufig als Regulierungsmotive gesehen oder benannt. (vgl. Lembke 2017, S.4; S. 9 - 13). Wie die Geschichte der Prostitu­tion gezeigt hat, wurde mit regulativen Mitteln auf diese reagiert und interveniert. Im 19. Jahrhundert etablierten sich in der Prostitutionspolitik verschiedene regulative Regime, an­hand dieser der Grad an Regulierungsintensität von Sexarbeit bestimmt werden kann. (vgl. Euchner 2015a, S. 9).

Eine vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebene Studie konnte durch eine Analyse der Prostitutionspolitik von 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen union vier übergreifende Prostitutionsmodelle herausarbeiten. Bei dem Modell des Abolitionismus entscheidet sich der Staat in die Sexarbeit weder im Indoor Bereich, beispielsweise in Bars oder Privatwoh­nungen, noch im Outdoor Bereich, beispielsweise auf der Straße, einzugreifen. Sexarbeit wird somit toleriert und die Prostitution von Erwachsenen ist erlaubt. Die Gewinnerwirtschaf­tung und der Profit von Dritten durch die Prostitution anderer sind jedoch mit Strafe bedroht. (vgl. Europäisches Parlament 2005, S. 15) Das Modell des neuen Abolitionismus wird als Weiterentwicklung des Abolitionismus betrachtet. Dabei sind Outdoor- und Indoor-Pros­titution generell erlaubt, das Führen von Bordellen ist in diesem Modell jedoch untersagt. Das Prohibitive Modell verbietet durch den Staat jegliche Form der Sexarbeit. An der Prostitution Beteiligte können sich dabei strafbar machen. (vgl. Europäisches Parlament 2005, S. 15) Dabei kann die strafrechtliche Sanktion entweder Sexarbeiter*innen, Zuhäl- ter*innen oder Kund*innen treffen. Das Ziel dieses Modelles ist es, die Prostitution gänzlich zu beenden (vgl. Campagna 2005, S. 278). Beim Modell des Regulationismus wird die Outdoor- und die Indoor-Sexarbeit vonseiten des Staates nicht verboten, jedoch reguliert. Häufig müssen sich Sexarbeiter*innen bei Behörden registrieren oder sich ärztlichen Kon­trollen unterziehen. (vgl. Europäisches Parlament 2005, S. 16) Bei Euchner wird von ei­nem Modell der Erlaubnis ohne Anerkennung gesprochen, das mit dem Regulatioismus zu vergleichen ist. Dabei wird hervorgehoben, dass es zwar möglich ist, in der Sexarbeit legal tätig zu sein und diese zu erwerben, jedoch wird diese Tätigkeit nicht wie andere Berufe anerkannt und es gibt häufig Sonderregelungen und Einschränkungen. (vgl. Euchner 2015a, S. 9) Neben dem Modell der Erlaubnis ohne Anerkennung, beschreibt Euchner das Modell der Erlaubnis mit Anerkennung. In diesem Modell wird Sexarbeit als Dienstleistung und Erwerbsarbeit anerkannt und ist vollständig liberalisiert. (vgl. Euchner 2015a, S. 9)

Es besteht eine Korrelation zwischen Regulierungsmodellen von Sexarbeit und den Tradi­tionslinien mit den dort getroffenen Bewertungen von Sexarbeit. Das Prohibitive Modell kann auf sozialhygienische, aber auch auf moralische Bewertungen der Sexarbeit zurück­geführt werden. Damit ist also gemeint, dass Sexarbeit im Kontext von Gesundheitsgefähr­dung betrachtet wird, oder aber in Bezug auf die Menschenunwürdigkeit durch den Verkauf des eigenen Körpers. (vgl. BMFSFJ 2007b, S. 16; Campagna 2005, S. 278) Das Modell des Regulationismus hingegen, kann auf die Vorstellungen von sexueller Selbstbestimmung und dem Treffen von autonomen Entscheidungen zurückgeführt werden. Es ist klar, dass den verschiedenen Regulierungsmodellen unterschiedliche Wertungen und Einflüsse der Traditionslinien und Wertevorstellungen zugrunde liegen und dass eine Verbindung be­steht. Jedoch besteht die Korrelation der Regulierungsmodelle zwischen den Bewertungen der Sexarbeit und den verschiedenen Traditionslinien in der Praxis nicht zu jedem Zeit­punkt. Dies gründet darin, dass genaue Vorstellungen und Anschauungsweisen von der Regierung und politischen Akteurinnen nicht immer exakt umgesetzt werden können und Kompromisslösungen gefunden werden. Zudem kann das verfolgte Ziel des Regulierungs­modells verschiedene Wertevorstellungen oder Bewertungen zugrunde haben und ist nicht konstant einer Wertevorstellung zuzuordnen. (vgl. BMFSFJ 2007b, S. 16)

Zu Beginn der 1960er Jahre tolerierten und erlaubten viele der europäischen Mitgliedsstaa­ten das Angebot von Sexarbeit, schränkten das Gewerbe jedoch durch diverse rechtliche Bestimmungen stark ein. Als die Thematik der Frauenrechte ungefähr Mitte der 1980er Jahre in internationalen Debatten polarisierte, wurde Sexarbeit immer häufiger in Zusam­menhang mit Menschenhandel und Zwangsprostitution diskutiert. (vgl. Euchner 2015a, S. 11) Ebenso wurden Sexarbeiter*innen in gesundheitlichen Debatten als Risikogruppe für sexuell übertragbare Krankheiten angesehen (vgl. Galen 2004, S. 7). Der Problem- und Handlungsdruck auf die europäischen Staaten wuchs zusehends und die Entscheidungen für ein bestimmtes Modell fielen darunter sehr verschieden aus. Länder wie Schweden, Irland oder Norwegen verboten das Gewerbe und bedrohten den Kauf von sexuellen Dienstleistungen mit Strafe. Andere Länder wie beispielsweise die Schweiz, Niederlande oder Österreich legalisierten Sexarbeit vollständig und erkannten sie als Erwerbsarbeit an. (vgl. Euchner 2015a, S. 11) Welchen Weg Deutschland in der Prostitutionspolitik gegan­gen ist und was die Hintergründe dafür sind, soll nachfolgend beschrieben werden.

3.3 Der Werdegang der Prostitutionspolitik

Als sozial- und sittenwidrig wurde Sexarbeit in der Bundesrepublik Deutschland, bis zur Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes im Jahr 2002, durch den § 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches deklariert, obgleich die Tätigkeit nicht verboten war. Dies folgte einem Re­gulierungsmodell wie dem, der Erlaubnis ohne Anerkennung und setzte die Sexarbeit in einen annähernd rechtsfreien Rahmen. Für das Einklagen des Lohnes von Freier*innen gab es keinerlei Rechtsgrundlage und die Tätigkeit der Sexarbeit stand einem regulären Beschäftigungsverhältnis oder der Selbstständigkeit nicht gleich, obwohl Steuern auf den Verdienst von Sexarbeiterinnen zu jedem Zeitpunkt erhoben wurden. (vgl. Kontos 2009, S. 352 - 354) Ein Eintritt in sämtliche Versicherungen wie beispielsweise die gesetzliche Kranken- oder Rentenversicherung blieb Sexarbeiter*innen ebenfalls verwehrt, da es das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses oder Selbstständigkeit voraussetzte. Dies machte eine private und oft teure Absicherung nötig, die vielmals nicht vorgenommen wurde und Sexarbeiterinnen deshalb keinen Versichertenstatus besaßen (vgl. Euchner 2015b, S. 111 - 112) In der Alltagspraxis bedeutete dies, die immanente Bedrohung von Armut, ge­rade im Alter oder dem Krankheitsfalle. Eine Abhängigkeit von Zuhälterinnen oder Freier*innen und mangelhafte Arbeitsbedingungen waren oft gegeben. Da die §§ 180 und 181 des Strafgesetzbuches die Förderung der Sexarbeit unter Strafe stellten, konnte mit Unterstützung von außen oder Hilfsangeboten wenig bis gar nicht gerechnet werden, da dies als Förderung der Prostitution gehandhabt wurde. (vgl. Kontos 2009, S. 354 - 355)

Lange Zeit wurde Sexarbeit in die Privatheit und aus den öffentlichen Diskursen gedrängt und christliche Wertevorstellungen prägten das Denken in Politik und Bevölkerung in der deutschen Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges (vgl. Euchner 2015a, S. 13). Einen Stellenwert auf der politischen Agenda erlangte die Thematik um Sexarbeit erst in den 1980er Jahren während der aufkommenden HIV Debatte, was für das Humane Immundefizienz-Virus steht, bei der Sexarbeiterinnen als Risikogruppe in der Öffentlichkeit angesehen wurden (vgl. Galen 2004, S. 7). Zudem wurden Frauenrechte auf internationa­ler Ebene politisch diskutiert (vgl. Euchner 2015b, S. 111 - 112). In diesem Zuge entwi­ckelte sich auch die bisherige gesellschaftliche eher konservative Sexualmoral in eine Rich­tung, die nach sexueller Selbstbestimmung und individueller Freiheit strebte. Deshalb wur­den Sexualität und Sexarbeit in der Gesellschaft anders als zuvor thematisiert und aus an­deren Blickwinkeln betrachtet. (vgl. Euchner 2015a, S. 14; Kontos 2009, S. 330) In Deutschland bemühte sich im Besonderen die Partei des Bündnis 90/Die Grünen um poli­tische und gesetzliche Veränderungen für Sexarbeiter*innen, während sie dabei enormen Gegenwind und Ablehnung durch Parteien wie beispielsweise der christlich Demokrati­schen Union, konfrontiert wurden (vgl. Deutscher Bundestag 1997, S. 15353 - 15361). Die Prostitutionsbewegung, bestehend aus Prostitutionsprojekten wie beispielsweise Hydra e.V., die von aktiven oder ehemaligen Sexarbeiterinnen sowie Sozialarbeiterinnen geleitet wurde, knüpfte erfolgreich Kontakt zur Partei der Grünen und engagierten Juristinnen. Da­bei entstand eine partizipative Zusammenarbeit, die sich für die Anerkennung der Sexarbeit als Beruf einsetzte. So konnten Forderungen und Bedürfnisse direkt betroffener Personen, die vor allem in einer Beendigung der politisch-rechtlichen Diskriminierung bestanden, in die gesetzlichen Debatten und Entwürfe der Grünen einfließen. (vgl. BT-Drucksache 13/6372, S. 9; DRÖßLER 1992, S. 41 - 42) Im weiteren Verlauf engagierte sich dann auch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) für einen Politikwandel. Als mit den Wah­len 1998 aus den Parteien der Grünen und der SPD eine neue Bundesregierung gewählt wurde, gelang es nach langen Verhandlungen einen neuen Gesetzesentwurf vorzulegen, der positive Veränderungen für Sexarbeiterinnen bringen sollte (vgl. BT-Drucksache 14/5958). Dieser Gesetzesentwurf wurde mit einer Ergänzung schließlich gegen die Stim­men der Christdemokraten, die sich in einem Entschließungsantrag gegen das neue Gesetz aussprachen, verabschiedet (vgl. BT-Drucksache 14/6781). Der Handel mit sexuellen Dienstleistungen entspreche weder dem Menschenbild noch den Wertvorstellungen der Fraktion (vgl. BT-Drucksache 14/6781, S. 8). So trat im Jahr 2002 das Prostitutionsgesetz, abgekürzt ProstG, in Kraft und sollte unter anderem die Benachteiligung der Sexarbeiterin­nen von Gesetzes wegen beheben und den Zugang zu den gesamten Sozialversicherun­gen ebnen, sowie die Sittenwidrigkeit der Sexarbeit aufheben. Zudem war es fortan möglich nach dem Erbringen der Dienstleistung die Bezahlung auf rechtlichem Wege einzufordern und der Paragraph, der die Förderung der Sexarbeit, beispielsweise durch die Verbesse­rung der Arbeitssituation, mit Strafe bedrohte, wurde abgeschafft. (vgl. BMFSFJ 2017b). Damit stellte sich Deutschland an die Front der liberalen Prostitutionspolitik in der Europäi­schen Union, womit ein deutlicher Paradigmenwechsel in Bezug auf Sexarbeit zu verzeich­nen war (vgl. Euchner 2015b, S. 117).

3.4 Das ProstSchG 2017 und seine Bestimmungen

Nach diesem Paradigmenwechsel und der liberalen Positionierung Deutschlands, sollte rund 15 Jahre nach Bestehen des ProstG, ein neues Gesetz spezifischere Regelungen im gesamten Prostitutionsgewerbe einführen. Denn durch einen Evaluationsbericht des BMFSFJ im Jahr 2007 konnte aufgezeigt werden, dass die Intentionen und Absichten des ProstG nur bedingt erzielt wurden und die erwarteten Erfolge ausblieben. Dies wurde bei­spielsweise darin begründet, dass die Möglichkeit sich in Sozialversicherungen abzusi­chern wenig in Anspruch genommen wurde. Zudem konnten keine signifikant messbaren Verbesserungen in den Möglichkeiten zum Ausstieg aus der Prostitution oder der Verbes­serung der Arbeitsbedingungen verzeichnet werden. (vgl. BMFSFJ 2007a, S. 80) Zuvor hatte auch schon der Abschlussbericht des Sozialwissenschaftlichen Frauenforschungsin­stituts Freiburg zum ProstG auf Mängel hingewiesen und zahlreiche Expertinnen und Fachberatungsstellen positionierten sich eher kritisch zu den Bestimmungen des ProstG. (vgl. BMFSFJ 2005, S. 39) Daraufhin bekannte sich die Bundesregierung zu notwendigen Prioritäten, die es im Rahmen der Prostitutionspolitik zu bearbeiten galt und verschrieb sich somit einer Optimierung der Gesetzgebung (vgl. BMFSFJ 2007a, S. 81).

Das „Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Pros­titution tätigen Personen “ trat als Prostituiertenschutzgesetz im Jahr 2017 unter der großen Koalition von CDU/CSU und SPD in Kraft. Die Partei der Linken und des Bündnis 90/Die Grünen votierten gegen die Bestimmungen des neuen geplanten Gesetzes und übten scharfe Kritik. Zudem brachten beide Parteien zwei Anträge ein, die durch die mehrheitli­chen Stimmen der Koalitionsfraktion abgelehnt wurden. (vgl. Deutscher Bundestag 2016) Die Realisierung des neuen ProstSchG, welches das ProstG aus 2002 ergänzt, erfolgte unter enormem politischem Druck und sorgte bei den verschiedenen Akteurinnen für Be­drängnis (vgl. Zimmermann-Schwartz 2018, S. 63). Das BMFSFJ selbst hebt bei der Ziel­beschreibung des Gesetzes Schutzfunktion gegen Gewaltanwendung, Zuhälterei, ausbeu­terische Mechanismen und Menschenhandel hervor. Zudem sollen mit dem Gesetz die Selbstbestimmungsrechte gestärkt werden und damit zu einem positiven Wandel der Um­stände von Personen in der Sexarbeit führen. Charakteristische Kernstücke des Gesetzes bestehen in der Anmeldepflicht für Sexarbeiter*innen, eine damit einhergehende ver­pflichtende Gesundheitsberatung sowie dem Installieren einer Erlaubnispflicht, um einen Prostitutionsbetrieb führen zu dürfen. (vgl. BMFSFJ 2017a; BT-Drucksache 18/8556 2016, S. 32 - 33) Das ProstSchG umfasst 38 Paragraphen und ist in acht Abschnitte gegliedert. Für die zugrundeliegende Fragestellung und das Interesse der Arbeit sind besonders die Anmeldebescheinigung, die persönliche Anmeldepflicht, sowie die verpflichtende gesund­heitliche Beratung und die Kondompflicht relevant. Nachfolgend soll ein grober Überblick über einige Regelungen des Gesetzes gegeben werden. Bestimmte Bereiche werden, da sie für das Interesse der vorliegenden Arbeit keine große Relevanz besitzen, jedoch nicht dargestellt. Das komplette ProstSchG mit all seinen Bestimmungen ist jedoch auch im An­hang dieser Arbeit zu finden.

Im ersten Abschnitt werden Begriffsbestimmungen getroffen und der Anwendungsbereich des Gesetzes geregelt. Gemäß § 1 ProstSchG ist der Anwendungsbereich des Gesetzes für Sexarbeiter*innen über 18 Jahren bestimmt, sowie für Betreiber*innen eines Prostituti­onsgewerbes. Im § 2 Abs.1 und Abs. 2 ProstSchG wird sowohl eine Legaldefinition für se­xuelle Dienstleistungen als auch für Prostituierte getroffen.

Der zweite Abschnitt beinhaltet Regelungen für Prostituierte. Die neue Anmeldepflicht wird in § 3 geregelt. Gemäß § 3 Abs.1 ProstSchG gilt für das Ausüben der Tätigkeit als Prosti- tuierte*r, somit auch vor Aufnahme dieser Tätigkeit, eine persönliche Anmeldepflicht bei der zuständigen Behörde. Nach § 4 Abs.1 Nr.1 bis 5 ProstSchG hat die sich anmeldende Per­son neben zwei Lichtbildern ihren Vor- und Nachnamen, Geburtsdatum sowie Geburtsort, Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder Zustelladresse und den Ort, an dem die Ausführung der Tätigkeit geplant ist, anzugeben. Eine nach dem Beratungsgespräch erfolgte Anmelde­bescheinigung wird nach § 5 Abs.1 ProstSchG mindestens nach fünf Werktagen an die anmeldepflichtige Person ausgegeben. Diese darf gemäß § 5 Abs. 2 Nr.1,2 und 5 Prost- SchG beispielsweise nicht ausgestellt werden, wenn die Person noch nicht 18 Jahren alt ist, die in § 4 vorgeschriebenen Angaben nicht nachweisen konnte oder es Hinweise darauf gibt, dass der*die Prostituiert*e sich in Hilflosigkeit oder einer Zwangslage befindet, oder es den Anschein macht, dass die Person durch Dritte ausgebeutet wird. Nach § 6 Abs.1 Nr.1 bis 6 enthält die Anmeldebescheinigung neben einem Lichtbild Angaben wie Vor- und Nachnamen des*der Sexarbeiter*in, die Staatsangehörigkeit sowie die Gültigkeitsdauer der Anmeldebescheinigung und die geplanten Tätigkeitsorte. Diese Anmeldebescheinigung ist gemäß § 5 Abs. 4 und 5 ProstSchG für Sexarbeiterinnen unter 21 Jahren lediglich ein Jahr gültig, für Sexarbeiterinnen ab dem 21 Lebensjahr für die Dauer von zwei Jahren. Optional besteht nach § 5 Abs. 6 ProstSchG auch die Möglichkeit einer zusätzlichen pseudonymi- sierten Anmeldebescheinigung. Die Behörde speichert jedoch die personenbezogenen Da­ten unter den offiziellen Namensbezeichnungen und auch die Aliasbescheinigung ist nach § 6 Abs. 2 untrennbar an das Lichtbild gekoppelt, das auch bei der regulären Anmeldebe­scheinigung enthalten ist. Die Aliasbescheinigung oder die optionale Anmeldebescheini­gung ist gemäß § 5 Abs. 7 ProstSchG bei der Ausführung der Tätigkeit von Sexarbeiter*in- nen mit sich zu führen.

Ein Informations- und Beratungsgespräch bei einer Anmeldung regelt der § 7 Abs.1 Prost­SchG. Gemäß § 7 Abs.2 Nr.1 bis 5 ProstSchG sollen dabei unter anderem Informationen zu den neuen gesetzlichen Grundlagen und Vorschriften, zur sozialen Absicherung, den verschiedenen weiteren Beratungsangeboten oder Anlaufstellen in Notsituationen sowie zu steuerlichen Pflichten vermittelt werden. Dieses Beratungsgespräch soll laut § 8 in einem geschützten Rahmen stattfinden und Dritte können beispielsweise aufgrund dolmetschen­der Tätigkeit dem Gespräch beiwohnen, wenn die zu beratende Person diesem zustimmt. Eine zuständige Behörde hat gemäß § 9 entsprechende Maßnahmen zu veranlassen, wenn gewichtige Anhaltspunkte bestehen, dass eine Person sich in Hilflosigkeit, einer Zwangs­lage oder wirtschaftlicher Not befindet, die Person durch Dritte zum Ausüben oder der Fort­setzung der Prostitution gezwungen und somit ausgebeutet wird oder eine Person dies zum Ziel hat.

Der § 10 trifft Regelungen zur gesundheitlichen Beratung von Prostituierten. Gemäß § 10 Abs. 1 und Abs. 2 werden gesundheitliche Beratungen durch den öffentlichen Gesundheits­dienst von Behörden für Personen, die sexuelle Dienstleistungen ausüben, angeboten. Diese Beratung soll sich der individuellen Lebenssituation der jeweiligen Person anpassen und Themen wie Krankheits- und Empfängnisverhütung behandeln, oder aber über auch über Alkohol- und Drogengebrauch aufklären. Dieses Gespräch soll Raum bieten, um sich in Zwangs- oder Notlagen offenbaren zu können. (vgl. Bundesministerium für Justiz und für Verbraucherschutz 2016, S. 4) Gemäß § 10 Abs.3 ProstSchG müssen Personen, die die Tätigkeit anmelden wollen, eine Bescheinigung über eine solche gesundheitliche Beratung bei der Anmeldung vorlegen. Diese besitzt nach § 10 Abs.3 für Personen unter 21 Jahren für die Dauer von 6 Monaten und bei Personen ab 21 Jahren für ein Jahr Gültig­keit und muss dann durch ein erneutes Gespräch erneuert werden. In Abs. 4 Nr. 1 bis 4 werden die Informationsinhalte der Bescheinigung, welche durch die Behörde ausgestellt wird, für eine gesundheitliche Beratung geregelt. Enthalten sind demnach Vor- und Nach­name der unterwiesenen Person, optional das Pseudonym, Geburtsdatum, die ausstel­lende Behörde und das Datum der Beratung. Gemäß § 10 Abs.6 haben Sexarbeiterinnen den Nachweis über die gesundheitliche Beratung bei der Arbeit mit sich zu führen.

Werden den Behörden Anhaltspunkte gegeben, dass Sexarbeiterinnen ohne Anmeldung ihrer Arbeit nachgehen, ohne der Pflicht der vorherigen gesundheitlichen Beratung nach­gekommen zu sein, werden diesen Personen gemäß § 11 Abs.2 und Abs.3 Fristen aufer­legt, in denen dies nachgeholt werden muss. Zum Schutz von Kundinnen, Jugendlichen oder anderen Personen, deren Gesundheit, Leben, Freiheit oder sexuelle Selbstbestim­mung in Gefahr ist, oder der Abwehr anderer Beeinträchtigungen für Belange der Öffent­lichkeit können gemäß § 11 Abs. 3 Nr.1 bis 3 Anordnungen über die Ausübung der Tätigkeit von Sexarbeiterinnen getroffen werden.

Im dritten Abschnitt des Gesetzes werden explizite Regelungen zur Erlaubnis des Betrei­bens eines Prostitutionsgewerbes getroffen. Ein Prostitutionsgewerbe darf gemäß § 12 Abs. 1 nur betrieben werden, wenn bei einer zuständigen Behörde ein Antrag auf Erlaubnis eingegangen ist, welcher genehmigt wurde und befristet oder verlängert werden kann. Der Antrag auf Erlaubnis zum Führen eines Prostitutionsgewerbes an die zuständige Behörde bedarf nach § 12 Abs. 5 Nr.1 und Nr.2 ein Betriebskonzept und verschiedene Angaben, um das Vorliegen der Erlaubnisvoraussetzungen nachzuweisen. Gemäß § 16 werden spezifi­sche Regelungen zur Form des Betriebskonzeptes getroffen. Zudem werden nach § 18 Mindestanforderungen an die Anlagen und deren Ausstattung in einem Prostitutionsge­werbe oder Veranstaltungskonzepten festgelegt. Diese Erlaubnis zum Führen eines Pros­titutionsgewerbes kann Erlaubnisinhaberinnen gemäß § 22 und § 23 aufgrund bestimmter Gegebenheiten widerrufen werden oder erlöschen.

Der Abschnitt vier, welcher sich aus fünf Paragraphen zusammensetzt, trifft Bestimmungen zu den verschiedenen Pflichten von Betreiberinnen eines Prostitutionsgewerbes, eines Prostitutionsfahrzeuges oder Veranstaltungen. Gemäß § 12 Abs. 1 und 2 liegt die Gestal­tung und Umsetzung der sexuellen Dienstleistung in der Verantwortung von Prostituierten und deren Kundinnen, sodass Weisungen gegenüber Prostituierten vonseiten der Betrei­berinnen nach dem § 3 Abs.1 und andere Vorgaben zur Art der Ausführung der sexuellen Dienstleistung unzulässig sind. Betreiberinnen stehen nach dem § 27 Abs. 2 in der Pflicht, sich eine gültige Anmeldebescheinigung und den Nachweis der erfolgten Gesundheitsun­tersuchung bei Aufnahme der Tätigkeit vorlegen zu lassen.

Im fünften Abschnitt der ProstSchG geht es um die Überwachung des Prostitutionsgewer­bes und die Auskunftspflicht Gemäß § 29 darf die zuständige Behörde zur Überwachung beispielsweise Grundstücke oder Geschäftsräume prüfen, verschiedene Unterlagen einse­hen und Personenkontrollen vornehmen. Dies darf nach § 29 Abs. 2 auch außerhalb der Geschäftszeiten geschehen, ebenfalls wenn die Geschäftsräume als Wohnraum genutzt werden, wenn dies dazu dient, Gefahren der öffentlichen Sicherheit und der Ordnung zu verhüten.

Der sechste Abschnitt regelt Verbote und Bußgeldvorschriften. Gemäß § 32 Abs.1 und 2 gilt für Kundinnen und Sexarbeiterinnen eine Kondompflicht, auf die auch die*der Betrei­berin mit Aushängen hinweisen muss. Der § 32 Abs.3 gibt ein Werbeverbot für bestimmte sexuelle Handlungen vor, wie beispielsweise für den Beischlaf mit Schwangeren. Die Buß­geldvorschriften für Verstöße und Ordnungswidrigkeiten sind in § 33 festgelegt. Wer sich beispielsweise als Kund*in nicht an die vorgeschriebene Kondompflicht hält, dem kann ge­mäß § 33 Abs. 3 eine Geldbuße drohen, deren Höhe sich auf bis zu fünfzigtausend Euro belaufen kann. Wer ein Prostitutionsgewerbe ohne Erlaubnis führt, oder beispielsweise eine Person beschäftigt, die zur Ausführung sexueller Handlungen durch Dritte zur Prostitution gezwungen wird, kann gemäß § 33 Abs.3 in Verbindung mit § 25 Abs. 1 Nr. 1 und Nr.3, dazu verpflichtet werden, eine Geldbuße bis maximal zehntausend Euro bezahlen.

Mit dem ProstSchG bleibt unter anderem jedoch weiterhin die Anmelde- und Steuerpflicht von selbstständigen Sexarbeiter*innen bestehen. Die Prostitution von Personen unter 18 Jahren ist für Kundinnen immer noch strafbar. Auch die Sperrbezirksverordnung, was be­deutet, dass jedes Bundesland die Sexarbeit in verschiedenen Bereichen verbieten darf, bleibt bestehen. Ebenso die strafrechtlichen Bestimmungen zur Zwangsprostitution oder dem Menschenhandel. (vgl. Büttner 2017, S. 15)

3.5 Kritische Stimmen

Bereits vor Eintritt und nach Verabschiedung des ProstSchG 2017 wurden von verschiede­nen Seiten Empfehlungen, aber auch Kritik gegenüber den (geplanten) gesetzlichen Rege­lungen abgegeben. Hervorzuheben ist dabei die Arbeit eines Runden Tisches, welche nur aufgrund eines konkreten politischen Auftrages möglich war und so eine grundlegende Auf­arbeitung der Thematik Sexarbeit möglich werden ließ (vgl. Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen 2014).

In Nordrhein-Westfalen wurde im Jahr 2010 unter der Landesregierung von Grünen und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ein Runder Tisch als unabhängiges Gre­mium zur Prostitution eingerichtet. Damit sollte die Umsetzung des ProstG verbessert und gefördert werden. Über vier Jahre setzten sich rund 70 Sachverständige mit Bezug zur Thematik Sexarbeit aus den verschiedensten Bereichen wie Polizei, Sozialer Arbeit, Juris­terei, Sexarbeiter*innen, deren Kundinnen und Mitarbeiterinnen von Beratungsstellen mit der Thematik auseinander und berieten sich. (vgl. Zimmermann-Schwartz 2018, S. 60) In Anbetracht der Unterschiedlichkeit vieler Bereiche in der Sexarbeit, der Vielfalt an Zielgrup­pen und den ständig neuen Entwicklungen, fiel es dem heterogenen Gremium nicht leicht, Lösungen zu finden. Die Leiterin des Runden Tisches, Claudia Zimmermann-Schwartz, be­schreibt die Zusammenarbeit als partizipativen Prozess, der gelungen ist, auch wenn es eine große Herausforderung war. Diese Arbeit und der dazugehörige politische Auftrag wur­den auch auf internationaler Ebene als vorbildlich gelobt. (vgl. Zimmermann-Schwartz 2018, S. 60 - 61; MINISTERIUM FÜR GESUNDHEIT, EMANZIPATION, PFLEGE UND ALTER DES LAN­DES Nordrhein-Westfalen 2014, S. 56) Im Jahr 2014 erfolgte dann ein Abschlussbericht, der sich mit zahlreichen Ergebnissen und Empfehlungen an die Politik richtete. Als allum­fassendes Problem für Menschen im Bereich der Sexarbeit hob der Runde Tisch die fakti­sche gesellschaftliche Stigmatisierung hervor (vgl. Zimmermann-Schwartz 2018, S. 61).

Dabei wird unter anderem explizit davon abgeraten, verpflichtende gesundheitliche Unter­suchungen für Sexarbeiterinnen einzuführen, sowie eine Kondompflicht (Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen 2014, S. 56). Empfohlen wird hingegen eine Professionalisierung der Sexarbeit. Beratung und Angebote sollten laut des Runden Tisches auf Freiwilligkeit, nicht auf Pflicht und Sanktionen beruhen. Zudem ist in einer heutigen Zeit der Schutz der persönlichen und sensiblen Daten besonders wichtig. (vgl. Zimmermann-Schwartz 2018, S. 61-62)

Doch die Empfehlungen und wertvollen Ergebnisse wurden, aus Sicht des Runden Tischs Prostitution, im neuen ProstSchG sowohl ignoriert als auch durchkreuzt (vgl. Zimmermann- Schwartz 2018, S. 65). Dem Gesetz wird vorgeworfen, einer Stigmatisierung der Sexar­beit nicht entgegenzuwirken, sondern diese zu begünstigen. Zudem geht mit dem Prost- SchG eine politische Überregulierung einher und es neigt dazu, die Grundrechte von Sexar­beiterinnen zu beschneiden. Dem Versuch des Gesetzes mit den neuen Regelungen, Op­fern von Menschenhandel zu helfen, betitelt die Vorsitzende des Runden Tisches als le­bensfremd. (vgl. Zimmermann-Schwartz 2018, S. 64-65) Auch zahlreiche Medien, Vereine und Organisationen wie die Deutsche AIDS-Hilfe e.V., die Diakonie Deutschland oder der Deutsche Juristinnenbund e.V. kritisieren in Veröffentlichungen oder Stellungnahmen be­reits den Gesetzesentwurf im Vorfeld sowie das dann in Kraft getretene ProstSchG (vgl. Zimmermann-Schwartz 2018, S. 62; Diakonie Deutschland 2017; Deutscher Juristin­nenbund e.V. 2015; Deutsche AIDS-Hilfe e.V. 2015a). Das Internationale Komitee für Sexarbeiterinnen in Europa, der engagierte Verein Hydra e.V. sowie der Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, schlossen sich zusammen und veröffentlichten ein Papier, um politische Personen, Sexarbeiterinnen und die Öffentlichkeit zu erreichen. Da­rin werden das Gesetz und seine Regelungen analysiert, Empfehlungen gegeben und scharfe Kritik geübt (vgl. International Committee on the Rights of Sex Workers in Europe 2017).

4. Stigma und Stigmatisierung

Der historische Grundriss und der gesetzliche Werdegang zeigen, dass Sexarbeiterinnen mit entwürdigenden Ritualen und Vorschriften, gesellschaftlich sowie politisch stigmatisiert wurden. Der Versuch, die Prostitution zu beseitigen, sie sogar gänzlich abzuschaffen, wurde damit mehr als einmal vergebens unternommen. Der sex-positive Feminismus macht die Stigmatisierung der Sexarbeiterinnen heute für deren Situation und Stellung in der Ge­sellschaft verantwortlich und selbst das aktuelle ProstSchG, das zum Ziel hatte die Lage von Sexarbeiterinnen durch neue Regelungen zu verbessern, muss sich dem Vorwurf der Stigmatisierung stellen. Gerade deshalb ist es von Bedeutung die theoretischen Hinter­gründe zu Stigma und Stigmatisierung genauer zu beleuchten, was in diesem Kapitel statt­findet.

Bis hin in die 1990er Jahre, wurde der Begriff Stigma im europäischen Raum vorrangig in der Biologie oder Botanik verwendet, um beispielsweise eine Atemöffnung von Insekten oder eine Narbe an einer bestimmten Stelle einer Blüte zu benennen. Wenn heute über Stigma oder Stigmatisierung gesprochen wird, ist damit jedoch etwas gänzlich anderes ge­meint (vgl. Grausgruber 2005, S. 19). Was genau ein Stigma ist, wie Stigmatisierungs­prozesse ablaufen, welche Funktionen und Folgen Stigmata haben, soll daher in diesem Kapitel eingehend beleuchtet werden. Dabei wird besonders auf die Übersetzung eines bedeutenden soziologischen Werks von Erving Goffman aus dem Jahr 1963 zurückgegrif­fen. Darin entwickelt er begriffliche Konzepte und theoretische Überlegungen, die bis heute Anwendung finden und als Instrumente zur Analyse vom Umgang und dem Prozess der Stigmatisierung von Personen oder ganzen Gruppen dienen (vgl. Kardorff 2009, S. 157). Dieser Arbeit folgten weitere Theorien, und Forschungen und Konzepte, wie das von Link und Phelan, welches in diesem Kapitel ebenfalls dargestellt und im weiteren Verlauf auf das ProstSchG angewandt wird.

4.1 Theoretische Ansätze

In seinem Werk: „Stigma: Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität“ beschäf­tigt sich der Soziologe Erving Goffman auf Basis vorheriger Arbeiten und Studien, mit einer Theorie zu Stigma und der Stigmatisierung, sowie dem Umgang damit (vgl. Goffman 1967, S. 7). Der Begriff Stigma ist auf das Griechische zurückzuführen. Damals sollte mit dem Begriff auf ein Zeichen am Körper hingewiesen werden, um über die Schlechtigkeit des*der Zeichenträger*in aufmerksam zu machen, oder auf den fehlerhaften Zustand der Moral hin­zuweisen. In Form von Brandmalen oder dem Hineinschneiden in die Haut, oft auch als öffentlicher Ritus, wurden diese Zeichen, die die Person dann beispielsweise als Verbre­cher oder Sklave brandmarkten, angebracht. Dies hatte zur Folge, dass die Person als un­rein galt und somit gemieden werden sollte. Heute ist der Terminus Stigma weniger mit dem körperlichen Zeichen an sich in Verbindung zu bringen, sondern bezeichnet vielmehr eine Art Unehre, die der Person durch ein Stigma angeheftet wird. (vgl. Goffman 1967, S. 9)

Nach Goffman können Gruppen oder auch einzelne Personen Kategorien entwickeln, die es ermöglichen, einzelne Individuen anhand bestimmter Merkmale in diese erschaffenen Kategorien einzuteilen. Spezifische Attribute für eine Kategorie an Menschen werden dabei als gewöhnlich oder typisch für diese Personen angesehen. Diese Abläufe und das Zuordnen zu Kategorien und Eigenschaften ohne eine Person wirklich zu kennen, ermögli­chen das Bestreiten des sozialen Miteinanders durch wenig Aufwand. Denn eine fremde Person kann somit alleinig durch ihr erstes Erscheinen in ihren Eigenschaften, der Katego­rie und damit in ihrer sozialen Identität, wie Goffman diese nennt, eingeschätzt und zuge­ordnet werden. (vgl. Goffman 1967, S. 10)

Die aktuale soziale Identität bildet sich aus Eigenschaften und Kategorien, über die die Person aktuell verfügt. Als virtuale soziale Identität hingegen werden Zuschreibungen be­züglich Eigenschaften oder der Kategorie einer Person bezeichnet, die ohne tatsächliches Wissen und somit eher im Affekt gemacht oder getroffen werden. Diese vorweg genomme­nen Einschätzungen werden dann in Erwartungen an diese Person umgewandelt, was oft ganz unterbewusst geschieht. (vgl. Goffman 1967, S. 10)

Im Zusammentreffen verschiedener (fremder) Personen kann es offensichtlich sein, dass eine Person ein Attribut besitzt, das sie von den anderen Anwesenden unterscheidet. Im Falle, dass dieses Attribut als nicht besonders wünschenswert oder gar als schlecht gilt, kann diese Person durch das Besitzen dieser Eigenschaft von einer gewöhnlichen zu einer herabgeminderten Person gemacht werden. Ein solch bewertetes Attribut, das seine nega­tive Wirkung entfaltet und eine Unstimmigkeit zwischen der virtualen sozialen Identität und aktualen sozialen Identität schafft, ist nach Goffman ein Stigma. (vgl. Goffman 1967, S. 11) Heute wird ein Stigma auch als Etikett bezeichnet und es wird ergänzt, dass mit einem Stigma nicht nur eine Eigenschaft oder ein Merkmal an sich gemeint ist, sondern auch die damit einhergehende negative Zuschreibung durch Dritte, die auf ein bloßes Merkmal rea­gieren. (vgl. DeCol/Meise/Seewald 2004, S. 862) Zentral an einem Stigma ist somit nicht nur ein Merkmal selbst, sondern ebenso die negative Definition. Eine Stigmatisierung hin­gegen kann als ein verbales, aber auch nonverbales Verhalten betrachtet werden, gegen­über einer oder mehreren Personen, denen ein negativ besetztes Merkmal zugeschrieben wird. (vgl. Hohmeier 1975, S. 7)

Charakteristisch für ein Stigma, also ein negativ besetztes Merkmal, das einer Person zu­geschrieben wird, ist, dass ihr darüber hinaus noch weitere negative Merkmale angeheftet oder zugeschrieben werden. Diese zusätzlichen neuen negativen Eigenschaften müssen hierzu mit der eigentlichen Person oder dem Merkmal überhaupt nicht in Verbindung ste­hen. Durch die Wahrnehmung eines Stigmas werden Erwartungen aufgebaut und Vermu­tungen angestellt, die mit weiteren negativen Eigenschaften, die die Person besitzen soll, gekoppelt werden. Diese Kette an Zuschreibungen machen Stigmatisierungen zu Genera­lisierungen, da das negativ besetzte Merkmal als Stigma auf die ganze Person ausstrahlt und weitere negative Eigenschaften für sie gefunden werden. So bekommt das Stigma eine Art „Master Status“, welcher die gesamte Stellung der Person in der Gesellschaft und den Umgang mit ihr bestimmt und sich darauf auswirkt. (vgl. Hohmeier 1975, S. 7 - 8)

Mit einem Stigma gehen zwei Optionen einher und so können Trägerinnen eines Stigmas, nach Goffman in Diskreditierte und diskreditierbare Personen unterschieden werden. Eine Person kann annehmen, dass ihr Stigma bereits bekannt oder das stigmatisierte Merkmal offensichtlich ist. In diesem Falle gehört die Person der Gruppe der Diskreditierten an. Gilt beispielsweise die Helligkeit der Haut als Stigma, so kann diese als etwas Evidentes be­trachtet werden, das sich in der sozialen Interaktion nicht verbergen lässt und die Person zu einer diskreditierten Person macht. Es ist jedoch auch möglich, dass die Person, die ein Stigma besitzt, denkt, dass dies den anderen Personen noch nicht bewusst ist und verbor­gen werden kann. Diese Person kann dann zur Gruppe der Diskreditierbaren gezählt wer­den. (vgl. Goffman 1967, S. 12) Hier kann das Beispiel eine Frau sein, die als Sexarbeiterin tätig ist. Diese Information über ihren Beruf kann im Kontakt mit anderen Personen, sofern dieser denn als Stigma gilt oder verborgen werden will, geheim gehalten werden, um nega­tive Konsequenzen, Bewertungen oder Zuschreibungen zu vermeiden. Dies macht diese Sexarbeiterin zu einer diskreditierbaren Person, da sie aufgrund des Verbergens eine Stig­matisierung umgehen kann, auf die jedoch bei Enthüllung dann eine Diskreditierung folgt. Eine Mischform dessen, als das Erleben beider Optionen in verschiedenen sozialen Situa­tionen eines Menschen mit Stigma, ist dabei sehr wahrscheinlich (vgl. Goffman 1967, S. 12).

Nach Goffman können drei Arten des Stigmas unterschieden werden:

1. Die „physischen Deformationen“ bezeichnen Stigmata, die sich auf den Körper und den physischen Zustand einer Person beziehen. Damit können zum Beispiel das Fehlen eines Armes oder Missbildungen gemeint sein. (vgl. Goffman 1967, S. 12)
2. Ein Stigma des Typus der „Individuellen Charakterfehler äußert sich beispielsweise in sogenannten unnatürlichen Leidenschaften oder Unehre. Aber auch Willens­schwäche, wie sie beispielsweise Suchterkrankten oder delinquenten Personen zu­geschrieben wird, ist damit gemeint. (vgl. Goffman 1967, S. 12-13)
3. „Phylogenetische Stigmata“ hingegen beziehen sich beispielsweise auf die Natio­nalität, die Helligkeit der Haut einer Person oder deren Religion. Stigmata dieser Art werden in der Regel erblich weitergegeben, was sehr schnell einen großen Perso­nenkreis einschließen kann. (vgl. Goffman 1967, S. 13)

Die Unterscheidung der Typen ist besonders dann von Bedeutung, wenn es um den per­sönlichen Umgang einer stigmatisierten Person mit ihrem Stigma geht. Personen, die bei­spielsweise ein angeborenes Stigma vom Typus der physischen Deformationen besitzen, wie Kleinwuchs oder Blindheit, lernen mit dem Stigma schon früh umzugehen. Bestimmte Situationen und Reaktionen der Umwelt sind somit schon seit der Kindheit bekannt und können so einen Umgang mit dem Stigma erleichtern. Personen hingegen, die erst später und möglicherweise plötzlich mit einem Stigma besetzt werden, wie beispielsweise einer Inhaftierung oder durch das Aufnehmen eines stigmatisierten Berufes wie der Sexarbeit, welches beides den Typ der individuellen Charakterfehler betrifft, verfügen noch nicht über Techniken, um mit einem Stigma umzugehen und müssen ihre eigene Identität neu aus­richten. Dies ist häufig mit einem starken Aufwand und großen Anstrengungen verbunden und kann zu einer Vielzahl an Problemen führen. (vgl. Grausgruber 2005, S. 21)

Trotz der Unterscheidung in diese drei Stigmatypen, ist eine Gemeinsamkeit jedem Typus immanent. Trägerinnen eines Stigmas könnten leicht voller Bestandteil des sozialen Mitei­nanders und der Gesellschaft sein. Das Attribut, das als Stigma gehandhabt wird, zieht jedoch Aufmerksamkeit auf sich, was verursachen kann, dass Menschen diese Person mit einem Stigma im Kontakt abwerten, herabsetzen oder sich von ihr abwenden. Denn wenn eine Person ein Stigma besitzt, bedeutet dies, ein Individuum ist anders als angenommen. Die Personen, die nicht Trägerinnen eines Merkmales sind, das als Stigma gehandhabt wird, werden als die Normalen bezeichnet. (vgl. Goffman 1967, S. 13)

4.2 Prozess der Stigmatisierung

Als Stigma wird somit ein negativ besetztes Merkmal oder eine Eigenschaft bezeichnet, das eine diskreditierende Wirkung entfaltet. Es wird jedoch hervorgehoben, dass das Merkmal an sich prinzipiell zweitrangig ist und der eigentliche negative Bewertungsprozess durch Dritte wesentlich für ein Stigma ist. Eine Stigmatisierung hingegen ist das Verhalten, das gegenüber einem Menschen mit Stigma aufgrund dessen, gezeigt oder entgegengebracht wird. (vgl. HOHMEIER 1975, S. 7 - 8; GOFFMAN 1967, S. 11)

Seit Goffmans Arbeit über Stigma und Stigmatisierung, hat sich in diesem Bereich und in der Forschung einiges getan. Nachdem das Stigma-Konzept unter anderem als zu vage gehalten kritisiert wurde, haben sich die Soziologen Link und Phelan als Reaktion darauf, an die Entwicklung eines neuen Stigma-Konzeptes gewagt. (vgl. Link/Phelan 2001, S. 363) Darin wird ein Stigma als etwas definiert und betrachtet, das vorliegt, wenn Diskriminierung, Trennung, Stereotypisierung, Statusverlust und Kennzeichnung vereint sind und in einer von Macht geprägten Situation auftreten. Damit heben sie zudem hervor, dass Stigmatisie­rungen immer im Kontext mit Macht erfolgen, auf viele Lebensbereiche ausstrahlen und somit immensen Einfluss auf die Lebenschancen, das Einkommen, die Wohnsituation und viele andere menschliche Lebensbereiche haben können (vgl. Link/Phelan 2001, S. 367). Bewusst wird in diesem überarbeiteten Stigma- Konzept der Begriff „Label“ also „Etikett“, verwendet, anstatt der Bezeichnungen Merkmal, Eigenschaft, Attribut oder ähnlichem. Dies soll hervorheben, dass es sich bei einem Merkmal, welches als Stigma gehandhabt wird, nicht um etwas handelt, das der stigmatisierten Person innewohnt oder auf ihre grundle­gende Fehlerhaftigkeit hinweist, sondern dass es sich um eine Wahl der Umwelt handelt, die ein Merkmal von vielen als abweichend etikettiert. Dieses Etikett und damit ein Stigma wird demzufolge also in einem sozialen Prozess bestimmt. (vgl. Link/Phelan 2001, S. 368) Bei diesem Stigma Konzept soll das Vorliegen eines Stigmas durch das Herausarbeiten von fünf Komponenten, die miteinander in Verbindung stehen, nachgewiesen werden kön­nen (vgl. LINK/PHELAN 2001, S. 363).

Die erste Komponente beinhaltet die Benennung sowie die Bezeichnung von Unterschie­den. Denn die Majorität der Unterschiede zwischen Menschen wie die Farbe des Autos, ihrer Lieblingsspeise oder der Augenfarbe werden wenig beachtet und gelten somit als so­zial irrelevant. Anderen Merkmalen wie sexuelle Orientierung, Intelligenzquotient oder Hautfarbe wird jedoch mehr Aufmerksamkeit zuteil und diese können zu Stigmatisierungs­merkmalen werden. Um ein Merkmal zu einem Stigma zu machen, muss es als Unterschied bewertet werden, der soziale Relevanz besitzt. Damit ein Selektionsprozess stattfinden kann, bedarf es zur Vereinfachung eine Trennung von Menschen und deren Einteilung in Gruppen. Welche Merkmale etikettiert und zu einem Stigma gemacht werden, ist stark von der Zeit, dem Ort und der dortigen Gemeinschaft oder Bevölkerung abhängig. Ein Beispiel zur Veranschaulichung kann hier das Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätssyndrom sein, welches vor einigen Jahren noch wenig Beachtung fand, heute jedoch gesellschaftlich stark thematisiert wird und als Etikett gehandhabt werden kann. (vgl. Link/Phelan 2001, S. 367-368).

Die zweite Komponente, die ein Stigma ausmacht, ist die Verbindung des benannten und gemachten Unterschiedes mit vielen weiteren negativ gewerteten Merkmalen, die ein Ste­reotyp oder eine Kategorie bilden (vgl. Link/Phelan 2001, S. 368). Den Aspekt, dass einem Stigma eine außergewöhnliche Verknüpfung von Merkmal zu Kategorien oder Stereotypen zu eigen ist, hob bereits Erving Goffman hervor (vgl. Goffman 1967, S. 13). Ebenso wurde dieser Beziehung der negativ bewerteten Eigenschaft zu weiteren Merkmalen, die in Kate­gorien, somit Stereotypen zusammengefasst werden, in der psychologischen Literatur ein besonderer Stellenwert eingeräumt (vgl. Link/Phelan 2001, S. 368 - 369; Crocker/Ma- jor/Steele 1998).

Bei der dritten Komponente geht es um das B ilden von „Wir“ und „Sie“. Personen mit einem Label werden also von der Gesamtheit getrennt und zu „Anderen“ oder „Ihnen“ gemacht und in einem sozialen Prozess Eigen- und Fremdgruppen bestimmt. Um dies zu veranschaulichen, wird auf die amerikanische Politik und deren Geschichte zurückgegrif­fen, in der beispielsweise Indianer als sogenannte „Outgroup“ behandelt wurden, ebenso wurde die afroamerikanische Bevölkerung als Fremdgruppe bestimmt, die mit weniger Rechten ausgestattet und zum Teil als Sklaven gehalten wurden. Personen, die ein Label besitzen, gelten somit als anders und nicht vollkommen menschlich. (Link/Phelan 2001, S. 370; Goffman 1967, S. 13) Diese Anschauungsweise und die Trennung in Eigen- und Fremdgruppe macht es leichter, Personen, die mit einem Label behaftet sind, mit weiteren negativen Eigenschaften oder Stereotypen zu koppeln, da der Eigengruppe damit nicht ge­schadet, sie sogar eher aufgewertet wird (vgl. Link/Phelan 2001, S. 370).

Die vierte Komponente des Stigma-Konzepts ist die des Statusverlust und der Diskriminie­rung. Dies ist ein Teil des Stigmatisierungsprozesses, in dem die Personen, die mit negati­ven Merkmalen verbunden wurden, auf Basis dessen abgewertet, gemieden oder ausge­schlossen werden. Die negativen Merkmale, die einer Person angeheftet werden, verrin­gern deren Status aus dem Blickwinkel der Stigmatisierenden. Es findet somit also eine Abwärtspositionierung in der Statushierarchie statt. Der niedrige Status bildet dann eine breite Grundlage für eine Vielzahl an Diskriminierungen und weiteren Zuschreibungen. Zum Beispiel kann ein niedriger Status dazu führen, dass eine Person als weniger oder zu wenig attraktiv betrachtet wird, um Kontakte zu knüpfen, sich in Unternehmen oder die Gemein­schaft einzubringen. Dies hat Ausgrenzung und Missachtung zur Folge und Kooperationen, Kontakte oder die Möglichkeit von politischem Einfluss kann verwehrt bleiben. Folgen kön­nen beispielsweise auch geringere Chancen bei der Wohnungssuche oder auf dem Arbeits­markt sein. (vgl. Link/Phelan 2001, S. 371 - 373)

Ein weiterer Aspekt am Ende des Stigma-Konzeptes bringt die Stigmatisierung in den Zu­sammenhang mit politischer, sozialer und wirtschaftlicher Macht (vgl. Link/Phelan 2001, S. 366 - 367). Denn nach Link und Phelan bedarf es Macht, um zu stigmatisieren. Die Rolle von Macht in Stigmatisierungsprozessen wird jedoch nicht selten übersehen. Um die Rele­vanz von Macht herauszustellen, werden Fälle betrachtet, in denen soziale Macht in Stig­matisierungsprozessen offensichtlich ist. Als Beispiel hierfür wird die Situation im Zweiten Weltkrieg verwendet. Die Nationalsozialisten waren besonders wegen ihrer Macht imstande die jüdische Bevölkerung in einem enorm vernichtenden Ausmaß zu stigmatisieren. Auch die Betrachtungsweise, dass selbst wenn Personen oder Gruppen, die stigmatisiert werden, versuchen die „Normalen“ im gleichen Zuge zu stigmatisieren, es bliebe womöglich erfolg­ los. Denn das Fehlen von sozialer, wirtschaftlicher und politischer Macht wird es nicht mög­lich machen, stigmatisierendes Gedankengut zu etablieren. (vgl. Link/Phelan 2001, S.375 - 376)

[...]


1 Die Abkürzung EIN steht für die Form der Übersetzung der Bibel. Demnach wurde eine Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments, für den Beleg verwendet. Bei der ersten Zahlenangabe handelt es sich um das Kapitel, bei der zweiten, um die Nummerierung des Verses. Die genaue Auflage der Bibel mit den dazugehörigen Angaben, ist im Literaturverzeichnis unter „Die Bibel" zu finden.

Fin de l'extrait de 114 pages

Résumé des informations

Titre
Hurenstigma. Die politische und gesetzliche Regulierung von Sexarbeit und die Rolle der Sozialen Arbeit
Université
University of Cooperative Education Stuttgart; Horb
Auteur
Année
2019
Pages
114
N° de catalogue
V488749
ISBN (ebook)
9783668957824
ISBN (Livre)
9783668957831
Langue
allemand
Mots clés
hurenstigma, regulierung, sexarbeit, rolle, sozialen, arbeit
Citation du texte
Alisia Huber (Auteur), 2019, Hurenstigma. Die politische und gesetzliche Regulierung von Sexarbeit und die Rolle der Sozialen Arbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/488749

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