Ziel dieser Analyse ist es, anhand des Werkes des ungarisch-österreichischen Schriftstellers und Dramatikers Ödön von HORVÁTH "Jugend ohne Gott" nachzuweisen, wie eine totalitäre Gesellschaft strukturiert werden kann. Es handelt sich um die Erklärung der Tatsache, dass die literarisierte Gesellschaft nicht eine ist, wo Figuren frei sind: Ihre Freiheit wird abgeschafft, sodass die Struktur der Gesellschaft, die daraus entsteht, totalitär ausgerichtet ist. Alle Institutionen und Bereiche dieser Gesellschaft bleiben nichts anderes als Werkzeuge der totalitären Politiker, die ihnen dazu zwingen, sich nach dem Willen des herrschenden Oberplebejers (eine Anspielung auf Hitler im Text) auszurichten. Die im Text auftauchenden Figuren, die fast nicht mehr imstande sind, vernünftig nachzudenken, stimmen bereits diesem diktatorischen Diskurs zu und nehmen die anderen Rassen als Neben- oder Untermenschen wahr. Gegen diese so strukturierte Gesellschaft kämpft die Hauptfigur des Textes, der Lehrer mithilfe des Klubs. Sein Kampf bleibt jedoch nur passivisch, sodass er zu keinem konkreten Ergebnis führt. Der Totalitarismus der literarisierten Geschehen strukturiert also die Gesellschaft, sodass es die einzige Lösung, die die Figuren dieses Romans haben, ist, sich daran zu fügen. Es wird auch in dieser Analyse begründet, dass die Gesellschaft, von der es die Rede ist, auf das Dritte Reich anspielt. Viele Textpassagen verweisen auf diese Epoche der deutschen Geschichte. Es ist demzufolge zu begründen, dass HORVÁTH heftige Kritik an dem Totalitarismus des Dritten Reiches übt, weil er selbst darunter gelitten hat und ins Exil gestorben ist, nach dem er von seinem Land vertrieben wurde. Meiner Analyse liegt der Gedanke im Vordergrund, dass der Totalitarismus einige liberale Gesellschaften unserer Epoche begünstigt hat, weil seine Folgen vornehmlich negativ waren. Die Menschheit kam zum Entschluss, totalitäre und diktatorische Systeme möglichst abzuschaffen, um Rechtstaaten entfalten zu lassen. So sieht der Leser die Aktualität dieser Arbeit. Sie ist also in unserer Gegenwart wertvoll, weil sie auf die Geschichte zurückblickt, um die Gegenwart verständlicher zu machen.
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Inhalt
Widmung
Vorwort
Abstract
Résumé
0 Einleitung
0.1 Zum Thema
0.2 Problematik
0.3 Forschungsstand, Wissenslücke und Hypothesen
0.4. Erkenntnisinteresse und Ziele der Analyse
0.5 Methodisches Vorgehen
0.6. Aufbau der Arbeit
TEIL I: THEORETISCHER TEIL
KAPITEL 1 BEGRIFFE UND ERLÄUTERUNG DER METHODE: DIE PRODUKTIONSÄSTHETIK
Zwischeneinführung
1 Begriffe
1.1 Zum Begriff Struktur
1.2 Zum Totalitarismus
1.3 Zum Begriff Gesellschaft
1.4 Zwischenfazit
2 Zur Produktionsästhetik
2.1 Der Text als Botschaft seines Autors und Zeugnis seiner Entstehungszeit
2.2 Zugänge zur produktionsästhetischen Analyse
2.3 Text und Kontext
2.4 Der sozialgeschichtliche Kontext des Werkes
2.5 Zwischenfazit
KAPITEL 2 ZUR UNTERSUCHUNG DES DRITTEN REICHES
Zwischeneinführung
1 Deutschland vor der Machtergreifung Hitlers
2 Die Machtübernahme HITLERS
3 Das Dritte Reich
3.1 Die Innenpolitik von HITLER
3.2 Die Hitlerjugend
3.3 HITLERS Wirtschaftspolitik
4 Hitlers Außenpolitik
4.1 In Europa
4.2 In Afrika
4.3 Zwischenfazit
TEIL II: PRAKTISCHER TEIL
KAPITEL 3 ZUR ANALYSE DES ROMANS VON HORVÁTH JUGEND OHNE GOTT
Zwischeneinführung
1 Ödön von HORVÁTH: Leben und Werk
2 Inhaltwiedergabe von Jugend ohne Gott
3 Interpretation und Analyse von Horváths Jugend ohne Gott
4.1 Die Politik
4.2 Das Schulwesen
4.3 Die Familie
4.4 Die Medien
4.5 Die Institution Gerechtigkeit
4.6 Die Kirche
4.7 Die Polizei
4.8 Das Lager
4.9 Die Freund-Feind- Beziehung
4.10 Der Kampf gegen den Totalitarismus
3 Zwischenfazit
KAPITEL 4 HORVATHS JUGEND OHNE GOTT: WARUM SO EINE GESELLSCHAFT ?
Zwischeneinführung
1 Zu Gründen für die literarische Verarbeitung der Politik
1.1 Biographische Gründe
1.2 Künstlerische Gründe
1.3 Sozio-politischer Kontext
2 Zur literaturwissenschaftlichen Relevanz der Analyse
2.1 Jugend ohne Gott: Eine Literatur ohne Wesen
2.2 Zur Trias Horváth- Jugend ohne Gott -Adressat
Schlussbetrachtung
1 Bewertung der Ergebnisse
2 Ausblick
Literaturverzeichnis
1 Primärliteratur
2 Sekundärliteratur
2.1 Nachschlägige Werke
2.2 Diplom-,Magister-, und Doktorarbeiten
3 Internetquellen
4 Andere Quellen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung: Modell für meine produktionsästhetische Analyse
Widmung
Meinem verstorbenen Vater BELIBI Dieudonné J. und meiner Tochter NGOA BELIBI Alima
Vorwort
Der Grund, warum ich dieses Themas ausgewählt habe, liegt meinen Erfahrungen als kamerunischer Germanist zugrunde. Ich habe festgestellt, dass afrikanische politische Systeme sich à priori als demokratische Regime verstehen lassen, aber à posteriori sind sie oft autoritär, d.h. sie schränken die Freiheit der Bürger zugunsten herrschender Ideologien ein. Dieses Phänomen haben auch Europäer vor dem Zweiten Weltkrieg erlebt. Bei meiner Lektüre von HORVÁTHS Jugend ohne Gott wurde diesen Eindruck bestätigt. Ich bin also zur Entscheidung gekommen, den oben erwähnten Roman literaturwissenschaftlich zu analysieren. Ziel war es, genau zu erklären, was den Autoritarismus im Allgemeinen und den Totalitarismus im Besonderen aufrechterhaltet: Dieser Forschung zufolge spielt die Struktur der Gesellschaft damit eine große Rolle. In meiner Untersuchung befasse ich mich deshalb mit den Bestandteilen dieser Struktur ebenso wie ihr Funktionieren und die Folgen, die sich daraus ergeben. Ein Ergebnis, dass nicht wünschenswert ist. Denn die Freiheit des Menschen an erste Stelle eingestuft werden soll.
Die Anfertigung meiner Arbeit war überhaupt keine einfachere Aufgabe. Wie alle jungen Forschenden in Afrika bin ich häufig mit dem Problem des Materials bzw. der Sekundärliteratur konfrontiert worden. Darüber hinaus sollte ich mich manchmal von meiner Familie und meinen Verwandten trennen, damit ich schnell mit der Arbeit zu Ende komme. Es gab auch neben Gesundheits-, finanziellen Problemen, mit denen ich umzugehen hatte.
Meinem Betreuer, dem Dr. Jean Bertrand MIGUOUÉ gebührt mein Dank für die Betreuung dieser Arbeit. Der Mutter meiner Tochter, Rafiatou MABOUNÉ LAMARA und meiner Tochter Alima NGOA BELIBI ebenso wie meiner Mutter Blandine NFEGUE NTSAMA bleibt ich zum Dank verpflichtet, weil sie immer meinen Mangel an Zeit für sie während der Arbeitsverfassung ertragen haben. Ich weiß mich auch meinem Onkel, dem Dr. Henry ESSOMBA, der nicht nur seine Bibliothek zu meiner Verfügung stellte, sondern auch mir bei dem Korrekturlesen half, zum Dank verbunden. In diesem Zusammenhang kann ich Keinen vergessen, der mir ferner oder näher eine Hilfe leistete.
François Elvis NGOA BELIBI Jaunde, den 2.Juni 2016
Abstract
The following analysis struggles to explain the way literature in general and the novel of the Hungarian-Austrian author Ödön von HORVÁTH in particular structures a totalitarian society. That why it has the following title: The structure of a totalitarian society. An example of the novel of Horváth Youth Without God. I should then explain in this dissertation the fact that the literalized society presents us a kind of community where characters are not free. They are obliged to handle according to the will of their political leaders. Every institution of this society becomes then an instrument of the totalitarian system. This one imposes and maintains it dictatorial way of live. The characters live in a closed society where every foreign thought becomes dangerous and the author of such thoughts will be arrested, punished and kept out of the group. This fictional society is relative to that one witnessed by German people during the Third Reich. It will that why be important for me to show the relationship between those events of the novel and the one from the real society so that the reader of this work can immediately understand that this literalized society is the one of the Third Reich. The author of this novel criticizes the German Labor Party, I mean the National-Socialism or the totalitarianism of this times. My analysis proves then it actuality because it is to understand that the democracy became successful when Europeans realized that totalitarianism is dangerous for their countries. After the theoretical part where I defined concepts, present the theory and analyze the context where the novel was written; I do interpret this novel practically in the last part of the work and show how this totalitarian society is structured. The results of my analysis are the following: In one hand, the political system put in place such a society only to have the monopole and imposes it point of view to others citizens, to militarize them so that they can be able to conquer the world. But instead of remaining in peace they caused War; In the second hand the novelist HORVÁTH literalizes such a society not only to reach his personal goals, I mean to fight against the totalitarianism of the Third Reich, but also because of experiences that he witnessed in his time: The literature gives him this possibility. With this Art it becomes possible to put many discourses in conversation so that the reader can easily understand the message of the author: Literature perceives the reality else way than other Arts and facilitates it comprehension.
Résumé
Le présent travail intitulé La structure d´une société totalitaire à la lumière du roman de Horváth Jeunesse sans Dieu démontre comment la littérature met sur scène une société où les individus sont dépourvus de leur liberté et contraints à se soumettre, pour autant qu´ils aimeraient continuer à y vivre, à un régime politique totalitaire. Ces individus dont il est question ici sont les personnages du texte de l´auteur et de l´œuvre sus cité. L´analyse minutieuse de ce roman laisse entrevoir une communauté où les citoyens se voient obligés d´ accepter le discours totalitaire, car toutes les institutions sociales se mettent au service du politique. Par conséquent elles deviennent des instruments à travers lesquelles un État fermé est mis sur pieds. Dans une telle communauté raciste et belliqueuse où l´étranger est considéré comme un danger pour les autres et identifié, menacé, anéanti ou mis au banc du groupe, aucune penser personnel ou vie privée n´est tolérée. La société fictionnelle donc il est question ici fait allusion au Troisième Reich allemand. C´est cette triste période de l´histoire que l´auteur nous fait revivre ici. Par conséquent, dans cette analyse un rapport sera établit entre cette société réelle et celle du roman. Ainsi ce travail prouve comment l´auteur critique ce Troisième Reich en montrant le mode de fonctionnement de ses institutions. Le totalitarisme est remis en cause au profit d´un Etat de droit. Après la partie théorique où je défini les concepts clés, présente le contexte où l´œuvre a vu le jour, je procède ensuite de façon pratique en montrant concrètement comment cette société totalitaire est structurée. Il en résulte ce qui suit : Premièrement, le politique agit ainsi afin d´avoir le monopole sur ses citoyens qu´il militarise pour conquérir le monde. Ce qui a entrainé la guerre ; Deuxièmement, l´auteur décris une telle société non seulement pour des raisons personnelles, mais aussi à cause de son temps et principalement pour des raisons esthétiques. La littérature lui permet ainsi de rendre facilement plusieurs discours, apparemment insignifiants, perceptibles afin que le lecteur puisse mieux porter un jugement objectif sur sa société.
0 Einleitung
0.1 Zum Thema
Die Literatur ist ein Produkt der Gesellschaft und spricht also von dem, was da geschieht. Deshalb fügt sich das Thema, das meine literaturwissenschaftliche Arbeit leitet, in den Forschungsbereich Literatur und Gesellschaft. Es beschäftigt sich vornehmlich mit der ästhetisierten Politik. Was diese Literatur anbelangt, kann sie eine fiktionale Politik gestalten, die auf die wirkliche anspielt. Dies erfährt der Leser, der sich an den Roman des ungarisch-österreichischen Autors Ödön von HORVÁTH Jugend ohne Gott 1 (Ödön von Horváth, 1994) interessiert . Es wird ihm klar, dass Rechte und Freiheiten von Figuren in dieser literarisierten Gesellschaft abgeschafft werden, und die Art und Weise, wie jene denken und handeln, anders als es der Fall bei Rechtstaaten ist. Das hat auch das zwölfjährige Dritte Reiche erfahren. Meine Forschung setzt sich also mit dieser totalitären Gesellschaft literaturwissenschaftlich auseinander. Das Thema, das ihr zugrunde liegt, lautet Zur Struktur einer totalitären Gesellschaft. Am Beispiel von Horváths Jugend ohne Gott. Selbstverständlich geht es um eine literaturwissenschaftliche Analyse. Sie will die ästhetischen Geschehen dieses literarischen Werks in Bezug auf ihre Wirklichkeit bringen. Es handelt sich denn um eine Kritik am Totalitarismus anhand der Literatur. Die schlechte Erfahrung, die die Menschheit von diesem politischen System erlebt hat, führte sie dazu, Rechtstaaten als die beste Staatsform wahrzunehmen. Was die Aktualität meines Themas bestätigt.
0.2 Problematik
Die Beschäftigung mit der Politik in der Literatur oder die Beziehung, die engagierte AutorInnen mit der Politik pflegen, ergibt oft viele Fragestellungen. In einer literaturwissenschaftlichen Analyse erklären LiteraturwissenschaftlerInnen, wie die Literatur diese Politik verarbeitet. Der historische Kontext des Dritten Reiches verdeutlicht es besser. Es wurde festgestellt, dass viele Schriftsteller wie Bertold Brecht, Oskar Maria Graf, Klaus und Erika Mann, Thomas und Heinrich Mann, Gottfried Benn …etc. der gesellschaftlichen Struktur ihres Landes wegen zum Exil gezwungen wurden und das politische System des Dritten Reiches in ihren Werken häufig kritisierten (vgl. Inge Stephan, 2008, S.454-478). Der Grund darin lag, dass die Struktur dieser Gesellschaft den Totalitarismus begünstigte. Das literarische Werk HORVÁTHS gehört selbstverständlich der Exilliteratur. In seiner Weise, indem er das Dritte Reich in seinem vorletzten Roman literarisiert, übte er Kritik daran, weshalb die Frage: Wie verarbeitet HORVATHS Jugend ohne Gott die Struktur der totalitären Gesellschaft des Dritten Reiches? Diese Frage wird von den folgenden begleitet werden: Welche Rolle spielt jede Institution in dieser literarisierten Gesellschaft? Wie handeln die Figuren des Textes in Bezug darauf? Was bedeutet eine solche literarische Verarbeitung der Politik? Wozu wird sie durchgeführt? Und inwieweit spiegelt der Roman HORVÁTHS das Dritte Reich wider? Diese Fragen liegen der vorliegenden Analyse zugrunde.
0.3 Forschungsstand, Wissenslücke und Hypothesen
0.3.1 Forschungsstand
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Werk des ungarisch-österreichischen Autors Ödön von HORVÁTH begünstigte das Verfassen von vielen Aufsätzen, Diplom-, Magisterarbeiten und Dissertationen. Versuche ich sie thematisch je einzuteilen, so stelle ich fest, dass sie folgenderweise eingeordnet werden können: LiteraturwissenschaftlerInnen untersuchten einerseits die poetische Sprache, das Motiv der Schule und die Geschichte in dem Werk dieses Schrifstellers; Andererseits analysierten sie es systematisch. Im Folgenden stelle ich bündig ihre Ergebnisse vor.
An erster Stelle gibt es, wie schon erwähnt, jene Arbeiten, die sich an die Sprachanalyse, bzw. das Poetische interessieren. Sie konzentrieren sich vielmehr auf die Volksstücke HORVÁTHS. Bezüglich dieser Sprachanalyse habe ich fünf wissenschaftliche Arbeiten ausgewählt: Es geht erstens um die Arbeit von Hojo KURZENBERGER, die sich mit der Kommunikation zwischen den Figuren des Werkes HORVÁTHS beschäftigt. Dieser Literaturwissenschaftler stellt fest, dass es oft an Kommunikation dazwischen fehlt, weil die Sätze des Werkes dieses Autors klischeehaft und seine Kapitel kürzer sind. Aber dieser Kommunikationsmangel ist eine Besonderheit der poetischen Sprache HORVÁTHS, der so original wirkt. Damit wird der Leser bei der Lektüre überfordert (vgl. Kurzenberger, 1974). Zweitens untersucht Winfried NÖTLING seinerseits den Bildungsjargon hier, der die Intention der Figuren verrät. Damit kann man verstehen, wer sie sind, was ihr Sozialstand ist und wie sie sich zueinander verhalten. Die Tatsache, dass sich der Leser nur mit diesem Jargon beschäftigt, lässt ihn die Gefahr laufen, die anziehende Handlung des Werkes richtig nicht zu verstehen. Er soll also viel Aufmerksamkeit auf andere Textbestandteile schenken (vgl. Nötling, 1976). Diese Jargonanalyse wird drittens noch von Kai KLAUSNER betont. Indem er sich mit der Darstellung der Zwischenkriegszeit in den Dramen HORVÁTHS beschäftigt und gleichzeitig Bezüge zwischen dieser Zeit und der Gegenwart herstellt, erklärt er, wie das Bewusstsein des Kleinbürgertums oder Mittelstands, an dem dieser Autor gehört, sich durch den in seinen Dramen verwendeten Jargon äußert (vgl. Klausner, 2010). Viertens analysiert Ben MERRIMAN die englische Übersetzung des Romans Jugend ohne Gott. Er rechtfertigt, dass HORVÁTH damit heftige Kritik an dem Nationalsozialismus übt. Der Aufsatz MERRIMANS setzt sich vielmehr mit der Tatsache auseinander, dass es nicht einfach war, genau den Roman dieses Schriftstellers auf das Englische zu übersetzen, weil Begriffe wie Neger auf Englisch entweder in negro oder in nigger übersetzt werden sollten, was der Übersetzer in Verlegenheit gebracht hat ( vgl. Merriman, 2012, S.334-336). Als letzter Beitrag zu dieser Sprachanalyse kommt die Intertextualität von diesem Roman ans Licht. Sie wird von Katja Stefanie STAUD untersucht. Diese Literaturwissenschaftlerin analysiert, wie das Werk der Schriftstellerin Juli ZEH Spieltrieb intertextuelle Bezüge auf andere im Allgemeinen und den Roman HORVÁTHS im Besonderen aufweist. Die Liebesbeziehung zwischen Ada und Alew in Spieltrieb spielt auf die zwischen Adam und Eva bzw. dem Schüler T und dem Mädchen Eva von HORVÁTHS Roman Jugend ohne Gott an. Dieser T, der auch als Fisch metaphorisch genannt wird, wurde auch von ZEH in ihrem Roman wiederaufgenommen. So ist die Intertexualität zwischen Spieltrieb und Jugend ohne Gott nicht nur inhaltlich, sondern auch formal zu sehen (vgl. Staud, 2013).
An zweite Stelle der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Werk HORVÁTHS kommt das Schulmotiv vor. Bezüglich dieses Motivs bei Jugend ohne Gott äußerten sich viele LiteraturwissenschaftlerInnen. Darunter habe ich zunächst die Arbeit von Florian Telesport SOH MBE, die der Untersuchung nachgeht, den Einfluss des Nationalsozialismus auf die Erziehung der Jugend in diesem Werk zu analysieren. Er erklärt, dass der Nationalsozialismus die Jugendlichen durch die Erziehung indoktriniert (vgl. Soh Mbe, 2015). Dann kommt die Analyse von Daniela VOGT zum Ausdruck. Ihrerseits beschäftigt sich diese Literaturwissenschaftlerin mit der Art und Weise, wie die Schule von vielen deutschen Autorinnen und Autoren, darunter HORVÁTH, im 20. Jahrhundert in der Literatur verarbeitet und literarisiert wurde. Sie ist der Meinung, dass Figuren, die als Schüler in Jugend ohne Gott auftauchen und von dem NS-Geist charakterisiert sind, den Lebensraum Schule negativ erleben. Es entsteht Konflikte nicht nur unter diesen Schülern, sondern auch zwischen ihnen und dem Lehrer, der gegen die Verankerung der NS-Diktatur in sich kämpft (vgl. Vogt, 2010). Ebenso wie die zwei oben erwähnten LiteraturwissenschaftlerInnen analysiert schließlich Sarah ÅKESSON das Thema Schule in diesem Werk. In ihrer Arbeit erklärt sie, wie die Erziehung im Dritten Reich organisiert war. In der Tat waren die dort lebenden und im Werk auftauchenden Schüler zum Kriege, Deutschtum, Lebensraum und zur Vaterlandsliebe durch NS-Verbände erzogen, sodass es an Individualität der Bürger fehlte, weil das Individuum in der Masse verschwand (vgl. Åkesson, 2006).
An dritte Stelle der wissenschaftlichen Untersuchung über das Werk HORVÁTHS tritt der geschichtliche Aspekt auf. Er wurde von vielen LiteraturwissenschaftlerInnen behandelt. So ist es der Fall des Axel FRITZ. In seiner Analyse weist er nach, wie die Weimarer Republik sich im Werk HORVÁTHS widerspiegelt, indem er die Schwächen dieser Republik auf die Bühne bringt. FRITZ ist also der Meinung, dass dieser deutschsprachige Autor ein Realist, aber kein Irrationalist wäre, weil er seine Zeit kritisiere (vgl. Fritz, 1973). Der Realismus HORVÁTHS taucht auch in der Arbeit von Urs JENY auf. Im Gegensatz zu anderen, die glauben, dass HORVÁTH ein Metaphysiker sei, begründet JENY, dass er vielmehr ein realistischer Schriftsteller wäre, weil er die wirtschaftlichen und politischen Probleme seiner Epoche untersuche und es in der Literatur verarbeitet. Deshalb übt er heftige Kritik am Totalitarismus (vgl. Jeny, 1971, S.289-295). Die Geschichte bezüglich des Werkes HORVÁTHS findet noch Einklang bei Christian SCHNITLER. In seiner Dissertation weist dieser Literaturwissenschaftler hin, wie dieser Schriftsteller viele politische Themen inszeniert. Damit kritisiert er seine Gesellschaft. Trotzt der Tatsache, dass er den Zweiten Weltkrieg nicht erlebt hat, warnt er zumindest die Bürger seines Landes davor. Sonst sind viele seiner Werke in der Zwischenkriegszeit verankert. So bilden sie eine Brücke zwischen beiden Kriegen. Ziel ist es, gegen den Krieg zu kämpfen (vgl. Schnitler, 1990). Seinerseits untersucht Rosa ZISSER die Rezeptionsgeschichte von unserem Autor einerseits; andererseits analysiert er die verschiedenen Themen und Motiven, die oft in seinem Werk auftauchen. Es geht unter anderen um Arbeitslosigkeit, Kleinbürgertum, Frauen, Masse und Massenkultur. Ziel dieser literaturwissenschaftlichen Analyse ZISSERS ist es, den Realismus des Werkes von HORVÁTH in der Donaumonarchie, der Ersten Republik Österreichs, der Weimar Republik und dem Dritte Reich zu rechtfertigen. Daraus ergibt sich, dass das ganze Werk dieses Schriftstellers viele gesellschaftliche Probleme seiner Zeit thematisiert (vgl. Zisser, 2013). Ingrid HAAG beschäftigt sich in seiner Arbeit mit einem philosophischen Aspekt des Werkes HORVÁTHS. Indem er ihn mit Sigmund FREUD vergleicht, gibt er zum Verstehen, dass er ebenso wie Freud, die gesellschaftliche Krankheit, Verwirrung und Orientierungslosigkeit des modernen Subjekts in seinem Werk behandelt und literarisiert hat. So ist er ein erfahrener Beobachter seiner Zeit (vgl. Haag, 1988, S.56-65).
An vierter und letzter Stelle der wissenschaftlichen Analyse an HORVÁTHS Werk habe ich zwei Autoren ausgewählt, die sich systematisch mit zwei seiner Romane auseinandergesetzt haben: Es geht um Volker KRISCHEL einerseits und HOROVÁ anderseits.
Volker KRISCHEL, was ihn anbelangt, analysiert, interpretiert und erläutert den vorletzten Roman HORVÁTHS Jugend ohne Gott, indem er Entstehungsgeschichte, Figurenkonstellation, Figurencharakteristiken, Geschehen, Sprache, Still und andere Aspekten von diesem Werk untersucht. Seine Analyse stützt sich aber auf keine theoretische Basis. Es geht um eine reine allgemeine Analyse (vgl. Krischel, 2004). Doch was die Arbeit Martina HOROVÁS betrifft, geht es um die Analyse des Romans HORVÁTHS Ein Kind unserer Zeit. Diese Arbeit untersucht den Entstehungskontext und setzt sich tiefer mit Handlung, Figuren, Raum, Zeit, Erzählperspektive ebenso wie den verschiedenen Themen dieses Romans auseinander. Sie kommt zum Schluss, dass dieser Roman den Zweiten Weltkrieg, den HORVÁTH leider nicht erlebt hat, antizipiert und das NS-Regime in Frage stellt (vgl. Horová).
Im Lichte der verschieden Perspektiven, d.h. der geschichtlichen, poetischen, philosophischen, sprachlichen, realistischen…etc., nach denen das Werk dieses Schriftstellers im Allgemeinen und seinen Roman Jugend ohne Gott in Besonderem untersucht wurden, stelle ich fest, dass sein literarisches Schaffen viele Arbeiten ergeben hat. Einige LiteraturwissenschaftlerInnen setzten sich mit dem Roman Jugend ohne Gott auseinander , aber sie haben daran seinen Aspekt der gesellschaftlichen Struktur kaum in Kauf genommen.
0.3.2 Wissenslücke
Wie schon angedeutet, wurde noch nicht der Aspekt der gesellschaftlichen Struktur in HORVÁTHS Jugend ohne Gott analysiert. Die unterschiedlichen Perspektiven, nach denen er literaturwissenschaftlich untersucht wurde, haben überhaupt nicht diese letztere Perspektive in Betracht gezogen. Aber wer dieser Roman mit Aufmerksamkeit durchliest, der stellt fest, dass seine Handlung in einer abgeschlossenen totalitären strukturierten Gesellschaft abspielt. Die Schule, von der es à priori die Rede ist, umfasst nur ein kleines Thema der abspielenden Geschehen. Im Hintergrund dieser Handlung liegt jedoch eine ästhetische Gesellschaft vor. Stimmt, haben einige Forschende nachgewiesen, wie Jugend ohne Gott seinen Entstehungskontext widerspiegelt, aber ohne damit systematisch und gründlich umzugehen. Darüber hinaus haben sie nicht erklärt, wie dieser Roman die literarisierte Gesellschaft anhand ihrer Institutionen gestaltet. Doch ist sie totalitär ausgerichtet, weil alle ihre Institutionen, sei es Kirche, Schule, Polizei, Gerechtigkeit, Familie…usw. sich vornehmlich nach dem diktatorischen System orientieren, sodass die Freiheiten der Bürger abgeschafft werden. Jene Art und Weise, wie diese fiktionale totalitäre Gesellschaft strukturiert ist, wird im Rahmen meiner Arbeit ausführlich analysiert. Es wird begründet, wie ihr politisches System eine Gesellschaft nach seiner diktatorischen Weltanschauung zulässt, damit alle Figuren unbedingt zu ihrem Dienst stehen. Ferner beabsichtige ich zu rechtfertigen, warum HORVÁTH so eine Gesellschaft literarisch verarbeitet hat und welche literaturwissenschaftliche Relevanz dies haben kann.
0.3.3 Hypothesen
Um die Ergebnisse dieser Arbeit vorwegzunehmen, weise ich hin, welche Hypothesen meiner Analyse zugrunde liegen.
Erstens: Da jede Gesellschaft aus Institutionen besteht, bedient sich die literarisierte Gesellschaft ihrer Institutionen, um den Totalitarismus durchzusetzen und ihre Weltanschauung zur Geltung zu bringen;
Zweitens: Sie wird nicht wie Gesellschaften von Rechtstaaten strukturiert. Sie ist abgeschlossen und lässt keine Subvesivität zu.
Drittens: In dieser Gesellschaft ist kein Bürger frei, deshalb fungiert der Andersdenkende als ein Störfaktor. Er wird also streng bestrafft, verleumdet, vernichtet und eben davon ausgeschlossen.
Viertens: Horváths Jugend ohne Gott literarisiert so eine Gesellschaft, um das Dritte Reich in Frage zu stellen, so verrät diesen Roman seinen Entstehungskontext bzw. das Nazi-Deutschland. Dies lässt sich durch Form und Inhalt des Werkes ermitteln.
0.4. Erkenntnisinteresse und Ziele der Analyse
Ziel dieser Analyse ist es, anhand des Werkes des ungarisch-österreichischen Schriftstellers und Dramatikers Ödön von HORVÁTH Jugend ohne Gott nachzuweisen, wie eine totalitäre Gesellschaft strukturiert werden kann. Es handelt sich um die Erklärung der Tatsache, dass die literarisierte Gesellschaft nicht eine ist, wo Figuren frei sind: Ihre Freiheit wird abgeschafft, sodass die Struktur der Gesellschaft, die daraus entsteht, totalitär ausgerichtet ist. Alle Institutionen und Bereiche dieser Gesellschaft bleiben nichts anderes als Werkzeuge der totalitären Politiker, die ihnen dazu zwingen, sich nach dem Willen des herrschenden Oberplebejers (eine Anspielung auf Hitler im Text) auszurichten. Die im Text auftauchenden Figuren, die fast nicht mehr imstande sind, vernünftig nachzudenken, stimmen bereits diesem diktatorischen Diskurs zu und nehmen die anderen Rassen als Neben- oder Untermenschen wahr. Gegen diese so strukturierte Gesellschaft kämpft die Hauptfigur des Textes, der Lehrer mithilfe des Klubs. Sein Kampf bleibt jedoch nur passivisch, sodass er zu keinem konkreten Ergebnis führt. Der Totalitarismus der literarisierten Geschehen strukturiert also die Gesellschaft, sodass es die einzige Lösung, die die Figuren dieses Romans haben, ist, sich daran zu fügen. Es wird auch in dieser Analyse begründet, dass die Gesellschaft, von der es die Rede ist, auf das Dritte Reich anspielt. Viele Textpassagen verweisen auf diese Epoche der deutschen Geschichte. Es ist demzufolge zu begründen, dass HORVÁTH heftige Kritik an dem Totalitarismus des Dritten Reiches übt, weil er selbst darunter gelitten hat und ins Exil gestorben ist, nach dem er von seinem Land vertrieben wurde. Meiner Analyse liegt der Gedanke im Vordergrund, dass der Totalitarismus einige liberale Gesellschaften unserer Epoche begünstigt hat, weil seine Folgen vornehmlich negativ waren. Die Menschheit kam zum Entschluss, totalitäre und diktatorische Systeme möglichst abzuschaffen, um Rechtstaaten entfalten zu lassen. So sieht der Leser die Aktualität dieser Arbeit. Sie ist also in unserer Gegenwart wertvoll, weil sie auf die Geschichte zurückblickt, um die Gegenwart verständlicher zu machen.
0.5 Methodisches Vorgehen
Für die Anfertigung meiner Arbeit brauche ich eine literaturwissenschaftliche Methode, die die Literatur bezüglich ihres Kontextes auslegt. Die im Kunstwerk dargestellten Geschehen sollen im Zusammenhang mit der Wirklichkeit gebracht werden. So kann ich nachweisen, wie die gesellschaftlichen Geschehen von Jugend ohne Gott verarbeitet wurden. Die Produktionsästhetik erfüllt alle diese Bedingungen. Damit kann ich rechtfertigen, wie der Roman HORVÁTHS von seiner Epoche, und zwar dem Dritten Reich zeugt und Informationen davon liefert. Enge Bezüge zwischen Text und Kontext werden nacheinander analysiert und man wird ohne Mühe verstehen, wie das Dritte Reich in diesem Roman zum Ausdruck kommt. Die totalitäre Politik und Diktatur, die diesen Abschnitt der deutschen Geschichte charakterisiert hat, wird im Text erklärt und begründet. Es ist darüber hinaus zu beweisen, welche Intention HORVÁTH beim Verfassen seines Werkes hatte und wie diese Absicht im Roman auffindbar ist.
Die Produktionsästhetik, was diese Methode anbelangt, interpretiert und analysiert ein künstlerisches Werk in Bezug auf seinen Kontext. Sie antwortet auf drei wesentliche Fragen, und zwar: Wovon reden die Bücher? Wer schreibt sie? Warum? In diesem Zusammenhang soll man zunächst einmal den Inhalt eines literarischen Werks wiedergeben. Ziel dieser Wiedergabe ist es, die Botschaft des Autors in seinem Werk verstehbar zu machen. Das Werk selbst lässt diese Botschaft durch die Art und Weise, wie seine Geschehen aufgebaut und seine Form strukturiert ist, ermitteln. Diese Erklärung der Autorabsicht ist aber nicht einfach. Es geht um die Ergebnisse einer langen Analyse, wo einzelne und ganze Teile des Romans in Einklang gebracht werden sollten. Danach wird es leicht zu verstehen, dass dieses Werk von seinem Entstehungskontext zeugt, weil die im Text dargestellten Geschehen den Kontext im Gedächtnis des Lesers abrufen lassen. Das literarische Werk, was es betrifft, bleibt eine Botschaft des Autors an den Adressaten. Um diese Analyse zu ergänzen, soll das Leben des Autors untersucht werden, d.h. seine Bio-, und Bibliographie, da ein künstlerisches Schaffen manchmal etwas damit zu tun hat: Der Autor hat so ein Werk geschrieben, weil er mit anderen Leuten über einen bestimmten Ausschnitt seiner Wirklichkeit sprechen wollte. So soll das interpretierende Subjekt, das sich dieser Methode bedient, nachweisen und begründen, inwieweit die wirklichen gesellschaftlichen Ereignisse einer Zeit sich in einem künstlerischen Werk widerspiegeln, warum und wie der Autor das verarbeitet hat.
Auf dieses Verfahren werde ich eingehen, um die Absicht HORVÁTHS in Jugend ohne Gott zu ermitteln. Für meine Arbeit ist diese Methode anpassend, da sie mir eine Möglichkeit anbietet, die Weltanschauung des Dritten Reiches, wo dieser Roman verfasst wurde, im Roman literaturwissenschaftlich zu untersuchen. Ich kann darüber hinaus die literarischen Verfahren analysieren, deren sich HORVÁTH bedient hat, um eine fiktive totalitäre Gesellschaft zu verarbeiten. Sie hilft mir auch dabei zu erklären, wie dieser Totalitarismus literarisch zum Ausdruck kommt; Welche Figuren sich dazu fügen und welche sich ihm widersetzen; Wie die jeweiligen literarisierten Institutionen funktionieren und welche Struktur daraus entsteht; Inwieweit der soziopolitische Kontext HORVÁTHS sein künstlerisches Schaffen beeinflusst und bestimmt hat ebenso wie welche literaturwissenschaftliche Relevanz sein Roman haben kann.
0.6. Aufbau der Arbeit
Meine Analyse besteht aus vier Kapiteln, die eng miteinander verbunden sind. Zunächst bildet das erste Kapitel den theoretischen Rahmen. Es umfasst zwei Hauptteile: Die Begriffsbestimmung einerseits, wo Kernbegriffe, und zwar Totalitarismus, Struktur und Gesellschaft bestimmt werden. Ziel ist es, dem Leser genau das zu erklären, welchen Sinn diesen vieldeutigen Begriffen im Rahmen der vorliegenden Analyse zugeschrieben wird. Der zweitere Teil dieses Kapitels stellt die literaturwissenschaftliche Produktionsästhetik andererseits dar. Dann untersucht das folgende Kapitel den Kontext, in dem der Roman HORVÁTHS verfasst und veröffentlicht wurde: Es handelt sich um das Dritte Reich, dessen Ereignisse sich im Werk widerspiegeln. Diese Kontextanalyse wird von der Methode, die ich für diese Arbeit ausgewählt habe, verlangt, damit der Leser Zusammenhänge zwischen Werk und Kontext klarer sehen kann. Später befasst sich das nächste Kapitel mit der konkreten Analyse und Interpretation des Romans Jugend ohne Gott. Nach der Bio-, Bibliographie des Autors und der Inhaltswiedergabe des Romans lege ich diesen letzteren produktionsästhetisch aus. Es wird hingewiesen, wie die literarisierte Gesellschaft so totalitär strukturiert wird, dass alle ihre Institutionen sich dem Totalitarismus fügen. Die Theorie wird also praktisch umgesetzt. Das letztere, und zwar vierte Kapitel beschäftigt sich vornehmlich mit der Interpretation, die sich als Folge meiner Analyse ergibt. So erkläre ich, welche Gründe den Autor dazu bewegt haben, so eine totalitäre Gesellschaft literarisch zu verarbeiten. Drei Gründe kommen in Frage, nämlich seine Biographie, seinen Kontext und seine künstlerische Auffassung. Daraus ergibt sich, dass HORVÁTH dem Leser eine wichtige Botschaft durch sein Werk schickt: Totalitäre Gesellschaften sind für die Menschenfreiheiten gefährlich.
TEIL I: THEORETISCHER TEIL
KAPITEL 1
BEGRIFFE UND ERLÄUTERUNG DER METHODE: DIE
PRODUKTIONSÄSTHETIK
Zwischeneinführung
Das vorliegende Kapitel umfasst den theoretischen Rahmen dieser Arbeit. Es besteht demzufolge aus zwei Hauptteilen, und zwar die Begriffserklärung einerseits und die Darstellung des methodischen Vorgehens, der Produktionsästhetik andererseits.
1 Begriffe
In diesem Teil werden Kernbegriffe bestimmt, die in der Analyse häufig auftauchen. Ziel ist es, sie von anderen klarer abzugrenzen, damit der Leser genau versteht, welchen Sinn sie in dieser Arbeit tragen. Begriffe, von denen es die Rede ist, sind unter anderen: Struktur, Totalitarismus und Gesellschaft. Sie bleiben also zu erläutern.
1.1 Zum Begriff Struktur
Der Begriff Struktur kommt aus dem Lateinischen structura und bedeutet Bau, Aufbau, Bauwerk oder Gefüge. Die Struktur ist also ,, … ein relationaler Begriff; er ist in der Begriffsserie ›System‹/›Element‹/›Relation‹/›Funktion‹ zu verorten. St.[Struktur] ist die Menge der Relationen zwischen Elementen eines Systems“ (Ansgar Nünning, 2008, S.687). Die Struktur hilft dabei, Funktionen der Bestandteile eines Systems zu unterscheiden, um deren Beziehungen und Wirkungen besser zu verstehen, wobei Einzelnes und Ganzes in engem Zusammenhang stehen.
Wissenschaftlich betrachtet, wurde der Begriff Struktur zum ersten Mal von dem Genfer Strukturalisten, Gründer der modernen Linguistik, Ferdinand de SAUSSURE verwendet. Er hat ihn an seine Theorie umgesetzt, um sich von den Junggrammatikern sprachwissenschaftlich abzusetzen. Ziel war es, zu rechtfertigen, wie die Sprache als System zu verstehen ist, wo Ganzes und Teile zusammenhängen:
Da die Sprache ein System ist, dessen Glieder sich allgegenseitig bedingen und in dem Geltung und Wert des einen nur aus dem gleichzeitigen Vorhandensein des anderen sich ergeben, gemäß dem Schema [Bezeichnetes / Bezeichnendem], wie kommt da, daß der so definierte Wert sich der Bedeutung vermischt… (Saussure, 1967, S.136f).
Als SAUSSURE so eine Theorie begründet hat, meinte er damit, dass die Linguisten sich nur mit dem Gegenstand Sprache wissenschaftlich auseinandersetzen sollten, ohne sie mit anderen Wissenschaften wie Psychologie oder Geschichte, einzumischen. In Bezug darauf lautet der letzte Satz seines Werkes Folgendes, „die Sprache an und für sich selbst betrachtet ist der einzige wirkliche Gegenstand der Sprachwissenschaft.“ (ebd., S.279) So wurde die Theorie von de SAUSSURE nach seinem Tod als Strukturalismus bezeichnet, weil sie die verschiedenen Bestandteile des sprachlichen Systems von Phonem anfangend bis zum Satz ausführlicher analysiert. Darüber hinaus untersucht sie die Bezüge zwischen sprachlichen Zeichen ebenso wie ihren Wert in dem ganzen System. Die Sprache, die aus Zeichen - ein Gemisch von Signifikanten und Signifikaten- besteht, ist also bei dem Strukturalismus keine Substanz, sondern eine Form, genau gesagt keine Nomenklatur, sondern eine Vorstellung ,, Das sprachliche Zeichen vereinigt in sich nicht einen Namen und eine Sache, sondern eine Vorstellung und ein Lautbild.“ (ebd., S.77) So strebt der Strukturalismus nach einer genauen Beschreibung von Struktur einer Sprache, damit die Funktion verschiedener Bestandteile oder Glieder im System ermittelt wird.
Ebenso wie de SAUSSURE befasst sich die Berliner Schule der Psychologie, die Gestalttheoretiker, mit dem Begriff Struktur. Aber bei diesen Psychologen ist es nicht die Rede von Struktur, sondern von Gestalt . Befürworter dieser Gestalttheorie, und zwar WERTHEIMER, KOFFKA und KOHLER analysieren demzufolge die Gestalt von Gegenständen, indem Zusammenhänge, Einflüsse und Wirkungen zwischen ihrer inneren und äußeren Form gerechtfertigt werden. Beide bedingen sich und bleiben untrennbar. Die Gestalttheoretiker untersuchen auch den Bezug zwischen Gliedern und Ganzen eines Systems, um ihre sich ergebenden Gestalten zu erklären:
Es gibt Zusammenhänge, bei denen nicht, was im Ganzen geschieht, sich daraus herleitet, wie die einzelnen Stücke sind und sich zusammensetzen, sondern umgekehrt, wo –im prägnanten Fall- sich das, was an einem Teil dieses Ganzen geschieht, bestimmt ist von den inneren Strukturgesetzen dieses Ganzen.( Nünning, a.a.O., S.255)
Die Gestalttheorie begründet also, wie die inneren Interaktionen einer Sache ihre äußere Form gestaltet, z.B. den Einfluss von Gesellschaft auf das Verhalten von Menschen und umgekehrt; den Einfluss von Institutionen auf die Gesellschaft, damit jene ihre genaue Stelle nehmen konnte. So ähnelt diese Theorie dem Strukturalismus von SAUSSURE, weil Bezüge zwischen Einzelnen und Ganzen analysiert werden. Das System oder das Ganze bestimmt Form, Stelle und Verhaltensweise des Einzelnen.
Jahrzehnte nach de SAUSSURE und den Gestalttheoretikern meldeten sich die formanalytischen Literaturwissenschaftler. Diese letzteren setzten den linguistischen Strukturalismus in die Literaturwissenschaft um. Hauptvertreter dieses Ansatzes sind Emil STAIGER und Wolfgang KAYSER. Sie gehen davon aus, dass Autor und Gesellschaft keine Rolle bei der Interpretation und Analyse literarischer Werke spielen. Das Werk ist eine Struktur, die aus Erzähler, Erzählzeit, erzählter Zeit, Erzählraum, Personenrede…etc. besteht. Aufgabe des Literaturwissenschaftlers ist es, Bezüge zwischen diesen Elementen zu untersuchen, um ihre Funktion im Textaufbau besser zu veranschaulichen (vgl. Benedikt Jessing u. Ralph Köhnen, 2007, S.292 ff). Es geht um die werkimmanente Interpretation, wo Ganzes und Einzelne des Werkes in Bezug gebracht werden. Diese Methode nennt man den literaturwissenschaftlichen Strukturalismus. Sie hat eben den Poststrukturalismus gründlich beeinflusst.
Der Marxismus oder dialektische Materialismus, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Karl MARX theoretisiert wurde, entwirft auch eine klare Definition des Begriffs Struktur aber dies bezüglich der Gesellschaft. Diese Theorie erklärt, wie alle Lebensbereiche sei es Politik, Bildung, Kirche, Recht, Philosophie, Kunst,…etc. um die Ökonomie kreisen und davon bestimmt werden (ebd ., S.458). Diese Ökonomie, was sie betrifft, liegt der Materie, wo die Menschen ums Überleben kämpfen, zugrunde. Deshalb bestimmen die materiellen Verhältnisse, und zwar den Bau oder das Sein das Bewusstsein, den Geist oder den Überbau dieser Menschen (ebd.). Der dialektische Materialismus strebt also nach der Entstehung einer Gesellschaft, in der nicht nur alle Menschen, sondern auch alle Lebensbereiche und gesellschaftliche Institutionen an gleiche Stelle eingestuft werden: Weshalb seinen Sozialismus oder Kommunismus:
Eine ökonomische Gesellschaftsformation ist eine Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse, die die Menschen in ihrem praktischem Lebensprozeß untereinander eingehen und die geprägt ist durch ein jeweiliges, einem bestimmten Entwicklungsstand der Produktivkräfte entsprechendes System materieller Produktionsverhältnisse, also durch eine bestimmte ökonomische Struktur der Gesellschaft, auf der sich ein ihr entsprechender Überbau von politischen, rechtlichen und anderen Vorstellungen, Beziehungen und Institutionen erhebt. (Georg Klaus u. Manfred Buhr, 1971, S.804)
In Bezug auf diesen dialektischen Materialismus verweist die Struktur auf die Art und Weise, wie Institutionen oder Lebensbereiche, abhängig von der Ökonomie und der Basis, miteinander in Zusammenhang stehen, damit sie ein System bilden können. In diesem System spielt jede Institution eine wichtige Funktion, was sie von den anderen unterscheidet: Die Ökonomie schreibt ihnen also alles vor.
Ziel des oben erklärten Begriffs für die vorliegende Analyse ist es, nachzuweisen, wie der Totalitarismus, d.h. ein totalitäres politisches System seine Gesellschaft strukturiert, wo jede Institution, ihrer inneren Interaktion mit den anderen nach, eine bestimmte Stelle nimmt. Es ist die totalitäre Politik, die diesen Institutionen ihre jeweilige Stelle vorschreibt, damit die ganze Struktur und Funktionierensweise dieser Gesellschaft nicht gestört wird. Deshalb ist die Struktur, wie sie von de SAUSSURE oder von den Gestalttheoretikern definiert und dargestellt wurde, für diese Arbeit in Kauf zu nehmen: Es geht um eine Umsetzung und Anpassung dieses sprachwissenschaftlichen und psychologischen Konzepts an meine Arbeit. Die Bestandteile des Systems verweisen hier auf die Institutionen oder Figuren einer literarisierten Gesellschaft und die Gesellschaft selbst bildet das System oder das Ganze. Aber was dieser Strukturauffassung fehlt, ist die Tatsache, dass sie nur für Sprachwissenschaft einerseits und Psychologie andererseits, aber nicht für die Soziologie, die zum Teil meiner Analyse zugrunde liegt, entworfen wurde. Deshalb ist für mich die marxistische Auffassung der gesellschaftlichen Struktur wertvoller als die erstere. Aber was noch einmal diesem Marxismus für diese Analyse fehlt, ist die Tatsache, dass sie keine Politik, sondern die Ökonomie in Zentrum der Gesellschaft stellt. Im Gegensatz zu diesem dialektischen Materialismus setzt meine Untersuchung die Politik in Zentrum der Gesellschaft. Um diese Politik kreisen alle andere Institutionen: Die erstere bestimmt also die zweiteren.
1.2 Zum Totalitarismus
Der Der Begriff Totalitarismus kommt aus dem Lateinischen totalitarismus und wurde in seiner ganzen Form auf Deutsch übernommen. Er bedeutet das Ganze, die Totalität. Dieser Begriff hat auch italienische Ursprünge und kommt aus den Adjektiven totalitaria oder totalitario, d.h. total, einheitlich. Der Totalitarismus als Konzept wurde oft in vielen Bereichen des Lebens verwendet z.B. in der Gesellschaft für die Bezeichnung von Sachverhalten der Außenwelt. Bezüglich der Politik ist der Begriff Totalitarismus moderner. Der Erste, der ihn in der europäischen Geschichte verwendet hat, ist der damalige Duce2 von Italien, Benito MUSSOLINI ,, Der Begriff ,totalitär‘ wird erstmals 1925 von Mussolini selbst gebraucht, der zur Kennzeichnung der von ihm geführten faschistischen Bewegung von ihren ‹wilden ( schrecklichen) totalitären Willen› spricht (feroce volontà totalitaria) (Hans-Joachim Lieber, 1993, S.894) .
Als sein Wortführer, Giovanni GENTILE diesen Begriff gebrauchte, wollte er damit meinen, dass Italien ein totalitärer Staat sei: Sein politisches System wäre der Faschismus. Er rechtfertigte also den Faschismus in Italien vor dem Zweiten Weltkrieg und bezeichnete Italien dieser Zeit als ein stato totalitario, wo der allmächtigste Staat alles für seine Bürger übernimmt, ohne ihre Meinung in Kauf zu nehmen . Der Faschismus seiner Meinung nach:
…ist für die einzige Freiheit, die ernst genommen werden kann, nämlich für die Freiheit des Staates und des Individuums im Staate. Denn es liegt für den Faschismus alles im Staate beschlossen. Nichts Menschliches und Geistiges besteht an sich, noch weniger besitzt dieses irgendeinen Wert außerhalb des Staates. In diesem Sinne ist der Faschismus totalitär, und der faschistische Staat als Zusammenfassung und Vereinigung aller Werte des ganzen Volkes, seine Deutung, bringt es zur Entfaltung und befähigt es –außerhalb des Staates darf es keine [Organisation] noch Gruppen (politische Parteien. Vereine, Syndikate und Klassen) geben. (Gentile, 1936 , S.209f)
Dem Faschismus zufolge, verweist der Totalitarismus auf die zugespitzte Verstaatung der Politik, wo alle Bürger bzw. Staatsangehörige für den Staat arbeiten und handeln ,, In seinem faschistischen Gebrauch bezeichnet der Begriff [Totalitarismus] den uneingeschränkten politischen Voluntarismus sowie einen zugespitzten Etatismus.“ (Christiana Christova, 2005, S.12 )
Aber politikwissenschaftlich gesehen, ist der Faschismus trotzt seiner scheinbaren diktatorischen Charakteristiken kein Totalitarismus. Er ist vielmehr autoritär als totalitär, aber an sich liegen die Spuren des Totalitarismus:
Wenn also behauptet werden kann, dass die Realität des Faschismus eine Einordnung eher unter dem Typus autoritärer als totalitärerer Herrschaft rechtfertigen würde, so ist es dagegen festzustellen nicht nur der bis zu Ende aufrecht erhaltene verbale Anspruch des Regimes auf totale Erfassung und Identifikation aller, Volksgenossen´(und die dazu verwendete Apparatur der Propaganda und des Terrors), sondern auch gerade das Fehlen einer auf Rationalität und Stabilität zielende Ideologie[…] So gesehen wäre dem Faschismus eine Verschärfung der totalitären Tendenz immanent. (Axel Görlitz, 1973, S.456 )
Dieses Zitat gibt hebt hervor, dass der Totalitarismus kein Faschismus ist, aber der Faschismus kann zum Totalitarismus führen. Der Totalitarismus ist darüber hinaus weder den Absolutismus, wo die Macht der Herrschenden als naturgegeben betrachtet wird: So war es z.B. der Fall des mittelalterlichen Europa; noch den Anarchismus, wo trotzt des vorhandenen Friedens es kein(e) Herrschaft und Herrschender gibt. Totalitarismus ist auch von der Demokratie klarer zu unterscheiden, die dem Volk alle Mächte zur Selbstbestimmung verleiht. Der Totalitarismus ist, um präzise zu sein, ein ,, Phänomen der pervertierten Massendemokraten im zwanzigsten Jahrhundert, gekennzeichnet durch den Primat einer von Ideologie angetriebenen Politik über die sozialen Kräfte.“ (Martin Malia, 1973, S. 120-130, 1995, hier S.126) Die Brockhaus Enzyklopädie ihrerseits bestimmt den Totalitarismus als das Prinzip derjenigen politischen Herrschaft, die einen uneingeschränkten Verfügungsanspruch über die von ihr Beherrschten stelle, also auch über Selbstverständnis und Gewissen jedes Einzelnen (vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 1973, S.775). Die europäische Geschichte hat bis jetzt nur zwei Varianten von Totalitarismus, ohne wie schon erwähnt, den italienischen Faschismus in Kauf zu nehmen, erlebt. Es geht unter anderen um den damaligen stalinistischen Kommunismus und den Nationalsozialismus: „ ...jene[r] Totalitarismusvariante,[stellen von mir hervorgehoben ] Nationalsozialismus und Kommunismus als wesensgleich [ dar ]…“ ( Reinhard Kühl, 1972, S.7-22, hier S.7 ) In diesem Zusammenhang betont GREIFFENHAGEN:
Beschränkt man den Totalitarismus auf die Regimenlehre und hält man sich dabei […], so folgt daraus, daß der Totalitarismusbegriff auf den Nationalsozialismus nur bedingt zutrifft… daß er auf die stalinistische Phase des › demokratischen Stalinismus‹ paßt…( Greiffenhagen, 1972, S.23-60, hier S.50)
Dieser Politikwissenschaftler unterscheidet danach fünf Bedeutungen von Totalitarismus. Es geht unter anderen um: Erstens den Totalitarismus als ein historisch durchgängiger Typ extrem autokratischer Herrschaft; Zweitens den Totalitarismus als Gnosis, d.h. Wissen; Drittens den Totalitarismus als Machiavellismus; Viertens Totalitarismus als Rousseauismus: es geht um eine totalitäre Demokratie; Und fünftens den Totalitarismus als Phänomen des 20. Jahrhunderts (vgl. ebd., S. 23ff).
Als politisches System ist der Totalitarismus, wie schon angedeutet, moderner. Einige Politikwissenschaftler sind der Meinung, dass er die Folge der Französischen Revolution wäre. Die oft in dieser Revolution gewürdigten Menschrechte wurden nicht richtig verstanden. Der Totalitarismus sei demzufolge ein Beweis und Symptom der Krise modernen Subjekts, weil die Menschenrechte, die damals eine Utopie wären, zu einer Aporie geführt hätten (vgl., Hannah Arendt, 1986, S.945). In diesem Zeitraum erkrankte der Mensch von einer Pathologie (Christova, a.a.O., S.29). Hannah ARENDT zufolge ist also der Totalitarismus die Folge der menschlichen Evolution, die einen Bruch der Tradition verursacht habe. Er ist eine Ausnahme in der europäischen Geschichte, die bisher so ein schrekenhaftes politisches System nie erlebt hätte. Der Totalitarismus sei jenes politisches System, wo Diktatur, Verbrechen, Despotismus, Terror, Tyrannei zusammenfassend das extremste Böse zugespitzt werde, und es fehle eben an Worten, damit dieses politische Regime genau charakterisiert werde.(vgl., Arendt, a.a.O., S.898) In ihrem Werk Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, Totalitarismus untersucht diese Politikwissenschaftlerin die Merkmale einer totalitäreren Herrschaft. Wie schon erwähnt, vertritt sie auch die Meinung, dass die europäische Geschichte bisher nur zwei Grundformen von Totalitarismus erlebt habe, und zwar Nationalsozialismus und stalinistischen Kommunismus. Diese beiden Regime werden von ihr ausführlich analysiert und die Charakteristiken des Nationalsozialismus werden auf den Stalinismus übertragen. (vgl., ebd., S.26) Wichtig hervorzuheben ist es, dass ARENDT die erste Politikwissenschaftlerin ist, die sich systematisch mit diesem Begriff auseinandergesetzt hat.
Der Totalitarismus hat viele Merkmale: Darunter zählt den Tod und Ermorderung von Millionen Menschen, die anders als das System denken und handeln: Es entsteht eine Freund-Feind-Beziehung, wo alle Andersdenkende sofort identifiziert und vernichtet werden. Solche Ermorderungen werden eben von den Politikern dieses Systems als natürlich und notwendig legitimiert. Für Mörder gilt der Tod als Lösung, weil er ihnen dazu dient, sich von ihren Gegnern zu befreien, was für sie ganz normal ist:
Die Todesstrafe wird absurd, wenn es (sie) [von mir hervorgehoben] nicht mit Mördern zu tun hat, die (nicht) [von mir hervorgehoben] wissen, was Mord ist, sondern mit Bevölkerungspolitikern, die den Millionenmord so organisieren, daß alle Beteiligten subjektiv unschuldig sind: die Ermordeten, weil sie sich gegen das Regime vergangen haben, und die Mörder, weil sie keineswegs aus mörderischen Motiven handeln. (ebd., S.945)
Die Machtergreifung eines Führers, der wahrscheinlich den Willen des Volks verkörpert, gilt auch als ein anderer Grundzug des Totalitarismus: STALIN in Russland und HITLER in Deutschland. Das von dem Führer vorgefundene politische System erweist sich für das Volk als inkompetent, weil es seine Identität verliert und die Durchsetzung eines totalitären Regimes scheint notwendig zu sein, sodass der Führer an der Macht willkommen ist. Aber als er die Macht angegriffen hat, kämpft er nicht mehr für das Volk, sondern vertritt eigene Interessen, und das Volk soll darunter leiden ,,Die Führer der totalitären Bewegung aber[…] verspürten, als sie an die Macht gekommen waren, keinerlei Bedürfnis, sich zu Repräsentanten der Gruppe zu achten, aus der sie kamen; sie gebärdeten sich als Vertreter irgendwelcher Interessen.“ (ebd., S.720) In diesem Zusammenhang hebt Hans FREYER hervor:
Volk wird vor allem dadurch integriert, daß ein Führer da ist, auf dessen Person alle einzelne Volksgenossen durch eine geheime Linie gezogen sind, dessen Wille auf alle ausstrahlt, dessen Bild die ganze Jugend prägt. Der Glaube an den Führer bedeutet vielmehr, als daß in ihm die Einheit des Volkes repräsentiert wird. Sie bedeutete, daß das geschichtliche Schicksal des Volkes zur Person geworden ist. Ein Volk ohne Führer läuft gleichsam breit; höchstens, daß es sich in Stunden äußerster Gefahr zu einer heroistischen Anstrengung rafft. (Hans Freyer, 1934, S.1-19, hier S.1)
Der Führer bildet das Volk, orientiert es und bleibt die Verwirklichung seines Willen und Wunsches.
Ein weiteres Merkmal des Totalitarismus ist die Normbestimmung durch die einzig herrschende und erlaubte politische Partei, weil alle andere vernichtet werden. Diese herrschende Partei bedient sich aller Institutionen, um ihre Macht durchzusetzen: NSDAP in Deutschland und die kommunistische Partei in Russland. Die in der Gesellschaft vorhandenen Institutionen sind Werkzeuge dieser einzigen Parteien. Die ersteren müssen sich an die letzteren fügen:
Träger des totalitären Verfügungsanspruchs ist nicht der Staat, sondern die herrschende Weltanschauungspartei (Bewegung) oder der seine Herrschaft ideologisch legitimierende und für alle verbindlich erklärende Machthaber. Dem gegenüber stellen die Institutionen […]nur ein[…]Instrument des Regimes dar. Dies kann seinen Willen ebenso gut durch Maßnahmen in außernormativen Bereich verwirklichen. ( Brockhaus Enzyklopädie, a.a.O., S.776)
Wenn die herrschende Partei sich als einzig schon legitimiert hat, werden alle Institutionen gleichgeschaltet, damit sie den Willen der herrschenden Ideologie dienen. So war es der Fall Deutschland zurzeit der nationalsozialistischen Herrschaft oder in Russland zurzeit des Stalinismus:
Phänomene des Nationalsozialismus in Deutschland [ oder des Bolschewismus in der UdSSR] wie Zerschlagung der Parteienpluralität und der freien, organisierten Interessenvertretungen legal konkurrierender gesellschaftlicher Gruppen, die politische Gleichschaltung gesellschaftlicher Differenziertheit, von Kunst, Kultur und Wissenschaft, von Presse und Film im Namen einer einheitlichen Ideologie, die Reduzierung politischen Denkens und Handelns auf das Orientierungsmuster einer primitiven Freund-Feind-Alternative - dies und vieles andere schien geradezu auf neuen erklärenden Begriff in der politischen Theorie hinzudrängen. (Lieber, a.a.O., S.881)
Die Gesellschaft wird also uniformiert, sodass die Bürger sich gleichermaßen verhalten sollen. Für diejenigen, die sich daran nicht fügen lassen, entstehen Deportationen, Denunziationen, gnadenlose Verfolgungen…etc. (ebd. S.882) Deshalb wurden Konzentrationslager in Deutschland zurzeit des Nationalsozialismus gegründet. Juden ebenso wie Leute, die gegen Hitler kämpften wurden vergast und getötet und als Untermenschen oder Tiere wahrgenommen. Ihretwegen erfand man Stereotype. Man hebt hervor, dass sie sich von den Anhängern der Heldenrasse viel unterscheiden. Sie stellten eine Gefahr für die Arier dar und müssen demzufolge ermordet werden:
Und daraus folgt im gegebenen Fall der Wunsch, diese Unterschiede aus der Welt zu schaffen. Den für einen Rassisten von Typus Hitler ist der Mensch, der sich […] von mir unterscheidet, kein wirklicher Mensch, sondern ein Bastard –eine Mischung zwischen Tier und Mensch- kurz ein Tier. Ich habe also das Recht, ihn zu töten, wenn es mir paßt;( ebd., S.882)
Die Politisierung von Wissenschaft und Bildung ist darüber hinaus dem Totalitarismus eigen. Hier wird das eigene Volk als die beste im Laufe der Geschichte gewürdigt. Eine Geschichte, die umgeschrieben wird. Das Heldentum des eigenen Volks wird angepriesen. Die herrschende Partei versucht damit, sich zu legitimieren. Die Wissenschaft wird zu einem Instrument, mit dem die Herrschenden seinen Wahrheitsanspruch rechtfertigt. Sie begründen also, dass die Geschichte sie verheißen habe, eines Tages zu herrschen: Sie habe sie eben vorher verkündet (Lieber, a.a.O., S.882). Deshalb wurde die deutsche Wissenschaft der Nationalsozialisten von der Welt abgekapselt, damit die einstigen Deutschen nur an der NS-Ideologie glauben (Gerhard Helbig, 1970, S.34). Die Propaganda bleibt eben ein großes Mittel zur Durchsetzung von Totalitarismus, weil die herrschende Gruppe sich die Medien aneignet, womit sie alltäglich um ihre Normen und Ideologie wirbt. Die Propaganda der Nationalsozialisten wurde von dem Dr. Joseph GOEBBEL geführt. Der stalinistische Kommunismus hatte oft eine. Diese Propaganda ist oft terroristisch ausgerichtet, sodass die Massen davon stark beeinflusst werden und keinen Willen noch erfühlt, sich gegen das System zu revoltieren. Eine solche Propaganda steuert den Terror und diskreditiert, verachtet oder verleumdet die Andersdenkenden: Sie ist eine Säule für Totalitarismus:
Der Terror sorgt dafür, daß die Massen von solchen Schädlingen nicht beeinflusst werden und daß die Untauglichen liquidiert werden. Auf diese Weise ist dann die brutale und vorsätzliche Gewalttätigkeit des totalen Terrors für die totale Bewegung immer[durch die Medien] gerechtfertigt. (Karl Friedrich, 1957, S.128)
Alle diese Merkmale waren in dem Stalinismus und in dem Nationalsozialismus vorhanden. Im Laufe der Zeit hat der Begriff Totalitarismus eine andere Bedeutung übernommen. Er wurde heute in die Industriegesellschaft umgesetzt. In dieser Gesellschaft werden oft die Bürger zum Konsum gezwungen. (vgl. Brockhaus Enzyklopädie, a.a.O., S.776)
Diese Bestimmung von Totalitarismus gibt zu verstehen, dass so ein politisches System die Menschenfreiheiten abschafft im Gegensatz zu autoritären Regimen, wo diese Freiheiten abgegrenzt werden. Deshalb nehme ich in meiner Analyse nur den Totalitarismus in Kauf. Aber da es zwei Varianten von Totalitarismus, und zwar den sowjetischen und deutschen gibt, wird meine Arbeit vornehmlich den deutschen Totalitarismus, nämlich den Nationalsozialismus in Betracht ziehen. Italienischer Faschismus und russischer Kommunismus sind für das bessere Verständnis meiner Untersuchung von zweiter Bedeutung.
1.3 Zum Begriff Gesellschaft
Das Substantiv Gesellschaft kommt aus dem Verb gesell en, was heißt: sich jemandem anschließen, mit ihm gehen (Wahrig, 1978, S.346) und dem Adjektiv gesell ig d.h. gesellschaftsliebend, suchend, sich gern unter Menschen aufhaltend (ebd.) . So ist es kein Wunder, dass diejenigen Individuen, Menschen oder Tiere, die genau wissen, wie man mit anderen umgeht, als gesellig charakterisiert werden. Der Engländer FERGUSON ist der erste, der der Begriff Gesellschaft im Jahre 1767 gebraucht hat, indem er von der civil society, d.h. bürgerlicher Gesellschaft sprach (vgl. Wilhelm Bernsdorf, 1975, S.287).
[...]
1 In dieser Arbeit gebrauche ich die Auflage, die 1994 bei dem Verlag Suhrkamp veröffentlicht worden ist.
2 Das ist ein italienisches Wort. Auf Deutsch bedeutet es Führer. Dieses Wort spricht man [Du:∫e ] aus.
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- Mr. Ngoa Belibi (Autor:in), 2016, Zur Struktur einer totalitären Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/489023
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