Das Motiv der Liebestrennung in den Tristanromanen Eilharts und Gottfrieds


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2005

94 Páginas, Calificación: 2,3 (gut)


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Der Tristanstoff
1.2 ‚Version courtoise’ und ‚Version commune’
1.3 Zur Minnekonzeption
1.4 Thema der Arbeit und Vorgehensweise
1.5 Textauswahl
1.6 Forschungsstand

2. Die Trennung der Liebenden
2.1 Literarische Bedeutung der Trennung der Liebenden
2.2 Die Abschiedsszene bei Eilhart und Gottfried
2.2.1 Tristans Abschiedsrede
2.2.2 Isoldes Abschiedsmonolog
2.3 Das Leben der Liebenden während der Trennung
2.3.1 Tristan auf der Flucht vor sich selbst
2.3.2 Isolde I – Tristans Geliebte
2.3.3 Isolde II – Tristans Ehefrau in Eilharts ’Tristan’ im Kontrast zu Isolde I
2.3.3.1 Die erste Begegnung von Tristan und Isolde II
2.3.3.2 Die Heirat von Tristan und Isolde II
2.3.3.3 Isolde I im Vergleich zu Isolde II
2.3.3.4 Tristan und Isolde I im Streit
2.3.3.5 Die Versöhnung
2.3.3.6 Tristans Abenteuer im ‚Minnedienst’
2.3.3.7 Tristans Kampf gegen Graf Riol und die Folgen
2.3.3.8 Tristans Beihilfe zum Ehebruch
2.3.3.9 Isolde II trifft auf Isolde I
2.3.4 Isolde Weißhand – Tristans Versuchung in Gottfrieds ‚Tristan’
2.3.4.1 Tristans erste Begegnung mit Isolde Weißhand
2.3.4.2 Isolde Weißhand als Liebesersatz
2.3.4.3 Tristans Zerrissenheit
2.3.4.4 Tristans Rechtfertigungsversuche

3. Das Ende der Erzählung
3.1 Bei Eilhart
3.2 Bei Gottfried
3.2.1 Gottfrieds ‚Tristan’ als Fragment?
3.2.2 Mögliche Fortsetzungen

4. Die Schuldfrage
4.1 Die Schuldfrage bei Eilhart
4.2 Die Schuldfrage bei Gottfried

5. Eilhart und Gottfried – ein Vergleich
5.1. Die Minnekonzeption
5.2 ‚Version courtoise’ oder ‚Version commune’
5.3 Gottfrieds tiefgreifendere Analyse
5.4 König Marke und die Gesellschaft als Anti-Tristrant
5.5 Zur gegenseitigen Beeinflussung der Autoren

6. Zusammenfassung

Literaturliste

Anhang

1. Einleitung

Gegenstand der vorliegenden Examensarbeit ist die Liebestrennung in den Tristanromanen Eilharts von Oberg und Gottfrieds von Straßburg. Dieses Motiv ist ein im 12. Jahrhundert weit verbreitetes Thema der Minne- und Abenteuerromane, „die auf eine höchst variable Art und Weise von Liebesglück und Liebesleid erzählen, von Trennung und Wiedervereinigung der Liebenden“[1]. Die Liebenden werden aus unterschiedlichen Gründen voneinander getrennt und müssen nun beweisen, dass ihre Liebe auch über die Distanz von Bedeutung ist.

1.1 Der Tristanstoff

In den Tristanerzählungen, deren Ursprünge offenbar allesamt „direkt oder indirekt auf ein und dasselbe, allerdings nicht überlieferte Werk […], die Estoire“[2] zurückgehen, spielt die Trennung der Liebenden eine zentrale Rolle. Insbesondere im 12. und 13. Jahrhundert erfreute sich der Tristan-Stoff großer Beliebtheit. Es war die Zeit „des einsetzenden geistigen Umbruchs“[3], der Mensch hatte sich als Individuum aus der Gesellschaft hervorgehoben. In der Literatur wurde sich dabei häufig der Minnethematik bedient, um „die Entdeckung des Individuums, des einzelnen Menschen in seiner Einzigartigkeit“[4] darzustellen. Eine Betonung des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft führt zwangsläufig zu Konflikten, die in der höfischen Literatur häufig durch „die Suche nach einem Ausgleich“[5] verhindert werden sollten. Der Tristan-Stoff wurde jedoch dazu verwendet, „die Rebellion gegen die Zwänge des frühen Patriarchats“[6] auszudrücken, statt den Konflikt zu verklären. Die Thematik des Ehebruchs eignete sich dabei besonders, die Probleme zwischen Individuum und Gesellschaft darzustellen. Der Ehebruch, aber auch die damit verbundenen Folgen, führen die Figuren immer wieder in Situationen, in denen sie sich zwischen Individuum und Gesellschaft entscheiden müssen. Je nach Überlieferungslinie kommt es jedoch zu einer Akzentverschiebung mit unterschiedlicher Gewichtung von Individuum und Gesellschaft.

1.2 ‚Version courtoise’ und ‚Version commune’

Die Tristan-Forschung unterscheidet zwei Überlieferungslinien: die ‚Version commune’ – auch als ‚Spielmannsversion’[7] bezeichnet – und die ‚Version courtoise’ oder ‚höfische Fassung’[8].

Während die ‚Version commune’, deren ältester Vertreter die um 1190 entstandene Tristan-Fassung des Béroul darstellt, die Gesellschaft und die Ehre in den Vordergrund rückt, setzt sich die ‚Version courtoise’ mit der Gesellschaft auseinander und preist die Liebe als „höchstes Gut“[9]. Horst Brunner kennzeichnet die ‚Version commune’ als unkritische Fassung, „in der der Stoff mit mancherlei unhöfischen Zügen, mit Unwahrscheinlichkeiten und mit eher distanzierter Beurteilung der Liebe zwischen Tristan und Isolde gestaltet wird“[10]. In der ‚Version courtoise’ dagegen „wird der Stoff in höfischer Manier gestaltet, Unwahrscheinlichkeiten und Archaismen sind beseitigt, die Liebe wird psychologisiert und positiv beurteilt“[11]. In diesem Zusammenhang steht auch die zeitliche Begrenzung des Liebestrankes. Die ‚unhöfischen’ Tristanerzählungen schränken die Dauer des Liebestrankes ein, um im zweiten Teil die recht minne (E 5193)[12], die „Minne als Tugend“[13], der durch den Trank verschuldeten zwanghaften Minne entgegen zu setzen. Die Funktion des Zaubertrankes ist es dabei, die Schuld der Liebenden zu mindern: Es ist die enorme Kraft des Trunks, die die Protagonisten zu unehrenhaftem Verhalten verführt und so „die Spannung zwischen Hof und Herz“[14] zum Ausdruck bringt. Des Weiteren soll durch die befristete Dauer des Liebestrankes das Wesen der Liebe beschrieben werden: „Auch sie unterliegt der Zeitlichkeit, ihr ist ein Termin gesetzt, wo sie entweder aufhört oder sich verwandelt“[15]. Bei den höfischen Fassungen wirkt der Trunk dagegen unbegrenzt, die symbolische Funktion wird aufgehoben.

Gottfrieds von Straßburg ‚Tristan’ wird in der Forschung einheitlich den höfischen Bearbeitungen zugeordnet[16], genauso wie das Werk des Thomas von Britannien, die Hauptquelle, auf die sich Gottfried von Straßburg beruft (G 150). Dagmar Mikasch-Köthner erklärt sich die enge Orientierung Gottfrieds an Thomas damit, dass dieser nach seiner „Auffassung als einziger die in dem Stoff angelegten Wahrheiten erkannt und umzusetzen verstanden“[17] hat.

Die Position von Eilharts ‚Tristan’ ist dagegen unklar. Einerseits weist er zwar Merkmale der ‚Version commune’ auf, so besitzt sein Liebestrank eine begrenzte Dauer von nur vier Jahren, nach deren Ablauf die Wirkung nachlässt. Bereits eine Woche des Getrenntseins der Liebenden würde zum Tode führen (E 2401-2405). Zudem wird die Liebesgemeinschaft beim Waldleben der „erlittenen Mühsal“[18] untergeordnet; Eilhart beschreibt das unbequeme Waldleben realistischer als Gottfried, der vor allem das harmonische Zusammenleben des Liebespaares veranschaulichen möchte[19]. Andererseits setzt Eilhart sich intensiv mit der Minnethematik auseinander, so dass er eine Art Mittelstellung zwischen ‚Version commune’ und ‚Version courtoise’ einzunehmen scheint. Mikasch-Köthner[20], ähnlich wie Horst Brunner[21], begründet diesen Umstand zudem mit der zeitlichen Einordnung von Eilharts Tristanroman. Sie sieht seine Dichtung zwischen vorhöfischen Texten, zu denen sie unter anderem die Tristanbearbeitung des Thomas von Britannien zuordnet, und den höfischen Entwicklungen, zunächst geprägt durch Chrétien de Troyes. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass die zeitliche Einordnung dieser Romane in der Forschung kontrovers diskutiert wird[22].

1.3 Zur Minnekonzeption

In engem Zusammenhang mit der Zuordnung von höfischer und unhöfischer Bearbeitung steht die Frage nach der Minnekonzeption.

1.3.1 Die Minnekonzeption bei Eilhart

So lässt sich Eilharts Mittelstellung auch bei der Gestaltung des Konfliktes zwischen Liebe und Ehe aufzeigen. Zumindest laut Buschinger und Spiewok verrät die Minnekonzeption seiner Tristan-Erzählung, dass er sich „im Zwiespalt zwischen dem Angebot des Stoffes, sich für das Recht des Individuums im Sinne freier Liebeswahl und gegen die Gesellschaftsmoral zu entscheiden, und eigenen ethischen wie religiösen Grundüberzeugungen, die ihn zur Verurteilung der Ehebruch-Liebe und zur Wahrung gesellschaftlich-religiöser Normen drängten“[23], befindet. Während in den meisten Tristan-Fassungen Gott durch einen zweideutigen Eid zum Helfer des Liebespaares wird, hat Eilhart diesen Teil durch die Episode des aussätzigen Herzogs (E 4427-4475) umgangen. Möglicherweise lässt sich das Meiden des Gottesurteils durch das orthodox-religiös geprägte Publikum erklären, das den Eid als Blasphemie empfunden hätte. Genauso wahrscheinlich ist allerdings die Theorie, dass Eilharts eigene Einstellung unvereinbar war mit göttlichem Beistand bei einem Ehebruch[24]. Auch Mikasch-Köthner spricht Eilhart eine Mittelstellung zu. So „scheint sein [Eilharts] Werk zum einen durch die Tendenz der Abmilderung eines vom moralischen Standpunkt problematischen Geschehens gekennzeichnet zu sein“, zum anderen jedoch – durch das Nachlassen der Trankwirkung – entwirft er „eine Minnekonzeption, die auf den Begriffen Freiwilligkeit, Gegenseitigkeit, staete beruhend, einerseits der des höfischen Romans vorzugreifen, andererseits dem absoluten Streben des Individuums nach Selbstverwirklichung in der Liebe eine ethisch-moralische Legitimierung zu geben scheint“[25].

Insbesondere beim Liebestrank, der eine Zäsur innerhalb der Geschichte darstellt, macht sich Eilharts abmildernde Tendenz bemerkbar. Der erste Teil ist geprägt durch den Liebestrank und „die unbesonnene Liebe, die blinde Leidenschaft, die er hervorruft“[26]. Der Trank soll verdeutlichen, dass „die Minne etwas von außen Kommendes, rein Physisches ist“[27]. So steht weniger die Minne im Mittelpunkt der Treffen sondern vielmehr die sexuelle Befriedigung. Das Handeln der Liebenden ist dabei durch den Liebestrank geleitet, was – wie Mergell[28] zurecht festgestellt hat – Eilhart seinem Publikum immer wieder in Erinnerung rufen möchte: der gar unselig tranck/ hett eß dar zu braucht (E 2969f). Dennoch kann er sich hin und wieder nicht zurückhalten, seine eigene Abneigung gegen Ehebruch zu äußern: der lischt ward dar umb erdaucht,/ daß sie den kúng so betröge/ und im ir hurentum verzúge (E 2854-2856). Zu vermerken bleibt allerdings, dass der Vorwurf in der Handschrift D[29] weniger schwerwiegend ausfällt. Hier wird Isolde lediglich vorgeworfen, die List angewendet zu haben, um ihre Jungfräulichkeit (maituom) vorzutäuschen. Nichtsdestotrotz macht sich auch hier Eilharts Monitum bemerkbar.

In der Waldleben-Episode können die Liebenden zwar ungestört vom Hof ihrer Liebe nachgehen, doch fehlt der gesellschaftliche Aspekt. Sie müssen auf die Bequemlichkeiten, die der königliche Hof bietet, verzichten, so dass sie sich schließlich dafür entscheiden, an den Hof zurückzukehren. Die beiden Liebenden ziehen eine Trennung dem Waldleben außerhalb der Gesellschaft vor. Auf diese Weise wird im ersten Teil der Konflikt zwischen Liebe und Gesellschaft dargestellt. Die Gesellschaft behindert das Zusammenkommen der Liebenden, so dass diese sich einer List bedienen müssen, um den durch den Liebestrank verursachten Zwängen gerecht zu werden. Doch ein Leben ohne Gesellschaft ist, wie die Waldleben-Episode veranschaulicht, genauso undenkbar.

Der zweite Teil ist durch die nachlassende Wirkung des Liebestrankes sowie die Herausbildung der Helden als Individuen in der Gesellschaft gekennzeichnet. Das Liebespaar befinden sich nicht mehr unter einem Zwang, „so dass es den Liebenden möglich wird, ohne Gefährdung für Gesundheit oder gar Leben voneinander Abschied zu nehmen“[30]. Dennoch kommt es zu mehreren Wiederkehrabenteuern des Geliebten, was vermuten lässt, dass sich Tristan und Isolde auch ohne Trank lieben – allerdings mit dem Unterschied, dass es nun auf freiwilliger Basis geschieht. Buschinger und Spiewok sind – insbesondere den zweiten Teil betreffend – der Meinung, „daß Eilhart die revolutionierenden Potenzen des Stoffs zur Wirkung bringen wollte“[31]. Kurt Ruh bezeichnet den im Werk enthaltenen Dualismus zwischen Minnerecht und feudalen Wertmaßstäben als „doppelte Wahrheit“[32]. So werden einerseits die Liebenden aufgrund der Macht der Minne weiterhin als unschuldig und als ehrbare Personen dargestellt, andererseits wird der Ehebruch verurteilt und Markes Bemühen um Aufdeckung als verständlich dargestellt. Eilhart versucht nach der Meinung von Mikasch-Köthner zwar, die beiden Positionen einander anzunähern, „doch setzt sich spätestens vom Nachlassen der Trankwirkung an die von der ‚Geschichte’ proklamierte Wahrheit eines individuellen Rechts auf Liebeserfüllung gegenüber der in den Erzählkommentaren vorgenommenen auf eine Vermittlung zielende Deutung des Geschehens durch“[33]. Die Liebe wird im zweiten Teil des Romans zu einer „vervollkommnenden Kraft“, da in ihr nach dem Wegfall des Zwanges „die Möglichkeit innewohnt, den Menschen zu Tugenden hinzuführen“[34]. Bereits im Prolog verrät Eilhart, dass er von warheit und von minnen (E 58) berichtet. Erkennt man darin die Stilfigur des Hendiadyon, so bedeutet es, dass von der ‚wahren minne’ die Rede sein wird[35] – eine Vorausdeutung auf seine Liebeskonzeption. Beim Abschied der Geliebten nach dem Waldleben erwähnt Tristan ebenfalls die recht minne (E 5193) und stellt sie dabei der ehelichen Beziehung Isoldes zu Marke entgegen.

1.3.2 Die Minnekonzeption bei Gottfried

Auch Gottfrieds Minnekonzeption sieht sich im Dilemma zwischen Liebe und Gesellschaft, unterscheidet „den rein höfischen Bereich und den der eigentlichen Liebessphäre“[36]. Xenja von Ertzdorff unterscheidet die „antinomische Liebe“ von der höfischen „Harmonie-Liebe“[37]. So sind Tristan und Isolde stets darum bemüht, innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung durch List ihre Sehnsucht nach dem Partner zu stillen. Der Hof Markes wird zwar gedemütigt, doch „auch die Liebenden erkennen die höfische Welt als gültige Ordnung an, und sie halten in einer für uns irritierenden Weise an ihren gesellschaftlichen Rollen fest“[38]. Des Weiteren ist Gottfried offenbar davon überzeugt, dass Liebe und Leid untrennbar zusammen gehören. „Diese antinomische Liebe, in der sich Schmerzerfahrung und Glückserfahrung verbinden und gegenseitig steigern, zeichnet nach Gottfried die edelen herzen aus“[39]. Eine Zusammenfassung seiner Minnekonzeption lässt sich bereits im Prolog finden: liep unde leit diu wâren ie/ an minnen ungescheiden./ man muoz mit diesen beiden/ êre unde lop erwerben/ oder âne sî verderben (G 206-210). Für Gottfried gehören also Liebe, Leid, Ehre und Tugend untrennbar zusammen, und seine Protagonisten streben nach dieser Einheit. Aus diesem Grunde geben die Liebenden bei Gottfried das Leben in der Minnegrotte zu Gunsten der Ehre wieder auf. Trotz unbegrenzter Dauer des Liebestrankes bei Gottfried lässt sich sein Roman ebenfalls in zwei Teile gliedern. Im Anschluss an die Baumgartenszene trennen sich die vom Ehemann ertappten Geliebten, um nicht von diesem getötet zu werden. Während sie bislang „gemeinsam ihren Tiefen- und Höhenweg gegangen“[40] sind, müssen sie nun ihre Liebe auch in der Trennung unter Beweis stellen. Dies führt dazu, dass Gottfrieds Tristanroman „nicht mehr bloß Ort der Liebe, sondern auch Ort der Lehre vom rechten Leben“[41] ist. Nichtsdestotrotz ist die Tristanliebe „ein letztes, nie völlig zu erreichendes Hochziel, auf das alles Denken und Trachten des Dichters gerichtet ist, dem Tristan aber nur nach und nach näher zu kommen vermag“[42].

Letztlich scheinen sich beide Minnekonzeptionen mit dem Konflikt „zwischen einer ausgesprochenen leidenschaftlichen Liebe, die magischen Charakter hat, und einer sozialen Ordnung“[43] auseinanderzusetzen. Doch eröffnet sich dabei die Schwierigkeit, wie das Liebespaar innerhalb der Gesellschaft die eben angesprochenen individuellen Entwicklungen vollziehen soll: „Without honor in the world a man cannot be a perfect lover, but without love a man is not a complete knight“[44]. Mikasch-Köthner[45] zufolge ist der Tod der einzige Ausweg für die Liebenden.

1.4 Thema der Arbeit und Vorgehensweise

In Anbetracht dieses Hintergrundes scheint ein Vergleich der Tristanromane Eilharts von Oberg und Gottfrieds von Straßburg äußerst reizvoll.

Eilharts Fassung ist die „einzig vollständige epische Fassung des 12. Jahrhunderts und zudem der einzige Textzeuge, mit dessen Hilfe die verlorene altfranzösische versepische Urfassung zurück gewonnen werden kann“[46]. Ihr kommt daher eine große Bedeutung in der ‚Tristan’-Überlieferung zu. Gleichzeitig steht jedoch sein Roman „immer schon […] im Schatten des nach Inhalt wie nach formgestalterischer Leistung weit reiferen Fragmentes Gottfrieds von Straßburg“[47], so dass sich ein Vergleich der beiden Werke anbietet. Ein weiteres Argument ist – wie bereits erwähnt wurde – „die relative Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Werke voneinander“[48]. Während die ‚Estoire’ bei Eilhart als Quelle diente, geht Gottfrieds ‚Tristan’ überwiegend auf Thomas von Britannien zurück, so dass – laut Mikasch-Köthner[49] – keine direkte Verbindung zwischen den Autoren besteht. Der Umstand der unterschiedlichen Quellen beeinflusste zudem die jeweiligen Minnekonzeptionen, so dass auch in dieser Hinsicht ein Vergleich der beiden Texte gerechtfertigt ist. Die unterschiedliche Zuordnung der Tristan-Fassungen in ‚Version courtoise’ und ‚Version commune’ stützen diese Argumentation.

Aufgabe dieser Arbeit wird es sein, das Motiv der Liebestrennung innerhalb der beiden Werke im Hinblick auf die Gesamtkonzeption zu analysieren und einen Vergleich anzustellen. Besonders von Interesse wird dabei die Frage sein, inwiefern sich die höfische Dichtung Gottfrieds „ insbesondere im Hinblick auf die zentrale Problematik des Konfliktes zwischen dem nach Erfüllung eines absoluten Glücksanspruchs in der Liebe strebenden Individuum und der sozialen Bedingtheit menschlicher Existenz“[50] von Eilharts angeblich vorhöfisch geprägter Dichtung unterscheidet. Ob es gelingen wird, eine vollständig widerspruchsfreie Interpretation darzustellen, ist allerdings fraglich, denn wie Lanz-Hubmann für den ‚Tristan’ Gottfrieds von Straßburg bereits treffend formuliert hat, scheint es „so gut wie keinen Punkt zu geben, in dem über Gottfrieds ‚Tristan’ Einigkeit herrscht“[51].

Zunächst erfolgt die Analyse der Abschiedsszene in den beiden Tristanromanen. Dabei werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Konzeption herausgearbeitet. Anschließend wird das unterschiedliche Verhalten von Tristan und Isolde während ihrer Trennung Gegenstand der Untersuchung sein. Insbesondere die unterschiedliche Umsetzung seitens der Autoren sowie ihre damit verbundenen ungleichen An- und Absichten stehen hier im Mittelpunkt. In einem dritten Teil wird das Ende der Erzählung untersucht, sowie die Frage geklärt, ob Gottfrieds ‚Tristan’-Torso beabsichtigt war oder nicht. Sofern es äußere Umstände waren, die ihn von der Vollendung abgehalten haben, werden mögliche Fortsetzungen zu erläutern sein. Im Anschluss daran wird die Schuldfrage zu klären sein. Inwieweit hat sich das Protagonistenpaar bei seinen Aktionen schuldig gemacht und wie kann die Schuld gemindert werden? Zuletzt erfolgt eine Synthese zu den Minnekonzeptionen der beiden untersuchten Tristanfassungen. Dabei wird der Schwerpunkt erneut auf Abweichungen und Gemeinsamkeiten der beiden Liebesauffassungen gelegt, sowie versucht, eine Kernaussage zu den beiden Fassungen zu formulieren.

1.5 Textauswahl

Der ‚Tristan’-Text Eilharts von Oberg liegt in zwei vollständigen, jedoch voneinander abweichenden Handschriften des 15. Jahrhunderts vor: die Heidelberger Handschrift H, sowie die Dresdener Handschrift D. Des Weiteren gibt es drei frühere Fragmente des 12. und frühen 13. Jahrhunderts, sowie ein Berliner und ein österreichisches Fragment, doch können diese auf Grund ihrer Unvollständigkeit bestenfalls zu Vergleichen herangezogen werden. Als Textgrundlage für Eilhart dient weitestgehend die Heidelberger Handschrift H aus dem 15. Jahrhundert, denn diese kommt im Sinne Buschingers dem ‚Tristrant’ Eilharts von Oberg am nächsten. „Auch wenn es Eilhart[s Ur-Tristan] nicht gibt, so liefert uns H zumindest eine Ahnung von dem, was er hätte sein können“[52]. Insbesondere der Aspekt der Liebe, der im Fokus der Untersuchungen steht, wird hier stärker kontrastiert als in der Dresdener Handschrift. Zudem verwendet die Handschrift H die soziale Realität sowie die Kampftechniken des 12. statt des 15. Jahrhunderts, so dass diese dem Tristan Eilharts von Oberg am ähnlichsten sein sollte[53].

Die Textausgabe, auf die sich im Folgenden bei Eilhart bezogen wird, ist die Ausgabe von Danielle Buschinger[54]. Die Versangaben bei Gottfried beziehen sich, wenn nicht anders vermerkt, auf die Textausgabe von Friedrich Ranke[55].

1.6 Forschungsstand

Trotz der zahlreichen Interpretationsmöglichkeiten fand die zweite Hälfte des Tristanromans, die durch die ‚Trennung der Liebenden’ geprägt wird, innerhalb der Tristanforschung lange Zeit kaum Beachtung. Bei Gottfried lässt sich das mangelnde Forschungsinteresse eventuell durch die – beabsichtigte oder unbeabsichtigte – Nichtvollendung des Werkes erklären. Bei Eilhart kann dieses Argument zwar nicht vorgebracht werden, dennoch gibt es zu seinem ‚Tristan’ weniger wissenschaftliche Untersuchungen als zu Gottfrieds. Schröder[56] erklärt sich die zurückhaltende Beschäftigung mit dem Thema durch den lückenhaften Überlieferungszustand. Für die fehlenden Textfragmente bei Gottfried muss auf die französische Vorlage des Thomas von Britannien sowie die norwegische ‚Tristrams saga ok Ísondar’ zurückgegriffen werden. Was die Überlieferung von Eilharts ‚Tristan’ betrifft, so gibt es zwar zwei vollständige Papierhandschriften aus dem 15. Jahrhundert, doch ist es, wie bereits erwähnt wurde, trotzdem „nicht möglich, den ursprünglichen Wortlaut zu rekonstruieren und das Werk-Original zurückzugewinnen“[57]. Hadumod Bußmann nennt als Grund für das Forschungsdesinteresse „die Undurchsichtigkeit und Vieldeutbarkeit der Überlieferungssituation, die auf Grund ihrer mangelnden Kontinuität – frühe Fragmente und späte Bearbeitungen – allen textkritischen Bemühungen unlösbare Probleme aufgibt[58].

2. Die Trennung der Liebenden

2.1 Literarische Bedeutung der Trennung der Liebenden

Die geringe Berücksichtigung der Liebestrennung führte somit dazu, dass viele Philologen den Höhepunkt des Werkes bereits mit dem Waldleben erreicht sahen. So beschreibt Heide Göttner-Abendroth die zweite Hälfte der Tristan-Erzählung als „unmotivierten und aufgepfropften Schluss. Sie wird allgemein als eine triviale Fortsetzung der Grundfabel angesehen, in der sich Liebesabenteuer mit Isolt ohne inneren Zusammenhang aneinanderreihen“[59]. Doch handelt es sich beim Tristanroman um „die Darstellung einer Liebe, die in den Tod mündet und nur vom Ende her verstehbar wird“[60]. Der Schlüssel zum Roman liegt im letzten Teil des Werkes, nämlich in der Trennung der Liebenden und dem Tod, denn dieser bringt „den Konflikt erst in seiner eigentlichen, tief greifenden Form zur Darstellung“[61]. Im ersten Teil seiner Erzählung ist Eilhart noch bemüht, die Eigenschaften hervorzuheben, die Tristan „zum Idealtypus eines feudalritterlichen Menschen machen“[62]. In diesem Zusammenhang stehen auch die Rühmung von Tristans ritterlichen Eigenschaften (E 3261-3267) sowie die Betonung des durch den Liebestrank verursachten Liebeszwanges (E 2401-2405). Im letzten Teil des Romans jedoch halten die Protagonisten – und somit Eilhart – trotz nachlassender Wirkung des Minnetranks an der Liebesbeziehung fest.

Im Text von Gottfrieds ‚Tristan’ lassen sich ebenfalls Hinweise auf die Bedeutung der ‚Trennung’ für die Liebenden auffinden. Bereits im Prolog wird die Liebe als untrennbar von Freude und Leid dargestellt (G 193-210). Durch die Trennung wird die Liebe von Tristan und Isolde auf eine neue Bewährungsprobe gestellt. Bislang hatten sie – bis auf die kurze Phase während der Anklage – stets Gelegenheit, sich zu sehen und sich auszutauschen; lediglich die „körperliche Vereinigung“[63] war eingeschränkt. Nun jedoch müssen sie unter Beweis stellen, dass ihre Liebe auch über die Entfernung hinaus andauert: der innecliche minnen muot/ so der in siner senegluot/ ie mere und mere brinnet,/ so er ie serer minnet ( G 111-114). Die Trennung gibt ihnen die Gelegenheit, allen, aber in erster Linie sich selbst, zu beweisen, dass ihre Liebe mehr ist als nur sexuelle Begierde und körperliche Befriedigung. Sie können demonstrieren, dass die Liebe auch in der Ferne Bestand hat.[64]

Ein weiterer Hinweis auf die Bedeutung der Separation von Tristan und Isolde liefert der Passus, an dem die Trennung der Liebenden einsetzt. Als Marke die beiden Geliebten im Baumgarten erspäht, werden sie mit einem Kunstwerk verglichen, das vollkommener nicht sein könnte: und waere ein werc gegozzen/ von êre oder von golde,/ ezn dorfte noch ensolde/ niemer baz gevüget sîn (G 18208-18211). Diese Beschreibung des Liebespaares erweckt den Anschein als wäre dies der Gipfel ihrer Liebesbeziehung, sie formen ein „Bild vollkommener Liebeseinheit“[65], das augenfällig nicht mehr verbesserungsfähig ist. Dass es dennoch eine Steigerung gibt, wird in dem kurz darauf folgenden Monolog Isoldes (G 18288-18358) dargelegt; durch die Trennung sollen Tristan und Isolde zu einer Herzenseinheit verschmelzen – die Liebe wird zu einem „geistig-sittlichen Phänomen“[66]. Auch Tax hat die Entwicklung der Liebe erkannt: „Wenn die Liebenden aber infolge ihres Getrenntseins nur aus der seelisch-geistigen Komponente ihrer Liebe heraus leben konnten, so hat dies [wie im Folgenden noch zu beweisen wird] bei ihnen jeweils eine Hochlage gerade der vom Dichter geforderten leidvollen Liebe im Herzen herbeigeführt“[67].

Die Umstände, die zur Trennung des Liebespaares führen, sind bei Eilhart allerdings anders motiviert als bei Gottfried. Bei Eilhart findet die Trennung nach Beendigung des Waldlebens statt. Die Erklärung dafür liefert er im Text: Ysalden er nicht vermait/ von der minn gezwang/ und waß syd alß lang/ in dem wald mit der frowen/ daß mögt ir wol gelouben/ bis deß tranckß craft vergie (E 4927-4932). Lediglich aufgrund der nachlassenden Wirkung des Zaubertrankes können sich die Liebenden für die Rückkehr in die Gesellschaft entscheiden.

Dank der Vermittlung des Beichtvaters Ugrim wird Isolde wieder am Hofe Markes akzeptiert und integriert. Tristan jedoch wird von Marke nicht mehr geduldet, zu groß sei die Schande, die er über ihn gebracht habe. Tristan muss Hof und Königreich verlassen, versäumt jedoch nicht die Gelegenheit, dem König noch zu drohen: Geniessent ir nicht úwerß wibß, ir müstent úwerß libß ymmer vor mit hütten (E 5168-5170). Diese Drohung soll die Position Tristans stärken, es sei nur aus Liebe zu Isolde, dass er Marke leben lässt. Hervorzuheben bleibt, dass sich die Liebenden freiwillig zur Rückkehr in die Gesellschaft entscheiden, allerdings zum Preis ihrer Beziehung. Tristan muss seine Geliebte an Marke zurückgeben und das Reich verlassen.

Bei Gottfried ist das Motiv der Flucht stärker akzentuiert. Die beiden Geliebten werden von Marke beim Liebesspiel im Baumgarten in flagranti erwischt. Jegliche Zweifel seinerseits sind nun ausgeschlossen. Doch statt gleich zum Bett der Geliebten zu treten – „es war damals noch ein allgemein anerkannter Grundsatz, dass der betrogene Ehemann straflos die auf handhafter Tat ertappten Liebenden töten durfte“[68] –, wählt König Marke den korrekten Weg vom lantreht (G 18244). Er möchte zuerst Zeugen herbei holen, um die beiden in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Dadurch erhält Tristan die Möglichkeit zur Flucht. Würde er nicht flüchten, müsste er dieses Versäumnis mit dem Leben bezahlen. Doch „zeigt der Zugriff zu einer rechtlichen Maßnahme ebenso Markes Unvermögen, in die Zweisamkeit der Liebenden einzudringen wie bei der Auffindungsszene des Paares in der Minnegrotte“[69]. Karl Bertau widerspricht dieser Auffassung: Er ist sogar davon überzeugt, dass nun „auch der König […] Geltung als unglücklich Liebender“[70] hat (G 18215-18230), „ein Gegensatz von höfisch und unhöfisch scheint irrelevant geworden“[71].

2.2 Die Abschiedsszene bei Eilhart und Gottfried

2.2.1 Tristans Abschiedsrede

Die Anwesenheit Markes bei der Abschiedsszene in Eilharts ‚Tristan’ verhindert eine größere Aussprache des Liebespaares. Lediglich aus der Abschiedsrede zwischen Tristan und König Marke erfährt der Leser, wie sehr es Tristan schmerzt, dass er das, was er von gantzem hertzen lieb hat (E 5177), verlassen muss. Er wird als gemuot (E 5174) beschrieben, der Abschied ist für ihn nach eigener Aussage ein groß hertzlaid (E 5183). Dennoch muss er seine Geliebte verlassen, wenn er sein Leben retten möchte. Als Abschiedsgeschenk und als Erinnerung an den entfernten Geliebten, überlässt er seiner Isolde seinen Hund mit den Worten ob ich úch lieb sy,/ daß tund an dem hund schin (E 5197f.). Sie soll sich des Hundes annehmen und ihn so liebevoll behandeln wie sie Tristan behandelt hat. Auf diese Weise wird der Bracke Utant „zum Sinnbild der Treue und der Tristan-Minne“[72]. Erwähnenswert ist allerdings die Art und Weise, wie Eilhart den Abschied der beiden zu illustrieren versucht. Marke kümmert sich in rechter liebin (E 5188) um seine Ehefrau, nachdem sich Tristan und Isolde als gut frund (E 5190) getrennt haben. Zwar kann der Begriff ‚ frund ’ ähnlich der Erläuterungen Mergells[73] als Zeichen des Wandels der Tristan-Minne gedeutet werden, doch könnte der Roman auch hier sein Ende nehmen: Isolde führt offenbar eine glückliche Ehe mit Marke, und Dank der nachlassenden Wirkung des Liebestrankes sind Tristan und Isolde in der Lage, sich in Freundschaft zu trennen. Die zwanghafte Liebe ist aufgehoben. Doch Eilhart führt seine Erzählung, „ohne die weiterbestehende Bindung zu begründen“[74], fort – zum einen sicherlich aus stofflichen Gründen, zum anderen jedoch, da er mit der Erzählung etwas zum Ausdruck bringen möchte und diese somit nicht als reine Spielmannversion zu sehen ist, bei der die Darstellung des Minnekonfliktes nicht im Zentrum steht.

In Gottfrieds ‚Tristan’ sind die Liebenden bei der Abschiedsszene im Gegensatz zu Eilharts Version allein, so dass sie ihre Gefühle uneingeschränkt äußern können. Tristan wirkt bei der Abschiedsrede (G 18258-18285) angesichts der drohenden Gefahr, Marke könnte jeden Augenblick mit dem Kronrat zurückkommen, zwar gehetzt. Dennoch versucht er, seine Geliebte von der Notwendigkeit ihrer Trennung zu überzeugen: er wirbet unseren tôt./ herzevrouwe, schoene Îsôt,/ nu müeze wir uns scheiden (G 18265-18267). Tristan stellt das Überleben in den Vordergrund. Er flüchtet vor dem betrogenen Ehemann und lässt Isolde zurück. Eine gemeinsame Flucht scheint für die beiden Protagonisten dagegen nicht in Frage zu kommen. Wie Irene Lanz-Hubmann bereits festgestellt hat, verzichten die Geliebten zu Gunsten der Ehre auf ein gemeinsames Leben[75]. Schon bei der gemeinsamen Überfahrt nach Cornwall hätten die beiden fliehen können, und auch die Minnegrotte verlassen sie, weil ihnen die Ehre am Hofe fehlt (G 16875-16877). Christoph Huber dagegen sieht in der Flucht eine klare Fehlentscheidung, da Tristan dadurch in eine passive Rolle manövriert wird. Ähnlich wie Tantris mit der Moroldwunde ist er den Wellen ausgeliefert und auf Isoldes Hilfe angewiesen.[76] Spätestens in den beiden Fortsetzungen von Gottfrieds Werk wird deutlich, dass nur Isolde ihm helfen kann. Dabei muss jedoch hinterfragt werden, ob Tristan nicht bereits durch den Minnetrank in die Passivität gedrängt wurde. Während die Heldentaten Tristans meist auf „offensive Listen“[77] zurückzuführen und stets mit einem neuen Ziel verbunden sind, muss der Protagonist im Minnegeschehen häufig auf die Aktionen des betrogenen Ehemannes reagieren, so dass die hierbei angewandten Listen bereits von defensivem Charakter zeugen.

In einer zweiten Phase des Monologs bittet Tristan Isolde, ihre Liebe zueinander in Erinnerung zu behalten und ihn stets im Herzen zu bewahren. Er verspricht ihr die ewige Treue und mahnt sie, ihm ebenfalls während seiner Abwesenheit treu zu sein. Tristans Aussage nu sehet, herzevriundîn,/ daz mir vremde unde verre/ iemer hin z’iu gewerre! (G 18280-18282) lässt sich – wenn man den weiteren Verlauf der Erzählung berücksichtigt – auf zweierlei Weise deuten. Einerseits kann sie als Bitte aufgefasst werden, sie solle ihm während seiner Abwesenheit nicht untreu werden. Dem entspricht die Übersetzung Rüdiger Krohns „Achtet darauf, geliebte Freundin, /dass die Entfernung und die Fremde/ mir bei Euch nicht schade!“[78], bei der eindeutig Isolde im Verdacht steht, einen Treuebruch zu wagen. Andererseits kann sie, gemäß der Übersetzung Hubers[79] „Nun seht zu, Herzensfreundin, dass mir Fremde und Entfernung die Beziehung zu Euch nie stören und verwirren“ auch vorausdeutend interpretiert werden, denn letztlich ist es Tristan selbst, der sich durch Isolde Weißhand verwirren lässt und zumindest an die Grenzen der Treue gelangt. Marion Mälzer hat diesen Abschnitt völlig zurecht als ersten Ansatz zur Differenzierung zwischen Tristan und Isolde verstanden[80].

Der Hinweis Tristans diz slâfen gât uns an den lîp (G 18253) lässt sich ebenfalls als Vorausdeutung auslegen. Die gemeinsamen Stunden im Baumgarten führen zur Trennung und schließlich zum Tod. Da dem Publikum von Gottfrieds ‚Tristan’ die Stoffgeschichte im Allgemeinen bekannt war, kann davon ausgegangen werden, dass es die Textstelle ebenfalls als Vorausdeutung verstanden hat.

Alois Wolf[81] spricht dagegen Tristans Abschiedsrede überwiegend einen vorbereitenden Charakter zu. Leitwörter wie herze und lip sind in diesem Sinne wichtige Stichworte, auf die Isolde in ihrem Monolog zurückgreifen wird. Genauso wird die Thematik des ‚im Herzen wohnen’ bei Tristan eingeführt, im Folgenden jedoch von Isolde noch ausgebaut.

2.2.2 Isoldes Abschiedsmonolog

Bei der Abschiedsszene in Eilharts ‚Tristan’ spielt Isolde keine aktive Rolle. Es wird lediglich berichtet, dass sich die beiden mit laid schieden (E 5189) und, dass Isolde daß húndelin lieplichen an iren arm zehand (E 5199f.) nahm. Diese Aussagen verraten zwar, dass ihr der Abschied nicht leichter fällt als ihrem Geliebten, doch gibt ihr der Autor nicht die Gelegenheit, ihre Gefühle selbst zu äußern.

Gottfried dagegen stellt Isolde sogar in den Mittelpunkt, lässt sie einen mehr als doppelt so langen Monolog (G 18288-18358) halten als Tristan. Dieser weicht zunächst nicht besonders von dem ab, was Tristan schon angesprochen hat. Isolde geht auf das Gesagte ein, verspricht ewige Treue und mahnt ihn, ebenfalls Treue zu halten. Als Erinnerung an ihre Liebe und ihren Treueschwur steckt sie ihm einen Ring „als Unterpfand immerwährender Liebe und triuwe[82] an und prophezeit: ob ir dekeine sinne/ iemer dâ zuo gewinnet,/ daz ir âne mich iht minnet, /daz ir gedenket derbî, / wie mînem herzen iezuo sî (G 18310-18314) . Genau diese Vorausdeutung wird eintreffen: der Ring verhindert in der Hochzeitsnacht das Vollziehen der Ehe mit Isolde Weißhand, da er das einzige Materielle ist, das ihm noch von der blonden Isolde geblieben ist. Der Name, der für seine große Liebe steht, ist – wie man an Isolde Weißhand sehen kann – übertragbar. Nur der Ring als „konkretes Erinnerungszeichen“[83] ist in der Lage, den Vollzug der Ehe zu verhindern. Insofern wird der Ring als „Zeichen von Treue und Liebe“[84] seiner Aufgabe gerecht. „Der Ring ist Zeichen für alles dessen, was einmal zwischen Geberin und Empfänger war und für die Zukunft als weiterwirkend erinnerungswürdig bleibt, ein ‚Ja’ zum Vergangenen und Aufforderung zu dauernder Bewährung ihm gegenüber“[85]. Aufgrund dieser Funktionen verdeutlicht er Tristan den „Abfall von der wahren, alleinzigen Minne“[86].

Eine weitere Vorausdeutung auf Isolde Weißhand, und damit ein Beleg für die Übertragbarkeit von Namen, liefert das kurz darauf folgende Verspaar und lât nieman nâher gân/ dan Îsolde, iuwer vriundîn (G 18320f.). Mit ‚Isolde’ kann die blonde Isolde gemeint sein, die damit lediglich „auf ihre Rolle Tristan gegenüber“[87] hinweisen möchte, doch der Name kann sich auch bereits auf Isolde Weißhand beziehen. Da beide den gleichen Vornamen haben, wird Tristan, selbst wenn er sich auf Isolde Weißhand einlässt, zumindest diese Abmachung einhalten können. Er wird niemanden näher an sich heranlassen als Isolde.

Nach den gegenseitigen Treuebekundungen, die bei Tristans Monolog im Mittelpunkt standen, erreicht Isolde bei Gottfried eine neue Ebene. Si trat ein lützel hinder sich [...] (G 18286) deutet einerseits die räumliche Trennung der beiden Geliebten an, verrät aber gleichzeitig, dass Isolde sich bei ihrem Monolog von Tristan abheben wird. Sie wird gedanklich eine Ebene erreichen, die Tristan sich erst erarbeiten muss. Mälzer versteht Isoldes Schritt lediglich als Anzeichen dafür, dass sie die Zweifel ihres Geliebten erkannt hat und sich davon distanzieren möchte[88]. Da bislang jedoch keine Rede war vom Aufstehen der Geliebten, muss Gottfried, Bertau zufolge, „alle epischen Umstände“[89] vergessen haben. Dies macht sich seiner Meinung nach auch bei Isoldes widersprüchlicher Aussage hêrre, ez ist alles âne nôt,/ daz ich iuch alse verre mane (G 18328f.) bemerkbar. Einerseits erklärt sie ihre Mahnungen für überflüssig, andererseits nimmt ihre Rede dennoch kein Ende. Indessen ist es nur scheinbar Isolde, die spricht, „es ist in Wahrheit der Dichter, der hier deduziert. Er hat die epische Autonomie seiner Figur beiseite gedrängt“[90].

„In der Gewißheit der bisherigen unverbrüchlichen Herzenseinheit kann Isolde der Zukunft einer endgültigen räumlichen Trennung als einer lebenswerten, ja zum Weiterleben verpflichtenden Daseinsmöglichkeit entgegensehen“[91]: wart Îsôt ie mit Tristane/ ein herze unde ein triuwe,/ sô ist ez iemer niuwe,/sô muoz ez iemer staete wern (G 18330-18333). Tristan soll sich vielmehr um sein eigenes Leben sorgen, denn sein Leben ist auch ihr Leben. Hier spielt der dem Minnesang bereits geläufige Gedanke des Herzenstausches eine große Rolle. Tristan lebt in Isolde, Isolde in Tristan: wan iuwer lîp und iuwer leben,/ daz weiz ich wol, daz lît an mir (G 18342-18344). Die Vorstellung, dass Tristans Leben in ihrer Hand, ihr Leben in seiner Hand liegt, rückt die Flucht in ein besseres Licht. Während Tristans Abschiedsmonolog dem Leser noch den Eindruck vermittelte, es ginge einzig und allein um die Todesangst eines „ertappten Ehebrechers“[92], so ist die Trennung nun der einzige Weg, die Liebe aufrecht zu erhalten. Hätte die Flucht als primäres Ziel dem bloßen Überleben gegolten, so hätten bisherige List, Tücke, Gefahr und Betrug ihre Rechtfertigung verloren.

Die Bekundung unser beider leben daz leitet ir (G 18350) lässt sich als Steigerung der Ergebenheit Isoldes auslegen. Nicht nur ihr Leben liegt in seiner Hand, sondern auch sein eigenes. Tristans Gefahr zu sterben ist, angesichts der Kämpfe, an denen er teilnehmen wird, weitaus größer. Da, als Liebeseinheit, der Tod des einen den Tod des anderen zur Konsequenz hat, liegen beide Leben in Tristans Hand.

Anschließend erweitert Isolde das Bild des Herzenstausches, geht über die Idee der Herzenseinheit hinaus: Tristan und Isolde werden sogar als ein dinc âne underscheide (G 18354) dargestellt. Diese Aussage verdeutlicht, „dass sich da etwas trennt was wesensmäßig untrennbar ist, sich etwas löst was unlösbar ist.“[93] Sie werden zwar zur Flucht und zur Trennung gezwungen, doch bleiben sie innerlich auf Ewig miteinander verbunden. Ihre Zusammengehörigkeit ist unlösbar bis in den Tod hinein. Diese Betonung der Einheit von Tristan und Isolde erinnert sehr stark an Trinitätsbeschreibungen, was Ruh darauf zurückführt, dass Gottfried die Liebe als „Minnereligion“[94] betrachtet. „Gottfried verselbständigt die Minne und umgibt sie mit einem geradezu religiösen Nimbus“[95]. Die religiösen Sinnbilder und Formeln, die zur Beschreibung der Tristan-Isolde-Minne verwendet werden, „drücken keine inhaltliche Identität der Tristanliebe mit Christentum aus, sondern sind ein sprachliches Mittel zur Darstellung ihres Ranges“[96].

Durch Isoldes Bitte nu gât her und küsset mich (G 18351) versucht sie, ihn auf ihre Ebene zu bewegen. Es handelt sich nicht um einen simplen Abschiedskuss, sondern um ein insigel (G 18355), ein „contagium mysticum“[97], das die Treue, die Einheit und die Untrennbarkeit des Liebespaares bekräftigt und ihr „die höchste sakramentale Weihe verleiht“[98].

Mit dem Hinweis die slipgesellen beide/ dien geschieden sich ê mâles nie/ mit solher marter alse hie (G 18364-18366) bringt Gottfried den Wandel der Tristanminne zum Ausdruck. Insgesamt jedoch kommt Isolde bei der Abschiedsszene eine größere Bedeutung zu. „Triuwe der Minne, wie Gottfried sie meint, wird zuhöchst von der liebenden Isolde verkörpert, deren Fühlen frei wird von allem Selbstischen und als höchste Stufe der Tristanminne, noch über die Vergeistigung und Verinnerlichung der Minnegrotte hinaus, ganz in Tristan aufgeht: einzig erfüllt von sehnender Sorge und Fürsorge für den Geliebten“[99]. Die Bedeutung Isoldes in Gottfrieds ‚Tristan’ wird demnach in Form und Aussage bemerkbar.

[...]


[1] Röcke 1984, S.395.

[2] Buschinger/Spiewok 1993, S.VII.

[3] Mikasch-Köthner 1991, S.11.

[4] Ebd.

[5] Ebd.

[6] Göttner-Abendroth 1993, S.222.

[7] Weber 1968, S.57.

[8] Vgl. Huber 2000, S.20.

[9] Ruh 1980, S.249.

[10] Brunner 2003, S.158.

[11] Ebd.

[12] Die Zahlen in Klammern stehen für Versangaben innerhalb der Primärliteratur, die davorstehenden Buchstaben für den Namen des Dichters: E für Eilhart von Oberg, G für Gottfried von Straßburg, H für Heinrich von Freiberg; O für Ovid, T für Thomas von Britannien; U für Ulrich von Türheim.

[13] Ruh 1967, S.51.

[14] Bertau 1973, S.959.

[15] Mohr 1976, S.70.

[16] Vgl. Brunner 2003, S.224.

[17] Mikasch-Köthner 1991, S.30.

[18] Mergell 1949, S.73.

[19] Vgl. David 1989, S.264.

[20] Vgl. Mikasch-Köthner 1991, S.20f.

[21] Vgl. Brunner 2003, S.158f.

[22] Vgl. Buschinger 2004, S.IX; Bußmann 1969, S.XII-XVI; Dam 1930, S.88-95.

[23] Buschinger/Spiewok 1993, S.XVIf.

[24] Vgl. Ebd, S.XVII.

[25] Mikasch-Köthner 1991, S.20f.

[26] Buschinger/Spiewok 1993, S.XVIII.

[27] Mikasch-Köthner 1991,S.25.

[28] Vgl. Mergell 1949, S.72.

[29] Vgl. Buschinger 2004, S.84, Anm. 1131.

[30] Buschinger/Spiewok 1993, S.XVII.

[31] Buschinger/Spiewok 1993, S.XX.

[32] Ruh 1967, S.47.

[33] Mikasch-Köthner 1991, S.24.

[34] Schnell 1985, S.136.

[35] Buschinger 2004, S.XVI.

[36] Stopp 1964, S.46.

[37] Ertzdorff 1979, S.349.

[38] Haug 1989, S.602.

[39] Ertzdorff 1979, S.349.

[40] Tax 1961, S.180.

[41] Bertau 1973, S.929.

[42] Mergell 1949, S.146.

[43] Göttner-Abendroth 1993, S.219.

[44] Ferrante 1973, S.12.

[45] Mikasch-Köthner 1991, S.12.

[46] Buschinger/Spiewok 1993, S.VII.

[47] Burschinger/Spiewok 1986, S.V.

[48] Mikasch-Köthner 1991, S.14.

[49] Vgl. Ebd.

[50] Mikasch-Köthner 1991, S.13.

[51] Lanz-Hubmann 1989, S.13.

[52] Buschinger 2002, S.241.

[53] Buschinger 2004, S.XXIII.

[54] Buschinger 2004.

[55] Krohn 2002.

[56] Schröder 1993, S.44.

[57] Buschinger 2004, XI.

[58] Bußmann 1969, S.VIII.

[59] Göttner-Abendroth 1993, S.216.

[60] Drecoll 2000, S.15.

[61] Mikasch-Köthner 1991, S.30.

[62] Ebd., S.28.

[63] Schröder 1993, S.43.

[64] Vgl. Ebd, S.48.

[65] Huber 2000, S.120.

[66] Schröder 1993, S.47.

[67] Tax 1961, S.180.

[68] Combridge 1964, S.133.

[69] Drecoll 2000, S.71.

[70] Bertau 1973, S.926.

[71] Ebd.

[72] David 1989, S.251.

[73] Vgl. Mergell 1949, S.144.

[74] David 1989, S.248.

[75] Vgl. Lanz-Hubmann 1989, S.196.

[76] Vgl. Huber 2000, S.127.

[77] Hollandt 1966, S.110.

[78] Krohn 2002, S.499.

[79] Huber 2000, S.121.

[80] Mälzer 1991, S.229.

[81] Wolf 1989, S.238.

[82] Mergell 1949, S.142.

[83] Haug 1989, S.610.

[84] David 1989, S.252.

[85] Mersmann 1971, S.194.

[86] Ruh 1980, S.247.

[87] Bertau 1973, S.926.

[88] Mälzer 1991, S.229.

[89] Bertau 1973, S.928.

[90] Ebd.

[91] Wessel 1984, S.479.

[92] Wapnewski 1964, S.357.

[93] Wapnewski 1964, S.358.

[94] Ruh 1980, S.249.

[95] Fiedler/Krell 1962, S.44.

[96] Wessel 1984, S.587.

[97] Ruh 1980, S.250.

[98] Mälzer 1991, S.230.

[99] Mergell 1949, S.141.

Final del extracto de 94 páginas

Detalles

Título
Das Motiv der Liebestrennung in den Tristanromanen Eilharts und Gottfrieds
Universidad
University of Trier
Calificación
2,3 (gut)
Autor
Año
2005
Páginas
94
No. de catálogo
V48906
ISBN (Ebook)
9783638454841
Tamaño de fichero
1012 KB
Idioma
Alemán
Notas
Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Motiv der Liebestrennung in den Tristan-Romanen Gottfrieds von Straßburg und Eilhart von Oberg.
Palabras clave
Motiv, Liebestrennung, Tristanromanen, Eilharts, Gottfrieds
Citar trabajo
Jean-Claude Eichenseher (Autor), 2005, Das Motiv der Liebestrennung in den Tristanromanen Eilharts und Gottfrieds, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/48906

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