Legasthenie und Lese-Rechtschreibschwäche. Wie viel wissen Lehrer über Hintergründe und Fördermöglichkeiten?


Textbook, 2019

92 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Theoretischer Teil – Legasthenie

1 Einleitung
1.1 Gliederung der Arbeit

2 Theoretische Verortung
2.1 Begriffsbestimmung Legasthenie
2.2 Abgrenzung zu Lese-Rechtschreibschwäche
2.3 Kriterien für die Diagnose von LRS
2.4 Diskrepanzkriterium
2.5 Entwicklung des Schriftspracherwerbs (nach Uta Frith 1986)
2.6 Prävalenz
2.7 Symptome der LRS
2.8 Ursachen
2.9 Komorbiditäten und Folgeerkrankungen

3 Diagnose von LRS
3.1 Wann ist die Diagnose der LRS möglich?
3.2 Wer diagnostiziert LRS?
3.3 Wie wird diagnostiziert?

4 Fördermöglichkeiten
4.1 Schulische Förderung
4.2 Förderung im Regelunterricht
4.3 Probleme im Regelunterricht
4.4 Außerschulische Förderung
4.5 Exkurs

Empirischer Teil

5 Ziel des Kapitels

6 Datenerhebung
6.1 Methodisches Vorgehen
6.2 Der Fragebogen
6.3 Vorgehensweise der Befragung
6.4 Beschreibung der Auswertungsmethode

7 Ergebnisse der Untersuchung
7.1 Demografische Daten der befragten Personen
7.2 Erfahrungen der Lehrkräfte mit Legasthenie
7.3 Ergebnisse zum inhaltlichen Teil des Fragebogens

8 Interpretation der Ergebnisse

9 Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

Anhang

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum:

Copyright © Studylab 2019

Ein Imprint der GRIN Publishing GmbH, München

Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany

Coverbild: GRIN Publishing GmbH | Freepik.com | Flaticon.com | ei8htz

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Auffälligkeiten beim Lesen

Abb. 2: Auffälligkeiten beim Schreiben

Abb. 3: Beteiligte Schulformen und Anzahl befragter LuL

Abb. 4: Alter der befragten LuL

Abb. 5: Aktuelles Berufsjahr der LuL

Abb. 6: : Hauptfächer der befragten LuL

Abb. 7: Bereits unterrichtete SuS mit Legasthenie

Abb. 8: In welchen Kontexten ist Legasthenie den LuL bekannt?

Abb. 9: LRS im Studium

Abb. 10: Teilnahme am Seminar im Studium

Abb. 11: Definition von Legasthenie

Abb. 12: Definition von Legasthenie (nach Schulform)

Abb. 13: Synonyme der Legasthenie

Abb. 14: Kategorie der Störungen

Abb. 15: Risiko für LRS bei Jungen und Mädchen

Abb. 16: Bezeichnung für Legasthenie

Abb. 17: Ursachen der Legasthenie

Abb. 18: Wer sollte LRS diagnostizieren?

Abb. 19: Wann wird diagnostiziert?

Abb. 20: Was machen LuL, wenn bei einem Schüler Legasthenie vorliegt?

Abb. 21: Kommentar einer Lehrkraft - Frage

Abb. 22: Ist Legasthenie heilbar?

Abb. 23: Förderkonzept an den Schulen

Abb. 24: Kann LRS kombiniert mit Legasthenie auftreten?

Abb. 25: Kann LRS isoliert auftreten?

Abb. 26: Fühlen sich LuL über Legasthenie gut informiert?

Abb. 27: Netzwerke an der Schule

Abb. 28: Unterstützung von anderen Behörden

Abb. 29: Ergebnisse der Frage 17.1

Abb. 30: Ergebnisse der Frage 17.2

Abb. 31: Ergebnisse der Frage 17.3

Abb. 32: Ergebnisse der Frage 18.1

Abb. 33: Ergebnisse der Frage 18.2

Abb. 34: Ergebnisse der Frage 18.3

Abb. 35: Ergebnisse der Frage 19.1

Abb. 36: Ergebnisse der Frage 19.2

Abb. 37: Ergebnisse der Frage 19.3

Abb. 38: Ergebnisse der Frage 20.1

Abb. 39: Ergebnisse der Frage 20.2

Abb. 40: Ergebnisse der Frage 20.3

Abb. 41: Ergebnisse der Frage 21.1

Abb. 42: Ergebnisse der Frage 21.2

Abb. 43: Ergebnisse der Frage 21.3

Abb. 44: In welchen Fächern sind die meisten Schwierigkeiten?

Abb. 45: Wie wird der Nachteilsausgleich gewährt?

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Übersicht über die befragten Personen

Tabelle 2: Berufserfahrung in Jahren

Tabelle 3: Förderkonzept für Legasthenie (nach Schulform)

Tabelle 4: Netzwerke an der Schule (nach Schulform)

Tabelle 5: Unterstützung von anderen Behörden (nach Schulform)

Tabelle 6: Beziehen sich folgende Aussagen auf den Nachteilsausgleich?

Theoretischer Teil – Legasthenie

1 Einleitung

„Jedes Kind will Lesen, Schreiben und Rechnen lernen. Nicht jedes Kind hat dafür die gleichen Grundvoraussetzungen“ (Höinghaus/Priboschek 2018: 9). Diese Aussage besagt, dass es Legasthenikern an dieser Grundvoraussetzung fehlt und der Zugang zum Lese- und Rechtschreiberwerb erschwert wird. Die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist ohne das Lesen und Schreiben unvorstellbar, sie ist aber von immenser Bedeutung. Hinzu kommt, dass Legasthenie nahezu ausschließlich auch die berufliche Karriere bestimmt.

Lesen und Schreiben spielen in vielen Bereichen in unserem Leben eine evidente Rolle: sei es das Ablesen eines Verkehrsschildes, das Lesen eines Rezeptes beim Kochen oder Backen, das Lesen der Verpackungen während des Einkaufs, die alltägliche Informationsbeschaffung durch die Medien oder durch die Zeitung oder das Lesen der Freizeitlektüre zum Entspannen.

Als angehende Lehrerin für Deutsch und Spanisch ist es für mich wichtig, über ein adäquates Grundwissen zum Thema Legasthenie zu verfügen. Zu meiner Themenfindung: Während einer Feierlichkeit im vergangenen Jahr habe ich ein Mädchen kennengelernt. Im gemeinsamen Gespräch habe ich erfahren, dass es die 5. Klasse besucht und ich habe sie daraufhin gefragt, ob sie denn schon lesen kann. Zugegebenermaßen habe ich nur eine mögliche Antwort erwartet, nämlich dass die Frage bejaht wird und sie mir den Markennamen auf der Wasserflasche vorliest. Sie hatte aber erhebliche Schwierigkeiten beim Lesen und teilte mir mit, dass sie Legasthenikerin sei – für mich bis dahin ein fast unbekanntes Thema. Seitdem beschäftige ich mich mit der Thematik und möchte im Rahmen meiner Masterarbeit eine empirische Untersuchung anhand eines Fragebogens mit der Fragestellung „Was wissen Lehrerinnen und Lehrer weiterführender Schulen über Legasthenie / LRS?“ mit Lehrkräften verschiedener Schulformen durchführen.

1.1 Gliederung der Arbeit

Im zweiten Kapitel dieser Arbeit soll zunächst unter der theoretischen Verortung der Thematik (2) die Begriffsbestimmung der Legasthenie (2.1) dargestellt werden. Im Weiteren wird die Abgrenzung zur Lese-Rechtschreibschwäche (2.2) vorgestellt. Anschließend wird auf die Kriterien für die Diagnose von LRS (2.3) eingegangen. Nachfolgend wird das Diskrepanzkriterium (2.4) aufgegriffen. Im Anschluss daran soll die Entwicklung des Schriftspracherwerbs (2.5) nach Uta Frith vorgestellt werden. Dabei werden die Logografische Phase (2.5.1), die Alphabetische Phase (2.5.2) und die Orthografische Phase (2.5.3) betrachtet und näher erläutert. Außerdem wird die Prävalenz (2.6) zu Legasthenie herangezogen und es werden die Symptome der LRS (2.7) aufgezeigt. Mögliche Ursachen (2.8) werden im weiteren Schritt vorgestellt. Außerdem ist es wichtig, mögliche Komorbiditäten und Folgeerkrankungen (2.9) unter die Lupe zu nehmen und vorzustellen. Demnach ist die Diagnose von LRS (3) sehr wichtig für die Thematik. Dabei treten vor allem die Fragen „Wann ist die Diagnose der LRS möglich?“ (3.1), „Wer diagnostiziert LRS?“ (3.2) und „Wie wird diagnostiziert?“ (3.3) in den Vordergrund. Danach werden die Fördermöglichkeiten (4) beleuchtet. Wie sieht die schulische Förderung (4.1) aus und wie ist die Förderung im Regelunterricht (4.2) möglich? Gibt es Probleme im Regelunterricht (4.3) und wie sieht die außerschulische Förderung (4.4) aus. Zum Abschluss des theoretischen Teils wird in einem kurzen Exkurs (4.5) auf das schulrechtliche Thema Nachteilsausgleich eingegangen. Was ist der Nachteilsausgleich und wie wird er in der Schule gewährt? Im Anschluss an den theoretischen Teil der Arbeit folgt der empirische Teil. Das Ziel des Kapitels (5) wird vorgestellt und in einem weiteren Schritt auf die Datenerhebung (6) eingegangen. Das methodische Vorgehen (6.1) wird beschrieben und der verwendete Fragebogen (6.2) thematisiert. In der Folge wird die Vorgehensweise der Befragung (6.3) dargestellt und es erfolgt die Beschreibung der Auswertungsmethode (6.4). Daraufhin werden die Ergebnisse der Untersuchung (7) vorgestellt. Diese unterteilen sich in weitere drei Kapitel: demografische Daten der befragten Personen (7.1), Erfahrungen der Lehrkräfte mit Legasthenie (7.2) und Ergebnisse zum inhaltlichen Teil des Fragebogens (7.3). Eine Interpretation der Ergebnisse (8) findet im nächsten Schritt statt. Zum Abschluss der Arbeit wird im Fazit (9) zusammenfassend auf das festgestellte Ergebnis eingegangen und veranschaulicht, was die Arbeit für mich bedeutet.

2 Theoretische Verortung

2.1 Begriffsbestimmung Legasthenie

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Legasthenie, auch bekannt unter der Abkürzung LRS. Zahlreiche Forscher, Wissenschaftler und Pädagogen beschäftigen sich mit dem Thema Legasthenie bzw. LRS, das mit Lese-Rechtschreib­schwäche, Lese-Rechtschreibstörung oder Lese-Rechtschreibschwierigkeit gleichgesetzt wird. Somit fällt auf, dass Unstimmigkeit über den Begriff herrscht (vgl. Siekmann/Thomé 2018: 228). In dieser Arbeit werde ich überwiegend den Begriff Legasthenie oder die Abkürzung LRS verwenden. Eine begriffliche Abgrenzung findet in dieser Arbeit jedoch nicht statt. Somit beziehen sich die Begriffe Legasthenie oder LRS auf alle oben erwähnten möglichen Definitionen.

Es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass zu den aufgezählten Synonymen eine weitere hinzukommt: Im englischsprachigen Raum wird für Legasthenie häufig der Begriff Dyslexie benutzt. Einige wenige Wissenschaftler haben diesen Begriff auch in die deutsche Literatur übernommen (vgl. ebd; Spinath/Brünken 2016: 89), jedoch wird dieser basierend auf unseren Recherchen in der deutschen Literatur eher weniger verwendet. Aus reinem Interesse haben wir in internationalen Datenbänken zu dem Thema recherchiert und kamen zu dem Ergebnis, dass Dyslexie in anderen Sprachen geläufiger ist als im Deutschen. Für die Übersetzung des Terminus „Legasthenie“ lassen sich folgende Übersetzungen in verschiedenen Sprachen finden:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Terminus Dyslexie hingegen wird nach ICD-10, der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD, engl.: International Classification of Diseases), als Synonym für Legasthenie exkludiert (vgl. Dilling/Freyberger 2016: 287). Die ICD-10 beinhaltet das weltweit wichtigste Klassifikationssystem für Diagnosen, das von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht wird. Die „Lese- und Rechtschreibstörung“ ist unter dem Code F81.0 (Kapitel V mit der Codierung „F“ für „Psychische und Verhaltensstörungen“) als Subkategorie zu finden:

„Das Hauptmerkmal ist eine umschriebene und bedeutsame Beeinträchtigung in der Entwicklung der Lesefertigkeiten, die nicht allein durch das Entwicklungsalter, Visusprobleme oder unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Leseverständnis, die Fähigkeit, gelesene Worte wiederzuerkennen, vorzulesen und Leistungen, für welche Lesefähigkeit nötig ist, können sämtlich betroffen sein. Bei umschriebenen Lesestörungen sind Rechtschreibstörungen häufig und persistieren oft bis in die Adoleszenz, auch wenn einige Fortschritte im Lesen gemacht werden. Umschriebenen Entwicklungsstörungen des Lesens gehen Entwicklungsstörungen des Sprechens oder der Sprache voraus. Während der Schulzeit sind begleitende Störungen im emotionalen und Verhaltensbereich häufig.“ (Dilling/Freyberger 2016: 286f.)

Somit gehört Legasthenie zu den umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. Umschrieben bedeutet hierbei, dass weitere Leistungsbereiche nicht betroffen und nicht behindert sind (vgl. Spinath 2016: 88). Wie der Name Lese-Rechtschreibstörung oder -schwierigkeit auch verrät, handelt es sich dabei um Probleme beim Lesen und/oder Schreiben. Betroffene Kinder weisen Schwierigkeiten auf, sodass die Lese- und Rechtschreibleistungen unterhalb ihrer Intelligenz liegen oder ihrem Alter nicht gemäß sind. Also entsprechen ihre Leistungen und Kompetenzen im Lesen und Schreiben nicht ihrer Intelligenz oder dem Alter und sind nicht auf eine unangemessene Beschulung zurückzuführen. Dies bedeutet, dass legasthene Kinder nicht weniger intelligent und auch nicht faul sind (vgl. Steinbrink/Lachmann 2014: 13). Um die Komplexität der Thematik zu unterstreichen, ist erneut auf den Begriff Legasthenie einzugehen. Paul Ranschburg führte als Neurologe 1916 die Bezeichnung Legasthenie erstmals ein und dokumentierte „eine Störung von Hirnfunktionen als Ursache“ (Siekmann/Thomé 2018: 228). Tatsächlich spielt beim Leseprozess das Gehirn eine wichtige Rolle. Bei Untersuchungen zur Entwicklung der Lesesysteme in jungen Jahren konnte gezeigt werden, dass anfangs sowohl die linke als auch die rechte Hirnhälfte am Lesen beteiligt sind. Mit verstärkter Leseerfahrung ist mehr und mehr die linke Hirnhälfte für das Lesen verantwortlich, wohingegen die rechte Hirnhälfte zunehmend ihre Aktivität verliert (vgl. Steinbrink/Lachmann 2014: 41).

2.2 Abgrenzung zu Lese-Rechtschreibschwäche

Bevor wir im weiteren Teil der Arbeit auf die Ursachen der Legasthenie eingehen, ist eine begriffliche Untersuchung und Abgrenzung von Störung und Schwierigkeit durchaus sinnvoll. Was ist nun Legasthenie? Ist sie eine Krankheit, eine Behinderung, eine Störung oder doch eine Schwäche? Wofür steht die Abkürzung LRS? Denn im Grunde genommen kann sowohl die Lese-Rechtschreib-Störung als auch die Lese-Rechtschreib-Schwierigkeit oder auch die Lese-Rechtschreib-Schwäche für die genannte Abkürzung stehen. Es stellt sich heraus, dass Legasthenie durch unzählige Synonyme beschrieben wird, sodass im Folgenden doch kurz auf die Begriffe eingegangen werden soll. Die begriffliche Differenzierung findet nicht immer statt. Einige Wissenschaftler vertreten die Meinung, dass eine „LR-Schwäche oder -schwierigkeit jeweils eine leichtere Form bezeichnet, die als besser beeinflussbar gilt“ (Spinath/Brünken 2016: 89). Eine Störung hingegen verweist auf eine stärkere Variante von Legasthenie. Interessant hierbei ist zudem, dass die WHO in der ICD-10 den Terminus „Lese-Rechtschreibstörung“ verwendet, sie schließt dennoch andere Bezeichnungen nicht explizit aus (Dilling/Freyberger 2016: 286f.). Hinzu kommt, dass in der ICD-10 die Rechtschreibstörung isoliert unter dem Code F81.1 aufgeführt ist, während eine isolierte Lesestörung nicht als Subkategorie für Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten aufgelistet ist (vgl. ebd.: 288f.) Dennoch weisen Wissenschaftler auch auf die isolierte Lesestörung hin (vgl. Spinath/Brünken 2016: 89).

Diese resistente Sprachentwicklungsstörung (Achtung: Die Bezeichnung Störung tritt somit erneut in den Vordergrund) ist seit Jahrzehnten umstritten. Legasthenie ist jedoch nicht als Störung im Sinne einer Krankheit aufzufassen. Die betroffenen Kinder sind bei ihrem Lernprozess gehindert, aber nicht behindert, sodass der Terminus Behinderung inakzeptabel ist. Zudem sind sie beim Lesen und Schreiben beeinträchtigt, jedoch nicht gestört im allgemeinen Sinne. Steinbrink und Lachmann (2014) sind der Ansicht, dass Legasthenie „eher eine schulische als eine medizinische Herausforderung darstellt“ (S. 51). Valtin (2018) schließt sich dieser Auffassung an und unterstreicht, „dass Legasthenie kein medizinisches Problem ist“ (S. 40). Sie führt fort: „LRS wird somit nicht als Beeinträchtigung der Lernfähigkeit angesehen, sondern als Problem einer fehlenden Passung zwischen Lernvoraussetzungen und Lernangeboten.“ (ebd. S. 40) und setzt sich somit kritisch mit der Thematik auseinander. Sie kritisiert in ihrem Artikel besonders, dass keine einheitliche begriffliche Definition existiert und somit die dazugehörige Diagnostik, Ursache und Förderung erschwert werden (vgl. ebd. S. 40). Somit tritt vor allem eine Sache in den Vordergrund: Den Schulen wird eine besondere Rolle in dieser Thematik zugesprochen und gewisse Erwartungen sind zu beachten. Um auf die begriffliche Unterscheidung zu kommen, steht der Terminus Lese- und Rechtschreibstörung eher dem Begriff Legasthenie nahe und „basiert stark auf dem Störungskonzept der klinischen Klassifikationssysteme“ (vgl. Steinbrink/Lachmann 2014: 5). Die Lese- und Rechtschreibschwäche hingegen wird als eine leichtere Variante aufgefasst, schließt bspw. genetische Faktoren aus und bezieht sich eher auf zeitlich begrenzte Faktoren wie einen Schulwechsel oder familiäre Probleme, etwa wenn die Eltern vor der Scheidung stehen und das Kind aufgrund dessen temporär Schwächen im Lese- und Rechtschreibprozess aufweist. Kurz: Das legasthene Erscheinungsbild kann variieren und neurobiologisch bedingt sein oder auf andere Umweltfaktoren zurückzuführen oder aber auch dauerhaft bzw. nicht dauerhaft sein (vgl. ebd.). Auch an dieser Stelle ist auf Steinbrink und Lachmann (2014) zu verweisen, die die Schwierigkeit der begrifflichen Unterscheidung folgendermaßen beschreiben: „Teilweise stehen hinter gleichen Begriffen unterschiedliche Definitionen und Förderkonzepte, teilweise stehen aber auch unterschiedliche Begriffe für annähernd gleiche Definitionen und Förderansätze“ (S. 5). Die erwähnten Probleme unterstreichen erneut die Entscheidung, dass eine begriffliche Abgrenzung in dieser Arbeit wie auch in vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen nicht stattfindet.

2.3 Kriterien für die Diagnose von LRS

Die WHO schreibt in der ICD-10 Kriterien für die Diagnose von LRS zu. Einige wenige diagnostische Kriterien wurden in Kapitel 2.1 bereits erwähnt. Es kommt hinzu, dass die Leistungen im Lesen und/oder im Schreiben mindestens zwei Standardabweichungen unter dem zu erwartenden Bildungsstand aufweisen müssen (vgl. Spinath/Brünken 2016: 90; vgl. Dilling/Freyberger 2016: 287f.). Denn eine LRS kann vorliegen, wenn die Schwierigkeiten beim Erlernen des Lesens bzw. Rechtschreibens „nicht auf das Entwicklungsalter, eine weit unterdurchschnittliche Intelligenz, eine nicht ausreichende Beschulung, unzureichende Beherrschung der Unterrichtssprache, widrige psychosoziale Umstände, unkorrigierte Seh- oder Hörstörungen, neurologische oder psychische Erkrankungen zurückzuführen sind“ (Höinghaus/Priboschek 2018: 8). Die Kriterien werden im Folgenden näher beschrieben: Die unzureichende Kenntnis der deutschen Sprache kann aufgrund von Migrationshintergrund existieren, sodass der jeweilige Schüler sich in der Zweitsprache Deutsch noch nicht sicher fühlt und daher Schwierigkeiten hat. Die psychosozialen Faktoren sind z. B. durch die Kultur und die Sprache im Elternhaus oder durch die Gesellschaft bedingt. Wenn bei dem Kind Erkrankungen des Nervensystems, also geistige Entwicklungsstörungen oder Lähmungen, oder psychische Erkrankungen wie Autismus, Ess- oder Angststörungen vorliegen, ist eine Lese- und Rechtschreibstörung ebenfalls auszuschließen.

2.4 Diskrepanzkriterium

Die Diagnose von Legasthenie darf nicht erfolgen, wenn der nonverbale IQ eines Kindes unter 70 liegt. Dabei ist die Rede von dem sogenannten Ausschlusskriterium. Die Lesekompetenz und der IQ sind einem standardisierten Test zu entnehmen. Hierbei ist es von immenser Bedeutung, den Test dem betroffenen Kind, seinem Alter und dem entsprechenden Erziehungssystem gemäß auszuwählen (vgl. Dilling/Freyberger 2016: 287). Die Begründung dafür ist, dass nach diesem Diskrepanzkriterium Legasthenie nur diagnostiziert werden kann, wenn die Lese-Rechtschreibleistungen eines Kindes erheblich schlechter ausfallen als aufgrund seines IQ erwartet wird (vgl. Spinath/Brünken 2016: 90). Doch wofür ist dieses Diskrepanzkriterium notwendig? Befürworter einer solchen Lösung vertreten die Ansicht, „dass nicht Personen als lese-rechtschreibschwach diagnostiziert werden, deren Leistungen aufgrund geringer allgemeiner Intelligenz erwartungsgemäß in allen Bereichen gering ist“ (ebd.). Eine Frage bleibt dabei allerdings unbeantwortet: Haben nur solche Kinder, die eine durchschnittliche bis überdurchschnittliche Intelligenz haben, eine Lese- und/oder Rechtschreibstörung? Hier ist kritisch anzumerken, dass das Diskrepanzkriterium nach ICD-10 in Betracht gezogen wird und bei der Diagnose von LRS mitwirkt. Daraus folgt nämlich, dass Kinder, die im Intelligenztest unterdurchschnittlich abschneiden (IQ <70), in der Schule nicht weiter berücksichtigt werden und dementsprechend kein Privileg auf zusätzliche Hilfsangebote erhalten können. Alles in allem zeigt sich, dass die Meinungen zur Diskrepanzdefinition kontrovers sind.

Studien zufolge konnte festgestellt werden, dass das Diskrepanzkriterium nicht unbedingt erforderlich sei. Nach der 2001 durchgeführten Studie von Marx, Weber und Schneider stellte sich heraus, dass legasthene Kinder mit einem mindestens durchschnittlichen IQ und Kinder, deren IQ im unterdurchschnittlichen Bereich liegt, zugleich im Bereich Lesen und Schreiben sehr schwache Leistungen erzielten. Diese beiden Gruppen wurden auf verschiedene Leistungen untersucht und überprüft. Den Untersuchungen zufolge konnte gezeigt werden, dass die Leistungen beider Gruppen nicht sehr stark voneinander differierten. Am häufigsten gab es Unterschiedlichkeiten in der Artikulationsgeschwindigkeit. Somit lesen laut dieser Studie Kinder mit einem legasthenen Erscheinungsbild und mit einem eher unterdurchschnittlichen IQ offenbar langsamer als Kinder mit einem legasthenen Erscheinungsbild und einem durchschnittlichen bis überdurchschnittlichen IQ. Ein wichtiger Kritikpunkt gegenüber der Diagnose mithilfe des Diskrepanzkriteriums lautet, dass möglicherweise Kinder mit LRS, die besonderer Förderung bedürfen, keinen Anspruch auf diese haben können und dürfen. Trotz der oben aufgeführten Studie von Marx, Weber und Schneider insistiert die ICD-10 auf das Diskrepanzkriterium (vgl. Spinath/Brünken 2016: 91f.). Auch an dieser Stelle ist auf Spinath und Brünken zu verweisen, die die Untersuchung der allgemeinen Intelligenz trotz der Ergebnisse aus der Studie dennoch befürworten. Dabei stellt sich allerdings die Frage, inwiefern der Intelligenztest bei Kindern mit unterdurchschnittlichem IQ für den weiteren Verlauf der Förderung (ggf. in vielen weiteren Bereichen als nur im Lesen oder im Schreiben) entscheidend ist. Eine einheitliche Meinung lässt sich auch hierbei nicht wiedergeben, da auf der einen Seite das Diskrepanzkriterium der mitentscheidende Faktor ist, auf der anderen Seite jedoch darauf verzichtet wird:

„Inzwischen wird jedoch zunehmend von diesem Diskrepanzkriterium abgerückt, da Betroffene, bei denen diese Diskrepanz nicht gegeben ist, häufig ganz ähnliche Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben wie Nichtbetroffene und in gleicher Weise auf Fördermaßnahmen ansprechen.“ (Spinath 2016, 91)

2.5 Entwicklung des Schriftspracherwerbs (nach Uta Frith 1986)

Die Aneignung der Schriftsprache ist sehr komplex bzw. ist sogar eine der komplexesten Leistungen (vgl. Steinbrink/Lachmann 2014: 13). Hinzu kommt, dass der Verarbeitung der gesprochenen Sprache beim Lesen eine immense Bedeutung zugesprochen wird (vgl. ebd. S. 38). In diesem Teil der Arbeit wird sich auf die Entwicklung des Schriftspracherwerbs nach Uta Frith beschränkt, um die Bedeutung der Entwicklung des Lesens und Schreibens hervorzuheben. In Kapitel 2.1 wird auf die linke Hirnhälfte verwiesen, die insbesondere für das Lesen und für die gesprochene Sprache verantwortlich ist. Gemäß Uta Frith existieren drei Phasen, die sowohl der Entwicklung des Lesens als auch des Schreibens dienen. Die drei Phasen zur Lese- und Schreibentwicklung sind aufeinander aufbauend und wie folgt konstituiert:

1. Logografische Phase
2. Alphabetische Phase
3. Orthografische Phase

Hier muss besonders betont werden, dass die Phasen nicht übersprungen werden können und dass der Erwerb jeder Phase auf die vorherige Phase aufbaut (vgl. ebd.). Im weiteren Verlauf werden die einzelnen Phasen näher definiert.

2.5.1 Logografische Phase

In dieser Phase orientieren sich die Kinder an Grafiken und können einzelne bekannte Wörter oftmals ohne große Anstrengung ermitteln. Dabei ist diese Phase für die Rechtschreibung eher uninteressant, da Kinder das Lesen in dieser Phase noch nicht gelernt haben. Sie können sich jedoch an grafische Eigenschaften erinnern und die Buchstaben als bildliche Darstellungen auffassen. Somit können sie z. B. das Wort Papa, da es vermutlich ein eher bekanntes Wort ist, richtig lesen bzw. erraten, würden jedoch wahrscheinlich andere Wörter mit demselben Anfangsbuchstaben, wie z. B. Pizza, fehldeuten und sogar davon ausgehen, dass es Papa heißen könnte, da sie sich am Anfangsbuchstaben orientieren und diesen vorerst in dieser Phase nur bildlich wahrnehmen. Ein weiteres Beispiel ist, dass sich Kinder besonders ihnen vertraute Markennamen einprägen und sich diese anhand ihrer Grafik merken. Was die Schreibentwicklung betrifft, können nur einige Buchstaben dem Laut nach verschriftlicht werden. Die visuelle Wahrnehmung steht im Vordergrund (vgl. Dorsch 2018: 33; Steinbrink/Lachmann 2014: 25f.).

2.5.2 Alphabetische Phase

In dieser Phase entwickeln sich die Lese- und Rechtschreibfertigkeiten, sodass die Kinder nun ihnen unbekannte Wörter lesen können. Sie sind in der Lage Phoneme und Grapheme, also Laute und Buchstaben zu unterscheiden (vgl. Bender 2017: 67). Dabei wenden sie die Graphem-Phonem-Korrespondenz-Regel an, d. h., dass „die einzelnen Grapheme eines Wortes nacheinander in dazugehörige Phoneme umgewandelt“ (Steinbrink/Lachmann 2014: 26) werden. Sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben orientieren sich die Kinder an lautgetreuen Wörtern. Dabei funktioniert das Schreiben nach diesem Prinzip meist einwandfrei, es sei denn die Wörter sind nicht lautgetreu, sodass sich Fehler häufen können. Als Vergleich eignet sich das Wort Hand sehr gut. Der Buchstabe d am Wortende wird bekanntlich wie ein /t/ artikuliert, sodass das lautgetreue Lesen oder Schreiben zu Fehlern führen kann. Die Lese- und Rechtschreibphasen sind deshalb noch nicht vollständig entwickelt, da die Vokale meistens ausgelassen werden. Diese Schwierigkeit lässt sich mit dem folgenden Beispiel näher erklären. Bei dem Wort war kommt das /r/ am Wortende nicht genug zur Geltung, sodass dieser Buchstabe ausgelassen wird. Dies trifft auf viele weitere Wörter zu, bei denen die Grapheme in einem Wort klanglich stumm sind, sodass man sie nicht hören kann (vgl. Dorsch 2018: 33; Steinbrink/Lachmann 2014: 25f.).

2.5.3 Orthografische Phase

Die letzte Phase der Entwicklung des Schriftspracherwerbs ist die höchste Phase, die zu erreichen ist. Das Lesen erfolgt nicht mehr auf der phonologischen und grafischen Ebene. Die Fertigkeiten sind erweitert, da sie zusätzlich anspruchsvollere Regeln der Orthografie beachten können. Neben dem lautgetreuen Lesen und Schreiben kommen die Regeln zum Dehnungs-h, dem lang betonten -ie- oder den Doppelkonsonanten hinzu. Interessant ist jedoch, dass deren Verwendung in der verbalen Sprache nicht hörbar ist. Umso wichtiger ist es zu sehen, dass deren Regeln in der geschriebenen Sprache richtig angewendet werden. Darüber hinaus sind sie in der Lage die Ableitungen der Wörter zu bestimmen. Sie bilden die Pluralform der Nomen oder die Steigerung der Adjektive, um die richtige Schreibweise anzuwenden. Zusätzlich wird auf die im Langzeitgedächtnis abgespeicherten Lerninhalte zurückgegriffen. Nichtsdestotrotz kann das angeeignete Wissen in dieser Phase falsch übertragen werden, sodass Fehler nicht auszuschließen sind (vgl. Dorsch 2018: 33; Steinbrink/Lachmann 2014: 26ff.).

2.6 Prävalenz

Um auf die Häufigkeit und Verteilung von LRS hinzuweisen, wird im Folgenden die Prävalenz von Legasthenie thematisiert. Es sind in etwa „5-9% aller Schulkinder von LRS betroffen“ (Bender 2017: 67). Bei einer Schülerzahl von 1.000 sind es durchschnittlich 50 bis 90 Schüler, die gravierende Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben haben. Schuchardt und Mähler (2016) weisen auf die altersabhängige Verteilung von Lese- und/oder Rechtschreibstörungen hin. Die Prävalenzrate beträgt bei achtjährigen Kindern 7 bis 8%, bei zwölfjährigen 6% und im jungen Erwachsenenalter 4%. Dabei wird außerdem zwischen der kombinierten Lese-Rechtschreibstörung, der isolierten Lesestörung und der isolierten Rechtschreibstörung unterschieden. Nach dem Anwenden des Diskrepanzkriteriums stellt sich heraus, dass „8% von einer Schriftsprachstörung betroffen sind“ (Schuchardt/ Mähler 2016: 198). Deren Aufteilung sieht wie folgt aus:

4 % - isolierte Rechtschreibstörung
2 % - isolierte Lesestörung
2 % - kombinierte Lese-Rechtschreibstörung.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Rechtschreibstörung isoliert häufiger vorkommt. Allerdings beziehen sich die Ergebnisse auf die Leistungen von Grundschülern (vgl. Schuchardt/Mähler 2016: 198). Wünschenswert wäre ein Vergleich der Ergebnisse mit Schülern an weiterführenden Schulen, um zu prüfen, ob sich die Ergebnisse mit zunehmendem Alter und zusätzlichen Fördermaßnahmen ändern.

Bei Untersuchungen zur Geschlechterverteilung konnte gezeigt werden, dass das Risiko für eine LRS bei Jungen höher ist als bei Mädchen (vgl. Schuchardt/Mähler 2016: 198; Steinbrink/Lachmann 2014: 13).

2.7 Symptome der LRS

Anknüpfend an die drei aufeinander aufbauenden Phasen der Entwicklung des Schriftspracherwerbs nach Uta Frith werden nun in diesem Kapitel die Symptome der Legasthenie aufgegriffen. Kinder mit legasthenem Erscheinungsbild weisen bereits Auffälligkeiten in der alphabetischen Phase auf. Ihnen fällt es schwer die Lautstruktur der Sprache zu verstehen. Je umfangreicher die Sätze, Wörter und Texte werden, desto ausgeprägter sind die Auffälligkeiten. Die Schwierigkeiten zeigen sich sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben. Die Symptome und Anzeichen von LRS können recht individuell ausfallen (vgl. Bender 2017: 67). Dies ist verständlich, denn was die Praxis betrifft: In einem Klassenraum gibt es sehr heterogene Lerner(typen). Sie unterscheiden sich alle in ihren Stärken und Schwächen. Abgesehen davon, ob ein Schüler LRS hat oder nicht, gibt es im Klassenraum sowohl gute als auch schlechte oder langsame Leser. Daher können die Symptome bei jedem Kind variieren.

Das Lesen allein ist für Betroffene sehr anstrengend. Sie haben Schwierigkeiten bei der vorhin erwähnten Graphem-Phonem-Korrespondenz, sodass einzelne Laute wie b/p oder m/n nicht unterschieden werden können. Zudem können sie sich bei der Buchstabenidentifizierung irren (z. B. b/d oder q/p), da sie die unterschiedliche Schreibweise nicht wahrnehmen können. Dass die Buchstaben falsch identifiziert werden, führt wiederum zu falscher Wortidentifikation. Sie leiden an mangelnder Lesegenauigkeit. Teilweise werden die Wörter nicht gelesen, sondern erraten. Wörter oder Wortteile werden ausgelassen, durch andere ersetzt oder neue hinzugefügt. Die mangelnde Lesegenauigkeit führt zur mangelnden Lesegeschwindigkeit. Im Gegensatz zu ihren Mitschülern ist das Lesen bei legasthenen Kindern stark verlangsamt, sodass das fehlende Leseverständnis wie in einem Teufelskreis als Folge erscheint. Oftmals ist es leider so, dass Kinder mit LRS das Gelesene nicht wiedergeben können und sie während des Leseprozesses den Textanfang schon vergessen haben (vgl. Bender 2017: 67; vgl. Höinghaus 2018a: 32).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Auffälligkeiten beim Lesen

Weiterhin gibt es Auffälligkeiten beim Rechtschreiben. Dabei ist es auffällig, dass legasthene Kinder sehr viele Fehler machen können. Auch kommt es vor, dass sie im selben Text das gleiche Wort jedes Mal anders falsch schreiben. Im Gegensatz zu anderen Schülern, beinhalten ihre Texte eine hohe Fehlerzahl (vgl. Bender 2017: 67).

Wie beim Lesen gibt es beim Schreiben dieselben Auffälligkeiten, wenn es um die Verschriftlichung der Sprache geht. Das Schreiben an sich ist ein komplexer Prozess für sie. Dabei gibt es zum einen Probleme beim lautgetreuen und zum anderen beim orthografischen Schreiben. Visuell oder lautlich ähnliche Buchstaben wie p/b oder m/n können vertauscht werden. Besonders herausfordernd ist das Schreiben von Konsonantenhäufungen. Beim orthografischen Schreiben stellt eine unleserliche Handschrift ein Problem dar. Sowohl beim freien Schreiben als auch beim Abschreiben von Texten steht die hohe Fehlerzahl im Fokus. Die Betroffenen können die richtige Schreibweise von Wörtern schwer im Gedächtnis behalten (vgl. Bender 2017: 67; vgl. Höinghaus 2018a: 32).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Auffälligkeiten beim Schreiben

Alles in allem zeigt sich, dass die aufgeführten Symptome dazu führen, dass die zu erworbenen Lese- und Rechtschreibstrategien verzögert erworben werden.

2.8 Ursachen

In diesem Teil der Arbeit wird auf die Ursachen für die Entstehung der Legasthenie näher eingegangen. Über die LRS, deren Entstehung und Ursachen wird seit über 100 Jahren geforscht. Es gibt unzählige wissenschaftliche Publikationen (über 100.000). Trotz der langjährigen Forschung konnte „die wissenschaftliche Forschung bislang keine einheitlichen und klaren Erkenntnisse über die Ursachen liefern“ (Steinbrink/Lachmann 2014: 6). Jedoch haben die unterschiedlichen Ergebnisse dieser Studien auch gezeigt, dass für die Ursache von Legasthenie multikausale Subtypen vorliegen. Auch wenn die Ursachen der Legasthenie in der Wissenschaft noch nicht vollständig geklärt sind, sind sich Wissenschaftler einig, dass die LRS nicht „aus einer einzelnen Ursache resultiert“ (ebd.: 11).

Heute zählt man folgende Faktoren zu den Ursachen von LRS: genetische Faktoren, neurophysiologische Faktoren, mangelnde phonologische Bewusstheit, gestörte phonologische Informationsverarbeitung, motorische Schwierigkeiten (vgl. Spinath 2016: 93f.). Eltern, die selbst von Legasthenie betroffen sind, haben in den meisten Fällen auch Kinder, die eine Lese- und/oder Rechtschreibstörung haben. Als Ursache werden genetische Prädispositionen genannt. Neurophysiologische Faktoren deuten z. B. auf eine gestörte Wortwahrnehmung und -verarbeitung. Die mangelnde phonologische Bewusstheit gilt als eine der zentralen Ursachen der LRS (vgl. ebd.: 93). Mit der phonologischen Bewusstheit ist die Lautstruktur der Sprache gemeint. Vielen Kindern gelingt es nur schwer, Reimwörter zu unterscheiden, da die phonologische Bewusstheit nicht entwickelt ist. Die Lautzuordnung bereitet ihnen ebenfalls Schwierigkeiten, sodass sie überfordert sind zu bestimmen, welche Laute zu welchen Buchstaben passen (vgl. Küspert 2018: 25; vgl. Spinath 2016: 93).

Betroffenen Kindern mit LRS fällt es schwer, das Gelesene sogar nur für eine kurze Zeitspanne im Arbeitsgedächtnis zu speichern und darauf zuzugreifen. Dadurch, dass der Leseprozess sehr lange dauert, bis die einzelnen Wörter entziffert werden, können sie die Textinhalte nicht im Gedächtnis behalten. Daher gelingt es ihnen oftmals nicht die gelesenen Inhalte zu wiedergeben. Dabei spricht man von einer gestörten phonologischen Informationsverarbeitung (vgl. Spinath 2016: 94). Die phonologische Informationsverarbeitung wird in drei weitere Komponenten unterteilt, in denen die Betroffenen Defizite aufweisen:

1. die phonologische Bewusstheit
2. das phonologische Rekodieren
3. das phonetische Rekodieren im phonologischen Arbeitsgedächtnis

Das Erstere beschreibt die Fähigkeit Laute zu Wörtern zusammenzuziehen und Wörter zu zerlegen. Das phonologische Rekodieren ist die Fähigkeit Buchstaben bestimmten Lauten zuzuordnen. Dabei wird vor allem auf das Langzeitgedächtnis zugegriffen. Die letzte Komponente, das phonetische Rekodieren im phonologischen Arbeitsgedächtnis, meint das kurzzeitige Speichern von Lauten im (Kurzzeit-) Gedächtnis und den im nächsten Schritt stattfindenden Übergang ins Langzeitgedächtnis. Eine weitere Ursache stellen motorische Fertigkeiten dar, wobei z. B. die Steuerung der Blickwinkel betroffen sein kann (vgl. Schuchardt/Mähler 2016: 200f. vgl. Büttner/Hasselhorn 2017: 69).

Ein weiterer Aspekt ist, dass ungünstige Umweltbedingungen als Ursache angesehen werden. Dabei spielen Faktoren wie die sprachliche Förderung des Kindes innerhalb der Familie oder der Lese- bzw. Medienkonsum im Alltag eine wichtige Rolle. Hinzu kommt, dass nicht alle Familien ihre Kinder gleichermaßen in ihrem Bildungsweg unterstützen, sodass soziale Ungleichheit ebenfalls als negativer Faktor zählen kann. Der Migrationshintergrund bei Kindern, die mit mindestens zwei Sprachen aufwachsen und die deutsche Sprache nicht so wie die andere Erstsprache beherrschen, stellt eine weitere Ursache dar. Darüber hinaus gelten eine unvorteilhafte Wohnsituation, eine schlechte Vorbildfunktion der Eltern, ein niedriger sozioökonomischer Status wie das Einkommen der Eltern oder die unzureichende Lernunterstützung in der Familie als Ursachen (vgl. Schuchardt/ Mähler 2016: 200).

2.9 Komorbiditäten und Folgeerkrankungen

Lernstörungen wie eine Lese-Rechtschreibstörung treten oft gemeinsam mit anderen Auffälligkeiten in Erscheinung. Untersuchungen zufolge haben die Hälfte der Kinder mit LRS eine Rechenstörung, auch bekannt als Dyskalkulie (vgl. Bender 2017: 66). Die Rechenstörung mit dem Code F81.2 befindet sich wie die Lese- und Rechtschreibstörung als Subkategorie der umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten in der ICD-10 (vgl. Dilling/Freyberger 2016: 279). Abgesehen davon kommen weitere Komorbiditäten hinzu. Sowohl der LRS als auch der Dyskalkulie werden andere psychische Störungen als Begleiterscheinungen zugewiesen.

„Zu den häufigen Komorbiditäten gehören andere Entwicklungsstörungen, insbesondere die des Sprechens und der Sprache, Angststörungen, depressive Symptome, Störungen des Sozialverhaltens und Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen.“ (Galuschka 2018: 39)

Während Schuchardt und Mähler (2016) von sekundären Begleitproblemen wie Schulangst oder Unlust auf die Schule im Allgemeinen ausgehen, Kopf- und Bauchschmerzen erwähnen und demzufolge wie in einem Teufelskreis die niedrige akademische Selbstwahrnehmung berichten (vgl. S. 199), geht Bender (2017) von Folgeerscheinungen wie „psychische Störungen durch Misserfolgserlebnisse, Selbstzweifel, Mobbing und Überforderung“ (S. 66) aus. Auf die erwähnten Komorbiditäten kann hier nicht näher eingegangen werden, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde.

3 Diagnose von LRS

„Ein Drittel aller Grundschulkinder zeigt in mindestens einem der drei basalen Fertigkeitsbereiche Lesen, Schreiben und Rechnen auffällig schwache Leistungen“ (Berner 2018: 10). Die Erkennung der sogenannten Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten, wie es im ICD-10 beschrieben ist, darunter auch die Legasthenie, stellt eine große Herausforderung für viele Lehrkräfte dar (vgl. ebd.).

Nicht umsonst, denn es besteht keine Einigkeit über die diagnostischen Kriterien, sodass die ohnehin schon schwierige Diagnose einer Entwicklungsstörung wie der LRS zusätzlich erschwert wird (vgl. Steinbrink/Lachmann 2014: 3) Dabei unterstreicht Küspert (2018) die Wichtigkeit der Lehrkräfte, da sie die Möglichkeit haben, Entwicklungsstörungen oder Lernschwierigkeiten von SuS dank der alltäglichen Arbeit des Unterrichtens frühzeitig zu erkennen (vgl. S. 24). An dieser Stelle ist auf Galuschka zu verweisen, die sich hierzu folgendermaßen äußert: „In der Praxis herrscht große Unsicherheit, welche diagnostischen Vorgehensweisen und Maßnahmen zur Behandlung einzusetzen sind“ (Galuschka 2018: 36). Um später auf die Probleme näher eingehen zu können, wird in den folgenden Kapiteln versucht Antworten auf die zentralen Fragen zur Diagnose von Legasthenie zu finden.

3.1 Wann ist die Diagnose der LRS möglich?

Die Probleme beim Lesen und/oder Schreiben treten meistens ab dem Erwerb der Schriftsprache auf, eine Entwicklungsstörung wie die LRS oder Dyskalkulie können also nicht erstmalig gegen Ende der Schullaufbahn auftreten. Die Schwierigkeiten beim Lese- und Rechtschreiberwerb machen sich am Anfang der Schullaufbahn bemerkbar (vgl. Voss 2016: 275).

Aufgrund der Tatsache, dass Schüler erst mit Beginn der Grundschule erstmals mit der Schriftsprache vertraut werden, müssen für die Diagnose diese Fertigkeiten erworben worden sein, um eventuelle Defizite im Bereich der Lese- und/oder Rechtschreibfertigkeiten erkennen zu können (vgl. Schuchardt/Mähler 2016: 201).

Daher eignet sich die Diagnose „ab Ende der ersten Klassenstufe“ (ebd.) am besten. Mithilfe der Diagnostik der phonologischen Reizverarbeitung ist jedoch eine frühere Erkennung möglich. Eine Früherkennung ist heute durch verschiedene Testverfahren möglich.

Eines dieser Testverfahren ist z. B. das Bielefelder Screening zur Früherkennung (BISC). Mithilfe des Bielefelder Screening-Verfahrens können Kinder bereits im Vorschulalter getestet werden. Die Anwendung des Tests erfolgt zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten, erstmals zehn Monate und beim zweiten Mal vier Monate vor der Einschulung. Das Screening eignet sich allerdings nur für Kinder, die vorher mit der Schriftsprache nicht in Kontakt kamen und diese ihnen nicht unterrichtet wurde. Somit besteht das Bielefelder Screening aus neun Untertests, die etwa 20 bis 30 Minuten Zeit erfordern (vgl. Spinath/Brünken 2016: 96f.). Die neun Untertests lassen sich in folgende Bereiche einteilen: „Pseudowörter-Nachsprechen, Reimen, Wort-Vergleich-Suchaufgabe, Laute-Assoziieren, Schnelles-Benennen-Wissen, Schnelles-Benennen-Farben von Schwarz/weiß-Objekten, Schnelles-Benennen-Farben farbig inkongruenter Objekte, Silben-Segmentieren, Laut-zu-Wort“ (Spinath/Brünken 2016: 97). Studien zufolge ist das BISC jedoch als Diagnose nicht ausreichend, sodass mithilfe dieses Verfahrens eine Diagnose vor dem eigentlichen Lese-Rechtschreiberwerb im Vorschulalter nicht möglich ist (vgl. ebd.: 98).

Um auf die Frage zurückzukommen, wann die Diagnose der Legasthenie möglich ist, ist zu betonen, dass die LRS „meist zwischen dem 9. und 12 Lebensjahr“ (Steinbrink/Lachmann 2014: 57), also erst nach dem Erwerb der Schriftsprache diagnostizierbar ist. Eine Diagnose in späteren Altersjahren erweist sich als schwieriger, ist jedoch nicht unmöglich (vgl. ebd.).

3.2 Wer diagnostiziert LRS?

Eine der wichtigsten Fragen bezüglich der Diagnose von LRS lautet, welche Personen berechtigt sind LRS zu diagnostizieren. Im Falle des Verdachts einer Lese-Rechtschreibstörung wird empfohlen, „die Kinder zur diagnostischen Abklärung in einer Facheinrichtung“ (Schuchardt/Mähler 2016: 201) vorzustellen. Facheinrichtungen für die Erstellung einer Diagnose sind z. B. Kinder- und Jugendpsychiatrie oder -psychotherapie, Schulpsychologie oder Kinder- und Jugendpsychotherapeuten (vgl. ebd.: 201)

Darüber hinaus haben die Schule bzw. die Lehrkräfte die Verantwortung, Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben und somit eine eventuell vorliegende Entwicklungsstörung beim Kind zu erkennen. Sie sind verpflichtet, die Leistungen und die schulische Entwicklung ihrer Schüler zu beobachten und Entscheidungen darüber zu treffen, ob und in welchem Maße die betroffenen Schüler gefördert werden müssen (vgl. Voss 2016: 275).

3.3 Wie wird diagnostiziert?

Für die Diagnose von Legasthenie werden ähnlich wie beim Bielefelder Screening-Verfahren unterschiedliche Diagnoseverfahren durchgeführt, in denen der Fokus auf dem Lesen und Schreiben liegt. Mithilfe des diagnostischen Anamnesegesprächs können zunächst erste Informationen über den Leistungsstand des Kindes erfasst werden. Inhalt solcher Gespräche sind z. B. die kognitiven Fähigkeiten des Kindes, seine motorische oder sprachliche Entwicklung. Des Weiteren werden mithilfe standardisierter und normbasierter Schulleistungstests die Kernsymptome untersucht (vgl. Schuchardt/Mähler 2016: 201).

Die Würzburger Leise Leseprobe (WLLP) eignet sich sowohl als Screening-Verfahren zur Früherkennung im Grundschulalter (vgl. Spinath/Brünken 2016: 99) als auch in den darauffolgenden Schuljahren zum Ermitteln der Lesegeschwindigkeit. Um die Lesegenauigkeit zu bestimmen, kann man auf den Salzburger Lesetest (SLT-II) zurückgreifen, um die Rechtschreibfähigkeiten zu bemessen, auf den Weingartener Rechtschreibtest. Die Liste der erwähnten Testverfahren kann weiter fortgeführt werden, da es unzählige Verfahren gibt, für die man sich im einzelnen Fall entscheiden kann. Darüber hinaus wird zur Diagnose auch ein Intelligenztest vorgenommen und ggf. das doppelte Diskrepanzkriterium herangezogen (vgl. Schuchardt/Mähler 2016: 201).

4 Fördermöglichkeiten

„Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage und Herkunft und sein Geschlecht ein Recht auf schulische Bildung, Erziehung und individuelle Förderung. Dieses Recht wird nach Maßgabe dieses Gesetzes gewährleistet“ (Schulgesetz NRW 2005, § 1, Abs. 1). Unter dem Titel „Recht auf Bildung, Erziehung und individuelle Förderung“ wird die Förderung im Schulgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen hervorgehoben. Eine frühzeitige Förderung ist in dem Förderprozess von LRS sehr wichtig, denn nach Meinung von Berner (2018) sind SuS auf eine ihrem Entwicklungsstand angepasste individuelle Förderung angewiesen. Auf diesem Lernweg benötigen sie Motivation und besonderes Verständnis, dass sie anders lernen als ihre Mitschüler. Die Förderung der legasthenen Kinder erfordert aber auch das frühzeitige Diagnostizieren der Entwicklungsstörung. Dabei ist es wichtig sich vor Augen zu halten, was das zu fördernde Kind schon kann, welche Stärken und Schwächen das Kind hat und welche Unterstützung es benötigt (vgl. Berner 2018: 10; vgl. Spinath/Brünken 2016: 101).

Dorsch ist der Meinung, dass im Allgemeinen die Lesemotivation bei SuS geweckt werden soll. Das Leseverhalten der Kinder variiert sehr stark. Auch ist aus der Praxis bekannt, dass einige Kinder beim Lesen sehr schwach sind und sie eventuell in ihrer Freizeit auch nicht gern lesen, wohingegen andere gerne lesen. Die Freude am Lesen kann ihrer Meinung nach durch die farbliche Gestaltung des Geschriebenen erzeugt werden, da dadurch das Interesse des Kindes angeregt wird, um die Motivation aufrechtzuerhalten (vgl. Dorsch 2018: 34).

Ähnlich wie bei den unterschiedlichen Testverfahren zur Diagnose gibt es einige Trainingsprogramme zum Fördern der Schwierigkeiten von LRS-Kindern. Das Würzburger Trainingsprogramm eignet sich z. B. zur Förderung der phonologischen Bewusstheit vor oder zu Beginn des Schriftspracherwerbs (Spinath/Brünken 2016: 101). Die Wirksamkeit des Programms wurde mehrmals durch Studien bestätigt. Dabei ist es besonders wichtig, dass Kinder das Training persistent durchführen, um die angestrebten Ziele erreichen zu können. Um die Effizienz des Trainingsprogramms zu betonen ist es wichtig zu erwähnen, dass Kinder dieser Fördergruppe „auch am Ende der 1. Klasse noch einen deutlichen Vorsprung beim Erlernen von Lesen und Schreiben“ (Spinath/Brünken 2016: 103) hatten. Darüber hinaus ist zu betonen, dass von diesem Testverfahren auch Risikokinder profitieren können, die schon im Kindergartenalter defizitäre Leistungen erbrachten. Unterdurchschnittliche, durchschnittliche und überdurchschnittliche Kinder wurden miteinander verglichen. Fasst man die Ergebnisse der empirischen Studien zusammen, so eignet sich das Würzburger Trainingsprogramm sehr gut zur phonologischen Bewusstheit (vgl. ebd.: 103). Spinath kritisiert leere „Versprechungen, dass LRS ohne Mühe und ohne Übung zu behandeln sei“ (ebd. S. 103). Auch will sie vom „Wundermittel“ (ebd.) nichts wissen und will mit ihren Worten Klarheit schaffen: Der Förderprozess ist anstrengend und erfordert Anstrengung und Disziplin (vgl. ebd.: 103f.). Für die Förderung in den späteren Phasen wird das Marburger Rechtschreibtraining vorgestellt. Das Ziel dieses Trainings „ist die Vermittlung von Regelwissen und Lösungsstrategien“ (Spinath/Brünken 2016:104). Es ist ab der 2. Jahrgangsstufe einsetzbar. Auch hierbei wurde die Wirksamkeit mehrfach durch empirische Befunde bestätigt (Spinath/Brünken 2016: 106). Doch „im Vergleich zu anderen Fördermethoden für die Rechtschreibung ergab sich allerdings keine Überlegenheit des Marburger Rechtschreibtrainings“ (ebd). Daraus lässt sich schließen, dass es anderen Methoden nicht überlegen ist und ähnliche Programme die gleiche Wirkung haben.

4.1 Schulische Förderung

Die Schule eignet sich laut Galuschka (2018) idealerweise zum Fördern der Schüler, denn die Schule ist der Ort, an dem Stärken und auch Schwächen zum Vorschein kommen (vgl. Galuschka 2018: 39). Lehrer dürfen dabei nicht allein gelassen werden, sie sind nicht allein für den Lernerfolg ihrer SuS verantwortlich, sondern im engeren Sinne die Schule und im weiteren Sinne das Bildungssystem. So müssen Wege eröffnet, Perspektiven geschaffen, Lösungen angeboten werden (vgl. Höinghaus/Priboschek 2018: 9). Es wird an das Bildungssystem appelliert, dass die Gegebenheiten verbessert werden müssen, um wünschenswerte Ziele erreichen zu können. Im Fokus steht die Sensibilisierung der (angehenden) Lehrer. Lehrkräfte sollen richtig ausgebildet und auch richtig fortgebildet werden, um nicht ahnungslos vor dem Problem zu stehen, sondern dieses bewältigen zu können. Dafür sind bestimmte Ressourcen seitens des Bildungssystems erforderlich. Dabei wird auch auf ein zentrales Problem hingewiesen: Den Schulen gelingt es noch heute nicht, legasthene Schüler zu fördern. Das Ziel ist vor allem auch die Bildungschancen zu erhöhen, sodass jeder Schüler weit nach vorne kommen soll und nicht aufgrund dieser Teilleistungsstörung auf der Strecke bleibt. Ihm sollen Wege eröffnet werden und jedes Kind sollte von seinem Anspruch auf individuelle Förderung Gebrauch machen können (vgl. Höinghaus/Priboschek 2018: 7ff.). Kinder mit legasthenem Erscheinungsbild benötigen eine angemessene Förderung. Einem Schreiben zum LRS-Erlass des Schulministeriums NRW ist zu entnehmen, dass Lesen und Schreiben grundlegende Fertigkeiten und „für den Zugang zum Beruf und für das Berufsleben“ (Schulministerium NRW: Kap. 1) von immenser Wichtigkeit sind. Im ersten Kapitel des LRS-Erlasses wird das Lernen und Schreiben als Aufgabe der Schule beschrieben. Zudem werden wichtige Informationen bezüglich der „Förderung von Schülerinnen und Schülern bei besonderen Schwierigkeiten des Lesens und Schreibens (LRS)“ vorgestellt, wie dem Titel des Erlasses zu entnehmen ist (Schulministerium NRW).

Doch was brauchen Kinder und was bedeutet das für den schulischen Alltag? – Berner (2018) versucht eine allgemeine Antwort auf diese Frage zu finden. Entsprechend des individuellen Entwicklungsniveaus jeden Kindes brauchen betroffene Kinder eine geeignete Förderung. In erster Linie sehnen sich diese Kinder nach „Verständnis und Wertschätzung ihrer Lehrkräfte“ (ebd. S. 10). Sie wollen verstanden und akzeptiert werden. Die Sensibilität der Lehrer im Umgang mit einem solchen Fall ist besonders wichtig, sodass Lehrkräfte mitwirkende Personen bei der Entwicklung des Kindes sind. Auf diese Weise können die Ängste der SuS vermindert bzw. sogar verhindert werden. Stephanie Berner vertritt die Meinung, dass eine Schule nicht nur fordern, sondern auch fördern sollte. Idealerweise sollen dabei diejenigen Kinder besondere Unterstützung erhalten, die in irgendeiner Weise beeinträchtigt sind (vgl. ebd.).

Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, was die Schulen bieten können. Wie bereits erwähnt, haben Schulen die Aufgabe ihre SuS zu fördern und auf ihrem individuellen Lernweg zu begleiten. Diese Frage lässt sich also nicht so leicht beantworten, da jede Schule andere Ressourcen und unterschiedliche Möglichkeiten hat. Aus diesem Grund ist bei der Förderung auf diese Gegebenheiten zu achten und die Frage kann nicht pauschal beantwortet werden.

4.2 Förderung im Regelunterricht

Im Folgenden wird die Aussage von Berner näher untersucht und hinterfragt: „Beschämende oder stigmatisierende Situationen in der Klasse wie das laute Vorlesen oder das Vorrechnen an der Tafel sollen vermieden werden“ (Berner 2018: 10). In dieser Hinsicht ist der Autorin teilweise zuzustimmen. Wenn Lehrkräfte wissen, dass sie mit dieser Verhaltensweise ihre SuS in eine prekäre Situation versetzen, soll dies tatsächlich vermieden werden. Dagegen ist jedoch auch kritisch einzuwenden, dass sich legasthene Kinder auf diese Art keineswegs ausgegrenzt fühlen sollen. Auch sie sind Teil einer Klasse und möchten ihre Mitwirkung zeigen. Andere SuS, die das Glück haben, von dieser Störung nicht betroffen zu sein, können auf diese Weise auf ihre Mitschüler Acht geben, diesen die entsprechende Zeit beim lauten Vorlesen lassen und sie somit ermutigen. Denn dabei muss auch bedacht werden, dass legasthene Kinder mit der Zeit nicht verstummen.

[...]

Excerpt out of 92 pages

Details

Title
Legasthenie und Lese-Rechtschreibschwäche. Wie viel wissen Lehrer über Hintergründe und Fördermöglichkeiten?
Author
Year
2019
Pages
92
Catalog Number
V490967
ISBN (eBook)
9783960957140
ISBN (Book)
9783960957157
Language
German
Keywords
Legasthenie, LRS, Lese-Rechtschreibstörung, Leseschwäche, Rechtschreibschwäche, Lese-Rechtschreibschwäche, icd10, Dyslexie, master, Masterarbeit, diskrepanzkriterium, uta frith, Entwicklung des Schriftspracherwerbs, Diagnose, Lehrer, Lehrkräfte, Schule, Förderunterricht, Bildung, Inklusion
Quote paper
Kamile Yesiltas (Author), 2019, Legasthenie und Lese-Rechtschreibschwäche. Wie viel wissen Lehrer über Hintergründe und Fördermöglichkeiten?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/490967

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