Die „American angst“ (oder als Äquivalent die „German angst“) grassiert, „the Age of Anxiety“, das Jahrhundert der Angst ist ausgerufen. Steigende soziale Ungleichheit, Krieg und Terror, prekäre Lebensumstände formen unseren Alltag. Millionen von Menschen erkranken an abnormer Traurigkeit, Leere, Hoffnungslosigkeit: der psychiatrische Begriff für das Krankheitsbild heißt Depression. Doch worum handelt es sich bei der plakativ betitelten „Depressions-Epidemie“: um eine individuelle, vererbbare Krankheit, um ein kollektives soziales Phänomen, um historisch verwurzelte, inter- und transgenerationale Traumata, um ein profitorientiertes Zuschreibungsmodell der Pharmaindustrie?
Die Narrative der Depression sind vielfältig und komplex. Die vorliegende Arbeit versucht, Konzepte abseits des medizinischen Modells vorzustellen und auf der Suche nach Verknüpfungen das commonsense-Wissen über Depression zu erweitern und zu rekonzeptualisieren. Im ersten Kapitel wird das „harmful dysfunction“-Modell (im Folgenden HD-Modell genannt) von Allan Horwitz & Jerome Wakefield (2007) als Beispiel für das medizinische Modell eingeführt. Im nächsten Schritt wird diesem Ann Cvetkovichs holistischer Ansatz aus „Depression – A Public Feeling“ (2012) entgegengestellt. Dies geschieht in drei Unterkapiteln, die sich mit den Themen „Defamiliarizing depression” – Acedia und Spiritualität, Kapitalismus, Kolonialismus & Unterdrückung sowie Depression als Sackgasse & Quelle politischer Mobilisierung beschäftigen. Im dritten Kapitel werde ich schließlich anhand von Cvetkovichs alternativen Perspektiven Horwitz & Wakefield einer kritischen Betrachtung unterziehen und dafür argumentieren, dass die angeführten Modelle keineswegs unvereinbar sind, sondern Cvetkovich vielmehr eine elementare Ergänzung und Erweiterung für die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Depression darstellt. Zuletzt wird ein Ausblick auf die Thematik gegeben und die aus der Arbeit resultierenden Implikationen auf die Diskussion um Depression an der philosophisch-psychologischen Schnittstelle zusammengefasst.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Das HD-Modell von Horwitz & Wakefield
- 2. Der holistische Ansatz von Cvetkovich - Public Feelings
- 2.1 Defamiliarizing depression" - Acedia und Spiritualität
- 2.2 Kapitalismus, Kolonialismus & Unterdrückung
- 2.3 Depression als Sackgasse & Quelle politischer Mobilisierung
- 3. Horwitz & Wakefield vs. Cvetkovich
- 4. Literatur- und Quellenverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Frage, wie Depression als individuelles und kollektives Phänomen begriffen werden kann, und stellt verschiedene Konzepte zur Diskussion, die über das rein medizinische Modell hinausgehen. Die Arbeit strebt an, das Verständnis von Depression zu erweitern und zu re-konzeptualisieren, indem sie die Verknüpfungen zwischen Depression und sozialen, kulturellen und historischen Faktoren beleuchtet.
- Kritik am medizinischen Modell der Depression
- Der holistische Ansatz von Ann Cvetkovich und ihre Kritik an der „harmful dysfunction“-Theorie
- Die Rolle von Kapitalismus, Kolonialismus und Unterdrückung in der Entstehung von Depression
- Depression als Ausdruck von sozialem Leid und als Quelle politischer Mobilisierung
- Die Verbindung von Depression mit spirituellen und philosophischen Aspekten
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel widmet sich dem „harmful dysfunction“-Modell von Horwitz & Wakefield, das Depression als eine schädliche Fehlfunktion innerer Mechanismen definiert. Hierbei werden die beiden Kriterien des Modells, die Fehlfunktion und die Schädigung, detailliert analysiert und in Bezug auf die Bedeutung von sozialen Normen und die Problematik der rein biologischen Betrachtungsweise diskutiert.
Kapitel 2 stellt den holistischen Ansatz von Ann Cvetkovich vor, der Depression als ein öffentliches Gefühl begreift und die sozialen und kulturellen Faktoren in den Fokus stellt. Cvetkovichs Ansatz strebt nach einer umfassenderen Betrachtung von Depression, die sowohl die individuellen Erfahrungen als auch die gesellschaftlichen Ursachen berücksichtigt. Die Unterkapitel beleuchten die Themen Acedia und Spiritualität, die Rolle von Kapitalismus, Kolonialismus und Unterdrückung sowie Depression als Sackgasse und Quelle politischer Mobilisierung.
Kapitel 3 setzt sich kritisch mit den Modellen von Horwitz & Wakefield und Cvetkovich auseinander und argumentiert, dass beide Ansätze keine gegensätzlichen, sondern vielmehr komplementäre Perspektiven auf das Phänomen Depression bieten. Cvetkovichs holistischer Ansatz erweist sich dabei als eine elementare Ergänzung und Erweiterung des medizinischen Modells, indem er die sozialen und kulturellen Dimensionen von Depression in den Mittelpunkt stellt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Begriffen Depression, „harmful dysfunction“-Modell, holistischer Ansatz, Public Feelings, Acedia, Kapitalismus, Kolonialismus, Unterdrückung, soziale Ungleichheit, politische Mobilisierung, Trauma, Spiritualität, medizinisches Modell, soziale Normen und kulturelle Faktoren.
- Arbeit zitieren
- Henrike Vogel (Autor:in), 2016, Narrative der Depression, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/491603