Die These vom Demokratiedefizit der Europäischen Union. Überwindung durch den Vertrag von Lissabon?


Hausarbeit, 2015

16 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Exkurs: Demokratie und Legitimist

2 Das Demokratiedefizit der Europaischen Union
2.1 Strukturelle Defizite
2.2 Institutionelle Defizite

3 Der Vertrag von Lissabon
3.1 Institutionelle Implikationen
3.2 Das europaische Burgerbegehren als neues Partizipationsinstrument
3.3 Gesteigerte Wahrnehmung und Politisierung

Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

„Die Europaische Union ist so undemokratisch, dass sie sich selbst nicht beitreten konnte“.1

Die These eines vermeintlich vorherrschenden Demokratiedefizites in der Europaischen Union halt sich nicht erst seit deren Bestehen hartnackig in der offentlichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Die polemische Anmerkung, die EU konne sich aufgrund ihres eigenen Demokratiedefizits nicht einmal selbst beitreten, ist dabei sicherlich die extremste Zuspitzung. Befeuert wurde die Debatte vor allem in den Jahren 2007 und 2008 als die Europaische Union der Auseinandersetzung mit dem Vertrag von Lissabon antwortete, welcher MaGnahmen zur Uberwindung des Demokratiedefizits beinhaltete. Doch nicht nur in den Wissenschaften dominiert die Einschatzung, die Europaische Union hinke in puncto demokratische Ausgestaltung hinterher. Auf die Frage, ob es in der EU demokratisch zugehe, antworteten im Jahr 2012 ganze 74 Prozent der Befragten mit einem Nein.2 Ziel der Hausarbeit soll die nahere Betrachtung der These vom Demokratiedefizit der Europaischen Union sein. Woraus speist sich die Annahme eines Defizits und wie findet dieses seinen Ausdruck in den Prozessen und Institutionen innerhalb der Europaischen Union? SchwerpunktmaGig soll es dabei um eine Bestandsaufnahme nach dem Vertrag von Lissabon gehen. Welche MaGnahmen zur Uberwindung des Demokratiedefizites wurden durch den Vertrag von Lissabon etabliert und konnten diese ihren Teil zur Uberwindung beitragen?

Nach der Einleitung soll zu Beginn noch einmal auf die Begriffe Demokratie und Legitimitat eingegangen werden, da diese Grundelemente in der Auseinandersetzung sind und aus diesem Grund in groben Zugen umrissen werden. Im zweiten Kapitel steht die Bestandsaufnahme in Bezug auf das Demokratiedefizit innerhalb der Europaischen Union im Vordergrund. AnschlieGend sollen die Elemente zur Demokratisierung der Europaischen Union durch den Vertrag von Lissabon vorgestellt und kurz evaluiert werden. In einem abschlieGenden Fazit werden die gewonnenen Erkenntnisse nochmals reflektiert.

1. Exkurs: Demokratie und Legitimist

Die Begriffe Demokratie und Legitimist gehoren wohl zu den am schwierigsten zu fassenden und zu definierenden Begriffen und sind auf entscheidende Weise miteinander verbunden. Um im nachfolgenden Kapitel auf die These vom Demokratiedefizit eingehen zu konnen, sollen nun noch einmal die theoretischen Perspektiven beider Begriffe aufgezeigt werden. Demokratie (griech. demos = das Volk, kratein = Herrschaft) steht in erster Linie fur die Herrschaft des Volkes. In der normativen politischen Theorie konnen nach Fritz Scharpf zwei unterschiedliche Konzeptionen unterschieden werden. Zum einen betont die input-orientierte Perspektive die „Herrschaft durch das Volk", indem politische Entscheidungen dadurch legitimiert werden, da sie den Volkswillen widerspiegeln. Die output- orientierte Perspektive resultiert aus der „Herrschaft fur das Volk", wodurch Entscheidungen legitim sind, da sie auf wirksame Weise das allgemeine Wohl im jeweiligen Gemeinwesen fordern.3 In der empirisch-analytischen Wissenschaft stellt sich ebenfalls die Frage nach der Messbarmachung von Demokratie. Robert A. Dahl entwickelte funf Kriterien, die idealtypische Demokratien auszeichnen: wirksame Partizipation, gleiches Wahlrecht und Stimmengleichheit, authentische, aufklarerische Willensbildung, Inklusion aller Stimmberechtigten und die Erlangung letztendlicher Kontrolle uber die Agenda der Politik seitens der Stimmberechtigten.4 Doch auch diese Indikatoren der Polyarchie sind in Zeiten des postnationalen Regierens immer schwerer zu quantifizieren.

Legitimist (lat. legitimitas = RechtmaGigkeit) behandelt die Frage, wie sich die Herrschaftsausubung - die dabei immer mit einer Einschrankung an personlicher Freiheit einhergeht - rechtfertigen lasst. Schon der Soziologe Max Weber unterschied mit legaler, traditioneller und charismatischer Herrschaft drei Legitimitatsquellen. Legale Herrschaft beruhe dabei „auf dem Glauben an die Legalitat gesatzter Ordnungen und das Anweisungsrecht der durch sie zur Herrschaft Berufenen".5 Legitimist wird im Vergleich zur Demokratie als ein weit umfassenderer Begriff verstanden, da Legitimist „aus verschiedenen Quellen gespeist werden kann, von denen Demokratie eine zentrale, aber nicht die einzig mogliche ist".6 Eine besondere Bedeutung erhalt der Legitimists- und Demokratiebegriff in Zeiten der Herrschaftsausubung jenseits des Staates. Insbesondere bei Betrachtung der Europaischen Union und des Mehrebenensystems wird die Komplexitat deutlich, mit der sich der Legitimitatsbegriff konfrontiert sieht. Einig ist man sich jedoch in der Tatsache, dass je starker die Burger von Entscheidungen einer internationalen Organisation betroffen sind, desto grower der Bedarf an demokratischer Legitimierung.7

2. Das Demokratiedefizit der Europaischen Union

Die These vom Demokratiedefizit der Europaischen Union wird in Debatten zu oft leichtfertig verwendet und wird haufig angefuhrt, wenn es darum geht, die Europaische Union im Grundsatz und als Ganzes abzulehnen. Einen Aufschwung erlebte die These insbesondere nach den gescheiterten Abstimmungen uber einen Europaischen Verfassungsvertrag in den Niederlanden und Frankreich im Jahr 2005. In Bezug auf die Europaische Union dominiert in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung eher der Begriff des Legitimitatsdefizites, wie er im ersten Kapitel bereits im Kontext mit Demokratie diskutiert wurde. Holzinger unterscheidet bezuglich der EU im Wesentlichen drei Arten der Legitimitat. Die Output-Legitimitat bemisst sich an der Akzeptanz dieser Politiken in der Bevolkerung, die indirekte Input-Legitimitat fokussiert auf die Wirkung nationaler Parlamente am Politikprozess und die supranationale Input-Legitimation resultiert aus dem Einbezug des Europaischen Parlamentes.8 Auch wenn die gefuhlte Akzeptanz in der Bevolkerung noch ein gewisser Verbesserungsbedarf besteht und man sich weitestgehend vom permissiven Konsens9 entfernt hat, so konnen in Bezug auf die Europaische Union dennoch hohe Legitimitatsgrundsatze ausgemacht werden. Aus diesem Grund sehen einige, wie der Politikwissenschaftler Andrew Moravcsik auch nur „little evidence that the EU suffers from a fundamental democratic deficit."10 Dennoch sollen im folgenden die Argumente aufgezahlt werden, die fur ein Demokratiedefizit in der Europaischen Union sprechen. Hierzu werden strukturelle und institutionelle Defizite unterschieden.

2.1 Strukturelle Defizite

Ausgangsbasis des strukturellen Defizites bildet das Fehlen einer eigenstandigen Verfassung. Dies wirft die Frage auf, ob die Europaische Union als Staat im eigentlichen Sinne bezeichnet werden kann, wie sie etwa mittels der Jellinek’schen Drei-Elemente-Lehre (Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt) definiert wurde.11 Das Bundesverfassungsgericht kam in seinem 1993 gefallten Urteil uber die Vereinbarkeit des Maastrichter Vertrags mit dem deutschen Grundgesetz zu dem Schluss, dass es sich bei der Europaischen Union vielmehr um einen Staatenverbund handele. Es gehe um einen Zusammenschluss „unabhangiger und souveraner Staaten [...], um einige ihrer Befugnisse und insoweit ihre Souveranitat gemeinsam auszuuben" und nicht um die Grundung eines Staates, sondern um „die Begrundung von Volkerrechtsverbindlichkeiten unter selbstandig bleibenden Staaten".12

Dies ist auch der Grund, weshalb auch nicht von einem einheitlichen europaischen Staatsvolk gesprochen werden kann, was ebenfalls als Defizit aufgefasst wird. So resultiert daraus, dass es keine Volkssouveranitat in der Gesamtheit gibt. Die Legitimitat der Europaischen Union wird nach wie vor stark von der demokratischen Ausgestaltung der Nationalstaaten gespeist. Es existiert somit eine Dominanz der indirekten Input-Legitimitat. Konkret auGert sich dies darin, dass es etwa keine gesamteuropaischen Parteien gibt, die an der Europawahl gewahlt werden. Nach wie vor spielen nationale Parteien und Organisationen eine zentrale Rolle.

Eng damit verbunden ist das vielleicht ausschlaggebendste Argument in Bezug auf das strukturelle Demokratiedefizit: die Nichtexistenz einer kollektiven gesamteuropaischen Identitat (demos) als ein entscheidender Grundpfeiler. Dennoch herrscht auch in dieser Hinsicht eine der Debatte um das Demokratiedefizit ahnelnde Uneinigkeit und uber die tatsachliche Existenz beziehungsweise Nichtexistenz einer solchen. Es wird die Frage aufgeworfen, inwieweit auf europaischer Ebene uberhaupt die Herausbildung einer „Wir-Identitat" von Noten ist, da die EU ohnehin demokratisch legitimiert ist. Auch sollte zwischen einer Identifikation mit Europa und der Institution EU unterschieden werden. F0llesdal und Hix, welche sich explizit gegen eine Zuruckweisung des Demokratiedefizites durch Moravcsik richten und damit die Herausbildung einer Identitat als Voraussetzung auffassen, fuhren in diesem Zusammenhang an: „Neither national elections nor European Parliament elections are really ‘European’ elections: they are not about the personalities and parties at the European level or the direction of the EU policy agenda".13 Das europaische Denken hat seinen Ausgangspunkt zumeist in der nationalstaatlichen Perspektive. Zwar existieren gemeinsame Grundwerte, doch ist man von der Herausbildung einer kollektiven europaischen Identitat weit entfernt. Vielmehr interessiert sich nur ein geringer Teil der Bevolkerung fur europaische Angelegenheiten. So sind in den letzten drei Jahrzehnten gestutzt durch Umfragen im Rahmen des Eurobarometers eine intensivierte Teilnahmslosigkeit und eine zunehmende Entfremdung zu beobachten.14 Aktuelle Krisenereignisse, wie die Wirtschafts- und Finanzkrise und die Auswirkungen auf Griechenland haben daran einen wichtigen Anteil.

AbschlieGend wird haufig Intransparenz und Hyper-Komplexitat als Argument fur ein Demokratiedefizit angefuhrt. Obwohl mittlerweile ein exorbitanter Anteil an Gesetzesverfahren seinen Ausgangspunkt in Brussel nimmt, sind diese Verfahren fur die meisten Burger vollkommen undurchsichtig. Partizipations- und Beteiligungsmoglichkeiten sind, vor allem vor dem Vertrag von Lissabon, weitestgehend unbekannt bzw. existierten nicht. Manche Autoren unterstellen der Europaischen Union als gesamtes per se eine grundsatzlich technokratische Ausrichtung.15

[...]


1 Vgl. Europaisches Parlament (2015): Lexikon Demokratiedefizit. Online verfugbar unter www.europarl.europa.eu/brussels/website/media/Lexikon/Pdf/Demokratiedefizit.pdf, zuletzt gepruft am 28.08.2015.

2 Vgl. Statista (2012): Meinung zur Demokratie in der Europaischen Union. Online verfugbar unter: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/194374/umfrage/meinung-zur-demokratie-in-der- europaeische-union/, zuletzt gepruft am 28.08.2015.

3 Vgl. Scharpf, Fritz (1999): Regieren in Europa. Effektiv und demokratisch. Frankfurt a.M.: Campus Verlag, S.16.

4 Vgl. Schmidt, Manfred G. (2000): Demokratietheorien. 3. Auflage. Opladen: Leske + Budrich, S.394f.

5 Zit. nach Emeka Akude, John/Daun, Anna/Egner, David (2011): Legitimitat und Funktionsweise politischer Herrschaft im synchronen und diachronen Vergleich. In: Emeka Akude, John et al. (Hg.): Politische Herrschaft jenseits des Staates. Zur Transformation von Legitimitat in Geschichte und Gegenwart. Wiesbaden: VS Verlag, S.11.

6 Vgl. Schmidt, Siegmar/Schunemann, Wolf J. (2009): Europaische Union. Eine Einfuhrung. Baden- Baden: Nomos, S.242.

7 Vgl. Dingwerth, Klaus/Blauberger, Michael/Schneider, Christian (2011): Postnationale Demokratie. Eine Einfuhrung am Beispiel von EU, WTO und UNO. Wiesbaden: VS Verlag, S.84.

8 Vgl. Holzinger, Katharina (2005): Institutionen und Entscheidungsprozesse in der EU. In: Holzinger, Katharina et al. (Hg.): Die Europaische Union. Theorien und Analysekonzepte. Paderborn: Schoningh, S. 92f.

9 Ein in den 1970er Jahren eingefuhrter Begriff von Lindberg und Scheingold zur Beschreibung des Einverstandnisses der Bevolkerung zu mehr europaischer Integration, ohne, dass genaue Kenntnisse in Bezug auf die Umstande dieser Prozesse vorhanden waren (eine Art stillschweigende Duldung seitens der Bevolkerung zur fortschreitenden Integration).

10 Vgl. Moravcsik, Andrew (2002): In Defence of the ‘Democratic Deficit’: Reassessing Legitimacy in the European Union. In: Journal of Common Market Studies, Vol. 40, Nr. 4, S.621.

11 Vgl. Jellineck, Georg (1996): Die Lehre von der Staatenverbindung. Nachdr. der Ausg. Wien, Holder 1882. Goldbach: Keip, S.172.

12 Vgl. Kirchhof, Paul (1994): Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. In: Hommelhoff, Paul/Kirchhof, Paul (Hg.): Der Staatenverbund der Europaischen Union. Heidelberg: C.F. Muller, S.12.

13 Vgl. F0llesdal, Andreas/Hix, Simon (2006): Why T here is a Democratic Deficit in the EU: A Response to Majone and Moravcsik. In: Journal of Common Market Studies, Vol. 44, Nr. 3, S.535f.

14 Vgl. Kaina, Viktoria (2009): Wir in Europa. Kollektive Identitat und Demokratie in der Europaischen Union. Wiesbaden: VS Verlag, S.99.

15 Vgl. Wallace, William/Smith, Juli (1995): Democracy or technocracy? European integration and the problem of popular consent. In: West European Politics, Vol. 18, Nr. 3.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die These vom Demokratiedefizit der Europäischen Union. Überwindung durch den Vertrag von Lissabon?
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
2,0
Jahr
2015
Seiten
16
Katalognummer
V491981
ISBN (eBook)
9783668984776
ISBN (Buch)
9783668984783
Sprache
Deutsch
Schlagworte
EU, Vertrag von Lissabon, Europäische Union, Demokratiedefizit, Demokratietheorie, Governance, Regieren, Europa
Arbeit zitieren
Anonym, 2015, Die These vom Demokratiedefizit der Europäischen Union. Überwindung durch den Vertrag von Lissabon?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/491981

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die These vom Demokratiedefizit der Europäischen Union. Überwindung durch den Vertrag von Lissabon?



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden