Der Mathematikunterricht war schon immer lehrerzentriert, ist heute lehrerzentriert und wird auch immer lehrerzentriert bleiben. Dies scheint die herrschende Meinung der Gesellschaft auf die Frage zu sein, wie ein Mathematikunterricht am besten organisiert und durchgeführt werden sollte. Handlungsorientierter oder gar selbstregulierter Mathematikunterricht scheint für einen Großteil der Gesellschaft unmöglich zu sein. Auch in der fachdidaktischen Literatur wurde bisher die Integration des selbstregulierten Lernens in den Mathematikunterricht selten in den Fokus gerückt.
Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, genau diese Thematik näher zu betrachten, um darüber hinaus auch die oben erwähnte herrschende Meinung in der Gesellschaft kritisch zu hinterfragen. Um die Einbettung des selbstregulierten Lernens in den Mathematikunterricht bestmöglich beschreiben und untersuchen zu können, habe ich mich auf ein konkretes und relativ gut umsetzbares Thema spezialisiert. Ausgehend von der kaufmännischen Problemstellung der Gewinnmaximierung eines Unternehmens werde ich die Integration des selbstregulierten Lernens in den Mathematikunterricht einer 12. Klasse BOS zum Thema der Kurvendiskussion mit Schwerpunkt der ersten Ableitung untersuchen. Im Zuge dessen wurde ein Selbstlernmaterial erstellt, welches es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, sich die erste Ableitung selbst beizubringen. Die Beschreibungen, Hintergründe und Erläuterungen zu diesem Selbstlernmaterial werde ich im zweiten Teil der Bachelorarbeit darlegen. Damit die Leserinnen und Leser diese Beschreibungen nachvollziehen und verstehen können, wird diesem praktischen Teil eine theoretische Erläuterung aller relevanten Begriffe und Gesichtspunkte vorangestellt. In diesem Zusammenhang werde ich den Begriff des selbstregulierten Lernens nicht nur definieren und von anderen ähnlichen Begriffen abgrenzen, sondern zusätzlich die Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieser Unterrichtsmethode aufzeigen. Außerdem sollen den Leserinnen und Lesern die verfolgten Ziele des selbstregulierten Lernens verdeutlicht werden. Um die Brücke von der Theorie zur Praxis zu schlagen, werde ich sowohl auf die veränderte Rolle der Lehrkraft als auch auf die Kompetenzentwicklungen der Schülerinnen und Schüler eingehen.
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Persönliche Beweggründe/Einschränkungen
2. Theoretische Erläuterungen
2.1 Definition des selbstregulierten Lernens
2.2 Begriffsabgrenzung
2.3 Legitimation und Ziel des selbstregulierten Lernens
2.4 Schwierigkeiten und Voraussetzungen
2.5 Veränderte Rolle der Lehrkraft
2.6 Kompetenzentwicklung im Zuge des selbstregulierten Lernens
2.6.1 Allgemein
2.6.2 Selbstkompetenz
2.6.3 Sozialkompetenz
2.6.4 Methodenkompetenz
2.6.5 Fachkompetenz
2.7 Integration des SRL in den Mathematikunterricht
3. Selbstlernmaterial
3.1 Thema
3.2 Aufbau und Bestandteile des Selbstlernmaterials
3.3 Konzept zur Integration in den Unterricht
3.4 Kompetenzentwicklung
4. Schlussfolgerung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: SOL-Ziel
Abbildung 2: Handlungskompetenzen 15 Abbildung 3: Aufbau des Selbstlernmaterials 24 Abbildung 4: KANN-Liste
1. Persönliche Beweggründe/Einschränkungen
Der Mathematikunterricht war schon immer lehrerzentriert, ist heute lehrerzentriert und wird auch immer lehrerzentriert bleiben. Dies scheint die herrschende Meinung der Gesellschaft auf die Frage zu sein, wie ein Mathematikunterricht am besten organisiert und durchgeführt werden sollte. Handlungsorientierter oder gar selbstregulierter Mathematikunterricht scheint für einen Großteil der Gesellschaft unmöglich zu sein. Auch in der fachdidaktischen Literatur wurde bis- her die Integration des selbstregulierten Lernens in den Mathematikunterricht selten in den Fo- kus gerückt. Aus diesem Grund habe ich mich dazu entschieden, genau diese Thematik näher zu betrachten, um darüber hinaus auch die oben erwähnte herrschende Meinung in der Gesell- schaft kritisch zu hinterfragen. Außerdem werden mein Interesse und die Motivation zur Aus- einandersetzung mit diesem Thema dadurch geweckt, dass ich nach Abschluss meines Studi- ums selbst als Mathematiklehrer arbeiten werde und somit unmittelbar mit dieser Thematik konfrontiert werde. Um die Einbettung des selbstregulierten Lernens in den Mathematikunter- richt bestmöglich beschreiben und untersuchen zu können, habe ich mich auf ein konkretes und relativ gut umsetzbares Thema spezialisiert. Ausgehend von der kaufmännischen Problemstel- lung der Gewinnmaximierung eines Unternehmens werde ich die Integration des selbstregu- lierten Lernens in den Mathematikunterricht einer 12. Klasse BOS zum Thema der Kurvendis- kussion mit Schwerpunkt der ersten Ableitung untersuchen. Im Zuge dessen werde ich ein Selbstlernmaterial erstellen, welches es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, sich die erste Ableitung selbst beizubringen. Die Beschreibungen, Hintergründe und Erläuterungen zu diesem Selbstlernmaterial werde ich im zweiten Teil der Bachelorarbeit darlegen. Damit die Leserinnen und Leser diese Beschreibungen nachvollziehen und verstehen können, wird diesem praktischen Teil eine theoretische Erläuterung aller relevanten Begriffe und Gesichtspunkte vo- rangestellt. In diesem Zusammenhang werde ich den Begriff des selbstregulierten Lernens nicht nur definieren und von anderen ähnlichen Begriffen abgrenzen, sondern zusätzlich die Schwie- rigkeiten bei der Umsetzung dieser Unterrichtsmethode aufzeigen. Außerdem sollen den Lese- rinnen und Lesern die verfolgten Ziele des selbstregulierten Lernens verdeutlicht werden. Um die Brücke von der Theorie zur Praxis zu schlagen, werde ich sowohl auf die veränderte Rolle der Lehrkraft als auch auf die Kompetenzentwicklungen der Schülerinnen und Schüler einge- hen. Diese zwei Aspekte werden dabei in beiden Teilen der Arbeit beschrieben, wobei ich mich im praktischen Teil des Öfteren auf meine theoretischen Erläuterungen beziehen werde.
Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit, müssen jedoch einige Einschränkungen ge- troffen werden. Hierbei werde ich beispielsweise nicht näher auf die verschiedenen Lerntypen der Schülerinnen und Schüler eingehen, da diese Formen im Kontext meiner Arbeit eine eher untergeordnete Rolle spielen. Ferner werde ich darauf verzichten, den in der Literatur vielfach beschriebenen „Advance Organizer“ näher zu beschreiben. Diese als Mind-Map dargestellte Visualisierung des gesamten Stoffes sollte den Schülerinnen und Schülern innerhalb eines selbstregulierten Unterrichts zur Orientierung dienen, welches in meinem Fall, aufgrund des eher kurz gehaltenen Selbstlernmaterials und der Verwendung eines Ablaufplans innerhalb der einzelnen Kapitel, überflüssig erscheint.
2. Theoretische Erläuterungen
2.1. Definition des selbstregulierten Lernens
Eine exakte und allgemeingültige Definition des „selbstregulierten Lernens“ zu geben ist na- hezu unmöglich. Auch in der Literatur ist keine einheitliche Definition zu finden. Dies liegt vor allem „[…] an spezifischen, aus unterschiedlichen Forschungstraditionen (z. B. Allgemeine Psychologie, Sozialpsychologie, Persönlichkeitspsychologie, Entwicklungspsychologie, Päda- gogische Psychologie) stammenden Perspektiven und Schwerpunktsetzungen.“ (Götz & Nett, 2011, S. 145). Götz und Nett (2011, S. 146) teilen den Begriff des „selbstregulierten Lernens“ in die drei einzelnen Aspekte „Lernen“, „Regulation“ und „Selbst“ auf. Diese Aufspaltung er- scheint plausibel und lässt eine umfangreiche und sehr genaue Definition zu (Götz & Nett, 2011). Allerdings ergibt sich daraus eine äußerst lange und sehr theoretisch wirkende Begriffs- erklärung:
„Selbstreguliertes Lernen ist eine Form des Erwerbs von Wissen und Kompetenzen, bei der Lerner sich selbstständig und eigenmotiviert Ziele setzen sowie eigenständig Stra- tegien auswählen, die zur Erreichung dieser Ziele führen und durch Bewertung von Er- folgen bezüglich der Reduzierung der Ist-Soll-Differenz Ziele und Aktivitäten im Hin- blick auf eine Erreichung des Soll-Zustandes prozessbegleitend modifizieren und opti- mieren.“ (Götz & Nett, 2011, S. 146).
Um ein Pendant zu dieser sehr ausführlichen Definition zu geben, verweise ich hier auf einen älteren, jedoch meiner Meinung nach treffenderen Erklärungsversuch von Pekrun und Schiefele (1996, S. 258). Diese Definition scheint Ausgangspunkt vieler Publikationen gewesen zu sein, da neben Thomas Götz (2006, S. 6), sowohl Jennifer Klenzan in ihrer Dissertation (2014, S.
19) als auch Kiper und Mischke (2008, S. 29-30) in ihrer Publikation über selbstreguliertes Lernen diese Definition ansprechen und zum Teil sogar wörtlich übernehmen. Daraus lässt sich schließen, dass diese Formulierung auch in der Gegenwart noch aktuell ist. Ihre Definition be- sagt: Selbstreguliertes Lernen „ist eine Form des Lernens, bei der eine Person in Abhängigkeit von der Art ihrer Lern- motivation selbstbestimmt eine oder mehrere Steuerungsmaßnahmen […] ergreift und den Fortgang des Lernprozesses selbst überwacht.“ (Pekrun & Schiefele, 1996, S. 258).
Vergleicht man nun die beiden oben wörtlich wiedergegebenen Definitionen, lassen sich schnell einige Gemeinsamkeiten feststellen. Beide Autoren weisen auf die Eigenmotivation der Lernenden hin, die zum einen eine Art Voraussetzung darstellt und zum anderen wichtig für die Aufrechterhaltung des Lernprozesses ist (Götz & Nett, 2011, S. 147). Vor allem Pekrun und Schiefele sehen die Lernmotivation als eine Art Ausgangspunkt an. Außerdem wird klar, dass in diesem Zusammenhang bei beiden Erklärungen die eigenverantwortliche Planung und Durchführung der Lernmaßnahmen einen wichtigen Part einnimmt. Die dritte Übereinstim- mung ist der Zielbegriff. Dabei machen beide Definitionsformulierungen deutlich, dass nicht nur die selbständige Festlegung von Lernzielen entscheidend ist, sondern auch die eigenstän- dige Kontrolle, also das Abgleichen der Lernziele mit dem Lernfortschritt, zu beachten ist. Dies scheint auch die Kernaussage der ersten Definition von Götz und Nett (2011) zu sein, denn diese legen ihr Hauptaugenmerk explizit auf die „Reduzierung der Ist-Soll-Differenz“ (Götz & Nett, 2011, S. 147). Sie bezeichnen es sogar als „basales Prinzip im Kontext dieser Art des Lernens“ (Götz & Nett, 2011, S. 147). Somit müssen sowohl kognitive als auch motivationale und metakognitive Komponenten gegeben sein, um einen Lernprozess als „selbstreguliert“ be- schreiben zu können. Diese Begrifflichkeiten werde ich in Kapitel 2.4 erneut aufgreifen, da sie nicht nur der Begriffsdefinition dienen, sondern auch elementare Grundvoraussetzungen dar- stellen. Ausgehend von diesen definitorischen Erläuterungen werde ich im weiteren Verlauf dieser Arbeit den Begriff „selbstreguliertes Lernen“ von anderen ähnlichen Fachtermini ab- grenzen bzw. versuchen mit diesen gleichzusetzen.
2.2. Begriffsabgrenzung
Bei Literaturrecherchen zum Thema „selbstreguliertes Lernen“ trifft früher oder später jeder auf Ausdrücke wie „selbstorganisiertes Lernen“, „selbstgesteuertes Lernen“, „selbstbestimmtes Lernen“ oder auch „eigenverantwortliches Arbeiten“. Dabei scheinen diese Begriffe auf den ersten Blick Synonyme zu sein, da sie sehr ähnlich klingen. Erst bei genauerer Betrachtung und tieferer Recherche wird deutlich, dass teilweise durchaus signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Lernformen herrschen, obwohl sie in der Literatur oftmals als nahezu identisch angesehen werden (Götz, 2006, S. 6). Beispielsweise ist für Herold und Herold (2013, S. 41) die begriffliche Unterscheidung in der Pädagogik nicht immer trennscharf. Ihrer Meinung nach „liegt [das] unter anderem daran, dass die Erziehungswissenschaft nicht aus den […] vornehm- lich naturwissenschaftlichen Erkenntnissen heraus entstanden ist, sondern ihre Wurzeln in der pädagogischen Tätigkeit von Menschen und der Reflexion darüber hat. Damit fußen ihre Be- grifflichkeiten nicht auf der Selbstorganisation von Systemen in der Natur.“ (Herold & Herold, 2013, S. 41). Aus diesem Grund entstanden unterschiedliche Begriffe, die nur schwer vonei- nander zu unterscheiden sind. Nach herrschender Meinung in der Fachliteratur lässt sich jedoch beispielsweise „selbstreguliertes Lernen“ mit dem Begriff „selbstorganisiertes Lernen“ gleich- setzen. Das „selbstgesteuerte Lernen“ hingegen kann klar von diesen beiden Begriffen abge- grenzt werden. Der signifikante Unterschied liegt darin, dass beim selbstorganisierten Lernen (SOL) „die Lerninhalte sowie die Zielformulierungen in den Lehrplänen vorgegeben sind.“ (Busch, 2011, S. 6). Den Aufwand und die Zeit, die Lernende in die Erreichung dieser Ziele investieren, sind ihnen dabei vollkommen selbst überlassen. Es zählt somit lediglich die Ziel- erreichung (Busch, 2011, S. 5). Beim selbstgesteuerten Lernen ist dies nicht der Fall, denn hier hat der Lernende zusätzlich die Möglichkeit seine Lerninhalte und Ziele selbst zu bestimmen (Busch, 2011, S. 5). Diese Unterscheidung macht nochmals die Diskrepanz zwischen der Re- gulation oder Organisation und einer gesamten Steuerung eines Lernprozesses deutlich. Auch Herold und Landherr (2003, S. 6) sind der Meinung, dass selbstorganisiertes Lernen nicht mit selbstbestimmtem oder selbstgesteuertem Lernen gleichgesetzt werden darf (Herold & Land- herr, 2003, S. 6). Als Hauptgrund wird hier ebenfalls die Orientierung an Lehrplänen genannt, wodurch diese Argumentation nachvollziehbar wird und eine klare Trennung dieser Begriff- lichkeiten einfacher werden lässt. Aus diesem Grund wird vor allem im schulischen Kontext häufiger der Begriff des selbstregulierten oder selbstorganisierten Lernens gewählt. Im Zusam- menhang mit der beruflichen Weiterbildung dagegen erscheint auch das selbstgesteuerte Ler- nen passend. Ein weiterer Begriff, der in der Literatur genannt wird, ist das „eigenverantwort- liche Lernen“ (EVA). Anders als bei den vorangegangenen Begriffen liegt hier der Schwer- punkt auf dem richtig dosierten Einsatz von einseitigen lehrerzentrierten Belehrungen und Un- terweisungen (Klippert, 2002, S. 15). Dabei wird das Szenario eines traditionellen einseitigen Lehrvortrages als „genauso falsch und unangemessen“ (Klippert, 2002, S. 15) angesehen wie das Szenario von Schülerinnen und Schülern, die sämtliche Lerninhalte selbst erarbeiten kön- nen oder müssen (Klippert, 2002, S. 15). Diese scheinbar neue und sich verändernde Rolle der Lehrkraft innerhalb des Unterrichtsgeschehens werde ich vor allem in Kapitel 2.5 näher be- leuchten.
2.3. Legitimation und Ziel des selbstregulierten Lernens
Die Frage, ob selbstreguliertes Lernen ein relevantes Themengebiet in der Pädagogik oder auch in der Psychologie darstellt, lässt sich ohne Zweifel bejahen. Jennifer Klenzan führt in ihrer 2014 angenommenen Dissertation einige Zahlen an, die explizit dies bestätigen. „Eine Suche in der psychologischen Datenbank PsycINFO nach dem englischsprachigen Begriff ››self-re- gulated learning‹‹ ergibt 5971 Treffer. Von diesen Publikationen wurden 5058 innerhalb der letzten 10 Jahre erzielt. Und alleine 889 Treffer für das Jahr 2012.“ (Klenzan, 2014, S. 15). Diese Zahlen sind, zugegebener Maßen, nicht mehr topaktuell, dennoch unterstreichen sie ein- drucksvoll die gestiegene Relevanz dieses Themas in den letzten Jahren. Doch woher kommt dieses plötzlich erhöhte Interesse an neuen Lernmethoden? Herold und Landherr (2003, S. 91) beziehen sich in diesem Zusammenhang auf die internationale Schulleistungsuntersuchung PISA sowie auf den Ländervergleich (Herold & Landherr, 2003, S. 91). Sie stellen fest, dass deutsche Schülerinnen und Schüler kein Wissens-, sondern ein Könnensdefizit aufweisen und schließen daraus, dass sich der Unterricht in seiner momentanen Art und Qualität ändern muss (Herold & Landherr, 2003, S. 91). PISA war und ist jedoch nicht der alleinige Grund für ein Umdenken. Vielmehr begründet sich „die gewachsene Bedeutsamkeit des selbstregulierten Lernens [...] zunächst einmal in der aktuellen Anforderung an Schülerinnen und Schüler, sich immerfort neues Wissen aneignen und bereits verfügbares Wissen regelmäßig aktualisieren zu können.“ (Klenzan, 2014, S. 15). Durch diese neuen Erwartungen in der heutigen Zeit ändert sich unser Verständnis von Lehr-Lern-Prozessen signifikant. Kiper und Mischke (2008, S. 20) vergleichen dabei feudale Gesellschaften auf dem Weg zur Industrialisierung in denen nur ge- ringe Wissensbestände benötigt wurden, mit den aktuellen modernen Gesellschaften, die sich in einem rapiden gesellschaftlichen Wandel befinden. (Mischke & Kiper, 2008, S. 20). Der Vergleich der unterschiedlichen Anforderungen an die Lernenden in diesen beiden Extremsitu- ationen bestätigt zusätzlich das Verlangen nach neuen Lehr-Lern-Prozessen. Schlussfolgernd wird also deutlich, dass Schülerinnen und Schüler in der heutigen Zeit anderen Problemen ge- genüberstehen und daher veränderte Kompetenzen erwerben müssen, um diese lösen bzw. be- wältigen zu können. Dabei nimmt vor allem die Schule einen wichtigen Part ein. Die Vermitt- lung von Kompetenzen, die dabei helfen Probleme und Herausforderungen in Schule, Beruf und Gesellschaft zu meistern, muss zum obersten Ziel der Lehre gemacht werden (Klippert, 2002, S. 16). Götz und Nett (2011, S. 152) gehen sogar noch einen Schritt weiter und bezeich- nen die Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen als eine „Kernkompetenz zur Realisierung eines autonomen und mündigen Lebens“ (Götz & Nett, 2011, S. 152). Vor allem in der Wirtschaft ändern sich die Anforderungen an einen Mitarbeiter dahingehend, dass sogenannte Schlüssel- qualifikationen wie Eigeninitiative, Teamfähigkeit oder Kommunikationsfähigkeit mittlerweile gefragter sind als jemals zuvor (Klippert, 2002, S. 20). Jennifer Klenzan (2014, S. 15-16) weist jedoch auch darauf hin, dass diese Qualifikationen „nicht nur für die berufliche Perspektive von hohem Stellenwert“ sind, sondern sowohl in der Schule als auch bei allen außerschulischen Lernsituationen von großem Nutzen sein können (Klenzan, 2014, S. 15-16). Zusammenfassend ist also zu sagen, dass sich die Relevanz des selbstregulierten Lernens auf die neuen und kom- plexeren Anforderungen in der Gesellschaft stütz und die Schule dabei eine äußerst wichtige Rolle übernimmt. Das Ziel eines Konzeptes, wie dem selbstregulierten oder selbstorganisierten Lernen, ist es also „den Schülern Handlungskompetenzen zu vermitteln“, welche ihnen helfen den neuen Anforderungen gerecht zu werden (Busch, 2011, S. 7).
2.4. Schwierigkeiten und Voraussetzungen
Wie im vorangegangenen Abschnitt deutlich wurde, herrscht in der Literatur und auch in der Wissensgesellschaft eine einheitliche Meinung zum Thema selbstreguliertes Lernen. Ziel muss es nämlich sein, die Schülerinnen und Schüler auf die neuen Herausforderungen und Anforde- rungen des Lebens vorzubereiten, indem man ihre Handlungskompetenzen fördert. Dabei nimmt vor allem die Schule eine wichtige Rolle ein. Doch sucht man nach praktischen Umset- zungsbeispielen oder Konzepten, so wird die Zahl der Suchergebnisse schnell weniger. „Die ohnehin raren Suchergebnisse behandeln das Thema Selbstregulation in der Regel zudem ohne fachlichen Zusammenhang, sondern lediglich kontextgebunden“ (Klenzan, 2014, S. 18). Klen- zan bezieht sich mit dieser Aussage vor allem auf mathematikdidaktische Literatur, was sowohl für das Thema dieser Arbeit passend erscheint als auch auf die Allgemeinheit übertragen wer- den kann. Somit scheint es diverse Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer Selbstregulation im Unterricht zu geben. Ein Aspekt ist dabei naheliegend und nachvollziehbar. Jede Umsetzung eines selbstregulierten Unterrichts benötigt eine umfassende Bedingungsanalyse der Klasse. Nur die Lehrkraft kann dann entscheiden, ob es überhaupt sinnvoll ist dieses Unterrichtskonzept einzuführen. Außerdem kann nur sie einschätzen wie und in welchem Ausmaß sie die Selbst- regulation bestmöglich umsetzt. Somit wird deutlich, dass eine allgemeingültige Herangehens- weise oder ein allgemeines Konzept zur Umsetzung eines selbstregulierten oder selbstorgani- sierten Unterrichts nur schwer möglich ist. In der Fachliteratur wird vor allem der Beginn bzw. Einstieg in diese neue Form des Lehrens als äußerst wichtig erachtet. Nicht immer kann ohne weiteres der Hebel von traditionellem Unterricht mit starker Lehreraktivität zu handlungsori- entiertem oder selbstreguliertem Unterricht mit ausgeprägter Schüleraktivität umgelegt werden.
„Das heißt, Schülerinnen und Schüler müssen zunächst über ein gewisses ››Handwerkszeug‹‹ verfügen (z. B. Repertoire an Lernstrategien), das es ihnen ermöglicht, selbstreguliert zu ler- nen“ (Götz, 2006, S. 7). Zu diesem Handwerkszeug gehören neben den gerade genannten Lern- strategien (kognitive Komponente) vor allem auch die Fähigkeit sich angemessene Ziele zu setzen, diagnostische Kompetenzen zur Bewertung eines Ist-Zustandes (metakognitive Kom- ponente) und eine Motivation zur Initiierung und Aufrechterhaltung von Lernprozessen (moti- vationale Komponente) (Götz & Nett, 2011, S. 146-147). In diesem Zusammenhang ist es es- senziell, dass diese Werkzeuge in einem Interdependenzzusammenhang gesehen werden, d. h. alle Punkte müssen gleichzeitig betrachtet und gleich gewichtet werden. Andernfalls entstehen entweder realitätsferne Ziele (hohe Fähigkeit zur Zielsetzung; wenig Motivation) oder ein blin- der Aktionismus (ausgeprägte Handlungskompetenz; keine definierten Ziele) (Götz & Nett, 2011, S. 147). Abgesehen von den Voraussetzungen, die Schülerinnen und Schüler besitzen sollten um ein Gelingen des selbstregulierten Lernens zu gewährleisten, ist bei der Einführung eines solchen Konzeptes auch aus Lehrersicht einiges zu beachten. Beispielsweise „ist zu be- denken, dass die Schüler vorwiegend den herkömmlichen lehrerzentrierten Unterricht kennen, und nicht sofort und ohne Vorbereitung den Anforderungen des SOL [(Selbstorganisiertes Ler- nen)] genüge werden können.“ (Busch, 2011, S. 6). Darum sollte die Lehrkraft die Schülerinnen und Schüler langsam an das neue System heranführen, was im nächsten Kapitel noch genauer erläutert wird. Abschließend lässt sich festhalten, dass bei der Einführung eines selbstregulier- ten Unterrichts viele Facetten beachtet werden müssen. Der wohl wichtigste Punkt ist dabei sicherlich eine genaue Analyse der Klassenbedingungen. Im Folgenden werde ich nun beschrei- ben, welche Rolle der Lehrkraft bei der Umsetzung eines selbstregulierten Unterrichts zu- kommt und wie sich diese im Vergleich zum traditionellen Unterricht verändert.
2.5. Veränderte Rolle der Lehrkraft
Die Rolle einer Lehrerin oder eines Lehrers in einem traditionellen Unterricht ist jedem von uns auch aus eigener Erfahrung bekannt. Die Lehrkraft steht im Mittelpunkt des Geschehens, sie ist verantwortlich für den Ablauf des Unterrichts, für die Zeitplanung und auch dafür, dass die Schülerinnen und Schüler den zu vermittelnden Unterrichtsstoff in Form von Hefteinträgen fertig serviert bekommen und im besten Fall auch noch verstanden haben (Herold & Landherr, 2003, S. 164-165). Dabei können Lehrerinnen und Lehrer zum einen ein äußerst autoritäres Verhalten an den Tag legen, indem sie mit Strafen und Sanktionen drohen, wenn die Schüle- rinnen und Schüler ihren Anweisungen nicht Folge leisten. Zum anderen kann es sich jedoch bei einer Lehrerin oder einem Lehrer auch um einen sogenannten „Kuschelpädagogen“ han- deln, der eine freundschaftliche Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern aufbauen will und deshalb die Qualität des Unterrichts darunter leidet (Herold & Landherr, 2003, S. 164). Doch völlig unabhängig von der Art der Lehrkraft ist traditioneller Unterricht als sehr lehrer- zentriert anzusehen. Die Lehrkraft organisiert und managt den Unterrichtsablauf, während die Schülerinnen und Schüler nur an einigen wenigen, von der Lehrkraft vorher festgelegten Stel- len, aktiv werden (Busch, 2011, S. 21). Dieses Konzept ist keinesfalls veraltet, sondern noch immer in heutigen Klassenzimmern zu finden. Grund dafür ist einerseits, dass es sich um eine altbewährte Methode handelt, die schon lange praktiziert wurde und wohl auch in der Zukunft noch praktiziert werden wird (Herold & Landherr, 2003, S. 165). Andererseits sollte man ver- stehen, dass die durch diesen Unterricht vermittelten Kompetenzen, also vorrangig das Wissen per se, in der Vergangenheit ausreichten, um die täglichen Anforderungen in Schule, Beruf und Privatleben zu meistern. Wie jedoch in den vorangegangenen Kapiteln erläutert wurde, haben sich die Anforderungen im Laufe der Zeit geändert. In Kapitel 2.3 wurde bereits ausführlich die Relevanz des neuen Unterrichtkonzeptes diskutiert. Die Schlussfolgerung aus einem neuen Konzept ist dabei auch eine neue Rolle der Lehrkraft. Das selbstregulierte bzw. selbstorgani- sierte Lernen versucht deshalb diese traditionelle Rollenverteilung zu durchbrechen (Busch, 2011, S. 22). Das Ziel ist eine Umstrukturierung der Aktivitäten im Unterricht „zugunsten zu- nehmender Schüleraktivität“ (Herold & Landherr, 2003, S. 29).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: SOL-Ziel (Herold & Landherr, 2003, S. 29)
Abbildung 1 bereitet diese Umstrukturierung grafisch auf. Hauptziel dieses Wandels ist ein kompletter Rückzug der Lehrkraft aus dem Unterricht um den Schülerinnen und Schülern die Organisation selbst zu überlassen (Busch, 2011, S. 22). Doch wie bereits weiter oben beschrie- ben wurde und auch aus Abbildung 1 hervorgeht, braucht es einen langwierigen Prozess um diesen optimalen Zustand zu erreichen. Aus diesem Grund bringt diese neue Rollenverteilung nicht automatisch eine Entlastung für die Lehrkraft mit sich. Vielmehr steht sie nun einer an- spruchsvolleren Aufgabe gegenüber (Mischke & Kiper, 2008, S. 61). Herold und Landherr (2003, S. 48) sprechen beispielsweise davon, dass die Lehrkraft den „Steuerstand seines Unter- richtsschiffes“ verlassen müsse (Herold & Landherr, 2003, S. 48), das heißt, die Lehrerin bzw. der Lehrer hat nun weniger direkten Einfluss auf den Lernvorgang der Schülerinnen und Schü- ler. Seine Rolle ändert sich in diesem Moment von der zentralen Person im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens zu einem Lernbegleiter, Lernorganisator und Moderator schülerzentrier- ter Prozesse (Mischke & Kiper, 2008, S. 60). Diese neue Rolle ist jedoch nicht minder wichtig für das Gelingen eines selbstregulierten Unterrichts. Die Lehrkraft hat nämlich nicht nur die Aufgabe die Inhalte des Lehrplanes zu vermitteln, sondern auch auf die neuen Anforderungen vorzubereiten. Dies geschieht durch die Vermittlung der sogenannten Schlüsselqualifikationen, welche in den nächsten Kapiteln dieser Arbeit noch genauer erläutert werden. Der Lernorgani- sator hat nun also vor allem die Aufgabe durch Rahmenvorgaben (Ziele, Zeit, Material) ein Gerüst bereitzustellen, das den Schülerinnen und Schülern Hinweise und Denkanstöße bei der Konstruktion von Wissen liefert (Mischke & Kiper, 2008, S. 60-61). Dabei sei noch auf das Prinzip der Selbstähnlichkeit hingewiesen. Dieses Prinzip stellt sicher, dass jeder Schüler grundsätzlich die Chance haben muss „dasselbe zu lernen wie alle anderen auch“ (Herold & Landherr, 2003, S. 166). Dieser Aspekt muss bei jeder Unterrichtsplanung zwingend beachtet werden. Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass sich die neue Rolle der Lehrkraft dadurch auszeichnet, dass sie nun nicht mehr den Mittelpunkt des Unterrichts bildet, sondern den Un- terricht lediglich begleitet und den Schülerinnen und Schülern als eine Art Coach zur Seite steht. Ein wichtiger und nicht zu vernachlässigender Punkt sei hier jedoch noch einmal hervor- gehoben. Wie bereits angesprochen wurde ist der Weg zu einem vollkommenen Rückzug der Lehrkraft aus dem Unterricht ein langwieriges Unterfangen. Aus diesem Grund beziehe ich mich nun auf Heinz Klippert (2002, S. 58-63), der in seiner Publikation zum eigenverantwort- lichen Arbeiten und Lernen (EVA) sehr ausführlich darlegt, dass in dieser neuen Form des Unterrichts auch lehrerzentrierte Phasen ihren Platz haben. Er begründet diese Auffassung, die ich persönlich für absolut richtig halte, indem er Beispiele aufzeigt, in welchen Situationen ein zusätzlicher Einsatz eines traditionellen lehrerzentrierten Unterrichts sehr von Vorteil ist. Bei- spielsweise führt er an, dass Schülerinnen und Schüler unterschiedliche Erfahrungen und Rou- tine mit eigenverantwortlichem Lernen besitzen. Außerdem kann es für viele Lernende vorteil- haft sein, sowohl mit schülerzentriertem als auch lehrerzentriertem Unterricht zu lernen, da sie so einen Anhaltspunkt erhalten und die Gefahr einer Überforderung oder Resignation verringert wird (Klippert, 2002, S. 58-63). Auch Bönsch (2015, S. 24) weist darauf hin, dass es wichtig ist einen Mittelweg zwischen Anspruchslosigkeit und Überforderung zu finden, um allen Ler- nenden entsprechende Hilfestellungen geben zu können (Bönsch, 2015, S. 24). Abschließen möchte ich dieses Kapitel mit einem wörtlichen Zitat von Heinz Klippert, welches zwar bereits im Jahre 2002 publiziert wurde, jedoch meiner Meinung nach die Sache auf den Punkt bringt:
„Doch die Zielmarge lautet […] nicht hundert Prozent EVA, sondern vielleicht dreißig bis vierzig Prozent! Das wäre angesichts der ausgeprägten Lehrerdominanz und Lehr- ersteuerung, die in deutschen Klassenzimmern nach wie vor an der Tagesordnung sind, ein wahrlich sehenswerter Fortschritt.“ (Klippert, 2002, S. 59)
2.6. Kompetenzentwicklung im Zuge des selbstregulierten Lernens
2.6.1 Allgemein
Wie bereits in Kapitel 2.3 beschrieben wurde, haben sich die Anforderungen an die heutigen Schülerinnen und Schüler gewaltig verändert. Es ist noch nicht lange her, da war es das oberste Ziel des Unterrichts möglichst viel Fachwissen zu vermitteln (Oberhokamp, 2006, S. 42). Mitt- lerweile befinden wir uns jedoch in einer Zeit, in der die Halbwertszeit des Wissens immer geringer wird. Im Durchschnitt aller Berufe beträgt diese lediglich circa fünf bis sieben Jahre (Haas, 2015, S. 191). Aus diesem Grund ist es auch den Schulen nicht mehr möglich, den Schü- lerinnen und Schülern alles beizubringen, was sie im Leben brauchen werden bzw. was von ihnen verlangt wird (Oberhokamp, 2006, S. 42).
Herold und Landherr (2003, S. 21-22) erklären diesen Sachverhalt in ihrer Publikation anhand eines beispielhaften Alltagsproblems. Da sich dieses Vorgehen für den weiteren Verlauf meiner Arbeit ebenso sehr gut eignet, möchte auch ich das oben beschriebene Problem anhand eines von mir selbst konstruierten Beispiels näher erläutern:
Stellen wir uns eine junge Frau vor, die in einer Bar arbeitet. Zum besseren Verständnis nennen wir sie Anna. In der Urlaubszeit vertritt Anna ihren Chef und ist dabei befugt sämtliche Ange- legenheiten selbständig zu klären. Ihr Chef ist nun also auf einer dreiwöchigen Kreuzfahrt und möchte dabei auch nicht gestört werden. Die Spezialität des Hauses ist ein ganz besonderes Fassbier, welches nur mittels einer speziellen Zapfanlage ausgeschenkt werden kann. Während sich Annas Chef auf Kreuzfahrt befindet, geht überraschend die Zapfanlage kaputt. Wir gehen nun davon aus, dass Anna nicht in der Lage ist, diese komplexe Zapfanlage selbst zu reparieren. Aus diesem Grund wendet sie sich umgehend an den Hersteller und reklamiert die defekte Zapfanlage. Sie bittet dabei höflich um eine schnellstmögliche Reparatur, da sie weiß, dass viele Stammkunden nur wegen diesem Bier in ihre Bar kommen. Der Hersteller bietet Anna einen Reparaturtermin an, jedoch nicht innerhalb der nächsten zwölf Tage. Aufgrund der dro- henden Verluste informiert sich Anna im Internet über eventuelle Alternativen. Nach stunden- langer Recherche findet sie heraus, dass die Möglichkeit besteht, genau diese Zapfanlage zu mieten, jedoch fallen dabei erhebliche Kosten an. Da Anna über genügend Fachwissen zum Thema Kostenkalkulation verfügt, berechnet sie, dass die zusätzlichen Kosten der Mietanlage höher wären als die Erträge der Stammkunden. Außerdem ist sich Anna sicher, dass sie einige Stammkunden zu einem Flaschenbier überreden kann, da sie sich schon immer gut mit diesen verstanden hat. Die anderen Stammkunden muss sie besänftigen und kann sogar einen äußerst erbosten Kunden ruhig stimmen. Sie beschließt also keine Ersatzmaschine zu mieten, sondern durch telefonische Rücksprache mit dem Hersteller vielleicht einen schnelleren Reparaturter- min zu bekommen. Dabei bleibt Anna immer freundlich und kompromissbereit. Sie schafft es schlussendlich tatsächlich einen Termin in sieben Tagen zu bekommen, was nicht nur sie, son- dern auch ihre Stammkunden sehr freut. Ihr Chef ist sehr stolz auf Anna, als er nach seiner Rückkehr von ihren Taten erfährt.
Diese Situation ist in abgewandelter Form sicherlich häufiger Alltag in vielen Berufen. Es wird schnell ersichtlich, dass Anna diese Situation mit reinem Fachwissen nicht hätte lösen können. Sie benötigte in diesem Moment viele weitere Kompetenzen, wie z. B. Selbständigkeit, Eigen- initiative, Entscheidungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Problemlösefähigkeit und Ei- genmotivation. Diese Begriffe lassen sich allgemein unter dem Überbegriff Handlungskompe- tenz zusammenfassen. Dazu zählen neben der Selbstkompetenz und Sozialkompetenz auch die Fach- und Methodenkompetenz. Oftmals werden diese auch als Schlüsselqualifikationen be- zeichnet (siehe Abbildung 2).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Handlungskompetenzen (Eigene Darstellung)
Anhand dieses anschaulichen Beispiels wird deutlich, dass es oberstes Ziel der Schulen sein muss, den Schülerinnen und Schülern diese Schlüsselqualifikationen zu vermitteln, um sie auf Situationen, wie wir sie im Beispiel gesehen haben, vorzubereiten. Klar ist jedoch auch, dass die Schülerinnen und Schüler in einem lehrerzentrierten Unterricht, in dem die Lehrkraft alles organisiert und sämtliche Probleme selbst löst, nur schwer in der Lage sind, diese Schlüssel- qualifikationen zu erwerben (Klippert, 2002, S. 39). Aus diesem Grund ist man sich auch in der Literatur einig, dass eine Unterrichtsstruktur benötigt wird, die eigenverantwortliches Handeln der Lernenden und verschiedene Anwendungssituationen zulässt. Dabei wird unter anderem auf einen offen gestalteten Unterricht sowie problemlösendes Denken und Planungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler Wert gelegt (Busch, 2011, S. 6-7; Haas, 2015, S. 189; Klippert, 2002, S. 39-41; Oberhokamp, 2006, S. 42). Vor allem Unterrichtsmethoden wie das selbstre- gulierte Lernen (SRL) oder selbstorganisierte Lernen (SOL) tragen sehr zur Erreichung dieser Ziele bei. „Aufgrund dessen kann der Erwerb dieser einzelnen Kompetenzen als eigentliches Ziel des SOL-Konzepts genannt werden“ (Busch, 2011, S. 6-7). Ulrich Haas (2015, S. 189) benutzt in diesem Zusammenhang den Begriff des „fluiden Wissens“, welchen ich persönlich als sehr geeignet ansehe. Er vertritt die Meinung, dass Schülerinnen und Schüler nur dann in der Lage seien ihr Fachwissen auch in anderen, nicht vorgegebenen Situation anzuwenden, wenn sie es schaffen, aus ihrem „toten, nicht anwendbaren Wissen“ ein anwendbares, also flu- ides Wissen zu machen (Haas, 2015, S. 189). Ihr Wissen sollte also anpassungsfähig und an- wendbar sein.
In den nun folgenden Kapiteln werde ich die einzelnen Schlüsselqualifikationen näher erläutern und außerdem erklären, wie und warum ein selbstregulierter oder selbstorganisierter Unterricht die Vermittlung dieser Kompetenzen unterstützt. Dabei werde ich mich immer wieder auf Anna aus unserem Beispiel beziehen.
2.6.2. Selbstkompetenz
Die erste Schlüsselqualifikation, welche wir nun näher betrachten werden, ist die Selbstkom- petenz. Diese wird auch oft als personale Kompetenz oder Persönlichkeitskompetenz bezeich- net, wodurch sich jedoch keine inhaltlichen Diskrepanzen ergeben. Wie der Begriff bereits er- kennen lässt, handelt es sich hier um die Entwicklung der Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler. In der Literatur werden viele verschiedene Schlagworte und Begrifflichkeiten verwen- det, um die Selbstkompetenz näher zu beschreiben, wobei mir dabei die Aufteilung von Manf- red Bönsch (2015, S. 19-20) am geeignetsten erscheint. Er gliedert die Selbstkompetenz in die drei Fähigkeiten Selbstorganisation, Selbststeuerung und Selbstverantwortung ein (Bönsch, 2015, S. 19-20). Eine gute Selbstorganisation zeichnet sich beispielsweise durch gutes Zeitma- nagement, hohe Recherchefähigkeiten, angemessene Zielsetzung, Eigenmotivation oder auch Pünktlichkeit aus. In unserem Eingangsbeispiel erkennen wir vor allem die Motivation, die Anna an den Tag legt. Selbständig beginnt sie nach Alternativen zu suchen und gibt auch nach stundenlanger erfolgloser Suche nicht auf. Als sie am Ende doch noch erfolgreich ist, profitiert sie dabei von ihren ausgeprägten Recherchefähigkeiten. Unter Selbststeuerung versteht Bönsch (2015, S. 39) vor allem Selbstdisziplin, also die Fähigkeit eines reflektierten Umgangs mit sich selbst (Bönsch, 2015, S. 39). Auch die Bekämpfung des inneren Schweinehundes kann hier hinzugezählt werden, denn die Überwindung etwas zu tun bzw. zu beginnen, benötigt ein hohes Maß an Disziplin und somit auch Selbststeuerung. Der dritte und letzte Punkt ist die Selbstver- antwortung. Damit ist vor allem die Attribuierung gemeint, d. h. wem schreiben die Schülerin- nen und Schüler ihre Erfolge oder Misserfolge zu. Es ist sehr wichtig, dass die Lernenden ihre Erfolge, aber auch ihre Misserfolge internal und nicht external attribuieren. Das bedeutet, sie machen sich selbst für ihre Erfolge und Misserfolge verantwortlich (internal) und begründen sie nicht durch äußere Umstände (external). Beispielsweise ist es gut, wenn eine Schülerin oder ein Schüler nach einer guten Note in Mathematik sagt: „Ich habe so eine gute Note, weil ich wahnsinnig viel für die Prüfung gelernt habe. Das hat sich auf jeden Fall gelohnt und ich bin stolz auf mich!“. Schlecht wäre hingegen eine externale Attribuierung wie: „Die Prüfung war so leicht, da musste ich ja gar nicht viel können und wissen! Die Note war quasi geschenkt!“. Anna beispielsweise kann stolz auf das sein, was sie geleistet hat. Sie macht sich also selbst für ihren Erfolg verantwortlich. Im schulischen Kontext kann diese Selbstkompetenz durchaus ge- fördert werden, indem beispielsweise institutionelle, unterrichtliche und persönliche Hilfen ein entscheidendes Handlungsgerüst bilden (Bönsch, 2015, S. 20). Dabei ist jedoch zu beachten, dass Selbstkompetenz aufgrund ihrer Komplexität und der Tatsache, dass Arbeit an Personen immer schwierig ist, nur über einen langen Zeitraum aufgebaut werden kann (Bönsch, 2015, S. 20). Besonders geeignet scheint in diesem Zusammenhang ein Einsatz des selbstregulierten Lernens. Ruppert (2012, S. 8) spricht in seinem Artikel über das selbstregulierte Lernen von einem zirkulären Prozess. Er beschreibt, dass selbstreguliertes Lernen die Lernmotivation stei- gert und die Motivation wiederum die Selbstregulationsfähigkeit (Ruppert, 2012, S. 8). Auch bei allgemeiner Betrachtung der Charakteristika des selbstregulierten Lernens wird deutlich, dass vor allem diese Schlüsselqualifikation sehr von dieser Unterrichtsmethode profitiert. Durch die eigenständige Planung des gesamten Lernprozesses durch die Schülerinnen und Schüler wird vor allem ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation gefördert. Die Disziplin, die sie dabei an den Tag legen müssen, um den Lernprozess auch dauerhaft aufrechtzuerhalten, steigert ihre Selbststeuerungsfähigkeiten. Die Selbstverantwortung wird dann am Ende des Lernprozes- ses aufgebaut, wenn sich die Schülerinnen und Schüler bewusstmachen, dass sie alleine für ihre Erfolge oder Misserfolge verantwortlich sind.
2.6.3. Sozialkompetenz
Die Sozialkompetenz setzt sich grundsätzlich aus zwei Bereichen zusammen: Zum einen be- schreibt sie die zwischenmenschliche Kommunikation und zum anderen die Kooperation mit anderen Personen (Bönsch, 2015, S. 58). Aus diesem Grund steht die Sozialkompetenz in en- gem Zusammenhang mit der Selbstkompetenz, da zur Umsetzung der Sozialkompetenz eine selbstbewusste Persönlichkeit von Vorteil ist (Bönsch, 2015, S. 58). Betrachten wir ein weiteres Mal unsere Beispielperson Anna. Es wird mehrfach ersichtlich, dass Anna ein hohes Maß an Sozialkompetenz benötigt, denn nicht nur während ihrer Telefonate mit dem Hersteller, sondern auch in dem Moment, als sie die Stammkunden besänftigen muss, profitiert Anna von Eigen- schaften wie Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Selbständigkeit, Konfliktbe- wältigungsfähigkeit und der Fähigkeit Kompromisse zu schließen. Somit wird deutlich, dass ein hohes Maß an Sozialkompetenz notwendig ist, um den Anforderungen des Alltags, sei er privat oder beruflich, gerecht zu werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Schulen Maß- nahmen ergreifen, welche es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen diese Kompetenzen auf- bzw. auszubauen. Die Förderung der sozialen Kompetenz muss jedoch nicht zwingend intentional organisiert sein, sondern kann auch beiläufig geschehen (Mischke & Kiper, 2008, S. 171). Beispielsweise kann der Einsatz einer Gruppen- oder Partnerarbeit im Unterricht auto- matisch zu einer Förderung der Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Lernenden führen, ohne dies als eigentliches Ziel der Methode darzustellen. Somit ist es oftmals der Fall, dass den Schülerinnen und Schülern vor allem beiläufig diese Kompetenz vermittelt wird, ohne dass sie es aktiv wahrnehmen. Grundsätzlich fördert daher auch ein traditioneller lehrerzen- trierter Unterricht die Sozialkompetenz durch den Einsatz von Partner- oder Gruppenarbeiten. Der große Vorteil eines selbstregulierten Unterrichts liegt jedoch darin, dass die Schülerinnen und Schüler selbst entscheiden können mit wem, wie lange und zu welchem Zeitpunkt sie in Gruppen zusammenkommen. Diese Entscheidungen werden somit nicht mehr von der Lehr- kraft vorgegeben, wodurch ein viel größeres Einfühlungsvermögen der Lernenden von Nöten ist. Sie haben somit die Möglichkeit verschiedene Lernpartner zu „testen“, um die richtige Ler- numgebung und –atmosphäre zu schaffen. Auch können sie die Gruppengröße, die Vorgehens- weise innerhalb der Gruppe oder die Zeitpunkte eines Zusammentreffens selbst bestimmen und somit ihre Fähigkeiten zur Kooperation, Kommunikation, Problemlösung usw. fördern und er- weitern.
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- Arbeit zitieren
- Markus Schmidt (Autor:in), 2016, Selbstreguliertes Lernen im Mathematikunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/492215
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