Sprachförderung durch Sprachspiele in Kindergarten und Vorschule


Diploma Thesis, 2005

81 Pages, Grade: 2


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

I THEORIETEIL

1. Einleitung

2. Sprachidentität im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit

3. Warum Sprachförderung in Kindergarten und Vorschule

4. Die natürliche Sprachentwicklung eines Kindes

5. Möglichkeiten der Sprachentwicklung bei Kindern mit Migrationshintergrund

6. Schwierigkeiten in Bezug auf Sprache von Kindern mit Migrationshintergrund
6.1 Der falsche Zeitpunkt für das Erlernen der Zweitsprache
6.2 BICS und CALP
6.3 Sprechverweigerung
6.4 Stagnationen und Entwicklungsbrüche im Spracherwerbsprozess
6.5 Das sprachgestörte Kind mit zusätzlichem Problem der Zweisprachigkeit
6.5.1 Balbuties
6.5.2 Dyslalie
6.5.3 Dysgrammatismus

7. Hilfestellungen für Kinder mit Migrationshintergrund
7.1 Gesellschaftliche Unterstützung und allgemeine Hilfestellungen
7.2 Das Denkendorfer Modell
7.3 Kon- Lab
7.4 Sprachförderkoffer
7.5 Würzburger Trainingsprogramm

8. Sprache und Spiel

II PRAXISTEIL

9. Sprachspiele in der Sprachförderung

10. Erprobung der Auswirkung und Effektivität von ausgewählten Sprachspielen in einem Kindergarten
10.1 Die Vorgehensweise während der Praxisphase
10.2 Der Kindergarten St. Columban

11. Allgemeines über das SSV
11.1 Die Durchführung und Auswertung der beiden Teile des SSV
11.1.1 Das Screening für Kinder im Alter von drei Jahren
11.1.2 Das Screening für Kinder im Alter von vier und fünf Jahren

12. Sprachspielanalyse der während der Praxisphase verwendeten Sprachspiele
12.1 Begrüßungs- und Abschiedsritual
12.2 Obstsalat
12.3 Ich packe meinen Koffer
12.4 Welche Karte fehlt?
12.5 Anlaut- Memory
12.6 Fehler in der Geschichte finden
12.7 Die Kuh legt Eier
12.8 Schwarz- Weiß- Spiel

13. Die Praxisphase im Kindergarten St. Columban
13.1 Die Verlaufspläne der Praxisphase
13.2 Reaktionen der Kinder auf die Sprachspiele
13.3 Beobachtungsbogen über die vier Kinder
13.5 Erste Durchführung des Screenings
13.6 Zweite Durchführung des Screenings

15. Schlusswort

16. Literaturverzeichnis

17. Internetadressen

18. Erklärung

19. Anlage 1: Bögen des SSV

20. Anlage 2: Spielmaterialien

1. Einleitung

Die PISA-Studie 2002 erschütterte Deutschland und ließ heftige Zweifel an der derzeitigen Bildungspolitik aufkommen. Unter anderem wurde für die schlechte Platzierung Deutschlands der hohe Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den Klassen verantwortlich gemacht.

Als eine Hauptursache für das schlechte Abschneiden in der Schule gilt die mangelhafte Sprachkompetenz dieser Schülerinnen und Schüler.

Der sprachliche Rückstand mancher Kinder geht teilweise soweit, dass sie beim Verstehen oder altersgemäßen Bilden einfachster Sätze bereits Probleme aufweisen. Auch der Wortschatz ist bei einem Viertel der Kinder unterdurchschnittlich.

Die Forderung nach mehr Sprachförderung der Kinder und Jugend-lichen mit Migrationshintergrund und ebenso der Kinder aus Familien mit geringen Sprechanreizen, ist demnach berechtigt und notwendig.

Im Rahmen dieser Wissenschaftlichen Hausarbeit wird unter anderem untersucht werden, auf welchen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine sinnvolle Sprachförderung beruht und in welchem Zusammen-hang Sprachspiele zur Sprachförderung stehen.

Dazu wird zunächst in dem Theorieteil der Arbeit die Zusammenhänge zwischen Sprache und Identität erläutert und danach die natürliche Sprachentwicklung eines einsprachigen Kindes im Vergleich zu den möglichen Sprachentwicklungen der Kinder mit Migrationshintergrund beleuchtet. Im Anschluss daran richtet sich der Fokus der Arbeit auf einige Schwierigkeiten des Zweitspracherwerbs, um im Anschluss daran mögliche Fördermethoden und Hilfestellungen aufzuzeigen. Abgeschlossen wird der Theorieteil, in Bezug auf den Praxisteil, indem die Zusammenhänge zwischen Sprache und Spiel untersucht und dargestellt werden.

Der Praxisteil geht genauer auf Sprachhilfe und Sprachförderung in Form von Sprachspielen ein. Während einer Praxisphase wurde die Effektivität (und in diesem Zusammenhang auch die Kontinuität eines renomierten Sprachscreenings, dem SSV- Sprachscreening für das Vorschulalter) getestet. Die aus den dargestellten Protokollen der Praxisphase resultierenden Ergebnisse wurden unter anderem verwendet um die Frage zu klären, ob Sprachspiele in der frühen Sprachförderung effektiv sind. Des Weiteren wird erörtert, ob sie für Kinder mit Migrationshintergrund eine sinnvolle Möglichkeit der Sprachförderung in vorschulischen und schulischen Einrichtungen, wie Kindergarten, Vorschule und Grundschule, darstellen.

2. Sprachidentität im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit

Identität ist allgemein gesprochen das was einen Menschen zu dem macht, als was er sich zeigt. Mit Hilfe der einheitsstiftenden Konstruktionen der einzelnen Identitäten innerhalb einer Gruppe werden Verhaltensweisen und Einstellungen verstehbar gemacht.

Es stellt sich die Frage, welchen Beitrag Sprache im Bezug auf die Identitätsbildung leisten kann?

„Gruppen zeichnen sich durch ein dichtes Netz von Beziehungen zwischen den einzelnen Mitgliedern aus. Zentral sind dabei die kommunikativen Beziehungen, die typischerweise auf ganz bestimmte sprachliche Kompetenzen zurückgreifen. […] Aber auch für das einzelne Mitglied einer Gruppe ist die Sprache häufig ein ganz zentraler Aspekt beim Aufbau der eigenen ‚Identität’ gerade als Mitglied bestimmter Gruppen.“[1]

Die einheitliche Sprache ermöglicht eine bequeme Kommunikation innerhalb einer Gruppe und symbolisiert deren Einheitlichkeit. Um von einer fremden Gruppe akzeptiert zu werden, ist das ansatzweise Beherrschen ihrer Sprache eine grundlegende Voraussetzung. Daher resultiert aus dieser Tatsache oft Mehrsprachigkeit.

Einer der bekanntesten Fälle von Mehrsprachigkeit liefert auch, oder vor allem, in Deutschland die klassische Migrantensituation.

Ein Individuum oder eine Gruppe kommt in ein Land, in der hauptsächlich eine andere Sprache, als die Muttersprache, gesprochen wird. Diese Menschen sind gezwungen, um sich im gesellschaftlichen Leben des Landes integrieren und sich somit in die neue Großgruppe einfügen zu können, die dort kommunizierte Sprache zu erlernen. Je nach Sprache und Sprachprestige spielt die Muttersprache der Migranten im Einwanderungsland eine unter-schiedliche Rolle. Oft wird sie ignoriert, teilweise auch unterdrückt.

Migranten oder Personen mit Migrationshintergrund wird in den meisten Fällen der Gebrauch ihrer Muttersprache im Einwanderungs-land negativ angelastet. Von ihnen wird abverlangt sich komplett in der Öffentlichkeit der in Deutschland gebräuchlichen deutschen Sprache anzupassen. Im Kindergarten und in der Schule wird von den Kindern mit Migrationshintergrund erwartet so schnell wie möglich die neue Sprache zu erlernen. Dieser Umstand ist nicht als Bedrohung der Identität dieser Menschen, sondern als identitätstiftend zu sehen.[2]

Eine positive Bewertung von Mehrsprachigkeit kann entstehen, „wenn der Erwerb der zweiten Sprache und einer zweiten Kultur nicht als Gefahr für die erste gesehen wird und nicht als Notwendigkeit, eine Identität durch eine andere abzulösen, sondern wenn die Mehr-sprachigkeit und die Multikulturalität als Identitätsmerkmal gesehen wird. Dies scheint zumindest auf einen Teil der jungen späteren Migrantengeneration zuzutreffen[…]. Demgemäß wird auch Sprache- das „Gemischtsprechen“, wie Hinnenkamp es nennt- als eigene, identitätsstiftende Sprachform gesehen.“[3]

Es wird deutlich, dass Sprache einen Teil der Identität und Selbstverwirklichung darstellt und dass der Grad der Integration mit der Sprachkompetenz korreliert. Demnach ist es von großer Wichtig-keit Sprache zu fördern. Nur an welcher Stelle und in welchem Alter hat dies zu geschehen? Aus welchen Gründen eine möglichst frühe Sprachförderung sinnvoll ist, wird im Folgenden erläutert.

3. Warum Sprachförderung in Kindergarten und Vorschule?

„Eine erwartungsgemäße Realisierung von Sprache und somit auch, als Teilaspekt, die Realisierung von Aussprache, ist nicht nur als ein Zweck zu sehen, auf den man das fachdisziplinäre Wirken richten muss. Sprache ist auch als ein Mittel, das zur Verwirklichung anderer, höherer Zwecke dient, zu begreifen ist. Die Verfügbarkeit über Sprache ist in dieser Funktion als eine Voraussetzung für die Bildung im Allgemeinen und für die Selbstverwirklichung des Menschen im Engeren anzusehen. Eine sprachliche Beeinträchtigung hat demnach eingeschränkte Bildungs- und Selbstverwirklichungschancen des Kindes zur Folge.“[4]

Sprachförderung bei Kindern mit sprachlichen Defiziten ist aufgrund dieser Anführung ein unverzichtbarer Bestandteil der Erziehung.

Eine der ersten Assoziationen, die in Verbindung mit Sprachförderung auftritt, ist die Logopädie. Logopädinnen und Logopäden heilen und fördern Sprache in unterschiedlicher Weise. Das Aufgabenfeld der Logopäden bezieht sich vor allem auf Störungen, beziehungsweise Krankheiten in Bezug auf Sprache, Stimme und Sprechen. Kinder, die aufgrund ihrer Erstsprache oder ihres spracharmen Umfeldes über nur geringe Sprachkenntnisse verfügen, haben nicht zwangsweise

Sprach-, Sprech-, oder Stimmstörungen. Diese Kinder ausreichend zu fördern darf aus diesem Grund nicht zwingend als ‚Heilung’ an- gesehen werden.

Sprachförderung ist nicht gleichzusetzen mit Sprachtherapie und muss, da es sich um die Unterstützung der sprachlichen Selbst-entfaltung der Kinder handelt, an den Orten vollzogen werden, an denen alltägliche Kommunikation stattfindet, das bedeutet im Kindergarten, Vorschule und Schule. Sprachförderung im Kinder-garten darf aber nicht als sprachliches Üben verstanden werden. In neueren Publikationen zur Sprachförderung im Kindergarten finden sich die unterschiedlichsten prinzipiell sinnvollen Anregungen zur Unterstützung des kindlichen Spracherwerbs. Der Erfolg, beziehungs-weise die Effektivität dieser Methoden hängt jedoch wesentlich von der Qualität der Kommunikation innerhalb der gemeinsamen Spielsituationen ab.[5] „Das Gespräch gehört zu den wichtigsten Formen der Sprachförderung.“[6] Aus diesem Grund wird im Bayrischen Bildungs- und Erziehungsplan angeführt, dass die Sprachförderung im Elementarbereich eine Einbettung von Sprache in persönliche Beziehungen ist und Kommunikation, sowie in Handlungen, die für das Kind Sinn ergeben, berücksichtigen und nutzen muss. Ein Kind ist beim Spracherwerb selbst aktiv und bildet aus einer Fülle der Eindrücke langsam ein System von Regeln, in Bezug auf den Aufbau von Sprache, aus. Sprachförderung muss vielfältige sprachliche An-regungen im Dialog und in Situationen des alltäglichen Lebens bieten, die das Interesse des Kindes wecken.[7] Daher wäre mit einer Sprachförderstunde wöchentlich, wie es in der Logopädie aus unterschiedlichen Gründen üblich ist, nicht gedient. Die Kinder müssen während ihrer selbstständigen Sprachentwicklung von ihren pädagogischen Bezugspersonen begleitet werden, beziehungsweise systematisch beobachtet und dementsprechend gefördert werden.

Im Berliner Bildungsprogramm ist festgehalten, dass Kommunikation, in dem Zusammenhang Sprache, jedes kindliche Handeln begleitet. Daher ist es eine umfassende Aufgabe der pädagogischen Arbeit im Kindergarten sprachliche Bildungsprozesse herauszufordern.

„Die Ermutigung muss [dabei] vor allem dem Willen des Kindes gelten, sich auszudrücken und verständlich zu machen, nicht primär einer korrekten Form. Kinder, die dauerhaft keine positive Resonanz von Erwachsenen erhalten, geben auf. Sie verstummen.“[8]

Damit Kindern der Erkenntnisschritt, gesprochene Sprache lässt sich durch Zeichen abbilden, erleichtert wird, sind Erfahrungen mit kontext- entbundener Sprache von großer Wichtigkeit. Es ist im Bildungs-programm deutlich aufgeführt, dass Kinder in ihrer Sprachentwicklung durch die Erzieherinnen zu beobachten sind und bei Problemen ge-gebenenfalls Rat durch Fachkräfte von außen einzuholen ist, aber eben ausschließlich bei Problemen im Rahmen einer Therapie.[9]

4. Die natürliche Sprachentwicklung eines Kindes

Wie das Symbol des Sprachbaums verdeutlicht, kann sich die Sprache eines Kindes, als Krone des Baumes dargestellt, nur natürlich entwickeln, wenn eine Reihe grundlegender Fähigkeiten zu einem gewissen Maß ausgebildet ist. Sprache ist somit nicht als isolierter Faktor zu sehen, sondern ein Zusammenspiel vieler Faktoren, die in Abhängigkeit zueinander stehen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Der Sprachbaum

Als erstes müssen sich die Wurzeln entwickeln und sich im Boden verankern, damit der Stamm mit seiner ausladenden Krone entstehen kann. Damit stellen sie die Voraussetzungen des Sprechen-Lernens, in Form von zum Beispiel hören, dar. Die Krone steht stellvertretend für eine ausgebildete Sprache mit ihren drei Unterbereichen der Arti-kulation, dem Wortschatz und der Grammatik.

Der Stamm symbolisiert das Sprachverständnis und die Sprachfreude. Beides sind Voraussetzungen, damit sich Sprache, im Schaubild durch die Äste und Zweige der Krone dargestellt, ausdifferenzieren kann. Ein wichtiges Element der Sprachentwicklung, beziehungsweise der Entwicklung des Baumes, wird durch die Sonne, symbolisch für Wärme, Liebe und Akzeptanz, verdeutlicht. Ein Kind ist auf die Liebe und Akzeptanz seiner Bezugspersonen angewiesen. Ebenso elementar ist das tägliche Miteinander, das in dem Schaubild durch das Wasser aus der Gieskanne symbolisiert wird. Es gibt deutliche Unterschiede in der Sprachentwicklung von Kindern, je nachdem ob das Wasser ‚Dünger’ enthält oder nicht. Eltern können durch die Art wie und wie intensiv sie mit ihrem Kind sprechen, Sprachentwicklung fördern, einschränken oder bremsen.

Mit Hilfe der Erde werden die Lebensumwelt und die Lebens-umstände, wie Gesellschaft und Kultur des Kindes symbolisiert, die großen Einfluss auf seine Entwicklung haben.[10]

Kinder erlernen diesen Komplex des Sprechens und der Sprache spielerisch und in einem unglaublichen Tempo. Dabei sind sie gezwungen einige Hürden zu nehmen und Fähigkeiten zu erwerben. Zuerst hören sie sich in die Sprache ein, um aus allen Lauten, die sie wahrnehmen, die der Muttersprache herauszufiltern. Jeder Säugling wäre in der Lage jede beliebige Sprache zu erlernen, selbst äußerst schwierige Urwaldsprachen. Durch Nachahmung und ständige Wiederholungen werden in der Einhörphase dabei die häufig aktiven Neuronen stabilisiert. Die Kinder erkennen den symbolischen Cha-rakter der Sprache und beginnen mit dem Bilden erster Silben und später erster Worte, die aus aneinander gereihten Silben bestehen. Zu letzt arbeiten sie sich noch in das Anwenden der grammatikalischen Regeln ein und haben es erreicht sich mit Hilfe von Sprache auszudrücken. Vor allem die Tatsache, dass Kinder die Sprache in so kurzer Zeit und scheinbar ohne große Anstrengungen erlernen, hat die Sprachforscher zu der Annahme verleitet, dass Kinder eine ange-borene Veranlagung haben, die sie befähigt sich eine Sprache anzueignen Chromsky benutzte für diesen ‚Spracherwerbsmechan-ismus’ die Kurzbezeichnung LAD (Language Acquisition Device). Schritt für Schritt befähigt dieser Spracherwerbsmechanismus Kinder die Muttersprache und ihr Regelsystem zu entdecken und zu über-prüfen.

Aus sprachpädagogischer Sicht ist diese Theorie jedoch wenig hilfreich, da eine Sprachstörung auf einen defekten Spracherwerbs-mechanismus zurückzuführen sein müsste. Demnach wären die Hilfs- und Fördermethoden sehr begrenzt.

Die behavioristische Spracherwerbstheorie sagt aus, dass das Kind die Fähigkeit zu Sprechen erlernt, indem es seine sprechende Umwelt als Vorbild wahrnimmt und nachahmt. Dabei haben die sprechenden Familienmitglieder, insbesondere die Eltern, eine stark positiv ver-stärkende Rolle. Nachahmung ist beim Spracherwerb sicher ein wesentlicher Faktor, doch die Kinder verwenden häufig Sprachformen und Sätze, die sie nicht über Nachahmung erlernt haben können. Zudem würde es viele Jahre in Anspruch nehmen alle möglichen Satz- und Wortformen zu hören und zu imitieren. Dies ist im kindlichen Spracherwerb nicht der Fall.

Bei der interaktionistischen Spracherwerbstheorie, die vor allem von dem amerikanischen Sprachforscher Bruner entwickelt wurde, handelt es sich um eine dritte Möglichkeit Sprache zu erwerben. Die Kom-munikation spielt in diesem Ansatz eine wichtige Rolle. Bruner hält es zudem für wahrscheinlich, dass Kinder tatsächlich über einen Spracherwerbsmechanismus verfügen, aber allein über diesen Mechanismus der Spracherwerb nicht zu erklären ist. Ohne das Bedürfnis sich verbal sowie nonverbal auszutauschen und ohne Sprechanregungen und Sprechanlässe ist das Lernen von Sprache unmöglich. Bruner hat durch Beobachtungen festgestellt, dass Eltern ihren Kindern automatisch vielfältige Hilfestellungen zum Erlernen von Sprache geben. Die Eltern passen ihre Sprache in Wortwahl und Sprechmelodie den Möglichkeiten ihres Kindes an und erzielen somit eine Feinabstimmung zwischen ‚Lehrer und Lerner’, bei der auch das Kind versucht sich seinen Eltern anzupassen. Durch gemeinsame Spiele und Handlungen erlernen Kinder Sprache als Mittel ein Ziel zu erreichen und sich damit ausdrücken zu können.[11]

Die Lautwahrnehmung, eine Voraussetzung der Sprachentwicklung, ist schon im fünften bis sechsten Monat der Schwangerschaft ausgeprägt. Neugeborene sind bereits in der Lage unterschiedliche rhythmische Muster wahrzunehmen und zu erkennen. Sie entwickeln ihre Fähigkeiten sehr rasch weiter, so dass sie bereits in der vierten Lebenswoche in der Lage sind, Laute wie zum Beispiel /p/ und /b/ in den Silben /pa/ und /ba/ wegen ihrer Stimmhaftigkeit zu diskriminieren.

Der Schrei ist die erste Lautproduktion des Säuglings und besteht meistens aus silben- ähnlichen Melodiebögen.[12] Das Sprachverständnis des Kindes ist jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht prüfbar. „Eine Grundvoraussetzung für eine intakte Sprach-entwicklung ist eine „normale“ Gehirnreifung. Dabei spielt die intakte Myelinisierung eine zentrale Rolle. […] Myelin ist der medizinische Fachausdruck für die fetthaltige Isolations- und Schutzhülle, die unser Nervensystem spiralförmig umwickelt.“[13]

Desto weniger Nervenfasern myelinisiert sind, desto langsamer werden die Aktionspotentiale weitergeleitet. Für die Sprachver-arbeitung ist aber die erhöhte Leistungsgeschwindigkeit eine Grund-voraussetzung. Es wird immer stärker angenommen, dass Ver-zögerungen in der frühkindlichen Myelinisierung Defizite bezüglich des Sprachelernens zur Folge haben.[14]

Etwa im vierten Lebensmonat beginnt der Übergang, von der ersten Experimentierphase, der reinen Phonation, zur zweiten Experi-mentierphase, der Lautartikulation. Das Kind beginnt aus kon-sonantischen und vokalischen Segmenten Silben zu produzieren, die in der Regel noch nicht der Zielsprache entsprechen.[15]

Bis zum sechsten Monaten wird eine Reihe von Lauten in sämtlichen Artikulationszonen gebildet. Oft werden dabei Konsonanten-verbindungen wie zum Beispiel /kr/ verwendet. Das Baby lallt, gurrt und juchzt.[16]

Das Sprachverständnis ist erst im Alter von etwa sechs bis zehn Monate überprüfbar. Das Kind sucht unterschiedliche Gegenstände durch Kopfdrehungen bei Benennung.

Mit acht Monaten versucht es unter Berücksichtigung der vorherrschenden Wortbetonungsmuster die Wortgrenzen zu identi-fizieren und bekannte Wörter im Redefluss wieder zu erkennen. Einige bekannte Funktionswörter, wie zum Beispiel oft verwendete Artikel, werden bereits im Lautstrom wieder erkannt.[17] In dieser Zeit ist es zudem fähig Silben zu lallen und zu verdoppeln, wie zum Beispiel /lala/.

Reaktionen auf das Nennen seines Namens und auf einfachste Auf-träge zeigt das Kind bereits in dem Entwicklungsabschnitt von zehn bis zwölf Monaten. In dieser Zeit spricht es sein erstes ‚Mama’ oder ‚Papa’ und führt regelrechte kanonartige Lallmonologe. Dabei wird zwischen zwei Stadien innerhalb der Lallphase unterschieden, zwischen dem reduplizierenden Lallen und dem bunten Lallen. Beim reduplizierenden Lallen wiederholt das Kind die gleichen Silben, zum Beispiel /dada/. Beim bunten Lallen werden hingegen mehrsilbige Lautketten mit unterschiedlichen Konsonanten produziert.[18]

In dem Lebensabschnitt von neun bis zwölf Monaten berücksichtigt das Kind nur noch Laute, die wichtig für die Unterscheidung von Wörtern in der Muttersprache sind. Die rasche Entwicklung der Seg-mentierfähigkeit des Kleinkinds ist verantwortlich für die rapide Zunahme des Wortverstehens.[19]

Mit zwölf Monaten spricht das Kind zwischen zwei und zehn Wörtern in der Kindersprache und holt Sachen heran, wenn es dazu auf-gefordert wird.

Äußerungen in Ein- Wort- Sätzen erfolgen während der Altersspanne zwischen einem und eineinhalb Jahren. Zudem beginnt es einfache Aufforderungen und Fragen zu verstehen.

Bereits am Ende des zweiten Lebensjahres umfasst der kindliche Wortschatz bereits zwischen 20 und 50 Wörter. Das Kind befindet sich in dieser Zeit im ersten Fragealter. Neben Substantiven werden auch Verben und Adjektive gebraucht. Das Kind beginnt zwei oder mehrere Wörter zu Äußerungen, wie ‚Mama Tür auf’, zu verbinden. In dieser Phase ist der passive Wortschatz des Kindes dem aktiven weit voraus.[20]

Etwa ein halbes Jahr später, wenn das Kind zweieinhalb Jahre alt ist, kann es das Meiste von dem, was es hört, verstehen, sofern auf einem ähnlichen Sprachniveau gesprochen wird. Sein Wortschatz nimmt rapide zu. Es werden erste Verbindungen und Vergangen-heitsformen gebraucht, ohne dass sich das Kind über die Bildung der Formen bewusst wäre. Die ersten Ich- Sätze werden verwendet, wobei es noch zu kleinen Fehlern bei der Aussprache kommt. Vorwiegend werden die Sätze im Infinitiv gstellt. „Man spricht jetzt von der Phase der ungeformten Mehrwortsätze. Artikulatorisch beherrscht das Kind nun die meisten Laute, jedoch nicht alle Lautverbind-ungen."[21]

Bis zum dritten Geburtstag des Kindes findet eine regelrechte Wortschatzexplosion statt. Es beginnt schwierige Lautverbindungen, wie /kn/, zu lernen. Kleine Fehler bei schwierigen Lautverbindungen liegen in dieser Phase noch im Rahmen der natürlichen Sprachentwicklung. Auch die Zischlaute müssen noch nicht be-herrscht werden. Ebenfalls bestehen noch Schwierigkeiten beim Ver-ständnis von Gegensätzen und feineren Unterschieden. Einfache Sätze entstehen die, teilweise eine Nebensatzkonstruktion aufweisen. Dies ist die Zeit des zweiten Fragealters, indem das Kind schon W- Fragen gebraucht.

Im vierten Lebensjahr erweitert sich der Wortschatz immer mehr. Das Kind benutzt nun Präpositionen, kann schon einige Farben zuordnen und sie benennen. In einer noch nicht ganz korrekten Grammatik drückt es Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus. Es gewinnt immer mehr Sicherheit bei der Bildung von Neben-sätzen. Insgesamt kann man sagen, dass das Kind in diesem Alter seine Muttersprache weitgehend beherrscht.

Bis zur Einschulung, mit etwa sechs Jahren vergrößert sich das Wissen des Kindes enorm. Es macht Erfahrungen über die es berichten möchte, wobei es auf einen breiten Wortschatz zurückgreift. Es ist in der Lage auf einem kindlichen Niveau zu abstrahieren und Oberbegriffe zu finden, da es viel Sprachsicherheit gewonnen hat. Das Kind ist befähigt flüssig zu sprechen und seine Gedankengänge variabel auszudrücken.[22]

5. Möglichkeiten der Sprachentwicklung bei Kindern mit Migrationshintergrund

Die Sprachförderung richtet ihren Fokus, wie in der Einleitung bereits erwähnt, zunehmend auf die Kinder, die im Volksmund als ‚ausländische Kinder’ bezeichnet werden. Bei genauerem Betrachten wird aber deutlich, dass dieser Begriff überholt und zudem unzutreffend ist. „Viele dieser Kinder sind bereits in Deutschland geboren, haben bereits die deutsche Staatsbürgerschaft oder betrachten sich selbst als deutsch bzw. als deutschsprechende Mitbürger mit anderer ethnischer Herkunft.“[23] Der Begriff ‚Kinder mit Migrationshintergrund’, der im Rahmen der PISA-Studie stark verbreitet wurde, ist für diese Bevölkerungsgruppe zutreffender, da damit lediglich ausgesagt wird, dass in der Familie in der nahen Vergangenheit eine Migration stattgefunden hat.

Die Sprachentwicklung bei Kindern mit Migrationshintergrund kann nicht so einheitlich und allgemeingültig wie der Erstspracherwerb beschrieben werden. In der Sprachforschung wird grob zwischen zwei unterschiedlichen Möglichkeiten der Sprachentwicklung hinsichtlich des Zweitspracherwerbs unterschieden, dem sukzessiven und dem simultanen Zweitspracherwerb.

Kinder deren Zweitspracherwerb sukzessiv verläuft haben als Erst-sprache eine andere als die deutsche Sprache erlernt. Kenntnisse über die deutsche Sprache wurden später als zweite Sprache erworben. Meist stammen diese Kinder aus Familien von Arbeits-migranten und in der Familie wird hauptsächlich eine

nicht-deutsche Sprache gesprochen. Auch bei Kindern aus Flüchtlings- oder Asylbewerberfamilien ist ein sukzessiver Zweit-spracherwerb nicht ungewöhnlich. In beiden Fällen konnte das Kind die Erstsprache nach dem Muster der natürlichen, im voran-gegangenen Kapitel beschriebenen, Sprachentwicklung erwerben.

„Mit dem Eintritt in Institutionen wie dem Kindergarten wird dann die deutsche Sprache zu einem zweiten Zeitpunkt erworben. Diese Zweitsprachigkeit ereignet sich also schrittweise.“[24] Mit der Mutter-sprache werden wichtige Erfahrungen zum ersten Mal erlebt, doch diese stellt eine Minderheitensprache dar. Das bedeutet sie spielt in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle, teilweise wird sie auch, je nach Sprachprestige, mehr oder weniger stark abgelehnt. Diese Umstände können zu Irritationen bei den Kindern führen.

Es wäre ein Irrglaube zu denken, das Praktizieren der Muttersprache behindere das Erlernen der Zweitsprache. Der Erfolg des Erlernens einer Zweitsprache hängt unter anderem davon ab, in welchem Maße die Muttersprache ausgebildet ist, beziehungsweise auf welche sprachlichen und sprachbegleitenden Fähigkeiten das Kind zurück-greifen kann. Insofern stellt die Entwicklung der Muttersprache ge-wissermaßen „eine Voraussetzung für den geglückten Verlauf des Zweitspracherwerbs dar.“[25] Kinder, deren muttersprachliche Ent-wicklung ungestört verlaufen konnte, sind für die spätere Beherrschung beider Sprachen gut gerüstet. Dahingegen können bei Kindern mit einer lückenhaften Muttersprache zum Teil erhebliche Schwierigkeiten mit der Beherrschung beider Sprachen auftreten.[26]

Kinder, die die Zweitsprache simultan erwerben, erlernen die diese von Geburt an parallel zu der Erstsprache. „Dieser Sachverhalt liegt dann vor, wenn die Bezugspersonen des Kindes konsequent in verschiedenen Sprachen mit dem Kind sprechen.“[27] Ein simultaner Spracherwerb ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn die jeweilige Bezugsperson, die Sprache fließend und fehlerfrei beherrscht. Sind die Deutschkenntnisse ausländischer Eltern eingeschränkt, werden Fehler in der Aussprache und der Grammatik an ihre Kinder weitergegeben. Auch in Bezug auf den Wortschatz kann nur ein unvollkommenes Bild vermittelt werden.[28]

[...]


[1] Janich, N. / Thim- Mabrey, Ch. (2003) S. 41 u. 42

[2] Vgl. Janich, N. / Thim- Mabrey, Ch. (2003) S. 44- 49

[3] Janich, N. / Thim- Mabrey, Ch. (2003) S. 50

[4] Vgl. Von Knebel, U. (2000) S. 313

[5] Vgl. Kolonko, B. (2001) S. 122

[6] Bayrisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen(2003)

S. 155

[7] Vgl. Bayrisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen(2003) S. 155

[8] Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport (2004) S. 62

[9] Vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport (2004) S. 62 u. 63

[10] Vgl. Wendlandt, W. (2000) S. 10

[11] Vgl. Kolonko, B. ( 1997) S. 43- 57

[12] Vgl. Penner, Z. (2005) S. 11- 12

[13] Penner, Z. (2005). S. 14

[14] Vgl. Penner, Z. (2005). S. 15

[15] Vgl. Penner, Z. (2005). S. 18

[16] Vgl. Wendlandt, W. (2000) S. 26

[17] Vgl. Penner, Z. (2005). S. 22

[18] Vgl. Penner, Z. (2005). S. 25

[19] Vgl. Penner, Z. (2005). S. 23

[20] Vgl. Wendlandt, W. (2000) S. 22

[21] Wendlandt, W. (2000) S. 27

[22] Vgl. Wendlandt, W. (2000) S. 22- 29

[23] Wendlandt, W. (2000) S. 92

[24] Wendlandt, W. (2000) S. 92

[25] Wendlandt, W. (2000) S. 95

[26] Vgl. Wendlandt, W. (2000) S. 95

[27] Wendlandt, W. (2000) S. 93

[28] Wendlandt, W. (2000) S. 95 u. 96

Excerpt out of 81 pages

Details

Title
Sprachförderung durch Sprachspiele in Kindergarten und Vorschule
College
University of Education Weingarten
Grade
2
Author
Year
2005
Pages
81
Catalog Number
V49253
ISBN (eBook)
9783638457484
File size
706 KB
Language
German
Keywords
Sprachförderung, Sprachspiele, Kindergarten, Vorschule
Quote paper
Beate Mayer (Author), 2005, Sprachförderung durch Sprachspiele in Kindergarten und Vorschule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49253

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