Ein neues Transformationsmodell jenseits des Kapitalismus? Eine institutionenökonomische Analyse von Kuba


Masterarbeit, 2018

112 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Institutionenökonomische Theorie
2.1 Institutionen als Regeln im Gleichgewicht
2.2 Evolutionär-institutionelle Ökonomik
2.2.1 Grundlegendes
2.2.2 Ontologisches Verständnis der EIÖ
2.2.3 Soziale Eingebettetheit
2.2.4 Zeremenielle und instrumentelle Werte, Technologie und Wissensbestände. Institutioneller Wandel nach der EIÖ
2.3 North‘sche Institutionentheorie
2.3.1 Ontologisches Verständnis der NIÖ
2.3.2 Transaktionskosten und Wirtschaftsleistung
2.3.3 Formgebundene Institutionen und die Veränderung der relativen Preise. Institutioneller Wandel nach der NIÖ
2.4 Zusammenfassung: EIÖ und NIÖ im Vergleich
2.5 Institutionelle Ausgestaltung von Wirtschaftsordnungen

3. Transformationsökonomie
3.1 Transformationstheorie
3.2 Postsozialistische Transformationsökonomien
3.2.1 „Graduelle Therapie“ oder „Schocktherapie“?
3.2.2 Quantitative Messmethoden der Transformation
3.2.3 Der Privatisierungsprozess russischer Großunternehmen in der Transformation und die Gefahr der Monopolbildung
3.2.5 Ein Beispiel ökonomischer Selbstorganisation. Die Transformation der jugoslawischen Genossenschaften
3.2.6 Transformationsblaupause Vietnam? Der Erfolg der kleinen und mittelständischen Familien und Landwirtschaftsbetriebe in Vietnam
3.2.7 Die Bedeutung der informellen Institutionen im chinesischen Transformationsprozess. Soziale Eingebettheit, Korruption und Güterallokation

4. Kubas Wirtschaftstransformation
4.1 Kubanische Wirtschaftsgeschichte
4.2 Reformen der Período Especial en Tiempos de Paz
4.3 Der kubanische Doi Moi. Institutioneller Wandel unter Raúl Castro
4.3.1 Zentrale Probleme Wirtschaft und Transformationsdruck
4.3.2 Weichenstellung für den Wandel. Institutioneller Wandel der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung ab
4.3.3 Die neuen Leitlinien von 2011/
4.3.4 Der graduelle Weg
4.4 Denzentralisierung oder Reorganisation? Die staatlichen Großunternehmen und Joint-Ventures
4.5 Nichtstaatliche Formen der Unternehmensorganisation. Privatisierung der kleinen und mittelständischen Unternehmen
4.5.1 Genossenschaftliche Organisationsformen und ihre institutionelle Entwicklung im kubanischen Wirtschaftsmodell
4.5.2 Landwirtschaftliche Genossenschaften. Tradition, Lehren und institutionelle Innovationen
4.5.3 Genossenschaften anderer Wirtschaftssektoren. Experiment oder Hoffnungsträger?
4.5.4 Cuentapropistas. Privatisierung mit Hindernissen
4.4 Informelle Institutionen im Wandel und die Blackbox der informellen Wirtschaft
4.5 Das Internet als Zündholz des progressiven institurionellen Wandels

5. Ein alternatives Transformationsmodell für Kuba?
5.1. Der bittere Beigeschmack des asiatischen Weges
5.2 Das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie
5.3 Die Gemeinwohlökonomie als alternatives Entwicklungsziel für Kuba?

6. Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Kein anderes Land der Karibik hat weltweit so viel Aufsehen erregt wie Kuba. Der kleine karibische Inselstaat stand im Verlauf seiner polarisierenden Geschichte des Öfteren im Fokus der globalen Medien. Die gar nicht so weit zurückliegende Kolonialgeschichte, das karibische Klima, die eigene Kultur und der sozialistische Fler der Revolution haben immer schon Menschen auf diese besondere Insel gezogen. Immer mehr europäische (vor allem spansiche und deutsche) Touristen strömen heutzutage auf die Insel. Dies liegt auf der einen Seite daran, dass die Infrastruktur für den Pauschal-und Massentourismus in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausgebaut wurde und nun auch Menschen ohne politische Motivation auf die Insel kommen, um Strandurlaub zu machen. Auf der anderen Seite existiert in westlichen Teilen der Welt der Mythos, dass Kuba, die letzte sozialistische Bastion des 21. Jahrhunderts, sich nun auch in Richtung Kapitalismus aufmacht. Viele Reisende möchten noch ein letztes Mal den authentischen Sozialismus erleben, bevor er in die Fänge des alldurchdringenden Kapitalismus gerät. Herauszufinden ob man dem Mythos glauben schenken darf oder nicht, soll eine zentrale Aufgabe dieser Arbeit sein.

Der Besuch von Peer Steinmeier im Jahre 2016 und vermehrte Annäherungen seitens Deutschland und der EU an Kuba und die Abschaffung des „Gemeinsamen Standpunktes“ scheinen auf eine Verbesserung der wirtschaftspolitschen Beziehungen zwischen Kuba und Europa hinzudeuten (vgl. Hoffmann 2015: 2). Fragt man die Kubaner heute auf der Straße, dann können sie nicht oft genug betonen, wie schnell sich alles aktuell auf der kubanischen Insel verändert. Im zweiten Atemzug bekommt man dann ganz schnell erklärt, dass es dem Land wirtschaftlich nicht gut geht. Um sich dies bestätigen zu lassen, braucht man nur einen Blick in die negative Handelsbilanz, die wachsenden Nahrungsmittelimporte und die geringen Wachtsumsraten des vergangenen Jahrzehnts anschauen. Dass diese Resultate, trotz der massiven Einschränkungen durch das US-Wirtschaftsembargo, auch auf die Ineffizienzen der zentralen Planung der kubanischen Wirtschaftsleitung zurückzuführen sind, wird mittlerweile auch parteiintern hier und da anerkannt.

Die Vermutung liegt nun nahe, dass die Planwirtschaft sich mit ihren Elementen zentrale Planung, administrative Wirtschaftsführung, hauptsächlich staatliches Eigentum, Preisfestsetzung und staatlich regulierte Arbeitsbeziehungen erst in der Sowjetunion, China, Vietnam und nun auch in Kuba als ineffizient in Bezug auf Güterallokation erwiesen hat. Dies hat weitläufige Folgen für andere Teilsysteme des formellen und informellen Systems. Das Modell kann weder die Bedürfnisse der Volkswirtschaft bedienen (zu hohe Planungskomplexität) noch die hohen Staatsausgaben für soziale Sicherungen refinanzieren und ist damit nicht nachhaltig. Auch nach Außen hin wurden wenn auch nur indirekte Bekenntnisse in diese Richtung öffentlich gemacht. In den neusten Leitlinien zu den Wirtschaftsreformen von 2016 sind immerhin einige dieser Aspekte, wie z.B. wirtschaftliche Dezentralisierungsansätze, zu erkennen (vgl. PCC 2016a).

Nach dem Rücktritt Fidel Castros haben die institutionellen Reformen unter Raúl Castro eine neue Schlagzahl angenommen, die letzlich einen wirtschaftlichen und sozialen Wandel in Gang gebracht haben, der zwar nicht schockartig daherkommt, aber beständig scheint. Eine weitere Hypothese dieser Arbeit ist, dass sich das kubanische Wirtschaftssystem aktuell in einer institutionellen Transitionsphase befindet, wobei noch nicht eindeutig geklärt ist, ob es sich hierbei um Reformen innerhalb des sozialistischen Ordnungsgefüges handelt oder ob sich sogar eine Annäherung an eine kapitalistische Marktwirtschaft vollzieht. Die aktuellen Entwicklungen auf diesem organisationellen Spektrum einzuordnen, soll ein Ziel dieser Arbeit sein. Um diese Leistung vollbringen zu können, bedarf es einer Theorie, die sich für eine Beschreibung wirtschaflicher Ordnungsmodelle eignet und die es gleichzeitig vermag das Verhalten der Wirtschaftssubjekte innerhalb dieses Rahmens, sowie während des Wandels selbst, zu analysieren. Es liegt daher Nahe einen institutionenökonomischen Theorieansatz zu verwenden, der sich sowohl mit den formellen und die informellen Institutionen einer Wirtschaft auseinandersetzt.

In Kapitel 2 werde ich daher ein allgemeines theoretisches Verständniss von Institutionen schaffen und im Anschluss zwei institutionenökonomische Theorien vorstellen und versuchen ihre Gemeinsamkeiten, sowie ihre Stärken und Schwächen herauszuarbeiten, um diese erkenntnisbringend in der Analyse anzuwenden. Zunächst werde ich die Evolutionär-Institutionellen Ökonomie (EIÖ) vorstellen. Diese sozioökonomisch gepägte Theorie beschäftigt sich vor allem mit der sozialen Einbettung wirtschaftlicher Prozesse und den Werten einer Wirtschaftsgemeinschaft. Sie legt den Fokus auf infromelle Institutionen und innovative Technolgien als Motor des instituionellen Wandels. Vor allem die Handlungsorientiertheit dieser Disziplin scheint in Bezug auf die Betrachtung von ökonomisch-institutionellen Transformation – und Transitionsprozessen ein sehr reichhaltiger Aspekt zu sein. Elsner (2015: 241) sieht Sozioökonomie und Institutionalismus nicht nur als epistemologisch reflektierte Alternative der Wirtschaftswissenschaft, sondern charakterisiert sie zudem als proaktiv intervenierende und sozialreformerische Alternative. Sie eignet sich daher hervorragend, um sich diesem Untersuchungsgegenstand zu nähern.

Danach wird die klassische Institutionentheorie nach Douglas North (NIÖ) präsentiert und vor allem auf die Transaktionskostentheorie und die Bedeutung von privaten Eigentumsrechten eingehen. Es soll gezeigt werden, dass diese beiden Theorien sich nicht widersprechen auch wenn sie konträren Wissenschaftsdisziplinen enstpringen. Zum Abschluss dieses Kapitels werde ich auf die instutionelle Ausgestaltung der sozialistischen Planwirtschaft und der kapitalistischen Marktwirtschaft eingehen, um ein Grundverständniss des institutionellen Aufbaus der Idealtypen zu gewährleisten. Dies soll eine spätere Einordnung der kubanischen Wirtschaftsordnung erleichtern. In Kapitel 3 wird sich dann mit Aspekten der Transformationsökonomie beschäftigen. Zunächst wird sich der Autor auf allgemeine Aspekte der Theorie, einzelne Transformationsstrategien und die Messung der Transformation konzentrieren. Im Anschluss daran sollen für Kuba relevante Fallbeispiele der postsozialistischen Transformation aufgeführt werden. Auf der Suche nach dem geeignetsten Weg zur Lösung eines komplexen Problems kann sich ein Blick in die Vergangenheit und in die Schwierigkeiten eines Systems lohnen, um Aussagen über die Zukunft oder den Entwicklungsweg eines anderen Systems treffen zu können. Dies natürlich nur Gesetz den Fall, dass diese Systeme ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit aufweisen. Durch die historische Betrachtung der bereits abgeschlossenen oder weit vorangeschrittenen Transformationsprozesse ehemals planwirtschaftlicher Systeme sollen so mögliche Kernaspekte für die Analyse des ökonomischen Transformationsprozesses in Kuba synthetisiert werden.

Diese Kernaspekte werden jedoch im Sinne eines methodologischen Holismus auf die kulturellen und strukturellen Eigenschaften des gesamten kubanischen Systems und seine historische Entwicklung bezogen. Nimmt man eine evolutionäre Entwicklung von fomgebundenen und formlosen Regeln an, so ist ein Außklammern historisch-kultureller Aspekte nicht möglich. Deshalb wird sich Kapitel 4 zunächst mit der kubanischen Wirtschaftsgeschichte beschäftigen. Die wirtschaftliche Episode direkt nach dem Zerfall der Sowjetunion erhalt hierbei ein besonderes Augenmerk, da sie nahtlos an die aktuellesten Reformen anknüpft und einen direkten Einfluss hat. Der zentrale Gegenstand der Analyse wird jedoch die Beschreibung und die Analyse des institutionellen Wandels unter Raúl Castro sein. Neben den wirtschaftlichen Ursachen die den Reformdruck ausgelöst haben, soll auf die neuen wirtschaftlichen Reformen und die kubanische Transformationsstrategie eingegangen werden. In diesem Zuge steht die Reorganisation der staatlichen Großunternehmen, neue nichtstaatliche Formen der Unternehmensorganisation, Schwarzmärkte und informelle Institutionen und der technologische Wandel im Vordergrund. Mit Hilfe dieser Aspekte soll die Multidimensionalität des kubanischen institutionellen Wandels vertieft dargestellt werden.

Im letzten Kapitel dieser Arbeit erfolgt beispielhaft eine Vorstellung eines alternativen wirtschaftlichen Transformationsmodels. Brudenius (2014: 248) sieht eine gewisse Ironie in der Tatsache, dass über die Krise des sozialistischen Modells in Kuba diskutiert wird, während sich der Kaptialismus weltweit in der größten Krise seit der großen Depression befindet. Er hält es für äußerst wichtig sich auf die Suche nach Modellen zu begeben, welche Wettberwerbs- und Markteffizienz mit ökologischer Nachhaltigkeit, Gleichheit, Solidarität und Demokratie zu verbinden. Sowohl die kapitalistische (marktwirtschaftliche) Wirtschaftsordnung als auch die Planwirtschaft in ihrer institutionellen Ausformung versagen es einen Anreiz für ethisches d.h. vor allem ökologisch-nachhaltiges und sozial-gerechtes Wirtschaften zu liefern. Die Zieloffenheit der Transformation und das Interesse an Innovationen im Hinblick auf alternative Wirtschaftsinstitutionen seitens der kubanischen Regierung, vor allem im Hinblick auf private genossenschaftliche Betriebsmodellen bietet die Chance der Gestaltung eines Transformationsmodells jenseits des Kapitalismus. Als Entwurf hybrider Wirtschaftsordnungen im Sinne eines nachhaltigen Sozialismus stellt das Modell der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) ein mögliches alternatives Entwicklungsziel für das kubanische Transformationsmodell dar, da so die Effiziensprobleme des Systems beheben werden könnten, ohne dass dabei die sozialen Errungenschaften der kubanischen Revolution vernachlässigt werden.

2. Institutionenökonomische Theorie

2.1 Institutionen als Regeln im Gleichgewicht

Grundlegend für eine Analyse von Institutionen ist zunächst ein ausreichendes Verständnis dessen, was sie eigentlich ausmacht, weshalb zunächst ausgewählte Definitionen von Institutionen präsentiert und diese anschließend diskutieren werden sollen. Im Allgemeinen lassen sich drei verschiedene Betrachtungsweisen von Institutionen identifizieren. Zunächst gibt es eine regelbasierte Auffassung1, welche gemeinhin die konventionellste Form der Definition von Institutionen darstellen dürfte:

„Institutionen sind Spielregeln einer Gesellschaft oder, förmlicher ausgedrückt, die von Menschen erdachten Beschränkungen menschlicher Interaktion. Institutionen vermindern Unsicherheit, indem sie für gewisse Ordnungen in unserem täglichen Leben sorgen. Sie schaffen Richtlinien für menschliche Interaktion, damit wir wissen (oder leicht in Erfahrung bringen können), wie wir uns verhalten müssen, wenn wir auf der Straße einem Freund begrüßen, ein Auto lenken, Orangen kaufen, Geld borgen, ein Unternehmen gründen, unsere Toten begraben usw.“ (vgl. North 1990: 3f.)

Elsner (1987: 5) folgt dieser Definition, wenn er konstatiert, dass Institutionen regelgebundenes und somit institutionalisiertes Entscheiden und Verhalten der Individuen induzieren. Hierbei verfügen die Individuen über feste Erwartungen hinsichtlich der Verhaltensweisen anderer Individuen, die zum einen durch die Regel definieren wird und gleichzeitig andere Verhaltensweisen ausschließen. Er setzt Institutionen somit, auch in Relation zur Sicherheit. Man zieht es vor sich regelkonform zu verhalten, wenn eine hinreichende Sicherheit besteht, dass die anderen Individuen es einem gleichtun. Diese Sicherheit resultiert aus der Annahme, dass allgemein bekannt ist, dass eine Missachtung der Regeln eine Missachtung der Regeln seitens der anderen Individuen zur Folge hat und man sich auf diese Weise schlechterstellt im Vergleich zu regelkonformem Verhalten. Zusammengefasst könnte man also sagen, dass Institutionen nach der regelbasierten Auffassung erlernte Regeln sozialen Verhaltens sind, die einerseits als Handlungsanleitung innerhalb der sozialen Interaktion fungieren, diese aber andererseits überhaupt erst ermöglichen und gleichzeitig auch beschränken. Letzteres impliziert, dass Institutionen stets mit einer unsichtbaren Sanktionsmöglichkeit ausgestattet sind (vgl. Schwödiauer 1980: 156f.).

Wie hier bereits zu erkennen ist, weist diese Argumentation Elemente der gleichgewichtsbasierten Auffassung von Institutionen auf. Diese entspringt dem Wissenschaftsbereich der Spieltheorie, deren Kernelemente wir im Folgenden kurz skizziert werden. In einem strategischen Spiel gibt es eine Spielermenge sowie für jeden Spieler eine Strategiemenge und eine Auszahlungsfunktion, die auf die Menge der Strategieprofile zurückgeht. Soziale Situationen werden mittels solcher Spiele konstruiert, wobei normalerweise Lösungskonzepte Anwendung finden, um soziale Interaktion zu erklären oder auch vorherzusagen (vgl. Tutic, Zschache und Voss 2015: 633). Dementsprechend definiert Schotter Institutionen als „regularities in behaviour which are agreed to by all members of a society“ (1981: 9). Eine Institution ist laut seiner Ansicht eine Regel, die als Handlungsplan für die Entscheidungsfindung von Individuen in sich wiederholenden mehr-personellen Entscheidungssituationen dient. Diese Regeln sind in solchem Maße allgemein anerkannt, dass die Individuen bestimmte gegenseitige Verhaltenserwartungen aufweisen. Somit ist ein Gleichgewicht in der Spieltheorie ein bestimmter Strategie- oder Handlungsplan für jeden teilnehmenden Spieler in einer strategischen Interaktion. Das entscheidende Merkmal eines Gleichgewichts ist dabei, dass kein Spieler einen Anreiz hat die Handlungsstrategie einseitig zu verändern, was bedeutet, dass jede Strategie stets die beste Antwort auf die Handlungen des anderen Spielers ist.

Das „Property Game“2, das auf die evolutionäre Spieltheorie von Smith (1982: 94f.) zurückgeht, verwendete erstmalig ein Spiel, um Konflikte sowohl von Menschen als auch von Tieren, die um Ressourcen konkurrieren, zu veranschaulichen. Bei der sozialwissenschaftlichen Betrachtung steht die Anpassung menschlichen Verhaltens durch Imitation und Lernprozesse im Vordergrund. Zwei Spieler mit unterschiedlichen Interessen spielen beispielsweise die wirtschaftliche Nutzung von Land aus, wobei ein gewisses Koordinierungsproblem auftritt. Entscheiden sich beide Spieler dazu, das Land zu nutzen ist die Wahrscheinlichkeit eines Konflikts sehr hoch. Dies stellt das schlechteste Ergebnis für beide Parteien dar. Sehen beide Spieler von der Nutzung des Landes ab, so schlagen sie die Möglichkeit aus das Land für sich zu beanspruchen. Die Lösung mit dem besten Ergebnis bei wiederholtem Spielen für beide Beteiligten besteht darin, dass der eine Spieler den anderen das Land nutzen lässt, während er selbst zunächst darauf verzichtet und im nächsten Zug Anrecht auf Verwendung hat.

Das Property Game veranschaulicht ein Koordinationsproblem, das ein asymmetrisches Gleichgewicht aufweist. Asymmetrische Beziehungen kommen in der realen Welt deutlich häufiger vor. Man denke beispielsweise an Käufer-Verkäufer-Beziehungen, Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen oder auch an die Partnerschaft von Mann und Frau. Bei Nash-Gleichgewichten hingegen herrscht Symmetrie vor, d.h. sie stellen stabile Zustände von Dynamiken dar. Dies meint, dass sie im Gegensatz zu asymmetrischen Koordinationsproblemen weder bindende Verträge umfassen noch einen Informationsaustausch der beteiligten Spieler vor dem Entscheidungsmoment zulassen. Dies hat zur Folge, dass es keine Interdependenz der jeweiligen Strategiewahl der Spieler gibt (vgl. Amann 2015: 405). Gehen wir aber davon aus, dass beide Spieler absolut identisch sind und keine Kommunikation herrscht, muss man sich fragen, weshalb einer der beiden Spieler ein schlechteres Ergebnis für sich akzeptieren sollte? Abhilfe kann in solch einer Situation ein sogenanntes Korrelationsinstrument (correlation device) schaffen. Hierbei handelt es sich um einen Signalisierungsmechanismus, d.h. einen externen Mechanismus, der handlungs- bzw. entscheidungskorrelierte und verlässliche Signale an die Spieler überträgt. Kein Spieler kann sich durch abweichendes Verhalten besserstellen als der Andere, natürlich unter der Annahme, dass der Gegenüber dem Signal Folge leistet. Das Handlungsset befindet sich nun in einem korrelierten Gleichgewicht (vgl. Hindriks und Guala 2015: 464f.).

Weniger optimale Situationen in der Spieltheorie sind soziale Dilemmata. Hier besteht eine Interdependenz zwischen den Akteuren, und zwar insofern, als mindestens einem der Spieler Anreize geliefert werden sich gegen die Kooperation mit seinem Mitspieler zu entscheiden („defektieren“), wobei dieses nicht-kooperative Verhalten zu einem negativeren Ergebnis für beide Akteure führt. Oder um die Termini der Spieltheorie zu verwenden: Wenn Akteure defektieren ist das Ergebnis pareto-suboptimal, während Kooperieren pareto-optimal ist und somit eine Pareto-Verbesserung darstellt, verglichen mit dem Ergebnis bei defektierender Handlung. In diesem Sinne ist ein soziales Dilemma-Spiel ein nicht-kooperatives Spiel mit einer Lösung, sprich die Zusammensetzung der verschiedenen Strategien des rationalen Akteurs, die pareto-suboptimal ist (vgl. Raub, Buskens und Corten 2015: 597f.). Ich möchte an dieser Stelle spieltheoretische Aspekte nicht überstrapazieren, wobei die für unsere Analyse bedeutende Erkenntnis bereits erfolgreich hergeleitet wurde. Die gleichgewichtsbasierte Auffassung betrachtet Institutionen so gesehen als Gleichgewichte der eben skizzierten strategischen Spiele. Sie leiten die Handlungen der Individuen an und tragen somit zur Entscheidungsfindung in repetitiven mehr-personellen Spielsituationen bei.

Nichtsdestotrotz schließen sich die regelbasierte und die gleichgewichtsbasierte Auffassung von Institutionen nicht grundsätzlich aus. Sie weisen sogar gewisse Berührungspunkte auf, will heißen, sie stehen in einem komplementären Verhältnis (vgl. Greif und Kingston 2011: 28). Um dieses Verhältnis besser verstehen zu können muss man sich die Ambiguität von Regeln vergegenwärtigen. So werden Regeln sowohl dafür verwendet, Verhalten vorzuschreiben, als auch um es zu beschreiben. Die Ambiguität besteht darin, dass wir, obwohl wir hier zwei gänzlich verschiedene Konzepte vorfinden, beide simultan anwenden. Hindriks und Guala (2015: 468) unterscheiden zwischen sogenannten obeserver-rules, die zunächst das Verhalten anderer beschreiben und somit einer Beobachterperspektive entspringen und den sogenannten agent-rules. Bei diesen Regeln wiederum generiert der Akteur die Regeln, um sein eigenes Verhalten zusammenzufassen, aber auch um seine Handlungen anzuleiten. Somit wird die Theorie des Gleichgewichts aus der Beobachterperspektive hergeleitet, jedoch ist sie letztlich auf diese Perspektive limitiert, weshalb eine Ergänzung durch die Theorie der Regel äußerst nützlich erscheint. Das Aufstellen einer Regel kann eine Übereinkunft im Hinblick auf ein strategisches Gleichgewicht erleichtern, da sie eine Handlungsanleitung vorgibt. Hieraus ergibt sich logischerweise die Tatsache, dass Regeln Verhalten repräsentieren und beeinflussen. Daher vertreten die Autoren eine institutionentheoretische Auffassung von Regeln im Gleichgewicht. Die Funktionen von Regeln, die sich aus dieser Auffassung ergeben, beschreiben Greif und Kingston in treffender Weise:

[...] the role of ‘rules’, like that of other social constructs, is to coordinate behavior. Because there are multiple potentially self-enforcing expectations in a given situation, coordination mechanisms, including rules, play an essential role in generating regularities of behavior and social order. Rules fulfill this coordinating role by specifying patterns of expected behavior, and also by defining the cognitive categories – signs, symbols, and concepts – on which people condition their behavior. (vgl. Greif und Kingston 2011: 28).

Die zentrale Aufgabe von Regeln besteh somit in der Koordinierung menschlichen Verhaltens. Von zentraler Bedeutung sind hierbei die Handlungserwartungen der Akteure, die der Beobachtung entspringen und so letztlich das Verhalten koordinieren. In diesem Sinne gewinnen aber auch kognitive Kategorien an Relevanz. Ihnen wird insofern eine Bedeutung beigemessen, als sie zu einer Konkretisierung, sprich zu mentalen Repräsentationen von zu erwartenden Verhaltensmustern führen, die menschliches Verhalten bedingen. Durch diesen repräsentativen Mechanismus werden kognitive Kapazitäten vor der Handlungsentscheidung gespart. Diesen Gedanken finden wir auch bei Aoki (2007: 6ff.), wenn sie meint, dass solche symbolischen Markierungen als eine Art Zusammenfassung von Gleichgewichtsbeständen anzusehen sind. Institutionen helfen den Akteuren daher nicht nur bei der Koordinierung von Verhalten, sondern mindern den kognitiven Aufwand. In diesem Sinne sind Institutionen sich selbst verstärkende, herausstechende Muster sozialen Verhaltens, die durch allgemein bekannte und bedeutungsrelevante Regeln repräsentiert werden.

Kognitive Repräsentation, Symbiotik und Symbolik stehen immer auch in Zusammenhang mit der Sprache einer Gesellschaft. Diese dient als Medium und Organisationsinstrument von kulturell geprägten Bedeutungen von Dingen und Handlungen und ihre Einflussnahme sollte nicht gänzlich ausgeklammert werden. Liu (2016: 68) hält daher die bisherige Aufteilung von Institutionen in formell und informell für zu pragmatisch. Er unterscheidet zusätzlich Kultur und soziale Institutionen. Nach seiner Auffassung weist Kultur eine geringfügige Veränderbarkeit auf. Unabhängig von situativen Anreizen und Bedingungen prägt sie die Entscheidungen von Menschen und strukturiert deren Werteinstellungen und Ideale. Daher sei es sinnvoll, auch von kulturellen Faktoren zu sprechen. Folgende Abbildung zeigt den Wirkungszusammenhang dieser drei Institutionsformen und Individuen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Die Wirkungsrelationen zwischen Institutionen, Akteuren und Kultur (vgl. Liu 2016: 66)

Liu ist der Überzeugung, dass Kultur von Generation zu Generation weitergegeben wird und somit wenig reflexive Distanz zulässt, da sie im kulturellen Erwerbsprozess stark internalisiert wurde. Kultur biete keine konkreten Strategien oder gar Verhaltensregeln für relevante Problematiken an und sei vielmehr ein subjektiver Filter, durch den die objektive Welt beobachtet wird. Sitten und Bräuche sind ihm zufolge jedoch keine kulturellen Begebenheiten. Sie entwickeln sich im interpersonellen Austausch, werden durchgesetzt und eine Nicht-Folgeleistung wird bestraft. Sie sind also modellierbar und zeigen adaptive Eigenschaften auf. Er spricht sich daher für eine Aufteilung von Institutionen in drei Typen aus: 1. formelle Institutionen (staatlich-rechtliche Ordnungen), 2. soziale Institutionen (soziale Beziehungen und Normen), 3. kulturelle Institutionen (Werte und Weltanschauungen).

Kritisch ist hinsichtlich der Abgrenzung von Kultur jedoch die implizit vorausgesetzte Monokulturalität anzumerken. Von einer bedingten Distanziertheit und Reflexionsfähigkeit hinsichtlich der eigenen kulturellen Perspektive lässt sich jedoch nicht bei plurikulturell sozialisierten Menschen ausgehen. In einer kulturell diversen Gesellschaft könnte durchaus die Aufrechterhaltung des dualen Institutionensystems von formellen und informellen Institutionen angebrachter sein, da, entgegen der Assimilationstheorie, von einer gegenseitigen und dynamischen Beeinflussung von kulturellen Aspekten auszugehen ist und sie somit die gleiche potenzielle Veränderbarkeit wie Bräuche und Sitten aufweisen. Sie würden somit wieder zusammen unter die Kategorie der sozialen Institutionen fallen. Man sollte jedoch darauf hinweisen, dass Lui diese Annahme unter Berücksichtigung der Geschlossenheit und „kulturellen Homogenität“ der chinesischen Gesellschaft tätigt. Aber auch die kubanische Gesellschaft mit ihren erst kürzlich gelockerten Auswanderungsbedingungen, den geringen Einwanderungszahlen, dem beschränkten Zugang zu internationalen Netzwerken und der stark ausgeprägten nationalen Identität scheint einen gewissen Grad an Geschlossenheit aufzuweisen. Ich möchte diesen Aspekt daher die Analyse miteinbeziehen.

Bisher wurde, wenn von Institutionen gesprochen wurde, ausschließlich auf soziale und kulturelle, sprich formlose Institutionen referiert. Nun ist es keine außergewöhnliche Begebenheit, dass sich in Rechtsstaaten aus formlosen Regeln im Gleichgewicht auch legale, rechtskräftige bzw. formgebundene Beschränkungen herausbilden. Gemäß der North‘schen Institutionenökonomik sind formgebundene Beschränkungen3 also politische (die Rechtsprechung betreffende), wirtschaftliche Regeln und Verträge. Hierbei ist von Bedeutung, dass es sich um ein Regelsystem handelt, das durch eine hierarchische Struktur geprägt ist, die von Verfassungen über Gesetze bis hin zu einzelnen Verträgen reicht. Durch ihre rechtliche Gestalt besitzen formgebundene Regeln die Fähigkeit, formlose Beschränkungen in ihrer Wirksamkeit zu erhöhen und zu komplementieren. Die zentrale Aussage ist in diesem Zusammenhang, dass sie eine Senkung der Informations-, Überwachungs- und Durchsetzungskosten bewirken und auf diese Weise komplexe Tauschprobleme lösen (vgl. North 1992: 56).

Hindriks und Guala (2015: 462) bemerken jedoch, dass es eine gewisse Diskrepanz zwischen legalen Regeln auf der einen Seite und der faktischen Einhaltung bestimmter Regeln auf der anderen Seite existiert. Sie gehen der Frage nach, warum Individuen sich an bestimmte Regeln halten und andere wiederum etwas großzügiger auslegen, wobei sie der Messung der Sanktionierbarkeit eine prägnante Rolle zuschreiben. Sie sprechen daher von nominalen Regeln, die als Signal fungieren und annähernd anzeigen welches Verhalten erwartet wird. Wenn letztlich niemand davon überzeugt ist, dass der Regel eindeutig Folge zu leisten ist, besteht ein gewisser Spielraum hinsichtlich der Schwere der Verletzung und der zu befürchtenden Sanktion. Man kann daher folgern, dass es sich als sinnvoll erweisen kann Regelverstöße erst ab einem bestimmten Grad im Verhältnis zur nominalen Regel zu ahnden. Es besteht insofern ein allgemeines (informelles) Verständnis darüber inwieweit die Grenze sanktionsfrei überschritten werden kann. Das Verhalten aller bestätigt dieses allgemeine Verständnis. Hierin spiegelt sich das oben beschriebene Gleichgewicht von Regeln bzw. das Zusammenspiel von formlosen und formgebundenen Beschränkungen wieder.

2.2 Evolutionär-institutionelle Ökonomik

2.2.1 Grundlegendes

Nachdem ich nun ein grundlegendes Verständnis von Institutionen, das das gesamte Spektrum der Institutionenökonomik berücksichtigt, geschaffen habe, möchte ich im folgenden Kapitel zunächst den Evolutorischen Institutionalismus vorstellen, der allgemein auch als evolutionär-institutionelle Ökonomik (EIÖ) oder auch Original Institutional Economics, bezeichnet wird. Im Anschluss soll diese Forschungsrichtung von der North’schen Institutionenökonomik abgrenzt, aber gleichzeitig aufgezeigt werden, dass sich diese Forschungszweige potenziell ergänzen lassen vor allem im Hinblick auf den institutionellen Wandel. Die EIÖ lässt sich als Wissenschaftszweig der in den 1980er-Jahren begründeten Soziökonomie (social-economics) auffassen. Sie stellt ein hybrides Wissenschaftsfeld im Transitionsbereich von Volkswirtschaftslehre, Soziologie, und weiteren Richtungen wie z.B. Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft, Anthropologie und Sozialpsychologie dar (vgl. Hollingsworth 2002: 1). Damit steht sie letztlich auch dem Feld der Politischen Ökonomie nahe. Mit dem Begriff Sozioökonomik wird häufig auf eine Teildisziplin der Volkswirtschaftslehre verwiesen. Sie ist somit vollständig innerhalb der Wirtschaftswissenschaften anzusiedeln.

Der Bereich der Sozioökonomik analysiert die gegenseitige Beziehung von Ethik, sozialen Werten, Konzepten sozialer Gerechtigkeit und sozialen Dimensionen des wirtschaftlichen Lebens. Er behandelt damit genau die elementaren Aspekte, der vorliegenden Arbeit. Die Institutionenökonomik stellt auf einer tieferen Ordnungsstufe eine Reihe von abweichenden ökonomischen Forschungstraditionen bereit, die sich mit der Relevanz von Institutionen in Bezug auf Produktion, Verteilung und Konsum und den daraus resultierenden sozialen Vernetzungen auseinandersetzen (vgl. Hodgson 2001: 345f.). Es ist bedeutsam anzumerken, dass bei der Theorie der EIÖ hinsichtlich des Prozesses der Wirtschaftsorganisation weder ein universelles Menschenbild noch allgemeine Verhaltensmuster angenommen werden. Die Variation der Merkmale von Gesellschaften und deren ökonomische Organisation sind nach der Auffassung der EIÖ stark abhängig von Zeit und Raum. Bei der späteren Betrachtung der Transformationsansätze wird dies eine äußerst wichtige Rolle spielen.

Eine Abhängigkeit von Zeit und Raum impliziert automatisch die Existenz sozio-historischer Faktoren. Diese Form des Institutionalismus geht letztlich auf den Ansatz von Thorsten Veblens und seine Theorie der Evolution sozialer Prozesse zurück4. Veblen sah Wirtschaft als ein System von relationalen Handlungen an, durch das Menschen aller Gemeinden ihren Lebensunterhalt generieren. Dieses System umfasst einen Kern an Wissen und Fähigkeiten, sowie einen Grundstock an physischem Werkzeug. Außerdem verfügt es über ein komplexes Netzwerk von persönlichen Beziehungen, das durch Gewohnheiten, Rituale, Neigungen und Dogmen beeinflusst wird (vgl. Ayres 1964: 61). Hier wird deutlich, dass kulturelle und soziale Aspekte oder schlichtweg kulturelle und soziale Institutionen immer auch ein fundamentaler Bestandteil von wirtschaftlichen Prozessen sind. Institutionen (hauptsächlich informelle) sind, wie wir bereits gesehen haben, soziale Regeln und Werte. Angetrieben wird ein solch emergierender, komplexer Evolutionsprozess der Institutionen, der sich in kumulativen Kausalketten bewegt, durch Lernen, Sozialisation, Imitation, formalen Zwang und sogar Gewalt (vgl. Elsner 2011: 31).

2.2.2 Ontologisches Verständnis der EIÖ

Um diesen Prozess besser aufschlüsseln zu können, scheint es hilfreich zu sein, sich dem menschlichen Verhalten intensiver zu widmen. Letztlich sind die Muster menschlichen Handelns doch essenziell für eine sozio-ökonomische Analyse. Dabei taucht vor allem immer wieder die Frage auf, inwiefern das Individuum oder die soziale Struktur entscheidend für das menschliche Verhalten ist. Stanfield und Wrenn (2005: 27) gehen davon aus, dass Geschmäcker und Vorlieben individueller Wesen keine Gültigkeit besitzen, da sie lediglich Folgen des Sozialisationsprozesses sind, der sie entsprechend konditioniert hat. Sie sprechen dem Individuum jedoch nicht seine Autonomie hinsichtlich der Handlungswahl ab. Aufbauend auf Veblen´s Theorie, gehen sie vielmehr davon aus, dass das individuelle Verhalten von sozialen Erfahrungen und dem kulturellen Kontext geprägt wird. Insofern sprechen sie sich für einen interaktiven Zusammenhang aus, der sich in einer Mischform auf die Entscheidungsfindung bzw. auf die Handlungsstrukturen von Menschen auswirkt. Die Tatsache, dass ein sozialökonomischer Evolutionsprozess stets mit einer Dependenz der Institutionen von Individuen einhergeht, aber gleichzeitig auch eine Einflussnahme der Institutionen auf die Individuen selbst erfolgt, stellt eine grundlegende Annahme der EIÖ dar.

Hodgson (2000: 326) bezeichnet diese Wirkungsweisen als Prozesse von sogenannten Aufwärts- und Abwärtskausalitäten. Aufwärtskausalitäten sind als eine Form des Lernens zu verstehen, die sich als rekursive soziale Praktik klassifizieren lassen, bei der die Individuen Institutionen kreieren und auf sie Einfluss nehmen. Häufig finden wir in den Wirtschaftswissenschaften zwei allgemeine Konzepte hinsichtlich des Verhaltens von Individuen vor. Die Strukturalisten gehen davon aus, dass das Verhalten der Individuen durch externe Faktoren, sprich ihre sozialen Beziehungen, erklärt werden kann. Auf der Gegenseite finden wir die Annahme vor, dass das Verhalten von Individuen allein durch ihre persönlichen Präferenzen und Geschmäcker bestimmt wird. Gemäß dem ersten Konzept ist ausschließlich der Lebenskontext der Gesellschaft, in dem das Individuum lebt von Bedeutung. Das Individuum wird hier ausschließlich als soziales Wesen angesehen. Der methodologische Individualismus hingegen fokussiert sich auf die durch Vorlieben angeleiteten Markthandlungen der Individuen und klammert das soziale Wesen völlig aus.

Davis (2015: 214) erachtet diese beiden Herangehensweisen an das menschliche Verhalten als zu limitiert. Er ist der Überzeugung, dass sowohl die sozialen Strukturen Einfluss auf die Individuen nehmen als auch umgekehrt, woraus er ableitet, dass es sich vielmehr um relativ freie, gleichzeitig aber auch interdependente Wirkungsmechanismen handelt. Er hält daher das Konzept des „sozial eingebetteten Individuums“ für eine sinnvollere Analysemethode für das menschliche Verhalten, weil es beide Einflussarten berücksichtigt. Dieser Annahme liegt letztlich eine sozialpsychologische Sichtweise zugrunde. Da das Individuum die Fähigkeit besitzt Selbstbilder zu erschaffen, handelt es sich um ein Wesen mit reflexivem Charakter. Zentral ist hier die Tatsache, dass dabei eine Objektivierung des Subjekts von statten geht. Das Individuum macht sich in reflexiver Weise dabei selbst zum Objekt des Denkens. Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass soziale Faktoren Einfluss auf das menschliche Verhalten nehmen, die Reflexionsfähigkeit impliziert jedoch eine Möglichkeit relativer Distanziertheit zu diesen Faktoren, da die Individuen auch in der Lage sind sich dieser Einflussnahme durch die Vergegenwärtigung des Selbst zu entziehen. Diese Distanziertheit lässt also die Annahme zu, dass die Individuen in gleicher Weise die sozialen Strukturen beeinflussen können wie sie von ihnen beeinflusst werden, was in absoluter Kohärenz zum Ansatz des sozial eingebetteten Individuums steht (vgl. Davis 2003: 114).

Auch Lawson (1997: 180ff.) erkennt eine Interdependenz zwischen Struktur und Individuum an wenn er sagt, dass die soziale Struktur vom menschlichen Handeln abhängt, wobei diese wiederum durch sich wandelnde Gewohnheiten des Menschen eine potenzielle Veränderbarkeit aufweist. Nach seinem Handlungs- und Strukturmodell vollzieht sich eine parallele Evolution von sozialen Strukturen und menschlichem Verhalten. Soziale Prozesse verändern und reproduzieren sich dabei stetig. Er unterstreicht zusätzlich, dass die Basis, auf der die reflexiven Individuen agieren, sich kontinuierlich verändert, sodass bei ihnen ein Bedürfnis nach Sicherheit und Kontinuität im alltäglichen Leben entsteht. Das zentrale Rad der Veränderung scheinen ihm zufolge die sich im steten Wandel befindlichen menschlichen Praktiken zu sein, wobei diese wiederum von der sozialen Struktur abhängig sind.

2.2.3 Soziale Eingebettetheit

Maßgeblich beeinflusst wurde die Konzeption der „Embeddedness“ nicht nur von sozialpsychologischer Forschung, sondern auch seitens der Soziologie. Granovetter (1985: 487) argumentiert, dass das sozial eingebettete Individuum weder in atomistischer Weise frei von jeglichem sozialen Kontext sein könne noch blind den Handlungsmustern seiner jeweiligen sozialen Gruppe folge. Auch Lutz (1999: 6) folgt diesem Ansatz und meint, dass soziale Individuen immer als eingebettet in ein konstitutives Gewebe sozialer Beziehungen zu verstehen sind. Als Beispiel nennt er die Gemeinde oder die Familie, aber auch weitläufigere Beziehungsverbunde. Er geht davon aus, dass in all diesen Netzwerken unterschiedliche soziale Werte in abweichender Kombination von Bedeutung sind und als Orientierung im Alltag der Individuen dienen. Soziale Beziehungen bestimmen seiner Auffassung nach die wirtschaftlichen Beziehungen wie Konsum, Produktion oder den Austausch von Waren. Den wirtschaftlichen Werten liegen somit auch soziale Werte zugrunde. Lutz sieht daher das Individuum vielmehr als ein duales Selbst dual self, das zwei Ordnungen in sich vereint. Zum einen hat das Individuum Präferenzen erster Ordnung hinsichtlich Gütern und Arbeit und auf der anderen Seite existieren Präferenzen zweiter Ordnung, die den sozialen Werten entsprechen. Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, ob eine der beiden Ordnungen eine erhöhte Dominanz aufweist.

Solch eine Form des multiple self, also das Vorhandensein mehrerer sozialer Identitäten im Menschen ist ein Versuch der Institutionenökonomen, die spezifischen Identifikationsprozesse von Menschen, sprich ihre Eingebettetheit zu erklären. Fraglich ist jedoch, wie ein Individuum mehrere soziale Identitäten in sich unteilbar vereinen kann? Davis (2015: 220) berücksichtigt diesen Gedanken und geht davon aus, dass Menschen dann als unteilbare Wesen anzusehen sind, wenn sie es vermögen, ihre vielen sozialen Identitäten auf reflexive Weise zu organisieren und in solchem Maße in ein Gleichgewicht zu bringen, dass diese individuelle Anordnung ihrer personalen Identität entspricht.

„Wenn wir unter ‚sozialer Identität‘ die Identifikation von Individuen mit anderen verstehen, können wir mit den anderen entweder (a) soziale Gruppen oder durch gemeinsame Sprache, Ethnizität, Religion, Arbeit etc. charakterisierte Gesamtheiten von Individuen meinen oder einfach (b) andere Individuen wie Freunde, Familienmitglieder, Nachbarn etc. Zweitens: In beiden Fällen kann ‚Identifikation von Individuen mit anderen‘ zweierlei bedeuten, je nachdem, wer für die Identifikation verantwortlich ist. Entweder (a) die Individuen identifizieren sich aktiv mit anderen und sind selbst die Akteure dieser Identifikation oder (b) dritte Parteien identifizieren die Individuen mit anderen und sind die für diese Identifikation verantwortlichen Akteure“ (vgl. Davis 2015: 221).

Hieraus ergeben sich letztlich vier verschiedene Typen sozialer Identität: 1. aktive Identifizierung des Individuums mit anderen Individuen; 2. aktive Identifizierung des Individuums mit Gruppen von Individuen; 3. Identifizierung des Individuums mit anderen Individuen durch Dritte; 4. Identifizierung des Individuums mit anderen Gruppen durch Dritte (vgl. Davis 2011: 202). Auf Grundlage dieser Klassifizierung führt Davis weiter aus, dass Menschen primär von der gesellschaftlichen Konstruktion von Gruppen und ihrer Fremdidentifizierung beeinflusst werden, die Individuen gleichzeitig aber auch Einfluss auf die soziale Identitätskonstruktion (Gestaltung und Zuweisung in Gruppen) nehmen. Die soziale Einbettung der Menschen (soziale Identitäten und Beziehungen) wirkt auf die Entscheidungen der Individuen ein, die Art und Weise jedoch, wie die sozialen Identitäten zu personalen Identitäten organisiert und konstruiert werden, geht vom Individuum selbst aus. Diese Erklärung veranschaulicht im Allgemeinen sehr gut das Verhältnis der Interdependenz von Strukturalismus und Individualismus.

Zusätzlich gilt es zu berücksichtigen, dass sich womöglich Individuen im Klaren darüber sind, dass andere Akteure ihre persönliche Identität anders wahrnehmen, was wiederum dazu führt, dass offene und verborgene Meinungen anderer auch ihre Entscheidungen beeinflussen. Diese Annahme, die ursprünglich der intersubjektivistischen Ökonomik entspringt, findet sich auch in der EIÖ wieder. Fullbrook (2002: 2) beispielsweise konstatiert hinsichtlich der Spekulationen auf dem Finanzmarkt, dass Entscheidungen von Wirtschaftsakteuren meistens davon abhängen, was sich andere Wirtschaftsakteure ersehnen, wie sie denken und wie sich ihre Wünsche gestalten. Die Analyse menschlichen Verhaltens hinsichtlich des ökonomischen Entscheidungsprozesses ist letztlich der Kern eines anderen Wissenschaftszweigs, der sogenannten Verhaltensökonomik. Nichtsdestotrotz berücksichtigt die EIÖ auch Aspekte dieser Untersuchung des menschlichen Verhaltens. Ich werde daher im Folgenden, wenn auch nur kurz und knapp, auf die elementarsten Verhaltensannahmen eingehen.

Neben der bereits erwähnten Intersubjektivität spielen spezifische Ziele, die das Individuum zu erreichen versucht eine bedeutende Rolle. Der Akteur trifft Entscheidung gemäß den Zielen, die er durch diese erreichen möchte. Außerdem treffen Individuen Entscheidungen auf Grundlage von Faustregeln (Wenn-dann Regeln), auch condition-action rules genannt. Die Summe der angehäuften Faustregeln ergibt dann das mental model eines Akteurs. Hier spielt wiederum das erhaltene Feedback und der daraus folgende Lernprozess eine ungemein wichtige Rolle. Das Individuum merkt sich stets, welche Regeln sich seinem historischen Verlauf bewährt haben und es damit näher an ein persönliches oder kollektives Ziel gebracht haben und welche dabei versagten (vgl. Beinhocker 2007: 130). Die Rückmeldungen der jeweiligen Umwelt führen letztlich zu einem Lerneffekt, was wir weiter oben bereits als rekursives Lernen des sozial eingebetteten Individuums kennengelernt haben. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Vielzahl an sozialen, interdependenten, historisch-gewachsenen, intersubjektiv wirkenden und sich potenzierenden Faktoren auf menschliches Verhalten einwirkten und eine Vorhersagbarkeit von ökonomischen Prozessen extrem schwierig macht.

Nun liegt folglich auch die Hypothese nahe, dass es sich bei ökonomischen Systemen um hochkomplexe Systeme mit unwahrscheinlich vielen potenziellen Möglichkeiten handelt. Die EIÖ ist eine Wissenschaft die eine solche Komplexität aufgrund der Handlungsheterogenität der Akteure, der Möglichkeit echter Handlungsalternativen und direkter Interdependenz anerkennt. Ein Quantensprung hinsichtlich eines angebrachten Umgangs mit Komplexität gelang durch die Entwicklung von dynamischen, rekursiven, computerbasierten und evolutionären Systemmodellen.5 Elsner (2015: 248) verwenden den Begriff „determiniertes Chaos“, wenn er sich auf komplexe Systeme und Gleichgewichte bezieht. Er konstatiert, dass sie wegen ihrer Verzweigungen und Weggabelungen in der Entwicklung sowie aufgrund bestimmter Phasenübergänge kaum vorhersagbar seien. Zusätzlich beschreibt er komplexe wirtschaftliche Systeme als prinzipiell eher transitorische Gefüge, die sich in Richtung bestimmter Fixpunkte bewegen, die hochkomplexe Systemverläufe und Orbits schaffen. Unter Berücksichtigung der beschriebenen Aspekte könnte man die EIÖ daher letztlich als „[…] eine […] realweltliche, Komplexität berücksichtigende, Natur- und Gesellschafts-Deformierungen durch deregulierte kapitalistische Marktwirtschaften kritisierende und am historisch-emanzipatorischen Impetus der klassischen ,Politischen Ökonomie‘ anknüpfende, nach der ,guten Gesellschaft‘ forschende Sozioökonomik und eine umfassende (epistemologische, theoretische und handlungsorientierte) Alternative der Ökonomik“ (ebd.: 250), beschreiben.

2.2.4 Zeremenielle und instrumentelle Werte, Technologie und Wissensbestände. Institutioneller Wandel nach der EIÖ

Mit dem bisher akkumulierten Wissen über die Emergenz von Institutionen, über soziale Identitäten und das daraus resultierende ökonomische Verhalten sind wir nun in der Lage, die Theorie des institutionellen Wandels besser nachzuvollziehen, um letztlich herauszufinden, inwiefern sich dieser Wandel laut der Auffassung der EIÖ vollzieht. Wie bereits angedeutet, baut diese Theorie letzlich auf den frühen Erkenntnissen Veblens auf. Von größter Wichtigkeit für das Verständnis dieser Theorie sind die sogenannten „Muster korrelierten Verhaltens“. Zum einen wird, wie bereits weiter oben ausführlich erklärt, die Annahme vorausgesetzt, dass Verhalten innerhalb einer Institution niemals zufällig ist, sondern stets zielgerichtet und bedingt durch andere Faktoren auftritt. Auf der anderen Seite wird davon ausgegangen, dass (soziale) Werte dieses Verhalten zwischen und innerhalb der Muster bedingen und beeinflussen. Ein Verhaltensmuster meint somit zwei verschiedene Handlungen, die in Korrelation zu einem (normativen) Wert stehen. Dieser Wert fungiert als Maßstab für Urteile, durch den letztlich das Verhalten bedingt wird. Zu betonen ist hierbei, dass Werte nicht nur das Muster in sich, sondern auch die Muster untereinander bedingen (vgl. Bush 1987: 1077). Bush skizziert daher folgendes Schema für ein Muster korrelierten Verhaltens wobei B für Behavior und V für Value steht:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Da Werte aber auch Muster untereinander bedingen muss folglich auch das Schema B2à V2 ßB3 existieren, wobei V2 die Verbindungsstelle zwischen den beiden Verhaltensmustern darstellt. Somit ist das Wertesystem von Institutionen verantwortlich für gegenseitige Verbundenheit von Handlungsmustern innerhalb der Institutionen.

Wenn also das Wertesystem der entscheidende Faktor für Verhalten im Allgemeinen ist, muss auch eine tiefergehende Beschreibung dieses Systems vollzogen werden. Bush (1987: 1079) geht von einer konzeptionellen Zweiteilung des Wertesystems aus. Nach seiner Auffassung existieren zeremonielle Werte und instrumentelle Werte. Beide Wertformen verfolgen dabei ihre eigene Logik hinsichtlich ihrer Validierungsmethode. Sie sind prinzipiell nicht kompatibel, stehen jedoch durch die komplexe realweltliche Struktur des gesamten institutionellen Systems in gewisser Weise in Zusammenhang. Zeremonielle Werte sind ein Maßstab für Urteile, die ungerechtfertigte Unterscheidungen zulassen, die wiederum Status, verschiedene Privilegien oder auch die Machtausübung einer sozialen Klasse über eine andere Klasse zuweisen. Sie erhalten die Legitimation ihrer Existenz durch den Verweis auf Tradition und vorherrschende Ideologien. Sie können durchaus einer überzeugenden Argumentation entspringen, jedoch wird ihre Widerlegbarkeit in keiner Weise getestet oder kritisch angezweifelt. Sie werden von Behörden und übrigen Teilen des hierarchischen Systems akzeptiert und somit für absolut befunden.

Die zweite Form des Wertesystems sind die instrumentellen Werte. „Instrumental values correlate behavior by providing the standarts of judgment by which tools and skills are employed in the application of evidentially warrented knowledge to the problem-solving-processes of the community“ (vgl. Bush 1987: 1080). Diese instrumentellen Werte bedingen also auch Verhalten und Verhaltensmuster und erhalten ihre Validierung von der (Wirtschafts-) Gemeinschaft durch ihre instrumentelle Effizienz6 im Problemlösungsprozess. Bush meint weiterhin, dass diese Form von Werten nicht unveränderbar sei. Der Problemlösungsprozess ergibt sich letztlich aus der Nachfrage der Gemeinschaft und dem technologischen Wandel. Dieser erfordert auch einen Wandel in den mentalen Gewohnheiten der Menschen und schließlich auch in ihrem Verhalten. Da neue Verhaltensmuster vonnöten sind, um sich der neuen Technologie anzupassen und ihre Verwendung gängig zu machen, bedarf es eines angemessenen Wandels des instrumentell auferlegten Verhaltens und somit letztlich auch der instrumentellen Werte einer Gemeinschaft. Man kann in diesem Zusammenhang auch von einer Art Prozess der Selbstkorrektur sprechen, da der kausale Fortlauf der Entwicklung grundsätzlich retroperspektivisch beobachtet werden kann und im Falle einer Anhäufung von Ineffizienz im Problemlösungsprozess die instrumentellen Verhaltensmuster angepasst werden können.

Das Wertesystem in der Theorie des institutionellen Wandels ist also dichotom in zeremoniell und instrumentell aufgeteilt. Georgescu-Roegen (1971: 14) betont, dass diese Unterteilung nicht auf Verhalten zutreffen kann, da es vielmehr dialektisch ist. Letztlich bezieht sich dieser Begriff auf die Tatsache, dass ein Verhalten sowohl zeremonielle als instrumentelle Eigenschaften haben kann, sprich in einer bestimmten Art in die jeweiligen Verhaltensmuster inkorporiert ist. Zur Veranschaulichung bietet es sich an dieser Stelle an, einige Beispiele des jeweiligen Verhaltens aufzuführen, um anschließend die angesprochene Dialektik besser nachvollziehen zu können. Absolut zeremonielles Verhalten wäre beispielsweise die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder die Bringung von Opfergaben. Rein instrumentelles Verhalten wäre zum Beispiel das Programmieren einer Applikation oder der Gang zum Krankenhaus im Krankheitsfall.

Die Dialektik des Verhaltens soll in folgendem Beispiel noch deutlicher illustriert werden. Der Vorgang des Befehlens kann beispielsweise zeremoniellen Charakters sein, wenn ein Vorgesetzter durch den die sprachliche Handlung lediglich seine Macht oder seinen Status unterstreichen möchte. Gleichzeitig kann derselbe Akt aber auch eine instrumentelle Funktion übernehmen, wenn er zur Koordination und Anweisung der Arbeiterschaft getätigt wird (vgl. Ayres 1971: 241). Oftmals sind Menschen aber durchaus in der Lage eindeutig festzustellen, welche Funktion das jeweilige Verhalten in einer bestimmten Situation primär übernehmen sollte. Bush (1987: 1082) merkt diesbezüglich an, dass die Entscheidung darüber, welche Funktion das dialektische Verhalten innehat, stets vom sozialen Kontext der Situation abhängt, was uns wieder zum bereits erläuterten Schema führt. „Social context is defined by the behavioral pattern in which the behavior is correlated with other behavior in the institutional arrangement.“ Somit definiert der Wert durch seinen Korrelationsmechanismus das Verhaltensmuster. Ist der Wert, der mit dem Verhalten korreliert zeremoniell, erhält das dialektische Verhalten einen zeremoniellen Status und umgekehrt.

Ein weiterer bedeutender Aspekt in diesem Zusammenhang ist das herrschende Ungleichgewicht der potenziell möglichen Verhaltensmuster. Insgesamt existieren fünf verschiedene zeremoniell berechtigte Verhaltensmuster, jedoch gibt es nur drei mögliche instrumentell angewiesene Verhaltensmuster. Die Logik der instrumentellen Bewertung ist stets in ein kausales Kontinuum des Problemlösungsprozesses eingebettet oder genauer gesagt, sie ist nur von Bedeutung in Bezug auf Verhalten, das in irgendeiner Weise in das technologische Kontinuum von Werkzeugen und Fähigkeiten integriert ist. Folglich sind die potenziellen Möglichkeiten von Verhaltensmustern, die mit instrumentellen Werten korrelieren durch diese Logik begrenzt. Die zeremonielle Bewertung hingegen folgt einer viel freieren Methode der Rechtfertigung des Handelns. Alle möglichen Handlungsmuster der instrumentellen Variante können daher auch mit zeremoniellen Werten korrelieren. Die Logik der zeremoniellen Werte ist in der Lage, schlichtweg jedes Verhalten zu rationalisieren, sie obliegt nicht den Begrenzungen des kausalen Kontinuums und ihre Grenzen sind letztlich die der Vorstellungskraft (ebd.: 1987: 1083). Hierbei handelt es sich um einen essenziellen Aspekt, auf den wir in unserer Analyse des institutionellen Wandels des kubanischen Wirtschaftssystems eingehen werden.

Dementsprechend lässt sich ableiten, dass eine gewisse Asymmetrie innerhalb des Wertesystems besteht. Elsner et al. (2015: 3) spricht in diesem Zusammenhang von der Konzeption der ceremonial dominance innerhalb der institutionellen Struktur eines Systems, die von dieser Asymmetrie herrührt. Besagte Dominanz kann natürlich im Gegenzug auch als instrumentelle Unterlegenheit verstanden werden. Er folgert, dass die reale institutionelle Struktur oder einfach das wirtschaftliche System sich stets in einem Zustand der zeremoniellen Einkapselung befindet. Diesbezüglich verweist er auch auf die Spieltheorie. Ungerechtfertigte Unterscheidungen auf der Suche nach Status und Macht sind beispielsweise in der kapitalistischen Wirtschaftsform eingebettet in kurzfristiges Maximierungsverhalten, das wiederum nur durch Ausbeutung zu erreichen ist (vgl. Elsner 2012: 11).

Diese normative Berechtigung des Handelns stimmt also absolut mit dem Konzept der zeremoniellen Bewertung überein. Soziale Regeln und Institutionen sind demnach vielmehr als instrumentelle Institutionen gedacht, sie basieren jedoch als Gewohnheiten auch auf dem Fortbestand der strukturellen Umstände und neigen dazu, den fortwährenden Prozess der Veränderung von Bedingungen zu verlangsamen. Im Falle des institutionellen Wandels kann es durchaus vorkommen, dass diese strukturellen Bedingungen mit der Veränderung in Konflikt stehen. Der Wandel weist dann eine gewisse Trägheit auf, sodass diese Rahmenbedingungen als „vergangenheitsbindend“ verstanden werden können. Anstelle der Logik der instrumentellen Problemlösung stehen vielmehr Status- und Machtmotive der Bessergestellten und Zugehörigkeits- und Identitätsbedürfnisse der Schlechtergestellten im Fokus. Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass der erforderliche institutionelle Wandel im Falle einer Änderung der Technologie nicht oder erst stark verzögert stattfindet (vgl. Elsner 2015: 254). Letzten Endes sind laut Ayres (1941: 177ff.) die zeremoniell bestimmten Verhaltensmuster ein Hindernis für den Fortschritt, da sie technologische Innovationen verhindern. Ayres argumentiert weiterhin, dass sich das Ausmaß der Verhinderung von Innovationen durch die zeremoniellen Gewohnheiten von Kultur zu Kultur abweicht und auch hinsichtlich der historischen Epochen unterscheidet. Ihm zufolge scheinen technologische Neuheiten im kulturellen Vergleich dann vermehrt aufzutreten, wenn eine relative Unterordnung der zeremoniellen Praktiken besteht.

Wenn also die Technologie als Dreh- und Angelpunkt des institutionellen Wandels zu verstehen ist, ist es von großer Wichtigkeit anzumerken, dass sich der Begriff der technologischen Innovationen nicht nur auf physische Objekte in Form von Maschinen bezieht. Die Veränderung und die Weiterentwicklung von materiellen Gegenständen vollziehen sich niemals autonom, sondern sie bedürfen immer eines menschlichen Zutuns. Will man die Kontinuität wirtschaftlicher Entwicklung verstehen, muss der Fokus der Betrachtung letztlich auf diesen menschlichen Faktor gelegt werden. Im Grunde genommen steckt somit in den materiellen Neuheiten der aktuelle Wissensbestand einer Gemeinschaft und dessen Erweiterung geht jeder materiellen Innovation voraus. Der Kreislauf gestaltet sich wie folgt: Der Problemlösungsprozess bringt Innovationen in physischer Form hervor, verändert die industrielle Umgebung, was weitere Veränderungen auch in den gedanklichen Gewohnheiten hervorruft, die wiederum die Art und Weise verändert wie die Gemeinschaft mit ihren Angelegenheiten verfährt (Veblen 1941: 71f.). Dementsprechend ist dem Wissensbestand der Wirtschaftsgemeinschaft eine besondere Bedeutung zuzuschreiben.

Es existieren noch zwei weitere Formen der „pastbinding ceremonial encapsulation“, jedoch können wir diese Formen an dieser Stelle vernachlässigen, da es uns in dieser Arbeit vornehmlich um eine menschenwürdige und zukunftsbezogene Progression der Gemeinschaft geht. Bush präsentiert diesbezüglich eine weitere wichtige Art der Einkapselung von Verhaltensmustern, die er als „zukunftsbindend“ beschreibt. Dies meint eine aktive Weiterentwicklung der technologischen Innovationen mit dem Ziel, die Kontrolle über die „ vested interests “ der Wirtschaftsgemeinschaft zu stärken und auszuweiten. Es findet eine sukzessive und koordinierte Integration der technologischen Neuheit in den Alltag der Menschen statt, die eine mythologisch-zeremonielle Einkapselung zulässt, sodass Legitimität konstituiert wird und die Kontrolle über die Gemeinschaft, bei gleichzeitiger Weiterentwicklung der instrumentellen Effizienz aufrechterhalten werden kann. Diesen Vorgang beschreibt Bush als erste Phase der institutionellen Angleichung, wie wir in der folgenden Abbildung erkennen können:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Phasen des institutionellen Wandels (vgl. Bush 1987: 1104).

Die zweite Phase leitet den sogenannten progressiven institutionellen Wandel ein. Dieser tritt dann ein, wenn zeremonielle Handlungsmuster durch instrumentelle Handlungsmuster ersetzt werden. Somit wird verstärkt Bezug auf die instrumentellen Werte genommen, die mit dem Verhalten der Gemeinschaft korrelieren, was letztlich auch eine Abschwächung der zeremoniellen Dominanz herbeiführt. Der progressive institutionelle Wandel beinhaltet also stets eine technologische Innovation, die es vermag die zeremoniellen Hürden zu überwinden. Dieser Prozess deckt sich auch mit Veblens Konzeption der „culmultative causation“. Technologische Innovationen verändern die realen Bedingungen einer Wirtschaftsgemeinschaft und diese neuen Bedingungen wirken sich auf das Verhalten und die kognitive Struktur der Menschen aus. Diese strukturelle Veränderung wirkt sich wiederum auf die Entwicklung neuer Innovationen aus. Jede neue Innovation erweitert also den Wissensbestand und das Spektrum der Möglichkeiten für zukünftige technologische Verwertungsprozesse.

Außerdem müssen in diesem Zusammenhang auch der Zugang zum Wissensbestand und sein Entwicklungsstand berücksichtigt werden. Bush (1987: 1079) verweist daher darauf, dass die Zugänglichkeit dieses Wissens innerhalb einer Gemeinschaft auch die Realisierbarkeit eines institutionellen Wandels beeinflusst. Gesellschaften mit einem kaum entwickelten Wissenschaftsapparat sind nicht in der Lage in jener Frequenz neue Innovationen zu kreieren, wie bereits hochtechnologisierte Wissenssysteme. Ein wichtiger Aspekt, den Bush aufgreift sind die sogenannten „cultural borrowings“. Ein Wissens- und somit Technologietransfer von einer weiterentwickelten Gesellschaft kann zu einem rapiden Wachstum im Wissensbestand der Gesellschaft führen. Seckler (1986: 1011) geht deshalb davon aus, dass Entwicklungsprogramme einen solchen Entwicklungstransfer von hoch entwickelten zu weniger entwickelten Wirtschaften beinhalten müssen. Damit eine Implementierung und Akzeptanz der Technologie stattfinden kann, muss der progressive institutionelle Wandel fokussiert werden, da die zeremonielle Einkapselung die Fähigkeit der Anpassung und Verbreitung der neuen Innovation in der Gemeinschaft beschränken kann.

2.3 North‘sche Institutionentheorie

2.3.1 Ontologisches Verständnis der NIÖ

Das folgende Kapitel wird nun die North’sche Institutionentheorie präsentieren, um anschließend beide Theoriezweige vergleichen zu können. Wie eingangs bereits angedeutet, handelt es sich bei der Institutionenökonomik nach Douglas North um einen Theoriezweig der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ). Sowohl Vertreter der Neoklassik, als auch erste Ansätze der NIÖ, wie die Prinzipal-Agent-Theorie, die ökonomische Analyse des Rechts oder der Public-Choice-Ansatz, setzen hinsichtlich des menschlichen Verhaltens absolute individuelle Rationalität voraus. Williamson (1985: 54) ist hingegen der Meinung, dass dem Menschen lediglich eine begrenzte Menge an Informationen zugänglich ist, da sie vorab durch die Umwelt gefiltert werden. Zu deren Verarbeitung ist er durch seine individuellen Fähigkeiten jeweils im spezifischen Maße imstande. Er spricht in diesem Zusammenhang von „begrenzten Informationsverarbeitungskapazitäten“ und „eingeschränkter Rationalität“, misst dem Menschen jedoch stets opportunistische Verhaltensweisen bei, die sich in einer Verfolgung des Eigeninteresses auch unter Zuhilfenahme unfairer Mittel äußern.

Solch nutzenmaximierende Annahmen finden sich durchaus auch in den Ausführungen von North wieder, jedoch ergänzt er diese um zwei bedeutende Aspekte, die grundlegend für unsere weitere Analyse sein werden. Gemeint sind die jeweilige Motivation von Menschen und die Erfassung ihrer Umwelt, die das menschliche Verhalten beeinflussen. Diese beiden Aspekte sieht er in starker Abhängigkeit zu den Ideologien der Individuen. North (1992: 28) bezeichnet Ideologien als „die subjektiven Wahrnehmungen […], über die alle Menschen verfügen, um sich ihre Welt zu erklären“. Drei zentrale Aspekte erscheinen dabei besonders salient:

1. Die Ideologie ist als eine Reduktion des Komplexen anzusehen, derer sich ein Individuum bedient, um sich seine Umwelt anzupassen. Sie stellt ihm eine Weltanschauung bereit, die zur Simplifizierung von Entscheidungsprozessen dient.
2. Subjektive Gerechtigkeitsvorstellungen im Hinblick auf Moral und Ethik stehen direkt mit der Ideologie in Zusammenhang. Vor allem die Bewertung der angemessenen Eigentumsverteilung sieht er als bedeutenden Bestandteil der Ideologie.
3. Die Ideologie wandelt sich dann, wenn das Individuum feststellen muss, dass persönliche Erfahrungen immer häufiger nicht mit dieser Ideologie übereinstimmen (vgl. North 1988: 50).

In diesem Sinne liefern Ideologien die Grundlage für Verhaltensnormen. In ihnen stecken also letztlich Werturteile, die Aussagen über die Gerechtigkeit von Institutionen treffen. In umgekehrter Weise bestimmen bereits existierende Institutionen im Verbund mit ihren Anreizsystemen die mentalen Repräsentationen, die wiederum rückwirkend die Institutionen beeinflussen. North (1988: 211) führt außerdem an, dass bei einem Aufkommen von abweichenden Ideologien die Kosten für die Durchsetzung und Aufrechterhaltung der Institutionenordnung steigen. Existiert in einer Gesellschaft wiederum eine allgemeine Übereinkunft hinsichtlich der Rechtmäßigkeit, wirkt sich das positiv auf die Kosten seitens der staatlichen Machthaber für die Durchsetzung von Regeln und Eigentumsrechten aus. Ein Konsens hinsichtlich der Ideologien macht somit formelle Regeln und Sanktionen nichtig.

2.3.2 Transaktionskosten und Wirtschaftsleistung.

Die Transaktionskostentheorie geht grundsätzlich auf die Analyse von Coase (1937: 386ff.) in seinem Aufsatz „The Nature of the Firm“ zurück, in dem er erstmals den Handel in Verbindung mit der Übertragung von Verfügungsrechten thematisiert. Die zentrale Erkenntnis seiner Analyse ist, dass Transaktionen, also auch alle zur Transaktion führenden Rahmenbedingungen, per se nicht kostenlos sind. North hat sich diesen Ansatz zu eigen gemacht und ihn in Zusammenhang mit seiner eingangs skizzierten Theorie des menschlichen Handelns gebracht. Er geht davon aus, dass jedes Tauschgut eine bestimmte Menge an wertvollen Attributen aufweist und dass der Schlüsselaspekt von Transaktionskosten die Kosten zur Messung dieser Attribute, die Kosten des Rechtsschutzes und die der Überwachung und Durchsetzung von Vereinbarungen sind. Letztlich sind die Informationskosten, der entscheidende Aspekt der Transaktionskosten, die wiederum die Basis sowohl für soziale und politische als auch für ökonomische Institutionen sind. North betont dabei vor allem, dass die Kosten (z.B. Buchprüfung, Kosten für Anwälte, Versicherungsleistungen etc.) ein immenses Ausmaß annehmen können7. Dementsprechend beinhalten die gesamten Kosten einer Produktion die Ausgaben zur materiellen Transformation eines Gutes (Arbeit, Boden und Kapital) und die Transaktionskosten, die die Eigentumsrechte an Gütern durchsetzen und schützen (vgl. North 1992: 31f.).

Auf Grundlage eines ähnlichen ontologischen Verständnisses hat Grossekettler zu einer Weiterentwicklung der Transaktionskostentheorie beigetragen. Er ist der Ansicht, dass sich ein Gut durch seine Qualität und durch seine Verfügbarkeit, sprich den Ort und die Zeit seiner Lieferung, definiert. Er geht zunächst davon aus, dass es für die Produktion eines Gutes physischer Transformationskosten bedarf, die sich in Distributionskosten und Produktionskosten äußern, jedoch sieht er die Informationskosten vielmehr als Nebenkosten von Transaktionen an. Sie sind Nebenkosten eines vertragsgerechten Rückhalts im Prozess der Transaktion, die nicht als Wert in der Ware selbst gespeichert sind. „ […] Im Unterschied zu den Hauptkosten – den Transformationskosten, die als Produktionskosten der Hersteller oder Distributionskosten des Handels anfallen – dient der so bezeichnete Faktorverzehr dem Zustandekommen und der inhaltlichen Ausführung von Verträgen und würde in einer Welt vollkommener Information entfallen“ (vgl. Grossekettler 1997: 105). Fraglich bleibt aber, wie es sich mit Finanzgütern oder digitalen Gütern verhält, deren Produktionskosten heutzutage gegen null gehen.

Außerdem bleibt anzumerken, dass in der realen Welt eine vollständige Verfügbarkeit aller Informationen bei Transaktionen eine absolute Seltenheit darstellt. Fast immer ist die Messung der Informationen kostenintensiv und asymmetrisch auf die Tauschpartner verteilt. North (1992: 128) geht daher davon aus, dass kein Ordnungssystem für menschliche Interaktionen eine annähernde Vollkommenheit aufweist, was wiederum bedeutet, dass auch Märkte, unvollkommen sein müssen. Dies bedeutet letztlich auch, dass der institutionelle Rahmen stets ambigue Signale an die Akteure sendet. Auch wenn Tauschvorteile in neueren Institutionensystemen besser genutzt würden, gibt es in jeder dieser Ordnung Anreize zu Betrug und Trittbrettfahrerei, die folglich zur Vermehrung von Marktunvollkommenheiten führen. Der Frage, wie sich ein Anreizsystem, das diese Aspekte berücksichtigt, neu ausgestalten ließe, soll in Kapitel 5 in ausführlicher Form nachgegangenn werden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Höhe der Transaktionskosten aus den formellen und informellen Institutionen resultiert. Sie bestimmen laut der NIÖ die ökonomischen Verhaltensanreize der Wirtschaftsakteure. Nehmen wir diese Wirkungsrelation an, so meint North (1988: 17), seien die Leistungsfähigkeit und das Wachstum einer Wirtschaft in erster Linie nicht dem technischen Fortschritt zu zuschreiben, sondern vielmehr der Wirkungsweise der Institutionen innerhalb der technischen Möglichkeiten. Genauer gesagt, das Aufkommen an allgemeinem und technischem Wissen deckelt die Möglichkeiten menschlichen ökonomischen Wohlstands zwar, aber es sagt nichts über den Erfolg von Menschen innerhalb dieses Rahmens aus. Institutionen fungieren somit als Filter zwischen Kapitalbeständen und dem Individuum, aber auch zwischen dem Kapitalbestand und der Produktion von Gütern und Dienstleistungen und der Verteilung von Einkommen (vgl. North 1988: 207). Demnach ist das zentrale Momentum einer effizienten Volkswirtschaft das Zusammenspiel des institutionellen Gefüges.

2.3.3 Formgebundene Institutionen und die Veränderung der relativen Preise. Institutioneller Wandel nach der NIÖ

Auf Grundlage der NIÖ-Theorie möchte ich nun darstellen, wie sich der institutionelle Wandel laut diesem Theoriezweig vollzieht. North (1992: 99ff.) deklariert die Veränderung der relativen Preise als die Hauptursache für einen institutionellen Wandel. Veränderungen der Preisrelationen Boden-Arbeit, Arbeit-Kapital und Kapital-Boden sowie Veränderungen hinsichtlich der Informationskosten und der Technologie spielen hierbei eine entscheidende Rolle. North betont außerdem, dass die Veränderung der relativen Preise hauptsächlich systemendogener Art ist, d.h., die steten Maximierungsversuche von Unternehmern nicht nur ökonomischer Art, sondern auch aus dem politischen und militärischen Sektor, bewirken eine solche Veränderung der Preise und letztlich einen institutionellen Wandel. Modell exogene Faktoren, wie beispielsweise Epidemien oder Naturkatastrophen, können zwar auch eine solche Veränderung nach sich ziehen, jedoch stellen sie eher die Ausnahme dar. Trotzdem scheint es sinnvoll, letzteren Aspekt zu berücksichtigen, da eine zunehmende Anzahl von Natururkatatsrophen in Form von Hurrikans in Kuba in den letzten Jahren zu verzeichnen ist.

Nun reicht es aber nicht, lediglich den wichtigen Faktor der Veränderung zu benennen, sondern wir möchten vielmehr verstehen, wie der Prozess des institutionellen Wandels zustande kommt. Wie bereits weiter oben erklärt, handelt es sich bei formgebundenen Regeln um ein hierarchisch organsiertes Regelsystem. North (1992: 39) geht davon aus, dass die Tauschpartner (politisch oder ökonomisch) nach der Veränderung der relativen Preise eine Neuaushandlung der Verträge in der Hoffnung anstreben, nach der Änderung der Übereinkunft besser gestellt zu sein als zuvor. Problematisch erweist sich hierbei die Tatsache, dass Verträge am unteren Ende der hierarchischen Regelordnung anzutreffen sind, was bedeutet, dass auch eine höhere Regelstufe abgewandelt werden müsste. Man muss daher auch die Begebenheit berücksichtigen, dass die Kosten für Änderungen der Rahmenbedingungen mit jeder Stufe weiter steigen, was den Anreiz zur Mittelverwendung auf jene Änderung durchaus mindern kann.

Derjenige, der eine verbesserte Verhandlungsposition in Aussicht hat, kann also durch aus Interesse daran haben, Ressourcen auf ein neues Regelarrangement auf einer höheren Ordnungsstufe zu verwenden. Unternehmen und Organisationen nutzen daher ihr persönliches Wissen, um Gewinnmöglichkeiten auszumachen, die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs abzuschätzen und Ressourcen der Organisation aufzuwenden, um mögliche Gewinne zu realisieren. Somit sind nach North Organisationen dann besonders effizient, wenn sie es vermögen, solche gewinnbringenden Gelegenheiten auszumachen und sie auch wahrzunehmen. Je nach Größe des zu erwartenden Gewinns mag es insofern auch sinnvoll erscheinen, Einfluss auf die Regeln und ihre Durchsetzung zu nehmen. Die Schaffung oder Einwirkung auf intermediäre Organisationen (Handelsverbände, Gewerkschaften oder Lobbygruppen) zwischen ökonomischen Organisationen und politischen Gebilden kann insofern lohnenswert sein, als mögliche Gewinne aus politischen Veränderungen gezogen werden können. Die treibende Kraft im Falle des Wandels der formgebundenen Regeln ist somit die Gewinnbestrebung der ökonomischen Organisationen.

[...]


1 Hierbei handelt es sich vornehmlich um eine Sichtweise, die von der Neuen Institutionenökonomik geprägt wurde, wobei sich Douglas North in einigen seiner Ausführungen hinsichtlich des ökonomischen Verhaltens und der Handlungsanreize auch auf spieltheoretische Elemente bezieht.

2 Vgl. Lewis (1969) zu frühen Ansätzen von multiplen Gleichgewichten und dem Konventionsbegriff

3 Für eine differenzierte Beschreibung von formalen Regeln vgl. Ostrom (1986).

4 Vgl. Veblen’s Pionierstück Theory of the Leisure Class (1899)

5 Vgl. Epstein und Axtell 1996 für ein anschauliches evolutionäres, Komplexität berücksichtigendes Modell

6 Natürlich stellt sich die konkrete Quantifizierung der instrumentellen Effizienz als äußerst schwierig dar, was jedoch nicht bedeutet, dass sie als Kriterium abgelehnt werden sollte. Beispielsweise stellt das Modell der Pareto-Effizienz auch kein präzises und klares Messinstrument dar und findet trotzdem allgemeine Anwendung (vgl. Miller 1995: 126)

7 Vgl. Wallis und North (1986) für eine genaue Darstellung des Verhältnisses zum Volkseinkommen.

Ende der Leseprobe aus 112 Seiten

Details

Titel
Ein neues Transformationsmodell jenseits des Kapitalismus? Eine institutionenökonomische Analyse von Kuba
Hochschule
Universität zu Köln  (Ökonomische Bildung)
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
112
Katalognummer
V493696
ISBN (eBook)
9783346004734
ISBN (Buch)
9783346004741
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit wurde während eines einjährigen Aufenthaltes auf Kuba geschrieben. Aufbauend auf dieser Masterarbeit wird nun eine Doktorarbeit verfasst.
Schlagworte
Kuba, Wirtschaftstransformation, Genossenschaften, Institutionenökonomik
Arbeit zitieren
Jan-Philipp Brinkmann (Autor:in), 2018, Ein neues Transformationsmodell jenseits des Kapitalismus? Eine institutionenökonomische Analyse von Kuba, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/493696

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