Leseprobe
Gliederung
1 Einleitung
2 Migranten in Deutschland
3 Rechtslage von Geflüchteten aus Nicht-EU-Staaten
3.1 Asylrecht in Deutschland
3.1.1 Aufenthaltsstatus
3.2 Sozialleistungen für Migranten
3.3 Verteilung auf Bundesländer und Aufnahmeeinrichtungen
3.4 weitere relevante Gesetze
4 Wohnraumversorgung von Geflüchteten
4.1 Tatsächlich zur Verfügung stehender bezahlbarer Wohnraum
4.2 spezielle Problematiken von Geflüchteten
4.3 Lösungsansätze
4.3.1 Verteilung auf die Bundesländer
4.3.2 Möglichkeiten der Politik
4.3.3 Nutzung vorhandener Räume
4.3.4 Neubauten
5 Aufgaben und Möglichkeiten der Sozialen Arbeit
5.1 Interkulturelle Öffnung der Sozialen Arbeit
5.2 Förderung der Integration
5.3 Umzugsmanagement
5.4 Wohnungslosenhilfe
6 Resümée
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Speziell in den Jahren 2015 und 2016 war ein rasanter Anstieg geflüchteter Menschen in Deutschland zu verzeichnen. Diese wurden in kurzfristig geschaffenen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht und schienen dadurch versorgt. Mittlerweile sind die Flüchtlingsströme abgeebbt. Nun gilt es, die Vielzahl der Geflüchteten kostengünstig und zwar außerhalb der Aufnahmeeinrichtungen unterzubringen. Diese sind ausschließlich für die Zeit des Asylverfahrens konzeptioniert, welches jedoch für den Großteil dieser Geflüchteten bereits abgeschlossen ist.
Insbesondere an bezahlbarem Wohnraum soll es in Deutschland allerdings mangeln. Die Überprüfung und Darstellung, ob dieser Eindruck der Realität entspricht, wie mögliche Lösungen für diesen vermeintlichen Wohnungsmangel aussehen könnten und in welcher Form sowie in welchem Maße die Soziale Arbeit im Rahmen der Wohnraumversorgung Geflüchteter Unterstützung bieten kann, ist Ziel dieser BA-Thesis.
In den nicht nur gedanklichen Mittelpunkt dieser Arbeit stelle ich als Klientel Geflüchtete aus Nicht-EU-Staaten, insbesondere aus den Kriegs- und Krisengebieten des Nahen Ostens.
Neben der zahlenmäßigen Begründung – der größte Zuzug war in den betreffenden Jahren aus Syrien zu verzeichnen (vgl. Kap. 2) – ist diese Entscheidung zum Einen in der andauernden Aktualität der Auseinandersetzung mit diesen Bevölkerungsgruppen begründet. Zum Anderen fordern die Geflüchteten aus diesen Herkunftsländern Politik und Fachkräfte, aber auch die Aufnahmegesellschaft, in hohem Maße heraus: Ihre Kultur ist für Deutschland fremd! Migranten z.B. aus Polen, welche einen recht großen Teil an der deutschen Bevölkerung einnehmen, leben bereits verhältnismäßig lange Zeit in Deutschland, teilweise schon in der dritten Generation und weitestgehend integriert. (Herwartz 2016). Sie haben sich im Laufe der Zeit – ähnlich, aber nicht dermaßen präsent, wie die noch größere Bevölkerungsgruppe der Migranten mit türkischen Wurzeln – ihre eigenen Kulturräume geschaffen. Auch wenn bereits vor den großen Flüchtlingsströmen Menschen aus dem Nahen Osten in Deutschland lebten und auch wenn z.B. ihre Religionen erst einmal bekannt erscheinen, sind die feinen Nuancen in Kultur und Religion nicht zu verachten. Nicht allein aufgrund der großen Masse neu zugezogener Geflüchteter kann und darf keinesfalls von einer Bevölkerungsgruppe auf eine andere geschlossen werden.
Die vollständige Ausklammerung der Betrachtung von Migranten aus EU-Staaten im Rahmen dieser Arbeit ist zudem in der Komplexität der notwendigen Abgrenzung und Gegenüberstellung aller relevanten Gesetze für die Spezialisierung auf EU- oder Nicht-EU-Migranten begründet. So profitieren Migranten aus EU-Staaten z.B. von der Freizügigkeitsregelung, welche Einreise und Aufenthalt in andere EU-Staaten erleichtert.
Für die Darstellung des aktuellen Stands der Wohnraumversorgung sowie die Entwicklung von teils innovativen und alternativen Lösungsansätzen (Kap. 4) und für die Erläuterung von Unterstützungsmöglichkeiten durch die Soziale Arbeit (Kap. 5) gebe ich im zweiten Kapitel als Grundlage einen Überblick über die Migration nach Deutschland. Daran anschließend stelle ich die für die Wohnraumversorgung Geflüchteter relevante Rechtslage dar, zu welcher neben dem Asylrecht auch die ihnen zustehenden Sozialleistungen und die Verteilung der Geflüchteten auf die einzelnen Bundesländer und Aufnahmeeinrichtungen zählen. (Kap. 3)
Auch wenn ich damit dem sozialarbeiterischen Dreieck nicht gerecht werde, betrachte ich die Situation vorrangig aus sozialarbeiterischer Sicht. An wenigen Stellen fließen allerdings Fakten sowie Mutmaßungen über Geflüchtete mit ein. Diese können den tatsächlichen Anspruch der Geflüchteten sicherlich nicht abbilden, lassen ihn aber annehmen und ermöglichen mir somit ein zumindest ansatzweise anwaltschaftliches Eintreten für die Klientel dieser Arbeit.
Unterscheidet sich die Gesetzeslage der einzelnen Bundesländer, beziehe ich mich aufgrund meiner regionalen Nähe und Verbundenheit in meinen Ausführungen im Speziellen auf die Situation in Nordrhein-Westfalen.
2 Migranten in Deutschland
Laut Art.116 Abs.1 GG ist Migrant, wer weder deutscher Staatsangehörigkeit noch deutscher Volkszugehörigkeit ist. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., kurz BAG W, definiert diese Personengruppe darüber hinaus als „im Ausland geboren […] und selbst nach 1950 zugewandert [...] oder Kinder, von denen mindestens ein Elternteil eine ausländische Nationalität hat oder selbst zugewandert ist.“ (Goerrig, Paul 2007, S. 98).
Völkerrechtlich haben Migranten ihr Herkunftsland freiwillig verlassen, Flüchtlinge hingegen waren zur Flucht gezwungen. Aber Migrant ist auch, „wer innerhalb eines Landes oder über Staatsgrenzen hinweg an einen anderen Ort zieht.“ (Schmickler 2015).
Die Definition der BAG W deutet bereits an, dass Deutschland nicht erst in den letzten Jahren „vor der Aufgabe [gestanden hat], viele Menschen gut unterbringen und integrieren zu müssen.“ (Fuhrhop 2017, S. 7. In der jüngeren deutschen Geschichte kamen insbesondere in den sogenannten Nachkriegsjahren, aber auch durch die Anwerbung von Gastarbeitern, schwerpunktmäßig in den 1960er Jahren, sehr viele Menschen aus anderen Staaten nach Deutschland. Und „obwohl die Zahlen im historischen Vergleich von einer großen Wanderung zur nächsten sanken“ (Fuhrhop 2017, S. 131), wird der jeweils aktuelle Zuzug, nicht zuletzt aufgrund der immer größer werdenden medialen Aufbauschung, als besonders herausfordernd empfunden.
Ein Blick in die Vergangenheit könnte also diesbezüglich nicht nur beschwichtigen, sondern auch Inspiration für Umgang und Bewältigung bieten.
Da der Fokus der vorliegenden BA-Thesis allerdings ein anderer ist, soll die Historik der Migration nach Deutschland in diesem Rahmen nicht weiter vertieft werden.
Ab dem Jahr 2010, insbesondere aber in den Jahren 2015 und 2016 ist ein auffallend steter Anstieg des Zuzugs nach Deutschland zu verzeichnen. (BAMF 2017, S. 73). Der Anteil der ausländischen Bevölkerung, also den in Deutschland lebenden Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit, lag über 20 Jahre hinweg bei knapp unter 9%. Ab 2010 wuchs die Zahl rasch auf mehr als 10% an, im Jahr 2017 sogar auf 11,6%. (Statistisches Bundesamt 2018). Die in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund betrachtend, betrug ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung bereits im Jahr 2013 knapp 20%. Etwa zwei Drittel dieser Bevölkerungsgruppe lebten in erster Generation in Deutschland. (BAG W 2013, S. 2).
Insbesondere im Jahr 2015 schnellte der Zuzug ausländischer Personen nach Deutschland in die Höhe:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Statistisches Bundesamt 2018).
Das Diagramm zeigt jene fünf Staaten, deren Bevölkerungsanteil in Deutschland in den Jahren 2010 bis 2017 am deutlichsten anstieg. Die Bevölkerungsgruppe der Syrer sticht heraus: aus keinem anderen Land der Welt zogen in den Jahren 2015 und 2016 so viele Menschen nach Deutschland, wie aus Syrien.
Abgebildet sind allerdings ausschließlich die Menschen, deren Identität geklärt werden konnte. Insbesondere Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten haben oftmals kein Ausweisdokument. Daher ist davon auszugehen, dass auch unter den Menschen, deren Staatsangehörigkeit ungeklärt ist, eine große Anzahl an Zuwanderern aus diesen Ländern, insbesondere aus Syrien, ist.
Berücksichtigt man darüber hinaus „die unbekannte Größe der statuslosen Migrant-/innen“ (Goerrig, Paul 2007, S. 98), ging man bereits vor elf Jahren von 500.000 bis 1.000.000 Menschen aus, welche sich illegal in Deutschland aufhielten. Aufgrund des rapide angestiegenen Zustroms der letzten Jahre, ist mittlerweile von einer deutlich höheren Dunkelziffer auszugehen.
Das Empirica Institut geht davon aus, dass bis 2020 insgesamt 1,5 Millionen Geflüchtete nach Deutschland kommen „und dauerhaft bleiben; insgesamt würden sogar 2 Millionen nach Deutschland kommen, aber erfahrungsgemäß einige auch wieder weiterziehen.“ (Fuhrhop 2017, S. 160).
Die Gesamtzahl der Menschen, welche aus einem der 28 EU-Mitgliedsstaaten in den letzten Jahren nach Deutschland immigrierten, ist im Vergleich zu der Anzahl der möglichen Herkunftsländer von Migranten aus Nicht-EU-Staaten relativ hoch. Doch in den für diese Arbeit besonders relevanten Jahren 2015 und 2016 überstieg die zahlenmäßige Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten jene aus den EU-Staaten um ein Vielfaches, wie die Tabelle zeigt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: In Deutschland lebende Staatsangehörige (Statistisches Bundesamt 2018).
Die Gründe für die Migration nach Deutschland sind so vielfältig, wie die ankommenden Migranten selbst: „Die Bandbreite [...] reicht von der hochqualifizierten und umworbenen IT-Fachkraft bis hin zu Menschen, die sich illegal und ohne existenzielle Absicherung in Deutschland aufhalten.“ (Goerrig, Paul 2007, S. 98). Die angegebenen Aufenthaltszwecke zur Erlangung einer Aufenthaltserlaubnis (vgl. Kap. 3) und somit die offizielle Begründung für die Migration nach Deutschland sind in den meisten Fällen familiäre Gründe. Humanitäre Gründe, Ausbildung und Erwerbstätigkeit gaben im Jahr 2016 insgesamt betrachtet deutlich weniger Migranten an. Auffallend, aber selbsterklärend ist, dass Migranten aus Kriegs- und Krisengebieten mehrheitlich aus humanitären Gründen ihr Herkunftsland verließen. Dagegen immigrierten z.B. Migranten aus China, Indien und den Vereinigten Staaten in der Hauptsache zum Zweck von Ausbildung oder Erwerbstätigkeit nach Deutschland. (BAMF 2017, S. 80).
Trotz dieser großen Vielfalt haben alle Migranten das gleiche Ziel: „die Lebenssituation und die Lebensperspektive zu verbessern“ (Goerrig, Paul 2007, S. 97). Speziell beim Klientel dieser Arbeit, den Geflüchteten aus Syrien, bedeutet dies Flucht vor Regime, Krieg und Folter und Aussicht auf ein erhofft besseres Leben in einem demokratischen Staat.
Vorrangig kamen in den letzten Jahren Familien nach Deutschland. (Braun, Simons 2015, S. 2ff). Trotzdem ist der Familiennachzug eine sehr aktuelle politische Debatte: Er wurde im März 2016 ausgesetzt und ist erst seit August 2018 wieder möglich, allerdings mit folgenden Einschränkungen:
- ingesamt nur 1000 Menschen pro Monat bundesweit
- nur engste Familienmitglieder subsidiär Schutzberechtigter
- kein Rechtsanspruch auf Familiennachzug
- humanitäre Gründe ausschlaggebend
- Integrationsaspekte zu berücksichtigen
- für Gefährder, Mitglieder verbotener Vereine u.ä. nicht mögich (BAMF 2018a).
Alleinstehende weibliche Geflüchtete waren eine Seltenheit. Auch Frauen mit Kindern hatten keinen betrachtenswerten Anteil an der Gesamtzahl der neu zugezogenen Menschen. (BAG Wohnungslosenhilfe 2013a, S. 8). Dies ist alleine menschlich dadurch zu erklären, dass trotz der hohen Gefahren auf der Flucht, die Lage in vielen Herkunftsländern, vor allem natürlich den Kriegs- und Krisengebieten, noch kritischer und lebensgefährlicher ist als die Flucht an sich. Außerdem ist das Zurücklassen von Familie eine große emotionale Hürde, welche die meisten Menschen weniger gerne nehmen, als das Zusammenbleiben mit den Liebsten. (Braun, Simons 2015, S. 1).
Die Stellung der Asylerstanträge im Jahr 2016 spiegelt eine vermeintlich andere Realität wieder: sie wurden zu etwa zwei Dritteln von männlichen Migranten gestellt. (BAMF 2017, S. 21). Dies erweckt den Eindruck, dass vorrangig männliche Migranten nach Deutschland kamen, welche so auch oft in den Medien dargestellt wird. Das ist auch korrekt, allerdings sind diese keinesfalls ausschließlich alleinstehende junge Männer, sondern auch Ehemänner und Familienväter. (Braun, Simons 2015, S. 3f). Die Stellung der Anträge durch die männlichen Migranten lässt sich auch dadurch begründen, dass in vielen Staaten, Kulturen und Religionen das Familienoberhaupt männlich ist und weibliche Familienmitglieder außerhalb des familiären Lebens in ihrer Entscheidungsbefugnis stark beschränkt werden.
Die gesamte ausländische Bevölkerung in Deutschland betrachtend, ist der unterschiedliche Anteil der Geschlechter ausgewogen: im 1. Quartal 2017 waren 54% der insgesamt in Deutschland lebenden Migranten männlichen Geschlechts. (BAMF 2017, S. 107).
3 Rechtslage von Geflüchteten aus Nicht-EU-Staaten
Menschen, die aufgrund von Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat nach Deutschland flüchten, dürfen gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention weder aus- bzw. zurückgewiesen, noch bestraft werden, falls sie kein Visum haben. Sie haben den Status eines Flüchtlings, halten sich aber zuerst einmal statuslos, also illegal, in Deutschland auf. Erst durch die Beantragung von Asyl erhalten sie mit der Aufenthaltsgestattung einen Aufenthaltsstatus, welcher ihren Aufenthalt legalisiert.
Diese Voraussetzungen treffen auf den größten Teil der in den letzten Jahren neu zugezogenen Migranten aus Nicht-EU-Staaten, insbesondere eben auf die Menschen aus Syrien, zu.
Im Folgenden erläutere ich zunächste Asylrecht und Aufenthaltsstatus, welche erheblichen „Einfluss auf die Entwicklung und Umsetzung von Perspektiven für ein Leben in Deutschland nehmen“. (Goerrig, Paul 2007, S. 101). Anschließend gebe ich einen Überblick über die den Migranten in Deutschland zustehenden Sozialleistungen und zeige auf, nach welchen gesetzlichen Grundlagen sie auf Bundesländer und Aufnahmeeinrichtungen verteilt werden. Ergänzend stelle ich kurz jene Gesetze dar, welche über das zuvor Genannte hinaus ausschlaggebend für die konkrete Ausgestaltung des Aufenthalts von Geflüchteten in Deutschland sind.
3.1 Asylrecht in Deutschland
Das deutsche Asylrecht ist als Grundrecht in Artikel 16a GG verankert. Es gilt ausschließlich für politisch Verfolgte (Artikel 16a Abs. 1 GG), welche nicht aus einem EU-Staat oder einem sicheren Drittstaat, derzeit Norwegen und Schweiz, nach Deutschland immigrieren. (Artikel 16a Abs. 2 GG; §26a AsylG).
Darüber hinaus werden Asylanträge von Migranten aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten grundsätzlich erst einmal als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Kann die antragstellende Person in einer persönlichen Anhörung plausibel machen, dass entgegen der Einstufung durch den deutschen Bundesrat im Herkunftsstaat Verfolgung oder ernsthafter Schaden, wie Folter oder Todesstrafe, droht, wird der Antrag weiter bearbeitet. (§29a Abs. 1 AsylG). Als sichere Herkunftsstaaten gelten neben den EU-Staaten derzeit Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien. (§29a Abs. 2 AsylG).
Nach der sogenannten Dublin-Verordnung kann nur in einem einzigen Staat des Dublin-Raums1 Asyl beantragt werden. Daher wird „vor der eigentlichen Prüfung des Asylantrages“ (BAMF 2016a) überprüft, ob bereits in einem anderen europäischen Staat ein Asylantrag gestellt oder Asyl erteilt wurde. Ist dies der Fall, wird „ein sogenanntes Übernahmeersuchen an den betreffenden Staat“ (BAMF 2016a) gestellt. Stimmen der Staat, in welchem bereits Asyl beantragt wurde, sowie der Geflüchtete selbst zu, wird der Geflüchtete aus Deutschland in jenen Staat abgeschoben. Stimmt der andere Staat nicht zu, muss der Asylantrag in Deutschland bearbeitet werden. Stimmt der Geflüchtete nicht zu, werden seine genannten Gründe in einem gerichtlichen Eilverfahren geprüft und über die Abschiebung entschieden.
Die Überstellung in den anderen Staat muss innerhalb eines halben Jahres geschehen, sonst darf die geflüchtete Person in Deutschland verbleiben. Aus Gründen wie Haft oder Unauffindbarkeit der Person, kann diese Frist auf bis zu 18 Monate verlängert werden. (BAMF 2016a).
Bei der erstmaligen Beantragung von Asyl in Deutschland, dem Asylerstantrag, müssen Migranten an der Staatsgrenze oder in einer Aufnahmeeinrichtung persönlich vorsprechen. (§13 AsylG). Als Asylgesuch ist „der dort mündlich geäußerte Wunsch Flüchtlingsschutz zu erhalten“ (Classen 2016, S. 5) ausreichend.
Von der Grenze aus werden sie, ggf. nach erkennungsdienstlicher Behandlung, in die für sie zuständige Erstaufnahmeeinrichtung vermittelt. (vgl. Kap. 3.3) Als erste von vielen Mitwirkungspflichten im Rahmen des Asylverfahrens müssen die Asylbewerber nach der Aufnahme unverzüglich und persönlich den Asylantrag bei der für sie zuständigen Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge stellen. (§14 AsylG).
In der Praxis gilt der Aufenthalt in Deutschland allerdings bereits als gestattet, wenn das Asylgesuch ausgesprochen wurde. Der Akt der Antragstellung ist rein formell. (§55 Abs. 1 AsylG; Classen 2016, S. 5).
Erfolgt die Einreise auf dem Luftweg, gilt das Flughafenverfahren nach §18a AsylG als Sonderverfahren des Asylrechts. Allerdings nur an den Flughäfen Berlin-Schönefeld, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg und München, denn die einreisende Person muss während dieses deutlich beschleunigten Asylverfahrens im Transitbereich am Flughafen verbleiben. Da es nur an den genannten fünf Flughäfen die Möglichkeit der Unterbringung im Transitbereich gibt, wird das Flughafenverfahren auch nur dort umgesetzt.
Im Zuge des Flughafenverfahrens nimmt die Bundespolizei den Asylantrag entgegen und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss den Antragstellenden entsprechend des Unverzüglichkeitsgrundsatzes innerhalb von zwei Tagen anhören und über den Antrag entscheiden. Im Falle der Ablehnung des Antrags, wird die Einreise verweigert, der Antragstellende hat aber die Möglichkeit, rechtliche Schritte gegen diese Entscheidung einzulegen. (BAMF 2016d).
Egal auf welchem Wege die Einreise nach Deutschland erfolgt: ab Ausstellung des Ankunftsnachweises erhält jeder Asylbewerber eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens. (§55 Abs.1 AsylG).
Als Konsequenz der terroristischen Anschläge in Paris im November 2015 wurde das Asylverfahren für Geflüchtete speziell aus Syrien allerdings verschärft: Seit Jahresbeginn 2016 muss sich jeder syrische Migrant einer Einzelfallprüfung unterziehen, bei welcher „Herkunft, Ausbildung und der Fluchtweg aller neu ankommenden Flüchtlinge genau überprüft wird“ (Zeit online 2015) um die jeweilige Identität exakt zu klären, die Zahl der Flüchtlinge zu verringern und natürlich weitere terroristische Anschläge zu verhindern. (ebd.). In einer Grundsatzentscheidung im Juni 2017 entschied das niedersächsiche Oberverwaltungsgericht, dass dieses Vorgehen weiter als rechtens und angemessen zu betrachten ist. (dpa 2017).
Ein Asylfolgeantrag kann nur gestellt werden, wenn der Erstantrag vom Antragstellenden selbst zurückgenommen oder von der zuständigen Behörde, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, als unanfechtbar abgelehnt wurde. Bei Ablehnung kann der Antragstellende nur bei Änderung seiner Sach- und Rechtslage eine Wiederaufnahme beantragen, also den Folgeantrag stellen. (§71 AsylG und §51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz). Entsprechend gering ist die Anzahl der jährlich gestellten Folgeanträge im Vergleich zu den Erstanträgen. (BAMF 2017, S. 13).
Äquivalent zum im vorherigen Kapitel dargestellten Anstieg der Zahl der Migranten in Deutschland schnellte auch die Anzahl der gestellten Asylanträge insbesondere ab dem Jahr 2013 in die Höhe. Mit knapp 203.000 Anträgen insgesamt wurde bereits im Jahr 2014 der höchste Stand seit 21 Jahren erreicht. Durch die weiter ansteigende Anzahl der nach Deutschland einreisenden Menschen, stieg auch die Anzahl der gestellten Asylanträge weiter sprunghaft. So wurden im Jahr 2015 gut 475.000 Anträge gestellt und im Jahr 2016 sogar gut 745.000 Anträge. (BAMF 2017, S. 13).
Der Rückgang bzw. die Stagnation der Flüchtlingsströme im Jahr 2017 hatte zur Folge, dass lediglich knapp 223.000 Anträge gestellt wurden. Bis einschließlich September 2018 wurden gut 142.000 Anträge gestellt. (BAMF 2018b). Dies lässt rechnerisch vermuten, dass in diesem Jahr mit insgesamt etwa 190.000 erneut deutlich weniger Anträge gestellt werden.
Im Jahr 2016 wurden mit 266.250 gut ein Drittel aller Asylerstanträge von Geflüchteten aus Syrien gestellt. Nahezu deckungsgleich mit den im vorhergehenden Kapitel aufgezeigten Migrationszahlen, wurden auch die weiteren zahlenmäßig größten Anzahlen an Erstanträgen von Migranten aus folgenden Herkunftsländern gestellt: Afghanistan (127.012), Irak (96.116), Iran (26.426), Eritrea (18.854), Albanien (14.853). (BAMF 2017, S. 12). Ähnlich verhält es sich bei den Folgeanträgen, von welchen alleine gut 54% von Migranten aus Serbien (3.874), Syrien (2.616), Albanien (2.383), Mazedonien (2.180) und Kosovo (1.512) gestellt wurden. (BAMF 2017, S. 13).
Wird das Asylverfahren positiv beschieden, wird die antragstellende Person entweder als Asylberechtigter oder Flüchtling anerkannt oder erhält subsidiären Schutz.
Asylberechtigte und Flüchtlinge haben dieselben Rechte und erhalten sowohl eine Aufenthalts- als auch eine Arbeitserlaubnis.
Unter vorübergehenden subsidiären Schutz gestellt wird, wer „weder als Flüchtling anerkannt wird noch Asyl erhält [und wem] im Heimatland große Gefahr durch einen bewaffneten Konflikt, Folter oder Todesstrafe droht.“ (Schmickler 2015). Dieser Mensch erhält daher ein Abschiebungsverbot und eine einjährige Aufenthaltserlaubnis, welche verlängert werden kann.
Wird das Asylverfahren negativ beschieden, wird die antragstellende Person aufgefordert, innerhalb von sieben oder 30 Tagen freiwillig auszureisen, da sonst die Abschiebung droht. Die kürzere Ausreisefrist wird bei sogenannten unbeachtlichen oder offensichtlich unbegründeten Anträgen erteilt. (BAMF 2016b).
Wer nicht freiwillig ausreist, bekommt eine sogenannte Wiedereinreisesperre, welche allerdings befristet ist, um veränderte persönliche und politische Umstände zu überprüfen. Diese Sperre wird polizeilich erfasst und verhindert nicht nur die Wiedereinreise, sondern kann bei illegalem Aufenthalt auch eine Festnahme rechtfertigen. Zudem ist die Sperre nicht nur in Deutschland, sondern im gesamten Schengenraum gültig. (BAMF 2016c).
3.1.1 Aufenthaltsstatus
Neben der bereits angesprochenen Aufenthaltsgestattung, kennt das deutsche Recht noch vier weitere aufenthaltsrechtliche Status, welche für die Klientel der vorliegenden Arbeit relevant sind: die Duldung sowie die drei Aufenthaltstitel Visum, Aufenthaltserlaubnis und Niederlassungserlaubnis.
Die Aufenthaltsgestattung nach §55 Asylgesetz (AsylG) erlaubt Asylbewerbern den Aufenthalt im Bundesgebiet während des Asylverfahrens. Ein Ausländer, welchem der Aufenthalt gestattet wird, hat keinen Anspruch auf einen bestimmten Aufenthaltsort und darf in den ersten drei Monaten seines Aufenthalts keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Danach ist es ihm möglich, eine Arbeitserlaubnis für einen sogenannten nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt zu beantragen, worüber je nach Einzelfall entschieden wird.
Die sogenannte Duldung, die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach abgelehntem Asylantrag (§60a AufenthG), berücksichtigt neben völkerrechtlichen und humanitären Abschiebungshindernissen auch persönliche Gründe und erhebliches öffentliches Interesse. Die Abschiebung kann grundsätzlich für maximal drei Monate ausgesetzt werden, wobei die Ausreisepflicht des abgeschobenen Migranten unberührt bleibt. Ist nicht damit zu rechnen, dass das Abschiebungshindernis nichtig wird, soll „Um sog. Kettenduldungen zu vermeiden, [...] nach 18 Monaten der Duldung eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden“ (Goerrig, Paul 2007, S. 101).
Geduldete Migranten dürfen grundsätzlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen, aber auch sie erhalten nur nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt.
Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen für die drei Aufenthaltstitel Visum, Aufenthaltserlaubnis und Niederlassungserlaubnis sind nach §5 AufenthG die Sicherung des Lebensunterhalts, die Klärung von Identität und gegebenenfalls Staatsangehörigkeit, kein Ausweisungsinteresse sowie der Besitz eines anerkannten und gültigen Passes oder Passersatzes.
Das Visum nach §6 AufenthG berechtigt Ausländer als befristeter Aufenthaltstitel „zum dreimonatigen Aufenthalt innerhalb eines halbjährigen Zeitraums“ (Goerrig, Paul 2007, S. 101) in den Schengen-Staaten, weshalb es konkretisiert auch als Schengen-Visum bezeichnet wird. Für einen längeren Aufenthalt ist ein nationales Visum für das Bundesgebiet der Bundesrepublik Deutschland notwendig. In Einzelfällen genehmigt die Bundesagentur für Arbeit Migranten mit Visum eine Erwerbstätigkeit.
Auch die Aufenthaltserlaubnis nach § 7 AufenthG ist ein befristeter Aufenthaltstitel, dessen Genehmigung allerdings vom jeweiligen Aufenthaltszweck abhängt. Danach bemisst sich auch die Dauer der Genehmigung. Aufenthaltszwecke gemäß des Aufenthaltsgesetzes sind Ausbildung, Erwerbstätigkeit, völkerrechtliche, humanitäre, politische oder familiäre Gründe. Die Aufenthaltserlaubnis kann bei rechtfertigendem Aufenthaltszweck sowie der Teilnahme an einem Integrationskurs verlängert werden.
Auch Migranten mit einer Aufenthaltserlaubnis müssen sich eine Erwerbstätigkeit als Einzelfallentscheid von der Bundesagentur für Arbeit genehmigen lassen. Von dieser Genehmigung ausgenommen und somit uneingeschränkt zur Erwerbstätigkeit berechtigt sind die für diese Bachelor-Thesis relevanten anerkannten Asylberechtigten sowie Konventionsflüchtlinge, für welche die Ausländerbehörde nach drei Jahren eine Niederlassungserlaubnis erteilen kann.
Die Niederlassungserlaubnis nach §9 AufenthG ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel und berechtigt uneingeschränkt zur Erwerbstätigkeit.
Anspruch auf Erteilung besteht grundsätzlich, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
- fünfjähriger Besitz einer Aufenthaltserlaubnis
- Zahlung von Rentenversicherungsbeiträge über mindestens fünf Jahre
- erfolgreicher Abschluss eines Integrationskurses (oder nachweisbare Kenntnisse über die deutsche Sprache und die deutsche Rechts- und Gesellschaftsordnung)
- angemessener Wohnraum.
Somit ist die Niederlassungserlaubnis für das Klientel dieser Thesis grundsätzlich erst auf lange Sicht relevant. Allerdings wird für die Niederlassungserlaubnis bei Wieder-Einreise der Besitz der Aufenthaltserlaubnis vor der Ausreise angerechnet. Daher wurde bereits im Jahr 2016 etwa drei Viertel der erteilten Niederlassungserlaubnisse an Wiedereinreisende erteilt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 2: Übersicht erteilter Aufenthaltsstatus 2016 (BAMF 2017, S. 80).
Diese exemplarische Übersicht der erteilten Aufenthaltsstatus für die drei größten ethnischen Gruppen, welche im Jahr 2016 in Deutschland zuzogen, zeigt, dass einem Viertel bis einem Drittel dieser Migranten kein Aufenthaltsstatus erteilt wurde.
3.2 Sozialleistungen für Migranten
Abhängig von ihrem rechtlichen Status, stehen in Deutschland lebenden Migranten existenzsichernde Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), dem SGB XII (Sozialhilfe) oder dem SGB II (ALG II) zu.
In diesem Rahmen betrachte ich ausschließlich die Leistungen nach dem AsylbLG konkreter und setze die Leistungen nach den beiden Sozialgesetzbüchern als bekannt voraus
Berechtigt zum Bezug der Existenzsicherungsleistungen des AsylbLG sind ausschließlich
- Asylbewerber
- Migranten im laufenden Flughafenverfahren
- Migranten mit Aufenthaltserlaubnis nach §23 Abs. 1 AufenthG, § 24 AufenthG, §25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG oder § 25 Abs. 5 AufenthG
- geduldeten Migranten
- sich aufgrund ihrer Ausreisepflicht nicht nachgekommen illegal in Deutschland aufhaltende Migranten
- sowie deren Ehegatten, Lebenspartner oder minderjährige Kinder (§1 AsylbLG).
Alle weiteren rechtlichen Status werden durch Leistungen des SGB II oder SGB XII abgedeckt.
Im Fall der sich illegal in Deutschland aufhaltenden Migranten muss die zuständige Behörde bei Antragstellung gemäß §87 AufenthG allerdings Polizei oder Ausländerbehörde informieren. Je nach persönlicher Situation kann eine Antragstellung für den Migranten aber trotzdem Sinn machen, denn eine Schwangerschaft z.B. würde sowohl Inhaftierung als auch Abschiebung nichtig machen – außer bei Geflüchteten, welche dem Dublin-Verfahren unterliegen.
Eine zweite Voraussetzung für den Bezug der Leistungen des AsylbLG ist das Nichtvorhandensein von Vermögen und Einkommen. Vorhandenes Vermögen und anteiliges Einkommen aus Erwerbstätigkeit müssen entweder bis auf einen Freibetrag von 200€ aufgebraucht oder zur Deckung der Kosten, ggf. als Erstattung der Sachleistungen, eingesetzt werden. (§7 AsylbLG).
Leistungsberechtigten, welche in einer Aufnahmeeinrichtung leben, stehen ausschließlich Sachleistungen zu, welche das physische Existenzminimum umfassen und in Form von Lebensmittelpaketen, Kleidungsgutscheinen, etc. ausgegeben werden. (§3 Abs.1 AsylbLG).
Der volle Grundleistungsbetrag, welcher das physische Existenzminimum decken soll, wird jenen Migranten als Geldleistungen zur Selbstversorgung gezahlt, welche in einer Gemeinschafts- oder anderen Unterkunft, wie einer Wohnung oder Pension, leben. In begründeten Fällen sind aber auch in diesen Unterbringungsformen Sach- anstelle von Geldleistungen möglich. (§3 Abs. 2 AsylbLG).
Darüber hinaus steht jedem Leistungsberechtigten ein Barbetrag als Taschengeld zur Deckung des soziokulturellen Existenzminimums, also Freizeit, Bildung, etc., zu. (§3 Abs.1 AsylbLG).
Über die Grundleistungsbeiträge für die Existenzminima hinaus werden auch weitere Kosten, wie z.B. Erstausstattungen, Miete und Nebenkosten für die Migranten übernommen. (§§3, 4, 6 AsylbLG).
Diese Grundleistungsbeiträge, egal in welcher Form sie zur Verfügung gestellt werden, entsprechen grundsätzlich den Bedarfen und somit auch den Regelsätzen der Sozialhilfe nach SGB XII bzw. des ALG II nach SGB II. Allerdings wurde versäumt, die Beträge nach dem AsylbLG seit 2017 anzugleichen, so dass sie mittlerweile unter den Beträgen der Sozialhilfe und des ALG II liegen. (Classen 2016, S. 9).
Leistungsberechtigte nach §3 AsylbLG können zur medizischen Versorgung „je nach Bundesland und Landkreis entweder Krankenscheine des Sozialamts oder eine AsylbLG-Gesundheitskarte“ erhalten. (Classen 2016, S. 11). Beide Möglichkeiten decken entsprechend des physischen Existenzminimums alle notwendigen Behandlungen sowie Heil- und Hilfsmittel zur Sicherung der Gesundheit ab. (§§4 und 6 AsylbLG).
[...]
1 Die Staaten im Dublin-Raum sind neben den Mitgliedsstaaten der EU, Norwegen, Island, die Schweiz sowie Liechtenstein. (BAMF 2016a).