Sicherheit und Freiheit als Staatszweck. Thomas Hobbes und John Locke im Vergleich


Dossier / Travail de Séminaire, 2018

26 Pages, Note: 1,7


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Thomas Hobbes
2.1 Der Naturzustand
2.2 Die Staatsgründung
2.3 Die Staatskonstruktion

3. John Locke
3.1 Der Naturzustand
3.2 Die Staatsgründung
3.3 Die Staatskonstruktion

4. Thomas Hobbes und John Locke im Vergleich
4.1 Der Naturzustand
4.2 Der Gesellschaftsvertrag
4.3 Die Staatskonstruktion

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Thomas Hobbes schrieb 1651 unter den Eindrücken des englischen Bürgerkriegs sein bedeutendes Werk Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens, welches das scholastische Weltbild der damaligen Zeit auf den Kopf stellte. Ihm folgte 38 Jahre später 1689 der ebenfalls englische Philosoph John Locke mit seinem Werk Zwei Abhandlungen über die Regierung. Beide Philosophen gehen in ihren jeweiligen Werken nach demselben Dreischritt vor. Ausgehend von einem vorstaatlichen Naturzustand schließen sich die Menschen durch einen Vertag zu einem staatlichen Gemeinwesen zusammen. Doch nicht nur diese Gemeinsamkeiten auf theoretischer Ebene verbinden die beiden Autoren. Vielmehr entstanden beide Werke vor demselben zeitgenössischen, historischen und politischen Hintergrund. Dennoch ist die Rezeption der beiden Werke höchst unterschiedlich. Während die einen Locke als eine Erwiderung auf Hobbes lesen, behaupten die anderen, dass Locke im Grunde mit den Prinzipien des Leviathan übereinstimme, nur diese Übereinstimmung hinter geschickteren Formulierungen verberge.1 Vor diesem Hintergrund erscheint ein Vergleich der beiden Positionen durchaus lohnenswert.

Interessanter gestaltet sich der Vergleich jedoch, wenn man ihn unter einem vermeintlich gegensätzlichen Begriffspaar betrachtet: Der Sicherheit und der Freiheit. In unserer heutigen Zeit bestimmen u.a. provokante Slogans wie „Freiheit stirbt mit Sicherheit“ die Debatte und suggerieren somit, dass der Preis für eine gestiegene Sicherheit eine Verringerung der Freiheit sei. Diese vermeintliche Dichotomie bestimmt die Debatte, sei es, wenn es um Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen oder stärkere Eingriffsrechte der Polizei geht. Damit diese Debatte nicht in oberflächlichen Phrasen hängen bleibt, loht sich stets ein Blick in die Geschichte und Debatten der politischen Theorie. So sollen in dieser Arbeit Hobbes und Locke unter den Aspekten von Freiheit und Sicherheit betrachtet werden. Dabei gilt es einerseits zu klären, welche jeweilige Definition sie für den Begriff anlegen, und andererseits, wie sie damit in ihren Werken umgehen. Schließt Sicherheit wirklich Freiheit aus oder ist eine Symbiose, eine ausgleichende Balance möglich?

Um diese Frage zu beantworten, werden zuerst die Theorien der beiden Autoren getrennt voneinander untersucht und auf das Begriffspaar Freiheit und Sicherheit hingedeutet. Der Dreischritt von Naturzustand – Vertrag – Staat, der ihre jeweiligen Werke beherrscht, soll sich auch durch diese Arbeit ziehen, um eine möglichst genaue Analyse durchführen zu können. Abschließend sollen die wichtigsten Punkte der beiden Theorien kontrastierend einander gegenübergestellt werden, um zu einem fundierten Fazit kommen zu können.

2. Thomas Hobbes

2.1 Der Naturzustand

Thomas Hobbes führt seine Ideen über den Naturzustand in Kapitel XIII seines Leviathans aus. Für ihn ist der Naturzustand nur ein reines Gedankenexperiment, denn er persönlich glaubt, „dass er so niemals auf der ganzen Welt bestand.“2 Der Mensch wird hierbei genau definiert mit all seinen Eigenschaften und Verhaltensweisen und einer Versuchsperson gleich in einen Lebensraum ohne jegliche Institutionen, Regeln oder sonstige Ordnungselemente versetzt. Die Eigenschaften des Menschen leiten sich aus zwei anthropologischen Grundannahmen ab, die für die Interaktionen im Naturzustand konstituierend sind. Die erste Annahme ist, dass jede willentliche Handlung eines Menschen ein Gut anstrebt und zweitens, dass dieser Willen und diese Handlung zukunftsgerichtet ist, d.h. sich auf ein zukünftiges Gut ausweitet.3 Die zentrale Frage, die sich nun stellt, ist diejenige, ob sich allein aufgrund der natürlichen Eigenschaften, der Bedürfnisse und den handlungsleitenden Maximen des Menschen eine Ordnung herausbilden kann. Diese Frage beantwortet Hobbes mit einem klaren „Nein“ und führt hierbei fünf Gründe auf.4 Die zentrale These von Hobbes Naturzustand lautet: Der Naturzustand ist ein Kriegszustand und zwar ein „Krieg eines jeden gegen jeden“5. Dieser Kriegszustand resultiert aus den bereits angesprochenen fünf Voraussetzungen:

1. Da nach Hobbes das Leben nichts weiter als „ein Streben nach Gütern“6 ist, ist das erste Gut – das primum bonum – die Selbsterhaltung, dem jedes Handeln untergeordnet ist. Demgegenüber steht dann auch das primum malum, nämlich der gewaltsame Tod, den es auf jeden Fall zu verhindern gilt.7 Somit ist der Egoismus konstitutiv für den Naturzustand.
2. Das zukunftsorientierte Handeln des Menschen führt zu einem tendenziell unbegrenzten Streben nach Gütern. Diesem unbegrenzten Streben steht allerdings die Begrenztheit und Knappheit der Güter gegenüber. Da die Macht es dem Menschen erlaubt, Güter zu erwerben und erworbene Güter zu halten, wird die Macht selbst zu einem Gut, um welches gekämpft wird. Die Macht ist allerdings nur relativ, denn man muss immer mehr Macht haben, als die anderen.8 Es entsteht also eine zweifache knappheitsbedingte Konkurrenz: Eine Konkurrenz um Güter und eine Konkurrenz um Macht.9
3. Aus dieser Konkurrenz erwächst die gegenseitige Verfeindung. Da im Naturzustand jeder gegen jeden kämpft, ist auch jeder der Machtkonkurrent von jedem. Die daraus resultierenden Konflikte sind durchaus auch gewaltbereit.10.
4. Der Mensch besitzt die Vernunft und richtet sein Handeln zukunftsorientiert aus, d.h. er plant in längeren Etappen. Da sie wissen, dass die anderen Menschen genauso handeln, entsteht ein Misstrauen den Anderen gegenüber. Da es irrational ist, an die Friedfertigkeit der Anderen zu glauben, wird der Angriff zum rationalen Handeln, da er die Lebenschancen erhöht und somit der Selbsterhaltung gerecht wird. Wir haben es also mit einem offensiven Misstrauen zu tun, da man immer mit dem Schlimmsten rechen und somit dem Anderen immer zuvorkommen muss.11 In diesem Zusammenhang ist auch das vielbemühte Zitat von Hobbes „homo homini lupus“ zu sehen. Der Mensch ist hier kein triebgesteuertes Wesen, sondern er handelt rational und erst dieses rationale Handeln führt zum Kriegszustand. Das offensive Misstrauen ist also rational begründet und führt zu einer vorbeugenden Gewaltanwendung.12
5. Der Naturzustand mit seinen natürlichen Mechanismen funktioniert aber nur, wenn alle Menschen eine natürliche Gleichheit besitzen. Hobbes formuliert das folgendermaßen:

„Die Natur hat den Menschen hinsichtlich ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten so gleich geschaffen, dass trotz der Tatsache, dass bisweilen der eine einen offensichtlich stärkeren Köper oder gewandteren Geist als der andere besitzt, der Unterschied zwischen den Menschen alles in allem doch nicht so beträchtlich ist.“13

Dies natürliche Gleichheit führt dazu, dass sich keine natürliche Hierarchie herausbilden kann, da es niemanden gibt, der von Natur aus so stark ist, dass der die Anderen auf Dauer unterwerfen kann. Jeder kann also von jedem jederzeit umgebracht werden. Diese Bedrohungssymmetrie verhindert eine natürliche Selbstregulation der Konflikte und das Entstehen einer natürlichen Ordnung.14 Als Schlussfolgerung daraus ist jede Hierarchie und jede Ordnung künstlich von Menschen geschaffen. Eine natürliche oder gar göttliche Ordnung gibt es nicht mehr.15 Dennoch brauchen die Menschen allein aus ihrem Streben nach Selbsterhaltung eine Ordnung, denn nur durch sie ist ein langfristiges Leben ohne Todesangst möglich. Daraus lassen sich zwei Umstände ableiten, die die Menschen aus dem Naturzustand in eine künstliche Ordnung treiben. Da ist zum einen die Todesfurcht und das Verlangen nach Dingen, die das Leben angenehm gestalten und zum anderen die Vernunft, die den Menschen die Grundsätze nahelegt, nach denen diese Ordnung beschaffen sein muss.16 Selbsterhaltung und Todesfurch sind das Motiv und die Vernunft ist das Mittel für den Weg aus dem Naturzustand.17

Wenn die Selbsterhaltung und die Todesfurcht die Motive sind, um den Naturzustand zu verlassen, so ist die Sicherung der Selbsterhaltung und die Verringerung der Todesfurcht das Ziel und der Zweck der zu gründenden Ordnung. Hobbes schreibt selbst, dass der Zwang, den anderen zu unterwerfen, dazu führt, dass jeder Mensch jederzeit „seines Lebens und seiner Freiheit“18 beraubt werden kann. Somit werden zum konstituierenden Element der Ordnung nicht nur die Herstellung einer (körperlichen) Sicherheit, sondern auch die Herstellung von Freiheit, die allerdings nur in einem sicheren Umfeld entstehen kann.

2.2 Die Staatsgründung

Im Naturzustand besitzt „jedermann ein Recht auf alles“19. Da er theoretisch alles zum Schutze seines Lebens einsetzten kann und das Recht auf Selbsterhaltung das oberste Recht eines jeden Menschen ist, so hat man automatisch auch das Recht auf alles. Da jeder Einzelne zu jeder Zeit das Recht auf alles besitzt, sogar „auf den Köper eines anderen“20, so kann es auch keine Ungerechtigkeit geben, da ich ja niemandem etwas wegnehmen, ihn übervorteilen oder ihm schaden kann.21

Aus diesem Recht auf alles leitet Hobbes zwei Gesetze der Natur ab. Diese Grundsätze sind aber nicht als ein überpositives Recht zu begreifen, welches über den weltlichen Gesetzen stehen würde, vielmehr leiten sie sich aus der „Regel der Vernunft“22 ab. Das erste Gesetz lautet, dass „jedermann sich um Frieden zu bemühen [hat]“23 und, sofern er diesen nicht herstellen kann, er dazu befugt ist, „sich alle Hilfsmittel und Vorteile des Krieges [zu] verschaffen und sie [zu] benützen.“24 Der Mensch ist also dazu verpflichtet, Frieden herzustellen. Dies liegt dran, dass jedes menschliche Handeln nach einem Gut verlangt, denn für jede Handlung verlangt der Mensch im Gegenzug einen Vorteil für sich. Das oberste positive Gut ist der Frieden25, deshalb ist das oberste Gebot, den Frieden zu suchen, aber nicht auf Kosten der eigenen Selbsterhaltung. Aus diesem ersten Gesetz wird das zweite Gesetz abgeleitet, welches fordert, dass „jedermann freiwillig, wen andere ebenfalls dazu bereit sind, auf sein Recht auf alles verzichtet, soweit er dies um des Friedens und der Selbstverteidigung willen für notwendig hält“26. Diese Gesetze, die die Vernunft den Menschen vorgibt, weisen den Weg aus dem Handlungs- und Sicherheitsdilemma des Naturzustands.

Die Menschen können also den unerträglichen Zuständen des Naturzustands entkommen, wenn sie auf ihr Recht auf alles verzichten. Dieser Verzicht erfordert dem Streben nach Gütern als Handlungsmaxime zufolge eine angemessene Gegenleistung: Den Frieden und damit die Möglichkeit für ein zufriedenes Leben.27 Die Menschen verzichten auf ihre Freiheit, denn laut Hobbes ist Freiheit „die Abwesenheit äußerer Hindernisse“28 und damit ist die Freiheit im Recht auf alles verwirklicht. Das Recht auf alles stellt also die eigentliche Ursache für den gewaltsamen Kriegszustand dar und wird durch den freiwilligen Verzicht abgeschafft.29 Die persönliche Freiheit tritt also zu Gunsten des Schutzes des eigenen Lebens, also der Sicherheit zurück. Die Menschen schaffen nun eine Übereinkunft, die in der politischen Theorie Hobbes‘ einen der zentralsten Punkte markiert:

„Ich autorisiere diesen Menschen oder diese Versammlung von Menschen und übertrage ihnen mein Recht, mich zu regieren, unter der Bedingung, dass du ihnen ebenso dein Recht überträgst und all ihre Handlungen autorisierst.“30

Eine Übertragung von Rechten nennt Hobbes einen Vertrag.31 Mit dem Entstehen dieses Vertrags gibt es nun doch Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, denn laut Hobbes sind Verträge einzuhalten und der Bruch eines Vertrags stellt eine Verletzung der Treuepflicht dar.32 Damit dieser Vertrag aber auch eingehalten wird, braucht es eine übergeordnete Instanz, die durch Gewalt und Abschreckung dafür sorgt, dass die Gesetze und Regeln eingehalten werden. Diese Instanz nennt Hobbes den „Souverän“33. Jedoch – und das ist das besondere an diesem Vertrag – ist der Empfänger all dieser übertragenen Rechte nicht selbst Teil des Vertrags, denn die Menschen schließen den Vertrag untereinander ab und übertragen ihre Rechte auf den Souverän, ohne jedoch den Souverän in den Vertrag miteinzubinden. Der Souverän agiert also als eine Art neutrale Instanz und soll so den Frieden wahren. Die Menschen besitzen nun keine Macht und keine Gewalt mehr, sondern haben alles auf den Souverän übertragen. Somit ist die für die Vertragseinhaltung notwendige Zwangsgewalt entstanden.34

Durch den Vertrag wurde also die Menge der Menschen zu einer Person vereint und diese Person nennt Hobbes nun „Staat“35. Der Naturzustand wurde überwunden und der Staat geboren.

2.3 Die Staatskonstruktion

Aus dem überwundenen Naturzustand geht der Staat hervor. Dieser Staat konstituiert sich durch einen Vertrag, den ein jeder mit jedem schließt. Dadurch stellt sich Thomas Hobbes gegen die Vertragsordnung der mittelalterlichen, ständischen Rechtsauffassung. Dort schloss nämlich der Herrscher mit dem Volk den Vertrag. Der Einzelne trat also hinter das Kollektiv zurück. Bei Hobbes hingegen werden die Individuen zu den Protagonisten seines staatsphilosophischen Kontraktualismus, denn jeder Einzelne hat den Vertrag mit jedem Einzelnen zu schließen.36 Durch den Vertrag wird eine Gesellschaft gestiftet, d.h. die Menschen des Naturzustands vergesellschaften sich. Gleichzeitig jedoch wird durch diese Vergesellschaftung eine Herrschaft gestiftet, da die entstandene Gesellschaft nur durch einen Herrscher, den Leviathan, wie ihn Hobbes nennt, zusammengehalten werden kann. Der Vertrag ist also sowohl Gesellschafts-, als auch Herrschaftsvertrag, denn der Vertrag besitzt „diese herrschaftsbegründende Funktion nur als eine die Individuen assoziierende und wechselseitig bindende Rechtsfigur.“37

Da nach Hobbes „Verträge ohne das Schwert bloße Worte [sind]“38, wird die Position des Herrschers geschaffen, der für die Durchsetzung des Vertrags Sorge tragen und damit die Gesellschaft zusammenhalten und den Frieden bewahren soll. Der Herrscher selbst ist – wie oben bereits ausgeführt – selbst nicht Teil des Vertrags und zeichnet sich durch zwei Merkmale aus. Da wäre erstens die Uneingeschränktheit der souveränen Gewalt. Die Menschen autorisieren den Leviathan, indem sie zum einen auf ihr natürliches Recht auf alles verzichten und der Leviathan als Einziger sein Recht auf alles behält39, und zum anderen, indem „jedermann alles als das eigen anerkennt, was derjenige (…) tun oder veranlassen wird“40. Sie identifizieren sich also voll und ganz mit den Entscheidungen des Leviathans und unterwerfen sich somit seinem Willen und seinem Urteil, weshalb man diesen Vertrag auch als einen Unterwerfungsvertrag beschreiben kann. Der absolute Gehorsam dem Leviathan gegenüber wird somit zur obersten Maxime eines jeden Menschen.41 Diese Uneingeschränktheit der souveränen Gewalt durch die beiden aufgeführten Gründe führt zu einer Reihe an Konsequenzen. Weil der Souverän nicht Teil des Vertrags ist, kann er den Vertrag auch nicht brechen, d.h. eine Aufkündigung der Gefolgschaft dem Herrscher gegenüber ist rein rechtlich gar nicht möglich. Und weil jede Handlung des Leviathans als eine eigene Handlung anerkannt wird, die dem eigenen Willen entspricht, so kann der Herrscher auch keinem Untertan ein Unrecht zufügen, weil man „sich selbst nicht wegen eines Unrechts anklagen [kann]“42, da man ja durch die Autorisierung selbst zum Urheber der Handlung wurde. Somit kann der Herrscher auch nicht bestraft werden.43

Das zweite Merkmal der Herrschaft ist die Unteilbarkeit der Souveränität. Diese Unteilbarkeit ergibt sich aus dem Wesen und dem Ziel des Vertrags, nämlich der Sicherung und Wahrung des Friedens.44 Hobbes konstatiert: „Die Handlungen der Menschen entspringen ihren Meinungen und eine gute Lenkung der menschlichen Handlungen (…) besteht in einer guten Lenkung ihrer Meinungen.“45 Der Souverän muss also die Meinungen kontrollieren und zulassen, da sonst der Friede gefährdet werden würde. Meinungspluralismus und Parteienbildung sind nach Hobbes also die größte Gefährdung des öffentlichen Friedens.46 Eine Unteilbarkeit der Souveränität bedeutet auch, dass es keine Gewaltenteilung geben kann. Da das oberste Ziel die Friedensicherung ist, muss der Herrscher auch die Gesetze durchsetzen können, die er erlässt. Er muss also Gesetzgeber und Gerichtsbarkeit, Heerführer und Richter in einem sein.47 Denn wenn er beispielsweise das Richteramt auf eine andere Person übertragen würde, so wäre er, was die Umsetzung der Gesetze anginge, von ihr abhängig und es würde im schlimmsten Fall ein gewalttätiger Konflikt entstehen können. Der Schritt aus dem Naturzustand heraus in die neue Gesellschafts- und Herrschaftsordnung schafft also gewissermaßen eine Stunde null. In dieser Tabula Rasa wird es dem auserwählten Souverän ermöglicht, wie auf einem weißen Blatt Papier die für die Erhaltung des Friedens notwendige Ordnung zu erschaffen.48

Hobbes liefert zusammengefasst folgende Definition eines Staates, die zu den oben skizzierten Folgen und Umständen führt:

„Der Staat (…) ist eine Person, bei der sich jeder einzelne einer großen Menge durch gegenseitigen Vertrag eines jeden mit jedem zum Autor ihrer Handlungen gemacht hat, zu dem Zweck, daß sie die Stärke und Hilfsmittel aller so, wie sie es für zweckmäßig hält, für den Frieden und die gemeinsame Verteidigung einsetzt.“49

Der Staatszweck bei Hobbes ist also die Schaffung von Sicherheit im Inneren und die Verteidigung nach außen, um dem Grundbedürfnis der Menschen nach Selbsterhaltung und einem zufriedenen Leben gerecht zu werden.50 Aus den ausgeführten Rechten des Herrschers lässt sich wiederum auch der zugegebenermaßen unbefriedigende Freiheitsbegriff von Hobbes ableiten. Zwar kontrolliert der Leviathan die öffentliche Meinung, aber nur soweit sie in Handlungen oder öffentlichen Äußerungen in Erscheinung tritt. Was die Menschen privat denken, ist ihm egal. Die Untertanen besitzen also die Freiheit, das zu denken, was sie wollen und das zu tun, was nicht verboten ist.51

Zu guter Letzt sei noch angemerkt, dass die Macht des Leviathans trotz seiner Uneingeschränktheit und Unteilbarkeit nicht vollständig absolut ist. Zwar gibt es für die Untertanen kein Widerstandsrecht gegen den Herrscher, aber wenn der Souverän die körperliche Unversehrtheit der Bürger nicht mehr schützen und damit seinen eigentlichen Stiftungszweck nicht mehr erfüllen kann, so löst sich der Staat auf und die Menschen fallen wieder in den Naturzustand zurück.52

3. John Locke

3.1 Der Naturzustand

Auch John Locke ist ein Naturzustandstheoretiker, d.h. er verwendet zur Begründung seiner Staatstheorie einen Naturzustand, der bei ihm auch in der Wirklichkeit vorzufinden ist.53 Der Naturzustand ist bei ihm durch zwei Merkmale gekennzeichnet: Es ist ein „Zustand vollkommenen Freiheit“54 und ein „Zustand der Gleichheit“55. Bereits hier wird schon die Akzentuierung auf die Freiheit deutlich. Die Menschen sind deswegen gleich, weil sie alle mit denselben Vorteilen und Fähigkeiten ausgestattet sind56 und es deswegen unter ihnen „keine Rangordnung“57 geben kann. Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes und damit sein Eigentum. Damit ist es ihnen verboten, sich selbst oder eine andere Person zu töten, d.h. die Menschen haben eine Pflicht zur Selbsterhaltung. Aus dieser Pflicht, sich selbst zu erhalten, heraus erwächst den Menschen nun das Recht, dass sie alles tun dürfen, was ihrer Selbsterhaltung dienlich ist, da sich ja die Pflicht dazu haben.58 Nun könnte man annehmen, dass auch diesem Recht zur Selbsterhaltung heraus eine Zustand der Willkür und der Zügellosigkeit entsteht, da es keine ordnende Macht gibt, die über den Menschen steht. Doch dem ist nicht so. Denn im Naturzustand herrscht ein natürliches Gesetz, welches aus der Vernunft heraus erwächst und den Menschen gebietet, dass „niemand einem anderen, da alle gleich und unabhängig sind, an seinem Leben und Besitz, seiner Gesundheit und Freiheit Schaden zufügen soll“59. Der Mensch ist also nicht nur verpflichtet, sich selbst zu erhalten, sondern er muss auch dafür Sorge tragen, dass die ganze Menschheit erhalten bleibt.60 In diesem Sinne ist trotz der vollkommenen Freiheit und der Gleichheit der Naturzustand nicht als ein rechtloser, sondern durch das Gesetz der Natur als ein rechtlicher Zustand zu denken.61 Die vollkommene Freiheit ist also nicht grenzenlos, sondern wird durch die Vernunft und das Naturgesetz eingeschränkt. Dieses Recht auf Selbsterhaltung hat aber eine weitreichende Konsequenz. Da es keine Obrigkeit und keine Rangordnung unter den Menschen gibt und daher niemand die Macht und Durchsetzungskraft besitzt, dass das Recht auf Selbsterhaltung (Recht auf Leben) von jedermann geachtet wird, so ist jeder selbst dafür verantwortlich, dass sein Recht auf Selbsterhaltung durchgesetzt und Verletzungen desselbigen bestraft werden:

[...]


1 Vgl. Nonnenbacher, Günther (1989): Die Ordnung der Gesellschaft. Mangel und Herrschaft in der Philosophie der Neuzeit: Hobbes, Locke, Adam Smith, Rousseau. Weinheim. S. 74.

2 Hobbes, Thomas (2011): Leviathan. Oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates. Aus dem Englischen von Walter Euchner. Berlin. S. 124.

3 Vgl. Chwaszcza, Christiane (2001): „Thomas Hobbes (1588-1679).“ In: Maier, Hans/Denzer, Horst (Hrsg.): Klassiker des politischen Denkens. Von Plato bis Thomas Hobbes. München. S. 218.

4 Vgl. Kersting, Wolfgang (2005): Thomas Hobbes zur Einführung. Hamburg. S. 108.

5 Hobbes (2011): S. 122.

6 Chwaszcza (2001): S. 218.

7 Vgl. Ebd.: S. 218f.

8 Vgl. Ebd.: S. 219.

9 Vgl. Kersting (2005): S. 109.

10 Vgl. Kersting (2005): S. 110.

11 Vgl. Ebd.

12 Vgl. Ebd.

13 Hobbes (2011): S. 119.

14 Vgl. Kersting (2005): S. 116.

15 Dieses säkularisierte Denken ist für die damalige Zeit revolutionär gewesen und prägt die politische Theorie bis heute.

16 Vgl. Hobbes (2011): S. 125.

17 Vgl. Chwaszcza (2001): S. 220.

18 Hobbes (2011): S. 121.

19 Ebd.: S. 126.

20 Ebd.

21 Vgl. Bevc, Tobias (2007): Politische Theorie. Konstanz. S. 63.

22 Hobbes (2011): S. 127.

23 Ebd.

24 Ebd.

25 Vgl. Speth, Rudolf (2005a): „Thomas Hobbes .“ In: Massing, Peter/Breit, Gotthard (Hrsg.): Demokratie-Theorien. Von der Antike bis zur Gegenwart. Berlin. S. 97.

26 Hobbes (2011): S. 127.

27 Vgl. Kersting (2005): S. 151.

28 Hobbes (2011): S. 126.

29 Vgl. Kersting (2005): S. 151.

30 Hobbes (2011): S. 166.

31 Vgl. Ebd.: S. 129.

32 Vgl. Bevc (2007): S. 63.

33 Hobbes (20119: S.167.

34 Vgl. Bevc (2007): S. 63.

35 Hobbes (2011): S. 166.

36 Vgl. Kersting (2005): S. 150.

37 Ebd.

38 Hobbes (2011): S. 162.

39 Vgl. Chwaszcza (2011): S. 223.

40 Hobbes (2011): S. 166.

41 Vgl. Chwaszcza (2011): S. 223.

42 Hobbes (2011): S. 172.

43 Vgl. Euchner, Walter (1985): „Thomas Hobbes.“ In: Fetscher, Iring/Münkler, Herfried (Hrsg.): Pipers Handbuch der politischen Ideen. Band 3. München. S. 359.

44 Vgl. Chwaszcza (2011): S. 223.

45 Hobbes (2011): S. 173.

46 Vgl. Chwaszcza (2011): S. 223.

47 Vgl. Euchner (1985): S. 359.

48 Vgl. Kersting (2005): S. 153.

49 Hobbes (2011): S. 167.

50 Vgl. Euchner (1985): S. 359.

51 Vgl. Chwaszcza (2011): S. 223.

52 Vgl. Bevc (2007): S. 65.

53 Vgl. Locke, John (1977): Zwei Abhandlungen über die Regierung. Übersetzt von Hans Jörg Hoffmann. Herausgegeben von Walter Euchner. Frankfurt am Main. S. 209.

54 Locke (1977): S. 201.

55 Ebd.

56 Vgl. Euchner, Walter (1996): John Locke zur Einführung. Hamburg. S. 81.

57 Locke (1977): S. 203.

58 Vgl. Thiel, Udo (1990): Locke. Reinbeck. S. 99.

59 Locke (1977): S. 203.

60 Vgl. Euchner (1996): S. 82.

61 Vgl. Thiel (1990): S. 99.

Fin de l'extrait de 26 pages

Résumé des informations

Titre
Sicherheit und Freiheit als Staatszweck. Thomas Hobbes und John Locke im Vergleich
Université
University of Freiburg
Note
1,7
Auteur
Année
2018
Pages
26
N° de catalogue
V495527
ISBN (ebook)
9783346004635
ISBN (Livre)
9783346004642
Langue
allemand
Mots clés
sicherheit, freiheit, staatszweck, thomas, hobbes, john, locke, vergleich
Citation du texte
Andreas Schumacher (Auteur), 2018, Sicherheit und Freiheit als Staatszweck. Thomas Hobbes und John Locke im Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/495527

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