Der Aufstieg des werdenden Menschen zur wissenschaftlichen Sozialistin. Essay über die Entwicklung des Menschen


Essay, 2019

102 Seiten


Leseprobe


„Man sieht: die Philosophie könne auch ihren Chiliasmus haben …“ 1.

Es muss zu Beginn eines Essays mehr als anderswo im Blätterwald erlaubt sein, ein paar persönliche Wort der Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser zu empfehlen, Worte, die schon Teil des Haupttextes, nicht von ihm als Einleitung separiert sind. In einem Essay scheint es sich der Autor bequem machen zu wollen, indem er sich erlaubt, abseits des vom Maximalprofit vorangepeitschten Getriebes auf der hektischen Straße der Weltwissenschaften auf ihr nur spazieren zu gehen mit Zeit und Muße, den Spazierstock hin und wieder in der Hand schwirrend drehen zu lassen, so wie Charlie Chaplin es in seinen Filmen zu tun pflegte. Ein Essayist ist nicht angehalten, im Sinne des Zeitgeistes zu schreiben und nur in eine Richtung zu blicken, in eine Richtung zu gehen, in eine Richtung zu denken und in eine Richtung zu schreiben. Desgleichen: Sich von dem fremden Wesen Geld beherrschen, durch es seine Stirn verengen zu lassen und dem Fetisch zu huldigen. In der bürgerlichen Gesellschaft ist jeder ein anderer als er selbst und jeder lebt nur in der Vorstellung der anderen. Diese perverse Bestimmung des sogenannten modernen Menschen hat uns Rousseau mitgegeben, der wohl der bedeutendste Philosoph des Spaziergangs war, ein Träumer und Verächter des Geldes, der ihn in freier Natur kultivierte und für den die wohltuendsten Spaziergänge diejenigen waren, auf denen er die Führung des Verlaufes seine begleitenden und ihm voranlaufenden Hund überließ.

Die Frucht der Philosophie ist für ihn das Schweigen. Er schildert in den Bekenntnissen die Szene des Ausgangs seiner Vorlesung im Haus des Grafen von Egmont über die ungerechten Verfolgungen, die er erlitt: „Jedermann schwieg, Frau von Egmont schien mir allein bewegt, sie zitterte sichtlich, faßte sich aber bald wieder und beobachtete wie die übrige Gesellschaft Schweigen. Das war die einzige Frucht, die ich von dieser Vorlesung und meiner Erklärung erntete“. 2. Es ist bezeichnend, dass sein letztes, sprachmusikalisch brillantes Werk Träumereien beim Spazierengehen es als einzig ihm noch bleibenden Lebensgenuss feiert, nachdem sich der schwere schwarze Schleier der Melancholie über sein Gemüt gelegt hatte. Die Mitmenschen haben ihn verstoßen; er ist kein Aussteiger, sondern aus der Ordnung der Dinge gerissen worden, ohne zu wissen, wie dies geschah. Ihn als Aussteiger bezeichnen blendet die psychisch zermürbende Heimsuchung durch Verschwörungstheorien am Ende seines Lebens aus. Es bleibt am Ende des Lebens nur der Traum. Was bleibt denn sonst für die Entrechteten, die nicht wissen, wo ihr Weg hinführt und die den Blick in einen Spiegel fürchten, als zu träumen, wie die Matrosen auf hoher See aus lauter Langweile den nächsten Landgang herbeiträumen, in Valparaíso, Rio oder Shanghai, und sich an Hand ihrer Tätowierungen an die Häfen erinnern, in denen die Tristesse kurz unterbrochen wurde. Sowohl das Elend zu Lande als auch das auf dem Wasser bringt religiösen Idiotismus hervor, man spricht von der ‚christlichen Seefahrt‘. Nach dem zehnten Spaziergang bricht der Text Rousseaus nach wenigen Absätzen ab … wenige Tage später stirbt er. Neben Rousseau, dessen Texte Fichte „immer und immer wieder liest“ 3., weil er in ihnen das Schicksalskreuz der Gegenwart spürt, dem keiner entrinnen kann, gibt es noch vier weitere Sprachvirtuosen mit einer extrem feinnervigen Sensibilität, die mit Worten Musik vortragen: Voltaire, Hölderlin, Heine und der düstere Nietzsche, der Voltaire verehrte und feierte, düster, weil sich in Nietzsche das Scheitern der deutschen Aufklärung kristallisiert. Ich stimme Pierre Bertaux ohne Wenn und Aber zu, für ihn ist der ‚Hyperion‘ eine „musikalische Komposition. Hölderlin ist kein ’Schrift-steller‘, viel eher ein Komponist“. 4. Der ‚Hyperion‘ sei eine Sinfonie. Gut, dass das heute noch geschrieben wird. Dagegen ist es abwegig von Bertaux, in Hölderlins ‚Hyperion‘ eine ‚Struktur‘ auszumachen, Kunstwerke wie dieses haben keine Struktur. Damit fängt es ja an, das Operieren am Text, durch das ihm Fremdes eingefügt wird. Kunst wird akademischem Handwerkszeug ausgeliefert und man fragt sich: Wozu? Und auch sein Hinweis, Hölderlin habe mehrere Musikinstrumente gespielt („… vielleicht auch Geige“), ist unerheblich, Kant und Hegel waren völlig unmusikalisch, bei ihnen strömte alle kreative Energie in die Texte. Texte, mit einer imposant durchkomponierten Architektonik, eingedenk, dass der Philosophie die Tragödie aus dem Geiste der Musik beschert wird. Napoleon stand Hegel, der in jungen Jahren Jakobiner wie er war, im Alter philosophischer Hauptverantwortlicher für einen albernen deutschen, bis ins Denken Lassalles, Bernsteins und Kautskys hineinreichenden Staatsaberglauben, näher als Beethoven, das beiher spielende Musikkorps entscheidet keine Schlacht. Hegel, Hölderlin und Beethoven wurden im Jahr 1770 geboren, Schelling, der im Tübinger Stift die ‚Marseillaise‘ übersetzt hatte, 1775, Napoleon am 15. August 1769, eine seltene Dichte in der Weltgeschichte, der Philosoph, der Lyriker, der Komponist und der Feldherr aller Feldherren. Mögen die Lackaffen in die Tanzschulen strömen und zur Gaukelei der Musik Verrenkungen aller Art vorführen; auf den Schlachtfeldern der Republik gilt ein anderer Takt. Hier wird über das politische Schicksal ganzer Völker entschieden, während auf Kongressen nur getanzt wird. Es gibt in der deutschen Literaturgeschichte einen bemerkenswerten Brief über Hölderlins ‚Hyperion‘: „Auch den Hyperion kennst Du nicht, der in der wohlklingenden Bewegung seiner Prosa, in der Erhabenheit und Schönheit der darin auftauchenden Gestalten auf mich einen ähnlichen Eindruck macht wie der Wellenschlag des erregten Meeres. In der Tat, diese Prosa ist Musik, welche schmelzende Klänge, von schmerzlichen Dissonanzen unterbrochen, endlich verhauchend in düstren, unheimlichen Grabliedern“. „… wie der Wellenschlag des erregten Meeres … endlich verhauchend …“. Man beneidet den Empfänger dieses Briefes, den der Absender mit: ‚Brief an meinen Freund, in dem ich ihn meinen Lieblingsdichter zum Lesen empfehle‘ überschrieb. Es ist der 17jährige Nietzsche, der hier für Hölderlin schwärmt und wirbt. Heute, 160 Jahre später, wird die Sprache gestanzt und gehämmert, in der Phrasen drechselnden Werbung und in der viehischen Hetzjournaille, durch die sie vor die Hunde kommt. Sie ist verhaucht, zu etwas Gleichgültigem geworden. Das hübsche deutsche Wort ‚Kindergarten‘, das acht Völker übernommen haben, sogar das englische, ist aus dem heimischen Wortschatz gestrichen worden. Hermann Broch hatte schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seinen Aufsatz ‚Das verachtete Wort‘ mit dem Satz begonnen: „Eine eigentümliche Verachtung des Wortes, ja beinahe ein Ekel vor dem Wort hat sich der Menschheit bemächtigt“. 5. In einem Milieu der Beliebigkeit wird heute alles anerkannt, wenn auch nicht als richtig, dann doch wenigstens als nicht falsch. Beamte machen keine Fehler, machen nichts falsch. Die Pädagogen gehen nicht gegen den Zeitgeist der Konturenverwischung an. Aus ihrer Leichtfertigkeit heraus entlassen sie junge Menschen ins selbstbestimmte Leben ohne klare Begriffe von richtigem und falschem Verhalten. Man mag damit durchs Leben kommen, wenn dieses frei von Extremsituationen dahinplätschert. Ein solches Leben gibt es nicht, wenn es um Leben oder Tod geht, muss man in Sekundenschnelle genau wissen, was falsch, was richtig ist und ein kleiner Fehler, ein falscher Handgriff kann tragische Folgen haben. Das schulische Ghetto verengt den Blick, das ‚Leben‘ in den Schulbüchern spiegelt nicht das richtige Leben wider. Die Abiturienten verlassen heute papiergläubig zurechtgestutzt das Gymnasium ohne irgendeinen Vorsatz, die Welt durch einen Paukenschlag ohnegleichen zu erschüttern. Man will nur leben, und wenn es hochkommt, leben lassen. In der Politik hat es die Bürgerin Merkel, eine Abiturientin, ganz nach diesem faden Geschmack, zu einer wahren Meisterschaft im Eiertanzen gebracht. Die Worte befinden sich in einer tiefen Inflation ihres Bedeutungsgehaltes. Sie verdichten sich mehr und mehr zu einem einzigen Schrei der Verzweiflung aus der herben Dunkelheit der Trostlosigkeit, den niemand mehr hören kann. Broch hatte eine Stummheit von Mensch zu Mensch ausgemacht, „es ist die Stummheit des Mordens“ 6., wie, sei hinzugefügt, in Stuttgart-Stammheim. Die Massenmedien im Computerzeitalter entkernen die Worte noch mehr, die faschistische Pervertierung der Worte fortsetzend. Sie verwüsten die Sprache und bereiten damit einen hohen Verlust an Zivilisation, an Originalität vor, eine Wüste, aus der wir nach den genannten Gärten dürsten werden, die Vögel verkünden, um dort schon von ihnen, uns Erdgebundenen überlegen, auch im Gesang, begrüßt zu werden, die sich alle hier bereits eingenistet haben. 7. Als Rousseau den von Julie entworfenen Garten betritt, hörte er den Gesang von tausend Vögeln. Michel Polnareff sagt von seinem Lied ‚Ame Caline‘, dass er es gemäß der Melodie eines Vogels, die er gelauscht hatte, komponiert habe. Es kann sein, dass sich hier eine Elite wider Willen einsiedelt, die man fälschlicherweise als Romantiker ansieht und die ein Geheimnis unter der Erde besitzen sollen, die für alle Menschen gleich ist.

Einem Essay, der Lieblingsgattung Montaingnes und Bacons, fehlt Stringenz und dieser Mangel tut ihm am Ende wohl. Fortschritt ergibt sich nicht nur aus strenger Wissenschaftlichkeit, sondern auch aus Querdenken. Denken, die stetige Abstraktion, tötet ohnehin, und dann noch die chirurgischen Eingriffe durch die Absatzmarkierungen, die doch dem Kind des Autors, dem Text Gewalt antun, als ob man mit einer Rasierklinge in die Haut eines Kindes ritzt. Texte, die aus Kalkül geschrieben worden sind, können sich nicht als Kunstwerk entfalten, sosehr das bornierte Geldsystem sie als solche anpreist. Es erkannte erst nach dem Tode van Goghs dessen rauschhaftes Werk als Kunst. Dass denken tötet, hatte Lenin einseitig aus dem materialistischen Studium der Hegelschen Logik gezogen, es dabei belassend. Der Idealist Hegel war natürlich weitergegangen, hatte den Geist ins Negative, in den Tod blicken lassen, den er aushalten konnte, und dieses Verweilen war die Zauberkraft, die den Tod bannte, das Negative in das Sein umkehrte. Das Schlimmste, was dem Autor eines Essays passieren kann, ist ein formalistischer Lektor, der mit der Kaltblütigkeit eines routinierten Chefarztes nach kleinster Fehlerhaftigkeit sucht und den Text seziert, wo doch ein Text aus einem Guss geschrieben sein muss. Tötet schon das Denken, so bedeutet eine Unterbrechung beim Niederschreiben eines Textes durch Absatzsuche in der Regel dessen Einschnürung ins Korsett des Formalismus. Auch der bisher wohl stringenteste Denker der Weltgeschichte, der möglichst allumfassenden Präzision, im Gegensatz zum rastlosen Bakunin, der durch ganz Europa hetzte, besonders in Italien und Spanien Anhänger fand, aber seine Texte in der Regel nicht vollendete; diese eiskalte Gestalt Lenin, sage ich, dieser Mönch des Marxismus, wie Eugen Kogon ihn zutreffend genannt hat, erlaubte sich Spaziergänge, auf denen er „lediglich“ rasche Notizen eines Publizisten hinwarf. Auch Kant erlaubte sich mit seiner kleinen Schrift aus dem Jahr 1786 ‚Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte‘ eine „Lustreise“, das ist das eigene Wort des Meisters. Goethe stieg bei seinen Spaziergängen in Italien, durch die er wieder Interesse an der Welt nahm, eine „Grille“ auf, die ‚Grille der Urpflanze‘, die Idee der Urpflanze, und es ist schwer zu eruieren, ob diese der Wissenschaft zuzuschlagen sei oder nicht. Es ist nun mal so, dass strenge wissenschaftliche Betätigung eine gewisse strenge Weltabkehr zur Bedingung hat, eine Lebensphase mit Scheuklappen, auch des Bilderverbots, es sei denn, man schreibt über Kunst, um etwas Besonderes herauszubekommen, was dann danach den Horizont des Allgemeinen und der Allgemeinheit erweitert. Den richtigen Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung zu finden, ist eine nicht ganz unwichtige Aufgabe des Wissenschaftlers. Er kann nach beiden Seiten kippen, in den vulgären Zeitgeist mitschwimmen oder in die selbstzerstörerische Raserei des Workaholics. Auch ganz große Geister brauchen ihre Auszeit. Ein Essay wird nun ohne Scheuklappen geschrieben, in ihm darf auch gegen das Tabu spielerisch mit dem Weltgeist umgegangen werden. Bei seiner Lektüre sollte eine gewisse Heiterkeit aufkommen und zu bedauern sind die Wissenschaftler, die sich so schwer bepackt haben, mit wirklichen objektiven und angeblichen subjektiven Weltproblemen, dass sie nur noch bierernst dozieren und schreiben können, immer hohler in der Abstraktion werdend. Aber in unseren finsteren Zeiten kann die fröhliche Wissenschaft nur eine Ausnahme sein, eine nur kurze Entspannung vielleicht. Es geht um Menschenleben, um das Überleben der Menschheit, die die Atombomben besitzenden Kapitalisten mit ihren Staatsparasiten heute gleich mehrfach auslöschen können. Atombomben sind bereits zum Einsatz gekommen, nicht durch die Hitlerfaschisten, sondern durch die größte und schönste Demokratie aller Länder. Die Flugzeuge, die sie abwarfen, waren aus Gottes eigenem Land gestartet. Man kann also gar nicht übertreiben. Im Feudalismus waren die Juden zwar nicht gleichberechtigt, aber niemand hatte den Gedanken, sie gleich millionenfach um die Ecke zu bringen. Das wurde erst in unserer Epoche mit den entsprechenden technischen Mitteln wirkliche Tatgeschichte. Man kann also gar nicht übertreiben. Der Maler und Workaholic Ernst Ludwig Kirchner malte rastlos bis zur Besessenheit, in den Bergen in den Suizid hinein und er ist dann auch der Künstler, dessen Blick der Essayist sucht. So harmlos wie ein Spaziergang ist ein Essay dann doch nicht, dass nicht das Blut eines abgeschnittenen Ohres auf das vor ihm liegende Blatt spritze. Und ein Rasiermesser auf den Boden fällt, eine Prostituierte das Schnittgut erhält. Das war authentisch, exhibitionistisch wie die Biografie Rousseaus. Der Essayist ist nicht angehalten, gegen den Strom zu schwimmen, wenn er es tut, so können abseits der großen Straße der Weltwissenschaft seltene Blumen der Erkenntnis gepflückt werden. Man möge sich vergegenwärtigen, dass nur Appian sah, worum es in den Kämpfen der römischen Republik ging, nämlich um das Grundeigentum, man möge sich vergegenwärtigen, dass von allen Linkshegelianern nur Ludwig Feuerbach der einzige war, der den Fundamentalfehler seines Meisters entdeckte, man möge sich vergegenwärtigen, dass nur Tschernyschewski der einzig wirkliche große russische Schriftsteller war, der es im 19. Jahrhundert verstand, von den fünfziger Jahren bis 1888 auf dem Niveau eines geschlossenen philosophischen Materialismus zu bleiben, man möge sich vergegenwärtigen, dass Plechanow der einzige Marxist gegen eine kläffende menschewistische Meute war, der philosophisch den dialektischen Materialismus gegen den Revisionismus richtete. Auch im Zeitalter des Imperialismus, im Zeitalter der Massen, gibt es Einzelne, Einzelkämpfer: Liebknecht, Elser …

Einem Essay fehlt Stringenz, mehr oder weniger, und der Leserin und dem Leser wird nach einer wohltuenden Phase der Zerstreuung, der Abschweifung vom Wege, der Ausschau ins Gebirge, in dem Kirchner malte, die Mühe auferlegt, den roten Faden wieder aufzufinden. Ein Essayist nimmt die Leserin und den Leser nicht an die Führhand, noch weniger an die Leine, noch dressiert er sie wie Kant, im Gegenteil, sie sollen sich entfalten in den Oasen duftender Blumen, die aus den Nischen der eklen Monotonie der Alltagsfunktionalität noch wachsen. Während in streng wissenschaftlichen Texten der Verfasser sich auszustreichen hat, etwa in mathematischen, was in den Gesellschaftswissenschaften nicht ganz gelingen kann, in denen das ‚Ich‘ zur Zeit bis zum Auftreten eines Prototypen eines textverfassenden Roboters noch erlaubt ist, so schlägt beim Essay das Pendel in die andere Richtung aus: Der Autor erlaubt sich künstlerische Freiheiten und darf es nur hier. So ist denn jeder Essay wohl auch eine ‚Magical Mystery Tour‘, „hopin‘ to take you away“. Den Deutschen geht die Leichtigkeit eines Voltaire und eines Rousseau ab, ihnen fehlt die Leichtigkeit des ‚savoir vivre‘, sie leben, um zu arbeiten, gehen immer grübelnd auf das Unbedingte, auf den Abgrund zu, auf den tiefen Urgrund in der Theorie, da sind sie ganz gründlich, um umso flacher und schülerhafter wie ein Rekrut in der politischen Praxis aufzuschlagen, die „Nebelkappe tief über Aug‘ und Ohr“ 8. ziehend. Die Deutschen haben alle Praxen der Konterrevolution leidvoll durchgemacht, sind durch sie politisch durch und durch deformiert worden. In Frankreich ging 1789 eine radikale Theorie unmittelbar in politische Praxis über, Theorie schliff sich ab, aber nicht so platt, wie die deutschen Idealisten um Hegel meinten; die Werke von Fourier 9. und Saint-Simon sind auch heute noch wahre Fundgruben für Antibürger und Kosmopoliten, denn die utopischen Sozialisten wenden sich mit ihren Heilsrezepten noch an die ganze Menschheit, nicht exklusiv nur an die Arbeiter und Bauern. Fourier, dessen Theorie in den Umrissen 1799 fertig war und den man nicht mit einem Theoretiker der Arbeiterklasse verwechseln darf, weist mit Vehemenz darauf hin, dass die Philosophie völlig maskulin geprägt sei, nicht versteht, dass die Frauen durch die Zivilisation gezwungen sind, sich zu verstellen, nimmt diese Verstellung für ihren wirklichen Charakterzug, unterscheidet also nicht zwischen Erscheinung und Wesen, spricht von lasterhaften und subalternen Kreaturen und verdammt die Hälfte der menschlichen Gesellschaft zu Unwissenheit und geschichtlicher Bedeutungslosigkeit. In der Tat ist ja die Frucht der Frauengleichheit vom Baum der französischen Revolution nicht gepflückt worden, sie verfaulte. In der Philosophie macht Fourier einen unterirdischen frauenfeindlichen Geist aus, eine geheime Abneigung gegen Frauen herrsche in ihr vor und durch hohle Komplimente werden die Frauen so eingelullt, dass sie sich gar nicht versklavt fühlen. Frauen kommen in der armseligen Philosophie so gut wie nicht vor. Rousseau, ohnehin den Philosophen, den seiner Zeit besonders, nicht zugetan, lässt nur eine kleine Galerie von ausschließlich männlichen Heroen der denkenden Vernunft gelten, die Monumente zum Ruhm des menschlichen Geistes errichten. Diese Genies brauchen in der Wissenschaft einen Anreiz von außen. „Die großen Gelegenheiten schaffen die großen Männer“. 10. So ergibt sich, dass Fourier die Höhe der Zivilisation an die Höhe der Frauenemanzipation bindet, er verkündet die Degradierung Adams. Er wettert gegen die monogame Ehe, in der beide Geschlechter unter der selbst erwünschten Verkettung leiden, und entführt uns in ein Zauberland befreiter Sexualität. Sokrates wurde von einem jungen Mann gefragt, ob er heiraten solle, und Sokrates antwortete dem jungen Mann: ‘Was Du auch tust, Du wirst es bereuen‘. Die Vernichtung der Familie wird im Gegensatz zum Familienkult des fast gleichzeitig wirkenden Étienne Cabet vehement vertreten, was auch Marx auf die Fahne der vierten Feuerbachthese geschrieben hatte. Marx war Atheist, Feind der bürgerlichen Familie, bei Fourier wächst nun schillernd alles durcheinander, in seinem erotischen und sexuellen Zauberland bereiten Priester Gottes die Orgien vor und Minister führen die Etikette beim Gangbang, eine Sexvariante, die heute erst in den Hinterzimmern der Subkultur praktiziert wird, so sehr steckt das Mittelalter und der alte Luther, die alte Monogamie noch in den Knochen von Weiblein und Männlein. Es ist in der bürgerlichen Gesellschaft nun einmal so eingerichtet, dass das Bordell die sexuelle Mode der jeweils nächsten Saison vorgibt. Aber mit seinen Priestern und Ministern ist Fourier hier notwendig reaktionär, er zieht Minister zu Rate, weiß also noch nichts von der Selbsttätigkeit des Proletariats und der proletarischen Frauen; statt an der Organisierung der Proletarier und der Proletarierinnen zu arbeiten, heckt er eine Utopie, ein Reich des Überflusses aus, ein Reich der sexuellen Polygamie und Harmonie, das im strengen Gegensatz zur Zivilisation, wie Fourier seine für ihn verdorbene Gegenwart nennt, steht. Er nennt sein Gegenmodell ‚Harmonie‘, in dem Frauen keine Angst mehr vor Männern und der Sexualität haben werden. Wie Lenin Klaviere und Kaviar für alle versprach, so Fourier für alle ein erfülltes Liebesleben in der ‚Harmonie‘ jenseits von Gut und Böse. Für ihn steht nicht so sehr die Politik der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im Vordergrund, sondern die totale Erfüllung der sexuellen Lust. Fourier schreibt für und gegen de Sade, den er zu einem Moralisten umkippen will. Das Proletariat leidet in den Augen Fouriers und so auch das weibliche Geschlecht, er sieht in beiden aber keine Selbstbewegung. Wie die Aufklärer, insbesondere Kant mit seinem gewagten Modell eines aufgeklärt republikanischen Absolutismus, am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere auch noch der Kommunist Morelly, gesellschaftliches Heil von einem aufgeklärten Monarchen erwarteten, Kant Republikanismus, Morelly eine gerechte Verteilung der vom Volk erarbeiteten Güter; so die utopischen Sozialisten Saint-Simon, Owen und Fourier es von einem Genie, das eines Tages kommen wird, eines Tages kommen muss. So unentwickelt war damals noch der Fundamentalkonflikt Proletariat versus Bourgeoisie, dass das Gewicht der arbeitenden Klasse als Treibkraft der Geschichte noch nicht auffiel. Dabei springt beim Lesen der ‚Geschichte der KPdSU (B)‘ in die Augen, wie sehr in diesem Werk doch wieder ein Genie im Mittelpunkt steht: ‚Was wäre aus unserer Revolution geworden, wenn nicht Lenin dies getan hätte‘ … ‚Was wäre aus unserer Revolution geworden, wenn nicht Lenin jenes getan hätte‘ …. Das kommt häufiger vor.

So wunderbar fantastisch und skurril auch Fouriers Gedanken sind, überall kommen geniale Keime des Kommunismus, Keime des Sieges im Kampf um die Aufhebung der Klassen und der Geschlechterungleichheit, zutage. Er verknüpft die Emanzipation der Menschheit mit der der Frauen, und deren Emanzipation bindet er an die Erhebung der Armen. In Diderots blumigen Worten, um einer Frau zu schreiben, müsse man/Mann „seine Feder in einen Regenbogen tauchen und die Schrift mit dem Staub von Schmetterlingsflügel überpudern“, sieht er zu Recht eine Verhöhnung der Frauen, aber er verhöhnt sie auch, subtiler, indem er ihnen keine politischen Aktivitäten zumutet. Die Arbeiterinnen und die Bäuerinnen leiden unter der Zivilisation und haben kein Interesse an ihrer Emanzipation, sie zeigen sich als unfähig, dem Reich der sexuellen Freiheit zuzustreben und verachten jeden Mann, der für sie Partei ergreift. „In Europa hat man das weibliche Geschlecht dermaßen erniedrigt, daß es gar nicht mehr auf die Idee kommt, zu fordern, was ihm zusteht“. 11. Dem ist nicht zu folgen. Es gibt keine reinen Sklavenseelen, denn sonst gäbe es nur Stellvertreterinnen- und Stellvertreterrevolutionen, ein unauslöschlicher Rest von Humanität bleibt immer im unterdrückten Menschen, im in sich zurück gedrängten Knecht übrig, gleich welchen Geschlechts, und aus diesem Rest kann sich eine neue Welt aufrichten. „Aber wie die Herrschaft zeigte, daß ihr Wesen das verkehrte dessen ist, was sie seyn will, so wird wohl auch die Knechtschafft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegentheile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird als in sich zurückgedrängtes Bewußtseyn in sich gehen, und zur wahren Selbständigkeit sich umkehren“. 12. Das augenscheinlich Omnipotente hat nicht genug Omnipotenz in sich, um ewig zu dauern. Nur Faschistinnen und Faschisten haben keine Humanität mehr in sich, es sind hochgradig kriminelle Menschen, die die Welt zerstören wollen und dabei vom bundesrepublikanischen Verfassungsschutz gedeckt werden.

In Deutschland bildete sich eine Phalanx von Philosophen heraus, die die Welt nur verschieden interpretierten, je nach Klassenlage, Klassenhass und Klassenbewusstsein. Diese Wurzeln der verschiedenen Auslegungen wurden allerdings durch deutsche Revolutionäre entdeckt, die das Primat der Praxis betonten, dass es darauf ankäme, die Welt nicht nur verschieden zu interpretieren, sondern sie mit Klassenbewusstsein zu verändern. Die Reifeverzögerung Deutschlands schloss tiefere wissenschaftliche Erkenntnis als Ausnahme nicht aus, während die Masse seiner Gesellschaftswissenschaftler für ihr Gehalt vom Gehalt her primär Mittelmäßiges verkündete. Nach Lenin verdummen die bürgerlichen Universitäten ihre bürgerlichen Studenten, „dressieren“ sie auf den äußeren und inneren Feind 13., was natürlich besonders in den Gesellschaftswissenschaften der Fall ist. Das Primat der Praxis auch als schmerzlicher Lernprozess scheint eine politische Überlegenheit von vornherein anzuzeigen, die aber nur vordergründig sein kann. In religiöser Borniertheit befangene Konterrevolutionäre können außerordentlich gute, mit Fingerspitzengefühl ausgestattete politische Praktiker abgeben, trotz ihres falschen Bewusstseins, Revolutionäre können in praktischer Hinsicht schwach auf der Brust sein und gleichzeitig brillante Theoretiker abgeben. Theorie und Praxis können in der Dialektik von Revolution und Konterrevolution eigentümlich changieren. Luther steht vor uns in seiner sauren Verbissenheit, alle Deutschen in Mönche zu verwandeln, Alexander von Humboldt ging auf die Darstellung des gesamten Kosmos zu, Hegel, milde ausgedrückt, bescheiden auf den Geist der Welt, noch authentischer, radikal auf die Gedanken Gottes vor der Schöpfung der Welt und eines endlichen Wesens, das war es, was den Kommunisten Heinrich Heine an ihm so faszinierte und der von einer aus der tiefen innersten Seele kommenden deutschen Revolution eine Welterschütterung ohnegleichen erwartete, die die französische der leichtfertigen Marianne in den Schatten stellen wird. Heine beim Wort genommen, so wären heute die proletarischen Revolutionssoldaten angehalten, auf einen Zustand in Deutschland hinzuwirken, neben dem sich die Sowjetunion zu Zeiten der Säuberungen Stalins wie ein bigottes Nonnenkloster ausnimmt, auf eine markerschütternde Revolution, in der die Aktivitäten der unterdrückten Massen sprunghaft anwachsen und in der ein radikaler Wechsel der Weltbilder von einem noch radikaleren abgelöst wird. Im blitzartigen Umschlagen brechen alle vorherigen Spekulationen wie Traumbilder im Augenblick des Erwachens zusammen. Alles vor der Revolution Ergrübelte ist ausgelöscht. Carl von Clausewitz ging auf den totalen Krieg aus und Karl Marx auf die Enthüllung der ökonomischen Bewegungsgesetze der modernen und zugleich auf die der vorgeschichtlichen Gesellschaft. 14. Dieses Letzte tangiert das Thema, dem wir uns nun zuzuwenden haben.

Der wissenschaftliche Sozialismus zeichnet sich durch eine klare Begründung seiner dialektisch auseinander hervorgehenden Thesen und Lehrsätze als Reflexe von Klassenkämpfen aus und seiner fundierten und fasslichen Anleitungen zum revolutionären Handeln im Klassenkampf vor den Proletariern aller Länder. Er scheint auf einem festen Fundament zu stehen. Im letzten Brief Lenins an das ZK der russischen Arbeiterpartei (SDAPR) kurz vor der Oktoberrevolution, der konkrete Anweisungen zum bewaffneten Aufstand in Petrograd enthielt, steht der bemerkenswerte Satz: ‚Wir sind eine Partei, die ihren Weg genau kennt‘. Und doch lautete das Lebensmotto von Marx: ‚An allem ist zu zweifeln‘. Wer sich mit dem Marxismus auseinandersetzt, steuert nicht dem ruhigen Kap der guten Hoffnung zu, sondern dem rauen Kap Hoorn. Man darf einen essentiellen Gehalt des dialektischen Materialismus nicht übersehen, seine Erkenntnis gegen den Idealismus, dass das menschliche Denken nicht konstitutiv, sondern relativ, dass es, auch als wissenschaftliches, ein Moment im Entwicklungsprozess der Materie, ein Moment im praktisch-gesellschaftlichen Lebensprozess der naturgeschichtlich und gesellschaftlich tätigen Menschen, ein Moment in der Entwicklungsgeschichte der Geschichte resp. der Entwicklungsgeschichte der Produktion ist. Ganz rudimentär fangen Marx und Engels in der ‚Deutschen Ideologie‘ gegen die voraussetzungslosen Deutschen mit der Fundamentalbedingung geschichtlichen Werdens, resp. des werdenden Menschen an: „vor Allem Essen und Trinken, Wohnung, Kleidung und noch einiges Andere … Die erste geschichtliche Tat ist also die Erzeugung der Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse, die Produktion des materiellen Lebens selbst“ 15., um nach drei weiteren Bedingungen als fünftes Moment „jetzt erst“ das menschliche Bewusstsein anzuführen. Dagegen war der Geist und sein Bewusstsein für Hegel „wesentlich aktiv“, wie Hegel es noch schrieb: „producirend“, der Demiurg der Welt. So kam das Gerede vom Weltgeist auf. Das war dann das Dilemma, vor dem der junge Marx stand, der Idealismus in Gestalt Hegels war wesentlich aktiv, betonte die ‚thätige Seite‘, der Materialismus in Gestalt Feuerbachs fasste die Wirklichkeit nur unter der Form des Objektes auf, nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit. Feuerbachs Anthropologie bleibt zum Beispiel rein subjektiv; Objektivität als Gesamtzusammenhang gestaltet sich erst aus der Negation der Negation heraus. Wissenschaftsgeschichtlich erfolgt nicht einfach der Übergang vom mechanischen Materialismus, der so weit ging, den Menschen als Maschine zu deuten, zum dialektischen (der Mensch ist „das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“, zugleich das geselligste aller Tiere, das in jedem Klima leben kann, in der ‚Deutschen Ideologie‘ werden die Philosophen als ‚Opfer der Gesellschaft‘ bezeichnet), dazwischen schob sich noch der anthropologische Materialismus Feuerbachs, der ahistorisch vom Menschen schlechthin ausging. Der Mensch, der Mensch, und immer wieder die Liebe, die Liebe, das Ich und Du. Was bei Hegel bereits weltgeschichtliche Substanz war, die der Volksgeister, wird von Feuerbach personalisierend reduziert. Am ‚Schlechthin‘ verhakt sich die Wissenschaft auf ihrem Weg zum Gipfel der Dialektik. Jede ‚Demokratie schlechthin‘, jede ‚reine Demokratie‘ der Kautskys erweist sich als Klassendemokratie. Adorno hebt in der ‚Negativen Dialektik‘ Marxens Misstrauen gegen alle Anthropologie hervor und in der Tat haben die Feuerbachthesen jeglichen Anthropologismus überwunden. Schon in der ‚Heiligen Familie‘ ist zu lesen, dass man die Macht der Natur des Menschen nicht an der Macht des einzelnen Individuums, sondern an der Macht der Gesellschaft zu messen hat. 16. Versetzen wir einmal gedanklich zwei eineiige Zwillinge in verschiedene Gesellschaftsformationen. Ein Zwilling wird im Feudalismus ein Kardinal, seine zweite Hälfte im Kapitalismus ein erfolgloser Hungerkünstler. Die Gene bedeuten nichts, die Umstände, in die man hineingeboren wird, alles. Nicht auszugehen ist von den einzelnen Menschen, von dem flackernden Wimmeln der Monaden, sondern von der ökonomisch gegebenen Gesellschaftsperiode, nicht zu trennen ist die Geschichte des Menschen von der Natur - und der Technik/Industriegeschichte. Die Gesellschaft ist mehr als die Summe ihrer Mitglieder, in den ‚Grundrissen‘ weist Marx auf die Beziehungen untereinander und auf die Verhältnisse hin, in denen die Menschen zueinanderstehen. Im Arbeitsprozess der Menschheit vermittelt sich Natur mit sich selbst. Das technisch-rationale Können und die kreative Kunst der Menschheit ist am Ende wieder Natur. Die Geschichte der bloßen Natur beinhaltet nicht die Natur der Geschichte, da in ihr die Menschen mit Bewusstsein handeln. Je mehr sich die Materialisten an den Naturwissenschaften orientierten, desto mehr hätten sie das gesellschaftliche Wesen des Menschen betonen müssen, das unterblieb, auch bei Feuerbach. Die 48er Revolution zwang diesen halben Materialismus, „… rückwärts stimme ich dem Materialismus bei, aber nicht vorwärts“ 17., Farbe zu bekennen, und da zeigte es sich, dass man mit Hilfe der Philosophie Feuerbachs diese Revolution nicht begreifen konnte. Mit dem ‚Menschen schlechthin‘, dem Privateigentum wesensmäßig zugeschlagen wird, eröffnet sich einem nicht die authentische Szenenabfolge einer Revolution. Während die Szene beherrscht wurde von Soldaten der Revolution und der Konterrevolution, die sich auf Leben und Tod gegenüberstanden, hielt Feuerbach, der sich als Kommunist verstand, in Heidelberg Vorlesungen über das Wesen der Religion; die atheistische Commune war aber nicht das Kernziel der 48er Revolution, die zeitgleich mit dem kalifornischen Goldrausch, in dem viel mehr Pfeffer im Hasen lag als in der Frankfurter Paulskirche, ausbrach (der Rausch endete 1854); so wichtig es auch war, die Axt an diese mittelalterliche Wurzel zu legen. Feuerbachs größte philosophische Leistung liegt auf dem Gebiet der Religionskritik, er vertritt einen Erkenntnisoptimismus, während jede Religion in agnostischer Passivität verharrt. Der Derwisch versucht durch einen Taumel im Dhikr Kontakt zu Allah aufzunehmen, also wie ein Idiot. Auch griff Feuerbach zur Feder gegen den alternden Schelling, der anfing, sich dem Obskurantismus zuzuwenden. Der junge Marx, der die philosophischen Leistungen des jungen Schelling würdigte, hatte die französischen Materialisten studiert, Feuerbachs Schriften und Hegels Hauptwerke, die Phänomenologie und die Logik. Es wäre eine Thematik für sich, einmal in den ‚Thesen über Feuerbach‘ die Kritik an diesen philosophischen Fundamentalströmungen zu eruieren, schon in der ersten Feuerbachthese sind ja bereits alle präsent. Man kann sich nicht ohne philosophiehistorische Vorkenntnisse an die Thesen setzen. Auch ist es ja gang und gäbe, das Feuerbachkapitel in der ‚Deutschen Ideologie‘ zu lesen, ohne jemals eine Zeile von Feuerbach im Original gelesen zu haben. Aber das geht in Ordnung, denn das Ziel der proletarischen Revolution ist die völlige Vernichtung der Bourgeoisie, und dazu hat sich der revolutionäre Instinkt schon den wichtigen Text herausgesucht, die Polemiken gegen Sankt Bruno und Sankt Max sind ohnehin nur etwas für Spezialisten. Um einen Bankier vom Pferd zu reißen, ist dieses Wissen nicht erforderlich, wenn der Staat anfängt, allmählich abzusterben, kann man sich immer noch historisch mit Bruno Bauer, Max Stirner, Karl Grün und Dr. Kuhlmann befassen. Marx bewirkte eine Revolution in der Wissenschaftsgeschichte nicht nur durch die Einführung der Praxis menschlich-gesellschaftlicher Tätigkeit, sondern durch die Einführung der Praxis menschlich-revolutionärer Tätigkeit in die Gesellschaftswissenschaften. Für diese Revolution stehen die Feuerbachthesen, sie sind im aufrechten Gang des werdenden Menschen gar nicht hoch genug einzuschätzen. Wir müssen die immer rasanter werdende Welt verändern, bevor sie uns verändert. „Bisher hatten die Philosophen die Auflösung aller Rätsel in ihrem Pulte liegen, und die dumme exoterische Welt hatte nur das Maul aufzusperren, damit ihr die gebratenen Tauben der absoluten Wissenschaft in den Mund flogen“. 18. In der Formulierung ‚die gebratenen Tauben der absoluten Wissenschaft‘, die man sich merken muss, steckt ein ganzes weltanschauliches Konzept, auch klingt an, dass der bewusste Eigenanteil der Volksmassen in (und an) der Geschichte immer größer wird und dass auch die Philosophen von ihnen zu lernen haben. Politiker, die es heute nicht verstehen, den Anforderungen der Massen zu entsprechen, können sich nicht lange halten und versuchen durch Massenbetrug hohler Versprechungen länger oben zu bleiben. Die Philosophen sind bisher immer Spielbälle fremder Mächte gewesen, die sie nicht bis in ihre hintersten Winkel durchschaut hatten. Im Kontext des Marxismus ist es der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis, dessen Analyse den Schleier lüftet und den Talisman zertritt. Der Geldfetisch und der Kapitalfetisch folgen hier nur aus der Tatsache, dass eine Ware erst Ware durch eine andere wird und sich durch diese Beziehung, die multikomplex betrachtet werden muss, Gebrauchswert ohne mystischen Charakter– Tauschwert (mit „Grillen“) – Wertausdruck (eine Ware kann ihren Wert nur in einer anderen ausdrücken), ein übersinnlicher Zusammenhang ergibt. Das lag im Dunkeln, weil die bürgerlichen Ökonomen nur ein Verhältnis zwischen Dingen (Austausch von Ware gegen Ware) sahen. Ihnen entging, dass es menschliche Verhältnisse waren, die unter einer dinglichen Hülle versteckt lagen und das wurde nach langen und anstrengenden Forschungen aufgedeckt. Die Feuerbachthesen, die eine weitgehende Entwertung bisherigen Philosophierens beinhalten, und die Analyse des Fetischcharakters der Ware, durch die die Verhältnisse des praktischen „Werkeltagslebens“ in der Produktion und Zirkulation auf durchsichtig vernünftige Beziehungen der Menschen ausgerichtet werden, die dann als Atheisten wissen, was sie tun, sind in weltanschaulicher, nicht in ökonomischer Hinsicht die Filetstücke des Marxismus. Schon Hegel hatte in der ‚Phänomenologie‘ richtig bemerkt, dass der theoretische Sieg der Vernunft der Aufklärung, dass der theoretische Sieg des Wissens über den Glauben, nicht entscheidend ist. Dieser kann sich in sich selbst zurückziehen und braucht die Prämissen einer vermeintlich wissenschaftlichen Weltanschauung nicht anzuerkennen. Mit ihrer Priestertrugstheorie war die Aufklärung ohnehin mit dem falschen Bein aufgestanden. Die Religion stellt keine Verschwörung dar, die man als Verschwörung unterdrücken kann.

Arbeit (auf der Basis natürlichen Reichtums) und anti-bürgerliche Revolution sind die wuchtigen Hämmer, mit denen Marx gegen die bürgerliche Wissenschaftsgeschichte zuschlug, in der die Enzyklopädisten schon die Bedeutung der Werkzeuge gegenüber der Bodenhaftigkeit der Physiokraten betont hatten. Grob, fasslich, plastisch, auch gewiss unzulänglich formuliert wie jede Faustregel: Marx setzte an die Stelle des idealistischen Geistes die materialistisch gefasste Arbeit, die er nicht ohne den Zusammenhang mit dem Privateigentum an Arbeitsmitteln verfolgte. Hegel hatte eine Lehre von der Selbstproduktion des Geistes als Selbstproduktion der Welt in eins entwickelt. Die Weltgeschichte ist ein Prozess, in dem sich die Menschheit durch ihre eigene theoretische Arbeit hervorbringt – für Hegel; durch ihre eigene praktische Arbeit – für Marx. Der Geist Hegels zeugt, spiegelt nicht nur wie im Haus der marxistischen Materialisten wider, in dem Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt wurde, will sagen: Die Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft ist die Geschichte ihrer Produktionsweisen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Freiheit sei bei Hegel besser aufgehoben als im Hause Marx, aber die dialektische Methode Hegels sanktionierte das deutsche Volk in die Diktatur des preußischen Königs seiner Zeit, die dialektische Methode von Marx tut den Völkern den Kommunismus, die mit ihrer Wurzel der bürgerlichen Gesellschaft abgestorbene Demokratie auf. Die arbeitenden Menschen werden eines Tages ohne demokratisch-republikanisches Staatswesen auskommen. Die Gesellschaftswissenschaft ist heute ein Tropfen in einem Ozean aus Dummheit und Perversion. Auf diesen Tropfen kommt es an, nur in ihm findet eine positive Entwicklung statt, während sich im Ozean des Imperialismus die Haifische des Völkermords tummeln. Marx lehrte uns, dass Demokratie nicht Freiheit und Gewaltfreiheit bedeutet, sondern Sklaverei, dass die allerdemokratischste bürgerliche Republik die Lohnsklaverei nicht aufhebt, sondern geschickt vorteilhaft für die parasitäre Bourgeoisie verhüllt. Diese Republik der blühenden Lohnsklaverei war fortschrittlich gewesen; ihr reaktionärer Charakter tritt mehr und mehr hervor, je mehr die Lohnsklavinnen und Lohnsklaven sich marxistisch-politisch entwickeln, je mehr es ihnen klar bewusst wird, dass sich unter der politischen Hülle, dem mittlerweile reaktionären Gefasel von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, ein Unterschied zwischen den Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft in ihrem Verhältnis zu den Produktionsmitteln auftut.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, die antike Sklaverei war ein herber, schrecklicher, furchteinflößender Rückschlag in der Geschichte der menschlichen Emanzipation gewesen, zumal der Sklave von seinem Herren getötet werden konnte wie ein Stück Vieh - Friedrich Engels sieht das anders, denn die Arbeitsteilung zwischen Ackerbau, der die künstliche Bewässerung zur Folge hatte, und Industrie verdankt die arbeitende Menschheit der antiken Sklaverei, auf der das Griechentum, die Blüte der alten Welt basierte. „Ohne Sklaverei kein griechischer Staat, keine griechische Kunst und Wissenschaft; ohne Sklaverei kein Römerreich. Ohne die Grundlage des Griechentums und des Römerreichs aber auch kein modernes Europa. Wir sollten nie vergessen, dass unsere ganze ökonomische, politische und intellektuelle Entwicklung einen Zustand zur Voraussetzung hat, in dem die Sklaverei ebenso notwendig wie allgemein anerkannt war. In diesem Sinne sind wir berechtigt zu sagen: Ohne antike Sklaverei kein moderner Sozialismus … Es ist sehr wohlfeil, über Sklaverei und dergleichen in allgemeinen Redensarten loszuziehen und einen hohen sittlichen Zorn über dergleichen Schändlichkeit auszugießen. Leider spricht man damit weiter nichts aus als das, was jedermann weiß, nämlich dass diese antiken Einrichtungen unsern heutigen Zuständen und unsern durch diese Zustände bestimmten Gefühlen nicht mehr entsprechen. Wir erfahren damit aber kein Wort darüber, wie diese Einrichtungen entstanden sind, warum sie bestanden und welche Rolle sie in der Geschichte gespielt haben. Und wenn wir hierauf eingehen, so müssen wir sagen, so widerspruchsvoll und so ketzerisch das auch klingen mag, dass die Einführung der Sklaverei unter den damaligen Umständen ein großer Fortschritt war“. 19. Also: Ohne antike Sklaverei kein moderner Sozialismus, so sehr auch bürgerliche Propagandisten manchmal soweit ausfallend sind, den modernen Sozialismus antiker Sklaverei gleichzusetzen. Die Versklavung gehört zum aufrechten Gang. Wie die antike Sklaverei fortschrittlich war, so war ja auch das Mittelalter keine Unterbrechung der Geschichte durch tausendjährige allgemeine Barbarei, wie lange angenommen worden war, sondern es fiel in diese Zeit die Erweiterung des europäischen Kulturgebietes, die Herausbildung lebensfähiger großer Nationen und auch bemerkenswerte technische Fortschritte waren zu verzeichnen. 20. Das Töten Untergebener hört im mittelalterlichen Feudalismus auf und der leibeigene Bauer ist sogar ein minimaler Bodenbesitzer. Die Ausbeutung ist jedoch fast ebenso grausam wie unter der Sklaverei. Endlich kann im Kapitalismus der einzelne Arbeiter dem einzelnen Kapitalisten davonlaufen, nicht aber der Kapitalistenklasse.

Die Natur ist zunächst unmittelbar da, ohne Zutun des Menschen, er geht noch nicht aufrecht, um sie effektiv zu bearbeiten, d. h. einen Stock als Vorform eines Werkzeuges zwischen sich und ihr zu schieben, die Hand ist noch nicht frei und wird dies erst durch den aufrechten Gang, durch den sich die Hand entfalten kann und immer mehr Fähigkeiten entwickelt, die sich und das Gehirn reziprok weiterentwickeln. Der Gebrauch der Hände, anfangs von der Natur vorgegeben, sich ihr anpassend, nach unserer entwickelten Sichtweise gewiss noch ungeschickt, hat nach dem Gesetz der Korrelation des Wachstums, wie Darwin es nannte, das Gehirn weiterentwickelt bis zur künstlichen, für den Einzelnen unübersehbaren Zergliederung und mannigfachen Umgestaltung der Außenwelt, der auch von Verlusten begleiteten verlängerten Vervielfältigung der Vielfalt der Natur, durch die sich die ideellen vorgedachten Gestalten des Gehirns objektive Konturen und relativen festen Bestand gegeben haben. Die menschliche Hand allein kann die Natur ebenso wenig beherrschen wie das Gehirn allein. Ein Mensch, dem man die Führhand amputiert hat, ist zumindest ein Halbsklave der Natur, aber er kann durch die andere Hand noch lernen. Die ideellen Konturen, selbst wenn sie notiert worden sind, von der Meisterhand da Vincis zum Beispiel, verlöschen in der Zeit wie die Produkte der Hand durch den ewigen Schauer der alles verschlingenden Weltgeschichte. Wir brauchen uns nicht einzubilden, dass späteren Generationen die großen, zivilisatorischen Leistungen unseres Jahrhunderts noch präsent sein werden, alles schleift sich mit der Zeit ab, alles lebt in sich selbst, alles verwittert dann. Schon heute hat die Leere des Massenkonsums die Landung auf Mond fast verschluckt, dem Schritt die Brisanz genommen und es chronologisch eingenordet. Das Goutieren dieses Ereignisses wird verwässert durch das Gerücht einer Hollywoodinszenierung. Atemberaubende und bewundernswerte Meilensteine der Zivilisation werden heute aus einem innerlich hohlen, von der kapitalistischen Werbung, die das Alte zu entwerten hat, hervorgebrachten Überlegenheitsbewusstsein heraus bereits der Lächerlichkeit preisgegeben. Wir können Geschichte nicht mehr schmecken, ihre Kette ist zerrissen und ihre Glasperlen stecken im Morast der primitiven Gegenwart fest. So hat die Hippie-Kultur den Sieg davongetragen. Ihre Devise: ‚Let’s live for today‘, ist zum Credo der Zeit geworden, der zivilisierte Mensch des 21. Jahrhunderts schaut nicht nach hinten und nicht nach vorne, gegenwartsfixiert soll er im ‚Hier und Jetzt‘ taumeln --- kaufen, kaufen, kaufen!!! Wenn er den Supermarkt betritt, kann er den Song der kalifornischen Band ‚Grassroots‘ hören und in der ‚Frankfurter Allgemeinen‘ wird die neueste CD von Bob Dylan besprochen und der Kompilator Warhol als Künstler geführt. Überhaupt muss Kunst heute eine gewisse Reifeverzögerung ausdrücken. Die ganze Popkultur hat der internationalen Konterrevolution, die sich mit einer Kultur à la Elvis Presley zufriedengibt, einen mächtigen Auftrieb gegeben und geholfen, den aufrechten Gang vorerst zu knicken. Der Auftritt der ‚Stones‘ in Havanna verspricht nichts Gutes für das Land, dessen revisionistische politische Führung es fast masochistisch als Beute der internationalen Konterrevolution zurechtlegt. Aber ich merke, wie ich vom Thema abweiche und in eine Sackgasse hineingerate. Es gilt jetzt, aus der subjektiven und objektiven Sackgasse herauszukommen und wir fahren fort mit Friedrich Engels. Die freie Hand, für Friedrich Engels „nicht nur das Organ der Arbeit, sie ist auch ihr Produkt“ 21. Gibt der menschlichen Kreativität, der Entwicklung seines Gehirns und damit der Horizonterweiterung, der Naturbeherrschung, der Zusammenarbeit und damit der Ausbildung der Kommunikation und endlich der Sprache einen ungeheuren Auftrieb. „Arbeit zuerst, nach und nach mit ihr die Sprache – das sind die beiden wesentlichsten Antriebe, unter deren Einfluß das Gehirn eines Affen in das bei aller Ähnlichkeit weit größere und vollkommenere eines Menschen allmählich übergegangen ist“. 22. In der Arbeit liegt also der Schlüssel und in ihrer Spaltung in geistige und körperliche zunächst die Unterwerfung der letzten unter die erste. Wie konnte das geschehen? Die Erklärung ist einfach: Der traurigste Irrweg des menschlichen Geistes ist die Ausformung einer Religion, die fürwahr das „phantastische Spiegelbild der menschlichen Dinge im menschlichen Kopf“ 23. abgibt. Und doch verlangten die faulen Pfaffen für diesen Irrsinn jahrhundertelang erfolgreich, unterbrochen von Bauernrevolten, den Zehnten von den arbeitssamen Bauernvölkern. Diese erstarrten in Ehrfurcht vor den phantastischen Gebilden des menschlichen Geistes und fühlten sich minderwertig durch die bescheideneren Erzeugnisse ihrer fleißigen Hände. Im 12. Jahrhundert heißt es im ‚Mönchsspiegel‘, dass die geistlichen Übungen nicht wegen der körperlichen da seien, sondern umgekehrt, die körperlichen sind wegen der geistlichen da. So war das Abhängigkeitsverhältnis und es existiert bis in unsre Tage. Die Natur gab dem Menschen bloß Hände, heißt es bei Kant, weder die Hörner des Stiers noch die Klauen des Löwen. 24. Aus dieser tiefen Ehrfurcht und durch diese fleißigen Hände sind in gotischer Himmelsstürmerei die atemberaubend phantastischen Kathedralen des finsteren Mittelalters entstanden als Fortsetzung des göttlichen Schöpfungsaktes in Kunstform, und selbst heute darf der Generalstab der proletarischen Revolution die religiöse Inbrunst nicht unterschätzen, die die Soldaten der Konterrevolution beseelt. Ein von Pfaffen verwahrloster Mensch kann aus einem Versinken in die Bibel immense Kräfte freisetzen. Soldaten marschieren wie Marionetten auf, aber kriegsentscheidend ist, was sich in ihrem Innern abspielt. Nicht die Stärke der Waffen entscheidet über Sieg und Niederlage in einem Krieg, sondern die Gehirne. Man muss in das Denken der Soldaten eingreifen können und es in eine ganz bestimmte Richtung lenken, eine Fähigkeit, die der Poet und Militärphilosoph Mao Tse-tung fast bis zur Meisterschaft beherrschte. Die Bedeutung der Propaganda, die Soldaten des Feindes zum Anti-Denken umzuerziehen, sie umzudrehen, dem das Umdrehen der Gewehre folgen soll, hat in der Epoche des Imperialismus immens zugenommen, in der heutigen digitalen Weltvernetzung umso mehr. Es ist eine extremschwierige Sache, den entscheidenden Nerv zu treffen, um Denkprozesse in Bewegung zu setzen, die aus ihrer inneren Logik heraus zu sozialistischen Schlussfolgerungen führen. Was einerseits positiv ist, man hat es mit einfachen Soldaten aus dem Volk zu tun, die aber auch mental eindimensional abgerichtet worden sind, was andererseits negativ ist, gepanzert gegen Einflüsterungen. So hat man es im Militärischen auch immer mit einem Abwägen von Plus und Minus zu tun. Man müsste Papageien abrichten, im Gegensatz zu Soldaten Meister der Luftlinie, die ihnen auf ihren Märschen Propagandareden halten.

Die die Arbeit planenden Kopfarbeiter konnten schon auf einer sehr frühen Entwicklungsstufe der Gesellschaft die geplante Arbeit durch andere Hände ausführen lassen, eine Trennung, die zunächst eine große geschichtliche Berechtigung hatte. So reklamierten die Kopfarbeiter ihren Beitrag zur Entwicklung der Zivilisation als den einzig essentiellen. 25. Das wurde Allgemeingut, und diese irrige Auffassung dient noch heute der Ausbeutung der Handarbeiter durch die Kopfarbeiter, die lieber in der Distribution die Fäden ziehen als in der Produktion Werte zu schaffen. Dem Adel war es untersagt, überhaupt handwerklich tätig zu werden, seine Domänen waren der Krieg, das Raubrittertum und das Vergnügen. Morden, Stehlen, Huren, Balgen - hieß für ihn nur Zeitvertreib. Auch der geistliche Stand war schwerer körperlicher Arbeit nicht zugewandt, mit Ausnahme von kleineren Tätigkeiten im Klostergarten. Die einseitige Ausrichtung auf bloße Kopfarbeit war einer der Gründe für den Verfall in Dekadenz und der Unterlegenheit gegenüber dem aufkommenden und umtriebigen Bürgertum der Städte. Dieses war rührig und bildete gegen die bis dahin die Ökonomie dominierende Landwirtschaft ein anderes Arbeitsmilieu heraus, das sich vom Idiotismus des Landlebens absetzte. ‚Stadtluft macht frei‘ geisterte durch die Köpfe der geschundenen Bauern, ‚macht freier‘ wäre richtig gewesen, in der Stadt lauerten bereits Elemente, die im Keim Industrieoffiziere waren und nach billigem Soldatenmaterial Ausschau hielten, nach Anhängseln für Industriemaschinen, von denen nur einfache Handgriffe verlangt wurden. Sie werden in der Stadt weder Handwerker noch Künstler sein. 26. Ein anderer Arbeitsrhythmus war angesagt, Geld und Zeit gingen in der Stadt eine Ehe ein: ‚Time is money‘; während der Pfaffe sich in der mittelalterlichen Landwirtschaft durch die vielen arbeitsfreien religiösen Feiertage selbst ein Bein stellte. Psychologisch betrachtet waren die in lateinischer Sprache abgehaltenen Gottesdienste, denen die Bauern geistig nicht folgen konnten, aber wichtig. Zur marxistischen Aufklärungsarbeit gehört der Nachweis, dass das menschliche Produzieren nicht aus dem menschlichen Denken zu erklären ist, sondern aus den menschlichen Bedürfnissen. Der Idealismus basiert auf diesem Irrtum, auf dieser Verwechslung von Denken und Bedürfnissen in der Frage des Grundmotivs menschlicher Tätigkeit. Dieser Irrtum hat sich jahrhundertelang, vornehmlich seit dem Untergang der antiken Welt, im menschlichen Denken eingenistet und der Pfaffenbrut Hoheit über Gefühle und Gedanken verschafft. Sie faltet schon Kindern die Händchen und lässt sie ihnen unverständliche Gebete stammeln, klebt den Kindern ein religiöses Etikett an die Backe und ein Feigenblatt vor den Genitalbereich, auf dass weitere Zwangsjacken folgen, hat eine Nacht als die Nacht der Nächte auserkoren, in der Erwachsene zeigen, wie infantil sie ohne wissenschaftlichen Reifeprozess geblieben sind. Auch der Buddhismus und der Islam kennen eine heilige Nacht, im ersteren ist es die Nacht der Erleuchtung des Buddha Gautama, dem in jener Nacht am Ufer des Flusses Neiranja durch die Sonne des Wissens der Strom der Begierde ausgetrocknet worden war. Das ist eine scholastische Austrocknung der Sonne der Natur, die doch vielfältigstes, pralles Leben voll mit Tausenden Begierden spendet, ein Verglimmen, das anzeigt, dass die Umsetzung von Theorie in Praxis im Prozess der Naturbeherrschung noch zu oft scheitert, man in das einigermaßen sichere in sich kreisende Wissen zurückkriecht. Im Islam ist es die Nacht der göttlichen Vollmacht (lailat al kadr), welche am 27. Ramadan gefeiert wird. Es war die Nacht der Wortoffenbarung Allahs, die Mohamed vernimmt, indem er den Koran empfängt. Der Islam ist die Religion der Buchgläubigkeit im eigentlichen Sinn. In der heiligen Nacht des Christentums wird ein männliches Kind ohne vorherige Befruchtung geboren, ohne Zweifel ist das Christentum von allen Weltreligionen die skurrilste und infantilste. Am sogenannten Heiligen Abend versammelt sich ein Menschenkehricht in den Tempeln, der sich aus Angst vor dem wissenschaftlichen Sozialismus und vor der proletarischen Revolution in die Windeln pinkelt und in die Hose macht. 27. In unseren Breitengraden dient die christliche Schafsreligion heute vornehmlich als eine Art geistiger Fusel, in dem der Lohnsklave sein Sklavendasein hier auf Erden dadurch betäuben soll, dass ihm die Seligkeit und das Paradies im Himmel versprochen wird. Wenn der Lohnsklave die Flasche und die Bibel aus der Hand legt und zu einem Buch von Lenin greift, wird sich das Pfaffenpack bald in den Arbeitslagern der proletarischen Diktatur wiederfinden. So sehr hat sich der idealistische Irrtum eingenistet, „daß selbst die materialistischsten Naturforscher der Darwinschen Schule sich noch keine klare Vorstellung von der Entstehung des Menschen machen können, weil sie unter jenem ideologischen Einfluß die Rolle nicht erkennen, die die Arbeit dabei gespielt hat“. 28. Die Schlüsselbedeutung der Arbeit wird nicht erkannt, weil idealistische Ideologie bis in unsere Tage die Klärung des Verhältnisses von geistiger und körperlicher Arbeit zugunsten der Unterdrückung der körperlich arbeitenden Menschen beeinträchtigt und die Aufklärung über dieses Verhältnis verdunkelt. Es sei hier noch bemerkt, dass neben den Darwinisten, deren Stammvater 1859 der Durchbruch gelang 29., selbst ein so materialistisch denkender Kopf wie Alexander Herzen die fundamentale Bedeutung der Arbeit im menschlichen Emanzipationsprozess nicht verstanden hatte. Es ließen sich viele weitere Namen anfügen. Wir wissen heute, dass Kant in seiner ‚Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels‘, die er 1755 verfasste und anonym veröffentlichte, Recht hatte, als er unser Sonnensystem als vergängliches, ab einem gewissen Zeitpunkt absterbendes deklarierte. Schon lange vor den Grünen, diesen verzärtelten Liebhabern von Gottes Natur, diesen brutalen Befürwortern der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, hatte Lamarck 1820 in seinem ‚Système analytique‘ die Auffassung vertreten, dass der Mensch durch die von ihm verursachten Umweltschäden dazu bestimmt sei, sich selbst auszurotten. Überhaupt ist es Lamarck, der 1809 in seiner ‚Philosophie zoologique‘ Veränderungen der Organismen in der Pflanzen- und Tierwelt direkt von Umweltfaktoren ableitet. Ist nicht nüchtern die Frage zu stellen, ob nicht alle Arten dazu bestimmt sind, eines Tages auszusterben? Der US- amerikanische Physiker Michio Kaku spricht von 99 Prozent, deren Schicksal es sein wird, auszusterben. 30. Das kontrastiert zu sämtlichen Gedanken Condorcets, ja der Aufklärung insgesamt. Wir können also sagen: Alle positiven und sogenannten fortschrittlichen Bemühungen der Menschheit werden in Fruchtlosigkeit verenden. Der Himmel des Humanismus hängt voller Geigen: Der Grund und Sinn der Geschichte der Menschen ist ihr Menschlich- Werden in dieser – eine Sinnstiftung, die ins Leere geht. Bertrand Russell hat diese abgrundtiefe Düsternis so ausgedrückt: „Alle Hingabe, Inspiration, alle mittägliche Helle des menschlichen Genies sind im weiten Tod des Sonnensystems zum Untergang verurteilt“ - und was machen wir? Hat Kant seine Vorlesungen abgebrochen? Ist der Welschmann Lamarck Alkoholiker geworden? Wir denken einerseits nicht depressiv nach über die Vergänglichkeit der Welt und leben andererseits nicht hedonistisch nach dem Motto ‚Nach uns die Sintflut!‘, nur die Ultraperversen unter dem kapitalistischen Ausbeuterabschaum, wie etwa die Rolling Stones, tun dies, sondern arbeiten weiter, wir verdrängen es, verbannen die Friedhöfe weg von den zentral gelegenen Kirchen an den Stadtrand, weil unsere Bedürfnisse uns dazu zwingen, zu arbeiten, solange wir als Naturwesen in diesem System und von seinen Sonnen leben und streben sogar die kommunistische Krönung der menschlichen Emanzipationsgeschichte an, in der Arbeit nicht mehr in ihren Kult sich steigern kann, eine Krönung, die sich als vergänglich erweisen wird. Die Arbeit erhält Leben und verdrängt den Tod gerade in ihrer Negativität, Arbeit ist ja auch immer ein relatives Verneinen der Natur, eine Umformung nach dem Maßstab der menschlichen Bedürfnisse. Natürlich liegt bei Kant ein Korrespondenzverhältnis zwischen dem kosmologischen Nihilismus, der zuerst vorlag, und dem von Hume bewirkten erkenntnistheoretischen vor. Die Menschheit arbeitet sich weiter in sich fort, gegen ihre barbarische Nabelschnur, nur Kleist kam nicht darüber hinweg. „Der Gedanke, daß wir hienieden von der Wahrheit nichts, gar nichts wissen, daß das, was wie hier Wahrheit nennen, nach dem Tode ganz anders heißt, und daß folglich das Bestreben ganz vergeblich und fruchtlos ist, dieser Gedanke hat mich in dem Heiligtum meiner Seele erschüttert“. 31. Kleist sah ein, dass der Tod der absolute Meister ist und zog aus dieser Einsicht eine logische, auch rational nachvollziehbare Konsequenz. Man mag den uns begleitenden und kaum bemerkten Nihilismus als die Kehrseite des wissenschaftlichen Sozialismus betrachten, der Sozialismus, der uns faktenmäßig bindet. Nur die Utopisten bauen ihre fantastischen Systeme des glücklichen Zusammenlebens auf Erden auf dem Fundament der Ewigkeit. Ein einzelnes Subjekt entwirft eine ideale Gesellschaftsordnung, richtet ein System des Glücks für alle ein. In Campanellas ‚Sonnenstaat‘, 1602 im Gefängnis in Neapel verfasst und 1623 veröffentlicht, war Arbeit obligatorisch und galt als höchste Ehre, Wissenschaften und Handwerke waren gleichwertig und die Sklaverei war im Auge der Sonne unbekannt. „Im Reich der ‚fünften Monarchie‘ der revolutionären Sektierer gegen Ende des Mittelalters wurde keine schwere Arbeit verlangt, und das ganze Land sollte Gemeineigentum werden“. 32. Im Unterbewusstsein ist uns unser individueller Tod und der des Universums angezeigt und wir arbeiten und arbeiten … Lenin gar sah in einer höheren Arbeitsproduktivität den Ausschlag für den Sieg des Kommunismus. 33. Aber es hat zu allen Zeiten fanatische Sekten gegeben, die das Ende aller Dinge berechnet hatten und hin und wieder kollektiven Selbstmord begingen. Und mit der Zeit läppert es sich zusammen, auf das Konto der Bibel kommen mehr Selbstmorde als auf Goethes ‚Werther‘.

Die Arbeit also ist es, die das Wesen des Menschen ausmacht, in der Arbeit schaut der Mensch sich selbst an, mit seinem eigenen zweiten Gesicht; das Proletariat ist gesichtslos. Auf dem Erdganzen erblicken wir heute Riesenflächen, die nur noch Spuren menschlicher Arbeit ausweisen. 34. Der Idealist Hegel gab das am 22. Oktober 1818 in seiner Antrittsvorlesung in Berlin mit den Worten wieder, er beabsichtige, „ein vernünftiges Bild des Universums zu geben“. 35. Unsere Vorfahren, sagen wir aus der Feudalzeit, würden nach einer Wiedergeburt, eine bloße Annahme, heute nichts wiedererkennen, wir brauchen nicht bis zum Steinzeitmenschen zurückgehen, der in unserer Gegenwart wohl völlig fassungslos wäre, der Ohnmacht nahe. Um die vorletzte Jahrhundertwende, um 1900, war die Erde zum ersten Mal in ihrer Geschichte total unter Großmächten aufgeteilt, es gab in der Sterbestunde des klassischen Konkurrenzkapitalismus kein herrenloses Land mehr. Überwiegen muss natürlich die Kritik am beginnenden Imperialismus, der sich politisch-militärisch auf eine gewaltsame Neuaufteilung der Welt einlassen muss, aber dieser Markstein, mit Blut und Tränen erkauft, ist gesetzt worden. Der kapitalistische Mensch hat die Erde im Griff, besser: In seinen blutigen und gierigen Klauen und die Konkurrenz lauert mit diesen. Diese Arbeit, von der hier gesprochen wird, hat ihre eigene Entfremdungs- und Emanzipationsgeschichte. Unter der Vormundschaft der Religion galt sie als Strafe Gottes für die Erbsünde im Schweiße deines Angesichts, je näher man Gott war, wie das kontemplative Pfaffenpack, in Abgrenzung von den Laien, desto geringer die Bedeutung der Arbeit: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern mehr vom Wort Gottes. Doch, sagten Marx und Engels 1845 in der ‚Deutschen Ideologie‘, der Mensch lebt nur vom Brot allein. Sie beendeten den Spuk, weg mit den faulen Pfaffen, die hetzend gegen Epikur predigten, das Brot ist das Recht des Volkes. Die revolutionären Bauern hatten 1525 im Bauernkrieg die Bedeutung der Arbeit in der Parole ‚Als Adam grub und Eva spann, wo blieb denn da der Edelmann?‘ richtig erfasst, nicht der faule Junker und der prassende Pfaffe standen Gott nahe, sondern die Bauern, die die große Masse des Volkes ausmachten und alles trugen und zu ertragen hatten. Wer hat ihr Fluchen, ihre Schweißperlen, ihre Schmerzensschreie und die Fehlgeburten gezählt? Für das Bürgertum war die Arbeit die Quelle allen Reichtums, es hatte gut reden, denn es besaß die Arbeitsmittel und ließ andere schuften, die lange auf der ideologischen Wolke schwebten, dass man durch Arbeit reich werden könne, für die Sozialisten gilt, wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, eben, denn das Brot ist das Recht des Volkes, endlich schlägt die Arbeit im Kommunismus um aus einer Last in eine Lust, ohne Schweiß im Angesicht. So endet, was als Strafe begann. Wer die arbeitende Menschheit meint bestrafen zu dürfen und zu müssen, kann ihr auch nur Schweiß und Tränen anbieten. Und gegen diesen Abschaum sind die Menschen, die in einer zutiefst dekadenten Welt noch eine Sensibilität für perverse Verhältnisse bewahrt haben, beim G-20-Gipfel auf die Straße gegangen und nur obszöne Menschen nahmen dabei das Wort ‚Klassenfrieden‘ in den Mund. Angesichts der weltweit jeden Tag verhungernden Kinder beim G-20-Gipfel nur friedlich zu demonstrieren, zeugt von einer charakterlichen Verwahrlosung ohnegleichen, mit jedem Polizeiknüppeln, den der Hamburger Senat am siebten und achten Juli 2017 aufgeboten hatte, ist ein Kind in Afrika erschlagen worden.

Der Aufstieg des werdenden Menschen zur wissenschaftlichen Sozialistin verläuft aber nicht gradlinig, sondern erleidet Rückfälle zur Verzweiflung 36., um dann wieder einen neuen Anlauf zu unternehmen. Darauf insistierte Hegel, die‚ Phänomenologie‘ ist eine, lax formuliert, ‚Erfolgsgeschichte‘ durch eine Höllenfahrt des zwischenzeitlichen Scheiterns hindurch. Das ist der unverrückbare Akkord, den Hegel in die Geschichte der Philosophie gesetzt hat. Fortschritt ist ohne Katastrophe nicht möglich, der Sprung ins Heilen wird in der Krise vorgebrütet. Es gehört zur Mildtätigkeit der Ideologen der Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte, auf den Weg des unergiebigen Zweifels zurück zu kehren. Der Mensch sieht in der Natur zunächst dunkle Mächte am Werk, alles ist voll von Göttern (Thales) und befragt das Orakel, das mitunter auch nur dunkle Antworten gibt, er hat keinen Zusammenhang über das Ganze, den er sich zunächst durch die Seelenwanderung kettet. Den Überschwemmungen des Nils, der Zerstörung von Wohnstätten und Saaten war er hilflos ausgesetzt. Aus seiner Schwäche steigt ein Wunderglaube auf. Und dieser wird überwunden durch die Einsicht, dass durch die kollektive Arbeit der Menschen die wirklichen Weltwunder entstehen. Wie Nekrassow schrieb: ‚Wunder über Wunder bringen Wille und Arbeit des Menschen hervor‘. Mit der Vermehrung des Wissens und der Entwicklung der Arbeitsfähigkeit wuchs die Möglichkeit, Staudämme zu errichten, die Gewalt des Wassers zu bändigen und einer Katastrophe zu entgehen.

Ich wurde schon einmal als Mädchen geboren, vertritt ein Philosoph, der sich von seinen Anhängern in einem Personenkult als Gott verehren ließ, er vertritt noch mehr, Strauch und Vogel, stummer Fisch, Leben durch den Widerstreit von Liebe und Hass, das alles ist Empedokles. Auch stellt der Mensch sich den Zusammenhang über Götter her, und als die gesellschaftlichen Zusammenhänge vielfältiger wurden, sodann theologisch über einen Gott oder philosophisch wie die ionischen Naturphilosophen über einen Urstoff, aus den alles Andere entsteht, oder er bastelt eine Weltvernunft zusammen, um in den Mikrozusammenhängen nicht unterzugehen. Er grübelt über einen elementaren Weltursprung, über einen Träger des kosmologischen Prozesses nach, hält einen naturwissenschaftlichen Ansatz, der bei Heraklit, dem Sohn des Bloson, für den das Denken allen Menschen zukommt, vorliegt (unsere Weltordnung hat kein Gott oder keiner der Götter geschaffen), nicht durch und greift zu metaphysisch religiösen Rettungsankern, wie etwa Parmenides, der aus einem stofflosen ‚logos‘ eine Göttin einführt, die ihn als Himmelsgestalt über die Meinung der Sterblichen erhebt, keine Aussage eines Sterblichen soll ihm überlegen sein, wie etwa Lukrez, der sein Werk ‚Von der Natur der Dinge‘ mit einer Anrufung der Göttin Venus beginnt, wie etwa die Anhänger des Empedokles, die göttliche Stimmen hören. Der antike Kosmos ist vom logos durchwaltet, wir sollen, sagt Heraklit, auf das Wesen der Dinge hinhorchen. Hinhorchen – das ist das Schlüsselverb antiker Intellektualität. Die Naturwissenschaften stehen, obwohl am Anfang ionische Naturphilosophen Fragen nach den Anfangsgründen stellen, nicht hoch im Kurs. Cicero legt in seinem Werk über die Republik Scipio die Worte in den Mund, für Sokrates sei es unerheblich gewesen, ob es zwei Sonnen gäbe oder nicht. Es gehe um das Gute im Menschen. Der Anfang ist das am wenigsten Gebildete, die Philosophie steckt noch in den Kinderschuhen. Wir dürfen nicht die Problemstellungen unserer Zeit in den Denkhorizont der Anfänger zurückverlegen. Mit unserem Maßstab gemessen, werden wir bei den Alten immer etwas vermissen, aber sie vermissten nichts. Erst nach der Zeitenwende fasste Plinius der Ältere das naturkundliche Wissen seiner Zeit in einer Enzyklopädie mit dem Titel ‚Naturalis Historia‘ in 37 Bänden zusammen und in den beiden ersten Jahrhunderten nach der Wende wurde am römischen Hof die Heilpflanzenkunde von Diocurides und Claudius Galen kultiviert. Ein Gott/eine Göttin ist zunächst die Ursache, auch in gesellschaftswissenschaftlicher Hinsicht die des Staates, dann ist sie die Gesellschaft, diese ist schließlich Ursache von Gott und Staat. Das Ableitbare kann beherrscht werden. Ursache und Wirkung haben sich im Laufe der geschichtlichen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft ausgetauscht. Aberglaube und Wissenschaft, Mythos und Rationalität kehren ihre Dominanz um wie der Mensch sein Verhältnis zu Gott. Der Mensch ist der Schöpfer Gottes. Am Anfang des abendländischen Denkens war er aber noch abhängig von einer übermenschlichen Objektivität, deren Wesen es zu ergründen galt, um Klarheit über sich selbst zu bekommen. Für den Neapolitaner Vico, 1668 in Neapel geboren, 1744 in Neapel gestorben, entwickelt sich die Menschheit über ein Zeitalter der Götter und des Aberglaubens und über ein Zeitalter aristokratischer Heroen zum Zeitalter der Menschen. Thales von Milet betrachtete das Element des Wassers, das einzige Element, das in allen drei Aggregatzuständen auftreten kann, als Ursprung von allem; während nach Aristoteles der Urstoff „selbst immer erhalten bleibt“. (Metaphysik A3, 983b 6 – 27). Thales lässt die Erde auf dem Wasser ruhen wie der fast zeitgleich wirkende Anaximenes von Milet sie auf der Luft schweben lässt, während Heraklit alles als Fließen (hoi rhéontes) deutet. Der Mensch ist wissenschaftlich und philosophisch nicht nur erdbezogen, Thales soll bei der Sternbetrachtung in den Brunnen gefallen sein. Primär ist der Mensch aber ein erdbezogenes Wesen, die Erde scheint der Gesundheit dieses Warmblütlers, trotz der Erdbeben, am meisten zu bekommen, er wird auf den Wellen der endlosen Ozeane seekrank und fiebert auch im gesunden Zustand einem Hafen entgegen, in den Lüften erbricht er sich, bibbert, und ist heilfroh, gelandet, wieder sicheren Boden unter den Füßen zu haben. Sein Horizont war wohl zunächst erdbegrenzt, die Weite der Meere vergrößerte den Horizont bis zum Wissen, dass der von ihm bewohnte Planet, mit einigen Milliarden Jahren auf dem Buckel, zu zwei Dritteln aus Wasser besteht, das fünfzig Prozent der Sonnenstrahlung zurückgibt. Ohne Wasser kann es kein Leben geben. Für den griechischen Denker Anaximander aus Milet entwickelten sich Mikrolebewesen in Verdampfungsprozessen, nachdem Sonnenwärme Feuchtgebiete der Erde sozusagen beflügelt hatte und Menschen stammten für ihn von Fischen ab. Es ist das wichtigste Element, das der Mensch sich untertan machen muss, alle Weltkommunikation und alle Weltzivilisation, das Kennenlernen bis dahin fremder Völker war über die weiten und offenen Ozeane vermittelt, auf denen die Schiffsbesatzungen mit Stürmen, nicht aber gegen erdhafte Hindernisse zu kämpfen hatten, durch das Gebirge hat der Mensch Tunnel getrieben. Das Wasser ist nach Hegel listig, es lockt durch seine Ruhe, sich mit einem Stück Holz auf es einzulassen, um es aufpeitschend zu verschlucken. Englische Schiffe sind vor Chinas Küsten aufgetaucht, das keine großen Seefahrer hervorgebracht hat, weil es nicht wagte, sich auf das nasse Element einzulassen. Wenn wir das Wasser der Ozeane, Seen und Flüsse über die ganze Erde ausbreiten würden, erhielten wir eine Schicht, die 2,7 km dick wäre. 37.

Diesen Trabanten weiterhin als Erde zu bezeichnen ist eigentümlich unsinnig, zumal zwanzig Millionen Quadratkilometer des festen Landes aus kahlen, lebensfeindlichen Wüsten bestehen, aus totem Land. Etwa nur ein Viertel der Erdoberfläche wird landwirtschaftlich genutzt, und auch nur so, dass in der Regel nur ein Drittel der Maximalernte erzielt wird. Aber unter der dickglasigen milchigen Glocke, die den tristen Alltag konserviert, ist uns gar nicht bewusst, dass wir auf einem Wasserplaneten leben, selbst in den Küstenstädten nicht. Grönland, die größte Insel unseres Planeten zum Beispiel, ist zu 75 Prozent mit Eis bedeckt. Der vierte Teil des Festlandes unserer Erde ist mit ewigem Frostboden bedeckt. 38. Die Mehrheit der Menschheit müsste wohl von einem Satelliten aus über mehrere Jahrzehnte auf den Wasserplaneten hinabschauen, bis sich die richtige Bezeichnung festsetzt, dass wir auf einem Wassertrabanten leben. So sehr bleibt das Bewusstsein hinter den Tatsachen zurück, so sehr und so langsam quält sich der Geist, so uneinsichtig und verbohrt ist er, vollgesogen mit Vorurteilen. Dabei hatte uns Herodot den richtigen Fingerzeig gegeben: ‚Ägypten ist ein Geschenk des Nils‘. Es bestätigt sich die Aussage des antiken Philosophen Heraklit, der ungefähr 520 v.u.Z. das Licht der Welt erblickte: ‚Die meisten Menschen sind anwesend abwesend‘. Diese schiefe Stellung des menschlichen Geistes zu den Tatsachen und die der Wissenschaft zum alltäglichen Bewusstsein gilt auch, wenn nicht noch mehr, auf dem Gebiet der menschlichen Geschichte, die bis auf die Pariser Commune und die Oktoberrevolution und ihren Nachfolgerinnen, es gab ja 1918 noch eine zweite Oktoberrevolution, die im russischen Dorf, unter dem Fluch der Sklaverei stand. Das ist so überwältigend und hat sich so in die Gehirne eingebrannt, dass die Forderung nach Abschaffung der Sklaverei, heute der Lohnsklaverei, als Verirrung des menschlichen Geistes gilt wie die Oktoberrevolution, die tiefste Revolution der Geschichte, als Verirrung der Geschichte. Darüber wachen unsere spießerhaften Vormünder, gerade weil diese Revolution die meisten Tabus bricht, die meisten Gewohnheiten angreift und abwirft. Die Vormünder betreiben die Akzeptanz des Irrationalen, die Identifizierung des Arbeiters mit den ihm feindlichen Mächten, das Hineinsteigern in die Sackgasse verbrauchter Leben. Die ewige, eben notwendige Verdammnis zum Sklavendasein der Menschheit aber wird vorgebracht von Ignoranten, die glauben, dass die Erde zu zwei Dritteln auch aus Erde besteht. Dieser Macht der Gewohnheit ist es geschuldet, dass Engels von einer erst noch heranzuwachsenden Generation spricht, die ganz ohne Staat wird leben können.

Die antiken Philosophen orientieren sich primär auf eine objektiv waltende Vernunft, die der menschliche Geist nur zu vernehmen hat, in der der Mensch in Einklang mit sich und der Natur lebt. Die antike Vernunft war eine vernehmende, der noch Heidegger hörig war, keine gestaltende. Das antike Philosophieren, das in naiver Weise durchaus Elemente naturwüchsigen dialektisch materialistischen Denkens aufweist, die Welt als „ewiglebendes Feuer, nach Maß sich entzündend und nach Maß erlöschend“ (Heraklit) auslegt, eine Auffassung, die uns im 18. Jahrhundert in der ‚Pyrotischen Theorie‘ Lamarcks wiederbegegnet, seines Zeichens Botaniker und Zoologe, ist auf Synthese bedacht. Das Feuer war für Heraklit, der die Einzigkeit und Ewigkeit der Welt lehrt, das All-Element, „das Gesetz (lógos), das für den einzelnen gilt, für die Gesellschaft (den Staat) und die ganze Welt“. 39. Es lag also eine ganzheitliche Weltsicht vor. Die Welt fließt, ändert ständig ihr Gesicht, schläft nicht, wechselt von Sekunde zu Sekunde in einem gigantischen Festival ihre ganze und einheitliche Gestalt. Nur was fließt, sich weiterentwickelt, sich bewegt, lebt; das Fixe stirbt ab. Es war dann das Christentum, das Leib und Seele auseinanderriss 40., Glauben und Verstandesdenken trennte, und noch Rousseau klagte es 1762 in seinem Gesellschaftsvertrag an, die Herzen der Bürger vom Vaterland loszureißen. „… ich kenne nichts, was dem gesellschaftlichen Geist mehr entgegenstünde“. 41. Dieses Denken fließender Bewegung ging der analytischen Philosophie voran, deren wirklicher Begründer Descartes ist, der den Umständen entsprechend noch der theologischen Fakultät zwei Gottesbeweise vorlegte und ein später von Newton, der wie Pater Secchi Gott die Welt nur noch anstoßen ließ, untermauertes mechanisches Weltbild entwirft. Newton betrachtete 1687 in seinem Werk ‚Philosophiae Naturalis Principia Mathematica‘ (Die mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie) die mechanischen Kräfte nicht länger als okkulte Qualitäten von oben, sondern leitete von unten aus der Erscheinungswelt zwei oder drei allgemeine Bewegungsprinzipien ab, aus denen die Wirkungen aller stofflichen Dinge folgen. Er legte wissenschaftlich souverän die zusammengesetzten Dinge mechanisch auseinander, analysierte sie also in ihre Bestandteile, verfolgte die Bewegungen bis zu den sie bewirkenden Kräften und drang durch die Wirkungen mit einer schlüssigen Konsequenz hindurch zu den Ursachen. Die mechanische Erklärung der Welt hatte wissenschaftsgeschichtlich ihre Berechtigung, denn nur die Mechanik war von allen Naturwissenschaften zur damaligen Zeit zu einem gewissen Abschluss gekommen und für den Arzt La Mettrie war es deshalb naheliegend, den Menschen 1748 als ein maschinell funktionierendes Konstrukt zu deuten. Er konnte Gott, die Menschen und die Welt eben nur unter den Bedingungen seiner Epoche erkennen und nur soweit wie die Erkenntnisse der Wissenschaft gerade reichten. Das Gleiche gilt für Quesnay, der sein ökonomisches Tableau nach Prinzipien der analytischen Physik ausrichtet. La Mettries ‚L‘ homme machine‘ stellt ein Meisterwerk der instrumentellen Vernunft dar und Rousseau hatte leichtes Spiel, Herz und Gefühl gegen die Maschine zu mobilisieren und dafür Gehör zu finden, Buffon begreift das Individuum bereits als ein sich stetig veränderndes in einem natürlichen Entwicklungsprozess. La Mettrie zog nicht die letzte atheistische Konsequenz, er verkündete, dass der höchste Grad von Wahrscheinlichkeit für die Existenz eines höchsten Wesens spricht. Bacon, La Mettrie und Feuerbach haben sich als Materialisten nicht zum konsequenten Atheismus durchgerungen. Ein Arzt hat es mit beschädigtem Lebendigem zu tun, das er begradigt, mal ganz, mal mehr oder weniger, mal vergebens, den Wettlauf mit dem absoluten Meister verlierend, wir wundern uns heute, warum ein Arzt nicht erkannt hat, dass der mechanische Materialismus die Quellen der Vielfalt der Bewegung nicht erfassen konnte? Die Natur pflanzt nicht nach der Schnur, wird Rousseau später gegen die Schablone, gegen die Etikette von Versailles lancieren. Ein Maschinenmensch ist ahistorisch und kann keine sich wandelnde Zustände haben. Wir haben uns heute technisch auf mathematisch fixierbare Roboter zubewegt und uns quasi mechanisch verdoppelt. Das erste U-Boot war einem Fisch nachgeahmt, der erste Roboter dem Menschen, sie haben ihre Form noch nicht gefunden, die Form wird sich wandeln, denn in der sich rasch wandelnden Technik kann es keine ideale, endgültige Form geben. Das von Descartes, hier vor allem mehr Mathematiker, eingeleitete Weltbild der Mechanik wurde von zwei Seiten in die Mangel genommen. Pascal rief das Herz an und Rousseau folgte ihm, dieser war aber zugleich auch Dialektiker und gehörte damit auch der zweiten Kriegspartei gegen die Mechaniker an, der Phalanx der Dialektiker. Die Wissenschaft aber, die am meisten gegen die hohle und sterile Mechanik strampelte, war die junge, dynamische, kraftvoll aufstrebende und unverbrauchte Biologie, die unter Aufweichung der Artkonstanz die Natur mehr und mehr als eine sich entwickelnde vorführte. Es ging um die Wende vom äußeren Anstoß (Gott) zur inneren Selbstbewegung nun immanenter Wachstumsprozesse (atheistischer Materialismus). Die Biologie trennt sich wissenschaftsgeschichtlich erst recht spät, gegen Ende des 18. Jahrhunderts von der Physik, die als allumfassende ‚Physica‘ als eine Wissenschaft der ganzen Natur galt. Die Biologie befreit sich von deren Dominanz, das Organische entschlüpft durch das Gitter der Mechanik. Nicht länger trugen die in langer Tradition ergrauten scholastischen Hirnschädel das Gütesiegel der Wissenschaft auf der Stirn; Männer der Praxis, die menschliche Hand, das Experiment, Ärzte und Heilkundler, Züchtungs-, Kreuzungs- und Paarungsversuche brachten größere Erkenntnisfrüchte hervor, als die luftigen Ableitungen aus professoralen Formeln in den Hörsälen. Die Theoretiker mit der Tafel im Rücken und mit der Kreide in der Hand neigen zur starren Grenze und zur Konstanz des zu behandelnden Objekts, den Praktikern stößt positiv die Erschütterung der Grenzen in der Natur auf, ihre Beweglichkeit.

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Ende der Leseprobe aus 102 Seiten

Details

Titel
Der Aufstieg des werdenden Menschen zur wissenschaftlichen Sozialistin. Essay über die Entwicklung des Menschen
Autor
Jahr
2019
Seiten
102
Katalognummer
V495716
ISBN (eBook)
9783346011749
ISBN (Buch)
9783346011756
Sprache
Deutsch
Schlagworte
aufstieg, menschen, sozialistin, essay, entwicklung
Arbeit zitieren
Heinz Ahlreip (Autor:in), 2019, Der Aufstieg des werdenden Menschen zur wissenschaftlichen Sozialistin. Essay über die Entwicklung des Menschen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/495716

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