Individuelle Förderung des Schriftspracherwerbs mithilfe audiogestützter Materialien


Examensarbeit, 2015

83 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

(A) Ein Einblick in theoretische Grundlagen

2 Schriftspracherwerb – Das Konzept der Lesekompetenz
2.1 Der Lesekompetenzbegriff
2.2 Die Dimensionen von Lesekompetenz
2.2.1 Lesesozialisation, Lesemotivation– das lesebezogene Selbstkonzept des Kindes
2.2.2 Teilfähigkeiten einer komplexen Lesefähigkeit

3 Zusammenhänge von Lesen und Hören
3.1 Lesen durch Hören
3.2 Hören und Literacy

4 Audiostifte
4.1 Definition »Audiostift«
4.1.1 TING
4.1.2 tiptoi®
4.1.3 AnyBook

5 Analyse der audiogestützten Materialien im Vergleich
5.1 Qualitätsmerkmale für leicht lesbare Texte für Erstleser
5.2 Charakterisierung und didaktische Qualität der eingesetzten Materialien
5.3 Welche Teilfähigkeiten werden mit den Materialien gefördert?

6 Hinführung zur Fragestellung der Untersuchung

(B) Empirische Untersuchung

7 Methoden
7.1 Methodologische Vorüberlegungen
7.2. Soziale Rahmenbedingungen
7.3 Individuelle Förderung unter teilnehmender Beobachtung
7.4 Transkriptionen der Lernstandserhebung
7.4.1 Tabellarische Darstellung des Pretests
7.4.1.1 Fehleranalyse Pretest
7.4.2 Tabellarische Darstellung des Posttests
7.4.2.1 Analyse Posttest

8. Ergebnisse
8.1 Ergebnisse des Lernstandserhebungen
8.2 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
8.3 Interpretation der Ergebnisse in Bezug auf die Fragestellung

9. Diskussion
9.1 Abschlussgespräch mit Elternteil und Lehrerin
9.2 Aktuelle Diskussionen
9.3 Reflexion der eigenen Untersuchung

10. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabellenverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Anhang

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

Wie groß die Bedeutung der Beherrschung von Schriftsprache ist, wird im täg- lichen Leben deutlich. Nicht nur die sprachliche Verständigung, auch der Wis- sens –und Informationserwerb sowie eine aktive Teilnahme am Leben in einer Gesellschaft hängen davon ab. Die Entwicklung im heutigen Digitalzeitalter macht Lesen zu einer „[...] Schlüsselqualifikation in der Mediengesellschaft“ (Garbe 2005, S.11). Die Wichtigkeit der Lesekompetenz wurde erkannt und so verbesserten sich die Ergebnisse der PISA-Studien stetig. Lagen die Ergebnisse der PISA-Lesekompetenzstudie im Jahr 2000 mit 484 Punkten noch deutlich unter dem Durchschnitt, erreichten die deutschen SchülerInnen in der jüngsten PISA-Studie 2012 mit 508 Punkten sogar mehr Punkte als der Länderdurch- schnitt von 496 Punkten (vgl. OECD 2013). Trotz dieser Verbesserung müssen vor allem schwache LeserInnen ausreichend und fortlaufend gefördert werden. Mit abwechslungsreichen und dem Medieninteresse der SchülerInnen ange- passten Materialien muss eine systematische Leseförderung schon in der Grundschule beginnen. Mit dem Einsatz neuer Medien ergeben sich im Hin- blick auf eine Leseförderung immer mehr Möglichkeiten. Dies machen sich auch auf Printmedien spezialisierte Verlage zu Nutzen und so brachte zum Bei- spiel Ravensburger im Jahr 2010 erstmals den audiodigitalen Lesestift tiptoi® auf den Markt. Gefolgt von der Himmer AG mit dem Lesestift TING, welcher mit insgesamt 22 verschiedenen Verlagen angeboten wird. Auch der AnyBook von Franklin’ konnte sich auf dem Markt etablieren und punktet durch seine materialunabhängigen Nutzungsmöglichkeiten. Mit diesen vielfältigen Produk- ten gibt es nun zahlreiche audiounterstützte Lernsysteme für Kinder, die mit verschiedenen Themengebieten Spielen und Lernen verbinden.

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist eine individuelle Förderung des Schriftspracherwerbs mithilfe ausgewählter audiogestützter Materialien. Um den Nutzen dieser Materialien in der Leseförderung aufzuzeigen, wurde eine fünfwöchige Leseförderung mit einem leseschwachen Kind durchgeführt. Diese empirische Untersuchung wird im zweiten Teil der Arbeit näher erläutert, do- kumentiert und deren Ergebnisse analysiert sowie interpretiert. Um einen Ein- blick in die Theorie der Thematik zu gewinnen, werden vorweg einige wichtige Grundlagen betrachtet. Zu diesen Grundlagen gehören eine nähere Betrachtung der allgemeinen Lesekompetenz, eine Darstellung des Mehrebenenmodells von Cornelia Rosebrock und Daniel Nix sowie eine Erläuterung der Teilfähigkeiten der Lesekompetenz und ein Einblick in die Wichtigkeit der Lesemotivation, Lesesozialisation und dem lesebezogenen Selbstbild. Im Anschluss daran wird ein Zusammenhang von Hören und Lesen untersucht, da die audiogestützten Materialien dieses Zusammenwirken unterstützen. Um eine genauere Vorstel- lung der verschiedenen audiodigitalen Lesestifte zu erlangen werden diese in Kapitel 4 vorgestellt und beschrieben. Als letzter Teilbereich der Grundlagen werden die zur empirischen Untersuchung verwendeten Materialien charakte- risiert und deren didaktische Qualität analysiert. Im empirischen Teil der Ar- beit werden Beobachtungen der individuellen Leseförderung dokumentiert und die durchgeführten Lernstandserhebungen transkribiert und analysiert. Anschließend werden die Ergebnisse interpretiert und auf die Themenstellung bezogen. In der abschließenden Diskussion wird Bezug auf aktuelle Diskussio- nen im Bereich audiodigitale Lesestifte genommen, ein Abschlussgespräch mit den Eltern und der Klassenlehrerin wird beschrieben und die durchgeführte Untersuchung wird kritisch reflektiert. Zum Abschluss der wissenschaftlichen Hausarbeit wird ein allgemeines Fazit gezogen sowie ein Ausblick auf den Ein- satz audiounterstützter Materialien in der Schule gewagt.

(A) Ein Einblick in theoretische Grundlagen

2 Schriftspracherwerb – Das Konzept der Lesekompetenz

Nach Schwander (1989) ist „Schrift [...] ein System konventioneller graphischer Zeichen zur menschlichen Kommunikation“. Zeichen und Symbole haben seit der Steinzeit die Funktion etwas mitzuteilen – die Interpretation liegt auf Seiten des Betrachters (vgl. Schwander 1989, S.18). Wer versucht, diese Symbole und Zeichen zu dekodieren und ihre Bedeutung zu verstehen, beginnt zu lesen (vgl. Schwander 1989, S.18). Heutzutage ist klar, dass Schrift nicht ausschließlich zu Kommunikationszwecken genutzt wurde. Sie war ein Mittel um Ereignisse so- wie „wissenschaftliche und religiöse Bewusstseinsinhalte [...] festzuhalten und zu ordnen“ (vgl. Schwander 1989, S.21 zit n. Dehn 1985).

In Bezug auf den Schriftspracherwerb ist es laut Schwander (1989) besonders wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, Schrift nicht nur als eine Art der Kom- munikation zu sehen. Vielmehr hilft sie dabei „Ideen und Vorstellungen [...] [zu] ordnen, klären und neuartige Verbindungen zu sehen“.

Da der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit auf der Leseförderung liegt, wird im Folgenden auf den Lesekompetenzbegriff sowie auf die Dimensionen von Lesekompetenz eingegangen. Des Weiteren werden Teilfähigkeiten des Lesens analysiert und die Lesesozialisation, Lesemotivation sowie das lesebezogene Selbstkonzept näher betrachtet.

2.1 Der Lesekompetenzbegriff

Die Lesekompetenz „[...] ist ein basales Kulturwerkzeug, das erforderlich ist für die Bewältigung der charakteristischen Kommunikations-und Handlungsanfor- derungen, denen ein durchschnittlicher Gesellschaftsteilnehmer in seinem Alltag und Beruf begegnet“ (Hurrelmann 2008, S. 21).

Angesichts dieses Zitats wird deutlich, welche enorme Rolle die Lesekompe- tenz im alltäglichen Leben jedes Individuums spielt.

Bevor nun weiter auf den Lesekompetenzbegriff eingegangen wird, ist es zu- nächst wichtig, den allgemeinen Kompetenzbegriff näher zu definieren. Laut dem Bildungsplan Baden-Württemberg (2004) wird eine Kompetenz wie folgt definiert:

Eine Kompetenz ist eine komplexe Fähigkeit, die sich aus richtigem Wahrneh- men, Urteilen und Handelnkönnen zusammensetzt und darum notwendig das Verstehen der wichtigsten Sachverhalte voraussetzt. (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport 2004, S.8)

Des Weiteren wird darauf verwiesen, dass der Begriff ‚Kompetenz’ in Deutsch- land eingeführt wurde, um Begrifflichkeiten zu erweitern. Somit werden durch das Kompetenzkonzept „[...] sowohl die Ebene der Fertigkeiten als auch der Fähigkeiten“ gefasst (Groeben 2002, S. 13).

Für eine systematische Leseförderung ist die Einbettung in einen theoretischen Begriff von Lesekompetenz unerlässlich (vgl. Rosebrock &Nix 2008, S. 14). Aufgrund dessen werden nun die genannten Definitionen des allgemeinen Kompetenzbegriffs auf die Lesekompetenz bezogen:

Das Konstrukt der Lesekompetenz umfasst sowohl das – im Gegenstandsbe- reich Lesen – relevante aufgabenorientierte Fertigkeits- als auch das übersitua- tive, generelle Fähigkeitsniveau im Sinne einer (relativ) zeitüberdauernden Handlungsposition (Groeben 2002, S.13).

Da dementsprechend die Definition einer Kompetenz größere, weitgreifendere Teilbereiche miteinschließt, beschreibt die Kompetenz ‚Lesefähigkeit’ laut Bil- dungsplan Bereiche wie:

Lesebereitschaft, Lesegewohnheit, Freude am Lesen, den Willen zu ‚Entziffe- rung’ der schriftlichen Botschaft, ein Bewusstsein von der allgemeinen Wichtig- keit des Vorgangs einerseits und eine ‚sachliche’ Vertrautheit mit den Textsor- ten, Darstellungs- und Wirkungsabsichten, Verdichtungs-, Verschlüsselungs-, Verfremdungstechniken, die der Schreiber verwendet und nicht zuletzt um die Kenntnis der Hilfsmittel, die dafür zur Verfügung stehen, andererseits. (Minis- terium für Kultus, Jugend und Sport 2004, S.12)

Hierin zeigt sich die Absicht, dass schulische Institutionen Kinder nicht nur fachlich lehren, sondern großen Wert auf die Ausbildung personaler, sozialer, methodischer sowie fach- und sachlicher Kompetenzen legen sollen (vgl. Minis- terium für Kultur, Jugend und Sport 2004, S. 12). Da die „Lesefähigkeit [als] wichtigste Kompetenz für selbstständiges Lernen“ gilt, ist sie nicht nur eine für den Deutschunterricht relevante Fähigkeit, sondern stellt eine fächerübergrei- fende, umfassende Kompetenz dar.

Als grundlegende Voraussetzungen für einen guten Unterricht gelten Lesemo- tivation sowie Lesefreude, die aufgrund einer entsprechenden klasseninternen Lesekultur entwickelt werden. Es muss dabei unbedingt auf die genderspezifi- schen Interessen eingegangen und Lesehilfen bzw. Unterstützung angeboten werden (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport 2004, S. 44). Nur so kann es gelingen eine dementsprechende Motivation und Freude aufrecht zu erhalten. Welche Dimensionen es von Lesekompetenz gibt, zeigen Cornelia Ro- sebrock und Daniel Nix (2008), deren Modell im Folgenden näher erläutert wird.

2.2 Die Dimensionen von Lesekompetenz

Lesen ist eine komplexe und vielschichtige „[...] mentale Leistung, die weit über eine bloße Informationsaufnahme hinausgeht“ (Rosebrock & Nix 2008, S.14). Um diese Vielschichtigkeit darzustellen, entwickelte das Frankfurter Auto- renteam Cornelia Rosebrock und Daniel Nix (2008) das Mehrebenenmodell, wel- ches die verschiedenen Ebenen und Einflussfaktoren, die auf den Leseerwerb einwirken, beschreibt. Dieses Bündel aus divergenten Teilfähigkeiten ist auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt: auf der vorwiegend kognitiven Prozess- ebene, der motivationalen und emotionalen Subjektebene und der kommuni- kativ strukturierten sozialen Ebene. Kompetenzdefizite, die an SchülerInnen wahrgenommen werden, können auf allen drei Ebenen vorliegen. Deshalb ist es notwendig diese voneinander zu unterscheiden, da sie alle durch unterschiedli- che Verfahren gefördert werden können und müssen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung1

Das Mehrebenenmodell des Lesens zur Gestaltung von Leselernprozessen im Unterricht und zur Diagnose von Leseschwächen, ist als kegelförmiger Aus- schnitt dargestellt, der aus drei konzentrischen Kreisen besteht (vgl. Rose- brock/Nix, 2008, S.15).

Im inneren Kreis auf der Prozessebene , werden die kognitiven Anforde- rungen bzw. Tätigkeiten beschrieben, die während eines Leseprozesses ablau- fen. Dabei werden hierarchieniedrige und hierarchiehohe Teilprozesse unter- schieden. Die hierarchieniedrigen Teilprozesse, bspw.das Erkennen von Buch- staben, Wörtern und Sätzen sowie „[...] die lokale Kohärenzbildung durch Ver- knüpfung von Satzfolgen“ (Rosebrock/Nix 2008, S.18), sind bei einem kompe- tenten Leser automatisiert (vgl. Rosebrock/Nix 2008, S. 18). Für die Sinnent- nahme von Zusammenhängen spielt außerdem das Sprach-und Weltwissen eine wichtige Rolle. Für ungeübte bzw. schwache LeserInnen sind diese Vor- gänge aber bereits mental so aufwendig, dass ihnen kaum Kapazitäten für hie- rarchiehöhere Leistungen bleiben. Zu diesen zählt unter anderem die Herstel- lung von globaler Kohärenz. Das bedeutet, dass sich der Leser ein Bild über den Inhalt als Ganzes und das übergreifende Thema des Textes macht – er bildet dabei sogenannte Makrostrukturen (vgl. Rosebrock/Nix 2008, S.19). Außerdem wird vorhandenes Textmusterwissen herangezogen, um den Text in Superstruk- turen einzuordnen (vgl. Rosebrock/Nix 2008, S. 19). Hat ein Leser diese Stufe erreicht, gelingt es ihm bereits „[...] während des Lesens brauchbare Hypothe- sen zu bilden“ und dementsprechend anzuwenden (vgl. Rosebrock/Nix 2008, S. 19). Alle genannten Leistungen führen dazu, dass immer wieder neue Text- momente in das mentale Modell des Lesers eintreffen (vgl. Rosebrock/Nix 2008, S.20). Dieses wird fortlaufend durch neue Informationszufuhr erweitert und verändert. Alle beschriebenen kognitiven Prozesse laufen während eines Leseprozesses ab und interagieren miteinander. Sie finden nicht getrennt und nacheinander statt (vgl. Rosebrock/Nix 2008, S.20). Die hierarchiehöchste Stufe der kognitiven Leistungen ist erreicht, wenn es einem Leser gelingt, „rhetori- sche, stilistische und argumentative Strategien [zu] entschlüssel[n] und [sie] in ihrer Bedeutung aus[zu]schöpf[en]“ (Rosebrock/Nix 2008, S.20). Dabei werden vor allem literarisch komplexere Texte aus der Metaperspektive gesehen und dessen Darstellungsweisen identifiziert (vgl. Rosebrock/Nix 2008, S.20).

Die Subjektebene im Mittelkreis beschreibt das individuelle Selbstkon- zept als (Nicht-) Leser(in). Dieses ist eng mit den Lesefähigkeiten verknüpft und beeinflusst die Lesemotivation. Lesemotivation bezeichnet die innere Bereit- schaft, „die komplizierten und vielschichtigen Denkakte beim Lesen langwierig einzuüben“ (Rosebrock/Nix 2008, S. 21) und sich auf den Text einzulassen. Der Subjektebene werden außerdem Komponenten wie der Einbezug von Weltwis- sen, die Reflexion des Gelesenen und die innere Beteiligung und Umlegung des Gelesenen auf die Lebenswelt zugeordnet. Da die Lesemotivation von literari- schen Erfahrungen aus der frühen Kindheit stark geprägt ist, spricht man auch von dem lesebezogenen Selbstkonzept, auf welches im nächstfolgenden Unterkapi- tel näher eingegangen wird.

Der äußere Kreis des Lesemodells bildet schließlich die soziale Ebene . Sie umspannt die verschiedenen Sozialisationsinstanzen wie Familie, Schule und Peergroup und beschreibt die Dimension der Anschlusskommunikation. Dabei spielt bspw. „[...] die Teilnahme am literarischen Leben“ eine zentrale Rolle. Es geht nicht nur um das Lesen im Unterricht oder in schulischer Umgebung, vielmehr um das Freizeitlesen und die damit einhergehende Kommunikation über Gelesenes mit Anderen. Durch das Wissen über bestimmte gelesene Texte „wird z.B. der Zugang zu sozialen Gruppen gesucht“ (Rosebrock & Nix 2008, S.23). Dies beeinflusst außerdem die weitere Entwicklung der eigenen Lesemo- tivation und der Lesegewohnheiten (vgl. Rosebrock & Nix 2008, S.23). „Der Austausch über das Gelesene mit Anderen bietet zum einen eine Intensivierung des Testverstehens, zum anderen bildet er einen starken Leseanlass“ (Rose- brock & Nix 2008, S. 23).

2.2.1 Lesesozialisation, Lesemotivation– das lesebezogene Selbst- konzept des Kindes

Wie wichtig das lesebezogene Selbstkonzept und die damit einhergehende Le- semotivation und –sozialisation ist, wird bereits im Mehrebenenmodell von Rosebrock & Nix (2008) auf der Subjektebene deutlich. Die Lesesozialisations- forschung beschäftig sich mit der Frage, wie die drei Bereiche Lesemotivation, - verhalten, und –verständnis im Verhältnis stehen und welchen Einfluss sie auf die Entwicklung von heranwachsenden Lesern bzw. Nicht-Lesern haben. Wel- chen Einfluss hat das soziale Umfeld und die einhergehenden „sozialen Inter- aktionen innerhalb Familie, Schule und Peers“ (Philipp 2011, S.13)?

Jeder Mensch macht in seiner Kindheit unterschiedliche Erfahrungen im Be- reich Lesen und Literatur. Das Elternhaus der Kinder hat dabei einen großen Einfluss auf die Leseentwicklung. „Die Sprach- und Leseförderung im familia- len Kontext ist der entscheidende Faktor für die Ausprägung des kindlichen Leseverhaltens“ (Stiftung Lesen). Einigen Kindern wird von den Eltern vorge- lesen. Andere Kinder wiederum kommen in ihrer frühen Kindheit nur selten mit Büchern in Berührung und haben so bereits zum Schulbeginn Schwierigkei- ten an die literarischen Vorerfahrungen einiger MitschülerInnen anzuknüpfen. Diese heterogenen Vorerfahrungen machen es schwierig, eindeutig zu klären, wie sich ein Kind als Leser entwickeln wird. In den meisten Fällen erweisen sich jedoch die gleichen Faktoren als ausschlaggebend für die Lesegeschichte eines Heranwachsenden. Zu diesen Einflussfaktoren zählen neben dem Ge- schlecht auch die „soziale Herkunft (Geburtsland, Bildung der Eltern)“ sowie „Bezugspersonen wie Eltern, Pädagogen und Freundinnen und Freunde“ (Phi- lipp 2011, S.19).

Als Ziel für eine gelingende Lesesozialisation gilt der Erwerb von Lesekompe- tenz (vgl. Garbe, Philipp & Ohlsen 2009, S.67). Um eine solche Lesekompetenz des Kindes zu erreichen, „[besteht] die elementare Aufgabe der Familie in der frühen Lesesozialisation [...] darin, Kindern einen [...] Zugang zur konzeptionel- len Schriftlichkeit im Medium der Mündlichkeit zu eröffnen“ (Garbe, Philipp & Ohlsen 2009, S.73). Dieser Zugang muss auf verschiedenen Ebenen stattfinden, zu denen die motivationale, emotionale sowie die kognitive Ebene zählt (vgl. Garbe, Philipp & Ohlsen 2009, S.73).

Erst wenn sowohl die Lesebereitschaft als auch Lesefreude vorhanden sind, wird ein Kind die Eigeninitiative ergreifen und von sich aus zum Buch greifen und lesen sowie dem Lesen von Büchern im Alltag eine positive Bedeutung er- teilen (Rütten, 2010, S.5).

Ein besonders wichtiger Anteil der Lesemotivation nimmt auch die Auswahl der Lektüren bzw. Lesematerialien in der Schule ein. Es ist dabei wichtig, nicht nur auf die heterogenen Lesefähigkeiten, sondern vor allem auch auf die indi- viduellen Interessen der SchülerInnen einzugehen. Durch freie, fest in den Un- terricht integrierte Lesezeiten, kann es gelingen, die Kinder zum Lesen zu mo- tivieren (vgl. Rütten 2010, S.5). Das Ziel einer solchen Lesemotivation ist es, die Kinder von einer extrinsischen Motivation, eine von außen angeregte, zu einer intrinsischen Motivation zu bewegen (vgl. Rütten 2010, S.5). Diese intrinsische Motivation, bei der Kinder eine Leselust entwickeln und aus eigenem Interesse lesen, ist der Schlüssel für ein positives lesebezogenes Selbstkonzept.

Die SchülerInnen haben bereits zu Beginn des Lesenlernens „motivationale Überzeugungen, die ihr Selbstkonzept in Bezug auf das Lesen betreffen“ (Rose- brock & Nix 2011, S.17). In diesem Selbstkonzept sind motivationale Überzeu- gungen verfestigt, wie bspw. „Ich bin begabt für diese Leseaufgabe“ (Rosebrock & Nix 2011, S.17). Eine Herausforderung wird es dann, wenn dieses Selbstkon- zept negativ behaftet ist. Ein Beispiel zitieren Rosebrock & Nix (2011) nach Möl- ler & Schiefele 2004: „Ein ganzes Buch lesen, womöglich ohne Illustrationen!“ Wie sich dieses Selbstkonzept entwickelt, ist anhängig von Vorbildern, schuli- schen Erfahrungen, vom Milieu oder von Familie und Peer-Group (vgl. Rose- brock & Nix 2011, S.17).

Generell gilt: eine gelingende Lesesozialisation und die damit einhergehende erfolgreiche Entwicklung einer Lesekompetenz sind abhängig von der Lesemo- tivation und dem damit verbundenen Selbstkonzept der LeserInnen.

Wie hoch die Anforderungen an diese sind, wird deutlich, wenn man die im folgenden Kapitel näher dargestellten Teilfähigkeiten der Lesefähigkeit betrach- tet.

2.2.2 Teilfähigkeiten einer komplexen Lesefähigkeit

Lesen stellt aufgrund der enormen kognitiven Anforderungen eine komplexe Fähigkeit dar. Cornelia Rosebrock und Daniel Nix (2011) teilen die Lesefähig- keit in verschiedene Teilfähigkeiten ein, deren Beherrschung für eine erfolgrei- che Entwicklung der Lesekompetenz erforderlich sind. Diese werden zunächst übersichtlich vorangestellt, um anschließend näher auf sie einzugehen:

a) Phonologische Informationsverarbeitung ("phonologische Bewusstheit")
b) Dekodierung auf Wortebene (Wortlesen) / Aufbau eines Sichtwortschat- zes
c) Wortschatz sichern und erweitern (rezeptiv und produktiv)
d) Lesen auf Satzebene
e) Texte lesen und verstehen (Leseflüssigkeit) / Sachtexte und literarische Texte verstehen
f) Lesestrategien entwickeln
g) Vorlesen / gestaltendes Vorlesen

a) Es handelt sich unter anderem um die wichtigste Vorläuferfähigkeit im Be- reich Schriftspracherwerb – die phonologische Informationsverarbeitung. Es ist dabei die Rede von einem Bündel bereits im Vorschulalter erlernter Fähigkei- ten. Zu dem Begriff zählt zum Einen das „phonologische Rekodieren beim Zu- griff auf das semantische Lexikon“, wobei Kinder schriftliche Symbole erlesen und deren Bedeutung aus dem Langzeitgedächtnis abrufen (Küspert & Schnei- der 2006, S. 13). Des Weiteren zählt das „phonetische Rekodieren im Arbeitsge- dächtnis“ dazu, was „bedeutet, dass Kinder in der Lage sind, schriftliche Sym- bole im Kurzzeitgedächtnis lautsprachlich zu repräsentieren“ (Küspert & Schneider 2006, S.13). Der für das Lesen wesentliche dritte Bereich, die phono- logische Bewusstheit, bezeichnet die „Einsicht der Kinder in die Phonologie der Sprache“ und damit die „Fähigkeit, die Lautstruktur der gesprochenen Sprache zu erkennen“ (Küspert & Schneider 2006, S.13). Fähigkeiten, die diese Einsicht zeigen, sind bspw. Reime, Silben sowie einzelne Laute zu hören (vgl. Küspert & Schneider 2006, S.13). Diese fallen unter den Begriff der phonologischen Be- wusstheit im weiteren Sinne. Zur phonologischen Bewusstheit im engeren Sin- ne zählen spezifischere Fähigkeiten wie bspw. das Erkennen von Anfangslau- ten, das Erfassen der Lautanzahl oder die Synthese von Lauten (vgl. Goldbrun- ner 2006, S.39)

b) Die Teilfähigkeit, das Dekodieren auf Wortebene, bedeutet sowohl die Un- terscheidung der einzelnen Grapheme, als auch deren Reihenfolge und Über- tragung in die Abfolge der Laute (vgl. o.V. Legasthenie-Therapie, 2007). Die Dekodierung lässt den Leser wahrnehmen, was der Text vermittelt und wirkt als eine „Kontrolle der Sinnerwartung“. (o.V. Legasthenie-Therapie, 2007). In Fällen in denen mit einer solchen Sinnerwartung zu früh lesen gelernt wird, entsteht bei Kindern oftmals ratendes Lesen (o.V. Legasthenie-Therapie, 2007). Um die Dekodierung zu vereinfachen, sollte darauf geachtet werden, dass die Wörter optisch vielfältig gestaltet sind. Beispiele hierfür wären Wortpyramiden, Reimwörter, Wortschlangen etc. Auch bei längeren Texten sollten verschiedene Gestaltungsformen eingesetzt werden. Diese sind bspw. Satzpyramiden, Sinn- schrittgliederungen oder Gelenkwort-Sätze (vgl. o.V. Legasthenie-Therapie, 2007). Durch die Kompetenz Wörter zu dekodieren, kann nach und nach ein Sichtwortschatz aufgebaut werden, der es ermöglicht eine Leseflüssigkeit zu entwickeln.

c) Den Wortschatz rezeptiv und produktiv zu sichern und zu erweitern stellt eine weitere Teilfähigkeit des Lesens dar. Der rezeptive (passive) Wortschatz hilft zum Verstehen gesprochener und geschriebener Sprache. Er wird jedoch nicht aktiv vom Sprecher verwendet und wird durch das Lesen von komplexen Texten erweitert. Der produktive (aktive) Wortschatz bezeichnet den Wort- schatz, den der Sprecher aktiv in seiner Sprache verwendet. Um den Wort- schatz zu sichern und zu erweitern hilft das Lesen von Texten oder das Hören vorgelesener Texte. Dabei stößt der Leser bzw. die Leserin auf unbekannte Wörter und erfasst die Bedeutung aus dem Kontext heraus. Bei Wiederholung werden diese nach und nach im Wortschatz gefestigt und ihre Bedeutung kann abgerufen werden. Somit handelt es sich beim Erwerb des Wortschatzes um eine ‚beiläufige Tätigkeit’, die durch das unbewusste Befassen mit Sprache und Sprachmitteln entwickelt wird (vgl. Ulrich).

Bei den drei skizzierten Teilfähigkeiten handelt es sich um Fähigkeiten des Le- sens auf Wortebene. Im Folgenden wird das Lesen auf Satzebene näher erläu- tert, bevor im Anschluss daran das Lesen auf Textebene betrachtet wird.

d) Das Lesen auf Satzebene beschreibt die Kompetenz Sätze in Sinneinheiten zu gliedern. Dabei soll syntaktisches und semantisches Strukturwissen verwendet werden. LeserInnen die diese Fähigkeit bereits erreicht haben, sind in der Lage die Kernaussage eines Satzes zu verstehen. Übungen, die diese Fähigkeit schu- len sind bspw. Sätze mit vertauschten Zeilen zu ordnen, das passende Wort aus einem Angebot auszuwählen, Aussagen als richtig oder falsch zu erkennen o- der verrückte Wörter herauszufinden (vgl. o.V. Leseübungen Hypothesen überprüfen, 2007).

e) Um Texte lesen zu können und zu verstehen wird Leseflüssigkeit (‚reading fluency’) vorausgesetzt. Diese umfasst das fehlerfreie „Dekodieren von Wör- tern, die Automatisierung der Dekodierprozesse, eine angemessene Lesege- schwindigkeit [sowie] die Fähigkeit zur sinngemäßen Betonung des gelesenen Satzes, also zu einem ausdrucksstarken Vorlesen“ (Rosebrock & Nix 2011, S.35, zit. n. Rosebrock et al. 2011) Das ausdrucksstarke, gestaltende Vorlesen wird als letzte Teilfähigkeit unter Punkt g) näher erläutert.

Auch das Verstehen von Sachtexten und literarischen Texte stellt eine wichtige Teilfähigkeit der Lesekompetenz dar. Durch die Automatisierung hierarchie- niedriger Prozesse kann der Leser seine volle Aufmerksamkeit auf den Inhalt des Textes legen. Dies zeigt, welche zentrale Rolle die hierarchieniedrigen Pro- zesse auf der Wortebene spielen. Sie sind Voraussetzung für jegliche Form von Textverständnis (vgl. Rosebrock & Nix 2011, S.33).

f) Um sich zu einem kompetenten Leser zu entwickeln ist es wichtig, Lesestra- tegien auszubilden. Lesestrategien werden als „mentale Werkzeuge“ bezeich- net, mit deren Hilfe „die hierarchiehohen Verstehensanforderungen von Texten während des Lesens auf verschiedenen kognitiven Ebenen gezielt unterstütz[t] [werden] können“ (Rosebrock & Nix 2011, S.59). Eingeübte Lesestrategien funk- tionieren als „Plan mentaler Lesehandlungen“ die „[...] zur Erreichung eines bestimmten Leseziels eingesetzt [werden]“ und bei geübten Lesern meist routi- niert ablaufen. Sie spielen eine zentrale Rolle für eine „[...] aktive Auseinander- setzung mit Texten“ (Rosebrock & Nix 2011, S.59 f.). Da das Einüben von Le- sestrategien und die damit einhergehende konkrete Auseinandersetzung mit schwierigeren Texten für die in dieser Arbeit thematisierte individuelle Le- seförderung noch keine bedeutende Rolle spielt, würde eine ausführliche Erläu- terung verschiedener Strategien den Rahmen der Arbeit überschreiten.

g) Zu einer vollständig ausgebildeten Lesekompetenz gehört die letzte wichtige Teilfähigkeit der Lesefähigkeit: das Vorlesen bzw. gestaltende Vorlesen. „Beim angemessenen Vorlesen wird der Satz schon während der Lektüre in zusam- mengehörige sinnvolle Teilabschnitte segmentiert“ (Rosebrock & Nix 2011, S.35). Wichtige Gestaltungsmittel sind dabei die Betonung, Intonation, Pausen sowie ein angemessener Rhythmus. Durch diese Mittel wird versucht den Sinn des Gelesenen durch „semantische und syntaktische Analysen während des Lesens“ zu strukturieren (Rosebrock & Nix 2011, S. 35). Eine solche Strukturie- rung kann durch „[...] semantische, syntaktische, orthographische und morpho- logische Hinweise im Text [...] bereits Verstehen auf der Ebene der lokalen Ko- härenz aus[drücken]“ (Rosebrock & Nix 2011, S.35).

Ob die in dieser Arbeit untersuchten Audiostifte die Funktion erfüllen, durch einen angemessenen Leseausdruck den Inhalt der Texte zu vermitteln und wel- chen Einfluss das Hören auf den Leseerwerb hat, wird im Folgenden näher be- trachtet.

3 Zusammenhänge von Lesen und Hören

Lesen und Hören gehören zu den rezeptiven Sprachfähigkeiten. Ein wesentli- cher Unterschied besteht darin, dass es sich beim Hören um einen angeborenen Sinn handelt, wohingegen Lesen eine erworbene Fähigkeit darstellt Doch beide Rezeptionsweisen müssen erlernt werden (vgl. Schulz 2007, S.18).

Die Schulung des Hörens verbessert nicht nur die allgemeine Sprachkompetenz und Konzentrationsfähigkeit, sie wird auch als elementare ‚Vorläuferkompe- tenz’ des Lesens verstanden. (Haug 2006).

Obwohl in Kindergärten und Schulen die Wichtigkeit des genauen Hörens in Bezug auf die Leseleistung der Kinder erkannt wurde, mangelt es den Schüle- rInnen an der Fähigkeit des genauen ‚Hinhörens’ (vgl. Haug 2006). Die Bedeu- tung des Hörens beim Aufbau von Sprachkompetenz zeigt sich besonders dann, wenn Störungen auftreten. Untersuchungen aus der Neuropsychologie führen Sprach- und Leseschwächen auf eine mangelnde Zeitauflösung der au- ditiven Verarbeitung zurück. Dementsprechend hat etwa die Hälfte der Kinder mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten ein phonologisches Defizit bei der zent- ralen Hörverarbeitung der Sprachlautstruktur. Dies bedeutet, dass betroffene Kinder Probleme haben, Verschlusslaute auditiv zu verarbeiten, sodass diese klar gehört, gelesen oder geschrieben werden können (vgl. Müller 2012, S.63).

In Bezug darauf bieten Hörmedien die Möglichkeit Hör- sowie die Basisfähig- keiten der Lesekompetenz zu entwickeln bzw. zu fördern (Schulz 2007, S.20). Ob und wie die Ausbildung der Lesefähigkeit durch Hören stattfinden kann und welche Beziehung zwischen dem Hören und Literacy besteht wird in den folgenden Abschnitten näher untersucht.

3.1 Lesen durch Hören

Die Annahme, dass Lesen erst mit dem Schuleintritt beginnt, ist falsch. Lesen- lernen entwickelt sich nicht erst mit der Einsicht in die Lautstruktur der Spra- che oder mit dem Erlernen einzelner Grapheme – es beginnt mit dem Hören gesprochener Sprache. Durch Zuhören kommen Kinder in Verbindung mit Sprache, in Vorlesesituationen hören sie einem Erwachsenen oder einem Hör- buch zu, sie beobachten wie Erwachsene lesen und versuchen erstmals dies zu imitieren. Alle diese frühkindlichen Erfahrungen tragen dazu bei, die Kinder auf den Schriftspracherwerb vorzubereiten und ermöglichen ihnen einen Zu- gang zur Schrift.

„Der Erwerb von Beziehungen zwischen Schriftzeichen und zugehörigem Laut ist ein zentraler Bestandteil des Lesenlernens“. Dieses Zitat von Hofmann (1994) zeigt, dass sich vor allem die phonologische Bewusstheit mithilfe von Hörmedien entwickeln kann. Auch eine empirische Studie von Steffen Gail- berger (2011) der Universität Lüneburg bestätigt die positive Auswirkung von Hörbüchern auf die Lesekompetenz von SchülerInnen. Das Training mit Hör- büchern fördert sowohl die Leseflüssigkeit, als auch die Lesemotivation und das Textverstehen. „Spätestens nach sechs Wochen des simultanen Lesens und Hörens von Buch und Hörbuch steigert sich die Leseflüssigkeit in einem Maße, das den Lernzuwachs von durchschnittlich zwei Schuljahren erreicht.“ (Gail- berger, 2011, 22). Diese Studie fand ihre Anwendung in der Sekundarstufe und betrifft damit nicht den Schriftspracherwerb zum Schulbeginn. Dennoch kön- nen Hörmedien dabei helfen, Kinder zu Beginn ihres Lese-und Spracherwerbs zu unterstützen und vor allem zu motivieren sich mit Literatur unterschiedli- cher Art auseinanderzusetzen. Bei Untersuchungen mit Kindern die sich im Vorschulalter befinden, wurde belegt, dass sich die Lese- und Sprachentwick- lung durch den Einsatz von Hörspielen verbessert (vgl. Hüffis-Graff 2008, S.105f). Es kommt dabei zu einer „Förderung der Sprachentwicklung“ (Hüffis- Graff 2008, S.105f)., welche durch wiederholtes Hören zustande kommt. Kinder erweitern dabei ihren Wortschatz, ihre Grammatik und werden vertraut mit verschiedenen Texttypen (vgl. Hüffis-Graff 2008, S.105f).

„Durch das Hören von Reimen und Versen [...] [wird] die Aufmerksamkeit auf die Sprache als Gegenstand gelenkt (phonologische Bewusstheit)“ und die Kin- der entwickeln ein Gefühl für den Rhythmus einer Sprache (Hüffis-Graff 2009). Durch spannende Geschichten wird die Lesemotivation gesteigert und die Hörmedien bieten einen „Übergang zum selbstständigen Lesen des Buches“ (Hüffis-Graff 2009). Auch das Textverstehen wird durch das Zuhören gefördert und kann später auf das eigene Lesen übertragen werden. Unter Textverständ- nis wird dabei das Erfassen von Zusammenhängen und Figurenkonstellationen verstanden. Alle „diese förderlichen Wirkungen sind umso größer, je mehr das Hören in kommunikative Zusammenhänge eingebunden ist“ (Hüffis-Graff 2009). Somit können Hörmedien im Allgemeinen oftmals einen Anreiz schaffen selbst zu lesen und dabei helfen die komplexe Lesefähigkeit zu erwerben und zu unterstützen. Im Folgenden wird nun der Zusammenhang von Hören und Literalität näher dargestellt.

3.2 Hören und Literacy

In den verschiedenen Lernbereichen des Deutschunterrichts an Grundschulen hat Hören, neben Sprechen, Schreiben und Lesen, keinen eigenständigen Förde- rungsbereich (vgl. Müller 2012a, S. 58). Möglicherweise hängt dies damit zu- sammen, dass Hören als Kompetenz vorausgesetzt wird, wohingegen Lesen und Schreiben explizit erlernt werden müssen. Doch vor allem das genaue Zu- hören muss, ebenso wie das Sprechen, geschult werden (vgl. Müller, 2012a, S.58). Denn Zuhören ist die Grundlage jeder menschlichen Kommunikation und Voraussetzung dafür, die Welt wahrzunehmen, zu erschließen und mitzu- gestalten (vgl. Glück-Levi, 2014). Generell gilt aufmerksames, konzentriertes Zuhören als eine anspruchsvolle, komplexe und anstrengende Tätigkeit, die als Kompetenz zu verstehen ist und die es dementsprechend zu fördern gilt (vgl. Maubach 2014). Ein Grund für einen fehlenden eigenen Bereich des Hörens lässt sich womöglich daraus schließen, dass es sich dabei um eine mit anderen Bereichen eng verknüpfte Kompetenz handelt, deren Trennung keinen Sinn ergeben würde. Denn das Hören wird durchaus berücksichtigt. In den Stan- dards der Kultusministerkonferenz findet Hören als Kompetenz im Bereich ‚Sprechen und Zuhören’ Beachtung (vgl. Müller 2012a, S.58). Hören bzw. die phonologische Bewusstheit spielt somit auch beim Schriftspracherwerb eine Schlüsselrolle (vgl. Müller, 2012a , S.58). Demzufolge ist Zuhören als eine Basis- fähigkeit für die Bewältigung der schulischen und außerschulischen Anforde- rungen essenziell (vgl. Müller 2012b, S. 10f). Um einen Zusammenhang von Hören und literarischer Kompetenz zu erschließen, spielt das Literacy-Konzept eine Rolle (vgl. Müller 2012a, S.58). Es handelt sich dabei um einen aus dem angelsächsischen stammenden Begriff, der durch die PISA-Studie auch in Deutschland gebräuchlich wurde. „’Literacy’ bezieht sich auf die Fähigkeit ei- nes Menschen, die Symbole einer Kultur – zum Beispiel Schriftzeichen, Bildzei- chen, Zahlen – zu verstehen und anzuwenden“ (Kieferle 2009, S. 12 zit. n. Mül- ler 2012a, S.58).

Im Deutschunterricht „meint ‚Literacy’ die Befähigung, an eben dieser Kultur der Schriftlichkeit teilzuhaben. Dies umfasst mehr als nur ein Zeichen – zum Beispiel ein Buchstabe – lesen und schreiben zu können, sondern auch, konzep- tionell schriftsprachliche Texte zu verstehen, wozu auch die Vertrautheit mit li- terarischen Mustern gehört.“ (Müller 2012 , S.58).

Um Kinder mit diesem Konzept zu fördern, werden sie bereits früh an „Sprachzeichen und schriftsprachliche Strukturen (Schriftkultur), an narrative (Erzählkultur), an Bücher (Buchkultur) und andere mediale Speicher literaler Inhalte (Medienkultur)“ herangeführt (Rau 2009 zit. n. Müller 2012a, S.59). Bei der frühkindlichen Sprachförderung steht das Hören im Mittelpunkt. Da die Sprache als Grundlage von Literacy gilt und Kinder über das Hören zuerst mit Sprache in Berührung kommen, zählen folgende Bereiche nach Näger (2005) zur Förderung von Literacy:

- das bewusste Hören und Lauschen,
- das Vertrautwerden mit konzeptioneller Schriftlichkeit,
- die Erweiterung des Wortschatzes,
- das Vertrautwerden mit Textstrukturen durch die Begegnung mit typischen narrativen Mustern (z.B. Märchen).

(Müller 2012 , S.59)

Bei der Förderung der genannten Bereiche wird verstärkt auf das Hören ge- setzt. Zum Einsatz kommen dabei Förderungsmethoden wie das „Zuhören in Vorlesesituationen“ oder „das Hören von Lesungen und Hörspielen im Hör- medium“ (Müller 2012a , S.59). Durch wiederholtes Hören werden verschiede- ne Übungen angewandt, welche die auditive Aufmerksamkeit und Lokalisation fördern sowie die Fähigkeit entwickeln die Unterschiede von Geräuschen und Lauten zu erkennen (vgl. Müller 2012a, S.59). Es ist keinesfalls zu erwarten, dass diese Kompetenzentwicklung mit dem Schriftspracherwerb abgeschlossen ist. Vielmehr muss darauf geachtet werden, über den gesamten Zeitraum der Grundschule und möglicherweise noch darüber hinaus, diese Kompetenzen zu vertiefen und beispielsweise mit dem Einsatz auditiver Medien zu schulen. Um an den unterschiedlichen außerschulischen Voraussetzungen, welche die Kin- der mitbringen, anzuknüpfen, sollte mit Beginn der Grundschule von Grund auf begonnen werden das „Zuhören langfristig zu entwickeln und zu pflegen“ (Müller 2012a, S.59). Hörerlebnisse und die eigene Sinneswahrnehmung spielen bei dieser Förderung eine elementare Rolle. Durch eine solche Förderung sollen die Kinder lernen, in der aus der Umwelt auf sie eintreffenden Reizüberflutung, bewusst zuzuhören und das so oft vorkommende ‚Nebenbeihören’ abzuschal- ten. Eine zentrale Rolle der Förderung spielt das Vorlesen durch eine Lehrkraft. Wenn Eltern ihren Kindern bereits im Kleinkindalter vorgelesen haben und somit die „primäre literarische Sozialisation“ früh begann, entwickeln die Kin- der den Wunsch selbst lesen zu können (vgl. Hurrelmann, Hammer & Nieß 1993 zit. n. Müller 2012a). Doch die hohen Anforderungen, sowohl kognitiver als auch motorischer Art, mit denen die Kinder zu Beginn der Schulzeit kon- frontiert werden, enden oftmals in einer „Lesekrise“ (Pieper 2010 zit. n. Müller 2012, S.60). An die literarischen Erfahrungen die diese Kinder mithilfe der El- tern gemacht haben, können Erstlesetexte vor allem inhaltlich nicht anknüpfen. Um die Motivation dennoch aufrechtzuerhalten kann das Vorlesen der Lehr- kraft helfen (vgl. Müller 2012a, S.60). Nun kann statt auf eine persönliche Vorle- sesituation auf Hörmedien zurückgegriffen werden. Diese wirken zunächst nicht als gleichwertige Alternative zum Vorlesen, haben aber dennoch ihre Vor- teile. Studien nach Ritterfeld u. a. (2006) zeigen „[...] einen kausalen Zusam- menhang zwischen dem Unterhaltungsprozess von Hörspielen, der Aufmerk- samkeit und dem impliziten Spracherlernen (Aufbau eines mentalen Lexikons) von 3-4-jährigen Kindern auf“ (Müller 2012a, S.61). Außerdem erwiesen sie sich im Vergleich zu Lesungen als motivierender. Da Hörbücher von Kindern meist mehrmals gehört werden, kann sogar eine Verbesserung der Sprache festge- stellt werden. Diese Verbesserung kann auch bei ‚traditionellen’ Lesungen nachhaltig erzielt werden, wenn sie mehrmals wiederholt wurden (vgl. Müller 2012a, S.61). Somit steht fest, dass das Gehör eine relevante Rolle beim Schrift- spracherwerb spielt. Genaues Zuhören hat demnach nicht nur einen wesentli- chen Einfluss auf die Entwicklung der Sprache eines Kindes, sondern auch auf die Entwicklung einer komplexen Lesefähigkeit, welche mithilfe von audioge- stützten Medien durchaus gefördert werden kann. Bei dieser Förderung kön- nen neben traditionellen Hörbüchern auch Audiostifte zum Einsatz kommen, welche im Folgenden vorgestellt werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 83 Seiten

Details

Titel
Individuelle Förderung des Schriftspracherwerbs mithilfe audiogestützter Materialien
Hochschule
Pädagogische Hochschule Freiburg im Breisgau
Note
1,5
Autor
Jahr
2015
Seiten
83
Katalognummer
V495990
ISBN (eBook)
9783346035226
ISBN (Buch)
9783346035233
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schriftspracherwerb, neue Medien, Ting, Tiptoi, Leseförderung, Lesekompetenz, Literacy
Arbeit zitieren
Lea Klinger (Autor:in), 2015, Individuelle Förderung des Schriftspracherwerbs mithilfe audiogestützter Materialien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/495990

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