Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in Deutschland. Barrieren und Erfolgsfaktoren bei der Gewinnung osteuropäischer Mediziner für das deutsche Gesundheitswesen


Master's Thesis, 2016

89 Pages, Grade: 1,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Bedeutung des Ärztemangels in Deutschland und aktuelle Lösungskonzepte
2.1 Ausmaß und Ursachen des Ärztemangels
2.2 Internationale Rekrutierung als eine der Lösungen für den Ärztemangel
2.3 Potentiale von Medizinern aus Osteuropa für den deutschen Arbeitsmarkt
2.4 Erfahrungen aus der Rekrutierungspraxis
2.5 Zwei Forschungsfragen: Gründe, die Aufnahme eines Jobs und langfristige Bindung der Mitarbeiter verhindern.

3 Empirische Untersuchung zu Barrieren und Erfolgsfaktoren auf dem Weg zur Facharztweiterbildung
3.1 Erhebungs- und Auswertungsmethodik
3.1.1 Grundlagen zum Experteninterview als Erhebungsmethode
3.1.2 Interviewleitfaden.
3.1.3 Auswahl der Stichproben.
3.1.4 Planung und Durchführung der Interviews
3.2 Datenaufbereitung und Analyse
3.3 Darstellung und Auswertung der Interviews
3.3.1 Auf die Suche, fertig, los: Wer gewinnt?
3.3.2 Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz in Zeiten des Ärztemangels

4 Reflexion und Zusammenfassung der Ergebnisse
4.1 Der Weg zum Traumjob: Barrieren umgehen, Chancen ergreifen.
4.2 Voraussetzungen für langfristige Bindung der Mitarbeiter
4.3 Limitationen.

5 Ausblick
5.1 Empfehlungen für die potenziellen Fachkräfte
5.2 Anregungen für die Entscheidungsträger in den Kliniken.

6 Anhang

Anhang A: Checkliste für die Bewerber auf Assistenzarztstellen.

Anhang B: Screenshot der Oberfläche von „f4analyse“

Anhang C: Interviewleitfaden erste Stichprobe

Anhang D: Interviewleitfaden zweite Stichprobe

Anhang E: Interviewprotokollbogen.

7 Literaturverzeichnis

Danksagung

Ich danke herzlich meiner Betreuerin Frau Dr. Walendzik für ihre fachliche Unterstützung und die Möglichkeit, die Masterarbeit zu einem für mich besonders spannenden Thema zu schreiben.

Mein aufrichtiger Dank gilt allen an den Interviews teilgenommenen Ärztinnen und Ärzten – Menschen, die nach Deutschland immigriert sind, um sich hier eine gute Ausbildung und ein besseres Leben zu ermöglichen. Ich danke ihnen für ihre Offenheit und Hilfsbereitschaft und wünsche ihnen viel Erfolg auf ihrem Weg zum Facharztdiplom.

Meinem Freund und seiner Familie, meinen Freundinnen und Kommilitoninnen danke ich ganz besonders für ihre allseitige Unterstützung bei der Erstellung dieser Arbeit.

Diese Arbeit widme ich den zwei weisen Frauen – meiner Großmutter und meiner Pflegemutter, die mich immer zur höheren Bildung ermunterten.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Berufstätige Ärzte zum 31.12.2015

Abbildung 2: Entwicklung der Anzahl von berufstätigen ausländischen Ärzten in Deutschland

Abbildung 3: Deutschkenntnisse der Bewerber aus den Jahren 2014 bis 2016, N=1

Abbildung 4: Geschlecht und Altersklassen der Stichprobe, N=12

Abbildung 5: Familienstand der Befragten, N=12

Abbildung 6: Facharztbezeichnungen und Berufserfahrung der Stichprobe, N=12

Abbildung 7: Antworten zu der Frage „Warum ist Deutschland für Sie attraktiv?“

Abbildung 8: Präferierte Art der Bewerbung, N=8

Abbildung 9: Präferierte Informationsquellen der Bewerber, N=8

Abbildung 10: Sprachniveau, Fachrichtung und Berufserfahrung der Befragten im Hinblick auf Erfolg der Bewerbung

Abbildung 11: Art der Bewerbungen von acht Befragten im Hinblick auf Erfolg

Abbildung 12: Die häufigsten Probleme bei der Jobsuche

Abbildung 13: Die häufigsten Probleme im Prozesse der Berufsanerkennung

Abbildung 14: Altersgruppen und Geschlecht der Befragten, N=8

Abbildung 15: Familienstatus der Befragten.

Abbildung 16: Facharztbezeichnung und Berufserfahrung der Befragten, N=8

Abbildung 17: Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen, N=8

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Transkriptionsregeln

Tabelle 2: Die häufigsten Probleme von Ärzten aus Osteuropa im Klinikalltag aus Sicht der Personalverantwortlichen

Abkürzungs- und Akronymverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

„Interviewer: Welchen Ruf haben Ärzte aus der GUS in Deutschland?

Prof. Neumann: Ich denke man weiß nicht genug über sie. Doch wenn sie anfangen mit Leidenschaft zu arbeiten, ernten sie Sympathien und gutes Ansehen.“ 1

1 Einleitung

Das Gesundheitssystem in Deutschland steht von einem sich zunehmend verschärfendem Problem – dem Fachkräftemangel. Laut einer Studie von PriceWaterhouseCoopers (PwC) würden bis 2020 wegen der steigenden Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, sinkenden Absolventenzahlen und verstärkten Renteneintritten voraussichtlich 33.000 Ärzte2 fehlen. 2030 blieben sogar 76.000 Vollzeitstellen unbesetzt.3 Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen (NRW) sind derzeit ca. 33.500 Ärzte in der ambulanten Versorgung tätig.4 Diese Zahlen bedeuten, dass bereits in vier Jahren deutschlandweit vergleichsweise genauso viele Ärzte fehlen werden, die heute die gesamte ambulante ärztliche Versorgung im NRW sicherstellen. Ohne konsequent eingeleitete Maßnahmen steuert Deutschland auf einen massiven Fachkräftemangel von Ärzten zu. Neben der Verbesserung von Arbeitsbedingungen gehört zu dem breiten Maßnahmenkatalog eine aktive Anwerbung von Ärzten aus dem Ausland.5 Die Gesamtzahl der berufstätigen ausländischen Ärzte in Deutschland steigt kontinuierlich innerhalb der letzten 15 Jahren.6 Die meisten Ärzte kommen aus Rumänien, Österreich und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS).7 Der Anteil von Ärzten aus GUS in Deutschland ist mit 9 % relativ groß und weist eine steigende Tendenz auf.8 Die kulturelle Nähe zwischen Deutschland und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, sowie eine große Zahl von Deutschsprechenden dort und nicht zuletzt die qualitativ hohe medizinische Hochschulbildung, sprechen für die Gewinnung dieser Ärzte für das deutsche Gesundheitswesen.9 Auch die Rekrutierungspraxis bestätigt ein großes Interesse seitens der Ärzte aus den vier o.g. Ländern an einer Facharztweiterbildung in Deutschland, allerdings ist die Anzahl von tatsächlich Immigrierten vergleichsweise klein.10 Es ergibt sich die Frage, welche Faktoren die Mediziner an der Emigration nach Deutschland hindern.

Die vorliegende Arbeit befasst sich somit mit den Barrieren bei der Gewinnung von Ärzten aus Russland, Weißrussland, Ukraine und Kasachstan. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, die hemmenden und fördernden Faktoren für die Beschäftigung osteuropäischer Mediziner aus Sicht der Ärzte zu erschließen.

Hierzu wird zunächst eine theoretische Einführung zu dem Ausmaß und den Ursachen des Ärztemangels dargestellt (Kap. 2.1). Anschließend wird eine der möglichen Lösungen – die Rekrutierung von ausländischen Ärzten (Kap. 2.2) und insbesondere die Potenziale von Medizinern aus Osteuropa aufgezeigt (Kap. 2.3). In Kap. 2.4 werden die Daten aus der Rekrutierungspraxis eines Unternehmens herangezogen, um die Zahl der an einer Weiterbildung in Deutschland Interessierten Ärzte in Russland, Weißrussland, Ukraine und Kasachstan darzustellen. Auf dieser Grundlage werden im Kap. 2.5 zwei Forschungsfragen erarbeitet.

Die erste Forschungsfrage betrifft die häufigsten Barrieren sowie Erfolgsfaktoren, welche ein ausländischer Arzt während seiner Suche nach einer Facharztweiterbildung in Deutschland erfährt. Hierfür erfolgen Interviews mit den Ärzten aus den vier o. g. Ländern, welche aktuell in Deutschland leben und arbeiten. Das aktuelle Beschäftigungsverhältnis einiger Befragten in der stationären Versorgung in Deutschland ermöglichte eine zusätzliche Befragung zu dem Thema Zufriedenheit mit dem aktuellen Arbeitsplatz. Die zweite Forschungsfrage erschließt somit einen wichtigen Aspekt beim Thema Ärztemangel - die Voraussetzungen für eine langfristige Bindung der Mitarbeiter in den Krankenhäusern. Kap. 3 liefert die Analyse zu den beiden Fragestellungen. Das Experteninterview als Erhebungsmethode wird im Kap. 3.1 dargestellt, bevor die Ergebnisse der Befragung im Kap. 3.3 ausgewertet werden. Kap. 4 fasst die Arbeit zusammen, sodass abschließend in Kap. 5 ein Ausblick gegeben werden kann.

2 Die Bedeutung des Ärztemangels in Deutschland und aktuelle Lösungskonzepte

In der Gesundheitswirtschaft herrschen in vielen Berufsgruppen – vor allem bei Medizinern und Pflegern – Fachkräfteengpässe oder bereits ein akuter Mangel.11 Anhand einer Literaturrecherche gibt folgendes Kapitel eine Übersicht zu diesem Thema.

2.1 Ausmaß und Ursachen des Ärztemangels

Die Lücken in der ambulanten und stationären ärztlichen Versorgung werden immer größer. Im Jahr 2010 konnten in den neuen Bundesländern 83,5 % der Krankenhäuser Stellen im ärztlichen Dienst nicht besetzen, in den alten Bundesländern waren es 73,3 %.12 Hochgerechnet konnten bundesweit ca. 5.500 Stellen im ärztlichen Dienst nicht besetzt werden. Ein Drittel der Häuser berichtet von Beeinträchtigungen in der Patientenversorgung, ein Sechstel führte Wartelisten ein.13 Insgesamt entwickelt sich die Stellenbesetzung im ärztlichen Dienst in der stationären Versorgung zu einem gravierenden flächendeckenden Problem. Der Anteil der Häuser mit offenen Stellen sowie der Anteil nicht besetzter Stellen hat innerhalb weniger Jahre erheblich zugenommen.14

Im ambulanten Sektor nimmt der Anteil der älteren Ärzte deutlich zu. Im Jahr 2015 stieg zwar der Anteil der unter 35-jährigen Ärzte um 2 Prozentpunkte an, während er unter den über 59-jährigen um 9 Prozentpunkte anstieg.15 Zum Jahr 2020 ergibt sich im ambulanten Bereich insgesamt ein Ersatzbedarf von 48.512 Ärzten. Der Ersatzbedarf an Ärzten im kurativen Bereich des deutschen Gesundheitswesens beläuft sich auf 66.800 Ärzte bis zum Jahr 2020.16 Die Studie der PricewaterhouseCoopers AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (PwC) zeigt in den drei Szenarien (Basis-, optimistisches und pessimistisches Szenario) die drohende Verschärfung des Fachkräftemangels im Gesundheits- und Pflegewesen. Laut dem Basis-Szenario werden schon 2020 33.000 und 2030 dann über 76.000 Stellen nicht mehr mit qualifizierten Ärzten zu besetzen sein.17 Bei der Berücksichtigung der steigenden Arbeitsbelastung für die weniger zur Verfügung stehenden Ärzte (pessimistisches Szenario) rechnet PwC mit mehr als 54.000 unbesetzten Arztstellen im Jahr 2020 und mehr als 160.000 Stellen für 2030.18 Es besteht ein ungedeckter Bedarf an Ärzten im Krankenhaus und in der ambulanten ärztlichen Versorgung und dabei besonders an Allgemeinärzten und an Hausärzten.19

Verantwortlich dafür ist vor allem der steigende Behandlungsbedarf einer alternden Gesellschaft in Deutschland und die Ausweitung der Multimorbidität. Zudem führt der medizinische Fortschritt zu höherem Behandlungsaufwand und induziert damit einen erhöhten Ärztebedarf. Die deutsche Ärzteschaft hat gleichzeitig ein Nachwuchsproblem.20 Die Ursache für die Ärzteknappheit sind die massenhafte Flucht von berufstätigen Ärzten aus dem System sowie die fehlende Bereitschaft junger Mediziner, in der Patientenversorgung tätig zu werden.21 Oft bilden sich die Absolventen des Medizinstudiums nicht weiter zum Facharzt, sondern entscheiden sich für eine attraktive Karriere in der Wirtschaft.22

Mehrere Experten kommen zu dem Schluss, dass stärkere Maßnahmen unternommen werden müssten, um den mittlerweile offensichtlichen Ärztemangel, der zu einer schlechteren Versorgung der Bevölkerung führt, zu vermindern.23 Die Experten sind sich darüber einig, dass sich der Mangel an Ärzten in Deutschland bzw. in der Europäischen Union (EU) mit aller Wahrscheinlichkeit weiter verstärken wird.24 „Die Zahl der Ärzte steigt, aber der Bedarf steigt schneller.“ So fasste Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), die Ergebnisse der Ärztestatistik für das Jahr 2015 zusammen.25 Die Zahl der bei den Landesärztekammern gemeldeten Mediziner erhöhte sich leicht um 1,5 bzw. 1,8 % unter den ambulant bzw. stationär beschäftigten Ärzten. Gleichzeitig steigt die Zahl der Behandlungsfälle kontinuierlich an – ein Trend, dessen Ende noch nicht absehbar ist.26 Außerdem ist die ärztliche Versorgung ungleich verteilt. Während in Süddeutschland im Vergleich zum Bundesdurchschnitt mehr Ärzte pro Einwohner arbeiten, ist in den ostdeutschen Bundesländern die Ärztedichte viel geringer (s. Abb. 1).27 Die höchste Ärztedichte gibt es in Hamburg (141 Einwohner pro Arzt), die niedrigste in Brandenburg (259 Einwohner pro Arzt).28 Statistisch bedeutet es, dass auf einen Arzt aus Brandenburg 1,8 Mal oder 183 % mehr Einwohner kommen als auf einen Arzt in Hamburg oder Berlin.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Berufstätige Ärzte zum 31.12.2015

(Quelle: Vgl. Bundesärztekammer (2015), S. 2.)

Bei einem Medianwert von 223 Einwohnern pro Arzt liegen acht Bundesländern rechts vom Median. D. h. die Hälfte aller Bundesländer weist eine geringere Ärztedichte auf als die anderen, „besser abschneidenden“ Bundesländer, unter denen sich auch Metropolen wie Hamburg oder Berlin befinden. Diese aktuelle Statistik bestätigt den in der Literatur häufig diskutierten Aspekt der Fehlverteilung in Hinblick auf die Ärztedichte: Der Ärztemangel ist selten in Metropolregionen und häufiger in ländlichen Gebieten vorhanden.29

Die Experten kritisieren allgemein die bestehende Bedarfsplanung und konkret die Bedarfsplanungsformel, die sich ausschließlich auf die Arzt/Einwohner-Relation begrenzt. Seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) bekommt die Bedarfsplanung allmählich eine Neuorientierung. So strebt bspw. die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) mit der neu ausgerichteten Bedarfsplanung den gleichmäßigen Versorgungszugang für alle GKV-Versicherten vor allem in der hausärztlichen Versorgung an.30 Dennoch fehlen weiterhin diejenigen, die diese Versorgung übernehmen können und auch wollen.

Der Anfang März in Köln stattgefundene Gesundheitskongress des Westens trug den Titel „Gutes Personal – Gute Medizin“.31 Der erste Kongresstag wurde dem Thema Bedarf an Arbeitskräften in der Gesundheitswirtschaft gewidmet. Die Krankenhausmanager und andere Akteure im Gesundheitswesen reagieren auf die Verschärfung des Ärztemangels derzeit zumeist mit zwei Strategien: „Brain Drain“32 – der Einführung von Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung – und „Brain Gain“ – der Personalbeschaffung.33 Bei letzteren werden u. a. Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben.34 Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über die aktuellen Anwerbungsstrategien.

2.2 Internationale Rekrutierung als eine der Lösungen für den Ärztemangel

In einer vergleichenden Studie von Kirsten Hoesch über die Migration von Ärzten und Pflegekräften nach Deutschland und Großbritannien gaben ostdeutsche Kammern bereits 2003 an, dass es als Lösungen für den Ärztemangel kaum Alternativen zur internationalen und insbesondere mittel- und osteuropäischen Anwerbung gebe.35 Die Beschäftigung ausländischer Fachkräfte in deutschen Gesundheitswesen als Ausweg aus dem Ärztemangel stellt an sich keinen neuen Trend mehr dar. Wie bereits in den Vorjahren ist die Wachstumsrate der ausländischen Ärzte besonders ausgeprägt, sie beträgt ca. 10 % (s. Abbildung 2).36 Die Gesamtzahl ausländischer Ärzte steigt also kontinuierlich innerhalb der letzten 15 Jahre an.37 2015 hatten 37.878 Ärzte und somit 10,2 % aller berufstätigen Ärzte in Deutschland ausländische Diplome.38 Davon arbeiteten 42,5 % Ärzte in der stationären und 6,7 % in der ambulanten Versorgung.39

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Entwicklung der Anzahl von berufstätigen ausländischen Ärzten in Deutschland.

(Quelle: Vgl. Bundesärztekammer, 2016, S. 1.)

Vor allem in ländlichen Regionen ist das Ausmaß der Beschäftigung ausländischer Fachkräfte groß. An manchen Kranken­häusern stammen sogar 80 % der Assistenzärzte40 aus dem Ausland. Wenn diese Mitarbeiter nicht verfügbar wären, müssten Stationen schließen.41

Die ärztliche Tätigkeit gehört in Deutschland zu den sog. reglementierten Berufen, bei denen die Anerkennung eine Voraussetzung für die Berufsausübung ist.42 Bis 2012 war die ärztliche Tätigkeit im vollen Umfang ausschließlich für Ärzte mit deutscher Staatsbürgerschaft vorbehalten, weshalb ausländische Ärzte ausschließlich im Rahmen einer zeitlich befristeten Berufserlaubnis arbeiten durften. Diese gilt noch nicht als Anerkennung und ist zeitlich auf maximal zwei Jahre befristet. Mit der Berufserlaubnis dürfen die Ärzte als Angestellte oder als Assistenzärzte in einem Krankenhaus arbeiten. Die Voraussetzungen für eine Berufserlaubnis sind im Regelfall erfüllt, wenn der Arzt ein mindestens sechsjähriges Medizinstudium abgeschlossen hat, das in dem jeweiligen Ausbildungsstaat zur Ausübung einer ärztlichen Tätigkeit berechtigt.43

Eine Approbation beinhaltet dagegen eine uneingeschränkte Berufsausübungsberechtigung, die zusammen mit der Mitgliedschaft bei der Ärztekammer auch dazu berechtigt, bundesweit als Arzt tätig zu sein und sich mit eigener Praxis niederzulassen.44

Das Gesetz zur Verbesserung der Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen ermöglicht es seit April 2012 allen Ärzten, die deutsche Approbation45 zu beantragen.46 Das gilt jetzt auch für die Ärzte, die nicht aus der Europäischen Union (EU) oder dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) stammen.47 Hierbei sollte die Anerkennung als Facharzt von der Anerkennung der Grundqualifikation des Arztes unterschieden werden. Das Anerkennungsverfahren wird von den Landesärztekammern auf Basis der Weiterbildungsverordnungen der Bundesländer durchgeführt und berechtigt zum Führen der Facharztbezeichnung. Für die Fachärzte aus Drittstaaten ist es jedoch nicht der Regelfall. Sie absolvieren häufig eine Facharztweiterbildung im Rahmen einer assistenzärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus.48

Mit der im Jahr 2011 eingeführten „Blue Card“ – der Arbeitserlaubnis für die ausländischen Fachkräfte – ist es für Ärzte aus Nicht-EU-Ländern einfacher geworden, nach Deutschland zu kommen, um eine assistenzärztliche Tätigkeit im Krankenhaus aufzunehmen. Seitdem entfällt für bestimmte Mangelberufe wie Ärzte und Ingenieure die Vorrangprüfung. D. h. bei der Anstellung eines Nicht-EU-Bürgers muss der Arbeitgeber nicht mehr nachweisen, dass er keinen Bewerber innerhalb der EU gefunden hat.49 Auch im Hinblick auf die Anerkennung von ausländischen Ärztequalifikationen wird aktuell durch die neue zentrale Gutachtenstelle ein einheitliches Instrumentarium zur Bewertung der Abschlüsse erarbeitet, auf das sich alle Bundesländer einigen können.50 Das Thema der Anerkennung von ausländischen Ärztequalifikationen ist an sich hoch komplex. Um im vorgegebenen Rahmen zu bleiben, wird dieser Aspekt hier nicht weiter beleuchtet, sondern in der Diskussion (s. Kapitel 4.1) wieder aufgegriffen.

Die Bedingungen für die Immigration der Fachkräfte im Gesundheitswesen werden also kontinuierlich begünstigt. Die geänderte Gesetzeslage brachte neue Chancen sowohl für die ausländischen Mediziner, die eigenständig nach Arztstellen in Deutschland suchen, als auch für eine Vielzahl von Personalagenturen, die sich auf die Vermittlung ausländischer Ärzte spezialisieren.51 Allerdings sind auch die kritischen Stimmen hinsichtlich der Sprach- und Berufskompetenz der neuen Mitarbeiter in den Medien sehr verbreitet. Zum einen werden die Deutschkenntnisse der Mediziner im Klinikalltag bemängelt.52 Zum anderen sind ihre Fachkenntnisse trotz der formell erteilten Berufserlaubnis oder Approbation oft mangelhaft.53 Erfolgt eine Anstellung ohne vorherige Hospitation, so kommen die Wissenslücken erst nach dem Abschluss des Arbeitsvertrages ans Licht. Viele Ärzte überstehen deshalb ihre Probezeit nicht, was beiderseits einen Effizienzverlust bedeutet. Das Thema betrifft unmittelbar die Behandlungsqualität und die Patientensicherheit und sorgt deshalb für hochrelevante Diskussionen auf unterschiedlichen Versorgungsebenen. Um diese Behandlungsqualität aufrecht zu erhalten, werden an die ausländischen Ärzte bestimmte Anforderungen gestellt. Dazu gehören:

- Fachkenntnisse,
- sprachliche und kulturelle Kenntnisse sowie
- Krankenhausmanagement-Kenntnisse, die für die Arbeit in Krankenhäusern obligatorisch sind (insbesondere Grundlagen in den Krankenhausinformationssystemen (KIS) und Dokumentation, Strahlenschutzfortbildung etc.).54

Es reicht also nicht aus, die gesetzlichen Bedingungen für die ausländischen Fachkräfte zu begünstigen. Vielmehr kommt es darauf an, diejenigen Mediziner zu locken, deren tatsächliche Fachkenntnisse den Anforderungen des deutschen Gesundheitswesens gerecht werden. Und als praktische Lösung entstehen bereits die ersten Kooperationen zwischen den Hochschulen und der privaten Wirtschaft, welche Sprachkurse in Verbindung mit einer Einführung in das deutsche Gesundheitswesen und KIS für ausländische Ärzte anbieten (mehr dazu im Kapitel 2.4).55

Ein großer Anteil der ausländischen Mediziner innerhalb der EU kommt nach Deutschland aus Österreich, weil Österreich noch Ärzte über Bedarf ausbildet.56 Es gibt dort lange Wartezeiten für Studierende, die das Studium abgeschlossen haben und eine Weiterbildung zum Facharzt antreten wollen. Deshalb initiierten ostdeutsche Kammern im Jahr 2003 Kontakte zu österreichischen Kammern, um diese Studierenden für die Arbeit in Ostdeutschland zu gewinnen.57 Allerdings konnte kein einziger österreichischer Arzt für die neuen Bundesländer rekrutiert werden, obwohl die meisten ausländischen Ärzte innerhalb der EU aus Österreich kommen.58 Auch die Anwerbung von spanischen Ärzten für Ostdeutschland blieb ohne Erfolg.59 Innerhalb Europas findet die Anwerbung oder von den ausländischen Ärzten selbst initiierte Suche ausschließlich aus östlicher Richtung statt.60 Auch die jährliche Ärztestatistik belegt, dass Deutschland ein beliebtes Immigrationsziel für die osteuropäischen Ärzte ist. Im Jahr 2015 kamen 3.028 Ärzte aus den GUS-Staaten nach Deutschland, das entspricht einem Anteil von 8,5 % an der Gesamtzahl von 37.878 berufstätigen Medizinern mit ausländischem Pass in Deutschland. Die meisten Ärzte kommen aus Russland (n=1936) und der Ukraine (n=1092). Im Vergleich zu den beiden Ländern arbeiten in Deutschland aktuell 303 Ärzte aus Weißrussland und 180 aus Kasachstan.61 Der Anteil der Mediziner aus Osteuropa an der Gesamtzahl ausländischer Ärzte steigt kontinuierlich innerhalb der letzten 15 Jahre. Diese Zahlen sprechen dafür, dass die Entscheidungsträger in den neuen Bundesländern bereits das Potenzial der Ärzte aus Osteuropa erkannt haben. Dabei weisen die Mediziner aus den osteuropäischen Ländern eine große Schnittmenge in Hinblick auf die Anforderungen bzgl. der deutschen Sprache und Fachkenntnisse auf. Im folgenden Kapitel wird diese Schnittmenge erläutert.

2.3 Potentiale von Medizinern aus Osteuropa für den deutschen Arbeitsmarkt

Als Herkunftsländer der meisten Nicht-EU-Mediziner fasst die BÄK-Statistik die Russische Föderation (RF) und andere Staaten der ehemaligen Sowjetunion zusammen.62 In der RF, dem bevölkerungsmäßig größten Land innerhalb der GUS-Staaten, gab es im Jahr 2012 4,3 praktizierende Ärzte pro 1.000 Einwohner.63 Im Vergleich zu Deutschland (3,8 Ärzte pro 1.000 Einwohner) und zu dem Durchschnitt in Europa (3,6 Ärzte pro 1.000 Einwohner) hat Russland signifikant mehr Ärzte.64 Zudem ist Russland 2003 dem Bologna-Prozess beigetreten und hat bis 2010 das Bildungssystem dementsprechend den europäischen Standards angepasst.65 Diese Bildungsreform zeigt Russlands Bestrebungen, das eigene Bildungssystem mit dem europäischen langfristig zu konsolidieren, wodurch sich in der Zukunft bessere Chancen auf Anerkennung russischer Diplome innerhalb der EU ergeben.

Hinzu kommt die Tatsache, dass ein relativ hoher Anteil der Bürger in den GUS-Ländern Deutsch spricht, was eine Anwerbung aus Osteuropa attraktiv macht. Allein in Russland sprechen ca. 1,55 Millionen Menschen Deutsch als Fremdsprache.66 Somit belegt Russland den dritten Platz weltweit mit der Anzahl von Deutsch lernenden Bürgern. Die Ukraine nimmt mit ca. 715.000 Deutsch Sprechenden den fünften Platz ein.67 Das zeigt, dass die beiden Länder potenziell viele Deutsch sprechende Bürger haben, unter denen sich auch Mediziner befinden. Nicht zuletzt begünstigt die geographische und kulturelle Nähe die Anwerbung der Ärzte aus Osteuropa.

Als Fazit ist festzustellen, dass viele Mediziner aus Osteuropa bereits in Deutschland arbeiten. Die Möglichkeit einer Arbeitsimmigration wird allerdings von osteuropäischen Ärzten nicht völlig ausgeschöpft. Es stellt sich die Frage, warum trotz der begünstigten Gesetzeslage sowie der vorhandenen kulturellen Nähe und des großen Anteils von Deutsch sprechenden Bürgern die Zuwanderungsrate von Ärzten aus den GUS-Ländern immer noch niedrig bleibt. Dies lässt vermuten, dass es bestimmte Barrieren gibt, die potentielle Bewerber daran hindern, eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen. Um die Merkmale dieser Bewerber aufzuzeigen, erfolgt an dieser Stelle ein Einblick in die Rekrutierungspraxis eines deutschen Unternehmens. Danach werden die beiden Forschungsfragen abgeleitet.

2.4 Erfahrungen aus der Rekrutierungspraxis

Das o. g. Unternehmen spezialisiert sich auf die Rekrutierung von osteuropäischen Ärzten für das deutsche Gesundheitswesen.68 Im Weiteren wird die Firma aus Anonymitätsgründen als „Medical Professional Service GmbH“ (MPS) bezeichnet. Seit 2014 rekrutiert die MPS junge Mediziner aus Osteuropa nach einem systematischen Ansatz in das eigens entwickelte Ausbildungsprogramm. Sie bringt die Ärzte mithilfe intensiver Sprachkurse und Repetitorien zur Approbation und vermittelt sie anschließend in die von dem Ärztemangel besonders betroffenen Regionen Deutschlands. Die Kosten, die dem Unternehmen während der einjährigen Sprachausbildung entstehen, begleichen die Programmteilnehmer durch monatliche Ratenzahlungen ab dem Zeitpunkt ihrer Festanstellung im Krankenhaus. Innerhalb von zwei Jahren wurden auf dieser Art mehr als hundert osteuropäische Mediziner in das oben beschriebene Programm rekrutiert und in Deutschland integriert.69

Alle Bewerbungen für die Teilnahme am Programm werden durch eine Online-Plattform eingereicht. Mit dieser Online-Plattform steht den Organisatoren eine Datenbank mit sämtlichen bewerberrelevanten Informationen zur Verfügung. Die innerhalb der letzten zwei Jahre gesammelten Bewerberdaten erlauben eine Einsicht in die Bewerberpopulation. Die gesamte Anzahl der eingegangenen Bewerbungen im Zeitraum vom Januar 2014 bis Juni 2016 beläuft sich auf 1.525 Bewerber aus Russland, Weißrussland, der Ukraine und Kasachstan. Diese Statistik zeigt, dass in den letzten zwei Jahren eine große Anzahl von Ärzten in den o. g. Staaten ein grundsätzliches und ernsthaftes Interesse an einer Facharztweiterbildung in Deutschland hatte.70 In der Abbildung 3 sind die Deutschkenntnisse aller Bewerber (N=1.525) dargestellt. 23 % aller Ärzte haben bei der Online-Bewerbung angegeben, Deutsch auf mittlerem bis hohem Niveau zu beherrschen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Deutschkenntnisse der Bewerber aus den Jahren 2014 bis 2016, N=1.525

(Quelle: Eigene Darstellung)

Die Sprache bleibt nach wie vor einer der wichtigsten Faktoren für eine erfolgreiche Integration. D. h., mehr als ein Fünftel unter den interessierten Ärzten hatte bereits Deutschkenntnisse und erfüllte diese wichtige Voraussetzung.

Die Rekrutierungspraxis zeigt, dass am Ende des Bewerbungsprozesses nicht alle Bewerber bereit sind, den Vertrag mit der MPS zu schließen und sich zu hohen Rückzahlungen zu verpflichten. Außerdem können höchstens einhundert Ärzte pro Jahr ins Programm aufgenommen und ausgebildet werden. Es stellt sich die Frage, weshalb so viele Deutsch sprechende Ärzte, die Deutschkenntnisse aufweisen und so eine wichtige Voraussetzung noch vor der Einreise erfüllen, sich in den Wettbewerb begeben, um die Chance auf einen Platz im Programm zu bekommen. Inwieweit kann die eigenständige Suche nach einer Arztstelle in Deutschland erfolgreich sein und wovon ist dieser Erfolg abhängig? Aus diesen Überlegungen wird die erste Forschungsfrage abgeleitet. Im folgenden Kapitel werden die beiden Fragen erläutert.

2.5 Zwei Forschungsfragen: Gründe, die Aufnahme eines Jobs und langfristige Bindung der Mitarbeiter verhindern

Zu der ersten Forschungsfrage existieren viele Beiträge aus unterschiedlichen Disziplinen. Als häufigstes Probleme potentieller Bewerber aus dem Ausland werden in der Literatur Angst vor Adaptions- und Integrationsschwierigkeiten, Trennung von der Familie sowie fehlende Information über das Arbeitsangebot oder rechtliche Bedingungen genannt.71 Weniger erforscht sind dagegen die Gründe, weshalb die Ärzte, welche sich zu einer Arbeitsimmigration entschlossen haben, bei ihrer Suche scheitern. Der „Instrumentenkoffer“ der Bewerber, mit welchem sie ihre Ziele erreichen sollen, ist nicht in der Praxis untersucht. Deshalb soll der erste Teil der empirischen Untersuchung diese Forschungslücke schließen und Antworten auf die erste Forschungsfrage liefern. Diese lautet:

Welche häufigen Barrieren sowie Erfolgsfaktoren erfährt ein osteuropäischer Arzt während seiner Suche nach einer Facharztweiterbildung in Deutschland?

Oft werden die zugewanderten ausländischen Mediziner als „Lückenbüßer“ für die fehlende ausgewanderte Kollegin wahrgenommen und dementsprechend innerhalb des Teams behandelt.72 Der Geschäftsführer des Marburger Bundes Berlin-Brandenburg Reiner Felsberg plädiert für „eine Willkommenskultur“.73 Dabei geht nicht nur darum, die Ärzte als Mitarbeiter zu gewinnen, sondern sie entsprechend zu qualifizieren und langfristig an den Arbeitsplatz zu binden. Die Rahmenbedingungen der ärztlichen Tätigkeit sollten verbessert werden, um den Beruf wieder attraktiver zu machen.74 Die Beobachtungen aus der Rekrutierungspraxis zeigen, dass ein Teil der vermittelten Ärzte ihren Arbeitgeber innerhalb eines Jahres wechseln, wenn diese Rahmenbedingungen nicht stimmen.75

In der Studie „Perspektiven junger Ärztinnen und Ärzte in der Patientenversorgung“ ermittelte Matthias Weigl durch die schriftliche Befragung die arbeitsbezogenen Einflussfaktoren für Gesundheit und Zufriedenheit bei Assistenzärzten in Weiterbildung (N=377) im südbayerischen Raum.76 Die Autoren schlussfolgern, dass die Qualität der Weiterbildung positiv mit der Arbeits- und Berufszufriedenheit der Nachwuchsärzte verbunden ist. Als besonders relevant ergeben sich dabei die zwei folgenden Einflussgrößen:

1. Die hausinterne Weiterbildung soll so organisiert werden, dass klinik- oder abteilungsinterne Weiterbildungspläne vorhanden sind und zeitlich eingehalten werden.
2. Die abteilungs- oder klinikinterne Unterstützung bei neuen Aufgaben soll gegeben sein sowie Fachwissen in angemessener Weise vermittelt werden. Die Ärzte sollen auf Unterstützung der Kollegen zählen können.77

Die Studie weist insoweit Limitationen auf, weil an dieser Untersuchung die Ärzte aus einer Region mit relativ großer Ärztedichte teilnahmen. Es gibt keine Studien zur Zufriedenheit von Medizinern, welche in Gebieten mit dem größten Ärztemangel arbeiten, wie bspw. den neuen Bundesländern, wo zum Teil bis zu 80 % der Ärztebelegschaft Ausländer sind.78 Das bedeutet, dass die ausländischen Ärzte zu der Zufriedenheit mit ihrer Tätigkeit in deutschen Kliniken bisher nicht befragt wurden, obwohl ihr Anteil an der Gesamtzahl berufstätiger Ärzte deutschlandweit aktuell 10 % beträgt, mit steigender Tendenz. Diese Aspekte sollten deshalb mithilfe der zweiten Forschungsfrage nun erschlossen werden. Die zweite Forschungsfrage dieser Arbeit lautet:

Welche Faktoren können eine langfristige Beschäftigung von ausländischen Ärzten in Kliniken Deutschlands fördern?

Es soll untersucht werden, inwieweit sich die Meinungen von ausländischen Ärzten in Hinblick auf die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz und der Weiterbildung von den Meinungen ihrer einheimischen Kollegen aus der Studie von Weigl unterscheiden. Mithilfe der Befragung sollen nach Möglichkeit auch bisher nicht beleuchtete, spezifische Aspekte der Beschäftigung ausländischer Mediziner erfasst werden.

Die erste Frage zu Barrieren während der Arbeitssuche wird aus der Perspektive der Bewerber beantwortet. Die zweite Frage über die Aspekte einer langfristigen Beschäftigung von ausländischen Medizinern wird aus der Perspektive dieser Mediziner sowie der Personalverantwortlichen in Krankenhäusern untersucht.

Die beiden Fragen werden in dem empirischen Teil der Arbeit mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse untersucht (s. Kapitel 3). Aus den Antworten der Interviewpartner zu den beiden Fragen sollen praktische Implikationen abgeleitet werden, die den Bewerbungs- und Integrationsprozesse für die ausländischen Mediziner erleichtern sowie ein langfristiges Arbeitsverhältnis im Krankenhaus begünstigen (s. Kapitel 0). Somit bezweckt die Verfasserin, weitere als die bereits erforschten Aspekte einer erfolgreichen Arbeitsimmigration aufzuzeigen.

3 Empirische Untersuchung zu Barrieren und Erfolgsfaktoren auf dem Weg zur Facharztweiterbildung

Im folgenden Kapitel werden die hemmenden und fördernden Faktoren für die Aufnahme einer Facharztweiterbildung sowie die fördernden Faktoren für eine langfristige Bindung von osteuropäischen Ärzten an den Arbeitsplatz untersucht. Anhand einer Befragung von in Deutschland lebenden Medizinern sollen die beiden Forschungsfragen beantwortet werden.

3.1 Erhebungs- und Auswertungsmethodik

Zur Beantwortung der beiden Forschungsfragen wird als Erhebungsmethode ein Experteninterview aus den Methoden der qualitativen Sozialforschung gewählt. Die Datengrundlage liefern Interviews mit 16 Ärzten aus Russland, Weißrussland, der Ukraine und Kasachstan. Alle Befragten leben derzeit in Deutschland und werden als Experten für die aufgestellten Forschungsfragen herangezogen. Die Untersuchung endet mit einem zusätzlichen Interview mit der Oberärztin einer städtischen Klinik in Nordrhein-Westfalen (NRW). In diesem Interview wird die Problematik bei der Integration von osteuropäischen Medizinern in deutschen Krankenhäusern aus der Perspektive der Personalverantwortlichen dieser Kliniken dargestellt.

Die Befragung findet auf Deutsch statt, da alle Interviewpartner die deutsche Sprache auf dem Niveau B2-C1 beherrschen. Die Einschlusskriterien für die erste Stichprobe sind:

- Deutsch auf dem Niveau B2-C1,
- eine eigenständige Suche nach Arztstellen in Deutschland, die vor dem Zeitpunkt der Befragung erfolgte.

Die meisten Personen aus der ersten Stichprobe sind Teilnehmer des MPS-Programms (siehe dazu Kapitel 2.4). Zum Zeitpunkt der Befragung befanden sie sich in dem Sprachkurs und Repetitorium zur mündlichen Approbationsprüfung. Deshalb werden sie im Folgenden als Studenten bezeichnet.

Die zweite Stichprobe umfasst ehemalige Teilnehmer des MPS-Programms. Diese Ärzte haben bereits das TELC-Zertifikat Deutsch B2-C1 Medizin79 sowie die deutsche Approbation erworben und arbeiten derzeit als Assistenzärzte in Krankenhäusern in unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Diese Interviewpartner werden im Weiteren als Assistenzärzte bezeichnet.

3.1.1 Grundlagen zum Experteninterview als Erhebungsmethode

In dem Bereich qualitativer Forschung gibt es eine Vielzahl von Interviewformen. Bei den Forschungsgegenständen, bei denen ein Interesse an dem informativen Inhalt von Interviews besteht, sind eine stärker strukturierte Erhebung und eine frühere Reduktion des sprachlichen Materials auf seinen informativen Gehalt zulässig und sinnvoll.80 Dies betrifft vor allem Experteninterviews.81 Bei diesem Interviewtyp wird ein Experte als Ratgeber gesehen, der Auskunft über Tatbestände gibt.82 Die Definition, wer als Experte gilt, ist flexibel.83 Definitionskriterium kann der von dem Forscher zugeschriebene Status „Experte“ oder die faktische Position in einer Hierarchie sein.84 Jedoch gibt es eine Besonderheit, die für alle Experteninterviews gilt: Ein Experte wird aufgrund seines speziellen Status und nicht als Privatperson befragt. Auch einem Laien kann ein Status als Experten zugeschrieben werden, wenn in dem Interview Wissen und Handlungen in Bezug auf eine persönliche, lebensgeschichtliche Problematik erfragt werden sollen.85 Dabei geht es nicht darum, die Forschungsfrage von den Experten beantwortet zu bekommen, sondern um ihr Erfahrungswissen.86 Für diese Arbeit wurde somit folgende Definition von Przyborski und Wohlrab-Sahr verwendet:

„Experten sind Personen, die über ein spezifisches Rollenwissen verfügen, solches zugeschrieben bekommen und eine darauf basierende besondere Kompetenz für sich selbst in Anspruch nehmen.“87

In Rahmen dieser Arbeit gelten daher als Experten die Ärzte aus den osteuropäischen Ländern, welche ihr Sonderwissen in Form einer persönlichen Lebenserfahrung vor und während ihrer Facharztweiterbildung in Deutschland gesammelt haben.

Für die Experteninterviews wird allgemein eine stärkere Strukturierung in Form eines Leidfadens empfohlen, welcher an der Sprache des Befragten angepasst ist. Im weiteren Verlauf des Interviews können eine Öffnung und eine Zurücknahme der Strukturierung hilfreich sein.88 Es werden möglichst offene Fragen formuliert, um eine Erzählatmosphäre herzustellen.89 Im Folgenden wird das Konzipieren der beiden Interviewleitfäden kurz beschrieben.

3.1.2 Interviewleitfaden

Für die Befragung der beiden Gruppen wurden zwei verschiedene teilstandardisierte Interviewleitfäden konzipiert. Grund dafür sind die thematisch unterschiedlichen Schwerpunkte beider Forschungsfragen. Außerdem hätte das Zusammenführen der beiden Forschungsfragen in einem einheitlichen Leitfaden die Komplexität des Fragebogens erhöht und seine Handhabbarkeit als Gedankenstütze während des Interviews gemindert. Als Basis für die Fragen dienen die Erkenntnisse aus der vorangegangenen Literaturrecherche. Beide Fragebögen enthalten Fragen zum soziodemographischen Hintergrund wie Alter, Familienstand, Zeitpunkt der Immigration, Facharztbezeichnung und Berufserfahrung. Der Interviewleitfaden zur Beantwortung der ersten Forschungsfrage ist in die fünf folgenden Themenblöcke unterteilt:

- Schilderung von Überlegungen vor der Immigration nach Deutschland
- Schilderung von Erfahrungen bei der Suche nach einer Anstellung als Facharzt-Weiterbildungsassistent
- Bewertung des informationellen Supports seitens der Behörden in Deutschland
- Empfehlungen für die aktuell nach Stellen suchenden Kollegen in Hinblick auf die Suchstrategie und Integration in Deutschland

Zusätzlich zu den genannten thematischen Abschnitten enthält der Interviewleitfaden für Assistenzärzte Fragen zur Zufriedenheit im derzeitigen Beschäftigungsverhältnis sowie Verbesserungsvorschläge zur langfristigen Bindung der Fachkräfte. Die Anhänge x und y enthalten die beiden Leitfäden.

[...]


1 Deutsche Welle (2015), Interview mit Prof. Dr. H. Neumann, dem ehemaligen Chefarzt der Abteilung der Inneren Medizin des St. Joseph- und St. Elisabeth-Hospitals der Universität Bochum.

2 Aus Gründen der Lesbarkeit wird in der gesamten Arbeit nur die männliche Form verwendet. Damit sind jeweils alle Geschlechter gemeint.

3 Vgl. Burkhart et al. (2012), S. 12.

4 Vgl. Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (2016a), S. 1; Vgl. Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (2016), S. 1.

5 Vgl. Burkhart et al. (2012), S. 13.

6 Vgl. ebd.

7 Die GUS ist ein loser Zusammenschluss von zwölf Teilrepubliken der ehemaligen Sowjetunion, vgl. Bundeszentrale für politische Bildung (2016), S. 1.

8 Vgl. Bundesärztekammer (2016), S. 30.

9 Vgl. Deutsche Welle (2015), Interview mit Prof. Dr. H. Neumann.

10 Vgl. Bundesärztekammer (2016), S. 30.

11 Vgl. Evans et al. (2013), S. 64.

12 Vgl. Kopetsch (2013), S. 146.

13 Vgl. ebd.

14 Vgl. ebd.; Burkhart et al. (2012), S. 8 f.

15 Vgl. Kopetsch (2010), S. 11.

16 Vgl. Kopetsch (2013), S. 147.

17 Vgl. Burkhart et al. (2012), S. 20 f.

18 Vgl. ebd.

19 Vgl. Beske (2016), S. 19.

20 Vgl. Kopetsch (2013), S. 139.

21 Vgl. ebd.

22 Vgl. Burkhart et al. (2012), S. 10.

23 Vgl. Kopetsch (2010), S. 11; Yamamura (2009), S. 196.

24 Vgl. Kellner et al. (2015), S. 201; Kopetsch (2010), S. 11; Bundesärztekammer (2016), S. 1.

25 Bundesärztekammer (2016), S. 1.

26 Vgl. ebd.

27 Vgl. Bundesärztekammer (2016), S. 2.

28 Die BÄK-Statistik gibt eine durchschnittliche Ärztedichte je nach Bundesland an. Vgl. ebd.

29 Vgl. Yamamura (2009), S. 198.

30 Vgl. Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (2016a), S. 1.

31 Vgl. Gesundheitskongress des Westens (2016), S. 1.

32 „Brain Drain“ bedeutet wörtlich Gehirn-Abfluss im Sinne von Talentschwund, also die Abwanderung der Intelligenz einer Volkswirtschaft, vgl. Yamamura (2009), S. 201.

33 Vgl. Yamamura (2009), S. 201.

34 Vgl. Evans et al. (2013), S. 64.

35 Vgl. Hoesch (2009), S. 266 f.

36 Vgl. Bundesärztekammer (2016), S. 1.

37 Vgl. ebd.

38 Vgl. ebd.

39 Vgl. ebd.

40 Assistenzärzte sind die Ärzte nach dem abgeschlossenen Medizinstudium, die sich in einer Weiterbildung zum Facharzt befinden.

41 Vgl. Ärzteblatt (2015), S. 1.

42 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung (2016), S. 33.

43 Vgl. Sommer (2015), S. 166.

44 Vgl. Sommer (2015), S. 166; Bundesgesetzblatt (2002), S. 1.

45 Approbation ist eine Zulassung zur „eigenverantwortlichen und selbständigen ärztlichen Berufsausübung“, Bundesgesetzblatt (2002), S. 1.

46 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung (2014), S. 1.

47 Vgl. § 3 Abs. 2 S. 2. der Bundesärzteordnung.

48 Vgl. Sommer (2015), S. 166 f.

49 Vgl. Hibbeler (2013), S. 1.

50 Vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung (2016), S. 38 f.

51 Die Agenturen optimieren die Bewerbungsunterlagen der Ärzte und vereinbaren die Vorstellungsgespräche bei den Kliniken. Zu einem Bewerbungsgespräch kommen die Bewerber nach Deutschland. Im Fall einer Zusage erhält die Firma eine Provision von dem Krankenhaus.

52 Vgl. Juszczak (2012), S. 34; Kellner et al. (2015), S. 144.

53 Vgl. Farhan et al. (2014), S. 303.

54 Vgl. Farhan et al. (2016), S. 215 f.; Farhan et al. (2014), S. 303; Juszczak (2012), S. 43; Kellner et al. (2015), S. 144.

55 Vgl. Juszczak (2012), S. 34.

56 Vgl. Bundesärztekammer (2016), S. 30.

57 Da Österreich eines der wenigen Länder mit leichtem Ärzteüberschuss in Europa ist, sollten dort Ärzte angeworben werden. Vgl. Hoesch (2009), S. 266.

58 Vgl. ebd.; Vgl. Ärzteblatt (2015), S. 1.

59 Vgl. ebd.

60 Vgl. ebd.

61 Nach einer telefonischen Auskunft bei der BÄK bedeutet die Formulierung „Russland/ehemaliger Sowjetunion“ in der vorliegenden Statistik, dass die Ärzte aus Russland inklusive ihrer Föderationen stammen. Vgl. Bundesärztekammer (2016), S. 30 f.

62 Vgl. Bundesärztekammer (2016), S. 30.

63 Vgl. Statistisches Bundesamt (2012b), S. 3.

64 Vgl. Statistisches Bundesamt (2012a), S. 3.

65 Vgl. Rechel et al. (2006), S. 103.

66 Vgl. Statista GmbH (2015), S. 1.

67 Vgl. ebd.

68 Die Verfasserin dieser Arbeit war in dem Unternehmen als Mitarbeiterin in der Abteilung Recruiting für drei Jahre tätig.

69 Alle Statistiken zu den Programmteilnehmern stammen aus der internen Datenbank der MPS GmbH.

70 Für die Ernsthaftigkeit der Absichten spricht die Tatsache, dass jeder Bewerber als Voraussetzung für die Teilnahme die umfassenden Bewerbungsunterlagen eingereicht hat. Auch in der nächsten Auswahlstufe kamen im Schnitt mehr als 90 % der Eingeladenen zu den Assessment-Centern vor Ort.

71 Vgl. Hibbeler (2013), S. 1.

72 Vgl. Kellner et al. (2015), S. 142.

73 Ärzteblatt (2015), S. 1.

74 Vgl. Kopetsch (2013), S. 139.

75 Interne Evaluation der MPS GmbH.

76 Vgl. Weigl et al. (2013), S. 71.

77 Vgl. Weigl et al. (2013), S. 77 f.

78 Vgl. Ärzteblatt (2015), S. 1.

79 Vgl. telc gGmbH (2016), S. 1.

80 Vgl. Helfferich (2011), S. 37.

81 Vgl. Helfferich (2011), S. 39.

82 Vgl. Helfferich (2011), S. 162.

83 Vgl. Helfferich (2011), S. 162 f., S. 263; Misoch (2015), S. 120; Sommer (2015), S. 96.

84 Vgl. Helfferich (2011), S. 163.

85 Vgl. Helfferich (2011), S. 163.

86 Vgl. Sommer (2015), S. 96.

87 Przyborski et al. (2014), S. 133.

88 Vgl. Helfferich (2011), S. 164.

89 Vgl. Dresing et al. (2015), S. 10.

Excerpt out of 89 pages

Details

Title
Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in Deutschland. Barrieren und Erfolgsfaktoren bei der Gewinnung osteuropäischer Mediziner für das deutsche Gesundheitswesen
College
University of Duisburg-Essen
Grade
1,7
Author
Year
2016
Pages
89
Catalog Number
V496085
ISBN (eBook)
9783346006431
ISBN (Book)
9783346006448
Language
German
Keywords
Ärztemangel, Personal, Recruting, Rekrutierung, Fachkräftemangel, Arbeitsplatzbedingungen, Arbeitsplatzzufriedenheit, Approbation, Sprachbarrieren, Barrieren, Personalmangel, Krankenhaus Facharzt, Assistenzarzt, Integration, Ausländische Fachkräfte, Ausländische Ärzte, Medizinische Versorgung, Ärztliche Versorgung
Quote paper
Xeniya Weis (Author), 2016, Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in Deutschland. Barrieren und Erfolgsfaktoren bei der Gewinnung osteuropäischer Mediziner für das deutsche Gesundheitswesen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/496085

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Gewinnung osteuropäischer Mediziner für das deutsche Gesundheitswesen



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