Hobbes selbst hat den Ausdruck Anthropologie – die Wissenschaft vom Menschen - nicht benutzt. Obwohl er den Ausdruck als solchen nicht kannte, verbreitete Hobbes doch die Idee dieser neuen Wissenschaft, die an die Stelle der Metaphysik tritt. Die Anthropologie ist die Voraussetzung für die Philosophie des Thomas Hobbes. Seine Zeitgenossen, etwa Descartes, stellten die Rechte der Metaphysik nicht in Frage. Hobbes bestreitet aber diese Rechte im Namen einer Wissenschaft, die aus dem Wesen eine Zusammenstellung von Bewegungen macht. Aus diesem Mechanismus zieht Hobbes radikale Konsequenzen. Dies läßt folgende Frage aufkommen: Kann der Reduktionismus auf mechanische Abläufe das Entstehen eines Staates ausreichend erklären?
Am Anfang des Kapitel XLVI des Leviathan gibt er eine Definition von dem, was er unter Philosophie des Menschen oder Anthropologie versteht:
„Unter Philosophie versteht man das Wissen, das erworben wird, indem man von der Art der Entstehung eines Dinges auf seine Eigenschaften oder von den Eigenschaften auf einen möglichen Weg seiner Entstehung schließt, um zu ermöglichen, insofern es Stoff und menschliche Kraft erlauben, solche Wirkungen zu erzeugen, die das menschliche Leben fordert.“
(Leviathan, Kapitel XLVI, S. 507)
Auch die Wissenschaft ist ein Artefakt des menschlichen Geistes, und nur als solches kann sie alle anderen Kunsterzeugnisse erklären – vor allem soziale Konventionen und politische Einrichtungen. Der Mensch würde unerklärlich bleiben, wenn er eine bloße Gegebenheit der Natur wäre.
Die Eigentümlichkeit von Hobbes war es, aus der Anthropologie die allgemeine Voraussetzung seiner politischen Philosophie gemacht zu haben. Auf die Weise wollte er der politischen Wissenschaft eine feste Grundlage geben. Untersucht man die Anthropologie, so stellt man fest, daß Hobbes eine ganze Reihe von Themen entwickelt, die keine direkte Beziehung zu seiner politischen Theorie haben. So stellt er Fragen hinsichtlich des Traums, der Erinnerung, der Phantasmen, des Großmuts, der Reue usw. So läßt sich sagen, seine Anthropologie sei unmittelbar philosophisch und nicht politisch. In der Anthropologie gibt es also Voraussetzungen, die dazu dienen, die politische Philosophie zu begründen.
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- ZUR METHODE DES THOMAS HOBBES
- DIE THEORETISCHE ANTHROPOLOGIE
- Fragmente einer physiologischen Theorie
- Theorie der Sinneswahrnehmung (sensio)
- Empfindung und Vorstellung
- Denken, Erfahrung und Klugheit
- Vernunft und Sprache
- DIE PRAKTISCHE ANTHROPOLOGIE
- Theorie der Handlungsmotivation
- Konzeption der Handlungsrationalität
- Theorie der Leidenschaften (affectus)
- Hobbes Machtdefinition
- RÉSUMÉ
- Vom summum malum zum summum maximum
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Anthropologie von Thomas Hobbes und stellt die grundlegenden Elemente seiner philosophischen Konzeption des Menschen dar. Sie untersucht die Methoden, die Hobbes zur Entwicklung seiner Theorie verwendet, sowie die theoretischen und praktischen Aspekte der menschlichen Natur, die er beleuchtet.
- Hobbes' mechanistische Sichtweise des Menschen
- Die Rolle der Sinneswahrnehmung und der inneren Bewegungen
- Die Motivation menschlichen Handelns und die Konzeption von Rationalität
- Die Bedeutung von Macht und Leidenschaften in der Hobbes'schen Philosophie
- Der Zusammenhang zwischen Anthropologie und Hobbes' politischer Philosophie
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Der Text stellt Hobbes' anthropologische Konzeption als Voraussetzung für seine politische Philosophie dar. Er beleuchtet die Frage, ob der Reduktionismus auf mechanische Abläufe die Entstehung eines Staates ausreichend erklären kann.
- Zur Methode des Thomas Hobbes: Hobbes entwickelt eine neue wissenschaftliche Methode als Gegenbegriff zur Natur, um Wissen methodisch zu produzieren. Diese Methode dient der Unterscheidung von Wahrheiten, die zeit- und ortsunabhängig gelten.
- Die theoretische Anthropologie: Hobbes' physiologische Theorie beschränkt sich auf die Bereiche Ernährung, Kreislauf und Herzaktion. Seine Theorie der Sinneswahrnehmung ist mechanistisch und reduziert subjektive Vorstellungen auf innere Bewegungen.
- Die praktische Anthropologie: Die Kapitel befassen sich mit der Motivation menschlichen Handelns, der Konzeption von Rationalität und der Rolle von Leidenschaften. Hobbes' Machtdefinition wird im Kontext des „maximum bonum“, des großen Leviathan-Staates, betrachtet.
Schlüsselwörter
Die Arbeit fokussiert auf die folgenden zentralen Begriffe: Anthropologie, Mechanismus, Sinneswahrnehmung, innere Bewegungen, Handlungsmotivation, Rationalität, Leidenschaften, Macht, Leviathan, Staatsbildung.
- Quote paper
- Stefan Meingast (Author), 1999, Anthropologie bei Thomas Hobbes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49667