Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Die wissenschaftliche Weltauffassun
g des Wiener Kreises
2.1 Logischer Empirismus als Grundgedanke des Wiener Kreises
2.2 Der logische Aufbau der Welt nach Carnap
2.3 Das Sinnkriterium
3. Anwendung des Sinnkriteriums als Kritik an der Metaphysik
3.1 Metaphysische Scheinbegriffe
3.2 Metaphysische Scheinsätze
4. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Vorwort
Der „Wiener Kreis“ war zweifelsfrei einer der interessantesten philosophischen Gruppierungen des 20. Jahrhunderts. Gegründet wurde der Wiener Kreis von Moritz Schlick in den 1930er Jahren in Wien, wobei Otto Neurath, Rudolph Carnap, Hans Reichenbach und Hans Hahn schon bald zu den Mitgliedern gezählt werden konnten.
Die Philosophen setzten es sich zum Ziel, eine neue Weltanschauung, nämlich die „wissenschaftliche Weltauffassung“ durchzusetzen, die Gottlob Frege’s „neue Logik“ als Grundlagen haben sollte. Als weitere Einflüsse können Wittgenstein, Russel und David Hume genannt werden.
Ab Anfang der 1940er Jahre wurde die in der Philosophie, aber auch darüber hinaus, vielbeachtete Zeitschrift „Erkenntnis“ vom Wiener Kreis herausgegeben, die dem Autor als Grundlage für die Analyse der Weltauffassung des Wiener Kreises dienen wird.
Die Mitglieder des Wiener Kreises hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die neue, wissenschaftliche Weltauffassung radikal durchzusetzen und somit in der Philosophie alle in ihren Augen unwissenschaftlichen Bereiche zu eliminieren. So sollten lediglich empirische Wahrnehmungen als hinreichendes Mittel für die Verifikation einer These akzeptiert werden.
Somit ist es nicht verwunderlich, dass das Kritisieren und Anzweifeln oder gar Widerlegen metaphysischer Elemente in der Philosophie eine zentrale Aufgabe war.
Selbstverständlich wurden auch noch andere Bereiche der Philosophie als „unwissenschaftlich“ widerlegt, dazu zählt zum Beispiel der Bereich der Ethik, sowie die Ästhetik. Da die Metaphysik jedoch den Kernpunkt der Kritik bildet, befasst sich diese Arbeit ausschließlich mit der Widerlegung dieser. Das Mittel für die „Bereinigung“ der Philosophie war das Sinnkriterium, das von Rudolph Carnap entwickelt wurde. Durch dieses Kriterium konnten ausgewählte philosophische Richtungen als sinnlos überführt und aller Berechtigungsgrundlage beraubt werden. Diese teils radikale Vorgehensweise ist in fast allen Veröffentlichungen des Wiener Kreises vorzufinden.
Das Sinnkriterium wird im Folgenden, ebenso wie die wissenschaftliche Weltauffassung in Kapitel 2 näher definiert, wobei auch aufgezeigt werden soll, wie der Wiener Kreis die wissenschaftliche Weltauffassung in der Wissenschaft durchsetzen wollte, bevor dann in Kapitel 3 mit Hilfe ebendieser die Kritik an der Metaphysik aus Sicht der Mitglieder des Wiener Kreises erarbeitet wird.
2. Die wissenschaftliche Weltauffassung des Wiener Kreises
2.1 Logischer Empirismus als Grundgedanke des Wiener Kreises
Eines der zentralen Anliegen des Wiener Kreises war es, die wissenschaftliche Weltauffassung in aller Radikalität durchzusetzen. Bereits in einem sehr frühen Stadium des Wiener Kreises definierte Neurath die wissenschaftliche Weltauffassung des Wiener Kreises:
„Was die moderne wissenschaftliche Weltauffassung kennzeichnet, ist, wie erwähnt, die Verknüpfung von empirischen Einzelfakten, die systematische, experimentelle Überprüfung, die Eingliederung des Einzelnen in das Gewebe aller Abläufe und die einheitliche Durchlogisierung aller Gedankengänge, um eine Einheitswissenschaft zu schaffen, die aller umgestaltenden Tat erfolgreich dienen kann.“1
Diese Aussage Neuraths ist wohl als eine der zentralen Aussagen über die Anforderungen des Wiener Kreises an die moderne Wissenschaft zu werten. Es wird nun nicht mehr versucht, die Welt als Ganzes zu verstehen, sondern man gliedert die Wissenschaft in neue, kleinere Teilgebiete - Teilwissenschaften auf. Wissenschaftlich fundierte Erkenntnis kann durch empirische Forschung in den Einzeldisziplinen erlangt werden, die dann in eine allumfassende Einheitswissenschaft eingegliedert werden kann, welche Methoden und Regeln für die wissenschaftliche Arbeit in den Teildisziplinen vorgibt. Die Philosophie als Wissenschaft geht hier meist anders vor: selbst aus Erwägungen, die rein gedanklich getroffen werden, können Erkenntnisse abgeleitet werden. Insbesondere der Teilbereich der Metaphysik versucht, ein vollständiges Weltbild zu erschaffen, dessen Grundsätze sich allerdings nicht aus Einzelbeobachtungen von Teilgebieten der Wissenschaft ableiten lassen; doch gerade das: die Ableitbarkeit aus empirischen Einzelerkenntnissen ist für den Wiener Kreis unabdingbare Voraussetzung dafür, um von fundierter wissenschaftlichen Arbeit sprechen zu können, weshalb die Metaphysik schnell zum Gegenstand scharfer Kritik seitens des Wiener Kreises wurde.2
Erkenntnis a priori wird von den Mitgliedern des Wiener Kreises nicht anerkannt. Daher war es vonnöten, neue Werkzeuge einzuführen, mit deren Hilfe Beobachtungen in tautologisch gültige Aussagen umgeformt werden können: nämlich Logik und Mathematik.
Laut der wissenschaftlichen Weltauffassung bleiben nun genau die zwei Möglichkeiten (1.) Beobachtung und (2.) tautologische Umformung, um legitim Erkenntnis zu erlangen. Durch den Vorgang der Konstituierung können wissenschaftliche Sätze schließlich auf singuläre Sinneseindrücke zurückgeführt werden. Die Logik nimmt hierbei eine Umformungsaufgabe wahr.
Die Mathematik wird von Hans Hahn, aber auch anderen Mitgliedern des Wiener Kreises, als Teilgebiet der Logik angesehen, womit sie sich an der Ansicht von Russel orientieren. Da also die Mathematik den Regeln der Logik folgt, kann sie als analytische Wissenschaft bezeichnet werden.3
2.2 Der logische Aufbau der Welt nach Carnap
Rudolph Carnap versuchte in seinem Standardwerk „Der logische Aufbau der Welt“ ein System zu manifestieren, mit dessen Hilfe man alle wissenschaftlichen Begriffe auf das in der tatsächlichen Wahrnehmung real Vorhandene konstituieren kann. Grundlage dieses System des Schließens ist das von Carnap entwickelte System der Elementarerlebnisse. Elementarerlebnisse können als vollumfassende, ganzheitliche Eindrücke dessen definiert werden, was in einzelnen Augenblicken erlebt wurde, wobei diese Erlebnisse innere, als auch äußere Wahrnehmungen enthalten können. Mit Hilfe eines Relation der Ähnlichkeit versucht Car nap von den eben genannten subjektiven, hin zu objektiven Begriffssystemen zu kommen. 4
Außerdem entwickelt Carnap ein sog. Konstitutionssystem, womit sämtliche wissenschaftliche Begriffe konstituiert werden können:
„Zunächst gehen alle eigenpsychischen Begriffe, d.h. solche, die sich auf die psychischen Vorgänge des erkennenden Subjektes selbst beziehen, auf das Gegebene zurück. Alle physischen Begriffe lassen sich auf die eigenpsychischen zurückführen, da jeder physische Vorgang prinzipiell durch Wahrnehmungen feststellbar ist. Aus den physischen begriffen werden die fremdpsychischen konstituiert, die sich auf die psychischen Vo r gänge der übrigen Subjekte beziehen. Und schließlich gehen die sozialwissenschaftlichen Begriffe auf Begriffe der genannten Art zurück. So ergibt sich ein Stammbaum der Begriffe […].“5
Auch Carnap verweist hier, ebenso wie Neurath, auf die Begriff der Einheitswissenschaft, wobei sich alle Teilgebiete der selben Methoden und Regeln bedienen würden.
2.3 Das Sinnkriterium
Nachdem nun das Konstitutionssystem, also das System des logischen Schließens erläutert wurde, stellt Carnap in der Zeitschrift Erkenntnis fest, dass, da ja logischerweise lediglich wissenschaftlich sinnvolle Ausdrücke auf die Erfahrungsbasis zurückgeführt werden können, es vonnöten ist, eine klar definierte Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen Begriffen und unwissenschaftlichen sog. Scheinbegriffen zu treffen. Diese erwähnten Scheinbegriffe sind für Vertreter der wissenschaftlichen Weltauffassung sinnlos, was heißt, dass diese Begriffe nichts bezeichnen.
Doch wie kann es sein, dass es überhaupt solche Scheinbegriffe gibt, wenn sie doch sinnlos sind? Carnap geht davon aus, dass im Grunde jeder Begriff eine Bedeutung hat. Doch im Laufe der Zeit kann es passieren, dass diese Bedeutung abhanden kommt oder derart stark verfremdet wird, dass der Begriff an Bedeutung verliert. Allerdings gibt es, so Carnap, auch Scheinbegriffe, die noch nie eine Bedeutung hatten, was vor allem in der Metaphysik der Fall ist. In Kapitel 3 werden solche bedeutungslosen Scheinbegriffe in der Metaphysik daher näher behandelt und aufgezeigt.
Um Scheinsätze zu identifizieren, bedient sich Carnap bei Wittgenstein’s Sinnkriterium und definiert ein eindeutiges Vorgehen:6
„Das Ergebnis unserer Überlegungen […]:
„a“ sei irgendein Wort, und „S(a)“ der Elementarsatz, in dem es auftritt. Die hinreichende und notwendige Bedingung dafür, dass „a“ eine Bedeutung hat, kann in der der folgenden Formulierungen angegeben werden, die im Grunde dasselbe besagen:
1. Die empirischen Kennzeichen für „a“ sind bekannt.
2. Es steht fest, aus was für Protokollsätzen „S(a)“ abgeleitet werden kann.
3. Die Wahrheitsbedingungen für „S(a)“ liegen fest.
4. Der Weg zur Verifikation von „S(a)“ ist bekannt.“7
[...]
1 Neurath (1930/31), S. 118
2 vgl. Neurath (1930/31), S. 106 ff
3 vgl. Hahn (1930/31), S. 96-105
4 vgl. Carnap (1961), § 1-5, 57
5 Carnap (1931/31), S. 24
6 vgl. Carnap (1931), S. 119 - 224
7 Carnap (1931), S. 224