Können schon niedrige Strahlendosen Krebs verursachen oder sogar behindern?


Ensayo, 2019

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Können schon niedrige Strahlendosen Krebs verursachen oder sogar behindern?

Hans Grasmuk

Wien, Juni 2019

In den letzten Jahren starben rund 7 Millionen Menschen jährlich an Krebs. Das sind 15 %, in entwickelten Ländern sogar 25 %. Unter verschiedenen Krebsformen sind etwa 7 ‰ Leukä-mien, die deswegen nicht weniger gefürchtet sind. Die durchaus verursachte, dennoch häufig als “Spontanrate“ bezeichnete Mortalität variiert je nach Vorliebe für den Tabakkonsum, falsche Ernährung, Übergewicht, Infektionen, Alkohol, UV-Strahlen der Sonne und Bewegungsmangel – um nur einige zu nennen. Deren Schwankungen erschweren die Entscheidung ob niedrige Dosen ionisierender Strahlen auf die Krebsrate noch eins drauf-setzen oder das Gegenteil tun. Letzteres könnten sie durch Anregung von Radikalfängern oder verstärkter RNA-Reparaturen – also durch Verstärkung der Immunität. In Zellen werden spontane wie strahlenverursachte Schäden gleichermaßen zu reduzieren versucht. Ist in der Bilanz die Spontanrate mitreduziert, könnte man von einer Strahlenhormesis also von einer positiven Strahlenwirkung ausgehen. Tonangebende Kommissionen wie die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP halten aber konservativ an einem linearen Risikoanstieg mit ansteigender Strahlendosis fest. Sie vermuten dass eine Dosisreduktion um den Faktor 100 das Risiko noch immer, wie klein auch die Dosis sei, auf ein Prozent reduzieren würde, also keine Dosis sei klein genug um risikolos zu sein. Inzwischen häufen sich Hinweise, dass Hormesis im Bereich niedriger Dosen auftreten könnte.1 Der überzeugteste Vertreter dieser Ansicht ist Professor Thomas Donnell Luckey mit dem bezeichnenden Titel „The Health Effects of Low-Dose Ionizing Radiation“ 2008.2

Strahlendosen und ihre Raten

Mit „Dosis“ wird die durch Strahlen in exponierten Stoffen pro Masseneinheit (kg) zurückgelassene Energie (in Joule) bezeichnet. Die Bezeichnung der Dosiseinheit „Gray“ (1Gy) erinnert an den Strahlenexperten Harold Gray. Für die Einheit wurde das Verhältnis `1 Joule/kg` festgelegt. Wegen des durch Strahlen verursachten Ausfalls zu vieler Körper-zellen können hohe akute Ganzkörperdosen von 4 oder 6 Gy für jeweils 50 oder 90 Prozent derart Exponierter nach einer kurzen Latenzzeit von Tagen oder Wochen tödlich enden. Natürlich sind auch geringere Dosen herunter bis zu einigen Zehntel der Einheit für Bestrahlte riskant. Wie sehr hängt neben der Dosis von der sie verursachenden Strahlenart ab, weil Neutronen- und die dichtionisierenden Alphastrahlen bei gleicher Dosis ein höheres Krebsrisiko als die locker ionisierenden Beta-, Gamma- und Röntgenstrahlen verursachen. Der Strahlen-effekt hängt auch vom Alter der exponierten Person ab – je niedriger das Alter bei der Dosisaufnahme, desto höher das Risiko. Auch fand sich an bestrahlten Organen eine unterschiedliche Tendenz zur Bildung von Krebs. Betroffen in abnehmender Reihenfolge sind Blase, weibliche Brust, Lunge, Gehirn, Eierstöcke, Schilddrüse, Dickdarm, Speiseröhre, Magen, Leber und Haut. Kein erhöhtes Risiko für Krebs zeigten Bauchspeicheldrüse, Mastdarm, Gebärmutter oder Prostata. Weil medizinische Bestrahlungen meist einzelne oder wenige Organe und Radon hauptsächlich die Lunge betreffen wird das Risiko einer Teilkörperdosis zur leichteren Erfassung des Risikos in Ganzkörperäquivalente umgerechnet.

Deshalb hat der Strahlenschutz Gray-Dosen entsprechend gewichtet und eine „Effektivdosis“ eingeführt und deren Einheit „Sievert“ (Sv) nach dem schwedischen Strahlenschützer Ralph Sievert benannt. Dabei wird ein Gray einer locker ionisierenden Strahlung hinsichtlich des bio-logischen Effekts mit einem Sievert gewichtet, die Effektivität von Neutronenstrahlen liegt pro Gray zwischen 2,5 und 20 Sv, abhängig von deren Energie. Ist diese ungewiss wie nach den Kernwaffeneinsätzen in Hiroshima und Nagasaki, wird mit 10 Sv pro Gy gerechnet. Ein Gy einer Alphastrahlung wird mit 20 Sv beurteilt.

Expositionen in der Größenordnung der Dosiseinheit und darüber kommen außer in der Strah-lentherapie und im Zentrum größerer Strahlenereignisse selten vor. Während Promille der Dosiseinheit (Millisievert, mSv) die üblichen Strahlenpegel bestimmen.

Mit der Rate (Leistung) einer Dosis wird die Dauer der Bestrahlung erfasst. Strahlenquellen liegen im Weltraum und auf der Erde. Die unterschiedlich verteilte irdische Hintergrundstrah-lung liegt in bewohnten Gebieten zwischen 1 und 260, häufig zwischen 2 und 4 Millisievert pro Jahr. Der globale Mittelwert lag zu Beginn des Auftretens irdischer Lebensformen vor dreiein-halb Milliarden Jahren bei geschätzten 7 mSv/a. Durch den teilweisen radioaktiven Zerfall der ursprünglichen Radioelemente liegt der Mittelwert gegenwärtig global bei nur mehr 2,4 mSv/a. In Japan bei 1,5, in Deutschland bei 2,1, in Österreich bei 2,8, in den USA bei 3,1, in der Schweiz bei 5,5 und in Finnland bei 7 mSv/a. Über 1 mSv/a liegende Werte des Strahlen-hintergrunds verursachen überwiegend gebietsweise erheblich schwankende Radon- oder Thoronkonzentrationen. Die Edelgase sind Glieder von Zerfallsketten die von Uran oder Thori-um ausgehen. Besonders Gebiete mit gegenüber dem globalen Mittelwert deutlich höheren Dosisraten verursacht die Thoriumzerfallskette mit etwa 70 mSv/a in Indiens Kerala oder im iranischen Ramsar mit dem höchsten gemessenen Wert in bewohnten Gebieten von 260 mSv/a. Ein erhöhtes Krebsrisiko für die dort siedelnden Bewohner wurde erstaunlich nicht gefunden - eher eine Erhöhung der Lebenserwartung. Das beschäftigt natürlich den Strahlenschutz sehr, scheint doch entgegen von Vorurteilen eine Dosisschwelle vorzuliegen. 3

Lungenkrebs durch Radonfolgeprodukte?

Alphastrahlenpartikel (schnell bewegte Helium-Atomkerne) verlieren ihre relativ hohe kineti-sche Energie durch Kollisionen mit den Molekülen der bestrahlten Umgebung relativ rasch. Sie hinterlassen daher eine kurze aber dichte Ionisationsspur - in Luft 4 cm, in Organgeweben aber nur 0,02 mm. Deshalb durchdringen sie kaum die äußeren das darunter liegende Gewe-be schützenden meist verhornten Hautschichten. Sie können aber zu einem Problem werden, wenn ihnen nach Inhalation von Alphastrahlern das ungeschützte Lungengewebe ausgesetzt wird. Entscheidend ist also ob eine durch Alphastrahlen verursachte Dosis an der Peripherie oder innerhalb des Körpers aufgenommen wird. Daher scheint zur Beurteilung des Radonrisi-kos der Atemwege an Stelle der Dosis die Angabe der Aktivitätskonzentration in der Atemluft besser geeignet. Sie wird in den nationalen Radonberichten nach dem Entdecker der Radio-aktivität in ´Becquerel/m3´ angegeben (Bq/m3 bezeichnet die durchschnittliche Anzahl der in einer Sekunde pro m3 unter Strahlenemission zerfallenden Atomkerne).

In bewohnten und beheizten Häusern herrscht wegen des Kamineffekts häufig ein gegen-über der Außenluft geringerer Luftdruck. Dadurch wird das im Erdreich des Untergrunds ange-reicherte Radongas ins Innere des Hauses verstärkt in Bewegung gesetzt und von unten nach oben abnehmend verteilt. So staut sich dieses Gas in Häusern und ist dann gegenüber der Außenluft deutlich erhöht.

Nach dem 2006-Report der WHO liegt der Mittelwert der Radonkonzentration unter Dach global bei 40 Bq/m3, in der Europäischen Union bei 59, in Deutschland bei 49, in Österreich bei 97, in Finnland bei 120 und in Tschechien bei 140 Bq/m3.

Schon im 16. Jahrhundert fielen erhöhte Todesfälle durch die ´Bergkrankheit´ unter Gruben-arbeitern auf – neben dem Rauchen und Grubengasen auch verursacht durch die Zerfalls-produkte des Radons wie sich dreihundert Jahre später zeigte. Das Gas zerfällt mit einer Halb-wertzeit von 3,8 Tagen in das Poloniumisotop 218, ein Alphastrahler wie die folgenden Poloniumisotope 214 und 210 bis die Zerfallskette mit dem stabilen Blei-206 zur Ruhe kommt. Das eingeatmete Edelgas Radon oder Thoron selbst wird ja wieder fast ungehindert ausgeat-met. Die ionisierten Folgeprodukte der Edelgase können aber an winzige Partikel (Aerosole) der Luft haften und verbleiben eingeatmet mit diesen länger in den feuchten Atemwegen der Lunge. Dadurch wird dessen Gewebe anhaltend noch dazu mit hoher Effektivität strahlenexponiert. Es lag daher nahe, mit unterschiedlichen Radonmengen in der Atemluft lebende Bevölkerungen hinsichtlich der Lungenkrebsraten zu vergleichen.

Eine Korrelation zwischen Radon und Lungenkrebs zeigten 1994 nach einer Bilanz des United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR) von insgesamt 19 Studien nur neun, vier zeigten keinen Zusammenhang und in sechs Untersuchungen war die spontane Lungenkrebsrate mit steigender Radonkonzentration sogar reduziert - was den Be-treibern von Radonkuren natürlich gefiel und den Anhängern der Ansicht, niedrige Dosen sei-en harmlos oder gar förderlich.

Dafür sprechen umfangreiche Untersuchungen von Bernard Cohen von der Universität Pitts-burgh. Er verglich schon 1995 die Lungenkrebs-Mortalitätsrisiken in 1729 US Landkreisen (counties) mit 90% der US Bürger nach Berücksichtigung unter vielen anderen auch des Rauchkonsums und fand, dass die Lungenkrebsrate mit zunehmender Radonexposition nicht wie erwartet zu- sondern abnahm.4

Zehn Jahre später wurden in Europa 13 Fall-Kontroll-Studien in neun europäischen Ländern hinsichtlich einer Erhöhung des Lungenkrebses durch Radon zusammengefasst, von Sarah Darby und 25 Wissenschaftlern analysiert und mit 16 %/100 Bq/m3 bewertet.5 Nimmt man diese Untersuchungen ernster als die vor zehn Jahren und bezieht sich auf den erwähnten Mittel-wert der Radonkonzentration von 59 Bq/m3 der 29 europäischen Länder wäre dann unter den Lungenkrebstodesfällen mit einem radonbedingten Anteil von 9 % und unter allen Krebsto-desfällen mit dem Anteil von 2 % zu rechnen. Für Nichtraucher gilt nur 1/25 des Wertes für Raucher, weil deren Lungen durch Zigaretten beeinträchtigt sind. Die Analyse ergab diesmal, dass sich das Lungenkrebsrisiko mit steigender Radonkonzentration linear zu dessen Verhältnis erhöht. Auch wurde eine Radonkonzentrationsschwelle unter der kein Risiko bestünde anders als in den erwähnten Gebieten mit höherer Hintergrundstrahlung nicht gesehen.

Radon in Innenräumen lässt sich durch häufigeres Lüften (Stoßlüften) auf die niederere Ra-donkonzentration im Freien reduzieren. Mehr geht nicht. Das dann noch verbleibende Lun-genkrebsrisiko lässt sich nur mehr unter Rauchern reduzieren – durch die zugegeben keines-falls leichte aber lohnende Aufgabe des Zigarettenkonsums.

Medizinisch zunehmend vorteilhaft genutzte Strahlenquellen.Mit steigender Tendenz kommen seit etwa hundert Jahren in entwickelten Ländern erhöhte Dosisraten durch medizinisch zunehmend vorteilhaft genutzte Strahlenquellen: jährlich in Österreich 1,3, in Deutschland 1,9, in den Vereinigten Staaten 3 mSv/a (nachdem sie 1982 noch bei 0,5 mSv/a und Person lag). Die seit etwa sechzig Jahren eingeführte Nukleartech-nologie exponiert durchschnittlich mit unter einem Prozent des mittleren natürlichen Strahlen-hintergrunds, was die einen aufregt, andere aber beruhigt.

Die ICRP, das Gutachtergremium an deren Empfehlungen sich die Industrienationen hinsicht-lich der entsprechenden Gesetzgebung zumeist orientieren, empfahl ungeachtet der Befun-de von Bernard Cohen und der erwähnten Erfahrungen in den stärker bestrahlten Gegenden neuerlich im Jahr 2007 in ihrer Publikation 103 die Bevölkerung keiner Dosisrate über 1 mSv/a zusätzlich zum natürlichen Strahlenhintergrund oder medizinisch gerechtfertigten Expositionen auszusetzen. Sollten die erwähnten Befunde über gesundheitsfördernde Strahlenwirkungen im niedrigen Dosisbereich aber zutreffen, wären die ICRP-Empfehlungen natürlich kontraproduk-tiv! Immerhin empfahl die Kommission für im Beruf mit Dosimetern überwachte Strahlenexpo-nierte einen Grenzwert von 20 mSv jährlich, der nur dann bis 50 mSv/a erhöht werden darf, wenn in einem Fünfjahreszyklus 100 mSv, also der Bereich niedriger Dosen nicht überschritten wird – nach Zeiten höherer Bestrahlung sollte hinsichtlich der Strahlenexposition leiser getreten werden.

Lebenszeitstudie (LSS).

In ganz anderen Dimensionen wie den natürlich vorkommenden ionisierenden Strahlen verlief allerdings der Einsatz der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki.

Am 6. August 1945 um 8:16 Uhr wurde 600 m über dem Zentrum des plan ausgebreiteten Hiroshima eine für die Kettenreaktion ausreichende Masse an stark angereicherten Uran-235 durch Beschuss von 25,6 kg einer Projektilmasse auf 38,4 kg Zielmasse in einem Rohr innerhalb der Bombe vereinigt. Davon – ehe die Bombe auseinanderflog - wurden 0,86 kg gespalten und 63 Billionen Joule plötzlich frei. Die Luft erreichte im Explosionszentrum Temperaturen der Sonnenoberfläche, am Boden noch immer einige tausend °C und brannte eine Kreisfläche mit einem Radius von fast 1,4 km nieder. Die vom Zentrum mit 35 atm auslaufenden enormen Luftdruckwellen ebneten die häufig aus Holz errichteten Häuser weitgehend ein. Diesen Wellen, der großen Hitze die einen Feuersturm entfachte und den teilweise hohen Strahlendo-sen fielen bis zum Jahresende 140.000 oder 40% der Bewohner von Hiroshima zu Opfer. Dr. Fumio Shigetu bemerkte als Erster, dass ionisierende Strahlen die Explosionen begleiten muss-ten, weil alle Röntgenfilme in den Spitälern belichtet und unbrauchbar wurden. Für den ground zero, 600 m unter dem Explosionszentrum wurde eine Dosis von 165 Gy geschätzt. Die Dosis fiel nach laufender Abschwächung durch die Luft und erreichte in 2,5 km den Milligraybereich. Nach Auskunft der Überlebenden über deren Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der Explosion konnte deren Distanz zum Nullpunkt und damit deren jeweilige Dosis errechnet werden.6

Drei Tage später um 11:06 Uhr wurde 503 m über dem hügeligen Nagasaki auch noch schnell - bevor Japan wohl nicht zuletzt wegen der Kriegserklärung der Sowjetunion an Japan am 8. August die Kapitulation eine Woche später unterzeichnete - alternativ eine kugelförmige Plu-toniumbombe gezündet. Durch die präzise Implosion einer Hohlkugel aus nur 6,2 kg Pluto-nium-239 wurde die für dieses Isotop deutlich geringere kritische Masse auf engstem Raum für das Einsetzen der Kettenreaktion erreicht. Letztere wurde durch das Verdampfen der Bombe vorzeitig gestoppt, dennoch wurden 1,2 kg gespalten und 83 Billionen Joule freigesetzt. Für den Nullpunkt wurde eine Dosis von 350 Gy geschätzt, sie fiel in 2.5 km auf wenige Milligray.6 Die Explosion nur einer Bombe tötete 74.000 Bewohner Nagasakis bis Ende 1945.

Die Dosen durch Neutronenaktivierung radioaktiv gemachter Elemente, durch den Nieder-schlag (Fall-out) der in den Bomben entstandenen Spaltprodukte, sowie der weit vertragenen Uran- und Plutoniumreste der Bomben blieben nur abschätzbar und wurden in der LSS nicht berücksichtigt.7 Die RERF meint, dass die Fallout-Strahlung in Gebieten größter Kontamination mit kumulierten Dosen von 6-20 mGy in Hiroshima und 120 bis 240 mGy in Nagasaki niedrig war und dass die Überlebenden der Attacken in höher kontaminierten Gebieten gering an Zahl waren, so dass sie auf die Strahlenrisikobilanz keinen großen Enfluss hätten.

Innerhalb von 2,5 km vom Nullpunkt exponierte 53.800 Überlebende für die eine Dosis errechnet werden konnte, wurden hinsichtlich der Spätschäden mit 39.900, die zwischen 2,5 und 10 km vom Punkt Null entfernt mit Dosen unter 5 mGy exponiert wurden und 26.600 die zum Zeitpunkt der Explosionen in keiner der beiden Städte waren von März 1947 an von der U.S. Atomic Bomb Casualty Commission verglichen. 1975 wurde das Projekt in einer For-schungsstiftung mit japanischer Beteiligung in der Radiation Effects Research Foundation, RERF, reorganisiert.

Bis 2003, dem Datenabschluss des 14. RERF-Reports von Kotaro Ozasa und Kollegen von 2012 waren von den in die Studie aufgenommenen 86.611 Überlebenden 50.620 (58 %) Verstor-ben, darunter 10.929 an Krebs solider Tumore (527 strahlenverursacht) und 318 an Leukämien (ein Drittel durch die ionisierenden Strahlen). Die Leukämiemortalitätswelle kulminierte 7 Jahre nach den Explosionen um sich in vier Jahrzehnten wieder der Normalrate anzunähern. Sie ist gegenwärtig bis auf wenige Fälle abgeklungen. Das spontane Leukämierisiko vervierfacht sich pro Dosiseinheit. Es steigt bei der myeloischen Leukämierform mit der Dosis nicht linear sondern konkav nach oben, während die akute lymphatische und die chronisch myeloische Form linear mit der Dosis ansteigen. Daher ist summarisch bezogen auf eine Dosis von 0,1 Sv die Dosis pro Sv nicht zehn- sondern um den Faktor 20 höher.7

Eine strahlenbedingte Erhöhung der anderen Krebsraten setzte erst ein Jahrzehnt später ein um dann aber ständig weiter anzusteigen. Deshalb wird die Erhöhung bis zum endgültigen Studienabschluss hochgerechnet. Bezogen auf die Dosiseinheit liegt die Erhöhung des Mortalitätsrisikos solider Tumore bei 50% der Spontanrate. Zunächst wurde gedacht, dass das Dosis-Effekt Verhältnis für alle soliden Tumore linear mit der Dosis verlaufe. Zuletzt zeigt der Erkrankungsverlauf für Krebs an allen Überlebenden unter 2 Gy signifikant konkav nach oben.

Noch 2003 fand die RERF (LSS 13) keine Evidenz für eine Dosisschwelle unter der kein Krebs-risiko vorläge. Im Inzidenz Report 2017 wurden für Frauen eine Dosisschwelle von 80 und für Männer 750 mGy angegeben.7 Das heißt, dass an der linearen und schwellenfreien Risiko-hypothese beide Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Die in den Mütterleibern strahlenexponierten 3638 Embryonen zeigten im späteren Leben ein den bestrahlten Kindern vergleichbares Krebsrisiko und bei höheren Dosen zusätzlich eine geistige Behinderung mit einem reduzierten Intelligenzquotienten. Befürchtete Erbschäden an nach den Atombombenexplosionen von Überlebenden gezeugten Kindern konnten nicht bestätigt werden8.

Tschernobyl und Fukushima, Menetekel der Kernkraftnutzung

2011 existierten 440 Reaktoren in Kernkraftwerken weltweit. Damit wurden 14 % des Stromver-brauchs bereitgestellt. Die Installation und Inbetriebnahme bevor geplante unterirdische End-lager für die lange strahlenden abgebrannten Brennelemente etabliert waren, erfolgten in der voreiligen Hoffnung, dass damit verbundene Probleme bis zur Aktualisierung überwind-bar wären – waren es aber nicht.

Nach einer Strahlenschutzverordnung sollten Kernenergienutzer dafür sorgen, dass die Expo-sition der Bevölkerung jährlich unter 0,3 mSv bleibt – also bei einem Zehntel der Hintergrund-strahlung. Diese Forderung ist in unfallfreien Zeiten leicht erfüllbar, liegen die gemessenen Ex-positionen durchschnittlich unter 0,01 mSv/a.

In zwei spektakulären Fällen kam es allerdings zu gefürchteten Kernschmelzen in Reaktoren. Eine am 26. April 1986 in Tschernobyl in der Ukraine und drei am 11. März 2011 in Fukushima in Japan. In Tschernobyl durch eine missglückte Unfallsimulation mit einer unerwarteten das Personal und die Anlage überfordernden Leistungseruption, in Fukushima durch ein Seebeben der Stärke 9, gefolgt von einem Tsunami. Dessen 14 m hohe Flutwelle drang bis zu zehn Kilometer tief ins Landinnere entlang der Nordküste ein und tötete an die 18.500 Men-schen. Sie überflutete die zu niedrige Schutzmauer des Kernkraftwerks von 5,7 m und stoppte die unbedingt nötigen Kühlsysteme der erhitzten bestrahlten Brennelemente die in den Reak-toren lagerten.

In Tschernobyl setzte der Brand der Graphithülle des Cores 5.1018 Bq Radioaktivität frei. Vom Wind verfrachtet gingen 36 % der Cäsium-137-Aktivität auf Weißrussland, Ukraine und Russ-land nieder, weitere 53 % verteilten sich über das restliche Europa. Die in den zwanzig Jahren nach dem Unfall aufgenommenen Effektivdosen lagen in Weißrussland und in der Ukraine unter 10 mSv, in Österreich knapp unter 1 und in Deutschland bei 0,17 mSv.9

Die 530.000 Einsatzkräften, die versuchten Brand und Strahlung unter Kontrolle zu bringen nahmen in zwanzig Jahren nach dem Unfall durchschnittlich 117 mSv auf. 660 waren in der Nacht am Unfallort und 134 unter ihnen erlitten nach Dosen über 1 Sv akute Strahlenkrank-heiten. Von 1993 bis 2004 starben 19 Helfer, darunter fünf strahlenbedingt an Krebs. 30 km rund um den Reaktor wurden zur Sperrzone erklärt. Insgesamt wurden 135.000 Menschen, darunter 48.000 Bewohner der nur 3 km vom Kraftwerk entfernten, erst 1970 errichteten Stadt Prypjat 30 Stunden nach der Explosion evakuiert. Sie erhielten von 1986 bis 2005 31 mSv. Zwischen 1992 und 2000 wurden etwa 7000 Fälle von Schilddrüsenkrebs an Kindern diagnos-tiziert – acht starben daran. Am 29. November 2016 wurde ein 30 t schweres „New safe containment“ auf Schienen über den Block 4 geschoben um Arbeiten darunter zu ermög-lichen ohne die Umwelt weiter zu belasten.

In Fukushima Daiichi wurden fast 1018 Bq Radioaktivität freigesetzt. Dank des ablandigen Win-des landeten 76 Prozent davon im Pazifik, an Land breitete sich ein 40 km langer Streifen nach Nordwesten aus. Nur zwei Arbeiter erhielten höhere Dosen von rund 600 mSv. Um Fuku-shima wurde aber eine 20-km Sperrzone erklärt. 154.000 Menschen wurden aus der Region um das Kraftwerk evakuiert. Von ehemals 54 Kernreaktoren, die in Japan ein Drittel der Stromproduktion deckten, sind im Süden Japans lediglich zwei Blöcke wieder in Betrieb, weitere 25 zur Wiederinbetriebnahme angemeldet. Die Lücke in der Stromversorgung wurde durch erhöhte Importe von Kohle und Gas ausgeglichen! Wie in Vorgängen im niedrigen Dosisbereich nicht anders zu erwarten, ist mit einander widersprechenden Stellungnahmen zu den Unfallfolgen zu rechnen.

Fazit

Man kann davon ausgehen, dass sich die Basis von 15 bis 25 Prozent der Krebstodesfälle bei einer Dosis von 1 Sv einer ionisierenden Strahlung um rund 50% erhöhen könnte. Bedauer-licherweise kann gerade im - weil für die meisten von uns zutreffenden – interessanten niedri-gen Dosisbereich unter 0,1 Sv von einer allgemein anerkannten Proportion zwischen Dosis und Risiko nicht ausgegangen werden. Zu widersprüchlich sind hier vorläufig die Ergebnisse.

Die Leukämiebasisrate von etwa 7 Promille aller Sterbefälle erhöht sich bei 1 Sv zwar auf das Vierfache (also auf rund 2 % aller Sterbefälle) ein Leukämierisiko im niedrigen Dosisbereich wird aber vermehrt in Zweifel gezogen. Das trifft sich mit Hinweisen aus Gebieten mit höhe-rem natürlichen Strahlenhintergrund. Dem Atmungsorgan kommt wegen seiner Anfälligkeit für Krebs durch Radon für Raucher hinsichtlich des Strahlenrisikos ein diskutierter Schwerpunkt zu. Auch hier stehen einander konträre Ansichten gegenüber: abnehmende spontane Lungen-krebsmortalität bis zu 700 Bq/m3 oder Mortalität ohne Schwelle.

Empfehlenswert bleibt hier der Artikel „Angst vor Strahlung ist meist unbegründet“ von Hugo van Dam in „Sind niedrige Strahlendosen gefährlich?“ von Dr. Hermann Hinsch.10

Quellen

1 Yuta Shibamoto und Hironobu Nakamura. Overview of Biological, Epidemiological, and Clinical Evidence of Radiation Hormesis. Int. J Mol Sci. 2018 Aug; 19(8): 2387 Online 2018 Aug 13, doi: 10.3390/ijms 19082387
2 Thomas Donnell Luckey. The Health Effects of Low-Dose Ionizing Radiation. Journal of American Physicians and Surgeons 2008, Vol.13, No. 2: 39-42
3 Dobrzynski L. et al. Cancer mortality among people living in areas with various levels of natural background radiation. Dose Response 2015; 13:155932815592391
4 Cohen BL 2007. The Cancer Risk from Low Level Radiation. In: Tack, D and Gevenois P (eds.) Radiation Dose from Adult and Pediatric Multidetector Computed Tomography. Berlin: Springer-Verlag. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-540-68575-3_3
5 Darby S, et al. Radon in homes and risk of lung cancer: collaborative analysis of individual date from 13 European case-control studies. Br. Med. J. 330: 223-227, 2005
6 Ochiai Eiichiro Hiroshima to Fukushima – Biohazards of Radiation Springer 2014: p. 97
7 Ozasa K, et al. Epidemiological studies of atomic bomb radiation at the Radiation Effects Research Foundation 2019. https://doi.org/10.1080/09553002.2019.1569778
8 Hintergrundinformation: Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki – gesundheitliche Strahlenwirkungen des GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Ge-sundheit vom 09.08.2005
9 Cardis E. et al. “Estimates of the Cancer Burden in Europe from Radioactive Fallout from Chernobyl Accident.” International Journal of Cancer, 199:1224-1235, 2006
10 Hugo van Dam. Angst vor Strahlung ist meist unbegründet.

www.buerger-fuer technik.de/2014/2014-Q2/2014-04-15-LNT.pdf

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Detalles

Título
Können schon niedrige Strahlendosen Krebs verursachen oder sogar behindern?
Autor
Año
2019
Páginas
9
No. de catálogo
V498090
ISBN (Ebook)
9783346013897
ISBN (Libro)
9783346013903
Idioma
Alemán
Notas
Privates Essay
Palabras clave
können, strahlendosen, krebs
Citar trabajo
Hans Grasmuk (Autor), 2019, Können schon niedrige Strahlendosen Krebs verursachen oder sogar behindern?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/498090

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