Die Business Judgement Rule und ihre Anwendbarkeit auf rechtliche Fragen


Seminararbeit, 2019

30 Seiten, Note: 11


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Aufbau

2 Kollektive Intelligenz
2.1 Was ist kollektive Intelligenz?
2.1.1 Eingrenzung des Gegenstandsbereichs
2.1.2 Verschiedene Annäherungen an kollektive Intelligenz
2.2 Voraussetzungen für die Nutzung kollektiver Intelligenz
2.3 Nutzung kollektiver Intelligenz
2.3.1 Ochsen-Beispiel
2.3.2 U-Boot-Beispiel
2.3.3 Beispiel „Wer wird Millionär“
2.3.4 Linux-Beispiel
2.4 Prinzipien kollektiver Intelligenz
2.4.1 Mittelwert-Prinzip
2.4.2 Mehrheitsprinzip
2.4.3 Regulierungsprinzip
2.5 Begriffsklärung

3 Grundlagen der Kommunikation im Internet
3.1 Formen menschlicher Kommunikation
3.2 Internetkommunikation
3.2.1 Merkmale der Internetkommunikation
3.2.1.1 Digitalität
3.2.1.2 Zugangsgeräte
3.2.1.3 Globale Reichweite
3.2.1.4 Kanalreduktion
3.2.1.5 Filterung
3.2.2 Medienverhalten

4 Das Netzwerksystem Internet
4.1 Grundlagen des Community Building
4.1.1 Was ist eine virtuelle Gemeinschaft?
4.1.2 Aufbau von virtuellen Gemeinschaften: Links, Knoten und Cluster
4.2 Das Internet
4.2.1 Geschichte und Netzwerkbildung
4.2.2 Hubs im World Wide Web

5 Kollektive Intelligenz und ihre Nutzung im Internet
5.1 Internetkommunikationsarten und ihre Netzwerkstruktur
5.1.1 Asynchrone Kommunikationsarten
5.1.1.1 E-Mail
5.1.1.2 Mailingliste und Newsletter
5.1.1.3 Newsgroup und Newsboard
5.1.1.4 Website
5.1.2 Synchrone Kommunikationsarten
5.1.2.1 Instant Messaging
5.1.2.2 Chat
5.1.2.3 Online-Tauschbörse
5.1.3 Prüfung auf kollektive Intelligenz
5.2 Beispiele im Internet
5.2.1 YouTube
5.2.1.1 YouTube’s Video-Bewertung
5.2.1.2 Prüfung auf kollektive Intelligenz
5.2.2 Wikipedia
5.2.2.1 Wikipedia’s Wissensplattform
5.2.2.2 Prüfung auf kollektive Intelligenz
5.2.3 MySpace
5.2.3.1 Die MySpace-Community
5.2.3.2 Prüfung auf kollektive Intelligenz
5.2.4 Google
5.2.4.1 Google’s Linklistung
5.2.4.2 Prüfung auf kollektive Intelligenz
5.2.5 Amazon
5.2.5.1 Amazon’s Buchempfehlung
5.2.5.2 Prüfung auf kollektive Intelligenz
5.2.6 Zusammenfassung

6 Schlusswort

Literatur und Quellen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Netzwerkstrukturen

Abbildung 2: Kommunikation bei Newsgroups

Abbildung 3: Kommunikation beim Internet Relay Chat

Abbildung 4: Sternchenbewertung und Kommentare zu Videos bei YouTube

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Fragestellung

Mit der Entwicklung des World Wide Web (weltweite Verbreitung 19931 ), das allen und nicht mehr nur Computerspezialisten den Zugang ins Internet ermöglicht, taucht der Begriff kollektive Intelligenz auf. Es ist nicht auszuschließen, dass es ihn schon vorher gegeben hat. Die früheste Lite- ratur, die ich dazu gefunden habe, ist das Buch „L’intelligence collective“ von Pierre Levy, das 1994 in Paris veröffentlicht wurde. Er und später auch andere Autoren beziehen kollektive Intelligenz nicht nur auf das Internet. Aber für einen Zufall halte ich es nicht, dass der Begriff kollektive Intelligenz erst mit der Entfaltung des World Wide Web populär geworden ist. Handelt es sich bei dem Begriff um einen Gründungsmythos, der bei der Besiedelung des World Wide Web entstanden ist? Spiegelt er die Euphorie der Pioniere wider, die sich damals mit umständlicher Soft- und Hardware abmühten und lange Einwahl- und andere Wartezeiten auf sich nahmen, um miteinander verbunden zu werden? Und waren nicht alle anderen, die das Internet damals noch nicht besuchten, in ihren Augen dumm, zumindest computerdumm? Das sind interessante Fragen, die ich in dieser Arbeit leider nicht beantworten kann.

Ich gehe allein der Frage nach, was kollektive Intelligenz sein könnte, ob es sie gibt und wie sie im Internet genutzt wird. Die bisherigen Forschungsergebnisse fallen angesichts der hohen Erwartungen, die sich diesbezüglich um das Internet ranken, mager aus. Die vorliegenden Veröffentlichungen zum Begriff der kollektiven Intelligenz verwenden zwar den Begriff, von einer Strukturierung sowie Kategorisierung einzelner Möglichkeitsbereiche für das Auftreten kollektiver Intelligenz ist aber wenig zu lesen. Kriterien für das Vorkommen kollektiver Intelligenz werden kaum genannt. Die einzige Quelle, die Bedingungen für das Auftreten kollektiver Intelligenz nennt, ist das Buch „The Wisdom of Crowds“ von James Suro-wiecki (2004). Man kann den Begriff kollektive Intelligenz als unerforscht bezeichnen.

Die Bestimmung des Begriffs sowie die Kategorisierung einzelner Bereiche des Vorkommens kollektiver Intelligenz werde ich in dieser Arbeit vornehmen. Weiterhin werde ich die verschiedenen Formen der Nutzung kollektiver Intelligenz und ihre Voraussetzungen untersuchen.

Es hätte den Rahmen meiner Magisterarbeit gesprengt, systematisch zu untersuchen, wo kollektive Intelligenz auch außerhalb des Internets genutzt wird. Bei meiner Untersuchung beschränke ich mich daher auf das Internet und befasse mich insbesondere mit Communities.

Alles in allem möchte ich meine Arbeit auch als Beitrag verstehen, das noch neue Medium Internet zu entmythologisieren, und hoffe dadurch, zur nötigen Aufklärung beizutragen.

1.2 Aufbau

Als erstes kläre ich (in Kapitel 2) den Begriff der kollektiven Intelligenz, nenne die Voraussetzungen für ihre Nutzung und die Prinzipien, nach denen sie genutzt werden kann.

Um festzustellen, ob und wie kollektive Intelligenz in Internet-Communities im Sinne von Nutzung vorkommt, beschäftige ich mich (in Kapitel 3) ausführlich mit den Grundlagen der Kommunikation im Internet, denn etwas anderes als Kommunikation ist das Internet eigentlich nicht. Dabei müssen Internet-Kommunikationsformen von menschlichen Kommunikationsformen außerhalb des Internets abgegrenzt werden.

Communities als soziale Netzwerke sind mein hauptsächlicher Untersuchungsgegenstand. Da sie aber auch Netzwerke innerhalb des technischen Netzwerksystems Internet sind, untersuche ich (in Kapitel 4) auch die technische Netzwerkstruktur des Internets, um herauszufinden, ob Kommunikation über das technische Netzwerk Internet alleine schon ausreicht, individuelle Intelligenz kollektiv nutzen zu können.

Im letzten Teil meiner Arbeit (in Kapitel 5) sehe ich mir die Kommunikation und ihre Netzwerkstruktur in Communities an und prüfe anhand von Beispielen im Internet, ob, wo und wie kollektive Intelligenz genutzt wird. Um alle Prinzipien der von mir präzisierten Nutzung kollektiver Intelligenz vorzuführen, nehme ich sowohl Internet-Communities als auch Internet-Unternehmen, deren Hauptfunktionen sich nicht auf Internet-Communities beziehen, mit in meine Untersuchung auf.

2 Kollektive Intelligenz

2.1 Was ist kollektive Intelligenz?

2.1.1 Eingrenzung des Gegenstandsbereichs

In dieser Arbeit soll kollektive Intelligenz als eine von vielen Individuen hervorgebrachte Intelligenz untersucht werden. Dafür ist eine Abgrenzung zum Schwarmverhalten und der damit zusammenhängenden Schwarmintelligenz bei Tieren vorzunehmen.

Schwarmintelligenz bei Tieren hat nach Howard Rheingold2 als wesentliches Charakteristikum die gegenseitige Abhängigkeit der zum Schwarm gehörenden Individuen. Die einzelnen Individuen ahmen hier einander nach und folgen dem Tierstrom. Der Philosoph Pierre Levy will derartiges und das Handeln von Individuen, die sich Gemeinschaften oder anderen Individuen unterwerfen, nicht als kollektive Intelligenz bezeichnen.

„Man darf sie (kollektive Intelligenz, Anmerkung des Verfassers) auf keinen Fall mit den ‚totalitären’ Bestrebungen verwechseln, die das Individuum irgendwelchen transzendenten, fetischisierten Gemeinschaften unterwerfen wollen. In einem Ameisenhaufen sind die Individuen ‚dumme’ Tiere, die keine Vision des Ganzen haben und nicht wissen, wie ihr Tun mit dem anderer Individuen übereinstimmt.“3

In diesen Abgrenzungen möchte ich mich Pierre Levy anschließen und als erstes Kriterium für kollektive Intelligenz die Unabhängigkeit einzelner Individuen nennen. Deshalb bleibt auch das Schwarmverhalten in der Robotik, das durch Programmierung erzeugt wird, in dieser Arbeit unberück-sichtigt.

2.1.2 Verschiedene Annäherungen an kollektive Intelligenz

Kollektive Intelligenz ist ein noch verhältnismäßig unklarer und diffuser Begriff. Wissenschaftler und andere Autoren, die ihn verwenden, setzen voraus, dass es ein intelligentes Potenzial der Vielen gibt und beklagen seine seltene Nutzung. So auch der Soziologe Helmut Willke. Den Grund dafür sieht er in der Überindividualisierung westlicher Gesellschaften. Hier gelte kollektive Intelligenz als Herabsetzung des einzelnen Menschen:

„Kollektive Intelligenz, so habe ich in Atopia ausgeführt (Willke 2001, Kap. 2.3), ist für die individualistisch deformierte westliche Kultur des Wissens vor allem ein Affront gegen die Singularität des Menschen.“4

Kollektiver Intelligenz muss seiner Ansicht nach erst der Boden bereitet werden. Diese Aufgabe delegiert er an die Gesellschaft zurück und macht sie zur Entscheidungssache eines von der Mehrheit getragenen Willens:

„Die vorrangige Aufgabe der Politik der Wissensgesellschaft ist es, die Bedingungen der Möglichkeit kollektiver Intelligenz der Gesellschaft zu schaffen.“5

Pierre Lévy geht noch einen Schritt weiter als Willke. Er konstatiert das Versagen der traditionellen Wissensverarbeitung und damit der individuellen Intelligenz:

„Das offiziell anerkannte Wissen stellt nur einen Bruchteil des tatsächlich aktiven Wissens dar.“6

Für Lévy ist Wissen verteilt. Erst wenn alle Menschen ihr Wissen zusammentragen, kann es sich vervollständigen:

„Niemand weiß alles, jeder weiß etwas, in der Menschheit liegt das gesamte Wissen. Es gibt keinen Ort eines transzendenten Wissens, das Wissen ist nichts anderes als das, was die Menschen wissen.“7

Kollektive Intelligenz dürfte deshalb seiner Meinung nach nichts weiter sein als die Zusammenführung der Intelligenz Einzelner. Doch Lévy spricht bei kollektiver Intelligenz als wäre individuelle Intelligenz Teil von ihr, was etwas anderes ist als die von einzelnen Menschen angesammelte Intelligenz (kollektiv zu lateinisch collectivus = angesammelt).

„Es ist eine Intelligenz, die überall verteilt ist, sich ununterbrochen ihren Wert erschafft, in Echtzeit koordiniert wird und Kompetenzen effektiv mobilisieren kann.“8

Damit verbunden sieht er die Aufwertung individueller Intelligenz, allerdings nur, um kollektive Intelligenz als Ideal darzustellen.

„Das Ideal einer kollektiven Intelligenz impliziert die technische, wirtschaftliche, juristische und menschliche Aufwertung einer überall verteilten Intelligenz, mit dem Ziel, eine positive Dynamik der Anerkennung und Mobilisierung von Kompetenz zu erreichen.“9

Das heißt, wir wissen immer noch nicht, ob es kollektive Intelligenz, die er voraussetzt, tatsächlich gibt. Wenn sie nur ein Ideal ist, dem in der Wirklichkeit nichts entspricht, können wir darin höchstens etwas Erstrebenswertes sehen, im dem Sinne wie: Wäre doch wünschenswert, weil hilfreich, wenn es kollektive Intelligenz gäbe.

Willke und Lévy kämpfen mit der Schwierigkeit, keine andere Intelligenz als die einzelner Menschen glaubhaft nachweisen zu können. Sie wollen vor allem auf eine Optimierung des Wissens hinaus und bedienen sich dafür eines nicht haltbaren Begriffs von kollektiver Intelligenz. Dass ihm in der Realität tatsächlich etwas entspreche, kann der eine nur fordern (Willke) und der andere nur als anzustrebendes Ideal aufstellen (Levy). Mehr leistet ihr Ansatz nicht.

Der Medienwissenschaftler Hans-Dieter Kübler spricht von kollektivem Wissen, zweifelt aber daran, ob dieser Begriff sinnvoll ist, denn er hält es für selbstverständlich, dass sich jedes Wissen als solches durch Prüfung in der Gesellschaft behaupten muss:

„Wenn Wissen seine Viabilität so in sozialen Interaktionen beweist, kann es auch für begrenzte Zeiträume und Situationen pragmatisch als gesellschaftliches Wissen akzeptiert werden, freilich immer nur vorläufig, bis sich andere Konstruktionen ergeben und durchsetzen. Kollektives Wissen könnte also der Bereich der Erfahrungen sein, dem man unterstellen kann, dass ihn andere Individuen und Gruppen teilen, im Vergleich zu den Erfahrungen, von denen man weiß, dass man nur allein über sie verfügt…“10

Man könnte annehmen, das Internet verbessere diesen gesellschaftlichen Prüfungsprozess. Das Medium Internet ändert aber nichts daran, dass die Aufnahme und Prüfung von Wissen eine Leistung einzelner Individuen bleibt.

„Wenn Wissen medial dokumentiert und vermittelt wird, bedarf es erneut menschlicher Subjekte, die es aufnehmen, eigentlich (re)konstruieren, verarbeiten und für neue Situationen operationabel machen [...] Zwar mögen die Speicherung, Strukturierung und Vermittlung von Information ungemein erleichtern, beschleunigen und potenzieren, aber ohne menschliche Vernunft und Sinneszuweisung bleiben sie – selbst als automatisch agierende Roboter – tot, dumm und bedeutungslos.“11

Der Soziologe Michael Schetsche hält das Internet in seinem gegenwärtigen Stand sogar für ungeeignet, diesen notwendigen Prüfungsprozess zu optimieren, im Gegenteil, es erschwert ihn:

„Während der Wahrheitsgehalt von Informationen in den Massenmedien durch die ‚Beglaubigung’ anerkannter Persönlichkeiten (wie den ‚Anchor Man’ der Nachrichtensendung) oder Experten (wie den interviewten Wissenschaftler) abgesichert werden konnten, ist dies im Netz nur ausnahmsweise möglich. Hier kann jeder unüberprüfbar als Spezialist für dieses oder jenes auftreten und sich den An-schein von Kompetenz geben. Kommunikate von Wissenschaftlern, selbsternannten Experten, interessierten Laien und Spaßvögeln stehen nicht nur gleichberechtigt nebeneinander, sie vermischen sich auch zu diskursiven Konglomeraten, bei denen Fragen von ‚Wahrheit’ oder ‚Unwahrheit’ und ‚Spaß’ oder ‚Ernst’ letztlich kein relevantes Selektionsmerkmal für den Erfolg mehr darstellen. Die Unüberprüfbarkeit von Informationen ist im Netz zum Prinzip erhoben;…“12

Das Internet als solches generiert kein Wissen und kann auch kein Aspirant für kollektive Intelligenz sein. Die Beteiligung Vieler bringt nicht automatisch intelligente Ergebnisse hervor. Im Gegenteil, es gibt Fälle, in denen Massen sich dumm, frevelhaft, zerstörerisch verhalten. Dabei reagieren die beteiligten Individuen einförmig, verzichten auf eigene Urteile, lassen sich beeinflussen und unterwerfen sich den Forderungen autoritärer Rädelsführer. Damit eine Menge von Individuen überhaupt kollektiv intelligent sein könnte, müssten sie nicht nur voneinander unabhängig sein, sondern auch ihre eigenen Meinungen und Urteile behaupten und diese nicht anderen unterordnen, es müsste also bei aller Unterschiedlichkeit Gleichberechtigung gelten.

Toby Segaran, der Direktor für Softwareentwicklung der Bio-Informatik-Firma Genstruct, hält große Gruppen für ein geeignetes Potential, um von ihren Individuen Daten einzusammeln und auszuwerten. So erfährt man mehr über die Gruppe, als jedes Individuum weiß:

„You don’t need the Web to collect data from disparate groups of people, combine it, and analyse it. One of the most basic forms of this is a survey or census. Collecting answers from a large group of people lets you draw statistical conclusions about the group that no individual member would have known by themselves. Building new conclusions from independent contributors is really what collective intelligence is all about.”13

Wenn man Segaran zustimmte, müsste man möglicherweise sämtliche statistische Erhebungen über Menschen schon als kollektive Intelligenz bezeichnen. Damit hätte der Begriff keine Differenzierungskraft mehr. Er wäre nicht mehr leer, sondern zu voll. Festhalten sollte man aber, dass Informationen vieler Individuen eingesammelt und ausgewertet werden müssten, wenn man von kollektiver, vom Wortstamm angesammelter Intelligenz sprechen wollte.

Will man den Begriff kollektive Intelligenz nicht aufgeben, weil er vermutlich leer oder zu voll ist, solange es keinen empirischen Nachweis von kollektiver Intelligenz gibt, sollte man untersuchen, ob er sich vielleicht auf eine Operation bezieht und nicht auf die Existenz von irgendetwas. Hilfreich ist hier der Systemtheoretiker Niklas Luhmann, weil er sowohl den Intelligenzals auch den Wissensbegriff entzaubert.

„’Intelligenz ist’ die Bezeichnung dafür, das man nicht beobachten kann, wie es zustande kommt, daß das selbstreferentielle System im Kontakt mit sich selbst die eine oder die andere Problemlösung wählt.“14

„Man muss wissen, um Wissen lernen zu können.“15

“Wissen ist demnach Bedingung und Regulativ für Lernvorgänge, genauer: für den Einbau von Lernmöglichkeiten in die derzeit ak- tuelle Erwartungsstruktur.“16

„…, dass der sogenannte wissenschaftliche Fortschritt typisch mehr ungelöste als gelöste Probleme erzeugt, also das Nichtwissen im Vergleich zum Wissen überproportional vermehrt.“17

Luhmann stellt das System in den Vordergrund, und das System konsti- tuiert seiner Auffassung nach seine Elemente:

„Theoretisch umstritten scheint es zu sein, ob die Einheit eines Elements als Emergenz ‚von unten’ oder durch Konstitution ‚von oben’ zu erklären sei. Wir optieren entschieden für die zuletzt ge- nannte Auffassung. Elemente sind Elemente nur für die Systeme, die sie als Einheit verwenden, und sie sind es nur durch diese Systeme.“18

Elemente des Systems Gesellschaft sind jedoch nicht menschliche Indivi- duen:

„Der Mensch mag für sich selbst oder für Beobachter als Einheit er- scheinen, aber er ist kein System. Erst recht kann aus einer Mehr- heit von Menschen kein System gebildet werden.“19

Einheiten des Systems Gesellschaft sind Kommunikationen, das heißt Mit- teilungen, deren Informationen verstanden werden:

„Gesellschaft betreibt Kommunikation, und was immer Kommunika- tion betreibt, ist Gesellschaft. Die Gesellschaft konstituiert die ele- mentaren Einheiten (Kommunikationen), aus denen sie besteht, und was immer so konstituiert wird, wird Gesellschaft, wird Moment des Konstitutionsprozesses selbst.“20

Information ist ein Aspekt von Kommunikation. Kommunikation ist eine systeminterne Operation.

„Das passt zu der These der operativen Schließung, zu Autopoiesis in dem Sinne, dass man sagt, Information sei immer ein system- interner Vorgang, ein Aspekt einer systeminternen Operation. Das- selbe würde dann, da braucht man nicht so viele Argumente, auch für Mitteilung gelten, denn ohne Mitteilung kommt keine Information zustande, ohne Mitteilung kommt auch kein Verstehen zustande. Es muss also jemand die Kopplung zur Information herstellen und dabei beobachtbar sein.“21

Da Information als Aspekt der Operation Kommunikation entsteht und manche Informationen sich an der Erwartung orientieren, als Wissen zu gelten, lässt sich sagen, Wissen entsteht durch eine an Erwartung orien- tierte Operation.

„Dem kognitiven Erwartungsstil entspricht die Differenz von Wissen und Nicht-Wissen.“22

Der Beobachter, von dem Luhmann spricht, übernimmt im Wissenschafts- system die Aufgabe zu beurteilen, was als Wissen gelten kann.

„Die Bewertung wird dem Beobachter überlassen und sie ist als Aspekt der Selbstbeobachtung eines Systems nur im Kontext eben dieser selbstreferentiellen Informationsverarbeitung möglich.“23

Da Wissen laut Luhmann eine Operation ist, bei der Informationen verar- beitet werden müssen, können wir für den Begriff kollektive Intelligenz, nach dem Wortstamm angesammelte Intelligenz, davon ausgehen, dass Informationen von vielen Individuen durch Beobachter gesammelt und ausgewertet werden müssen. Um der Erwartung der Individuen Orientie- rung zu geben, muss eine Aufgabe gestellt werden, zu der die Individuen Informationen geben müssen. Die Aufgabe kann aber individuell nicht ge- löst werden (sonst wäre der Aufwand unökonomisch). Deshalb geben die Individuen je nach Aufgabenstellung nur Schätzungen oder Bewertungen ab oder nehmen Korrekturen nach dem Stand ihres Wissens vor.

Man kann also von kollektiver Intelligenz sprechen, wenn viele Individuen zu einer bestimmten Aufgabe Informationen geben, sofern ein Beobachter diese Informationen auswertet und verarbeitet und sie als Wissen einem Prüfungsprozess unterwirft. Bewährt es sich, so kann dieses Wissen nicht einem Individuum zugesprochen werden, sondern als Intelligenzleistung des Kollektivs gelten.

2.2 Voraussetzungen für die Nutzung kollektiver Intelli- genz

Damit kollektive Intelligenz nutzbar gemacht werden kann, müssen gewis- se Bedingungen eingehalten werden:

1. Es muss eine geeignete Aufgabe gestellt werden.
2. Es bedarf einer hinreichend großen Menge Individuen als Datenge- ber. Je mehr Menschen ihr Urteil abgeben, desto genauer, bezie- hungsweise repräsentativer wird das Ergebnis ausfallen.
3. Zwischen den einzelnen Individuen darf es keine Beeinflussungs- möglichkeiten und keine Abhängigkeiten geben. (Unabhängigkeit)
4. In der Gruppe darf keine Übereinstimmung herrschen. (Meinungsvielfalt)
5. Alle Informationen müssen als gleichberechtigt gelten. (Gleichberechtigung)
6. Die Daten müssen festgehalten und ausgewertet werden. (Aggregation)

Bei diesen Voraussetzungen habe ich mich an James Surowiecki 24 ange- lehnt, aber die von ihm benannten Bedingungen erweitert. Ich habe die von Surowiecki genannte Dezentralisierung wegfallen lassen, weil sie bei ihm nicht mehr meint als Unabhängigkeit. Zudem ist sie leicht zu verwech- seln mit der üblichen Verwendung des Wortes: auf verschiedene Verwal- tungen verteilt. Von mir hinzugefügt wurde die Bedingung der Gleichbe- rechtigung, das heißt, dass alle Daten gleichwertig behandelt werden müssen. Das wiederum bedeutet, die Aussage eines Experten darf nicht mehr zählen als die eines Laien und die eines mächtigen Menschen nicht mehr als die eines einflusslosen. Die Bedingung der Gleichberechtigung als Voraussetzung für die Nutzung kollektiver Intelligenz wird auch in den Beispielen in Kapitel 2.3 deutlich.

2.3 Nutzung kollektiver Intelligenz

Kollektive Intelligenz ist ein Potential, welches wie individuelle Intelligenz genutzt werden muss, damit Wissen entsteht. Anders als individuelle Intelligenz kann kollektive Intelligenz nur Daten erzeugen, sie aber nicht auswerten.

[...]


1 Vgl. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/W orld_W ide_Web [02.03.2008].

2 Vgl. Rheingold (2002), S. 178.

3 Lévy (1997), S. 32.

4 Willke (2007), S. 199.

5 Ebd., S. 202.

6 Lévy (1997), S. 31.

7 Ebd., S. 30.

8 Ebd., S. 29.

9 Ebd., S. 31.

10 Kübler (2005), S. 107.

11 Kübler (2005), S. 194 f.

12 Schetsche (2005), S. 118 f.

13 Segaran (2007), S. 2.

14 Luhmann (1987), S. 158.

15 Ebd., S. 447.

16 Ebd., S. 448.

17 Ebd., S. 440.

18 Ebd., S. 43.

19 Ebd., S. 67 f.

20 Ebd., S. 555.

21 Luhmann (2002), S. 296.

22 Luhmann (1987), S. 439.

23 Ebd., S. 440.

24 Vgl. Surowiecki (2005), S. 32.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Die Business Judgement Rule und ihre Anwendbarkeit auf rechtliche Fragen
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Universität)
Veranstaltung
Kapitalgesellschaftsrecht
Note
11
Autor
Jahr
2019
Seiten
30
Katalognummer
V498727
ISBN (eBook)
9783346007858
ISBN (Buch)
9783346007865
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Innenhaftung, Business Judgement Rule, Legal Judgement Rule, Vorstand, Aufsichtsrat, Legalitätspflicht, Legalitätskontrollpflicht, Ision
Arbeit zitieren
Jonas Bonn (Autor:in), 2019, Die Business Judgement Rule und ihre Anwendbarkeit auf rechtliche Fragen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/498727

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