In diesem Essay möchte ich dafür argumentieren, dass naturhistorische Urteile nach Michael Thompson die Idee des Darwinismus ignorieren und ihrem Ziel, der allgemeinen Beschreibung einer Spezies, bei Einbezug dessen nicht gerecht werden können. In "Leben und Handeln" analysiert Michael Thompson die Grundstrukturen von Handlungen und des praktischen Denkens. Um die Beschaffenheit der logischen Strukturen des menschlichen Verstandes bei Handlungen und praktischen Denkvorgängen zu beleuchten, untersucht Thompson unter anderem die Beschreibung von Lebensformen bzw. Spezies anhand "naturhistorischer Urteile". Thompsons Auffassung solcher Urteile überzeugt in vielen Hinsichten auf den ersten Blick, weist jedoch hinsichtlich ihrer Normativität Lücken auf.
Mit Normativität beziehe ich mich hier auf logische Normativität. Sie sagt aus wie das optimale Leben eines Individuums einer Spezies zu sein hätte. Dieser werden Beschreibungen von Individuen einer Spezies durch naturhistorische Urteile nach Thompson nicht gerecht, weil unterschiedliche Entwicklungsstadien von Individuen darin nicht erfasst werden. Eine stufenweise Veränderung von Merkmalen einer Art ist jedoch Voraussetzung für deren Weiterentwicklung im Sinne der darwinistischen Evolutionstheorie.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 NaturhistorischeUrteile-eineFormvonStigmatisierung?
2.1 NaturhistorischeUrteilenachMichaelThompson
2.2 Verknüpfung naturhistorischer Urteile mit der Teleologie Bei Lebewesen nach Foot
2.3 Kritik: Ignoranz des darwinistischen Gedankens
3 Stellungnahme
4 Fazit
5 Literaturliste
1. EINLEITUNG
In „Leben und Handeln" analysiert Michael Thompson (2011) die Grundstrukturen von Handlungen und des praktischen Denkens. Um die Beschaffenheit der logischen Strukturen des menschlichen Verstandes bei Handlungen und praktischen Denkvorgängen zu beleuchten, untersucht Thompson unter anderem die Beschreibung von Lebensformen bzw. Spezies anhand „naturhistorischer Urteile" (vgl. 84-106). Thompsons Auffassung solcher Urteile überzeugt in vielen Hinsichten auf den ersten Blick, weist jedoch hinsichtlich ihrer Normativität Lücken auf (vgl. Foot 2009: 46ff; Brewer 2009: 197ff). Mit Normativität beziehe ich mich hier auf logische Normativität. Sie sagt aus wie das optimale Leben eines Individuums einer Spezies zu sein hätte. Dieser werden Beschreibungen von Individuen einer Spezies durch naturhistorische Urteile nach Thompson nicht gerecht, weil unterschiedliche Entwicklungsstadien von Individuen darin nicht erfasst werden. Eine stufenweise Veränderung von Merkmalen einer Art ist jedoch Voraussetzung für deren Weiterentwicklung im Sinne der darwinistischen Evolutionstheorie.
Aus diesem Anlass möchte ich in diesem Essay dafür argumentieren, dass naturhistorische Urteile nach Michael Thompson die Idee des Darwinismus ignorieren und ihrem Ziel, der allgemeinen Beschreibung einer Spezies, bei Einbezug dessen nicht gerecht werden können.
Hierfür beziehe ich mich auf„Die Repräsentation der Lebensform" von Michael Thompson (2011), sowie auf „Natürliche Normen" von Philippa Foot (2009). In Kapitel 2.1 rekonstruiere ich Thompsons Idee der naturhistorischen Urteile, um darauffolgend im Punkt 2.2 herauszuarbeiten, worin Foot hierbei mögliche Lücken sieht. Anhand dessen bringe ich in Kapitel 2.3 und 3 den Gedanken des Darwinismus in die Diskussion ein und zeige die dadurch entstehenden Folgen für die Wahrheit und den Geltungsanspruch naturhistorischer Urteile nach Thompson auf. In einer abschließenden Stellungnahme fasse ich die erbrachten Ergebnisse zusammen und erkläre deren Implikationen in Bezug auf naturhistorische Urteile.
2. NATURHISTORISCHE URTEILE - EINE FORM VON STIGMATISIERUNG?
Um die zentrale Thematik des Essays bearbeiten zu können, liefert dieses Kapitel zunächst eine Exposition über den darin behandelten Begriff des naturhistorischen Urteils nach Thompson, sowie dessen Weiterentwicklung nach Filippa Foot. Speziell liegt der Fokus dabei auf der Frage, wann und ob naturhistorische Urteile nach Thompson wahr bzw. gültig sind und wie gegebenenfalls Gültigkeit erreicht werden kann. Vertieft wird die Thematik durch die darauffolgende Kritik, die die Rolle des darwinistischen Gedankens in Verbindung mit dem allgemeinen Erfassen einer Lebensform durch naturhistorischer Urteile darlegt. Zuletzt wird eine eigene Stellung zur Thematik bezogen.
2.1 Naturhistorische Urteile nach Michael Thompson (2011)
Michael Thompsons Leitmotiv in seiner Auffassung über naturhistorische Urteile ist die SpeziesAbhängigkeit: Die Beschreibung von Individuen, die einer Spezies angehören, ist logisch von der Naturgeschichte eben dieser Spezies abhängig. Naturhistorische Urteile werden benutzt, um die Lebensweise von Individuen einer Art darstellen zu können. Man kennt diese Sprechweise zum Beispiel aus Naturdokumentationen, in denen der Sprecher Dinge wie „Das Rotluchs-Weibchen gebärt im Frühling 2-4 Jungen" sagt und dies wäre dann ein naturhistorisches Urteil nach Thompsons Auffassung. Die darin inbegriffene Abhängigkeit eines Individuums von der Spezies, der es angehört, ist hierbei so wichtig, weil Handlungen, Eigenschaften oder Verhaltensweisen (wie z.B. Nahrungsaufnahme und Schutzverhalten) ohne zu wissen, welcher Spezies das Individuum zuzuordnen ist, nicht identifiziert werden können. Naturhistorische Urteile haben zudem einen besonderen Zeitbezug. Sie greifen für eine bestimmte Spezies in ihrem Lebensraum zu einer bestimmten Zeitspanne. Drückt man mit einem naturhistorischen Urteil eine genaue Zeit aus, z.B. „Das Rotluchs-Weibchen gebärt Frühling", tritt eine spezielle, unabhängige Form von Präsens ein. Die Aussage kann, egal wann, getätigt werden und verliert dabei nicht an Gültigkeit; sie ist zeitlos. Sagt man hingegen „Das Rotluchs-Weibchen hat letzten Frühling 3 Jungen geboren", ist ein einzelnes Individuum oder eine Gruppe zu der bestimmten Zeit gemeint und man spricht nicht mehr in der logischen Form eines naturhistorischen Urteils. (Vgl. Thompson 2011: 85ff)
Naturhistorische Urteile beschreiben also die Naturgeschichte einer Lebensform. Sie können als Momentaufnahmen des Evolutionsverlaufes einer Spezies angesehen werden, durch die der Zugang zu der jeweiligen Spezies-Naturgeschichte erlangt werden kann. Diese Momentaufnahmen haben als solche nach Thompson keinen Anspruch auf allzeit gültige Normativität Er begründet diesen Umstand (der nach Foots Auffassung eine Lücke darstellt) damit, dass man seiner Ansicht nach keine Vorstellung davon haben muss, was es für das einzelne Individuum einer Spezies bedeutet, ein bestimmtes Merkmal nicht mehr zu haben oder ein neues zu erhalten. Denn wichtig bei der Bedeutung eines Merkmales ist nur der Bezug zur Spezies und diesen können wir hersteilen, ohne dabei an ein bestimmtes Individuum denken zu brauchen. (Vgl. Thompson 2011: 86) Weicht ein Individuum dem allgemeinen Urteil ab, wenn ein Rotluchs-Weibchen z.B. 10 und nicht 2-4 Jungen gebärt, ist es nach Thompson einer anderen oder neuen Lebensform zuordbar. Mit einem naturhistorischen Urteil sollen also keine Tatsachen über einzelne Individuen getätigt werden können; das Ziel ist es, eine Form von Allgemeinheit darzustellen.
Es lässt sich zusammenfassen, dass in naturhistorischen Urteilen nach Thompson die Abhängigkeitsbeziehungen von Bestandteilen und Phasen einer Lebensform ausgedrückt und die Elemente einer Naturgeschichte organisiert werden. Es geht um das allgemeine Verständnis einer
Lebensform, welches sich aus den Wahrheiten verschiedener allgemeiner Urteile bzw. naturhistorischer Urteile über eine Spezies zusammensetzt.
2.2 Verknüpfung naturhistorischer Urteile mit der Teleologie bei Lebewesen nach Foot (2009)
Philippa Foot ergänzt Thompsons Gedanken über naturhistorische Urteile, indem sie deren besondere Grammatik bezüglich der „Güte" von Lebewesen herausarbeitet. Laut Foot kann mit einem naturhistorischen Urteil Lebewesen selbst, aber auch ihren Teilen, Merkmalen und Charaktereigenschaften, eine natürliche Qualität in Form von „Güte" zugeschrieben werden, sofern diese von der Beziehung des Individuums zu seiner Spezies abhängt. Das Enthalten von „Güte" unterscheidet den Inhalt eines naturhistorischen Urteils vom Inhalt anderer Aussagen oder Urteile. (Vgl. Foot 2009: 44ff). Etwas ist „gut", wenn es eine Rolle im Leben von einem Individuum oder einer Spezies spielt und damit dazu beiträgt, die Lebensvollzüge einer Art zu unterstützen (vgl. Foot 2009: 50f).
Ihrer Ansicht nach muss man darüber hinaussehen, dass mit einem naturhistorischen Urteil das Aussehen oder die Funktion von Merkmalen eines Individuums oder einer Spezies als Ganzes erfasst wird. Man muss einen Schritt weiter gehen und sehen, dass dadurch die enthaltene „Güte" für das Individuum und die Spezies festgestellt wird. Denn was im Leben der jeweiligen Spezies eine Rolle spielt, ist teleologisch auf das Leben bezogen, von dem naturhistorische Urteile handeln. (Vgl. Foot 2009: 50ff) Der Satz „Regentropfen plätschern beim Fallen" hat die gleiche oberflächliche Grammatik wie der Satz „Pflanzen treiben Wurzeln aus", ist jedoch kein naturhistorisches Urteil, da das Plätschern von Regentropfen keine Rolle für den Regen als solchen spielt. Dies ist für Foot der Grund, warum naturhistorische Urteile Normen ausdrücken können und nicht bloß statistische Normalverteilung eines Merkmals, wie es nach Thompsons Auffassung der Fall ist. (Vgl. Foot 2009: 53f)
Bezieht man sich auf diesen Aspekt, erweitert sich der Kontext, in dem naturhistorische Urteile verwendet werden können. Thompsons Ansicht nach gilt: „Wenn x ein S ist, und S-e tun/sind F, und dieses S tut/ist F nicht, dann ist dieses S defekt, indem es nicht F tut/ist" (vgl. Foot 2009: 50), ungeachtet dessen, ob das Nicht-Tun/Sein von F mehr „Güte" aufweist als das Tun/Sein genau dieses Fs. Das Urteil, das damit gefällt wird, bezieht sich auf das zeitlose, allgemeine Verständnis der Spezies. Es ignoriert ihre Lebensvollzüge im Hier und Jetzt und kann deshalb nach Foot keine valide Beschreibung liefern.
Ob ein Merkmal als gut oder defekt einzustufen ist, hängt von der Lebensform als solcher ab und nicht, wie nach Thompsons Auffassung nun zu erkennen ist, vom allgemeinen Verständnis, das man sich zu einer bestimmten Zeit über eine bestimmte Lebensform gebildet hat.
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- Quote paper
- Julia Held (Author), 2018, Kritik der naturhistorischen Urteile nach Thompson, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/498803
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