Leseprobe
Inhalt
Einleitung
Zugrundeliegender Bildungsbegriff
Didaktischer Entwurf nach E. Martin
Situationsanalyse und Einfi.ihrung in das Thema
Planung des Workshops
Handlung und Auswertung
Fazit
Quellen
Literatur
lnternetquellen
Anlage 1
Einleitung>
lm Rahmen des Moduls 1 0 haben wir uns mit Bildungsprozessen und Lerntheorien in Bezug auf die soziale Arbeit beschaftigt. lm Rahmen dessen konnten wir Seminare wahlen, welche die Themenbereiche fUr unseren didaktischen Entwurf festlegen.
Entschieden habe ich mich fUr die Thematik Sexualitat und sexuelle Bildung, auf Grund von Erfahrungen in Arbeitssituationen, welche fUr dieses Thema sensibilisierte. Bei meiner Tatigkeit als Werksstudentin bei der integrativen Drogenhilfe Frankfurt habe ich neben dem Drogenkonsumraum ein Projekt namens ,Hotline" kennengelernt, dass sich die Betreuung von drogengebrauchenden Frauen*, die als Sexarbeiter*innen auf dem Strar..enstrich arbeiten, zur Aufgabe gemacht hat. "Die Frauen prostituieren sich fUr Orogen und sie brauchen Orogen, um der Prostitution nachgehen zu konnen", beschreibt der Beratungsanbieter die Situation der Sexarbeiter*innen auf seiner lnternetseite. (vgl. Hotline Website) In diesem Projekt werden die Menschen mit Hygieneartikeln wie Softtampons, mit Verhlitungsmitteln wie Kondome fUr Vulven und Penisse, Gleitgel und neuer Kleidung versorgt, um die Lebensbedingungen der Sexarbeiter*innen zu verbessern. Schwerpunkt ist die Strar..ensozialarbeit an den Szeneorten, wo Kontakte geknlipft und Vertrauen aufgebaut wird. Ein Bliroraum erlaubt es intimere Gesprache zu flihren. Zusatzlich nehmen die Mitarbeiter*innen Beschreibungen von gewalttatigen Freiern auf, sammeln diese in einem Meldeheft und geben die lnformationen an andere Sexarbeiter*innen weiter. Ober die Einrichtung besteht Kontakt zu Menschen, die bereits eine sehr lange Zeit dieser Arbeit nachgehen und somit Expert*innenwissen besitzen und dieses auch oft an jlingere Kolleg*innen weitergeben. Als ich Zeugin eines solchen Gesprachs wurde, kam ich in Verbindung mit dem Seminar auf den Gedanken, dass es sinnvoll ware, diese Weitergabe des Expert*innenwissens in einem strukturierten Ablauf stattfinden zu lassen. Dazu ware es hilfreich, einen Bildungsworkshop fUr das Projekt ,Hotline" zu entwickeln und sich dabei an das Konzept der Peer-Education anzulehnen. ,Das Konzept der Peer Education geht davon aus, dass Peers einen besonders gror..en Einfluss auf Gleichaltrige haben und knlipft genau an diesem Punk!an. Sie werden als Expertinnen und Experten ihrer Lebenswelt [... ] angesehen." (vgl. Heyer 2010, S. 407) Bezieht sich Heyer hier zwar auf Jugendliche, so umfasst es doch auch andere Zielgruppen. Menschen, welche in einer ahnlichen Situation und Lebenswelt sleeken, haben einen anderen, oft besseren Zugang zu Menschen, um Wissen zu vermitteln. Auf Grundlage dieser Oberlegungen soli dieser didaktische Entwurf dazu dienen, den Wissensstand der Expert*innen zu verfestigen, mit anderem theoretischen Wissen zu verknlipfen und ihnen die Moglichkeit zu geben, ihr Wissen weiterzugeben. Ziel ist ein Workshop fUr interessierte Sexarbeiter*innen, welche ihr Wissen in fUr sie relevanten Fragen weiterausbauen und danach in Peer-to-Peer-Workshops oder in spontaneren Situationen weitergeben konnen, beziehungsweise selber anwenden konnen. Auch wenn dies ein theoretischer Entwurf ist, hoffe ich durch die Ausarbeitung und die Beschaftigung damit, spater in der Lage zu sein, dieses auch in der Praxis durchzuflihren. Dieser Entwurfwird nach den didaktischen Oberlegungen von E. Martin aufgebaut sein, das bedeutet im Verlauf der Arbeit wird zunachst eine Situationsanalyse stattfinden und im Anschluss werden die genauen Handlungsschritte geplant. Aur..erdem wird eine Form der Auswertung der Ergebnisse bestimmt, da dieser Schritt aufgrund dessen, dass es sich um ein theoretisches Konstrukt handel!, nicht wirklich ausgeflihrt werden kann. (vgl. E. Martin 2005)
Zugrundeliegender Bildungsbegriff>
Bevor ein Bildungsangebot gemacht wird, solite man sich uber den eigenen Bildungsbegriff klar werden. lm Laufe der Seminare haben wir uns mit verschiedenen Ansatzen beschaftigt und der fUr mich schllissigste und in diesem Fall anwendbarste ist der der kritischen Bildungstheorie. Beim Bemuhen, diese zu erfassen, stor..t man zu allererst auf Heinz-Joachim Heydorn, welcher sich mit dem Zusammenhang von Herrschaft und Bildung auseinandersetzte. So sagle er zum Beispiel: ,Ziel aller Bildung ist Macht aufzuheben und den freigewordenen Menschen an ihre Stelle zu setzen. Bildung ist Revolution des Bewusstseins. Bildungsfragen sind Machtfragen." (Heydorn 1970, S. 336f.) Es geht also um die Subjektivierung, die Emanzipation des Menschen durch Bildung. Mit dieser Bildung ergibt sich die Moglichkeit, bestehende Machtverhaltnisse zu hinterfragen und anzugehen. Nun steht Bildung nach Heydorn auch oft im Dienste des Herrschaftsverhaltnisses und mach!den Mensch zu gut ausgebildetem ,Humankapital" (vgl. Heydorn 2004, Bd. 4, S. 272). Heydorn fasst damit beide Seiten zusammen -auf der einen Seite werden zuerst die Bildungsmoglichkeiten durch einen hierarchisch hoher Stehenden bereitgestellt, auf der anderen Seite befahigen diese dann dazu, genau diese vorliegenden hierarchischen Strukturen zu hinterfragen. ,Bildung ist ein ebenso machtiges Instrument der Veranderung, wie sie Instrument von Stabilisierung ist." (vgl. Heydorn 2004, Bd. 2, S. 162) Welche Wirkung uberwiegt, ist von den aur..eren Bedingungen abhangig. In dem Fall dieses Workshops soli sie zu Subjektivierung und somit zur Veranderung beitragen, da sie selbststandiges Handeln in der Arbeit ermoglichen und dazu flihren konnte, die bestehenden Hierarchien und Verhaltnisse fUr Sexarbeiter*innen zu hinterfragen.
Steinbacher schreibt in seinem Buch uber die Didaktik, dass das Subjekt in den Mittelpunkt des fachlichen Handelns gestellt werden muss. ,Dabei gilt es, die Partizipationsmoglichkeiten der Klientel zu starken, lnterventionsziele in Hilfeprozessen gemeinsam auszuhandeln und (verdeckte) Machtausubung durch Fachkrafte oder Strukturen vor dem Hintergrund berufsethischer Grundsatze kritisch zu reflektieren." (vgl. Steinbacher 2011, S.299) lch finde, die soziale Arbeit hat sich nicht in der Lernfunktion, sondern als Lernhelfer*in zu verstehen.
Didaktischer Entwurf nach E. Martin>
Situationsanalyse und Einfi.ihrung in das Thema
Kaum ein Thema in der sozialen Arbeit ist gleichzeitig so tabuisiert und mit starken Emotionen verbunden, wie das der Sexarbeit. Auch im Laufe unseres Seminars kam es zu einer Diskussion daruber, ob Sexarbeit illegalisiert werden salle oder nicht. Die Vertreter*innen der gegensatzlichen Ansichten hatten beide im Sinn, die Rechte der Betroffenen zu schlitzen. Die freie Berufswahl und der Versuch der Enttabuisierung stehen der Ansicht gegenuber, dass Sexarbeit immer eine Objektivierung der arbeitenden Person mit sich zieht und oftmals eine okonomisch schlechte Situation ausgenutzt wird. Jedoch gelten meiner Meinung nach die Worte von Amesberger, wenn es um Sexarbeit geht: ,,nsbesondere im Zusammenhang mit moralisch umkampften Themen wie Sexarbeit besteht die Gefahr der Homogenisierung einer Gruppe sowie der ideologisch motivierten Skandalisierung durch vermeintliche Gewissheiten. Sexarbeit ist nicht gleich Sexarbeit." (vgl. Amesberger 2018 S.646) Oft wird die richtige und wichtige Kritik an Zwangsprostitution und schlecht bezahlten Strar..ensexarbeiter*innen mit jeder Form der Sexarbeit gleichgesetzt. In diesem didaktischen Entwurf umfasst die Zielgruppe jedoch tatsachlich Sexarbeiter*innen, welche sich in einer prekaren Lebenssituation befinden, da der Kontakt zur Zielgruppe des Workshops entweder durch den Drogenkonsumraum oder die Strar..ensozialarbeit auf dem Strar..enstrich stattfindet.
Prostitution ist seit dem Jahre 2002 in Deutschland legal, und somit rechtlich als Beruf anerkannt. Theoretisch ist es somit moglich, dass Arbeitsvertrage geschlossen werden und somit ein Zugang zu Sozialversicherung besteht und Sexarbeiter*innen theoretisch ihren Lohn einklagen konnten. Deutschland hat somit eine der liberalsten Gesetze zu Prostitution, im ,nordischen" (oder ,schwedischen") Modell ist der Kauf von Sex kriminalisiert, also werden die Freier bestraft, wahrend die*der Sexarbeiter*in straffrei bleibt. Zum 1. Juli 2017 ist aur..erdem das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft getreten. Seitdem bestehen fUr Sexarbeiter*innen eine Anmeldepflicht sowie die Verpflichtung, regelmar..ig eine gesundheitliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Bordellbetriebe unterliegen einer Erlaubnispflicht und mussen bestimmte Auflagen erflillen. (vgl. Bundesministerium fUr Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BMFSFJ 2017) Das Gesetz hat viele Kritiker*innen, da der ,Schutz" wie es der Begriff im Gesetzestitel vermuten lass!, in der Praxis kaum umgesetzt wird.
Die Anmeldepflicht flihrt zu Zwangsouting bei Beharden und durch die weiterhin bestehende Stigmatisierung in der Gesellschaft zu einer Ausschlier..ung der Sexarbeiter*innen. Die erzwungenen Gesundheitsberatungen widersprechen dem lnfektionsschutzgesetz, in dem Beratungen generell als freiwillig festgelegt sind. Somit gibt es gesonderte Gesetze fUr Sexarbeiter*innen, was den oben genannten Ausschluss auch rechtlich festigt. Auch ist es im Gesetz verankert, dass Sexarbeiter*innen nicht in ihrer jeweiligen Arbeitsstatte ubernachten durfen und somit noch Extrakosten daflir entstehen. Die sich oft schon in einer okonomisch schwierigen Situation befindenden Menschen werden somit noch weiter in prekare Verhaltnisse gebracht. Dazu pass!auch, dass die Bur..gelder fUr Zuwiderhandeln erhoht wurden. Ebenfalls konnen Polizist*innen nun ohne Anlass Prostitutionsstatten kontrollieren. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung wird somit aur..er Kraft gesetzt. Anstatt Sexarbeiter*innen zu schlitzen, schafft das Gesetz fUr die ohnehin schon benachteiligten Menschen weitere, oft nicht einhaltbare Regeln.
Der Gror..teil der Sexarbeiter*innen hat sich nicht angemeldet und somit in die Illegalita!begeben. So schreibt die deutsche AIDS-Hilfe auf ihrer lnternetseite, dass ,von den geschatzt 42.000 Sexarbeiter_innen in Nordrhein-Westfalen (... ) im Jahr 2018 nur 7.300 der neu eingeflihrten Anmeldepflicht nachgekommen sind". Umso wichtiger ist es deswegen, Sexarbeiter*innen Bildungsmoglichkeiten anzubieten, um sie uber ihre Rechte aufzuklaren und ihnen konkrete Handlungsmoglichkeiten, sich zu schlitzen, aufzuzeigen.
Die Themen, welche im Workshop besprochen werden, sind fUr eine Zielgruppe ausgewahlt, welche mit den Bedingungen und Schwierigkeiten konfrontiert sind, welche sich durch die lntersektionalitat 1 von Drogengebrauch und Sexarbeit ergeben. In diesem Zusammenhang halte ich es fUr erwahnenswert, dass Zwangsprostitution nicht nur durch einen hierarchisch hoherstehenden Menschen oder durch Gewalt erzwungen werden kann, sondern auch dadurch, dass Lebensumstande, die keine anderen Moglichkeiten der Existenzsicherung bieten, zu Sexarbeit zwingen konnen. So ist beispielsweise fUr viele Drogengebrauchende die Sexarbeit einer der wenigen Wege, Geld fUr ihren Drogenkonsum zu verdienen, da sie auf der einen Seite durch hohe Stigmatisierung der Gesellschaft und auf der anderen Seite durch einen speziellen Tagesablauf, der es beinhaltet mehrmals am Tag Orogen zu erwerben und zu konsumieren, zum Arbeitsmarkt oftmals keinen Zugang haben. Julia O'Connell Davidson hat einen Artikel uber die Marktgesetze des Menschenhandels verfasst und sagt, dass auch durch die Legalisierung oder theoretische Anbindungsmoglichkeiten an Sozialversicherungen, illegale Prostitution nicht verhindert wird, da Sexarbeit fUr Menschen am Rand der Gesellschaft oft die einzige Moglichkeit ist, zu uberleben. Sie sagt, wenn die Motivation gror.. genug ist oder die Alternativen fehlen, sich Menschen auf Situationen einlassen konnen, die ihnen schaden. Fortlaufend sagt sie auch, dass oftmals eine Integration in den normativen Arbeitsmarkt auch nicht gewunscht ist, da die Prostitution eine Oberlebensmar..nahme darstellt und keine normale Tatigkeit (vgl. O'Connell Davidson 2006, S.11) Wenn diese von ihr beschriebene Alternativlosigkeit zutrifft und es darum geht, zu uberleben und Orogen zu beschaffen, welche das Oberleben ertraglich machen, dann ist auch dies Zwangsprostitution.
Durch die Kriminalisierung bestimmter Substanzen halten sich Sexarbeiter*innen zumeist in der Szene auf, in der auch die Sexarbeit stattfindet. In diesem Fall ist es das Frankfurter Bahnhofsviertel, in dem sich viele Drogengebraucher*innen, Sexarbeiter*innen und Kund*innen aufhalten. Hier sind auch die Drogenkonsumraume verankert, in dessen Raumlichkeiten die Workshops stattfinden sollen. Die Begrundung, wieso ein Workshop fUr Sexarbeiter*innen zur Starkung der Rechte und Verbesserung ihres Schutzes angeboten werden soli, liegt in der kritischen Bildungstheorie. Wissen und Klarmachung der Strukturen befahigt zu einer Subjektivierung und einer Eigenstandigkeit in der Sexarbeit, die den Sexarbeiter*innen oft durch fehlende lnformationen nicht moglich ist.
[...]
1 lntersektionalitat beschreibt die Oberschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person. lntersektionelle Diskriminierung liege vor, wenn- beeinflusst durch den Kontext und die Situation- eine Person aufgrund verschiedener zusammenwirkender Personlichkeitsmerkmale Opfer von Diskriminierung wird.
<- Arbeit zitieren
- Hannah Wagner (Autor:in), 2019, "Ich mach‘s nur nach meinen Regeln". Konzeption einer Workshop-Reihe für Sexarbeiter*innen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/498830
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