Gibt es Geschlechtersteretotpye in MINT? Ein systematisches Review der empirischen Forschungsliteratur


Bachelorarbeit, 2019

71 Seiten, Note: 1.7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

ZUSAMMENFASSUNG

1. EINLEITUNG

2. THEORIE
2.1. Geschlechterstereotype
2.1.1. Stereotype / Geschlechterstereotype
2.1.2. Funktionen der Stereotype
2.1.3. Entwicklung von Geschlechterstereotype
2.1.4. Inhalte von Geschlechterstereotypen
2.1.5. Theoretische Modelle der Geschlechterstereotype
2.1.5.1. Theorie der sozialen Rollen (nach Eagly)
2.1.5.2. Stereotypinhaltsmodell (nach Fiske)
2.2. MINT Bereich
2.2.1. MINT Bereich in der Berufswelt
2.2.2. Geschlechterdifferenzierung in MINT
2.2.3. Geschlechterstereotype und MINT
2.3. Forschungsrichtung
2.3.1. Hypothesen

3. METHODE
3.1. Ein- und Ausschlusskriterien für Literatur
3.2. Vorgehen bei der Literaturrecherche
3.3. Einbezogene Quellen

4. ERGEBNISSE
4.1. Ergebnisse Hypothese 1
4.2. Ergebnisse Hypothese 2
4.3. Ergebnisse Hypothese 3

5. DISKUSSION
5.1. Ergebnisse zum Review
5.2. Fazit und Ausblick
5.3. Methodische Schwächen und Grenzen der Arbeit

LITERATURVERZEICHNIS

PRESSEMITTEILUNG

ANHANG

Zusammenfassung

In der Gesamtbetrachtung der beruflichen Arbeitswelt zeigt sich, dass Berufswünsche, Interessen, Neigungen und Fähigkeiten oft vom Geschlecht abhängen. Dabei vermitteln Geschlechterstereotype ein Verständnis dafür, dass manche Berufszweige in einem klassischen Sinne Männern bzw. Frauen zugeordnet werden. Hierbei rückt vor allem der MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) ins Zentrum von wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, da Frauen in diesen Berufsgruppen als auch in den Studiengängen stark unterrepräsentiert sind. Um den Grundgedanken auf­zugreifen, Frauen im MINT Bereich zu stärken und den Weg dahin zu ermöglichen ist es hilfreich, zu ergründen, wie ein geschlechterstereotypes Denken diesen Weg beein­flusst. Unter diesem Aspekt setzt sich die folgende Literaturrecherche systematisch mit der Frage auseinander, welche vermittelnde Instanzen Geschlechterstereotype im schu­lischen MINT-Bereich (vorzugsweise im Fachbereich der Mathematik) beeinflussen. In die Betrachtung fallen 21 empirische Primärstudien aus dem Zeitraum der letzten 15 Jahre, die in einer systematischen Suche in der Datenbank EBSCOhost® ausgewählt worden. Als wichtige soziale Einflussfaktoren für den MINT-Bereich wurden sowohl die Lehrer als auch Eltern und deren geschlechterstereotype Erwartungshaltung als Ein­flussfaktoren für Geschlechterstereotype bei Kindern herauskristallisiert. Es zeigen sich deutliche Effekte dahingehend, dass vor allem die geschlechterstereotyp-konforme ne­gative Erwartung Einfluss auf die Selbstkonzepte bei weiblichen Schülern nimmt. Die Befunde werden diskutiert, woraus sich theoretische und praktische Implikationen für die weitere Forschung ableiten lassen.

Hinweis des Autors:

Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wird auf die explizite Nennung beider Ge­schlechter verzichtet. Sollte die Differenzierung des Geschlechts relevant sein, wird ausdrücklich darauf hingewiesen.

1. Einleitung

Frauen gelten bereits seit vielen Jahren in den klassischen MINT Fächern (MINT = Zusammenschluss der Studien-/Berufsbereiche Mathematik, Informatik, Naturwissen­schaft und Technik) als unterrepräsentiert (Quaiser-Pohl & Endepohls-Ulpe, 2010). Als ursächlich dafür gelten unter anderem geschlechtsspezifische Interessen, Fähigkeiten, oder auch Begabungen. Es sind jedoch auch klassische soziale Rollenerwartungen, die Frauen dahingehend bestärken, sich tendenziell eher gegen eine berufliche Karriere in MINT zu entscheiden, da diese als verstärkt männlich wahrgenommen wird (Eagly, 1987). Es stellt sich daher die Frage, wie man junge Mädchen schon früh für die ver­meintlichen Männerberufe in naher Zukunft gewinnt. Trotz zahlreicher Versuche über bildungspolitische Initiativen und Programme haben sich die Zahlen von Frauen in MINT kaum geändert (vgl. Abschnitt 2.2.1.). Doch weshalb bewirken Programme nicht die gewünschte Änderung von Partizipationsanteilen der Frauen in MINT-Berufen? Fördermaßnahmen führen oft nur zu niedrigen bis mittleren Effekten, die lediglich eine kurzfristige Wirkung aufweisen und ein ganzheitliches Umdenken nicht bewirken kön­nen (Stöger & Heilemann, 2012, Quaiser-Pohl & Endepohls-Ulpe, 2010). Nach Ziegler, Reutlinger und Hering (2012) fokussieren sich Maßnahmen zur Förderung von Frauen im MINT Bereich auf konkrete Einzelfaktoren, die als maßgeblich für die Ursache be­trachtet werden. Sie führen weiter an, dass im Rahmen eines systemischen Ansatzpunk­tes man jene Vorgehensweise jedoch als unzureichend einschätzen kann, da gerade Ge­schlechtsstereotype durch eine Vielzahl von Facetten, Wechselwirkungen und unter­schiedlichsten sozialen, kulturellen, erzieherischen oder gar infrastrukturellen Umwelt­einflüssen aufgebaut und generalisiert werden. Aufgrund der Vielzahl an möglichen Einflussfaktoren für die geschlechtsspezifische Berufswahl gilt es für die jeweiligen Faktoren ihren signifikanten Einfluss empirisch nachzuweisen. Nach Schober (1997) spricht man in der neueren Berufsforschung nicht direkt von einer Berufswahl oder Be­rufsentscheidung, sondern von einem Berufsfindungsprozess. Es ist damit nicht nur eine punktuelle Entscheidung, sondern vielmehr ein längerer Prozess der Berufsorientierung. Demnach entfernt man sich vom gängigen Erklärungsansatz, dass die berufliche Ent­scheidung ein durchweg freier und lediglich durch in der Person liegenden Faktoren (wie z.B. Neigung, Begabung, Motive) beeinflusst wird und geht damit stärker von Umwelteinflüssen in einem komplexen System aus. (Budde, 2013). Dabei können Ge­schlechterstereotype als unbewusste Konstrukte einen entscheidenden Faktor im Be­rufswahlprozess für Frauen darstellen. Doch welche Faktoren begünstigen eine ge­schlechtsspezifische Berufswahl? Sind es Eltern und ihre Erziehungsmethoden, Freunde und Gleichaltrigengruppen, Vorbilder oder Medien? Alle haben scheinbar einen direk­ten oder auch indirekten Einfluss darauf, wie wir die eigene Geschlechterrolle entwi­ckeln und verinnerlichen. Maßgeblich verantwortlich für Geschlechtsunterschiede im Erleben und Verhalten sind Sozialisationsprozesse (Eckes & Trautner, 2000, Braches- Chyrek, Sünker, Röhner, & Hopf, 2014). Der schulische Kontext scheint dabei eine wesentliche Rolle einzunehmen. Metanalysen zeigen, dass Mädchen vor allem in der Mathematik stereotypen Bedrohungseffekten ausgesetzt sind, welche ihre Leistung ne­gativ beeinflussen (Flore & Wicherts, 2015). Jene Bedrohungseffekte können ursächlich für eine Vermeidungshaltung von Frauen gegenüber MINT sein. Die Rolle des Lehrers rückt daher in den Mittelpunkt der Betrachtung, da dieser sowohl eine vermittelnde Rol­le von Geschlechterstereotypen einnehmen kann oder auch durch seine eigene ge­schlechterstereotype Erwartungshaltung die Leistung beeinflussen könnte. Neben der Lehrerfigur haben jedoch Eltern einen höheren Stellenwert wenn es darum geht, Werte und Grundhaltungen zu vermitteln. Die folgende Literaturrecherche versucht einen Überblick zu geben, ob Lehrer und Eltern als wichtige Einflussgröße für Schüler Ge­schlechterstereotype im MINT Bereich vermitteln oder gar Leistungen durch eigene Geschlechterstereotype beeinflussen können.

2. Theorie

2.1. Geschlechterstereotype

2.1.1. Stereotype / Geschlechterstereotype

Stereotype gelten als kognitive Strukturen, in denen sozial geteilte Annahmen über Merkmale, Eigenschaften und Verhaltensweisen von Mitgliedern einer sozialen Kategorie bzw. einer sozialen Gruppe repräsentiert sind (Kite, Deaux, & Haines, 2008). Dabei gelten Stereotype allgemein als Faustregel oder Verallgemeinerung für die ge­samte Gruppe, da allen Mitgliedern der Gruppe identische Merkmale zugeschrieben werden. Unterschiede innerhalb der Gruppe werden dabei vernachlässigt (Steffens & Ebert, 2016). Beispiele für typische soziale Kategorien stellen u.a. Geschlecht, Alter, ethnischer und kultureller Hintergrund, Behinderung, sexuelle Orientierung und Religi­onszugehörigkeit dar. Subsummiert werden diese 6 kategorialen Unterscheidungskrite­rien als Kerndimensionen des Diversity-Managements (Plummer, 2003), welche im gesellschaftlichen Kontext in vielfältiger Weise Angriffsflächen für Merkmalszuschrei­bungen bieten (Salzbrunn, 2014). Beim Diversity-Management selbst geht es gerade darum, auf adäquate und sensible Weise mit sozialer Vielfalt umzugehen (Ehrke & Steffens, 2014). Im wissenschaftlichen Kontext steht vor allem die Kategorie des Ge­schlechts als Stereotyp oft im Mittelpunkt. Eine vermeintlich einfache kategoriale Zu­ordnung zu einem der beiden Geschlechter (männlich vs. weiblich) wird durch sichtbare geschlechtstypische Merkmale relativ leicht vorgenommen. Jene Zuordnung erfolgt bereits im Kindesalter (Eckes, 2008) und wird über einen Lernprozess bis ins Erwach­senenalter fortgesetzt.

Geschlechterstereotype gelten als kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wis­sen über die charakteristischen Merkmale von Frauen und Männer enthalten (Ashmore & Del Boca, 1979, Eckes, 1997). Nach Eckes (2008) besitzen Geschlechterstereotype eine duale Natur, welche sich sowohl durch individuellen Wissensbesitz als auch durch ein konformes, kulturell-geteiltes Verständnis über die jeweiligen charakteristischen Geschlechtsmerkmale zusammensetzen. Geschlechterstereotype werden dabei durch biologische, soziale und psychische Prozesse über die gesamte Lebensspanne eines In­dividuums aufgebaut und verfestigt (Eckes & Trautner, 2000). In den weiteren Ausfüh­rungen zur Definition nach Eckes wird beim Geschlechterstereotyp von einem deskrip­tiven und einem präskriptiven Anteil gesprochen (Fiske & Stevens, 1993). Der deskrip­tive Anteil besitzt beschreibende Elemente, wie im traditionellem Sinne Männer und Frauen sind, wie sie sich verhalten und welche Eigenschaften sie besitzen. Diese Funk­tion erleichtert die soziale Wahrnehmung, indem Erwartungen generiert und Interaktio­nen vereinfacht werden. Entspricht eine Person deskriptiven Erwartungen nicht, dann werden beobachtende Personen maximal überrascht sein (Rudman & Glick, 2008). Der präskriptive Anteil umfasst hingegen Vorstellungen darüber, wie sich Männer und Frauen in ihren typischen Rollen verhalten sollten (Eagly, 1987). Dadurch werden ge­sellschaftlich definierte Unterschiede zwischen Männern und Frauen legitimiert. Kommt es zur Verletzung präskriptiver Erwartungen, so erfolgt nicht nur eine Überra­schung, es hat vielmehr Ärger oder auch soziale Sanktionen zur Folge. Nach Fiske und Stevens (1993) gelten Geschlechterstereotype stärker präskriptiv als andere Gruppenste­reotype. Eine Verletzung von stereotypischen Erwartungen hat auch nur in Ausnahmen eine Änderung des Geschlechterstereotyps zur Folge (Prentice & Carranza, 2004). Sie gelten daher als besonders veränderungsresistent und haben weiterhin vielfältige Aus­wirkungen auf das soziale Erleben und Verhalten (Klauer, 2008, Heilman, 2012).

2.1.2. Funktionen der Stereotype

Auch wenn Geschlechterstereotype vielfach im gleichen Atemzug mit Vorurtei­len und Benachteiligungen genannt werden, so ist sich die Wissenschaft über Funkti­onsweisen von Geschlechterstereotypen weitestgehend einig. Als kognitive Schemata vereinfachen Stereotype soziale Informationsverarbeitung und werden als Urteilsheuris­tiken verwendet (Athenstaedt & Alfermann, 2011). Im Alltag werden Menschen mit einer Fülle an Umgebungseinflüssen und Informationen konfrontiert, die innerhalb von Sekunden aufgenommen und verarbeitet werden. Da der Mensch nur begrenzte kogniti­ve Fähigkeiten besitzt, bedient er sich mentalen Ordnungssystemen, welche über Infor­mationsverarbeitungsprozesse generiert werden. Diese automatischen Prozesse sind unbewusst, unkontrolliert und in aller Regel nicht intendiert (Leyens & Codol, 1990) und ermöglichen eine Reduzierung und Strukturierung der Komplexität der Welt. Nach dem „Prinzip der geringsten Anstrengung“ (Allport, 1954) helfen uns Stereotype dabei, damit wir uns im täglichen Leben zurechtzufinden (Hamilton & Sherman, 1994). Letzt­lich vereinfachen Stereotype nicht nur die soziale Wahrnehmung, sie können ebenfalls gesellschaftlich systemische Praktiken (wie Ablehnung bestimmter Gruppen) und Sta­tusunterschiede zwischen Gruppen legitimieren (Jost & Banaji, 1994), wodurch sie zu Rationalisierungen von Gruppenunterschieden beitragen (Allport, 1954). Durch Stereo­type wird dadurch ermöglicht, existierende Strukturen in einem sozialen System zu rechtfertigen (Hoffman & Hurst, 1990).

Eine differenziertere Darstellung zu Funktionen findet man bei Eckes (2008). Er geht davon aus, dass die Nützlichkeit von Geschlechterstereotypen abhängig von dem Grad ist, in dem sie folgende Funktionen für das Individuum erfüllen: (a) Ökonomie: Maximierung von Informationsgehalt bei Minimierung des kognitiven Aufwandes, (b) Inferenz: Reduktion der Unsicherheit durch Schlüsse auf nicht direkt beobachtbare Merkmale (darunter auch Erklärungen, Vorhersagen und Verallgemeinerungen), (c) Kommunikation: sprachliche wie nichtsprachliche Verständigung zwischen Menschen, (d) Identifikation: Selbstkategorisierung mit dem Ziel eines kohärenten Selbstkonzepts, und (e) Evaluation: Bewertung von Eigengruppen (d.h. Gruppen, zu denen sich ein In­dividuum selber zählt) und ihren Merkmalen in Relation zu Fremdgruppen. Die Akti­vierung und Benutzung von Stereotypen kann demzufolge als zweckmäßig aufgefasst werden (Steffens & Ebert, 2016). Jedoch können Stereotype aufgrund einer möglichen falschen Verallgemeinerung ebenfalls als dysfunktional betrachtet werden (Gollwitzer & Schaal, 1998). Zur Thematik einer falschen Verallgemeinerung warnen Steffens und Ebert (2016):

Stereotype können nie so zutreffend wie die Bildung eines individuel­len Eindrucks von einem Menschen sein. Wenn sich der Eindruck ei­ner Person lediglich aus ihrer Gruppenmitgliedschaft speist, werden ihre einzigartigen Merkmale außer Acht gelassen, sodass die Genau­igkeit der Beurteilung notwendigerweise geringer ist. (S.15)

Ein möglicher Informationsverlust kann dadurch entstehen, da Individuen auf Basis von Gruppenzugehörigkeiten beurteilt werden und somit die Individualität ver­nachlässigt wird (Mackie, Hamilton, Susskind, & Rosselli, 1996). Dadurch, dass Ge­schlechterstereotype ein bestehendes System erhalten, haben sie sich bis heute kaum gewandelt und können nach wie vor als äußerst änderungsresistent angesehen werden (Hosoda & Stone, 2000).

2.1.3. Entwicklung von Geschlechterstereotype

Bereits im Kindesalter lernen wir, dass sich Männer und Frauen in physischen Merkmalen unterscheiden. Zusätzlich nehmen wir wahr, dass sich Personen des glei­chen Geschlechts in bestimmten Eigenschaften sehr ähneln. Die Wissenschaft geht da­von aus, dass Kinder bereits im Alter von zwei Jahren Geschlechterstereotype aufgebaut haben (Ruble, Martin, & Berenbaum, 2006). Das kognitive Bewusstwerden der sozialen Kategorie „Geschlecht“ gilt als eine wichtige Entwicklungsstufe (Ruble et al., 2004) und findet bei Kindern sogar schon ab dem dritten bis vierten Monat statt, indem sie zwischen Frauen- und Männergesichtern unterscheiden und eine Bevorzugung der pri­mären Bezugsperson (im Allgemeinen die Mutter als Frau) vornehmen (Quinn, Yahr, Kuhn, Slater, & Pascalils, 2002). Weiterhin gelingt es ihnen ab dem siebten Monat zwi­schen weiblichen und männlichen Stimmen zu unterscheiden (Miller, 1983). Im Alter von zwölf Monaten nehmen Kinder Personen dann eindeutig in geschlechtsdifferenzier­ter Weise wahr (Fagot, Rodgers, & Leinbach, 2000). Demnach gilt eine Kategorisierung nach dem Geschlecht als eine der ersten sozialen Kategorien (im Vergleich neben Alter, Rasse etc.), die Kinder zur Ordnung ihrer sozialen Umwelt heranziehen (Mackie et al., 1996; Ruble, Martin & Berenbaum, 2006). Im weiteren Verlauf entwickeln sich zwi­schen dem ersten und dem dritten Lebensjahr sowohl geschlechtstypische Präferenzen für Spielsachen, Aktivitäten und Spielpartner (Bischof-Köhler, 2002; Maccoby, 2000), als auch ein sprachliches Kategoriensystem, indem sie zwischen „Bub“ und „Mädchen“ bereits differenzieren können (Zosuls et al., 2009).

Studien von Serbin et al. (2001) zeigten bei einem Experiment mit 77 Kindern auf, dass bereits im Alter von 18 Monaten eine geschlechterstereotypische Spielzeug­präferenz vorliegt, wenn sich Jungen und Mädchen frei entscheiden dürfen, ob sie lieber mit einer Puppe oder einem Lastwagen spielen dürfen. Eine allgemeine Präferenz für geschlechterspezifisches Spielzeug ist ab diesem Alter der Kindesentwicklung zu er­warten (O’Brien & Huston, 1985).

Laut Trautner et al. (2005) erfolgt die Entwicklung von geschlechterstereotypem Wissen in drei Schritten. Im ersten Schritt steht der reine Wissenserwerb von ge­schlechtsspezifischen Faktoren im Fokus („beginning awareness“). Darunter fällt nicht nur das Wissen über augenscheinliche physische Unterschiede, sondern auch von ge­schlechterspezifischen Interessen, Fähigkeiten oder auch Emotionen (Ruble et al., 2006). Beispielsweise verfügen Kinder im Alter von vier bis fünf Jahren über Wissen von geschlechtsstereotypischen Zuschreibungen von Aggressionen (Giles & Heyman, 2005). Mädchen tendieren demnach häufiger zu sozialen Aggressionen (Ausschluss aus sozialen Gruppen, Freundschaftsentzug), hingegen ergreifen Jungen stärker die Mög­lichkeit zur Anwendung von körperlichen Aggressionen. Mit Eintritt in die Schule (un­gefähr zwischen fünf und sieben Jahren) erfolgt gleichzeitig der zweite Entwicklungs­schritt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass junge Menschen die gefestigten Geschlech­terstereotype nun rigoros anwenden („rigidity“, Trautner et al., 2005). Die erlernten geschlechtsspezifischen Merkmale werden dabei als unabänderlich und moralisch rich­tig empfunden. Im Alter von ungefähr acht Jahren beginnt der dritte Entwicklungs­schritt, in welchem eine Flexibilisierung geschlechterstereotypen Wissens („flexibility“) im Fokus steht. Kinder operieren nun mit der kognitiven Geschlechterkategorie und bringen primäre stereotypische Merkmale mit anderen in Verbindung. Einem Mädchen, welches gern mit Autos spielt werden auch andere männlichen Merkmale zugeschrie­ben, ohne dass dabei die eindeutige Zuordnung in die Kategorie „Mädchen“ verloren geht (Ruble et al., 2006, Trautner et al., 2005).

Die Entwicklung selbst wird im gesamten Verlauf durch andere sozio- kulturellen Einflussquellen wie z. B. durch Eltern, Geschwister, Gleichaltrige oder Me­dien mitbe-stimmt (Bussey & Bandura, 1999; Ruble, Martin & Berenbaum, 2006). Da­her sind neben dem individuellen Entwicklungsverlauf ebenfalls Sozialisationsprozesse verantwortlich für Geschlechtsunterschiede im Erleben und Verhalten (Eckes & Trautner, 2000; Leaper & Friedman, 2007).

2.1.4. Inhalte von Geschlechterstereotypen

Allein auf die Frage „Was ist typisch Mann und was ist typisch Frau?“ hat ein jeder sicherlich eine Antwort parat. Denn in allen von uns existiert ein gefestigtes Bild darüber, welche Merkmale wir eher Frauen und welche eher Männern zuordnen wür­den. Die Charakteristika, die wir dementsprechend beschreiben, sind unsere individuel­len Geschlechterstereotype und können sich auf bestimmte Bereiche wie körperliche Merkmale, Persönlichkeitsmerkmale, Rollenverhalten, Fähigkeiten, Interessen oder auch berufliche Präferenzen beziehen (Deaux & LaFrance, 1998). Bezogen auf die In­halte von Geschlechterstereotypen lassen sich Merkmale in zwei übergeordnete Dimen­sionsgruppen zuordnen: die der Gemeinschaftsorientierung („communion“) und die der Aufgaben- oder Handlungsorientierung („agency“) (Fiske, Cuddy, Glick, & Xu, 2002). In der Terminologie nach Eckes (1997) finden sich hierzu die Unterscheidungen vom Konzept der Wärme (auch Expressivität, Femininität bzw. „communion“) und dem Konzept der Kompetenz (Instrumentalität, Maskulinität bzw. „agency“). Gemein­schaftsorientierung spiegelt dabei die Bedeutung von Beziehungen zu anderen wider und beinhaltet Merkmale, die als typisch weiblich anerkannt sind (z.B. bescheiden und fürsorglich). Handlungsorientierung als Oberbegriff fasst hingegen Eigenschaften zu­sammen, die als typisch männlich angesehen werden (z.B. selbstbewusst und bestim­mend) (Diekman & Eagly, 2000; Eagly & Steffen, 1984). Im Allgemeinen können diese Dimensionen als wesentlich für die Personenwahrnehmung angesehen werden (Athenstaedt & Alfermann, 2011). Evolutionspsychologisch spielt Wärme bei der Beur­teilung anderer Personen eine größere Rolle als Kompetenz, da es für das Überleben wichtiger ist, ob Vertrauen zu einer anderen Person besteht. Ob diese Person als kompe­tent eingeschätzt wird, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle (Abele & Wojciszke, 2007; Fiske, Cuddy, & Glick, 2007). Eine größere Rolle spielt die Kompetenz in der Frage des respektvollen Umgangs miteinander, wobei Personen respektiert und geachtet werden, die als kompetent und fähig gelten (Athenstaedt & Alfermann, 2011). Bei der Dimensionszuschreibung konnten Fiske et al. (2002) aufzeigen, dass für viele sozialen Gruppen eine ambivalente Einordnung vorgenommen wird. Wer als warmherzig klassi­fiziert wird, dem spricht man zu, weniger kompetent zu sein und umgekehrt. Von Män­nern und Frauen werden demnach auf der Grundlage jener Gemeinschafts- und Hand­lungsorientierung spezifische Kompetenzen und berufliche Bereiche erwartet. Während der Männerbereich gekennzeichnet ist durch Unternehmertum, Führungsverantwortung und Managementqualitäten, so wird der Frauenbereich in der Kinderbetreuung und Pflege verortet (Baron, Markman, & Hirsa, 2001). Weiterhin sind Männer in den klassi­schen MINT Fächern immer noch stärker vertreten als Frauen, wohingegen Frauen in den Bereichen der Sprache, Kunst und Sozialwissenschaften dominieren (Nosek, Banaji, & Greenwald, 2002; Stöger & Heilemann, 2012). Bezüglich geschlechterstereo­typischer Eigenschaften haben Rosenkrantz et al. (1968) schon in den 1960er Jahren eine Auflistung erarbeitet. Demnach gelten Frauen als expressiv, einfühlsam und bezie­hungsorientiert, Männer hingegen als instrumentell, selbstbewusst und unabhängig.

Bezogen auf Fähigkeiten und Leistungen gibt es eine starke Vorstellung darüber, dass vor allem die Mathematik (Steffens, Jelenec, & Noack, 2010) oder auch das räum­liche Denken (Janet Shibley Hyde, 2007) zu den Stärken von Männern zählen, auch wenn verschiedene Untersuchungen Unterschiede in den Testleistungen nicht nachwei­sen konnten (Hall, Davis, Bolen, & Chia, 1999; Else-Quest, Hyde, & Linn, 2010). Es zeigte sich sogar, dass Mädchen in anderen Kulturen bessere Matheleistungen erzielen, wodurch der kulturelle Einfluss einen höheren Einfluss auf die Matheleistungen zu ha­ben scheint, als das Geschlecht (Janet Shibley Hyde, 2007). Auch insgesamt scheint es Übereinstimmungen zwischen den Ländern zu geben, betrachtet man stereotype Eigen­schaften in den einzelnen Kulturkreisen (Williams & Best, 1990). Weiterhin wurde kei­nerlei Umkehrung der männlichen und weiblichen Geschlechterstereotype gefunden. Stereotype Eigenschaften für Frauen wie z.B. schwach und sanft wurden in keinem Land als „männlich“ bezeichnet.

2.1.5. Theoretische Modelle der Geschlechterstereotype

2.1.5.1. Theorie der sozialen Rollen (nach Eagly)

Nach der Theorie der sozialen Rollen (Eagly, 1987) haben Geschlechterstereo­type ihre Ursache in den sozialen Rollen, die Männer und Frauen innerhalb der Gesell­schaft einnehmen. In der Theorie geht man davon aus, dass man Männern und Frauen Merkmale zuweist, die typisch für ihre sozialen Rollen sind, welche sie einnehmen. Dabei steht die Berufs-oder Familienrolle im Fokus der Betrachtung. Frauenstereotype, welche durch die Dimension Wärme, Expressivität und Gemeinschaftsorientierung ge­kennzeichnet sind gehen mit der Rolle als Hausfrau oder mit Berufsrollen niedrigerem Status (z.B. Kindergärtnerin) einher. Männliche Stereotype, gekennzeichnet durch die Dimension Kompetenz/Expressivität und Handlungsorientierung stehen im Einklang mit Berufsrollen, die mit einem hohem Status einhergehen oder auch den Hauptverdie­ner der Familie darstellen. Laut Theorie wird dadurch aufgrund der bloßen Zugehörig­keit zur sozialen Rolle und das Verhalten, welches für diese Rolle als typisch gilt, auf Eigenschaften vom Rolleninhaber geschlossen. Dabei werden jedoch die situativen Fak­toren der Rollenanforderung, die ein Verhalten bedingen, ausgeblendet (Conway, Pizzamiglio, & Mount, 1996). Ein Polizist kann während der Arbeit als unerbittlich, selbstsicher und kämpferisch angesehen werden, da diese Rolle von ihm erwartet wird und teils notwendig ist, um Respekt zu erlangen. Dennoch können ihn eine Vielzahl sozialer Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen und Fürsorge und Wärme ausmachen, die er als Freund, Vater oder Ehemann verkörpert.

Die traditionelle Geschlechterrollenverteilung ist mit verschiedenen Konsequen­zen verbunden. Zum einen werden Frauen als gemeinschaftsorientiert und Männer als handlungsorientiert betrachtet, da sie jeweils in diesen Rollen stärker wahrgenommen werden (die Kindergärtnerrolle erfordert ein ausgeprägtes Maß an Führsorge und sozia­les Engagement, die Managerrolle erfordert Charakteristika wie z.B. Stärke und Durch­setzungsvermögen). Zum anderen erfolgt von Männern und Frauen eine geschlechts­spezifische Anpassung an die jeweilige Rolle. Sie passen sich den Anforderungen an, um eine höhere Rollenperformanz auszubilden, da rollenkonformes Verhalten gesell­schaftliche Akzeptanz zur Folge hat (Eagly & Karau, 2002). Die Identifizierung mit den sozialen Rollen nimmt unter anderem Einfluss auf die berufliche Laufbahn. Frauen er­leben nicht selten Interessenskonflikte zwischen ihrer Arbeits- und ihrer Familienrolle (Andrade & Mikula, 2014), da sich beides im Alltag oft schwer vereinbaren lässt.

2.1.5.2. Stereotypinhaltsmodell (nach Fiske)

Ein weiteres Modell zur Beschreibung von Geschlechterstereotypen findet man bei Fiske et al. (2002). Laut Modell geht man davon aus, dass sich Menschen in inter­personellen und intergruppalen Situationen für die Ziele und Absichten anderer interes­sieren. Diese Absichten haben Auswirkungen auf das Selbst oder die Gruppe, welcher man angehört und werden kritisch auf der Grundlage der zwei Dimensionen Wärme und Kompetenz begutachtet. Werden positive Zielabsichten bei der anderen Person identifi­ziert, so geht dies mit einer hohen Ausprägung an Wärme einher. Im Modell spricht man von einer kooperativen Interdependenz zwischen den Personen, da die Handlungs­ergebnisse der Personen gleichgerichtet sind. Werden ungleiche Zielabsichten ausfindig gemacht, so spricht man hingegen von einer kompetitiven Interdependenz. Ob die ande­re Person die Absichten umsetzen kann, hängt von der Kompetenzdimension ab. Wird sie als fähig eingeschätzt, Ziele umsetzen zu können, so führt das zur positiven Bewer­tung auf der Kompetenz-Dimension. Im Modell wird dies durch die soziostrukturelle Hypothese verdeutlicht, welche besagt, dass der relative Status die Einordnung einer Person auf der Kompetenzdimension bestimmt. Gruppen mit hohem Status werden als kompetent eingeschätzt, mit niedrigem Status als inkompetent. Entlang der zwei Kerndimensionen können nach diesem Modell viele soziale Gruppen beschrieben wer­den. Frauen wird anhand des Modells ein hohes Maß an Wärme zugeschrieben, wenn­gleich dies mit einer geringeren Kompetenz einhergeht. Männer hingegen werden als kompetent eingeschätzt jedoch als wenig warm betrachtet (Fiske et al., 2002).

2.2. MINT Bereich

2.2.1. MINT Bereich in der Berufswelt

Bei MINT handelt es sich um eine Zusammenfassung unterschiedlicher Berufs­bilder, die sich in die Themenfelder Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik eingruppieren. Laut Bundesagentur für Arbeit spricht man von einem Berufs­aggregat, welches nach dem „Klassifikation der Berufe 2010“ (KldB 2010) eine Zuord­nung von Berufen in 3 verschiedenen Anforderungsniveaus (MINT-Fachkräfte, MINT- Spezialisten, MINT-Experten) vornimmt und dabei 435 Berufsgruppe in 36 MINT Be­rufskategorien zusätzlich subsummiert. Statistische Zahlen der Bundesagentur für Ar­beit (2018) zeigen, dass sich in Deutschland 7,7 Mio MINT-Fachleute in sozialversiche­rungspflichtiger Beschäftigung befanden und damit ca. 28 % aller in Deutschland Be­schäftigten in diesem Fachbereich tätig sind. Mit einem Zulauf von 137.000 Beschäftig­ten kann man einen Anstieg von 2% in Bezug auf das Vorjahr aufzeigen. Ein erhebli­ches Wachstum ist bei den Informatikberufen zu verzeichnen, welches 2017 im Ver­gleich zu 2013 um 19 % anstieg. So nimmt nachweislich zwar die Beschäftigung im MINT Bereich weiterhin zu, ferner muss aber erwähnt sein, dass die Arbeitskräftelücke im MINT Bereich tendenziell größer wird. So wird im MINT-Frühjahresreport 2018 (Koppel, 2018) nicht nur von 486.600 offenen Arbeitsstellen im MINT Bereich berich­tet, sondern auch von einer Arbeitskräftelücke von 314.800 Personen mit zunehmender Tendenz. Bleibt man beim Beispiel der Informatik, so spiegelt sich der steigende Bedarf an IT-Know-how in der Arbeitskräftelücke bei den IT-Berufen wider. Hierbei hat sich die IT-Expertenlücke zwischen 2014 und 2018 von 16.000 auf 39.600 mehr als verdop­pelt. Aufgrund von steigenden Erwartungen an eine Digitalisierung scheint auch die Nachfrage weiter zu wachsen.

Ein Blick auf die statistischen Kennzahlen von Studierenden [Destatis (Statisti­sches Bundesamt), 2018] verdeutlicht, dass in den letzten zehn Jahren das Ziel einen Hochschulabschluss zu erlangen immer mehr in den Fokus rückt. Im WS 2017/2018 gab es mit knapp 2.8 Millionen Studierenden in Deutschland fast 1 Million mehr Men­schen mit Ambition zum Studienabschluss als noch im WS 2007/2008. Dabei stehen auch die MINT Bereiche im Vordergrund. In den Top 20 der am stärksten besetzten Studienfächer findet man mit Informatik (115.005), Maschinenbau-/wesen (113.491), Elektrotechnik/Elektronik (69.634), Wirtschaftsingenieurwesen mit ingenieurswissen­schaftlichem Schwerpunkt (69.161), Mathematik (60.478), Wirtschaftsinformatik (59.493), Bauingenieurswesen (55.957), Physik (50.989) und Chemie (46.032) gleich 9 Studienbereiche des MINT-Sektors. Auch werden positive Entwicklungsverläufe im MINT Bereich deutlich. Nach Angaben des Nationalen Paktes für Frauen im MINT Bereich haben sich 878.163 Studienanfängerinnen und Studienanfänger für ein Erstse­mester in Deutschland eingeschrieben und damit 335.927 mehr als noch im Jahr 2008 (komm-mach-mint, 2018).

2.2.2. Geschlechterdifferenzierung in MINT

Auch wenn in Deutschland der MINT Bereich mit seinen hohen Beschäftigungs-, Ausbildungs- und Studierendenzahlen eine besondere Rolle einnimmt, so nehmen gera­de Frauen nur geringfügig daran Anteilnahme. In nahezu allen Statistiken im MINT Bereich sind Frauenanteile gemessen am Gesamtanteil deutlich unterrepräsentiert. So veröffentlichte die Bundesagentur für Arbeit mit ihrem Bericht „Blickpunkt Arbeits­markt“ (09.2018) (Bundesagentur für Arbeit, 2018) eine Broschüre zum Einblick in MINT-Berufe. Die folgenden Kennwerte wurden dieser Statistik entnommen. Es zeigt sich, dass lediglich 15,2 % von allen 7.7 Millionen sozialversicherungspflichtig Be­schäftigten im MINT Bereich Frauen sind. Ebenfalls werden Kennzahlen zu dualen MINT-Berufsausbildungen berichtet, wobei von 174.000 neuen Ausbildungsverträgen im Jahr 2017 lediglich 11% mit Frauen abgeschlossen wurden. Auch ein Blick in die Studierendenzahlen verdeutlicht ähnliche Verteilungen. Zwar entschieden sich 2017 fast genau so viele Frauen (49,5 %) wie Männer (50,5%) für ein Studium. Jedoch ist die Studienrichtung deutlich unterschiedlich und geschlechtsabhängig. Betrachtet man die beiden Fächergruppen Mathematik/Naturwissenschaften und Ingenieurswissenschaften, welche einen Großteil an MINT-Studiengängen zusammenfassen, so findet man in den Top 10 der am stärksten besetzten Studienfächer im WS 2017/2018 bei den Männern 7 MINT-Studiengänge (Maschinenbau-/wesen, Informatik, Elektrotechnik/Elektronik, Wirtschaftsingenieurwesen, Wirtschaftsinformatik, Bauingenieurswesen, Physik) und bei den Frauen mit der Biologie gerade mal ein einziges MINT-Studienfach (mit 33.610 Frauen auf Rang 10 der Top 10).

Betrachtet man die Kennzahlen aus Statistischen Bundesamt und eigenen Berech­nung des Internationalen Pakts für Frauen im MINT Beruf, so waren 2017 unter allen 878.163 neu eingeschriebenen Studierenden 351.367 Personen dabei, welche den zwei bedeutenden MINT-Fächergruppen (Naturwissenschaft/Mathematik und Ingenieurswis­senschaften) zuzuordnen sind (komm-mach-mint, 2018.). Darunter fand man mit 115.134 weiblichen Studentinnen einen Gesamtanteil von ca. 33%. In den MINT- Unterdisziplinen sind unterschiedliche Geschlechterverteilungen zu finden. Gerade die naturwissenschaftlichen Fächer scheinen dabei für Frauen interessant zu sein (2015, Frauenanteil 47,1 %) , wohingegen Informatik (25 %) oder Ingenieurwissenschaften (24,8 %) eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint.

2.2.3. Geschlechterstereotype und MINT

Diese deutlichen Unterschiede von Männern und Frauen im MINT Berufsbe­reich stehen mit dem Konzept der sozialen Rollen (Eagly, 1987) im Einklang. Men­schen nehmen Männer und Frauen gemäß ihren sozialen Rollen wahr. Demnach veror- ten wir Männer nicht nur viel mehr z.B. in den handwerklich-technischen oder wissen­schaftlichen Bereich, sondern Männer versuchen gleichzeitig auch die Erwartungen, welche an diese Rolle geknüpft sind, zu erfüllen. Äquivalent werden Frauen ihren be­ruflichen Rollen gerecht, wenn sie im Einklang mit den geschlechterstereotypen Vor­stellungen den Weg in einen Pflegeberuf, ein Studium zur Sozialpädagogin oder die Ausbildung als Erzieherin wählen. Daher orientieren sich Menschen vor allem bei der Berufswahl an geschlechterstereotypen Berufen (Quaiser-Pohl, 2012). Die Entwicklung der Geschlechtsidentifikation und der Geschlechterrolle beginnt schon früh, und selbst im Kleinkinderalter werden wir mit geschlechterstereotypen Erwartungen konfrontiert. Jungs schenkt man lieber ein Auto oder man spielt Ball; Mädchen werden mit Puppen beschenkt und es werden soziale Rollenspiele bevorzugt. Bereits in der Kindergarten­zeit entwickeln Jungs und Mädchen konkrete Geschlechterrollen (Messner, 2000). Und auch die weitere Entwicklung bis zur beruflichen Orientierung ist mit einer Vielzahl von Geschlechterstereotypen verbunden, die einen Einfluss auf die Entscheidung der Berufswahl nehmen. Einen entscheidenden Einfluss auf die Berufsorientierung haben schulische Leistungen, da sie jungen Leuten eine Tendenz vermitteln, in welchem Be­reich sie gut sind. Doch vor allem die klassischen MINT Fächer sind Geschlechterstere­otypen ausgesetzt. Ein bekanntes Beispiel dafür, wie eine Erwartungshaltung anderer Einfluss auf die Leistung nimmt, zeigt der Pygmalion-Effekt bzw. Rosenthal-Effekt (Rosenthal & Jacobson, 1968). Dabei wurde in einer Studie von Rosenthal und Jacob­sen Lehrern suggeriert, dass manche Schüler im kommenden Jahr ein Leistungswachs­tum erwarten würden. Ausschließlich durch die Beeinflussung der Lehrererwartung wurde die beschriebene Leistungssteigerung bei den betreffenden Kindern initiiert. Mit­unter verantwortlich für diesen Prozess scheint die Erwartung der Schüler an sich selbst zu sein. Weinstein et al (1987) zeigen, dass durch eine inhärente Reziprozität von Er­wartungshaltungen Schüler mit zunehmendem Alter die Erwartung des Lehrers bewuss­ter wahrnehmen, diese an ihre eigene Erwartung anpassen und damit das Verhalten in Richtung jener Erwartung gesteuert wird. Weiterhin wurde in Studien nachgewiesen, dass Lehrkräfte aufgrund ihrer geänderten Erwartung ein spezifisches Förderverhalten gegenüber den Schülern zeigten (Meyer, 1992).

Dieses Phänomen setzt sich vor allen in den Fächern Mathematik oder Physik noch immer stark durch (Trouilloud, Sarrazin, Martinek, & Guillet, 2002; Ludwig et al., 2006). Der Geschlechterstereotyp „Jungs sind besser in Mathe“ wirkt somit positiv auf junge Männer, da sowohl die Erwartungen der Lehrer eine Leistungssteigerung hervor­rufen, als auch die Jungs selbst den Rollenerwartungen gerecht werden wollen. Gleich­zeitig kann auch von einem entgegengesetzten Effekt ausgegangen werden, der als „Go­lem-Effekt“ bezeichnet wird. Geringe Leistungserwartungen, wie sie von Lehrkräften gegenüber Mädchen in MINT Fächern vorliegen, können negative Auswirkungen von Lern- und Leistungsentwicklung der Schülerinnen zur Folge haben (Schmirl, Pufke, Schirner, & Stoeger, 2012). Laut Schmirl et al. (2012) ist es aufgrund von geschlechter­stereotypen Einstellungen und Erwartungen wenig verwunderlich, dass Mädchen ihre Fähigkeiten in MINT niedriger einschätzen, sie ungünstigere Einstellungen gegenüber diesen Fächern aufweisen und ein geringeres Interesse daran zeigen als Jungen. Nicht nur die Erwartungen tragen zur MINT Situation bei, sondern auch unterschiedliche Eig­nungseinschätzungen, wobei Mädchen beispielsweise von Lehrkräften als weniger be­gabt für den MINT Bereich eingeschätzt werden (Rohe & Quaiser-Pohl, 2010) und ihnen eine geringere Leistungsfähigkeit in MINT nachgesagt wird (Hinnant, O’Brien, & Ghazarian, 2009), selbst dann, wenn die Lehrer selbst lediglich geringe oder sogar keine Erfahrungen aufweisen (Rustemeyer, 1999).

Geschlechterstereotypische Erwartungen implementieren weiter, dass Mädchen ein geringeres Interesse am MINT Bereich besitzen. Studien belegen hier diesen Ge­schlechterunterschied (Miller, Blessing, & Schwartz, 2006). Nagy et al. (2006) belegten in ihren Untersuchungen, dass sich Mädchen sowohl weniger auf den Mathematikunter­richt freuen und ihnen auch der Aufbau eines tieferen mathematischen Verständnisses weniger wichtig erscheint. Selbst wenn Leistungsunterschiede zwischen den Geschlech­tern nicht nachgewiesen werden konnten, so zeigen sich dennoch jene Motivations- und Interessensunterschiede (Hannover, 1991; Albert Ziegler & Stoeger, 2010).

Ein weiterer in der Forschung oft belegter Effekt ist der „stereotype threat“ (Ste­reotype Bedrohung), welcher durch eine hemmende Leistungswirkung durch stereotype Erwartung charakterisiert ist (Steele, 1997). So befürchtet jemand, der einem negativen Stereotyp ausgesetzt ist, diesen Stereotyp auch konform zu erfüllen. Die Bedrohung, dass man den negativen Stereotyp erfüllen könnte, führt dazu, dass stereotypkonformes Verhalten gezeigt wird (Steele, 1997). Mitunter kann bereits die bloße Darbietung eines einzelnen Faktes wie z.B. „Mädchen/Frauen schneiden für gewöhnlich bei der Bearbeitung dieses Mathetests schlechter ab“ den stereotype threat auslösen und die leistungshemmende Wirkung implementieren (Spencer, Steele, & Quinn, 1999). So kann man attestieren, dass sowohl stereotype Erwartungen, Einstellungen oder Interessen zu einem multikausalen Wirkmechanismus beitragen, der letzten Endes dazu führt, dass sich Männer und Frauen stereotypkonform bei der Berufs-/Studienwahl verhalten. So konnten beispielsweise Benbow et al.

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Ende der Leseprobe aus 71 Seiten

Details

Titel
Gibt es Geschlechtersteretotpye in MINT? Ein systematisches Review der empirischen Forschungsliteratur
Hochschule
FernUniversität Hagen  (Psychologie)
Note
1.7
Autor
Jahr
2019
Seiten
71
Katalognummer
V499037
ISBN (eBook)
9783346023346
ISBN (Buch)
9783346023353
Sprache
Deutsch
Schlagworte
MINT, Geschlechterstereotype, Geschlechterdifferenzierung, Mathematik, Stereotype, Gender, Diversity
Arbeit zitieren
Benjamin Osterburg (Autor:in), 2019, Gibt es Geschlechtersteretotpye in MINT? Ein systematisches Review der empirischen Forschungsliteratur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/499037

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