Wenn Besuchskontakte zur Pflege-Kindeswohlgefährdung werden...


Mémoire (de fin d'études), 2005

101 Pages, Note: gut


Extrait


Inhaltsverzeichnis

I Theorie
1. Einführung
1.1 Konstruktivismus
1.2 Anliegen meiner Arbeit
2. Grundlagen
2.1 Bindungstheorie
2.1.1 Grundannahmen der Bindungstheorie
2.1.2 Bindungsstile
2.1.3 Bezug zum Pflegekinderwesen
2.2 Rechtliche Grundlagen
2.2.1 Elterliche Sorge
2.2.2 Verbleibensanordnung
2.3 Kindeswohlgefährdung
2.3.1 Der Paragraph 1666 BGB
2.3.2 Konsequenzen aus §1666 BGB
3. Was bedeutet Vollzeitpflege?
3.1 Vom Bewerbergespräch bis hin zur Vermittlung eines Kindes
3.1.1 Kontaktaufnahme
3.1.2 Bewerbergespräche
3.1.3 Vermittlung
3.2 Zur Dimension des Pflegeverhältnisses
3.2.1 Situation des Kindes
3.2.2 Situation der Herkunftsfamilie
3.2.3 Situation der Pflegefamilie
4. Besuchskontakte
4.1 Rechtliche Gegebenheiten zum Umgang
4.1.1 Wesentliche Paragraphen
4.1.2 Kurzer Kommentar zu den Paragraphen
4.2 Umgangsformen
4.2.1 Häufigkeit
4.2.2 Ort des Besuchskontaktes
4.3 Umgangsausschluss
4.3.1 Traumatisierte Pflegekinder
4.3.2 Indikatoren für einen Umgangsausschluss
4.4 Der Begleitete Umgang

II Praxis
1. Die Arbeit im Pflegekinderwesen
1.1 Arbeit mit dem Kind
1.2 Arbeit mit der Herkunftsfamilie
1.3 Arbeit mit der Pflegefamilie
2. Fallbeispiel I Familie Maier
2.1 Vorgeschichte
2.2 Fallverlauf
3. Fallbeispiel II Familie Wenz
3.1 Vorgeschichte
3.2 Situation in der Pflegefamilie
3.3 Interview

III Reflexion

IV Zusammenfassung für den eiligen S.93 Leser

Literaturverzeichnis

I. Theorie

Zu Beginn meiner Arbeit möchte ich vorweg nehmen, dass es mir teilweise nicht möglich war, den praktischen Teil komplett aus meinem theoretischen Teil auszuklammern.

Viele Rahmenbedingungen und Gegebenheiten konnte ich nicht nur allein aus der Literatur deutlich machen, meine Erfahrungen aus der Praxis habe ich oft eingebunden, um verschiedene Dinge besser verständlich zu gestalten.

1. Einführung

1.1 Konstruktivismus

Wichtig ist es für mich, zunächst darauf hinzuweisen, dass ich in meiner kompletten Arbeit immer die Erkenntnisse des Konstruktivismus im Hinterkopf habe und mich darauf beziehe.

Die Grundannahme des Konstruktivismus ist:

„Jeder konstruiert seine eigene Wirklichkeit.“

[Gehört bei Schreiner 2002]

Der Konstruktivismus wird unterteilt in die Ontologie und die Epistemologie.

Die Ontologie beschäftigt sich mit der Frage nach dem Sein der Dinge und unterteilt ihrerseits wieder in zwei Positionen.

a)Realismus: Welt existiert unabhängig vom Subjekt

b)Solipsismus: Welt existiert nur im Kopf des einzelnen Subjekts
Zu a) räumliche und zeitliche Strukturen sind an einen Beobachter gebunden
Zu b) Realität kann nicht festgestellt werden, da keine Möglichkeit besteht, die eigene Wahrnehmung mit solch einer Realität zu vergleichen

→ eine Beschreibung der Welt ohne Wahrnehmung scheitert; die Frage nach der Existenz einer Realität kann weder positiv noch negativ beantwortet werden

Epistemologie (besonders Radikaler Konstruktivismus):

Die Realität ist eine wahrnehmungsunabhängige Welt, über die keine Aussage getroffen werden kann.

Die Wirklichkeit ist ein subjektives Bild der Welt und ihrer Zusammenhänge, von einem Beobachter konstruiert.

Erkenntnis hat wesentlich mit dem erkennenden Individuum zu tun. Wissen wird vom denkenden Subjekt nicht passiv aufgenommen, sondern aktiv aufgebaut.

Speziell Lernen findet statt, um einen Einklang zwischen den Konstruktionen des Individuums und der es umgebenden Umwelt herzustellen. Konstrukte werden dann stabilisiert, wenn sie sich als passend erweisen.

Auf diese Erkenntnisse des Konstruktivismus baue ich in meiner Darstellung der Problematik bezüglich der Besuchskontakte auf.

1.2 Anliegen meiner Arbeit

Ich habe mich mit dem Thema Pflegeverhältnis und Besuchskontakte befasst, da dies für mich immer aktueller wird.

Es wird versucht, immer mehr Heimunterbringungen zu vermeiden, obwohl der Bedarf an Jugendhilfe im Allgemeinen immer größer ist. Allein schon aus Kostengründen verstärken die Städte das Personal der Pflegekinderdienste, um mehr Pflegefamilien installieren zu können, daher finden auch mehr Besuchskontakte im Pflegekinderwesen statt.

Dieses prekäre Thema hat mich in meinem Praxissemester im Pflegekinderdienst sehr beschäftigt, außerdem betreue ich schon seit etwa drei Jahren im Sinne der Einzelbetreuung ein Pflegekind (siehe Fallbeispiel II), bei dessen Pflegeverhältnis die Umgangssituation auch sehr problematisch ist.

Wichtig für mich ist, dass die Leser meiner Arbeit verstehen können, welche Problematik ein Umgangskontakt mit sich bringen kann und was zu tun ist, um Umgangskontakte möglichst erhalten zu können und dies zum Wohl des Kindes zu tun.

Anzumerken ist allerdings: Es gibt sehr viele Umgangskontakte, die beispielhaft ablaufen, in meiner Arbeit beschäftige ich mich aber eher mit dem problematischen Teil der Besuchskontakte.

Meine oberste Priorität bzw. der Leitfaden meiner Arbeit ist also:

Besuchskontakte so positiv wie möglich für das Kindeswohl gestalten!!!

Um eventuell auftretender Missverständnisse vorzubeugen, möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich bei Funktionsbegriffen der Einfachheit halber immer die männliche Form gewählt habe.

Trotzdem ist jedes Mal auch die weibliche Form mit gemeint.

2. Grundlagen

2.1 Bindungstheorie

Um die Dimension eines Pflegeverhältnisses und besonders die Situation des Kindes besser nachvollziehen zu können, ist es von immenser Bedeutung, sich Grundlagen zur Bindungstheorie anzueignen. Zunächst möchte ich auf die Bindungstheorie im Allgemeinen und danach auf die Besonderheiten der Bindung eines Kindes in Vollzeitpflege eingehen.

2.1.1 Grundannahmen der Bindungstheorie

Als Mitentwickler der Bindungstheorie gilt unter anderem John Bowlby, der Thesen über die Bedeutung der frühen Mutter-Kind-Beziehung aufstellte.

Die frühe Beziehung zu einem älteren Erwachsenen legt den Grundstein zur späteren Beziehungsfähigkeit. Freud kritisiert diese These, wie sich zeigt, unangemessen: Er behauptet, dass die Bindungsfähigkeit sekundäres Merkmal in der Entwicklung ist und die Bedürfnisbefriedigung des Triebes primäres Merkmal.

Ein Bestandteil einer gesunden Bindung ist die Objektkonstanz (mentale Repräsentation), das ist die Fähigkeit geistige Bilder von der realen Welt bilden zu können.

Beispiel: Das Kind kann sich seine Mutter vorstellen, auch wenn sie nicht da ist.

Ein weiteres Element zur Bindung, meiner Meinung nach das wichtigste, ist die Feinfühligkeit bzw. das Einfühlungsvermögen der Bezugsperson. Die Bezugsperson muss die Fähigkeit besitzen, zu verstehen, was das Kind braucht und muss dann auch verfügbar sein, um diese Bedürfnisse schnell genug zu befriedigen. Dieses Einfühlungsvermögen wird von Kind zu Kind unterschiedlich strapaziert.

2.1.2 Bindungsstile

Versuch ( Mary Ainsworth)aus den 60er Jahren:

Mutter und Kind kommen in einen Raum (vergleichbar: Wartezimmer beim Arzt). Die Mutter setzt sich, das Kind kann den Raum erkunden; die Mutter bleibt der Mittelpunkt, zu dem es sich bei Bedarf zurückziehen kann. Eine fremde Frau betritt den Raum, die Mutter verlässt ihn.

a) Ein sicher gebundenes Kind erkundet in Anwesenheit der Mutter neugierig den Raum. Wenn die fremde Frau kommt, ist das Kind nicht beunruhigt, allerdings wird es sehr unruhig, wenn die Mutter geht. Es lässt sich von der fremden Frau schwer beruhigen und läuft auf die Mutter zu, wenn diese wieder in den Raum kommt. Es ist nicht sehr gestresst (niedriger Cortisol-Spiegel). Bekommt das Kind also die benötigte Nähe, so kann es sich mit Hilfe der Bezugsperson emotional restabilisieren und auf dieser sicheren Basis zum Explorationsverhalten zurückfinden.
b) Ein unsicher vermeidend gebundenes Kind ist wenig unruhig, wenn die Mutter den Raum verlässt, es zeigt keine großen Gefühlsregungen auch wenn die Mutter wieder kommt. Es scheint unabhängig zu sein, ist allerdings sehr gestresst (hoher Cortisol-Spiegel).
c) Bei einem unsicher ambivalent gebundenen Kind weiß man nicht, ob es sauer/beleidigt oder froh ist, wenn die Mutter zurückkommt. Es ist ziemlich gestresst (hoher Cortisol-Spiegel).
d) Main sah in den 80er Jahren nach Ainsworth´s drei Bindungsstilen noch einen vierten Bindungsstil, die Bindungsdesorganisation. Das Kind zeigt ungeordnete oder unterbrochene Bewegungen nach dem Verlassen des Raumes der Mutter, später ist es verwirrt, zeigt auch Furcht vor der Bezugsperson. Diese Desorganisation ist oft Folge von traumatisierenden Bezugspersonen.

Sicher gebundene Kinder sind mit sechs Jahren sozial kompetenter, kommen besser mit Gleichaltrigen zurecht und fühlen sich Konfliktsituationen besser gewachsen. Auch haben sie das Gefühl, dass sie sich darauf verlassen können, dass ein Erwachsener ihnen bei potentiellen Problemen hilft. Hat sich dieses Vertrauen bewährt, haben sie später das Selbstvertrauen, sich helfen zu können und schwierige Situationen zu bewältigen. Sichere Personen räumen Bindungen und damit verbundenen Erfahrungen einen hohen Stellenwert ein, sie haben einen guten Zugang zu ihren Gefühlen und können damit auch negative Erfahrungen in eine positive Grundhaltung integrieren. In belastenden Situationen sind sie durch ihre Fähigkeit zur Wahrnehmung negativer Gefühle zu einer realistischen Einschätzung der Situation in der Lage und können so adäquate individuelle oder soziale Strategien zur Bewältigung der Situation ergreifen.

Unsicher vermeidend gebundene Kinder haben oft Abweisungen durch Gleichaltrige erfahren, haben immer noch das Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit und haben Angst abgewiesen zu werden. Unsicher vermeidende Personen sind sehr distanziert gegenüber Bindungsthemen und erinnern sich kaum an Ereignisse und Gefühle in ihrer Kindheit. Aus Angst vor Zurückweisung haben sie gelernt, negative Gefühle zu verdrängen. Folglich zeigt sich eine Inkohärenz: Sie sind nicht in der Lage, belastende Situationen zu bewältigen.

Unsicher ambivalent gebundene Erwachsene zeigen häufig Anzeichen von Verwirrung und Unstimmigkeit und äußern Ärger gegenüber früheren Beziehungen.

Hauptpunkt zur Entwicklung eines Bindungsstils ist, wie unter 2.1.1 schon kurz erwähnt, die psychische Verfügbarkeit der kindlichen Bezugsperson. Kommt ein Kind in eine fremde Situation, hat es Angst oder Kummer, so kommt es zur Aktivierung des Bindungsverhaltensystems, was dadurch ersichtlich wird, dass beim Kind Bindungsverhaltensweisen (wie Weinen, Schreien, Anklammern, Nachfolgen) beobachtbar sind, welche die Nähe zur Bezugsperson herstellen bzw. intensivieren sollen. Nun ist die Reaktion der Bezugsperson wesentlich. Je nachdem, wie die Person verfügbar ist, wie ihre Fähigkeit ist, zu verstehen, was das Kind braucht (Essen, neue Windeln,…) und je nachdem wie schnell die Bezugsperson fähig ist, die Bedürfnisse des Kindes zu befriedigen, entwickelt sich eine Bindung:

- sicher gebunden, wenn Bedürfnisse rasch erfüllt werden
- unsicher vermeidend, wenn Person nicht oft verfügbar ist oder Bedürfnis nicht erkennt
- unsicher ambivalent, wenn Mutter mal da ist, mal nicht
- desorganisiert bei Gewalt und Traumatisierung

Ein Kind kann verschiedene Bindungsstile aufzeigen, wie z.B. eine sichere Bindung zur Großmutter, eine unsichere Bindung der Mutter gegenüber.

Unterschiede in der Bindungsqualität besitzen langfristige Konsequenzen für das individuelle Verhalten insbesondere im sozial-emotionalen Bereich.

Die sichere Bindung kann als Schutzfaktor, die unsichere als Risikofaktor in der Entwicklungsgeschichte eines Kindes bezeichnet werden.

2.1.3 Bezug zum Pflegekinderwesen

Ich gehe bei meinen Überlegungen zur Bindungstheorie in Verbindung mit der Vollzeitpflege Pflegefamilie davon aus, dass ein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht wird, weil die Eltern aus den unterschiedlichsten Gründen nicht fähig sind oder es ihnen nicht möglich ist, sich adäquat um ihr Kind zu kümmern.

Auch wenn das Kind nicht bei seiner Herkunftsfamilie leben kann hat es Grundbedürfnisse, die befriedigt werden müssen.

Diese sind:

1. Liebe, Akzeptanz und Zuwendung
2. Die Möglichkeit, stabile Beziehungen aufzubauen
3. Ausreichende Ernährung und physische Versorgung
4. Gesundheit, Vorsorge und medizinische Hilfe
5. Schutz vor Gefahren, vor Ausbeutung und Gewalt
6. Erziehung und Bildung

[Pfad 2005, S.11]

Diese Bedürfnisse gilt es für die Bezugspersonen, wie schon in 2.1 genannt, zu befriedigen. Im Fall des Pflegekindes war dies für seine Eltern und womöglich auch andere Verwandte und Bezugspersonen aus den verschiedensten Gründen und in den unterschiedlichsten Ausprägungen nicht möglich. Somit war für das Kind der Aufbau einer sicheren Bindung schwer, wenn nicht häufig gar nicht möglich.

Zusätzlich kam vielleicht noch, wie nicht selten, Gewalt gegen das Kind oder in Beisein des Kindes ins Spiel, sowie Drogen- oder Alkoholmissbrauch und ähnliche Risikofaktoren, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit der Eltern.

In seiner neuen Umgebung ist es zunächst ein Hauptanliegen des Kindes, dass seine Bedürfnisse befriedigt werden, wenn es auch für die Pflegeeltern schwer ist, diese zu erkennen, da diese vom Kind in den seltensten Fällen verbalisiert werden. Die Frage ist auch, inwieweit das Kind schon geschädigt ist, inwieweit es also überhaupt die Pflegefamilie und deren Bemühungen zulässt.

Der Familie soll durch das Fachpersonal klar gemacht werden, dass das Kind durch diese Bedingungen kein ausreichendes Selbstbewusstsein hat bzw. aufbauen konnte und weiterhin kein Weltvertrauen mehr besitzt, da dieses drastisch erschüttert wurde. Es war für das Kind also im Gesamten keine altersadäquate Entwicklung möglich.

Die Aufgabe der Pflegefamilie ist es, die Risikofaktoren so gering wie möglich zu halten und als Schutzfaktor zu dienen. Sie müssen dem Kind vor allem, wenn auch nur kurzfristig, Bindung anbieten, soweit es dem Kind überhaupt noch möglich ist, diese anzunehmen, was meiner Meinung nach nie ganz ausgeschlossen werden darf.

Trotzdem ist es aufgrund der ehemaligen erfolglosen Bindungsversuche und auch der anderen schon genannten Risikofaktoren oft der Fall, dass sich das Kind auffällig verhält, da es schon viele negative Erfahrungen miterlebt hat, die es ihm anfangs zumindest nicht möglich machen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Es kann mit Aggression, Einnässen und ähnlichem reagieren.

[Vgl. Pfad 2005, S.11 ff.]

„Beziehungsabbrüche im Kindesalter belasten Menschen lebenslang und führen dazu, dass diese im Jugend- und Erwachsenenalter oft irreversible erhebliche und soziale Probleme im Persönlichkeits- und Leistungsbereich entwickeln.“

[Wiemann 2002, S.2]

Natürlich spielt es auch da eine Rolle, wie klein das Kind noch ist, je jünger umso schwerwiegender die Schädigungen oder auch die fehlende Bereitschaft sich neu zu binden.

Trotz großer Konflikte, die in der Pflegefamilie auftauchen, ist es für manche Kinder nach einer gewissen Zeit und bei ausreichender Sorge der Pflegefamilie oft trotzdem möglich, Vertrauen aufzubauen und sich auf die neuen Bezugspersonen einzulassen. Oft sehen die Kinder diese neue Beziehung nicht als selbstverständlich und stellen sie immer wieder auf die Probe.

„Frühe Bindungserfahrungen werden auf die neuen Bezugspersonen übertragen. Kinder haben die Bindungserfahrungen innerlich repräsentiert und stellen die Grundmuster in den neuen Familien wieder her.“

[Wiemann 2002, S.3]

Diese Erfahrungen und Erkenntnisse der Bindungstheorie gilt es in die Überlegungen bezüglich Besuchskontakte zur Herkunftsfamilie auf jeden Fall mit einzubeziehen.

2.2 Rechtliche Grundlagen

Um mit der Dimension Pflegefamilie zurechtzukommen, ist es vonnöten, sich einige allgemeine rechtliche Grundlagen anzueignen. Besonders wichtig sind hierbei die Besuchskontakte und die sonstigen Rahmenbedingungen der Unterbringung in einer Pflegefamilie. Leider sind die genauen Rechte einer Pflegefamilie bislang noch nicht genau definiert. Auf das Umgangsrecht im eigentlichen Sinne gehe ich später ein.

2.2.1 Elterliche Sorge

Laut §1626 I BGB haben die Eltern „die Pflicht und das Recht für das minderjährige Kind zu sorgen“.

Lebt ein Kind in einer Pflegefamilie, so gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie es um seine elterliche Sorge steht:

a) die Eltern/ein Elternteil haben weiterhin das Recht der elterlichen Sorge inne, jedoch werden Teile der elterlichen Sorge zur Ausübung an die Pflegeperson/en übertragen

[Vgl. §1630 III BGB]

b) die elterliche Sorge wurde den Eltern/einem Elternteil entzogen, das Kind hat einen Amtsvormund, der es in rechtlichen Angelegenheiten vertritt; gleiches gilt auch wenn Elternteil/e verstorben sind

c) die elterliche Sorge eines/beider Elternteile ruht nach §1675 BGB, kann aber nach Wegfall des Grunds des Ruhens nach Entscheidung des Familiengerichts wieder aufleben (z.B. längerer Auslandsaufenthalt, Elternteil verschollen)

Bei Fällen, in denen zumindest ein Elternteil die elterliche Sorge noch innehat, ist es wichtig, dass dieser, abgesehen von Angelegenheiten des täglichen Lebens, ein Mitspracherecht hat. Dies gilt von der Entscheidung über die Vollzeitpflege überhaupt, über die Gestaltung eines möglichen Umgangsrechts bis hin zur Rückführung. Auch Entscheidungen, die von erheblicher Bedeutung sind, dürfen von den Pflegepersonen nicht ohne Zustimmung des Sorgeberechtigten getroffen werden. Diese sind unter anderem:

- Besuch einer weiterführenden Schule
- Namensgebung
- Taufe bzw. die Frage, welche Religion das Kind annimmt
- eine bevorstehende Operation, wenn diese nicht aus Gefahr im Verzug vollzogen werden muss
- und ähnliches

In manchen Fällen ist es auch möglich, dass die Entscheidung des Sorgeberechtigten vom Familiengericht ersetzt werden kann.

2.2.2 Verbleibensanordnung

§1632 BGB:

(1) …

(2) …

(3) …

(4) Lebt das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen, so kann das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde.“

Es gibt in diesem Fall verschiedene Voraussetzungen, die kumulativ ein Tätigwerden des Gerichts erforderlich machen, die das Anordnen dieser so genannten Verbleibensanordnung bedingen:

- Eltern verlangen das Kind von den Pflegepersonen zurück und missbrauchen im besonderen Fall ihr Recht der elterlichen Sorge, da durch die Wegnahme das Kindeswohl gefährdet werden würde
- das Kind würde durch eine Herausnahme aus der Pflegefamilie, in der es schon längere Zeit gelebt und somit bereits eine intensive Beziehung aufgebaut hat, geschädigt werden
- die Pflegepersonen ordnen an und begründen z.B. mit Hilfe des Kindes oder des Jugendamtes, dass es kindeswohldienlich ist, wenn das Kind in der Pflegefamilie verbleibt

Das Jugendamt bzw. der sachzuständige Mitarbeiter des Pflegekinderdienstes spielt in den meisten Fällen eine große Rolle bei der Entscheidung über die Verbleibensanordnung, denn es/er ist als Fachkraft am nächsten an der Pflegefamilie bzw. am Kind dran. Der Mitarbeiter betreut die Familie meistens schon eine gewisse Zeit lang und weiß somit am ehesten, welche Entscheidung dem Kindeswohl am dienlichsten ist. Das heißt der Stellungnahme oder auch der Anhörung des Jugendamtes vor Gericht ist besondere Bedeutung zu schenken.

Dabei müssen auch die Erkenntnisse der Bindungstheorie (siehe 2.1) eine große Rolle spielen. Nicht nur die Dauer ist wichtig, wie lange sich das Kind schon in der Familie befindet, sondern vor allem auch:

- Alter des Kindes
- Beziehung zu Bezugsperson/en in der Pflegefamilie
- Förderungsmöglichkeiten in Pflege- und Herkunftsfamilie
- Lebensmittelpunkt des Kindes inklusive Schule, Vereine, Bekanntschaften
- Grund der Inpflegenahme wie Missbrauch in der Herkunftsfamilie

Wie in vielen Entscheidungen bezüglich eines Pflegeverhältnisses spielen nicht die Wünsche der Pflege- oder Herkunftseltern die bedeutendste Rolle, sondern das Kindeswohl. Dieses muss das oberste Kriterium bei der Entscheidung sein.

[Vgl. Reinke 1989, S.18 ff.]

2.3 Kindeswohlgefährdung

Im Speziellen möchte ich nun auf rechtliche und andere Gegebenheiten der Kindeswohlgefährdung eingehen.

2.3.1 Der Paragraph 1666 BGB

§1666 Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

(1) Wird das körperlich, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen der Eltern oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet, so hat das Familiengericht, wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen.
(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.
(3) Das Gericht kann Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge ersetzen.
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkungen gegen einen Dritten treffen.“

[§1666 BGB]

Es gibt einige Voraussetzungen, die eine Gefährdung nach diesem Paragraphen bedingen.

Um eine Kindeswohlgefährdung nach §1666 BGB zu definieren, ist es wesentlich, das Alter des Kindes und der Grad seiner geistigen Entwicklung einzubeziehen.

Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt mit dieser Berücksichtigung vor, bei begründeter, gegenwärtiger Besorgnis der Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Kindeswohls; auch kurz zurückliegende oder nahe bevorstehende Gefährdungen genügen.

Gefährdet ist ein Kind vor allem dann:

- es wird ihm nicht möglich gemacht, sichere Bindungen einzugehen (siehe 2.1)
- keine Befriedigung der kindlichen Grundbedürfnisse
- keine ausreichende Nahrung, Kleidung und Unterkunft
- keine gesunde Entfaltung der Persönlichkeit durch mangelnde wertschätzende Erziehung

- Schädigung im körperlichen Bereich (am ehesten zu überprüfen, sowie im geistigen und seelischen Bereich
- schwere Verletzung der elterlichen Sorgepflicht
- eine grob unangemessene Ausnutzung der Elternrechte
- ungerechtfertigte Umgangsverbote
- Straftaten gegenüber dem Kind
- Anhalten des Kindes zu Straftaten
- Missachtung des §1632 II BGB:

„(2) Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

- mangelnde ärztliche Versorgung bzw. das Ablehnen lebensrettender Maßnahmen für das Kind (wie z.B. Ablehnung von Bluttransfusionen bei den Zeugen Jehovas)
- ungenügende Beaufsichtigung

[Vgl. Herbst 1989, S.17 ff.]

Bei der Entscheidung aufgrund des Tatbestandes des §1666 BGB, gerichtlich in das Recht der elterlichen Sorge einzugreifen, spielt es keine Rolle, ob die Eltern die Gefahr selbst herbeigeführt haben, ob sie das Kind dieser Gefahr ausgesetzt haben oder das Kind der Gefahr ausgesetzt wurde und die Eltern nicht willens oder nicht fähig waren, die Gefahr zum Wohl des Kindes abzuwenden.

2.3.2 Konsequenzen aus §1666 BGB

Einerseits ist die Voraussetzung auf Anspruch zur Hilfe zur Erziehung, dass eine dem Wohl des Minderjährigen entsprechende Erziehung nicht mehr gewährleistet ist.

Andrerseits muss man sagen, dass durch Hilfen zur Erziehung vermieden werden soll, dass eine Kindeswohlgefährdung überhaupt eintritt.

Ist allerdings bereits eine Kindeswohlgefährdung Tatbestand, muss auf die Hilfen zur Erziehung zurückgegriffen werden.

Welche Maßnahmen (§§28-35 SBG VIII) für eine Abwendung der Kindeswohlgefährdung in Frage kommen, ist sehr individuell.

Es ist auch möglich, dass verschiedene Maßnahmen miteinander kombiniert werden.

Oftmals ist es nicht der Fall, dass das Jugendamt ein Kind nach einer Gefährdung sofort in einer Pflegefamilie unterbringt, meist wird das Kind erst im Kinder- und Jugendheim (bzw. in der Notaufnahmegruppe des Kinder- und Jugendwohnheims) untergebracht, um zuerst zu klären, wie weiter verfahren wird.

Abgesehen davon, welche Maßnahme als geeignet erscheint, ist es die Pflicht des Mitarbeiters des Jugendamts sich bei Erforderlichkeit an das zuständige Gericht zu wenden:

„(3) Hält das Jugendamt zur Abwendung einer Gefährdung des Wohls des Kindes oder des Jugendlichen das Tätigwerden des Gerichts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen. …“

[§50 III SGB VIII]

Kann die Gefährdung ohne Eingriff in die Personensorge abgewendet werden, so bedarf es keiner Anrufung des Gerichts.

Sind die Eltern beispielsweise mit einer Fremdunterbringung des Kindes, die vom Jugendamt als einzig geeignete Maßnahme zur Abwendung der Gefährdung gesehen wird, nicht einverstanden, egal ob in einer Wohngruppe oder in einer Pflegefamilie, so kann das Familiengericht Teile der elterlichen Sorge oder sogar die gesamte elterliche Sorge entziehen mit der Begründung, dass die erforderlichen Maßnahmen zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung von den Eltern nicht getroffen werden wollen, d.h. sie sind nicht bereit die Gefahr abzustellen.

Oberste Priorität soll es trotzdem sein, eine einvernehmliche Lösung mit den Eltern zu finden.

3 Was bedeutet Vollzeitpflege?

In diesem Kapitel ist es mir wichtig, kurz die Rahmenbedingungen einer Vollzeitpflege Pflegefamilie deutlich zu machen (das heißt den Ablauf, wie ein Pflegeverhältnis „entsteht“) und die verschiedenen Personen, die dieses Verhältnis bestimmen, zu beleuchten. Dabei werde ich versuchen, mich neutral in die jeweilige Lage der betreffenden Personen hinein zu versetzen.

3.1 Vom Bewerbergespräch bis hin zur Vermittlung eines Kindes

Diesen Abschnitt beleuchte ich aus verschiedenen Perspektiven. Einerseits beziehe ich meine Informationen aus der Literatur, andererseits beschreibe ich Standards und Vorgehensweisen, wie ich sie in meinem Praxissemester beim Pflegekinderdienst kennen gelernt habe.

3.1.1 Kontaktaufnahme

Die Bewerberauswahl kostet viel Zeit und ist arbeitsintensiv, da dabei mit großer Sorgfalt vorgegangen werden muss.

Die Bewerber nehmen mit unterschiedlichen Informations-Voraussetzungen Kontakt mit dem Pflegekinderdienst auf. Viele haben sich schon lange über die Aufnahme eines Pflegekindes Gedanken gemacht. Mit diesen Bewerbern kann gleich ein Termin mit dem regional zuständigen Mitarbeiter im Pflegekinderdienst vereinbart werden. „Unbedarfte“ Bewerber bekommen zunächst die Broschüre des Landesjugendamtes „Pflegeeltern sein – eine Aufgabe für Sie?“ zugesandt, um genauer informiert zu sein und besser über ihre Motivation reflektieren zu können; nach Rückmeldung der Interessierten wird ebenfalls ein Termin ausgemacht.

[...]

Fin de l'extrait de 101 pages

Résumé des informations

Titre
Wenn Besuchskontakte zur Pflege-Kindeswohlgefährdung werden...
Université
University of Applied Sciences Ludwigshafen
Note
gut
Auteur
Année
2005
Pages
101
N° de catalogue
V49960
ISBN (ebook)
9783638462860
Taille d'un fichier
609 KB
Langue
allemand
Annotations
Die Arbeit wurde aus möglichst neutralem Standpunkt verfasst und beleuchtet sowohl aus der Perspektive der Pflegeeltern als auch aus der Perspektive des Pflegekindes und der Herkunftseltern.
Mots clés
Wenn, Besuchskontakte, Pflege-Kindeswohlgefährdung
Citation du texte
Melanie Bongers (Auteur), 2005, Wenn Besuchskontakte zur Pflege-Kindeswohlgefährdung werden..., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49960

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