Marktöffnung und Wettbewerb - Der ÖPNV im Wandel. Überlegungen zur Zukunft der kommunalen Aufgabenträger im ÖPNV


Dossier / Travail de Séminaire, 2005

14 Pages, Note: 1,7 (besser als gut)


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ausgangssituation
2.1. Aufgaben und Verpflichtungen der Aufgabenträger in der derzeitigen Rechtslage
2.2 Nahverkehrspläne

3. Das neue EU-Recht

4. Zukünftige Aufgaben und Verpflichtungen der Aufgabenträger
4.1. Erweiterte planerische Aufgaben
4.2 Abgrenzung der Verantwortlichkeiten
4.3 Bereitstellung der Infrastruktur

5. Finanzielle Konsequenzen des Wettbewerbs

6. Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Am 22. Juli 2005 hat die Europäische Kommission (KOM) den dritten Vorschlag (KOM[2005] 319 endgültig) für eine Marktöffnungsverordnung vorgelegt.[i] Dieser sieht die Änderung der geltenden Verordnung (EWG) 1191/69 neue Fassung (n.F.), die bislang den Wettbewerb im ÖPNV regelt, vor.

Auf Einzelheiten des Vorschlags der Kommission wird später noch einzugehen sein. Im Kern verfolgt sie jedoch damit wettbewerbspolitische Ziele. Die KOM ist der Auffassung, dass allein der „regulierte Wettbewerb“ zu mehr Qualität und somit zu einer höheren Auslastung der ÖPNV-Systeme und zu geringeren Kosten für die Allgemeinheit führe. Deshalb müsse europaweit ein einheitliches System geschaffen werden, indem eine zuständige Behörde auf der Grundlage eines offenen und transparenten Vergabeverfahren einem Betreiber ein ausschließliches Recht für einen festgelegten Zeitraum gewährt (vgl. KOM [2005] 319 endgültig, S. 8 und S. 14).

Im kommunalen ÖPNV bietet die von der EU angestrebte Einführung des kontrollierten Wettbewerbs einerseits sicher ein notwendiges und wirksames Mittel zur Kostenreduktion uns somit Basis für die Dauerhafte Sicherstellung der Finanzierbarkeit des ÖPNV bei gleichzeitiger Sicherstellung eines hohen Qualitätsstandards. Die Verordnung bedeutet aber auch neue Anforderungen an die Handlungsträger im ÖPNV-Bereich. Sie wird zu einer grundlegenden Änderung des in Deutschland geltenden rechtlichen, inhaltlichen und finanziellen Rahmens des Genehmigungsrechts beim ÖPNV und bei der Aufgabenträgerschaft führen. Fraglich ist zum einerseits wie weit diese Veränderungen reichen und ob das von der EU angestrebte Ziel – Qualitätssteigerung und Kostensenkung – aus Sicht der Aufgabenträger erreicht werden kann. Andererseits stellt sich die Frage inwieweit der derzeitige deutsche Rechtsrahmen mit dem EU-Vorschlag kompatibel ist.

Vor diesem Hintergrund zeigt die vorliegende Arbeit zunächst den Status quo und die Auswirkungen eines neuen EU-Rechtsrahmens auf das deutsche ÖPNV-Recht auf. Darauf aufbauend werden, im zweiten Teil der Arbeit, die neuen Aufgaben und zusätzlichen Verpflichtungen für die kommunalen Aufgabenträger und die (finanziellen) Konsequenzen daraus dargestellt, um im letzten Teil zu einer abschließenden Bewertung zu kommen.

2. Ausgangssituation

2.1 Aufgaben und Verpflichtungen der Aufgabenträger in der derzeitigen Rechtslage

Die gesetzlichen Aufgaben eines Aufgabenträgers im ÖPNV sind gegenwärtig im Regionalisierungsgesetz des Bundes, im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) und in den Nahverkehrs- bzw. Regionalisierungsgesetzen der Länder festgelegt.

Das Regionalisierungsgesetz des Bundes legt in § 1 fest: „Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge“. Die grundsätzlichen Ziele der Regionalisierung sind unter anderem die Verankerung der der planerischen und finanziellen Verantwortung für den ÖPNV vor Ort sowie die Zusammenfassung von Zuständigkeiten für den ÖPNV in „einer Hand“.

Die Nahverkehrsgesetze der Länder legen die Aufgabenträgerschaft und zuständigen Behörden für den kommunalen ÖPNV fest. Sie regeln im Grundsatz unter anderem Ziele der Entwicklung des ÖPNV sowie Fragen der Finanzierung.

Der Ordnungsrahmen für das Genehmigungsverfahren beim ÖPNV ist im Personenbeförderungsgesetz festgelegt.[ii] Das PBefG unterscheidet zwischen eigenwirtschaftlichen (§ 13) und gemeinwirtschaftlichen (§ 13 a) Verkehren. Für eigenwirtschaftliche Verkehre gilt, dass sie direkt durch die Genehmigungsbehörde vergeben bzw. genehmigt werden können. Das Genehmigungsverfahren für gemeinwirtschaftliche ÖPNV- Verkehre beinhaltet dagegen eine öffentliche Ausschreibung durch den Aufgabenträger als unbedingte Voraussetzung. Die Vergabe einer Verkehrsleistung gemäß § 13 a PBefG setzt voraus, dass derjenige Unternehmer ermittelt worden ist, der die ausgeschriebenen Verkehrsleistungen zu den geringsten Kosten für die Allgemeinheit erbringen kann. Der Gesetzgeber wollte hiermit für gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistungen, also solche, die sich nicht durch Beförderungserlöse und Erträge aus gesetzlichen Ausgleichs- und Erstattungsregelungen sowie durch sonstige Unternehmenserträge im handelsrechtlichen Sinne finanzieren lassen, gemäß der Verordnung 1191/69 n.F. Wettbewerb einführen. Insbesondere um die „Erträge im handelsrechtlichen Sinne“ ist eine heftige Debatte entbrannt, soweit dadurch – mit öffentlichen Mitteln – die „Eigenwirtschaftlichkeit von ÖPNV-Verkehren bei der Vergabe von Liniengenehmigungen hergestellt wird.[iii]

Letztlich ist Wettbewerb aber nach der geltenden nationalen Rechtslage bereits heute für so genannte „gemeinwirtschaftliche Verkehre“ vorgesehen und wird in einigen Bereichen des Omnibusverkehrs und des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) auch seit einiger Zeit praktiziert.

Aus den aufgeführten Gesetzen ergeben sich wesentliche Verpflichtungen und Funktionen für die Aufgabenträger. So übernehmen sie die Planung und Organisation des kommunalen ÖPNV, sie sind die zuständige Behörde für die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verkehre im Sinne der „Verordnung 1191“ und sie haben die Verpflichtung zur Aufstellung von Nahverkehrsplänen.

2.2 Nahverkehrspläne

Die Aufgabenträger legen mittels Nahverkehrsplänen die angemessene Bedienung der Bevölkerung mit Leistungen des ÖPNV und deren Finanzierung fest. Nahverkehrspläne sind nach jeweiligem Landesrecht ausgerichtet und treffen insbesondere Aussagen zur angestrebten Bedienungs- und Beförderungsqualität und zu den Kosten der Betriebs- und Infrastrukturleistung (vgl. DST 2002). „Ziel ist es, eine inhaltliche Definition der „angemessenen“ Verkehrsbedienung und Planungssicherheit für Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen zu erreichen“ (ebd.: S. 10).

Die Nahverkehrspläne gelten als Rahmenpläne und stellen eine Selbstbindung für die Aufgabenträger dar. Ihre Außenwirkung ist bis heute umstritten. Die Genehmigungsbehörde muss Nahverkehrspläne berücksichtigen. Die Verbindlichkeit für Verkehrsunternehmen ist eher gering: Da Ausschreibungen von Verkehrsleistungen im Moment eher noch die Ausnahme bilden und die überwiegend als eigenwirtschaftlichen Verkehre geltenden Verkehrsleistungen nicht vom Aufgabenträger vergeben werden liegt die Durchsetzung der Nahverkehrspläne derzeit überwiegend in der Hand der Genehmigungsbehörden, die die Linienverkehrsgenehmigungen unter Berücksichtigung der Nahverkehrspläne erteilen.

Es wird deutlich, dass sowohl die Genehmigungsbehörde als auch die Verkehrsunternehmen derzeit eine jeweils eigenständige dominante Rechtsposition haben (vgl. Abb. 1) Die Zuständigkeiten der Aufgabenträger sind heute im Vergleich dazu eher gering, da ihre Rechtsposition in den ÖPNV-Gesetzen der Länder und im PBefG relativ schwach formuliert ist und ihnen lediglich Mitwirkungs- und Anhörungsrechte zustehen. Lediglich bei gemeinwirtschaftlichen Verkehren sind sie Auftraggeber der Verkehrsunternehmen.

3. Das neue EU-Rechts

Der Vorschlag KOM(2005) 319 endgültig beinhaltet im wesentlichen folgendes:

Für den ÖPNV mit Bussen und Bahnen besteht eine grundsätzliche Ausschreibungspflicht, auch für bezuschusste Verkehre die bislang nicht dem allgemeinen Europäischen Vergaberecht unterliegen. Dies sind so genannte Inhouse –Vergaben, Verkehre aufgrund von Dienstleistungskonzessionen oder gemäß den vier EuGH-Kriterien (vgl. 2.1) bezuschusste Verkehre (Art. 5 Abs. 3 Satz 1). Demzufolge müssen auch für diese Verkehre die Inhalt- und Verfahrensvorschriften erfüllt werden.[iv]

Art. 4 regelt den obligatorischen Inhalt öffentlicher Dienstleistungsaufträge und allgemeine Vorschriften. So werden u.a. die „Festlegung der vom Betreiber zu erfüllenden gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen und der geografischen Geltungsbereiche (Abs. 1), die objektive und transparente Festlegung von Parametern, anhand deren Ausgleichsleistungen berechnet werden (Abs. 2 Satz 1), Festlegung der Modalitäten der Kostenaufteilung (Abs. 3) sowie die Festelegung der Modalitäten der Einnahmenaufteilung (Abs.4).“

Des weiteren müssen die zuständigen Behörden (Aufgabenträger) ein Jahr vor der konkreten Ausschreibung (oder Direktvergabe) bestimmte Informationen im EU-Amtsblatt veröffentlichen (Art. 7 Abs. 2). Und, einmal jährlich muss jede zuständige Behörde einen detaillierten Bericht vorlegen, der eine Kontrolle und Beurteilung der Leistung und der Qualität des öffentlichen Verkehrsnetzes „im Hinblick auf die bestmögliche Verwendung öffentlicher Mittel“ ermöglicht“ (Art. 7 Abs. 1).

[...]


[i] Damit sind sowohl der ursprüngliche Vorschlag vom 26. Juli 2000 als auch der zweite Vorschlag vom 21. Februar 2002 obsolet.

[ii] Das PBefG wurde zum 01.01.1996 reformiert und enthält seitdem erstmals die Begriffe „Aufgabenträger“ und „Nahverkehrsplan“. Der deutsche Gesetzgeber hat damit das geltende Recht an die Verordnung 1191/69 neue Fassung angepasst.

[iii] Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem viel beachteten „Altmark-Trans Urteil“ (C-280/00) bestätigt, dass der der Aufgabenträger unter Beachtung der aller folgenden vier Kriterien das Recht hat öffentliche Zuschüsse für den Betrieb von Liniendiensten zu gewähren, ohne damit gegen das Beihilfeverbot zu verstoßen:

- Das begünstigte Unternehmen muss tatsächlich mit der Erfüllung klar definierter gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut sein.
- Die Parameter zur Berechnung des finanziellen Ausgleichs sind zuvor objektiv und transparent aufzustellen.
- Der Ausgleich unter Berücksichtigung der erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns für das betraute Unternehmen darf keine Überkompensation darstellen.
- Wenn die Auswahl des Unternehmens nicht in Form des öffentlichen Ausschreibungsverfahrens erfolgt, so ist die Höhe des Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die bei einem durchschnittlich, gut geführten Unternehmen, das auch die Eignung zur Erfüllung der Aufgabe hat, entstehen würden.

Der EuGH äußerte darüber hinaus Zweifel hinsichtlich der rechtsklaren Unterscheidung von eigen- und gemeinwirtschaftlichen Verkehren im PBefG. (vgl. u.a. Wodke 2004: S.27 ff., Mietzsch 2004b: S. 57 ff., Recker 2004: S. 21 ff.)

[iv] Eine wenige Ausnahmen (Direktvergabe) sind möglich. Näheres regelt Art. 6 Abs. 1 Satz 2 und Anhang (Seite 32f.) KOM(2005) 319 endgültig

Literaturliste:

Deutscher Städtetag (DST) (2002), DST-Diskussionspapier zur zukünftigen Rolle der Städte als Aufgabenträger im ÖPNV, Köln/Berlin (nicht veröffentlicht)

Fiedler, Joachim (2003), Planung und Betrieb des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), In: Verkehrswesen in der kommunalen Praxis, Band I, Planung-Bau-Betrieb, Berlin, S. 95 – 218

Kommission der Europäischen Gemeinschaft (KOM [2005] 319 endgültig), Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und Rates über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße, Brüssel

Mietzsch, Oliver (2004a), ÖPNV-Infrastruktur im Zeichen von Marktöffnung und Wettbewerb, In: Infrastruktur Recht, Energie-Verkehr-Abfall-Wasser, Heft 3/ 2004, S. 53 – 55

Mietzsch, Oliver (2004b), Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus der Sicht der kommunalen Aufgabenträger im deutschen ÖPNV, In: Verkehr und Technik, Heft 2/ 2004 S. 57 – 64

Personenbeförderungsgesetz (PBefG); 21.3.1961; zuletzt geändert am 16.01.2001

Recker, Engelbert (2004), Die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes ist unumgänglich, In: Kommunal Praxis spezial, ÖPNV, Heft 3/ 2004, S. 21. – 23.

Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Rundschreiben Nr. 25/ 2005, (www.vdv.de/medienservice/stellungnahmen_entry.hmtl?nd_ref=2737)

Wodke, Michael (2004), Umweltqualität im ÖPNV als Chance für die Aufgabenträger, In: Kommunal Praxis spezial, ÖPNV, Heft 3/ 2004, S. 27. – 29

Fin de l'extrait de 14 pages

Résumé des informations

Titre
Marktöffnung und Wettbewerb - Der ÖPNV im Wandel. Überlegungen zur Zukunft der kommunalen Aufgabenträger im ÖPNV
Université
University of Potsdam  (Wirtschafts- uns Sozialwissenschaftliche Fakultät)
Cours
HS
Note
1,7 (besser als gut)
Auteur
Année
2005
Pages
14
N° de catalogue
V49979
ISBN (ebook)
9783638463003
Taille d'un fichier
504 KB
Langue
allemand
Mots clés
Marktöffnung, Wettbewerb, Wandel, Zukunft, Aufgabenträger
Citation du texte
Michael Wodke (Auteur), 2005, Marktöffnung und Wettbewerb - Der ÖPNV im Wandel. Überlegungen zur Zukunft der kommunalen Aufgabenträger im ÖPNV, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/49979

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