Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Liberalismus - eine heterogene Strömung
3. Das BGE als Instrument der „realen Freiheit für alle“
4. Gerechtigkeitstheoretische Analyse des BGE
4.1. Der Freiheitsbegriff im Kontext der Aneignungstheorie
4.2. Freiheit und Umverteilung
4.3. Die gerechte Umverteilung nach dem Maxi-Min Prinzip
4.4. Das Neutralitätsprinzip: Die Crazy-Lazy Challange
4.5. Ressourcenegalitarismus – Lösung des Neutralitätsprinzips
4.6. Arbeitsplatzrenditen als umzuverteilende unverdiente Ressourcen
4.7. Das Problem der Reziprozität
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis.
1. Einleitung
Die politische Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) lässt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen und tritt seitdem wellenartig immer wieder in Erscheinung. Angesichts der zunehmenden Produktivität fortgeschrittener Volkswirtschaften, der zunehmend ungleichen Einkommensverteilung, der mit der Automatisierung einhergehenden Abnahme klassischer Erwerbsarbeit und Zunahme „atypischer“ Beschäftigungsverhältnisse im Laufe des 20. Jahrhunderts, wird das BGE zunehmend als sozialpolitische Alternative bemüht. Neben einigen Pilotprojekten wie beispielsweise in Kanada und Finnland, wurde 2016 in der Schweiz das erste Referendum weltweit über die Einführung eines BGE abgehalten. Die Idee des BGE erlebt aber nicht nur im gesellschaftlichen und politischen Diskurs neuen Aufschwung, auch in der akademischen Debatte erlangt das Thema immer mehr Aufmerksamkeit. Seit 2006 widmet sich daher ein ganzes Journal, das „Basic Income Studies“, ausschließlich dem Thema Grundeinkommen. Die Idee jedem Menschen eine permanente Transferzahlung ohne Bedürftigkeitsprüfung oder Anknüpfung an Arbeitsbereitschaft zukommen zu lassen, wird dabei in vielerlei Hinsicht kritisiert. Neben ökonomischen Bedenken hinsichtlich der Finanzierbarkeit, der Auswirkung auf die öffentlichen Haushalte, sowie des Arbeitsmarktes werden vor allem aus gerechtigkeitstheoretischer Sicht Einwände gegen ein BGE erhoben. Konkret und mit den Worten des norwegisch-US-amerikanischen Philosophen Jon Elster verletze ein BGE „ […] a widely accepted notion of justice: it is unfair for able-bodied people to live off the labor of others” (John Elster 1986, 719). Hinter diesem Einwand stehen zwei zutiefst liberale Konzeptionen von Gerechtigkeit. Vordergründig steht die Forderung nach Reziprozität, der Idee, dass Gerechtigkeit bzw. Fairness auf gegenseitigem Austausch beruhen muss. Eng damit verbunden steht der Gedanke der Selbstbestimmtheit und Freiheit gegenüber staatlichen Eingriffen in die Gesellschaft. Innerhalb der politischen Philosophie sind es deswegen vor allem Vertreter des Liberalismus, die der Idee eines BGE entgegenstehen. Sowohl Robert Nozick, prominentester Vertreter des Markt-Libertarismus, als auch John Rawls, Vertreter des egalitären Liberalismus, lehnen das BGE aus gerechtigkeitstheoretischer Perspektive ab[1]. Umso verwunderlicher ist es, dass der prominenteste Vertreter des BGE, der belgische Philosoph Phillipe Van Parijs, seine Argumentation für ein BGE aus einer Position heraus entwickelt, die er persönlich als Real-Libertarismus („ real-libertarian “) bezeichnet und dabei im Wesentlichen auf Elemente der Theorien von Nozick und Rawls zurückgreift.
Wie ist demnach ein BGE im Kontext liberaler Gerechtigkeitskonzeptionen zu beurteilen?
Neben dem Widerstreit innerhalb des Liberalismus sprechen außerdem noch weitere Gründe dafür das BGE im Kontext liberaler Theorien zu analysieren. So ist der Liberalismus eine Hauptströmung der Moderne, elementarer Bestandteil westlicher Demokratien und beansprucht in Form des Wirtschaftsliberalismus immer noch die Meinungsführerschaft über die Wirtschaftsordnung. Eine Debatte über ein BGE kann daher nicht ohne weiteres liberale Theorien übergehen. Der Liberalismus vereint viele teils stark konträre Positionen in sich. Vollständigkeit kann in dieser Arbeit daher nicht angestrebt werden. Um dennoch eine einseitige Betrachtung des BGE aus der Position von Phillipe Van Parijs zu vermeiden, wird die Position kritisch mit der Anspruchstheorie von Robert Nozick sowie der egalitär-liberalen Gerechtigkeitstheorie von John Rawls verglichen. Nach einer kurzen Darstellung der Grundzüge des Liberalismus wird Van Parijs Idee des BGE als Instrument „der realen Freiheit für alle“ skizziert um im Anschluss über die Theorien von Robert Nozick und John Rawls eine kritische Analyse durchzuführen.
2. Der Liberalismus - eine heterogene Strömung
Der Liberalismus ist eine heterogene Strömung innerhalb der politischen Philosophie, dessen Grundideen die Selbstbestimmtheit des Individuums und unveräußerliche Freiheitsrechte gegenüber dem Staat sind. Historisch wie aktuell nehmen im Liberalismus Eigentumsrechte und die freie Entfaltung des Marktes eine zentrale Rolle ein. „Für den Liberalismus ist dabei die Annahme wesentlich, dass die Bürger gleich sind und dennoch verschiedene, inkommensurable und miteinander unverträgliche Konzeptionen des Guten haben“ (Rawls 2003, 420). Gemeinsam ist allen liberalen Theorien das Neutralitätsgebot, demzufolge der Staat keine Konzeption des Guten bevorzugen darf. Des Weiteren nimmt Reziprozität als Bedingung für einen fairen und gerechten Austausch zwischen freien und gleichen Personen einen hohen Stellenwert ein. Liberale Theorien unterscheiden sich dabei im Wesentlichen in der Herleitung und dem Ausmaß der Freiheitsrechte sowie in der Auslegung des Handlungsbereiches des Staates. Ein BGE muss demnach aus liberaler Sicht den Freiheitsrechten, dem Neutralitätsgebot und der Reziprozität gerecht werden.
3. Das BGE als Instrument der „realen Freiheit für alle“
Phillipe Van Parijs Rechtfertigung eines BGE ist eingebettet in eine egalitär-liberale Gerechtigkeitskonzeption die auf die Maximierung der „ realen Freiheit für alle “ abzielt. Liberal ist die Konzeption zum einen, indem sie beansprucht dem Neutralitätsgebot gerecht zu werden, also nicht zwischen verschiedenen inkommensurablen Auffassungen des Guten diskriminiert. Zum anderen räumt sie der Maximierung der individuellen Freiheit des Einzelnen den Vorrang gegenüber der Maximierung des Nutzens der Gesellschaft ein. Egalitär ist die Konzeption in der Verteilung von unverdienten Ressourcen. Ungleichheiten sind demnach nicht ausgeschlossen, unterliegen aber Beschränkungen und sind nur zulässig insofern sie erstens aus Gewinnen resultieren, die den Wert der unverdienten Ressourcen übersteigen und zweitens das Maxi-Min Kriterium erfüllen. Ein BGE dient dabei als Instrument der Umverteilung zur Erzielung der „ realen Freiheit für alle “, die darin besteht, den Wert formal zugestandener Freiheiten durch die Schaffung von substantiellen Handlungsmöglichkeiten für jeden zu maximieren. Unter einem BGE versteht Van Parijs eine periodische, individuelle, universelle und bedingungslose Zahlung an die Mitglieder der Gesellschaft. Finanziert werden solle das BGE in Form einer Einkommenssteuer, die in der Höhe möglichst so zu wählen ist, dass sie den Wert der unverdienten Ressourcen des Einkommens entspricht.
4. Gerechtigkeitstheoretische Analyse des BGE
Van Parijs vereint in seiner Argumentation für ein BGE wie eingangs erwähnt verschiedene liberale Gerechtigkeitskonzeptionen. Im Folgenden wird nun die vollständige Argumentation in ihrer Genese anhand der Theorie von Nozick und Rawls kritisch analysiert.
4.1. Der Freiheitsbegriff im Kontext der Aneignungstheorie
Ausgangspunkt der Argumentation für die „ reale Freiheit für alle“ ist der Freiheitbegriff. Freiheit bedeutet für Van Parijs zunächst in Einklang mit Voltaire[2], das zu tun was man möchte. Van Parijs folgt dabei einer negativen Freiheitskonzeption, die Freiheit als bloße Abwesenheit von Zwang begreift. Für Van Parijs sind jedoch über die formale Definition der Freiheit hinaus, Mittel notwendig um die individuellen Ziele zu verwirklichen. Da nicht alle Menschen über ausreichende Mittel verfügen muss nach Van Parijs in letzter Konsequenz umverteilt werden.
Jedwede Umverteilung würde aber aus streng libertärer Perspektive - wie sie Robert Nozick einnimmt - in die Freiheitsrechte der Menschen eingreifen. Ähnlich wie Van Parijs gründet Nozick seine Gerechtigkeitstheorie auf einen negativen Freiheitsbegriff, den er im Rückgriff auf John Lockes‘ Aneignungstheorie und dessen Ausführungen zum überpositiven Recht im Naturzustand entwickelt. Der Lockesche Naturzustand ist ein vor-gesellschaftlicher Zustand, in dem alle Menschen frei, unabhängig und (formal) gleich sind (Locke §4). Aus diesem Grund würden alle Menschen ein (negatives Recht) Abwehrrecht, das sogenannte Naturrecht besitzen (vorfinden/entdecken), welches jeden Menschen dazu verpflichtet, niemandes Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum zu verletzten (schädigen) (Locke §6). Zu deren Durchsetzbarkeit hätte jeder Mensch (im Falle eines Rechtsbruches) das Recht auf Bestrafung „im Verhältnis zu der Übertragung, also dem Maße, wie es der Wiedergutmachung und Verhinderung dient“ (Locke §8)[3]. Die Nichtverletzung dieser Rechte sei dabei aber nicht mit einem moralischen Ziel, welches es zu maximieren gilt, zu verwechseln. Nozick ebenso wie Van Parijs lehnen den utilitaristischen Grundgedanken ab, die Maximierung der Nichtverletzung der Freiheitsrechte als Endziel den dabei in Kauf genommenen Verletzungen der Rechte einiger überzuordnen (Nozick 1976, 39ff.). Zur Begründung verweist Nozick auf den kantischen Grundsatz, die Menschen nie allein als Mittel zu gebrauchen (Nozick 1976, 42). Da dies für Nozick aber nicht möglich ist, formuliert er den kategorischen Imperativ wie folgt um: „Handle so, daß die Menschen möglichst wenig bloß als Mittel gebraucht werden“. Diese Nebenbedingung drücke so die Unverletzlichkeit der Menschen aus, die es verbiete sie jemals für ein Ziel zu opfern. (Nozick 1976, 43). Bis zu diesem Punkt ähneln sich die beiden Freiheitsbegriffe von Van Parijs und Nozick insofern, als sie den Menschen unveräußerliche Freiheitsrechte zusprechen. Nozick dehnt die Freiheitsrechte in einem weiteren Schritt mit Lockes Aneignungstheorie aber auch auf das Eigentum aus. Nach dieser entsteht Eigentum durch Vermischung der eigenen Arbeit mit einem herrenlosen Gegenstand im Einklang mit dem sogenannten Lockeschen Proviso, der Bedingung, die besagt, dass für andere genug und gleich Gutes im Nichteigentum verbleibt. (Locke §27). Nach Nozicks‘ Interpretation verlangt das Proviso, dass eine Aneignung von Eigentum lediglich die Lage der anderen nicht verschlechtern darf (Nozick 1976, 164)[4]. Eine Schlechterstellung würde lediglich dann vorliegen, wenn ein Gegenstand nicht mehr nutzbar wäre. Unzulässig ist eine (Erst-)Aneignung demnach nur dann, wenn diese den Gesamtbestand eines Gegenstandes betrifft. Die Aneignung des Gesamtbestandes eines Gegenstandes wäre ebenfalls unzulässig, wenn diese durch eine Übertragung von Eigentum zustande gekommen wäre (Nozick 1976, 168).
Eine Übertragung, ein Tauschakt oder ein Vertrag sei dabei nur dann zulässig, wenn Freiwilligkeit vorläge. Freiwilligkeit bemesse sich wiederum an den Rechten der anderen. Die bloße Einschränkung von Möglichkeiten würde demnach noch keine Aussage über die Freiwilligkeit einer Handlung zulassen: „Ob […] meine Handlungen nicht mehr freiwillig sind, hängt davon ab, ob die anderen zu ihren Handlungen berechtigt waren (Nozick 1976, 240). Übertragen auf den (Arbeits-)Markt würde die Entscheidung eine bestimmte Arbeit anzunehmen um nicht zu sterben freiwillig sein, vorausgesetzt alle anderen Markteilnehmer haben im Rahmen ihrer Rechte gehandelt (Nozick 1976, 240)[5]. Zusammenfassend besagt Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit nach Nozick demnach: „eine Verteilung sei gerecht, wenn jeder auf die Besitztümer Anspruch hat, die ihm bei der Verteilung zugehören“ (Nozick 1976, 144). Entscheidend ist dabei also, ob eine Verteilung in ihrer Rekursion, also in ihrer Gesamtfolge historischer Aneignung und Übertragung gerecht war. Neben dem Grundsatz der gerechten Aneignung und dem Grundsatz der gerechten Übertragung regelt ein dritter Grundsatz die Berichtigung ungerechter Besitzverhältnisse. Dieser Grundsatz besagt, dass jene Verteilung hergestellt werden muss, die eingetreten wäre, wenn die Ungerechtigkeit nicht geschehen wäre (Nozick 1976, 145-146). Nach dieser Auffassung ist jede staatliche Umverteilung ein Eingriff in die Freiheitsrechte und damit unzulässig.
[...]
[1] Der Widerstreit zwischen Nozick und Rawls gilt als „[e]ine der bemerkenswertesten theoretischen Leistungen im Umfeld der neueren politischen Philosophie“ und gleichzeitig als Manifestation des modernen Richtungsstreites innerhalb des Liberalismus (Koller 1981, 139).
[2] Voltaire (1766): “When I can do what I want, there is my freedom”
[3] “This is the basis for the great law of nature, Whoever sheds man’s blood, by man shall his blood be shed.” (Locke 11)
[4] Demnach würde ein „Vorgang, der gewöhnlich zu einem dauernden, erblichen Eigentumsrecht an einem bisher herrenlosen Gegenstand führt, […] dies nicht [tun], wenn dadurch die Lage anderer verschlechtern würde, die den Gegenstand nicht mehr frei nutzen können. Eine sonst unzulässige Aneignung kann zulässig sein, wenn die anderen so entschädigt werden, daß sie nicht schlechter daran sind“. (Nozick 1976, 167).
[5] Die Aneignung herrenloser Gegenstände und die Übertragung von Besitztümern sind zusammen genommen die einzig gerechte Verteilung nach Nozick und bilden die Anspruchstheorie der Gerechtigkeit: 1. Wer ein Besitztum im Einklang mit dem Grundsatz der gerechten Aneignung er-wirbt, hat Anspruch auf dieses Besitztum. 2. Wer ein Besitztum im Einklang mit dem Grundsatz der gerechten Übertragung von jemandem erwirbt, der Anspruch auf das Besitztum hat, der hat Anspruch auf das Besitztum. 3. Ansprüche auf Besitztümer entstehen lediglich durch (wiederholte) Anwendung der Regeln 1 und 2. (Nozick 1976, 144).