Das Attentat auf Papst Leo III. im "Liber Pontificalis"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2019

37 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2. Ad fontes: Das Attentat auf den Papst

3. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

2.1 Ausgangspunkt

„[…] et absque misericordia scindendo expoliantes eum crudeliter oculos evellere et ipsum penitus caecare con ati sunt. Man lingua eius paecisa, et, ut ipsi tunc arbitrati sunt, caecum et mutum in media platea dimiserunt […]“1

Das einleitende Zitat stammt aus der Vita Leonis III. des Liber Pontificalis und beschreibt das Attentat auf Papst Leo III. Hier werden die Verstümmelungen sprachlich so dargestellt, dass der Eindruck entsteht, der Pontifex sei auf grausame Weise misshandelt worden. Papst Leo III. hatte das höchste Amt ab 795 bis zu seinem Tod im Jahre 816 inne. Er ist als derjenige Papst in die Geschichte eingegangen, der Karl dem Großen am Weihnachtstag 800 die Kaiserkrone aufsetzte.2

Was hat der im „quasi-offiziösen“3 Papstbuch Liber Pontificalis beschriebene Attentat auf den Papst mit der Kaiserkrönung zu tun, und was andere Quellen darüber berichten, soll im Folgenden detailliert dargestellt und erklärt werden.

Doch zuerst muss eine für diese Arbeit relevante Frage nach der Definition des Begriffs Attentat geklärt werden. Der etymologische Ursprung des Wortes ist lateinisch und bedeutet „versuchtes (Verbrechen)“4. Jedoch benutzen wir es in unserem Sprachgebrauch „nicht nur [für] ein geplantes oder versuchtes Verbrechen, sondern auch [für] einen ausgeführten Anschlag oder Mord. Hinter einem Attentat steht entweder eine einzelne Person, eine Gruppe oder eine Organisation […].”5 Für die kommen Ausführungen im Verlauf der Arbeit ist diese Definition insofern wichtig, da es mit den Begriffen Versuch/Plan, Attentat/Anschlag gearbeitet wird.

Es werden unterschiedliche Arten von Quellen verwendet: Annalen, Briefe, Chroniken u.a., daher sind auch die verschiedenen Entstehungsorte und -zeiten, Verfasser und mögliche Rezipienten, Intention und Motivation zu beachten. „ Bei der Benutzung einer Überlieferung als Quelle darf man niemals vergessen, dass sie ursprünglich (wahrscheinlich) ganz andere Absichten als die erfragten verfolgte, […]. Die Überlieferung selbst wiederum ist nicht die Vergangenheit, sondern gibt Zeugnis von ihr.“6

2.2 Thema und Vorgehensweise

„Blendung und Verstümmelungen vor der Confessio gehörten zu üblichen Absetzungsriten. Man hatte dem Papst in S. Silvestro den Prozess gemacht.“7

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Attentat auf Papst Leo III. am 25. April 799 während einer Bittprozession auf dem Weg vom Lateran nach S. Laurentius.

Dabei wurde der Pontifex angegriffen und zu Boden gerissen, seine Gegner versuchten, ihn zu blenden und ihm seine Zunge zu entfernen, doch das Vorhaben führte nicht zum gewünschten Ergebnis. Dem Papst wurde von seinen Fürsprechern geholfen, ins Frankenreich zu Karl dem Großen zu gelangen.8 So in etwa könnte eine Version der Ereignisse lauten, und die Betonung liegt auf „könnte“ und „eine“ Version (von vielen).

Damit kommt sogleich die erste Überlegung auf: was ist damals wirklich passiert?

Doch in dieser Arbeit geht es nicht explizit um die Suche nach dem annähernd richtigen Ablauf des Attentats oder um die historische Wahrheit. Warum darauf keine eindeutige Antwort gegeben werden kann, wird sich im Verlauf der Untersuchung aufklären. Vielmehr geht es inhaltlich um die Frage, was Leos Gegner mit dem Anschlag erreichen wollten. Verfolgten sie die Absicht eines Putsches und wollten ihn absetzen? Aus den Ergebnissen der Quellenanalyse wird versucht, eine Antwort darauf zu geben.

Doch in dieser Arbeit geht es nicht explizit um die Suche nach dem annähernd richtigen Ablauf des Attentats oder um die historische Wahrheit. Warum darauf keine eindeutige Antwort gegeben werden kann, wird sich im Verlauf der Untersuchung aufklären. Vielmehr geht es inhaltlich um die Frage, was Leos Gegner mit dem Anschlag erreichen wollten. Verfolgten sie die Absicht eines Putsches und wollten ihn absetzen? Aus den Ergebnissen der Quellenanalyse wird versucht, eine Antwort darauf zu geben.

Den Hauptschwerpunkt bilden daher die Darstellungen des Attentats in den Quellen und die möglichen Gründe dafür. Zudem wird gezeigt, welche Problematik sich daraus für die Forschung sowie die allgemeine Sicht auf die Ereignisse ergibt.

Da das Augenmerk auf den Quellendarstellungen des Attentats liegt, wird nur oberflächlich auf die Wahl Leos III. zum Papst, seine Person, Akzeptanzprobleme und die Protagonisten des Anschlags eingegangen. Anderenfalls wäre die bloße Quellenanalyse des Anschlags aus dem Kontext gerissen. Die eigens erstellte Tabelle nach Classen zu den Jahren 795-801 soll das Gesamtbild der Ereignisse vervollständigen.

Zuerst werden einige der vorhandenen Quellen vorgestellt. Die zentrale Quelle ist das Papstbuch Liber Pontificalis, auf die sich im Folgenden der Vergleich mit anderem Quellenmaterial bezieht. Der Liber Pontificalis und die darin enthaltene Vita Leonis III. werden zu Beginn näher beschrieben: u.a. Entstehung, Aufbau, Verfasser, Angaben zu Vita Leonis. Als Beispiel für kontrastierende fränkische Quellen werden die Annales regni Francorum sowie die Alcvini epistolae vorgestellt.

Im Hauptteil wird anhand der eben genannten und einer Auswahl anderer Quellen gezeigt, wie das Attentat auf Papst Leo III. darin beschrieben wird. Man muss dazu anmerken, dass es viel mehr als die ausgesuchten Quellen zu diesem Ereignis gibt.

Die in der Arbeit enthaltene Zusammenstellung der Quellen verfolgt die Intention, einen Querschnitt dieser darzustellen.

Dadurch soll: a) gezeigt werden, welche Quellen (und Quellengattungen) uns überhaupt zur Verfügung stehen und welche Informationen sie enthalten, und b) welche Problematik sich je nach Untersuchungsschwerpunkt daraus ergibt.

Methodisch ist dieses Kapitel so konzipiert, dass die Quelle mit Datum genannt wird, der Inhalt des Eintrags zum Attentat wiedergegeben und anschließend kurz eine Schlussfolgerung/ Beurteilung darüber gegeben wird. Einige der Quellen werden lediglich als unterstützende Beispiele zitiert. Den Anfang und die längere Beschreibung beansprucht für sich der Liber Pontificalis als Hauptquelle der Hausarbeit.

Als Nächstes wird in einem Kapitel zum Wunder der Heilung Leos III. durch Gott Stellung genommen. Es wird gezeigt, in welchen Quellen darüber berichtet wird und welche Gründe und Absichten sich dahinter verbergen könnten.

Zusätzlich geht diese Arbeit auf den Reinigungseid des Papstes in der Peterskirche kurz vor der Kaiserkrönung ein. Auch hier werden das Papstbuch sowie die fränkischen Reichsannalen und zusätzlich die Lorscher Annalen konsultiert.

Die anschließende Auswertung der Quellenaussagen des Hauptteils wird im gleichnamigen Kapitel vorgenommen. Das soll gleichzeitig als Fazit des Quellen-Kapitels dienen.

Im Fazit zur kompletten Arbeit werden dann alle Ergebnisse zusammengefügt, um ein Gesamturteil zu bilden. Was wurde herausgefunden? Wurden Erwartungen und anfängliche Annahmen erfüllt/ bestätigt? Zusätzlich gibt es eine abschließende Überlegung zum Wert der Quellen und „Nachrichtenverbreitung“ in Bezug auf die damalige und heutige Zeit.

Wichtig zu erwähnen ist, dass entscheidende Momente der Ereignisgeschichte und Zusammenhänge hier nicht ausgearbeitet werden können. Die formalen Vorgaben der Hausarbeit würden dadurch deutlich überschritten werden. Die Person Karls des Großen, seine Krönung am Weihnachtstag 800, die Beziehungen Roms zum Frankenreich und Byzanz sind nicht Gegenstand dieser Arbeit.

Außer den in den nachfolgenden Kapiteln vorgestellten Quellen wird auf die Forschungsliteratur zurückgegriffen, die in die Auseinandersetzung mit dem Quellenmaterial eingearbeitet wird. Für diese Arbeit wurden die Arbeiten von Rudolf Schieffer, Peter Classen, Klaus Herbers, Matthias Becher, Lutz von Padberg, Johannes Fried u.a. konsultiert. Als sehr informativ enorm hilfreich erwiesen sich die „Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Karl dem Großen“ (Bd.2) von Abel/ Simson.

2.3 Quellen und Forschung

Die vorliegenden Quellen gehören verschiedenen Gattungen an: es sind u.a. Viten, Chroniken, Annalen, aber auch literarische Quellen. Was eine Quelle genau ist, hat bspw. schon 1835 Heinrich August Erhard in der Zeitschrift für Archivkunde, Diplomatik und Geschichte definiert. Er sagt: „Quellen sind Resultate menschlicher Betätigungen, welche zur Erkenntnis und zum Nachweis geschichtlicher Tatsachen entweder ursprünglich bestimmt oder doch vermöge ihrer Existenz, Entstehung und sonstiger Verhältnisse vorzugsweise geeignet sind.“9

In unserem Fall sind es alles Vertreter der schriftlichen Quellen. Damit gehören sie in die Gruppe der Tradition, zu der außer schriftlichen auch bildliche und mündliche Quellen gehören. In einem der „klassischen“ Werke, dem Lehrbuch der historischen Methode, gibt Ernst Bernheim die Definition der Traditionsquellen. Diese „[verfolgen] direkt die Absicht, die Erinnerung der Begebenheiten zu erhalten […].“10

Will man sich mit der Quellenlage zum Thema des Attentats auf Papst Leo III. beschäftigen, sollte man vor allem auf die Perspektive achten. Es gibt nämlich nicht nur eine Sicht auf die Geschehnisse von 799, was die Suche nach der einen, „richtigen“ Version erschwerlich macht. Dies ist jedoch keineswegs als Nachteil zu betrachten. Aus der Fülle unterschiedlicher Quellen kann man versuchen, ein genaueres Bild der Ereignisse zusammenfügen. So haben wir hier die fränkische und die römische Perspektive, die sich teilweise komplett unterscheiden. Auch anderes Quellenmaterial liegt uns vor, was eine zusätzliche Perspektive auf das Thema offenbart.

Zu den Ereignissen am Tag der Bittprozession11, die am 25. April 799 stattfand, gibt es eine große Menge an Quellenmaterial. Von Sigrud Abel und Bernhard Simson gesammelt und in den Jahrbüchern des fränkischen Reiches zur Regierungszeit Karls des Großen 1883 veröffentlicht, finden sich im Bd.2 an die „50 mittelalterliche Berichte (…) von ganz unterschiedlicher Entstehungszeit und Qualität, auch in vielfacher textlicher Überschneidung, aber (…) doch in einer für ein Ereignis der karolingischen Geschichte sehr beträchtlichen Anzahl.“12 Zum Vergleich seien diesem Band13 nur einige davon als Beispiel entnommen.

Rudolf Schieffer, Peter Classen und Johannes Fried bspw. weisen darauf hin, dass das Attentat auf Papst Leo III. wahrscheinlich nur einem engen Kreis der Historiker bekannt wäre, hätte von dieser Begebenheit nicht die Kette der Ereignisse ausgelöst worden, die schließlich zu Karls Krönung zum Kaiser geführt hat.14

Im Folgenden wird eine Auswahl an Quellen zum Attentat getroffen, um ein Gesamtüberblick über die Berichte kreieren sollen. Da der Liber Pontificalis die Hauptquelle für diese Arbeit ist, wird auf diese ausführlich eingegangen. Als Kontrast dazu werden Annales regni Francorum sowie die Briefe Alkuins näher vorgestellt, um die fränkische Sicht zu zeigen.

Auf andere Quellen wird nicht explizit eingegangen, ihr Inhalt das Attentat betreffend wird als Ergänzung zur Gesamtdarstellung wiedergegeben. Dabei handelt es sich jedoch meist um kürzere Einträge in Annalen und Chroniken wie bspw. Annales Sancti Amandi , Annales Petaviani , Annales Mettenses priores , Chronicon Moissiacense und Chronicon Laurissense breve .

Die Annales werden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Älteren sind die Annales Petaviani, die Annales Sancti Amandi und die Annales Mosellani (die hier nicht vorgestellt werden).

Zu den jüngeren Annalen zählen die fränkischen Reichsannalen und die sogenannten Einhardsannalen, die später überarbeitet wurden.15 Sie alle gehen auf das Kloster Gorze zurück, wo die ältere Version dieser herstammt und die nicht überliefert wurde. Bei der Auswertung der Quellenaussagen ist das also zu beachten: „Die Schreiber der älteren Annalen sind näher an den Ereignissen; die jüngere Gruppe schreibt dagegen aus größerem Abstand, ist ausführlicher, deutet aber oft die Ereignisse aus späterer Erkenntnis.“16

In Abgrenzung dazu werden Quellen außerhalb des Frankenreiches und Roms gezeigt: Theophanes Chronik aus Byzanz und die Annales Northumbrani vetusti .

Außerdem fungieren die betreffenden Abschnitte aus dem Karlsepos sowie dem Briefgedicht Theodulfs von Orléans als Vertreter der literarischen Gattung.

1.3.1 Liber Pontificalis

Die Hauptquelle, mit der im Verlauf der Arbeit andere Quellen verglichen werden, ist der Liber Pontificalis , das Papstbuch halboffiziösen Charakters.17 Die Vita, die für uns relevant ist, ist die Vita Leonis III.

Der Liber Pontificalis, die in chronologischer Reihenfolge angeordnete Sammlung der Papstbiografien, enthält solche allgemeinen Daten wie „Namen, Nationalität, Vater, Sedenzzeit, Datierung, Weihen, Grab, Vakanz“18.

Der Begriff „Vita“ im eigentlichen Sinne ist nicht wirklich zutreffend, da es „vor allem um die Amtshandlungen der römischen Bischöfe [geht],“19 daher wurden frühe andere Bezeichnungen wie „Gesta“ verwendet.20

Das Papstbuch stellt eine Kompilation der Viten dar, die zu unterschiedlichen Zeiten von unterschiedlichen Autoren aufgeschrieben wurden. Man kann zudem vermerken, dass diese Zusammenstellungen nicht überall gleich sind, denn es existieren verschiedene Handschriften, die von einander abweichend sind.21 So fällt die Kölner Handschrift bspw. der Entstehungszeit nach in das Pontifikat Leos III. „Wahrscheinlich wurde dieses Exemplar für Erzbischof Hildebald von Köln (784-819) angefertigt, der seinerseits auch Leiter der Hofkapelle und damit auch zuständig für die Beziehungen zwischen dem fränkischen König und dem römischen Papst war.“22

Ja nach Autorenschaft, je nachdem, welche Informationen als „wichtiger“ angesehen wurden, setzen sich die einzelnen Viten zusammen. Jede Vita sollte folglich auch einzeln betrachtet und ausgewertet werden.23

Interessant ist der Streit der Historiker um den Abfassungsort der Viten24 (Kanzlei oder Vestiarium) im Zusammenhang mit Leo III. Die Listen mit päpstlichen Schenkungen werden eher dem Vestarium zugeordnet, die Aufzeichnungen „zu Person, Rechtsetzungen oder […] ´politische´ Informationen hingegen in die Nähe von Archiv und Kanzlei.“25

Zu Leos Ausbildung und Tätigkeiten steht im Liber Pontificalis u.a. das Folgende: „Et dum taliter in ipso vestiario praecipue degens splenderet, et ab eius solertissima cura ipse vestiarius degeretur, ab omnibus amantissime diligebatur.“26 Es könnte also durchaus sein, dass er in irgendeiner Weise am Verfassen der Vita Hadrians mitgearbeitet hat.27

Was beim ersten Betrachten der Vita Leonis sofort ins Auge fällt, ist, dass es dort außer den üblichen biografischen Angaben am Anfang lange Listen mit Stiftungen und Baumaßnahmen gibt. Ein Einzelfall ist es nicht, doch erst seit Leos Vorgänger Hadrian I. wird diese Vorgehensweise in vielen nachfolgenden Viten verwendet.28

Das Wichtigste scheint im Verlauf des Pontifikats wohl „die Fürsorge des Papstes um Ausstattung der römischen Kirchen“29 zu sein, die Auflistungen werden nur durch die Ereignisse des Attentats am 25. April 799 auf Leo sowie der Kaiserkrönung Karls unterbrochen. Dieser „Einschub“ lässt vermuten, dass er später in die Vita eingefügt wurde.30

Peter Classen geht davon aus, dass dieser Bericht „streng zeitgenössisch ist; denn nur bei gleichzeitiger Abfassung konnte er den annalistisch, aber ohne jede Jahresangabe geordneten Schenkungslisten an passender Stelle eingefügt werden.“31

Dieser besondere Aufbau der Vita Leonis lässt in der Forschung die Annahme zu, dass der Bericht aus der Zeit kurz nach dem Anschlag entstanden ist.32 Zur Behauptung Classens muss man allerdings sagen, dass diese unter Historikern nicht einheitlich unterstützt wird.33 Herman Geertman geht bspw. davon aus, der Bericht wurde ausgehend von den Stiftungs- und Bautätigkeiten Leos angelegt.34 Die wiederum wurden nach Indikationen verzeichnet, und da der Anschlag in der siebten Indikation in den Jahren 798/799 stattfand, wurde dieser zwischen der sechsten (797/798) und der siebten Indikation eingeschoben.35 Matthias Becher äußert zur Entstehungszeit der Vita Leonis, dass „die gesamte Vita nach Leos Tod 816 einer Schlussredaktion unterzogen wurde, so dass unser Textzeuge vermutlich keine zeitgenössische Sicht bietet.“36

Über die weiteren historischen Ereignisse nach der Kaiserkrönung berichtet der Liber Pontificalis nicht, man sieht wieder die Stiftungseinträge und dann 816 wird nur der Tod Leos III. mit genauem Datum dokumentiert. „Qui beatissimus pontifex, posquam sedem Romanam et apostolicam annis XX, mensibus V et diebus XVI gloriosissime rexit, ex hac luce subtractus ad aeternam migravit requiem.“37

Für den Aufbau von Leos Vita wurde die Vita Hadrians als Vorbild genommen, doch es wird noch mehr Wert auf Donationen und Bautätigkeiten gelegt.38 Im Mittelpunkt steht nun die betont demonstrative Wohltätigkeit, „die Stiftungseinträge verdrängen die historischen Einträge, verwandeln die Papstbiographien in Leistungsnachweise auf der Grundlage ihrer Bau- und Ausstattungstätigkeit.“39

1.3.2 Fränkische Quellen

An erster Stelle sind die fränkischen Reichsannalen, Annales regni Francorum , zu nennen. Diese sind zum Erschließen der gesamten Pontifikatsjahre Leos III. nach dem Attentat und Kaiserkrönung wichtig. Über die Reise Leos ins Frankenreich 804/805 sowie den Grund dafür, den theologischen Streit um das „filioque“40, den erneuten Aufstand der Adligen von Rom 815 und die Beziehungen zu anderen Ländern berichtet die Vita Leonis nicht. Darüber erfährt man aus den Annales regni Francorum.41

Was die zeitliche Abfassung der Ereignisse vom 25.April 799 angeht, so kommen die Reichsannalen denen am nächsten.42 Im Vergleich zu der detaillierten und umfangreichen Darstellung des Attentats im Liber Pontificalis ist die Notiz darüber in den fränkischen Reichsannalen knapp bemessen, inhaltlich stimmen sie jedoch überein. Zu erwähnen ist ein Unterschied, der den späteren Verlauf betrifft: Herzog Winigis von Spoleto und Abt Wirund von Stablo, die Gesandten des Königs, empfingen den Papst nach seiner Befreiung in St. Peter, nicht umgekehrt.43

Die Briefe Alkuins sind erst einmal unter einen ganz anderen Aspekt zu betrachten: es sind mehrere Briefe, aus denen man die Ereignisse um das Attentat erschließen kann, kein einzelnes Buch. Hierbei interessieren uns vor allem die epistolae Nr.173, 174, 177, 178, 179, 181 und 184. Diese sind an Karl den Großen, Arn von Salzburg und Adalhard von Corbie adressiert.

Das Ausschlaggebende ist die zeitliche Anordnung und die Reihenfolge.44 Die allgemein akzeptierte Chronologie ist die von Ernst Dümmler, die er wiederum von Philipp Jaffé (1891) übernommen hat.45 Becher sieht dies kritisch und plädiert dafür, die Chronologie nochmal zu betrachten, aktuellere Forschungen zu beachten und notwendige Änderungen vorzunehmen.46 Bisweilen liegen uns also Briefe vor, die Abläufe des Jahres 799 in etwa so nachzeichnen47:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2. Ad fontes: Das Attentat auf den Papst

Bevor man sich mit den Quellen zum Anschlag auf Leo III. beschäftigt, sollte die Frage geklärt werden, wer dieser Papst war und wie ist er zur Macht gekommen ist. Wer waren die Oppositionellen, und wie konnte es geschehen, dass sie sich entschlossen, einen Putschversuch gegen den Pontifex zu unternehmen? Die folgende Zusammenfassung sowie die Tabelle mit komprimierter Darstellung der Abläufe nach dem Attentat sollen eine Übersicht darüber geben.

2.1 Leo III.

Zu seinem Amt kommt Leo III. am 26. Dezember 795, direkt nachdem sein Vorgänger Hadrian I. am Vortag verstorben ist. Aus dem Wahldekret geht hervor, dass der neue Pontifex einstimmig gewählt wurde.48 Was das Wahldekret angeht, so ist der Text im Liber Diurnus enthalten.49

Die Herkunft Leos entnehmen wir dem Anfang seiner Vita im Papstbuch Liber Pontificalis: „Leo, natione Romanus, ex patre Atzuppio, sedit ann. XX m. V dies XVI.“50 Die nachfolgenden Sätze geben knapp Auskunft über Leos Abstammung und Herkunft. Dass er einer süditalisch-griechischen Familie entstammte, wird bislang immer noch nicht als sicher angesehen.51 Mit dem griechischen Ursprung des Namens beschäftigten sich u.a. Hans-Georg Beck, Werner Ohnsorge und Franz Dölger. Auch aus sprachwissenschaftlicher Sicht wurde der Name untersucht, doch ohne eindeutige Zuordnung treffen zu können.52 Zur Herkunft des Papstes stellt Classen fest: „Für Leo III. müssen wir uns mit der Feststellung begnügen, dass sein Vater einen Namen vermutlich östlicher Herkunft trug und gewiss nicht zu den aristokratischen Kreisen Roms zählte.“53 Ist das womöglich schon der Ursprung oder zumindest einer der Gründe für Leos spätere Akzeptanzprobleme innerhalb des römischen Adels? Der neu gewählte Papst war von Anfang an ein Außenseiter, der sich seinen Aufstieg innerhalb der Kirche selbst erarbeitet hat.54 Er war Vestarar und Presbyter.

Der Liber Pontificalis enthält die folgende Charakterisierung Leos: „Erat enim vir castus. loquela fecundus et animo constans.“55 Es wird außerdem von seiner Gutherzigkeit, Sorge um Arme und Kranke und allgemeine Wohltätigkeit berichtet.56 Auffällig ist die Aussage zur Wahl des Pontifex, demnach ihn nicht nur die dafür zuständigen Kleriker, sondern auch das römische Volk gewählt haben soll.57 Wir entnehmen der Vita: „Quapropter, divina inspiratione, una concordia eademque voluntate, a cunctis sacerdotibus seu proceribus et omni clero, necnon et optimatibus vel cuncto populo Romano, Die nutu, in natale beati primi martyris Stephani electus est, […]“58 Außerdem ist es wohl nicht üblich gewesen, einen neuen Papst schon so kurz nach dem Ableben des Vorgängers zu wählen und zu weihen.59 Über die möglichen Gründe berichtet das Papstbuch nicht.

[...]


1 Vita Leonis tertii im Liber Pontificalis, Bd. 2, hrsg. von Louis Duchesne, Paris ²1955, S.4. Im Folgenden angegeben als Liber Pontificalis mit Angabe der Seitenzahl. Alle Quellen und Quellenzitate, sowohl deutsche als auch lateinische, in Kursivschrift zur besseren Hervorhebung.

2 Vgl. Mordek, Hubert: Artikel „Leo III.” In: Lex MA 5, München/ Zürich 1991, Sp. 1877.

3 Zimmermann, Harald: Artikel „Liber pontificalis“. In: Lex Ma 5, München/Zürich 1991, Sp. 1946.

4 https://www.duden.de/rechtschreibung/Attentat (abgerufen am 14. 07.2019)

5 https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politik-lexikon/160832/attentat (abgerufen am 15.07.2019)

6 Goetz, Hans-Werner: Proseminar Geschichte: Mittelalter. 4. Auflage. Stuttgart 2014, S. 93.

7 Herbers, Klaus: Pilger, Päpste, Heilige. Tübingen 2011, S. 301.

8 Vgl. ebd., S. 295.

9 Erhard, Heinrich August: Kritische Übersicht der Diplomatik und Entwurf eines Systems der Geschichtskunde. In: Zeitschrift für Archivkunde, Diplomatik und Geschichte. Bd.2, Hamburg 1835, S. 385 ff.

10 Bernheim, Ernst: Lehrbuch der Historischen Methode und der Geschichtsphilosophie, Bd.1, Leipzig 1908, S. 257.

11 Anm.: An diesem Tag fand das Fest der Robigalien statt, ursprünglich zu Ehren des Robigo, der das Getreide und Bäumfrüchte von Mehltau und Brand schützen sollte. Die Tradition wurde ins Christliche umgewandelt. Vgl. Dazu Haller, Dieter: Das Papstum. Idee und Wirklichkeit. Darmstadt 1962, S. 16f.

12 Schieffer, Rudolf: Das Attentat auf Papst Leo III. Godman, Peter/ Jarnut, Jörg et al. (Hrsg.): Am Vorabend der Kaiserkrönung: das Epos „Karolus Magnus et Leo papa“ und der Papstbesuch in Paderborn 799. Berlin 2002, S. 76.

13 Vgl. die Zusammenstellung zur Misshandlung des Papstes bei Abel, Sigrud/ Simson, Bernhard: Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Karl dem Großen, Bd. 2 Berlin 1883, S. 583-587.

14 Vgl. Schieffer (2002), S. 76; Classen, Peter: Karl der Große, das Papsttum und Byzanz. Die Begründung des karolingischen Kaisertums. Nach dem Handexemplar des Verfassers, hrsg. von Horst Fuhrmann und Claudia Märtl (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 9). Sigmaringen 1985. , S. 46; Fried, Johannes: Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024. Berlin 1994 (=Propyläen Geschichte Deutschlands 1), S. 324 ff.

15 Vgl. Hengst, Karl: Karl der Große und Papst Leo III. 799 in Paderborn. Dichtung und Wahrheit. In: Meyer zu Schlochtern, Josef/ Harrtup, Dieter (Hrsg.): Geistliche und weltliche Macht. Das Paderborner Treffen 799 und das Ringen um den Sinn von Geschichte (Paderborner thechnologische Studien, Bd. 27). Paderborn 2000, S. 24.

16 Ebd.

17 Zimmermann, Harald: Artikel “Liber Pontifikalis”, Lex. MA 4, München/Zürich 1989, Sp.1947.

18 Ebd.

19 Herbers, Klaus: Zu frühmittelalterlichen Personenbeschreibungen in Liber Pontificalis und in römischen hagiographischen Texten. In: Johannes Laudage (Hrsg.), Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung. Köln 2003, S. 171.

20 Vgl. ebd.

21 Vgl. Bauer, Franz Alto: Das Bild der Stadt Rom im Frühmittelalter. Papststiftungen im Spiegel des »Liber Pontificalis« von Gregor dem Dritten bis zu Leo dem Dritten. Wiesbaden 2004, S.31.

22 Ebd.

23 Vgl. ebd., S.32.

24 Vgl. ebd. S.172.

25 Ebd., S. 173.

26 Liber Pontificalis, 2, S. 1.

27 Vgl. Bauer (2004), S.47.

28 Vgl. ebd., S. 32.

29 Herbers, Klaus: Der Pontifikat Papst Leos III. (795-816). In: 799-Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, Bd. 1. Hrsg. von Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff. Mainz 1999, S. 13.

30 Vgl. Becher (2002), S. 91.

31 Classen (1985), S. 43. Vgl. dazu auch Schieffer (2002),S. 78.

32 Vgl. Schieffer (2002) ,S. 78. Dazu Geertman, Herman: More veterum. Il Liber Pontificalis e gli edifici ecclesiastici di Roma nella tarda antichitá e nell`alto medioevo. Groningen 1975 (=Archaeologica Traiectina 10), S. 37-40.

33 Ebd.

34 Vgl. Geertman (1975), S. 37ff.

35 Vgl. Becher (2002), S. 92.

36 Ebd.

37 Liber Pontificalis, S. 34.

38 Vgl. Bauer (2004), S. 47.

39 Ebd. S. 48.

40 Zum „ filioque “ z.B. bei Classen (1985), S. 98f.

41 Vgl. Bauer (2004), S. 47, Herbers (2011), S. 269.

42 Vgl. Hoffmann, Hartmut: Untersuchungen zur karolingischen Annalistik (Bonner historische Forschungen 10),Bonn 1958, S. 38ff.

43 Vgl. Becher, Matthias: Die Reise Papst Leos III. zu Karl dem Großen. Überlegungen zu Chronologie, Verlauf und Inhalt der Paderborner Verhandlungen des Jahres 799. In: Godman, Peter/ Jarnut, Jörg et al. (Hrsg.): Am Vorabend der Kaiserkrönung: das Epos „Karolus Magnus et Leo papa“ und der Papstbesuch in Paderborn 799. Berlin 2002 , S. 93.

44 Vgl. bspw. Abel/Simson (1969), S. 179 unten Anm. 3. (dort sind die Nummerierungen nach Jaffé verwendet worden).

45 Vgl. Becher (2002), S. 90.

46 Vgl.ebd., S. 91. Bezug auf Heil, Wilhelm: Alkuinstudien I. Chronologie und Bedeutung des Adoptionismusstreites. Düsseldorf 1970, Sickel, Theodor: Rezension zur Edition von Jaffé. In: Historische Zeitschrift 32, 1874, S. 352-365.

47 Erstellt nach ebd. S. 90 und S. 111f.

48 Vgl. Classen (1985), S. 42.

49 Liber Diurnus, Cod. C Nr. 63 =A Nr. 58 =V Nr. 82, hrsg. von H. Förster, Bern 1958, S. 219ff., 331ff., 142ff.

50 Liber Pontificalis, S. 1.

51 Vgl. Classen (1985), S. 43f., Herbers, Klaus: Der Pontifikat Papst Leos III. (795-816). In: 799-Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn, Bd. 1. Hrsg. von Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff. Mainz 1999, S. 13.

52 Vgl. Beck, Hans-Georg: Die Herkunft des Papstes Leo III. In: Hans-Georg Beck (Hrsg.), Ideen und Realitäten in Byzanz. Gesammelte Aufsätze, Bd.13 (1972), S. 133.

53 Classen (1985), S. 43, Anm. 144.

54 Vgl. ebd. S. 44, Herbers (1999), S. 13, Bauer (2004), S. 46.

55 Liber Pontificalis, S.1.

56 Vgl. ebd.

57 Vgl. Herbers (1999), S. 13.

58 Liber Pontificalis, S. 1

59 Vgl. Herbers (2011), S. 297, Padberg (1999), S. 42.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Das Attentat auf Papst Leo III. im "Liber Pontificalis"
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Die Karolinger, Rom und das Papsttum
Note
1,3
Autor
Jahr
2019
Seiten
37
Katalognummer
V501198
ISBN (eBook)
9783346028594
ISBN (Buch)
9783346028600
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Papst Leo III., Attentat, Karl der Große
Arbeit zitieren
Katharina Kogan (Autor:in), 2019, Das Attentat auf Papst Leo III. im "Liber Pontificalis", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/501198

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