Architektur und Herrschaft - Untersuchungen zu Parlamenten und Parlamentarismus in Wien und Budapest unter Kaiser Franz Joseph


Dossier / Travail de Séminaire, 2005

25 Pages, Note: 1,6


Extrait


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Wiener Reichsrat

3. Das Budapester Parlament

4. Der Dualismus – Schlussbetrachtung

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die sozialen, politischen und technischen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts in Europa hinterließen in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens unübersehbare Spuren. Im Zeichen von Aufklärung und Säkularisierung, Industrialisierung, Urbanisierung und Nationenbildung entwickelten sich Strukturen und Prozesse, die sich gemeinhin unter dem Schlagwort `Moderne´ versammeln. Im Zeitalter der bürgerlichen Revolutionen lösen sich traditionelle Bindungen und Ordnungsstrukturen auf und bilden neue Formen. Diese modernen Entwicklungen vollziehen sich nicht linear und stellen sich als äußerst widersprüchlich und heterogen dar. Sie unterscheiden sich naturgemäß von Ort zu Ort und sind immer wieder von vormodernen Vorstellungen und Tendenzen durchbrochen. Die traditionellen Muster und Bilder der kirchlich-aristokratischen Ordnung erweisen sich als äußerst überlebensfähig und werden auch vom bürgerlichen Repräsentationsbedürfnis beansprucht. Vormoderne, bisweilen sogar antimoderne, Formen und Ideen prägen die Wandlungsprozesse des 19. Jahrhunderts auf grundlegende Weise und tragen wesentlich zu dem widersprüchlichen Bild der Epoche bei.

Ein in vielerlei Hinsicht interessantes Objekt innerhalb dieser Auseinandersetzung zwischen modernen und traditionellen Vorstellungen von Staat und Gesellschaft sind die Parlamente, als neue Machtorgane, die den Anspruch auf bürgerliche Mitbestimmung und Volks-souveränität vertreten. Sie treten in unmittelbare Konkurrenz zum königlichen Hof, wie zur Kirche indem sie allmählich deren Funktionen übernehmen und sich gleichzeitig, im Sinne ihrer Legitimation und Akzeptanz, auch von deren repräsentativen Mustern, Bildwelten, Mythen und Zeremonien bedienen. Sie nehmen im Transformationsprozess moderner Nationalstaaten eine herausragende und bedeutungstragende Stellung als politische Machtgebilde ein.

Parlamente sind dabei in einem doppelten Sinne politische Gebilde. Sie sind einerseits Machtorgane, also aus Wahlen hervorgegangene Vertretungskörperschaften, welche je nach Befugnis in unterschiedlichem Maße über die Regierungsbildung, die Gesetzgebung und den Staatshaushalt zu befinden haben. Damit bilden sie einen wesentlichen Bestandteil im Machtmechanismus des bürgerlichen Staates. Sie sind andererseits in einem rein materiellen Sinne Orte, also Gebäude, in denen politische Auseinandersetzung stattfindet und stattfinden soll. In ihrem materiellen Charakter dienen Parlamente als wirkungsvolle baulich-räumliche Inszenierungen von gesellschaftlicher Macht und es wird an ihnen in der Regel versucht durch Architektur und Gestaltung einen nationalen Stil auszubilden. Parlamente muss man in ihrer Gestaltung und Präsentation auch als mehr oder weniger bewusste Konstruktionen von Geschichte und Erinnerung verstehen und damit als einen bedeutsamen Teil von nationaler bzw. staatlicher Identitätsbildung. Sie stehen an einer zentralen, öffentlichen Stelle im modernen Staat und dienen zugleich als Bühne wie als Monument politischer Herrschaft und deren Geschichte.

Durch die Verbindung dieser Aspekte bildet sich das Parlament zu einem ausdrucksstarken Symbol für politische Zustände, Vorstellungen, Hoffnungen und Krisen. Parlamente spiegeln die kulturellen, sozialen und ökonomischen Zustände und Befindlichkeiten einer Gesellschaft wieder. Allerdings tun sie dies in dem gleichen Maße, wie sie Teile dieser Realität verdecken. So verschleiert der bauliche Aufwand und Pomp der Gebäude zuweilen die realpolitische Macht bzw. Machtlosigkeit des Organs. Und so unterliegen Parlamente und deren repräsentativer Gehalt einer Vielzahl von Versuchen, diese mit symbolhafter Bedeutung aufzuladen, umzuformen und gegebenenfalls im Sinne einer politischen Interessenlage zu instrumentalisieren. Sie entstehen und wandeln sich im Wechselspiel zwischen Architekten, Bauherrn, Politikern, Publikum und den politischen Ereignissen, die sie begleiten. Sie sind damit vielschichtige Zeichen im beziehungsreichen Geflecht von Politik, Gesellschaft und Kultur.

Ziel dieser Arbeit ist es, dieses Zeichen, seine Entstehung und seine Entwicklung, am Beispiel der beiden `Staatsparlamente´ Österreich-Ungarns, vor ihrem politischen und kulturellen Hintergrund, zu beschreiben und zu deuten. Hierdurch soll ein Einblick in die Mechanismen von Herrschaftsrepräsentation, der Inszenierung von politischer Macht, und in die Versuche der Konstruktion von Staat und Nation, deren Mythen und Imaginationen, unter den besonderen Bedingungen der Habsburger Doppelmonarchie, gegeben werden. Es soll versucht werden, aufgrund einer Darstellung des dualistischen Parlamentarismus als einem Fragment der politischen und symbolischen Ordnung, Teile eines Bildes von diesem kompliziertem und widersprüchlichem staatlichen Gebilde zu rekonstruieren, dem man als Ganzen in der Beschreibung nur unzureichend gerecht werden kann. An einer Betrachtung der Gemeinsamkeiten und der Unterschiede in der Entwicklung des `Parlaments´ lassen sich eine Vielzahl politisch-kultureller Problemlagen und Widersprüche des Vielvölkerstaates ablesen. Es zeigen sich dabei eine Vielzahl von Widrigkeiten bei der Herausbildung moderner demokratischer Strukturen, die auch für andere Regionen und Epochen durchaus Relevanz besitzen.

In den beiden folgenden Teilen wird die Architektur und Entstehungsgeschichte der beiden Parlamentsgebäude dargestellt, um daran anschließend in Grundzügen jeweils die politischen und kulturellen Begleiterscheinungen der parlamentarischen Entwicklung zu illustrieren. Die Vielzahl der sich daraus ergebenden Aspekte aus den Bereichen der Politik-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte sollen sich zu einem Bild der parlamentarischen Kultur(en) und deren spezifischen Präsentationen und Konstitutionen in Zis- und Transleithanien fügen. In einem abschließenden Teil werden kurz die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Probleme der parlamentarischen Erscheinungen innerhalb dieses komplizierten Staatsgebildes zusammen-gefasst.

2. Der Wiener Reichsrat

Die für europäische Verhältnisse relativ späte Freigabe der Wiener Stadtmauer zur Schleifung und der Glacis zur zivilen Bebauung durch Kaiser Franz Joseph im Jahr 1857, machte den Weg frei für den Bau der Ringraße und bildet den Beginn eines umfangreichen Stadterneuerungsprogramms. Anfangs trug die Planung und Anlage der Ringstraße noch stark neo-absolutistische Züge und diente vor allem der Repräsentation Wiens als `Reichshaupt- und Residenzstadt´. Bei ihrer Eröffnung 1865 „war diese via triumphalis vor allem ein Denkmal des Großösterreichertums in seiner staatlich-dynastischen Gestalt.“[1] So waren es vor allem Kaiser, Kirche und Armee, die hier mit Votivkirche, Arsenal, Kasernen und den Planungen für das `Kaiserforum´ erste Akzente setzten. Doch vor dem Hintergrund der militärischen Niederlagen von 1859 und vor allem 1866 entwickelte sich die neo-absolutistische Herrschaft zu einer konstitutionellen Monarchie mit einer neuen liberaleren Verfassung. Allmählich begann nun auch das städtische Bürgertum, die Ringstraße, als einen idealen Ort der Repräsentation zu entdecken und setzte die eigene Vorstellungen in immer stärkeren Maße durch.

Der Ausgleich mit Ungarn und das neue Staatsgrundgesetz vom Dezember 1867 setzten nun auch den Bau eines Parlaments in Wien erneut auf die Tagesordnung. Seit 1861 tagte das Abgeordnetenhaus provisorisch in einem Holzgebäude am Schottentor und bereits 1865 wurde ein beschränkter Wettbewerb für die Errichtung von zwei Gebäuden für die beiden Kammern ausgeschrieben, deren Bau jedoch durch den Preußisch-Österreichischen Krieg und die darauffolgende innere Krise verhindert wurde. Im März 1869 kam es auf die Initiative des Innenministers Griska zu der Entscheidung beide Parlamente aus ökonomischen Gründen in einem Gebäude zu vereinen.[2] Es wurde ein Raumprogramm („Localitäten-Erfordernis“) erstellt und der dänische Architekt Theophil Hansen, Spezialist für antike Baukunst, erhielt, offenbar auf Wunsch des Kaisers,[3] den Auftrag zur Anfertigung von Planskizzen, die er im Mai 1871 vorlegen konnte.

Hansen entwarf ein zweigeschossiges Parlament im klassisch-griechischen Stil, deren Mittelpunkt eine großzügige Säulenhalle bildet, die als verbindendes Element und zentraler Kommunikationsort beider Häuser gedacht wurde. Im linken und rechten Trakt sind jeweils die Sitzungssäle für Abgeordneten- und Herrenhaus untergebracht. Der tempelartigen Hauptfassade mit 11 Meter hohen korinthischen Säulen sind eine Auffahrtsrampe und ein Brunnen vorgelagert.

Die Reaktionen auf den Parlamentsentwurf waren äußerst ambivalent und zogen kontroverse Auseinandersetzungen nach sich, die noch weit über die Fertigstellung des Gebäudes hinaus andauerten. Zum einen war die Stilfrage ein grundsätzlicher Kritikpunkt und von entscheidender Bedeutung für ein Gebäude in dem „die größte Würde und der ernste Zweck zum vollen Ausdruck kommen soll“.[4] Gegner hielten nur den Barock, als österreichischen Stil und somit als Zeichen patriotischer Gesinnung und Tradition, für angemessen. Wohingegen Hansen weniger den nationalen Eifer befriedigen, als vielmehr an den Ursprung der Demokratie erinnern wollte. Eine Botschaft, die zuweilen in ihrer Deutlichkeit und Konsequenz als „nahezu penetrant“ empfunden wird.[5] Hansen konzipierte das Reichsrats-gebäude mit selbstbewusstem Auftreten als ein Gesamtkunstwerk, „zu einem Denkmal der Aufgabe „Parlament“ ebenso wie für den Architekten Hansen selbst“.[6] Er deutete das Parlament als eine der führenden Bauaufgaben der Zeit und als einen zentralen Ort der Kunstentfaltung. In der Tradition der griechischen Tempel und christlichen Kirchen „ist in unserer Zeit ein neues Monument hinzugekommen, wo sich die Aufmerksamkeit der Völker concentriert: das Parlament.“[7] Dabei stellt er, in einer ihm eigenen Hierarchisierung, den griechischen Stil als den würdevollsten und nobelsten aller Baustile heraus. Eine Vorstellung, welche er bereits in seinen Plänen von 1865 zu verwirklichen suchte, indem er das Herrenhaus im hellenistischen Stil und das Abgeordnetenhaus im Stil römischer Renaissance zu unterscheiden beabsichtigte.[8] Im weiteren erregte insbesondere die zentrale Mittelhalle Anstoß. Sie sei weitgehend überflüssig und ihr möglicher Nutzen stände in keinem Verhältnis zu den verursachten Kosten. Ideeller Repräsentationswille und Utilitarismus treffen in dieser Frage unversöhnlich aufeinander.[9] Die `Centralhalle´ war von Hansen als Gleichgewicht und Verbindung der beiden Kammern bzw. Gebäudehälften gedacht und sollte als eine „künftige österreichische Walhalla“ zu einem ideellen Ort werden, in dem die Statuen verehrungs-würdiger Persönlichkeiten der österreichischen Geschichte ausgestellt würden, was allerdings nie verwirklicht wurde.

Die andauernden Querelen um den Parlamentsbau hinsichtlich Standort, Budget, Architektur und Zuständigkeiten in der Baukommission von Herren- und Abgeordnetenhaus und deren Subkommissionen, verschiedene Umarbeitungen der Pläne, Kostenvoranschläge und Gutachten verursachten eine äußerst langwierige Planungs- und Vorbereitungsphase, welche im Ganzen seit 1864 andauerte und immer wieder durch politische Krisen unterbrochen wurde. In einem Handschreiben vom 8. Februar 1874 rief Franz Joseph zu erhöhter Bautätigkeit auf um der wirtschaftlichen Krise infolge des Börsenkrachs von 1873 zu begegnen,[10] am 17. April erfolgte die Genehmigung des Kaisers für den Parlamentsbau und am 2. September 1874 fand die Grundsteinlegung ohne größere Feierlichkeiten statt. Auf die Durchführung des Baus soll hier nicht im Einzelnen eingegangen werden. Sie fand auch keineswegs ihre Vollendung mit der ersten Sitzung des Abgeordnetenhauses am 4. Dezember 1883 oder der am 26. Dezember 1884 im Herrenhaus. Die Ausstattungs- und Detailarbeiten des Parlaments zogen sich noch bis zum Ersten Weltkrieg hin.

Bei seinem kaiserlichen Besuch im Januar 1884[11] lobte Franz Joseph die Leistungen des österreichischen Gewerbes und äußerte Befriedigung über die Verwendung von ausschließlich inländischem Material,[12] was allerdings nicht der Realität entsprach und einigen Diskussions-stoff lieferte. So begleitete die Problematik der Materialverwendung die gesamte Geschichte des Parlamentbaus in besonderem Maße, wobei Kostenerwägungen, künstlerische Konzeption und patriotische Ansprüche in Widerstreit gerieten und als „Terrakotta-Streit“[13] auch von der Presse begleitet wurde. So wurden die von Hansen provisorisch verwendete Keramik als zu unedel und untergeordnet, im Sinne einer soziologischen Hierarchie des Materials, betrachtet und deren Verwendung zur Wahrung der Würde des Baus von der Baukommission untersagt.[14] Schließlich wurde auch im Parlament selbst über die Verwendung des Materials debattiert, wobei die Kostenfrage eine untergeordnete Rolle spielte: „Ich glaube, wenn irgend ein Bau in Österreich das Recht in Anspruch nehmen kann von dem patriotischen Abgeordnetenhause, daß es aus österreichischem Steine gebaut werde, so ist es das Parlamentshaus in Wien [...] Wenn auch der Tiroler Marmor etwas teurer kommt, dafür hält er mehr Sturm und Wetter aus, wie dies auch beim Tiroler Volk der Fall ist. Wir sind etwas hart zu bearbeiten, aber wenn wir in der rechten Lage sind, halten wir fest und opfermütig auch in sturmbewegten Tagen aus.“[15]

Von besonderer Wichtigkeit für die Konzeption des Gesamtkunstwerkes Parlament, war die Dekoration mit Malerei und vor allem mit Plastiken, deren äußerst umfangreiches ikonographisches Programm von Hansen erstellt wurde.[16] Er wählte dafür historische und mythologische Figuren sowie Darstellungen abstrakter Ideen, die sich auf das Staatsleben beziehen. Das bildnerische Programm ist im wesentlichen der Antike entlehnt und steht damit einerseits für das konsequent hellenistische Konzept Hansens, aber gleichzeitig auch für die Verlegenheit „einer Inszenierung, der der eigene geschichtliche Rückhalt fehlt.“[17] Das Giebelfeld an der Hauptfassade zeigt Franz Joseph als Verfassungsspender an zentraler Position, der die 17 Kronländer um sich versammelt und verbildlicht damit die politische Rollenverteilung der konstitutionellen Monarchie. An der Rampe befinden sich acht sitzende Statuen antiker Geschichtsschreiber, rechts vier römische, die der praktischen Politik des Abgeordnetenhauses und links vier griechische, welche der theoretischen Politik des Herren-hauses symbolhaft Ausdruck verleihen[18] bzw. „an die objektive Überlieferung der staatlichen und sozialen Begebenheiten erinnern“[19] sollten. Jedoch erscheint die Erklärung von Schorske aussagekräftiger, der bemerkt: „Wo eine historische Tradition fehlt, muß die Gelehrsamkeit den leeren Platz ausfüllen.“[20] Auch die Aufstellung der Athene, statt einer zuerst geplanten Austria, auf dem Brunnen vor dem Parlament verdeutlicht die Aushilfe des Mythos anstelle von Geschichte. Man wählte mit Athene anstatt eines nationalen oder gar revolutionären, ein für das Gesamtreich ungefährlicheres und abstraktes Symbol für Weisheit, Schutz und Rationalität, bereits „lange nachdem der Geist der Rationalität den Reichsrat verlassen hatte.“[21] An der Einfahrt zur Rampe stehen vier „Rossebändiger“, Symbol für gemeinnützige Tat und Zügelung zum ruhigem Wort, was angesichts der Tumulte im Reichsrat fast ironisch anmutet. Zusammenfassend noch einmal Schorske dazu: „Die Standbilder welche die Rampe schmücken, verraten, in welchem Ausmaß der österreichische parlamentarische Liberalismus seinen Mangel an Verankerung in der Vergangenheit empfand. Da er keine Geschichte hatte, hatte er keine politischen Helden.“[22]

Angesichts dieser Darstellung stellt sich die Frage inwieweit die edle Fassade „erhebend und idealisierend“ auf die Volksvertreter gewirkt haben mag und ob Hansen mit eben dieser womöglich etwas naiven Vorstellung gescheitert ist, sollte dies jemals überhaupt seiner tiefen Überzeugung entsprochen haben und er nicht lediglich einen würdevollen Rahmen bzw. ein sehr persönlich ambitioniertes Großkunstwerk schaffen wollte. Eine Wirkung der architektonischen Verpackung auf den politischem Inhalt erscheint meines Erachtens als marginal und die „geballte Kraft der Würdeformen umhüllen nichts anderes als den profanen Alltag der Parlamentsdebatten.“[23] Jedoch als Ausdruck des kulturellen Selbstverständnisses und der politischen Verhältnisse der Epoche erscheinen Bauwerke, und im besonderem Maße die der Wiener Ringstraße, als äußerst aussagekräftig. Im Verhältnis von Repräsentation und Nutzen überwiegt hier eindeutig die Selbstdarstellung bürgerlich-liberaler Macht und deren zentralen Werten von Recht und Bildung. Besonders deutlich im Rathausviertel, in dem bürgerlichen Viereck von Reichsrat, Rathaus, Universität und Burgtheater. „Wie eine Windrose stellen sie das Wertesystem des Liberalismus dar.“[24] Allerdings zieht sich die siegreiche Mittelklasse im Rahmen des Historismus aus Mangel eines eigenen Stils in eine Geschichte zurück, die weniger die eigene ist, um ihren Werten Ausdruck zu verleihen. Der historisierende Rückgriff auf die Antike und seiner abstrakten Symbolik wirkt beim Parlament im gleichen Maße zeitlos, wie geschichtslos und ist damit einerseits treffendes, wenn man so will gelungenes, Zeichen der gesellschaftlichen Situation des Kaiserreiches und seines Parlamentarismus, wie er andererseits misslungen ist im Sinne einer staatlichen bzw. nationalen Identitätsstiftung. So scheiterte Habsburg generell an der Bildung eines National-charakters und „die Vorstellung einer österreichischen Nation im westeuropäischen Sinn war [...] dem kollektiven Gedächtnis der Habsburgermonarchie fremd.“[25]

Gründe für dieses `Scheitern´ waren vor allem die alles überlagernden Völkerkonflikte innerhalb des Reiches, die auch den Reichsrat in zunehmender Heftigkeit lähmten. Doch verdankte sich die Schwäche des Parlamentarismus einer Vielzahl weiterer Ursachen. Als größtes Hemmnis für die Entwicklung von Parlamentarismus und Demokratie sehen viele Historiker das stark autoritäre Denken und eine spezifisch österreichische Untertanenkultur.[26] „Die Politische Kultur in Österreichische [war] eine Staatskultur, sie erwartete gern die Initiative von oben.“[27] Und von oben heißt hier in erster Linie vom Kaiser. So war der Reichsrat nicht „souverän“ konzipiert, sondern nur „zur Teilnahme am Rechte des Kaisers zur Gesetzgebung und Verwaltung.“[28] Franz Joseph hatte nur unter Vorbehalt und formal die Verfassungen von 1861 und 1867 akzeptiert, aber als gleichberechtigten Partner hat er das Parlament nie geachtet. Die Entscheidungsfreiheit blieb durch den Paragraph 14, von dem zunehmend Gebrauch gemacht wurde, bei der Krone. Das österreichische Besitz- und Bildungsbürgertum als Basis des parlamentarischen Liberalismus stützte sich nicht auf eine tatsächliche nationale Gemeinschaft, nicht auf den Nationalismus als herrschende Idee der Epoche, sondern auf einen traditionellen dynastischen Staatspatriotismus. Die Freiheitsrechte des Individuums standen dabei im Mittelpunkt. Starke Einschränkungen der Kompetenzen des Parlaments wurden dabei in Kauf genommen und gegen den Absolutismus der habsburgischen Hausmacht ging man nicht konsequent vor. Das Parlament blieb somit letztlich ein Provisorium und das monarchistische Prinzip bestimmend. Außenpolitik, Diplomatie und Militär blieb prinzipiell der Krone vorbehalten. Ernst Viktor Zenker charakterisierte das österreichische Parlament als „das schwächste, wenn schon nicht der Welt, so doch der Kulturwelt.“[29] Das Parlament war so unversöhnlich in nationale und ideologische Fraktionen zersplittert, die eine demokratische Kompromissfindung weitgehend unmöglich machten, dass sich die Staatssubstanz immer stärker auf die Krone reduzierte.

[...]


[1] Baltzarek, Franz [u.a.], Wirtschaft und Gesellschaft der Wiener Stadterweiterung, Wiesbaden 1975, S. 11.

[2] Vgl. Wagner-Rieger, Renate, Theophil Hansen, Wiesbaden 1980, S. 111.

[3] Ebd. S. 113.

[4] Ebd. S. 114.

[5] Kündiger, Barbara, Fassaden der Macht, Leipzig 2001, S.61.

[6] Wagner-Rieger, S. 113.

[7] Theophil Hansen, zitiert nach: Wagner-Rieger, S. 115.

[8] Vgl. Kündiger, S. 60f.

[9] Vgl. Bernhard, Marianne, Zeitenwende im Kaiserreich, Regensburg 1992, S. 235f.

[10] Vgl. Wagner-Rieger, S. 127.

[11] Rumpler erklärt allerdings, dass der Kaiser das Reichsratsgebäude nie betreten habe; die Reden zur Eröffnung der Parlamentssessionen hat er in der Hofburg gehalten, vgl. Rumpler, Helmut, Grenzen der Demokratie im Vielvölkerstaat, in: ders. [u.a.] (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. VII,1, Wien 2000, S..3.

[12] Vgl. Wagner-Rieger, S. 131.

[13] Ebd. S. 135.

[14] Ebd.

[15] Joseph Greuter (Deputierter im Abgeordnetenhaus), zitiert nach: Bernhard, S. 237f.

[16] Es umfasste u.a. acht Quadrigen, zwei große Außenreliefs, 16 mittlere und 50 kleine Reliefs, 32 Statuen vor den Reliefs und 44 Statuen auf der Attika, ausführliche Auflistung bei: Wagner-Rieger, S. 138ff.

[17] Kündiger, S. 65.

[18] Vgl. Wanzenböck, Hans, Die Ringstrasse, Wien [u.a.] 1988, S. 58f.

[19] Wagner-Rieger, S. 143.

[20] Schorske, Carl E., Wien, Geist und Gesellschaft im Fin de Siècle, München [u.a.] 1994, S. 41.

[21] Ebd. – (Aufstellung der Athene-Statue 1902)

[22] Ebd.

[23] Kündiger, S. 61.

[24] Schorske, S. 35.

[25] Kriechbaumer, Robert, Die großen Erzählungen der Politik [...],Wien [u.a.] 2001, S. 161.

[26] Vgl. Rumpler, S. 4.

[27] Hanisch, Ernst, „An erlaubten G´spaß – ka Silb´n Politik?“ [...], in: Bettelheim, Peter; Harauer, Robert (Hg.), Ostcharme und Westkomfort, Beiträge zur politischen Kultur Österreichs, Wien 1993, S. 22.

[28] Hanisch, Ernst, Der lange Schatten des Staates [...], Wien 1994, S. 230.

[29] Zitiert nach: Hanisch, Der lange Schatten des Staates, S. 230.

Fin de l'extrait de 25 pages

Résumé des informations

Titre
Architektur und Herrschaft - Untersuchungen zu Parlamenten und Parlamentarismus in Wien und Budapest unter Kaiser Franz Joseph
Université
Humboldt-University of Berlin
Cours
HS Kulturgeschichte imperialer Herrschaft Österreich-Ungarn
Note
1,6
Auteur
Année
2005
Pages
25
N° de catalogue
V50138
ISBN (ebook)
9783638464154
ISBN (Livre)
9783638660839
Taille d'un fichier
553 KB
Langue
allemand
Annotations
Ausführliche Literaturliste
Mots clés
Architektur, Herrschaft, Untersuchungen, Parlamenten, Parlamentarismus, Wien, Budapest, Kaiser, Franz, Joseph, Kulturgeschichte, Herrschaft
Citation du texte
Robert Hanulak (Auteur), 2005, Architektur und Herrschaft - Untersuchungen zu Parlamenten und Parlamentarismus in Wien und Budapest unter Kaiser Franz Joseph, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50138

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