Transkutane afferente Vagusnervstimulation in der Prävention und dem Management von Erkrankungen mit eingeschränkter vagaler Kontrolle


Masterarbeit, 2017

172 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A bbil du ng sver zeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen
2.1 Das autonome Nervensystem
2.2 Der Vagusnerv
2.2.1 Funktionelle Anatomie des Nervus vagus
2.2.2 Die Vagusfunktion auf molekularer Ebene
2.2.3 Umweltsignale und Vagusfunktion
2.2.3.1 Licht – digitale Signale des Tag-Nacht-Rhythmus
2.2.3.2 Nahrung – analoge Signale der Umwelt
2.2.3.3 Natürliche Stimulation von Vagusafferenzen
2.2.4 Entzündungshemmung durch vagale Kontrolle
2.2.4.1 Entzündungsätiologie
2.2.4.2 Systemische Entzündungen
2.2.4.3 Regulation der Entzündungsreaktion
2.3 Herzratenvariabilität (HRV)
2.3.1 Vagusfunktion und Herz-Gehirn-Achse
2.3.2 Die dynamische Ordnung der Herzratenvariabilität
2.3.2.1 Zeitbereich (Time Domain)
2.3.2.2 Frequenzbereich (Frequency Domain)
2.3.3 Autonome Regulation und Selbst-Regulation
2.3.4 Herzratenvariabilität und Vagusnervstimulation

3. Vagusnervstimulation
3.1 Historisches
3.2 Methoden und Geräte
3.2.1 Invasive Vagusnervstimulation (iVNS)
3.2.1.1 Linkszervikale iVNS
3.2.1.2 Rechtszervikale iVNS
3.2.1.3 Besonderheiten der Stimulation am zervikalen Vagusnerv
3.2.1.4 Stimulationsparameter
3.2.1.5 Nebenwirkungen
3.2.1.6 Kontraindikationen
3.2.2 Nichtinvasive Vagusnervstimulation
3.2.2.1 Nichtinvasive transzervikale VNS (tcVNS) – GammaCore® und AlphaCore®
3.2.2.2 Transkutane aurikuläre Vagusnervstimulation (taVNS)
3.3 Zentrale Wirkungen der Vagusnervstimulation
3.4 VNS und Korrelate in der Bildgebung

4. Traditionelle Indikationen der Vagusnervstimulation
4.1 Epilepsie
4.2 Depression
4.3 Angst
4.4 Herzerkrankungen
4.4.1 VNS und Herzinsuffizienz
4.4.2 VNS und ventrikuläre Arrhythmien
4.4.3 VNS und atriale Arrhythmien
4.5 Autoimmunerkrankungen
4.6 Schmerz
4.7 Tinnitus
4.8 Aktuelle Trends

5. Transkutane afferente Vagusnervstimulation in der Prävention
5.1 Präventivmedizin
5.2 Einzelfallbeobachtung Psoriasis
5.2.1 Diskussion
5.2.1.1 TNF-alpha
5.2.1.2 Adalimumab (Humira®)
5.2.1.3 EBV
5.2.1.4 Aurikuläre transkutane Vagusnervstimulation (taVNS)
5.2.1.5 Mitochondriale Funktion und VNS
5.2.2 Zusammenfassung
5.3 Einzelfallbeobachtung Pankreaskarzinom
5.3.1 Diskussion
5.3.1.1 Vagale Kontrolle und Krebs
5.3.1.2 Splenektomie
5.3.2 Zusammenfassung
5.4 Einzelfallbeobachtung Tinnitus
5.4.1 Diskussion
5.4.1.1 EBV
5.4.1.2 ADHS
5.4.2 Zusammenfassung
5.5 Angststörung mit nächtlichen Panikattacken
5.5.1 Diskussion:
5.5.2 Zusammenfassung

6. Schlussbemerkung

Literatur

Abstract

Der Vagusnerv spielt eine zentrale Rolle in der bidirektionalen Kommunikation der Peri- pherie des Körpers mit dem Gehirn. Eine eingeschränkte vagale Kontrolle, wie sie im Ruhezustand der Herzratenvariabilität messbar wird, ist mit vermehrter Entzündungsten- denz und erhöhtem Herz-Kreislauf-Risiko verbunden. In erster Linie bedeutet dies eine verschlechterte emotionale Kontrolle und Gedächtnisleistung. Invasive Formen der Vagusnervstimulation (iVNS) werden daher bereits seit Jahren bei Epilepsie und Depres- sion eingesetzt. Für die Präventivmedizin sind demgegenüber vor allem nichtinvasive transkutane Stimulationen (nVNS) interessant, da diese rein afferent wirken, wodurch signifikante Nebenwirkungen ausbleiben. Bei dieser Einsatzform zeigten sich überdies ebenso wie bei der invasiven Stimulation antientzündliche und die Plastizität des Gehirns günstig beeinflussende Wirkungen. Da eine eingeschränkte vagale Kontrolle und ein erhöhtes Entzündungsniveau Merkmale vieler chronischer Erkrankungen darstellen, ist die transkutane Vagusnervstimulation theoretisch eine interessante Therapieoption. Die- se Arbeit beschäftigt sich daher mit den physiologischen Hintergründen, dem Vergleich verschiedener Stimulationsformen und dem Stand der Forschung zum Thema Vagus- nervstimulation. Nach dem theoretischen Teil werden vier ausführliche Fallbeispiele von PatientInnen dargestellt, die mit transcutaner aurikulärer Vagusnervstimulation behandelt wurden. Die transkutane afferente Vagusnervstimulation, die sich bis jetzt als sichere Therapieform erwiesen hat, ist in der Sekundär- und Tertiärprävention möglicherweise eine Überbrückungstherapie bei aktuell erhöhtem Herz-Kreislauf-Risiko und/oder Inflam- mation mit erhöhten TNF-alpha-Spiegeln, wenn die Standardtherapie nicht möglich ist oder kein Ansprechen erfolgt.

Abstract

The vagus nerve occupies a key position in the bidirectional communication between the periphery of the body and the brain. A reduced vagal control, as measured by resting state HRV (heart rate variability), has been shown to predict an increased inflammatory tendency and an elevated cardiovascular risk. This implies, first of all, a decreased emo- tional control and memory capacity. Invasive forms of vagus nerve stimulation (iVNS) have therefore been used for years to treat refractory epilepsy and depression. For pre- ventive medicine, on the contrary, the non-invasive, transcutaneous vagal stimulations (nVNS) are of special interest, as they work exclusively on afferent pathways, thus lead- ing to the absence of significant side effects. Besides, antiinflammatory effects and im- provements in brain plasticity could be observed here as well as in case of the invasive stimulation. Since reduced vagal control and proinflammatory state are characteristic of most chronic diseases, transcutaneous vagus nerve stimulation might in theory be an interesting option for future therapies. This paper is hence concerned with the physiologi- cal background, the comparison of different types of stimulation, the state-of-the art re- garding the topic of vagus nerve stimulation, and the observations from 4 own individual cases. As the transcutaneous vagus nerve stimulation has proved to be a safe and effec- tive treatment so far, it might be used in secondary and tertiary prevention as a temporary “bridging” therapy for patients with currently elevated cardiovascular risk and/or inflamma- tory burden with high levels of TNF-alpha when standard therapy is not feasible or refrac- tory.

Widmung

Meine Arbeit ist Herr Prof. Erich Roth gewidmet, der mich vor einigen Jahren zur transku- tanen Vagusstimulation gebracht und mich immer ermuntert hat, dieses Thema nach meinen Möglichkeiten weiter zu verfolgen. Danke, Erich!

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich all jenen danken, die durch ihre fachliche und persönliche Unterstützung zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Allen voran meinem Mann Erwin, der mir wirklich vieles im Alltag abgenommen und mich auch immer wieder ermu- tigt hat, diese Arbeit neben unserer sehr aufreibenden Arbeit in der Ordination fertigzu- stellen. Obwohl ich diese nicht als fertig betrachten kann, da sie ein Gebiet betrifft, dass so spannend und jung ist, dass sich ständig neue Informationen finden lassen. Mit mei- nen Kindern Alena und Matthäus, die beide selbst studieren, hatte ich verständnisvolle Diskussionspartner, die mich auch immer wieder in familiären Belangen unterstützten. Auch meine Mutter Erika trug ihren Teil bei, indem sie mich vom „blaulichtbelasteten“ Schreibtisch immer wieder in den Garten ans Tageslicht holte.

Die Durchführung der Arbeit war zwar beschwerlich, doch glücklicherweise standen mir Herr Prof. Reiner Buchhorn und Herr Prof. Alfred Wolf als Experten für Herzratenvariabili- tät, autonomes Nervensystem, transcutane Vagusstimulation und Präventivmedizin hel- fend zur Seite. Sie haben trotz beschränkter zeitlicher Ressourcen meine Fragen immer geduldig und ausführlich beantwortet und ich möchte ihnen herzlich dafür danken!

Schließlich danke ich Dr. Sigrid Müller von der DIU für die Organisation und vor allem meinen StudienkollegInnen, des Masterstudiengangs für Preventive Medicine die in der Zeit in Dresden zu lieben Freunden für´s Leben geworden sind.

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: links Schaltschema Sympathikus, rechts Parasympathikus; Quelle: Eller- Berndl, Herzratenvariabilität

Abb. 2: A) Anatomie des Nervus vagus B) Schema der Verbindungen der Kerngebiete des Nervus vagus in der Medulla oblongata: Nucleus dorsalis nervi vagi (DMN), Nucleus ambiguus (NA), Nucleus tractus solitarii (NST), Nucleus spinalis nervi trigemini (SNT). Vagale Afferenzen enden im SNT (blaue Linie) und NST (violette Linie). Die dazugehörigen Neuronen liegen in den Ganglia superiores und inferiores. DMN (orange Linie) und NA (grüne Linie) senden vagale Efferenzen zu terminalen Ganglien (Graue Linie –mitlaufende Sympathikusfasern). Quelle: (Hsiangkuo Yuan & Stephen D. Silberstein, 2016)

Abb. 3: Magno- und parvozelluläre Neurone im Hypothalamus; nach: (Koshimitsu T. et al., Vasopressin V1a and V1b Receptors: From Molecules to Physiological Systems, Physiol Rev 2012; 92: 1814-64.)

Abb. 4: Stress induziert Aktivierungen in verschiedenen Hirnarealen (sympathische Aktivierung: blau, parasympathische Aktivierung: rot). Die anatomische Komplexität des autonomen Nervensystems wird durch gemischte sympathische und parasympathische Aktivität der einzelnen Kerngebiete noch erhöht. Nucleus paraventricularis (PVN), Nucleus tractus solitarii (NTS), Nucleus dorsalis nervi vagi (DMX), Columnae intermediolaterales (IML), Locus coeruleus (LC), Medulla ventrolateralis (VLM), infra-limbischer Kortex-Teil des medialen präfrontalen Kortex (IL), zentrale Amygdala (CeA), dorsomed. Hypothalamus (DMH), Nucleus ambiguus (NA). Quelle: (Ulrich-Lai & Herman, 2009)

Abb. 5: Leptin beeinflusst sowohl Immunsystem als auch Stoffwechsel. Quelle: (Iikuni, Lam, Lu, Matarese, & La Cava, 2008)

Abb. 6: Ausbildung einer Exclusion zone unter Lichteinfluss; dunkel: hydrophile Oberfläche (Nafion), EZ- Exclusion zone, rechts: nach einigen Minuten Lichtexposition, (Pollack, 2013)

Abb. 7: Zirkadiane Unterschiede des rMSSD, eines Parameters der Vagusfunktion. (Marc N Jarczok, 2015)

Abb. 8: Der Vagusnerv ist ein zentraler Vermittler der bidirektionalen Kommunikation zwischen Gehirn und Darm (Pavlov & Tracey, 2012) In diesem Schema finden die Rolle der Microbiota und die antiinflammatorischen Aufgaben des Vagus keine Berücksichtigung

Abb. 9: Beispiele für nicht-elektrische Vagusnervstimulation (Bruno Bonaz, Valérie Sinniger, & Sonia Pellissier, 2016)

Abb. 10 : Inflammation ist ein Schlüsselprozess in unserer Abwehr von Pathogenen und in der Wundheilung. Durch Gewebsschädigung entstehende Moleküle (DAMPs und PAMPs) werden durch pattern recognition Rezeptoren (PRRs) erkannt und führen zu einer Aktivierung des unspezifischen Immunsystems, der Makrophagen. Diese erste Reaktion setzt eine ganze Kaskade von weiteren Reaktionen in Gang, um letztlich wieder gesunde Verhältnisse herzustellen. PRRs beeinhalten die Gruppen der membrangebundenen Toll-like Rezeptoren (TLRs) und die nucleotide-binding oligomerization domain-Rezeptoren (NLRs) (Sundman & Olofsson, 2014b)

Abb. 11 : Im Rahmen der Entzündungsreaktion, in der Zytokine wie TNF-alpha, IL-1, IL-6 und High-Mobility-Group-Protein B1 (HMGB1) freigesetzt werden, wird im ZNS auch Krankheitsverhalten, das sogenannte “sickness behaviour” ausgelöst. Quelle: (Kevin J. Tracey, 2010)

Abb. 12: Drei Wege der antiinflammatorischen Wirkung des Vagusnervs und potenzielle Intervention durch invasive VNS. (B. Bonaz, V. Sinniger, & S. Pellissier, 2016)

Abb. 13: Stimulation von Vagus- und Sympathikusfasern. Links: Unmittelbare Veränderung der Herzrate nach Stimulation des rechten Nervus vagus bei Frequenzen von 7 und 10 Hz beim Hund. Rechts: Reaktion der Herzfrequenz eines anästhesierten Hundes auf kontinuierliche Stimulation sympathischer Nerven bei Frequenzen von 20 Hz für 30 Sek Mod. nach (Warner & Cox, 1962)

Abb. 14: Herzratenvariabilität eines jungen, gesunden (oben) und eines alten, sterbenden Herzens (unten); Beziehung zwischen Komplexizität und Entropie im Laufe des Lebens. (Sturmberg, Bennett, Picard, & Seely, 2015) (HRV-Aufnahmen: Eller-Berndl)

Abb. 15: IBI (Robert J. Ellis, 2012)

Abb. 16: Zusammenhang zwischen pNN50% und Alter. Rote Linien: Bis zum Lebensjahr sind Werte mindestens > 10, bei älteren Menschen mindestens > 5 zu erwarten. (Fenzl, 2010)

Abb. 17: Spektralanalyse (autoregressives Modell) der RR Intervall Variabilität eines gesunden Menschen in Ruhe und in aufrechter Position. LF: low frequency; HF: high frequency. (Electrophysiology, 1996)

Abb. 18: Very low-, Low- und High Frequency-Bereiche im Spektrogramm Messbereich bis 0,4 Hertz, die Amplitudenhöhe der Signale ist farbcodiert. (Quelle: Eller-Berndl)

Abb. 19: Emotionsregulation und Kognition werden durch die vagale Kontrolle beeinflusst; nach (Ellis & Thayer, 2010)

Abb. 20: Das Cyberonic VNS-System. (Koopman, Chavan, et al., 2016)

Abb. 21: Implantierbarer Micro-Regulator. (SetPoint Medical, CA, USA)

Abb. 22 : Implantat mit 2 Kontakten – einem für die gewünschte Stimulation und einem, um unerwünschte Stimulationen zu blockieren. (Georgia Tech; Foto: Georgia Tech / Rob Felt)

Abb. 23: FitNeS, CerebralRx /BioControl Medical

Abb. 24: Automatische Stimulation bei Detektion eines epileptischen Anfalls. (Cyberonics, Inc., Houston, USA)

Abb. 25: Serenity® System, MicroTransponder Inc. (http://www.implantable- device.com/page/3/)

Abb. 26: Das CardioFit System Biocontrol medical, Yehud, Israel

Abb. 27 : Menschlicher linker und rechter zervikaler Nervus vagus auf Implantationsniveau; Balkenlänge= 500µm. (Verlinden et al., 2016)

Abb. 28: Normale Position der Elektrode am cervicalen Nervus vagus links; c – A. carotis; j- V. jugularis

Abb. 29 : Segmentatrophie des Nervus vagus bei Abschnürung durch suboptimale Positionierung der Elektroden (Pfeile) und/oder der Entlastungsschleife. S-Narbengewebe. (Aalbers, Rijkers, Klinkenberg, Majoie, & Cornips, 2015)

Abb. 30: GammaCore® (http://www.implantable-device.com)

Abb. 31: AlphaCore®. (http://www.medgadget.com/2012/08/transcutaneous-vagal-nerve-stimulation-for-airway-diseases-and-migraines.html)

Abb. 32: Innervationsmuster des Ohrs; nach (Peuker & Filler, 2002; Round, Litscher, & Bahr, 2013) ABVN=RANV

Abb. 33: a-c Strukturen und Innervation des äußeren Ohrs. Nervus auriculotemporalis – ATN; Rami auricularis nervi vagi – RANV; Nervus auricularis magnus (Ursprung C2 und C3 Plexus cervicalis) – GAN, Nervus occipitalis minor – LON. b: Innervation äußeres Ohr: Grün RANV; Rot ATN, Schwarz LON, Gelb GAN (He et al., 2012; N. Ueno et al., 1993). c: Innervation der Fossa triangularis: Rot RANV, schwarz GAN, Grün ATN; rote Markierung: Fossa triangularis; nach: (Peuker & Filler, 2002)

Abb. 34 : Anatomie des RANV; Case courtesy of A. Prof Frank Gaillard, Radiopaedia.org, rID:

Abb. 35: Versuchsanordnung: Anode über dem Proc. Mastoideus links, Kathode am Proc. Mastoideus rechts. (A. P. Trevizol et al., 2016)

Abb. 36: Stimulationsbereich Ramus auricularis nervi vagi (RANV) an der Ohrmuschel; T: Tragus; C: Concha; CYC: Cymba conchae. (Clancy et al., 2014)

Abb. 37: Signifikante Abnahme des log LF/HF-Verhältnisses in der Messung der Herzratenvariabilität (HRV) unter tVNS im Gegensatz zur Scheinstimulation. Log LF/HF ist ein Marker der Barorezeptorenfunktion, ein Wert > 1 gilt als ungünstig und ist mit einer Reduktion der vagalen Kontrolle und dadurch einer geringeren Suppression der sympathischen Aktivität assoziiert. (Clancy et al., 2014)

Abb. 38: Tinnoff pulse generator. (Ylikoski et al., 2012)

Abb. 39: Stimulation des Vagusnervs im Gehörgang. (Frangos et al., 2015)

Abb. 40: Konzept eines optogenetischen Neurostimulators. (Smith et al., 2016)

Abb. 41: Schema einer OLED: 1. Kathode, 2. Emitterschicht, in grün dargestellt, Rekombination der Ladungsträger mit Emission eines Photons, 4. Lochleitungsschicht, 5. Anode. (Quelle: Rafał Konieczny (own image)). [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html), via Wikimedia Commons]

Abb. 42: Stimulation traditioneller Ohrakupunkturpunkte. (Roberts et al., 2016)

Abb. 43: P-Stim Stimulation an Akupunkturpunkten – Tragus Auricularis Pkt 12, Crus helicis Auricularis Pkt 95, Fossa triangularis Shen Men Auricularis Pkt. 55. (Sator-Katzenschlager & Michalek-Sauberer, 2007)

Abb. 44: Applikation des Ducest® Neurostimulators. (http://www.ducest.com/de/)

Abb. 45: Zentrale Effekte der VNS. (Cai et al., 2014)

Abb. 46: Charakteristische durch transkutane Vagusnervstimulation (tVNS) verursachte zerebrale Aktivierungen und Deaktivierungen im fMRT. (Dietrich et al., 2008)

Abb. 47: Lokalisation der Elektroden am äußeren Ohr für die transkutane Stimulation des RANV (oben) und bei Placebostimulation (unten). (Jiliang Fang et al.; J. Fang et al., 2016; J. Liu et al., 2016; P. Rong et al., 2016)

Abb. 48: Plasma-Melatonin-Konzentration Tag 35. Männliche homozygote adipöse Zucker-Ratten (ZDF) (n = 29), heterozygote schlanke Wurfgeschwister (ZL) (n = 18). (S. Li et al., 2014)

Abb. 49: Der Angst-Score der 15 PatientInnen war nach der Behandlungsserie niedriger als zuvor. (Monica Chang, 2016)

Abb. 50: tVNS bei Vorhofflimmern. Links: Das Inter-Beat Intervall (IBI) verlängerte sich unter Stimulation mit 20 V von 900 ms auf 930 ms als Ausdruck einer verstärkten vagalen Kontolle. Rechts: Abnahme der Dauer des Vorhofflimmerns und niedrigere systemische TNF-alpha-Spiegel in der Stimulationsgruppe versus Placebo. (Stavrakis et al., 2015)

Abb. 51: Antiarrhythmische Effekte der VNS. (Huang, Shivkumar, & Vaseghi, 2015)

Abb. 52: Schema der Interaktionen zwischen VNS und Stärkung der vagalen Kontrolle mit Stimulation des cholinergen antiinflammatorischen Reflexes, vermehrter Acetylcholinfreisetzung und günstiger Auswirkung auf Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis, systemischen Lupus erythematodes und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED). (Undurti N. Das, 2011)

Abb. 53: Stark vereinfachte Schmerzbahnen bei Kopfschmerz und ihre Beeinflussung durch Neurostimulation. LC – Locus coeruleus, NRM – großer Raphekern; PAG – periaquäduktales Grau; SPG – Ganglion sphenopalatinum; SSN – Nucleus salivatorius superior; TNC – Pars caudalis des Nucleus spinalis nervi trigemini; V1 – Nervus ophtalmicus nervi trigemini. (Miller et al., 2016)

Abb. 54: Schema der Hörbahn vor und nach nach fokaler Schädigung: Das Neuronennetzwerk verändert die Verknüpfungen, um den Neuronenverlust (im Beispiel grün und gelb) zu kompensieren. Dies führt zur Überrepräsentation der Frequenzen am Rand der Läsion (in diesem Beispiel blau und rot) und zu einer generellen Übererregbarkeit benachbarter Zellen. (Schnupp, 2011)

Abb. 55: Innervation der Ohrmuschel mit Versorgungsgebieten des RANV (blau), Nervus auricularis major (grün) und Nervus auriculotemporalis (rot) mit traditionellen Akupunkturpunkten. TF4= Shen Men. (T.-T. Li et al., 2015)

Abb. 56: HRV-Erstmessung

Abb. 57: Positionierung der Elektroden in der Fossa triangularis, Stimulationsgerät mit Einmalbatterie

Abb. 58: HRV-Messung nach 3 Wochen Stimulation

Abb. 59: Histogramm zu Beginn und nach 3 Wochen Stimulation

Abb. 60: Befund Wundabstrich

Abb. 61: HRV-Messung 3 Monate nach Stimulationsbeginn

Abb. 62: HRV-Histogramm im Verlauf: Beginn der Stimulation – nach 3 Wochen – nach 3 Monaten mit einer zunehmenden Verbreiterung des Histogramms, w a s für eine Zunahme der Variabilität spricht

Abb. 63: HRV-Messung 4 Monate nach Beendigung der Stimulation (09/2015)

Abb. 64: HRV-Histogramm zu Beginn der Stimulation und 7 Monate später (Monate nach Ende der Stimulation) die entstandene Zweigipfeligkeit der Kurve spricht für einen Tag-Nacht Unterschied mit verstärkter nächtlicher vagaler Kontrolle

Abb. 65: In Anwesenheit von TNF-alpha reagieren Makrophagen mit Bildung von pro-inflammatorischen Zytokinen. Proteasom-Inhibitoren, die einen Komplex aus Proteasen hemmen und die nicht mehr benötigten Proteine erkennen und abbauen, können dies verhindern. Möglicherweise werden durch Hemmung der NF-kappa-B-Aktivierung Prozesse wie die TNF- alpha-abhängige Zytokinproduktion blockiert. Kappa-B-alpha, Inhibitor von NF-kappa-B-alpha; NF-kappa-B nukleärer Faktor-kappa-B; TNF- alpha: Tumornekrosefaktor alpha, TNFR: TNF-alpha-Rezeptor. (Michael A. Palladino, Frances Rena Bahjat, Emmanuel A. Theodorakis, & Lyle L Moldawer, 2003)

Abb. 66: Wirkungen von TNF-alpha. (Quelle: IMD Berlin)

Abb. 67: VNS verbessert die Mitochondrienfunktion über den M3- Rezeptor/CaMKKβ/AMPK-Signalweg bei Isoproterenol-induzierter myokardialer Ischämie. (R.-Q. Xue et al., 2017)

Abb. 68: HRV-Erstmessung

Abb. 69: HRV-Kontrollmessung

Abb. 70: Antientzündliche Wirkung der Vagusefferenzen im Darm und systemisch. (Matteoli & Boeckxstaens, 2013)

Abb. 71: HRV-Erstmessung 07/2016 im Krankenstand

Abb. 72: HRV-Kontrollmessung

Abb. 73: Kontrollmessung

Abb. 74: Histogramme 07/2016: max. IBI 1102 ms/ min. 500 ms; Histogramm 01/2017: max. 1164 ms/min. 602 ms

Abb. 75: Akute und chronische Krankheitsbilder des aerotoxischen Syndroms. (Richard Straube, 2014)

Abb. 76: HRV-Erstmessung 02/

Abb. 77: Kontrollmessung 06/2015 nach 6 Wochen taVNS mit dem Ducest® System

Abb. 78: HRV-Messung

Abb. 79: Histogramme. Links: 02/2015; Mitte: 06/2015 deutliche Zweigipfeligkeit des Histogramms als Ausdruck eines physiologischenTag- Nachtunterschieds; Rechts: 02/2016 neuerliche deutliche Verschlechterung im Vergleich zu 06/2015

Abb. 80: Projektionen der Vagusafferenzen: Die Stimulation von Afferenzen des Vagusnervs aktivieren den Nucleus tractus solitarii, dieser wiederum den Locus coeruleus (Noradrenalin) und den Nucleus basalis an der Basis des Lobus frontalis (Acetylcholin). Weitere Projektionen erreichen den Nucleus Parabrachialis, den Hypothalamus, den Thalamus, die Amygdala und den Hippocampus. Diese Kerngebiete haben bedeutenden Einfluss auf Stimmung, Lernen und Gedächtnis. (N. D Engineer, Moller, & Kilgard, 2013)

Abb. 81: Nach (Ellis & Thayer, 2010): Die vagale Kontrolle kann in eine periphere und in eine zentrale vagale Kontrolle unterteilt werden, ungeachtet der Frage, ob man normale Emotion oder krankhafte Angst betrachtet. Die Antwort eines Organismus auf biologisch relevante Reize sowie die Regulation der resultierenden Reaktionen kann sinnvollerweise grundsätzlich als ein ständiges Ringen zwischen Bottom-up- und Top- Down-Prozessen im Gehirn begriffen werden. (G. Park & J. F. Thayer, 2014)

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Soeine Arbeit wird eigentlich nie fertig, man muss sie für fertig erklären, wenn man nach Zeit und Umständen das Möglichste getan hat.

Johann Wolfgang von Goethe

Autobiographisches. Italien. Reise, 2. Teil, in Caserta, 16. März 1787

1. Einleitung

Vagusnervstimulation bedeutet nicht nur einen kurzfristigen Effekt durch Stimulation ei- nes einzelnen Nervs, sondern eine Aktivierung von Neurotransmittern und durch Einbe- ziehung verschiedener Bereiche des Gehirns eine längerfristige, neuromodulatorische Intervention. Neben der invasiven zervikalen Vagusnervstimulation erweisen sich zu- nehmend auch nichtinvasive zervikale und aurikuläre Stimulationen als wirksam. Da das Nebenwirkungsprofil der Vagusnervstimulation früher in erster Linie durch die Invasivität bedingt war, stellen die transkutanen, rein afferenten Stimulationsformen eine sichere und effektive Form der Verbesserung der vagalen Kontrolle dar. Klassische Indikations- gebiete wie therapierefraktäre Epilepsie und Depression haben in den letzten Jahren eine Erweiterung in all jene Richtungen erfahren, die durch eine starke Einschränkung einer altersentsprechenden vagalen Kontrolle geprägt sind und damit auch ein höheres kardi- ovaskuläres Risiko implizieren. Damit ist die Methode auch zunehmend für die Sekundär- und Tertiärprävention von Bedeutung und schließt den Kreis von der Diagnostik der effe- renten Vaguskontrolle, die im Ruhezustand der Herzratenvariabilität messbar wird, hin zu einer Therapie, die die bisher möglichen Afferenzstimulationen durch Lebensstilinterven- tionen verstärkt und zu wesentlich zeitnaheren Verbesserungen führen kann.

2. Grundlagen

2. 1 Das autonome Nervensystem

Das Konzept des autonomen Nervensystems besteht aus zwei Anteilen, dem sympathi- schen und dem parasympathischen Nervensystem und umfasst Neuronenverbände, die das innere Milieu beeinflussen. John Langley prägte 1898 den Begriff des autonomen Nervensystems und verwendete ihn für efferente periphere Nervenbahnen. Er führte auch die Unterteilung in Sympathikus, Parasympathikus und Darmnervensystem (enteri- sches Nervensystem) ein. (John Newport Langley, 1898-1900; John Newport Langley,1921) (Quelle:https://www.lecturio.de/magazin/autonomes-nervensystem)

Das parasympathische System ist dabei überwiegend durch den Nervus vagus repräsen- tiert. Hinsichtlich seiner Funktionsweise entdeckte Otto Loewi an der Universität Graz 1921 den ersten Nervenbotenstoff. So konnte er nachweisen, dass für die Übertragung eines Nervenimpulses an das Herz ein chemischer Stoff verantwortlich sein musste. Die- ser wurde von ihm als „Vagusstoff“ bezeichnet und später von Henry H. Dale, der die Substanz mit Kollegen bereits um 1914 aus Pilzen isoliert und für sie die mögliche Rolle als Neurotransmitter vermutet hatte, als Acetylcholin identifiziert. Für ihre gemeinsamen Forschungsarbeiten und Entdeckungen zur chemischen Übertragung von Nervenimpul- sen erhielten Dale und Loewi schließlich 1936 zusammen den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. (Nobelprize.org, 2014)

Später wurde das Konzept des autonomen Nervensystems von anderen Forschern er- weitert und auch zentrale Teile des Nervensystems miteinbezogen. Wie wir heute wis- sen, ist jedoch das autonome Nervensystem genauso wenig völlig unbewusst und unwill- kürlich wie das diesem gegenübergestellte somatische Nervensystem immer willentlich ist oder bewusst beeinflusst werden kann. Das autonome Nervensystem ist daher unbe- streitbar von zentraler Bedeutung für unsere Adaptationsfähigkeit an die Umwelt sowie für die Gewährleistung entsprechender angepasster körperlicher Reaktionen. Der Vagusnerv und das sympathische Nervensystem beeinflussen hierfür ein umfassendes neuro-immuno-endokrines Netzwerk, welches die Homöostase unseres Systems auf- rechterhält. In der Systemtheorie und Kybernetik wird „die Fähigkeit eines Systems, sich durch Rückkopplung selbst innerhalb gewisser Grenzen in einem stabilen Zustand zu halten“ als selbstregulativ bezeichnet. Der Begriff Homöostase bezeichnet somit die Auf- rechterhaltung eines Gleichgewichtszustandes eines offenen dynamischen Systems durch einen internen regelnden Prozess. Sie ist damit ein Spezialfall der Selbstregulation von Systemen (Wikipedia-Autoren, 2017)

Die Vorstellung von der Homöostase selbst ist dabei nicht neu, sondern wurde bereits im 19. Jahrhundert vom französischen Physiologen Claude Bernard skizziert, als dieser schrieb: „Die Unveränderlichkeit des inneren Milieus ist eine Voraussetzung des freien Lebens.“(Bernard & Bert, 1878-1879 ) Darüber hinaus erkannte Bernard auch bereits die bidirektionale Verbindung zwischen Herz und Gehirn, als er festhielt: „…when the heart is affected it reacts on the brain; and the state of the brain again reacts through the pneu- mo-gastric (vagus) nerve on the heart; so that under any excitement there will be much mutual action and reaction between these, the two most important organs of the body.“(Thayer & Lane, 2009)

Der Begriff Homöostase selbst wurde allerdings erst 1929 vom Physiologen Walter Cannon geprägt, der damit das dynamische Aufrechterhalten komplexer Gleichgewichte innerhalb enger Grenzen, aber mit erstaunlichen Sicherheitsabständen, sogenannten „safety margins“, bezeichnete. (Borck, 2014; Bradford, 1932, korr.erweiterte Auflage 1939)

Biologische Systeme sind damit ihrem Charakter nach sowohl komplex als auch adapta- tiv und unterliegen – wie alles in der Natur – den Gesetzen der modernen Physik. Es entstehen Konstellationen durch Ursache-Wirkung und Ursache-Rückwirkung, die nicht durch die Systemelemente vorgegeben sind, aber durch ihre Wechselwirkung bei ent- sprechenden Anfangs- und Nebenbedingungen möglich werden. Dies wird für den Ein- satz der noch zu beschreibenden Therapieform der afferenten Vagusnerv stimulation im Besonderen zu berücksichtigen sein. Des Weiteren muss damit gerechnet werden, dass auf dem Gebiet der Homöostase aufgrund der winzigen Größe der Zellstrukturen Eigen- schaften der Quantenmechanik zum Tragen kommen. So konnte 2016 gerade erst ge- zeigt werden, dass selbst Gesetze wie der 2. Satz der Thermodynamik unter bestimmten Umständen – wie etwa im Nanobereich – außer Kraft gesetzt werden. (Lesovik, Lebedev, Sadovskyy, Suslov, & Vinokur, 2016). Insofern werden zukünftige Forschungen zeigen, inwiefern quantenmechanische Gesetzmäßigkeiten auch in biologischen Systemen zur Anwendung kommen müssen und vertraute klassische physikalische Gesetzmäßigkeiten verdrängen.

Darüber hinaus wurde im Zuge der weiteren Erforschung des Vagusnervs deutlich, dass eine exakte neuroanatomische Trennung zwischen den beiden Anteilen des autonomen Nervensystems nicht wirklich möglich ist, denn viele Regionen der autonomen Verarbei- tung, die mithilfe von Neuroimaging entdeckt wurden, decken sich zwar mit den Struktu- ren, die früher als autonomes zentrales Netzwerk beschrieben wurden, getrennte Analy- sen der Sympathikus- und Parasympathikus-Regulation ergaben jedoch weitgehend di- vergente Netzwerke, die an unterschiedlichen affektiven, kognitiven und somatosenso-motorischen Aufgaben beteiligt sind. In nur ganz wenigen Bereichen, wie zum Beispiel der linken Amygdala, kommt es zur Überlappung beider Systeme. So konnten Metaana- lysen auf der Grundlage von Neuroimaging ständig aktivierte Areale im Bereich der linken Amygdala, der rechten vorderen und der linken hinteren Insula und dem Cingulum fest- stellen, welche damit sozusagen den Kern des zentralen autonomen Netzwerkes darstel- len. (Beissner, Meissner, Bär, & Napadow, 2013).

Autonome Efferenzen verlaufen stets über zwei Neuronen: präganglionäre und nicht myelinisierte postganglionäre Neuronen. Der Unterschied zwischen Sympathikus und Parasympathikus kann daher anhand dieser Strukturen ganz einfach aufgezeigt werden: Die präganglionären Neuronen des Sympathikus sind unmyelinisiert und seine post- ganglionären Neuronen sind wesentlich länger. Der Parasympathikus/Nervus vagus ist demgegenüber präganglionär myelinisiert und die Umschaltung auf das 2. Neuron erfolgt zielorgannah, meist sogar bereits in der Wand des Organs selbst.

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Abb. 1: links Schaltschema Sympathikus, rechts Parasympathikus; Quelle: Eller-Berndl, Herzra- tenvariabilität 2010

Sowohl der parasympathische als auch der sympathische Anteil des autonomen Nerven- systems können sich daher sowohl parallel als auch reziprok oder völlig unabhängig von- einander verhalten. Generell herrscht aber in unserem biologischen System das Prinzip der Inhibition vor. Die Herzfrequenz ist ein gutes Beispiel für eine solche tonische inhibi- torische Kontrolle, also eine parasympathische Dominanz über sympathische Einflüsse, wie sie bei gesunden Menschen vorliegt. (Jose & Collison, 1970; Tobias Opthof, 2000) Dies bedeutet, dass immer eine gewisse vagale Grundaktivität besteht – wir stehen, bild-lich gesprochen, ständig ein bisschen auf der Bremse. Dieser dämpfende Einfluss sinkt jedoch, wenn Aktivität gefordert ist, immer weiter ab, bis schließlich das sympathische System zugeschaltet wird. Bedauerlicherweise unterliegt die Inhibition, d.h. die vagale Kontrolle, jedoch dem Alterungsprozess, so dass Sympathikusdominanz und steigende Inflammationsbereitschaft im Laufe des Lebens zunehmen. Zu einer kurzfristigen Ein- schränkung der vagalen Kontrolle, also einer vorerst reversiblen „Voralterung“, kann es überdies auch durch Alkohol und andere Drogen, Medikamente und akute Infekte kom- men, da jede chronische Inflammation, vor allem Minimalentzündungen, eine raschere Einbuße der „Bremsfunktion“ der vagalen Kontrolle verursachen. Die Stimulation einer vorzeitig eingeschränkten vagalen Funktion erscheint somit ein gutes pathophysiologi- sche Konzept zu sein

2.2 Der Vagusnerv

Überblick

Der Vagusnerv versorgt als 10. Hirnnerv das gesamte aerodigestive System und erfüllt damit die Rolle eines „Grenzwächters“ an allen Grenzflächen zwischen unserem biologi- schen System und der Umwelt. 80-90% seiner Fasern sind Afferenzen und liefern Infor- mationen aus der Peripherie und verbindet damit die inneren Organe mit dem Gehirn. Wie bereits seit längerem vermutet und nun auch bereits bewiesen, beeinflusst seine Aktivität auch zentrale Funktionen und nimmt Einfluss auf unsere Psyche und unser Ge- dächtnis. Eine weitere wichtige Rolle spielt der Vagusnerv in der neuronalen Regulation des Immunsystems und er besitzt wesentliche antiinflammatorische Eigenschaften. Er fungiert generell als „Bremser“ unseres Systems, welches auf dem Prinzip der Inhibition aufgebaut ist.

2.2.1 Funktionelle Anatomie des Nervus vagus

Mit wechselseitigen Nervenverbindungen zu verschiedensten Hirnregionen dient der Vagusnerv als Botschafter des Gehirns und als Kontrollzentrum, welches umweltbedingte und interozeptive Informationen integriert und mit entsprechenden Anpassungsreaktionen reagiert.

Der von Darwin als „pneumogastrischer“ Nerv bezeichnete Vagus ist nicht nur irgendein Nerv: Er ist scheinbar der „Wächter“ aller wichtigen Grenzflächen zwischen uns und unserer Umwelt und der direkte Draht zwischen Immunsystem und Gehirn (vgl. Abb. 1). (Darwin, 1872)

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Abb. 2: A) Anatomie des Nervus vagus B) Schema der Verbindungen der Kerngebiete des Ner- vus vagus in der Medulla oblongata: Nucleus dorsalis nervi vagi (DMN), Nucleus am- biguus (NA), Nucleus tractus solitarii (NST), Nucleus spinalis nervi trigemini (SNT). Va- gale Afferenzen enden im SNT (blaue Linie) und NST (violette Linie). Die dazugehörigen Neuronen liegen in den Ganglia superiores und inferiores. DMN (orange Linie) und NA (grüne Linie) senden vagale Efferenzen zu terminalen Ganglien (Graue Linie – mitlaufende Sympathikusfasern). Quelle: (Hsiangkuo Yuan & Stephen D. Silberstein, 2016)

Der Vagusnerv verbindet die Pharynx, den Larynx, den gesamten Darm bis zur linken Kolonflexur und andere viszerale Organe mit dem 4. Ventrikel des Hirnstamms und ver- fügt mit bis 80.000 afferenten Fasern über die meisten viszeralen und sensorischen Ver- bindungen zwischen Abdomen/Thorax und Gehirn. Er schützt dadurch die Darmbarriere, die Barriere zwischen Lunge und Umwelt und die Blut-Hirn-Schranke. Er verbindet quasi das „digitale“ mit dem „analogen“ System im Gehirn, indem er die Lichtsignale des zirka- dianen Rhythmus mit Signalen der Nahrungsaufnahme koordiniert.

Hinsichtlich seines Ursprungs ist dabei zu beachten, dass der Vagusnerv aus 4 Kernge- bieten in der Medulla oblongata entspringt.

1. Die Axone aus dem Nucleus dorsalis bilden die präganglionären parasympathi- schen viszeromotorischen Fasern des Vagusnervs.
2. Im Nucleus ambiguus liegen Motorneurone, die Fasern über 3 Hirnnerven, nämlich den Nervus glossopharyngeus IX, den Nervus vagus X und den Nervus accessorius XI entsenden. Über den Nervus vagus X selbst verlaufen schließlich parasympathische Efferenzen zum Herz. Afferenzen erhält der Nucleus ambi- guus über den Tractus corticonuclearis aus der Großhirnrinde sowie aus dem Nucleus spinalis nervi trigemini.
3. Der Nucleus tractus solitarii erhält viszerosensorische Informationen aus dem Gastrointestinaltrakt, dem respiratorischen System und afferente Geschmacksin-formationen. Diese Afferenzen machen rund 80% der gesamten Vagusfasern aus und über den Nucleus tractus solitarii erfolgen so weitreichende Projektionen zu verschiedenen wichtigen Hirnarealen.
4. Der Nucleus spinalis (caudalis) nervi trigemini erhält generell somatosensori-sche afferente Fasern vom Ohr. (Ogbonnaya & Kaliaperumal, 2013)

Hinsichtlich seines Aufbaus besteht der Nervus vagus aus größeren myelinisierten A- und B-Fasern und kleineren unmyelinisierten C-Fasern. Letztere machen jedoch rund 80% der 100.000 Fasern des Vagus aus, denn es handelt sich bei diesen um die oben beschriebenen Afferenzen. (Sato, Sato, & Suzuki, 1985)

Die Myelinisierung der Vagusfasern beginnt im 3. Trimester der Schwangerschaft. Mit der Geburt ist die vagale efferente Funktion durch die Messung der Herzratenvariabilität be- stimmbar und eine Einschränkung ableitbar.

Die myelinisierten Nerven stellen damit die höherentwickelten Fasern dar. Es sind daher auch primär die Fasern mit Myelinscheiden, die altern, während die Leitungsgeschwin- digkeit der unmyelinisierten Fasern im Rahmen der Alterung weitgehend unverändert bleibt. Dies bedeutet, dass die Informationsleitung von der Peripherie zum Hirn auch im Alter weitgehend stabil bleibt, während die vagale Kontrolle als Ausdruck der Efferenz, die über myelinisierte Fasern vermittelt wird, einem Altersgang unterworfen ist.

2. 2. 2 Der Nukleus paraventricularis (PVN) als Drehscheibe zwischen dem autono- men Nervensystem, dem Immunsystem und dem endokrinen System Der Hypotha- lamus verbindet über die Hypophyse das zentrale Nervensystem mit dem endokrinen System und dem Immunsystem. Das wichtigste Kerngebiet, in dem alle 3 Systeme im Bereich des Hypothalamus miteinander in Kontakt kommen, ist dabei der Nucleus para- ventricularis (PVN). Der PVN nimmt direkten Einfluss sowohl auf das sympathische als auch auf das parasympathische Nervensystem und erhält ebenso auch Afferenzen aus beiden Systemen (Ferguson, Latchford, & Samson, 2008; Pyner, 2009). Er nimmt im zentralen autonomen Netzwerk eine wesentliche Rolle ein.

Der Nucleus paraventricularis (PVN) besitzt zwei morphologische Gruppen von Neuro- nen, welche funktionell in drei Kategorien unterteilbar sind.

Die erste morphologische Gruppe umfasst magnazelluläre (große) Neuronen, die Oxy- tocin und Vasopressin produzieren und ihre Axone in die Neurohypophyse entsenden, wo die Hormone direkt ans Blut abgegeben werden.

Die zweite morphologische Gruppe besteht aus parvozellulären (kleinen) Neuronen, welche auch eine funktionelle Untergruppe umfassen, die Signale zur Eminentia mediana sendet und Releasing-Hormone direkt in das Portalvenensystem abgibt, um die Sekretion der Hypophysenvorderlappen-Hormone zu steuern.

Parvozelluläre Neurone bilden auch die dritte funktionelle Gruppe, welche in die zentra-le autonome Kontrolle involviert ist.

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Abb. 3: Magno- und parvozelluläre Neurone im Hypothalamus; nach: (Koshimitsu T. et al., Va- sopressin V1a and V1b Receptors: From Molecules to Physiological Systems, Physiol Rev 2012; 92: 1814-64.)

In dieser dritten Neuronengruppe des Nucleus paraventricularis können wiederum 3 Ar- ten präautonomer parvozellulärer Neurone (Typ A, B und C) entsprechend ihren anato- mischen und physiologischen Kriterien unterschieden werden.

Präautonome Neurone des Nucleus paraventricularis (PVN) projizieren direkt zu den präganglionären Neuronen des motorischen Anteils des Nervus vagus im Nucleus dorsa- lis nervus vagi und nehmen dadurch über die postganglionären Fasern des parasympa- thischen Nervensystems Einfluss auf die Erfolgsorgane (s. Abb. 4). Darüber hinaus proji- zieren die präautonomen PVN-Neuronen jedoch auch zu den autonomen Interneuronen des Hirnstamms (A5) sowie zu den Colummnae intermediolaterales des Rückenmarks. Hier befindet sich ein zentraler Bereich des sympathischen Systems: die Formatio reticu- laris mesencephali, einer der ältesten Teile des Hirnstamms, der die sympathische Effe- renz unseres Gehirns kontrolliert. Dies erfolgt durch Modulation exzitatorischer Signale der Columnae intermediolaterales (IML) im Rückenmark, welche das Nebennierenmark zur Abgabe von Adrenalin und Noradrenalin stimulieren.

Diese Projektionen erfolgen ipsilateral mit 4 Überkreuzungen (supramamillär, im Bereich des Tegmentum pontis, des Nucleus tractus solitarii und der Lamina X des Rücken- marks), so dass die Innervation zwar grundsätzlich bilateral, aber eben vornehmlich ipsi- lateral erfolgt.

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Abb. 4: Stress induziert Aktivierungen in verschiedenen Hirnarealen (sympathische Aktivierung: blau, parasympathische Aktivierung: rot). Die anatomische Komplexität des autonomen Nervensystems wird durch gemischte sympathische und parasympathische Aktivität der einzelnen Kerngebiete noch erhöht. Nucleus paraventricularis (PVN), Nucleus tractus solitarii (NTS), Nucleus dorsalis nervi vagi (DMX), Columnae intermediolaterales (IML), Locus coeruleus (LC), Medulla ventrolateralis (VLM), infra-limbischer Kortex-Teil des medialen präfrontalen Kortex (IL), zentrale Amygdala (CeA), dorsomed. Hypothalamus (DMH), Nucleus ambiguus (NA). Quelle: (Ulrich-Lai & Herman, 2009)

Durch die hier geschilderten Zusammenhänge besitzt auch letztlich der Nucleus para- ventricularis (PVN) die Kontrolle über die Ausschüttung bzw. Suppression von Cortisol aus der Nebenniere, so dass eher der PVN als die Nebenniere selbst als die Ursache für erworbene Nebennierenschwäche (Adrenal fatigue) anzusehen ist. Der Nucleus para- ventricularis (PVN) sammelt Signale aus der Umwelt und wenn diese künstlich verändert sind, verändert sich auch gleichzeitig seine Aktivität. Der PVN nimmt so direkten Einfluss sowohl auf das sympathische als auch das parasympathische Nervensystem. Dabei stellt sich jedoch die Frage, welche Einflüsse genau die Aktivität des PVN reduzieren und zu einem verringerten Cortisolspiegel führen. Zu diesen Einflüssen zählen unter anderem ein niedriger Dopaminspiegel (z.B durch Mangel an natürlichem Licht, COMT val/val Va- riante, Menopause), niedriger GABA-Spiegel, geringe Adrenalin- und Noradrenalin- Spiegel, endotheliales NO, Interferon oder ähnlich wirkende Medikamente und TNF- alpha. Alle diese genannten Faktoren sind mit einer verringerten vagalen Funktion asso- ziiert und widerspiegeln die Bedeutung des natürlichen Lichts und proinflammatorischer Prozesse.

Die Kerngebiete des Nucleus dorsomedialis hypothalami, der Area lateralis hypothalami, des Nucleus posterior und der Nucleus mammilare senden und empfangen Projektionen des Nucleus paraventricularis (PVN), des Nucleus dorsalis nervus vagi, der Substantia grisea centralis, des Nucleus parabrachialis, Nucleus tractus solitarius, der lateralen und ventralen Medulla sowie der Columna intermediolateralis. Der laterale Hypothalamus ist dabei vor allem für die Herz-Hirn- Achse und die Darm-Hirn Achse von Bedeutung. Ent- zündliche Vorgänge können die Signalgebung im Hypothalamus verändern und haben damit auch Auswirkungen auf das autonome System.

Bei Inflammation wird die Blut-Hirn-Schranke durch Zytokine durchlässig und der Liquor verändert dadurch seine Zusammensetzung, was sich auf die Signalgebung im PVN auswirkt. Wird diese zentral verändert, ist unser System weniger energieeffizient. Dies ist der Grund, warum das Hormon Leptin in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt. (siehe Abb.5). Leptin ist das Hormon, das unseren Energiehaushalt kontrolliert, indem es dem Gehirn über die vorhandenen peripheren Energiereserven Auskunft gibt. Es wird in Adipozyten produziert, aber auch Zellen des Magens bilden Leptin und geben es in den Dünndarm ab. Leptin aktiviert dort sensorische Afferenzen des Nervus Vagus, diese kontrollieren die Nahrungsaufnahme, indem sie in der postprandialen Phase über Cholezystokinin (CKK) Sättigungssignale vom Darm an den Hirnstamm übermitteln und damit Menge und Dauer des Essens begrenzen. Defekte in der Leptin Signalgebung der Vagus Afferenzen im Darm scheinen ein sehr frühes Ereignis in der Entwicklung der Adi- positas zu sein. Zusammen mit anderen Faktoren wie Hormonen, Zytokinen , Produkten der Mikrobiota nehmen die Vagusafferenzen eine zentrale Rolle innerhalb der Darm-Gehirn Achse ein. Erhöhte Leptinspiegel sind bei Übergewicht invers mit der agusfunktion korre- liert. Je höher die Leptinspiegel ansteigen, umso mehr vershiebt sich das sympathovagale Gleichgewicht in Richtung Sympathikusaktivierung. Adipositas ist auch immer mit einer erhöhten Inflammationsbereitschaft assoziiert. Neben Autoimmunerkrankungen zählt die Adipositas zukünfig möglicherweise zu den Einsatzgebieten der Vagusstimulation.

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Abb. 5: Leptin beeinflusst sowohl Immunsystem als auch Stoffwechsel. Quelle: (Iikuni, Lam, Lu, Matarese, & La Cava, 2008)

2.2.2 Die Vagusfunktion auf molekularer Ebene

Der Vagusnerv verbindet, wie bereits erwähnt (s. Unterkapitel zu Funktionelle Anatomie des Nervus vagus 2.2.1), den gesamten Darm bis zur linken Kolonflexur mit dem 4. Ventrikel des Hirnstamms. Dieser ist mit Liquor cerebrospinalis gefüllt und der Vagusnerv ist über seine Myelinscheiden mit diesem Liquor in Kontakt. Er leitet ihn, wie andere myelinisierten Nerven ebenso, ins Lymphsystem ab. (Sakka, Coll, & Chazal, 2011) Auf molekularer Ebene optimiert der Vagusnerv den pH-Wert in den Zellen unter den Ober- flächen, die er versorgt, spiegelt das lokale Redoxpotenzial wider und verbindet grund- sätzlich verschiedene Wasserkompartimente innerhalb des Körpers.

Dabei lassen sich für Liquor und Zytosol, genauer das diesem zugrundeliegende Wasser in Kontakt mit hydrophilen Oberflächen, wie sie in biologischen Systemen häufig vor- kommen, besondere Eigenschaften nachweisen, die für die grundsätzliche Rolle, aber auch therapeutische Einsetzbarkeit des Vagusnervs von großer Bedeutung sind. So bil- den sich innerhalb der Zellen nanoskopische Schichten von hexagonal angeordneten Wassermolekülen mit der chemischen Formel H3O2, welche als Ausschlusszone (exclu- sion zone) bezeichnet werden. Diese Bereiche sind reich an Elektronen, während Proto- nen von der hydrophilen Oberfläche weg und aus der anschließenden Exclusion Zone verdrängt werden. (Pollack, Figueroa, & Zhao, 2009)

Die Anwesenheit von freien Elektronen in der Exclusion Zone macht diese zu einem Elektronendonator, so dass diese Zone zu einem reduzierenden Bereich wird. Das Was- ser im Körper besitzt somit eine je nach Ausmaß der Exclusion Zone mehr oder minder große negative Ladung, wobei der Aufbau dieser Exclusion Zone durch Photonen des Lichts verursacht wird. (siehe Abb. 6) Licht aus dem Bereich der infrarotnahen Strahlung baut die Exclusion Zone auf, während Licht aus dem UV-Bereich die Exclusion Zone noch einmal deutlich vergrößern kann. (Chen, Chung, Hsu, Wu, & Chin, 2012; Zheng, Wexler, & Pollack, 2009)

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Abb. 6: Ausbildung einer Exclusion zone unter Lichteinfluss; dunkel: hydrophile Oberfläche (Naf- ion), EZ- Exclusion zone, rechts: nach einigen Minuten Lichtexposition, (Pollack, 2013)

Die Strahlungsenergie des natürlichen Lichts der Sonne verändert somit einerseits die Wasserstruktur und trennt andererseits Ladungen. Das Wasser in Zellen und biologi- schen Systemen ist dabei eher viskos als flüssig und Zellen können somit als Flüssigkris- talle verstanden werden. (Chai, Yoo, & Pollack, 2009; Ho, 2015; Sommer et al., 2015)

Diese Eigenschaften spielen eine besondere Rolle bei der Funktion der mitochondrialen

ATPase und der damit verbundenen vagalen Kontrolle.

So wurde in früheren Arbeiten für die ATP-Synthase, dem kleinsten bekannten Rotormo- tor in der Natur, eine hunderprozentige Effizienz angenommen. Dies ist insofern sehr erstaunlich, da wir bis dato keinen Motor kennen, der nicht auf Grund von Reibung an Effizienz verliert. Dementsprechend konnte auf Grundlage der neuesten Entdeckungen zur Qualität des inter- und intraazellulären Wassers nachgewiesen werden, dass auch hier Reibungseffekte zu beobachten sind. Als Reaktion auf entzündliche Vorgänge wer- den dort nämlich mehr freie Radikale (ROS) gebildet, so dass es auf Grund der höheren Viskosität durch eine geringere Elektronendichte des intramitochondrialen Zellwassers zu erhöhter Reibung und damit zu einer Verlangsamung des Spins der ATPase kommt. Dies wiederum führt zu einer Abnahme der ATP-Synthese. Infrarotnahes Licht (670 nm) kann dabei die ATP-Produktion erhöhen, indem die Exclusion Zone vergrößert wird und mehr Elektronen an der intramitochondrialen Membran die Viskosität verringern. Dadurch er- höht sich erneut der Spin der ATP-Synthase und folglich auch die ATP-Produktion. (Born, Kim, Ebbinghaus, Gruebele, & Havenith, 2009; Kim, Born, Havenith, & Gruebele, 2008; Zheng, Chin, Khijniak, Khijniak, & Pollack, 2006). In der Untereinheit c der ATPase wurde hexagonales Wasser, wie es für Wasser der Exclusion Zone typisch ist, nachgewiesen. (McGeoch & McGeoch, 2008)

Eine gute vagale Kontrolle bedeutet also nicht nur, hohe Noradrenalinspiegel bewältigen zu können, sondern der Vagus sorgt vor allem auch für einen passenden pH-Wert (d.h. freie Elektronen), um die Ausbildung großer Ausschlusszonen (exclusion zones) inner- halb des Zellwassers, genauer unter der Oberfläche der Zellen, die er versorgt, zu er- möglichen. Dies soll sicherstellen, dass sich die lokale mitochondriale ATPase so schnell wie möglich drehen kann, um genügend ATP zu produzieren. Das infrarotnahe Rotlicht, welches die Ausschlusszone (EZ) des intramitochondrialen Zellwassers ausbildet, ermög- licht dabei eine möglichst reibungsfreie Rotation der ATPase und sorgt somit für eine effiziente ATP-Produktion. (Sommer, Haddad, & Fecht, 2015). Dieselbe Rotlicht- Frequenz (633-670 nm) verbessert damit jedoch nicht nur die mitochondriale Funktion, sondern kann gleichzeitig auch die vagale Kontrolle verbessern (siehe auch: Optische Stimulation des RANV in der Concha3.2.2.2. als eine Möglickeit der Vagusnervstimulati-on), welche ihrerseits für die Abwesenheit bzw. Beseitigung von Inflammationen, einen ausgeglichenen pH-Wert sowie eine gute lokale ATP-Produktion sorgt.

2.2.3 Umweltsignale und Vagusfunktion

Natürliche Lichtverhältnisse sind der zentrale Signalgeber für unser System und der wich- tigste epigenetische Faktor. Chronische Abkopplung von natürlichen Lichtrhythmen und damit eine Veränderung der physiologischen Signalgebung im Gehirn führt zur Ver- schlechterung der Vagusregulation und zu Folgeerkrankungen.

Aufgenommene Nahrung ist dabei ebenfalls ein Signal aus der Umwelt. Die vagalen Affe- renzen reagieren hierbei auf Botenstoffe, die im Darm durch Nährstoffe und Mikrobiota stimuliert und freigesetzt werden und senden diese Signale ans Gehirn. Zentral werden die Signale aus dem Darm zusammen mit den Signalen des Lichtes verarbeitet, um den Organismus jederzeit über den Energiehaushalt zu verschiedenen Lichtzyklen im Lauf der Jahreszeiten zu informieren. Dies erfolgt letztlich über die Erfassung der Elektronen- dichte im Liquor cerebrospinalis. Durch unterschiedliche Dichte kommt es dabei zum Aufbau unterschiedlich großer „Exclusion zones“ innerhalb des Liquors, welche aufgrund des zentralen Ursprungs des Vagusnervs zu einer Beeinflussung der vagalen Efferenzen führen.

2. 2. 3. 1 Licht – digitale Signale des Tag-Nacht-Rhythmus

Epigenetische Faktoren spielen für die Vagusfunktion eine viel wichtigere Rolle als gene- tische Einflüsse. Am wichtigsten ist in diesem Zusammenhang das natürliche Licht. Als Spezies sind wir unter dem Sonnenlicht zu dem geworden, was wir heute sind, und unse- re Körper haben sich entsprechend entwickelt und angepasst, um Licht zu nutzen. Pho- tonen (Lichtquanten) sind die Bausteine der elektromagnetischen Strahlung und treten immer dann in Erscheinung, wenn Materie ihren Energiezustand ändert. (Zitat: Alexander Wunsch, Lichtbiologie) Dies geschieht auch im Rahmen des Stoffwechsels bei Ein- und Vielzellern. Licht wird dabei von lebender Materie jedoch nicht nur aufgenommen, son- dern auch abgegeben.

Photochemische Reaktionen

Ein Photon ist ein Partikel ohne Ladung, welches spontan nicht zerfällt. Photonen trans- portieren dadurch in Abhängigkeit von ihrer Wellenlänge und Frequenz Energie. Ein Pho- ton besitzt auch einen Impuls. Mit diesen Eigenschaften kann ein Photon, wenn es mit einem Molekül kollidiert, unter passenden Voraussetzungen eine strukturelle Verände- rung bewirken. Ein Molekül absorbiert üblicherweise das Photon, übernimmt dessen Energie und gerät dadurch in einen energetisch angeregten Zustand. In diesem neuen Energiezustand kann sich die Molekularstruktur und die Verteilung der Elektronen verän- dern. Die photochemische Anregung erfolgt bei geringeren Energien auch durch Hitze. Für ein lichtabsorbierendes Molekül muss die Wellenlänge der Strahlung auf eine Ab- sorptionsbande treffen. Dabei zeigt das Molekül eine Energietransformation, die der Ba- sisgleichung der Quantenmechanik entspricht: ∆E=hc/l.

Das Molekül erhält ∆E an Energie, wobei ∆E den Energieaustausch angibt, c die Lichtge- schwindigkeit ist, l die Wellenlänge und h das Planck'sche Wirkungsquantum. Entspre- chend dieser Formel besitzen der UV- und Gamma-Bereich höhere Energien. Eine pho- tochemische Reaktion erfolgt sehr rasch, da sie nur durch Bewegung der Elektronen bedingt ist. Ein Lichtabsorptionsprozess der 10 bis 15 Sekunden dauert, kann eine neue Elektronenkonfiguration bedingen, während die atomare Struktur die das Molekül formt, unverändert bleibt. (Tarlacı, 2011)

Signalentstehung in der Retina

Sehen ist das beste Beispiel eines photochemischen Prozesses. Die Netzhaut (Retina), welche an der Hinterwand des Auges anliegt, ist ein vorgeschobener Teil des Gehirns. Sie ist 0,55mm dick und bedeckt 72% der Innenseite der Retina. Sie besteht aus 125 Millionen lichtsensitiver Zellen, die übereinanderliegend angeordnet sind, sowie einem Pigmentepithel. Beim Seh- und Signalprozess dringt Licht durch die Schichten der Gang- lien- und Horizontalzellen bis hin zu den lichtsensitiven Zellen in der tiefsten Schicht. Hier erfolgt die erste Verarbeitung des Lichts durch 2 Gruppen von Photorezeptoren –den Stäbchen und Zapfen. Diese gleichen einander prinzipiell: Die Struktur der chemischen Substanzen in den Photorezeptoren ändert sich unter dem Einfluss der Photonen (Isome- risation) und die Energie der Photone wird in elektrische Energie umgewandelt. Die Fortsätze der photosensitiven Zellen bilden den Nervus opticus, der die Signale in die entsprechenden Hirnareale des Sehens überträgt. Die Empfindlichkeit des Auges ist da- bei enorm – es registriert sogar einzelne Lichtteilchen. (Tinsley et al., 2016) Ein Teil der Photonenenergie, die auf die Netzhaut trifft, erreicht über den Nervus opticus die Sehzen- tren des Gehirns. Andere Photonen, vor allem die aus dem UV- und Infrarotbereich, spie- len für den Sehvorgang keine Rolle, besitzen aber wichtige Signalwirkung.

Die Photonen des elektromagnetischen Spektrums der Sonne treffen im Auge auf die Retina und über den Tractus retinothalamicus gelangen die Signale zum Nucleus supra- chiasmaticus (SCN) des Hypothalamus. Dieser stellt quasi die zentrale Uhr unseres Kör- pers dar, die alle anderen Uhren der Organe und Gene steuert. Das Kerngebiet des SCN liegt mit rund 20.000 Schrittmacherzellen liegt oberhalb des Nervus opticus in einer Zisterne des Liquor cerebrospinalis und wird von diesem umspült. (Herzog & Schwartz, 2002; Vigh et al., 2004). Das Auge ist somit nicht nur Kamera, sondern gleichsam auch Uhr. Das photonen-absorbierende Molekül, das für diese Steuerungstätigkeit zuständig ist, heißt Rhodopsin. Eine geringe Konformationsänderung des Opsins initiiert hier bereits die Signalentstehung. (Castro, Angus, & Rosengart, 2011; Tarlacı, 2011)

Melatonin und Dopamin spielen in der Physiologie der Retina ebenfalls eine wichtige, jedoch entgegengesetzte Rolle. Dopaminbildung ist ein hormonelles Signal für Licht, während Melatonin als zentrales Hormon der Nacht Anpassungen an die Dunkelheit er- möglicht. Sowohl die Bildung und Freisetzung von Dopamin als auch Melatonin stehen unter zirkadianer Kontrolle, wobei Melatonin während der Dunkelheit und Dopamin wäh- rend des Tages freigesetzt wird. Melatonin und Dopamin inhibieren sich gegenseitig, wobei die melatoninsynthetisierenden Photorezeptoren und die dopaminsezernierenden inneren Retinaneuronen eine zelluläre „Feedback“-Schleife bilden, die die retinale zirka- diane Rhythmik steuern. Auf diese Art und Weise ist das zentrale „digitale“ zirkadiane System des Pigmentepithels der Retina (RPE) im Auge mit dem Nucleus suprachiasmati- cus (SCN) verbunden.

Nicht alle Lichtfrequenzen sind jedoch im Verlauf eines Tages oder zu jeder Jahreszeit vorhanden, sie erfüllen jedoch wichtige biologische Funktionen innerhalb des zirkadianen und saisonalen Rhythmus des Körpers. Die Wellenlängen mit der größten biologischen Bedeutung sind der UV-Bereich und das infrarotnahe Rotlicht.

Verarbeitung der Lichtsignale und vagale Kontrolle

Unterschiedliche Lichtfrequenzen werden als „die“ digitalen Signale des Tag-Nacht- Rhythmus über das Pigmentepithel der Retina und den Tractus retinothalamicus nicht nur zum Nucleus suprachiasmaticus (SCN), sondern auch zur Eminentia mediana übertra- gen, wodurch die Hormonabgabe der Hypophyse gesteuert wird. Daher sind das zuneh- mende Licht des Morgens mit dem Auftauchen des UVA-Anteils im Tageslicht (290-415 nm) und das abnehmende Licht der Abenddämmerung mit dem Wegfall des Blauan- teils (400- 490 nm) auch wichtige Rückkoppelungssignale für die vagale Kontrolle. (siehe Abb. 7).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 7: Zirkadiane Unterschiede des rMSSD, eines Parameters der Vagusfunktion. (Marc N Jarczok, 2015)

Eine Störung des Tag-Nacht-Rhythmus beinflusst damit Gesundheit und Leistungsfähig- keit in hohem Maße. Die vagale Kontrolle geht durch eine solche rascher als dem natürli- chen Altersgang entsprechend verloren, das kardiovaskuläre Risiko steigt durch Zunah- me der Entzündungstendenz. (Grimaldi, Carter, Van Cauter, & Leproult, 2016; Morris, Purvis, Hu, & Scheer, 2016)

Diese Zusammenhänge sind für die heutige Medizin umso wichtiger, als sich unsere Umwelt in den letzten 15 Jahren hinsichtlich der Lichtintensität und Wellenlängen stark verändert hat: UV- und Infrarotanteile als natürliche Signalgeber sind in den modernen künstlichen Lichtquellen nicht vorhanden. Glühbirnen wurden sogar wegen des Infra- rotanteils in der EU verboten. Das ausgestrahlte Lichtspektrum der künstlichen Beleuch- tung hat somit nichts mehr mit dem natürlichen Licht zu tun, unter welchem sich der Mensch entwickelt hat. Was ursprünglich als ökonomisch besonders vorteilhaft gedacht war, hat sich schließlich als desaströs für Gesundheit und Leistungsfähigkeit erwiesen. Vor allem blaues Licht am Abend (400- 490nm), welches in der Natur nicht vorkommt, hat sich als sehr nachteilig für die vagale Kontrolle erwiesen. (Cho et al., 2015; De Bock, Jarczok, Hoffmann, & Buchhorn, 2013; Smolensky, Sackett-Lundeen, & Portaluppi, 2015; Stevens & Zhu, 2015; Yuda, Ogasawara, Yoshida, & Hayano, 2016) Eine entsprechende Erhöhung inflammatorischer Prozesse und Beschleunigung der Alterungsprozesse durch Veränderung der natürlichen Signalgebung ist in den letzten 15 Jahren zu einem Problem geworden, das alle Alterstufen betrifft was für die Frequenz bestimmter Erkrankungen zu berücksichtigen sein wird.

2. 2. 3. 2 Nahrung – analoge Signale der Umwelt

Bei der Nahrungsaufnahme wird schließlich die größte Portion der Energie jedes Nah- rungsmoleküls im Rahmen des Abbaus freigesetzt. In diesem letzten Schritt transferieren NADH und FADH2 die Elektronen, die sie im Rahmen der Oxidation anderer Moleküle gewonnen haben, an die Elektronentransportkette in der inneren Membran der Mito- chondrien. (Alberts B, 2002)

Fett liefert mehr Elektronen als Protein, aber Protein ist stärker thermogen – es führt zur Freisetzung von infrarotem Licht aus Mitochondrien. (Fels, 2009; Poyton & Ball, 2011; Rahnama et al., 2011) Protein ist damit auch energieeffizienter, da der Prozess der Ubiquitinierung (=Abbau und Neuaufbau) bei Protein weniger energieaufwendig ist, wenn Autophagie (=Recycling) nicht mehr stattfinden kann.

Im quasi „analogen“ System des Darms wird aber über die Art der aufgenommenen Nah- rungsmittel nicht nur Energie gewonnen, sondern auch photoelektrische Informationen über die saisonale Versorgungslage in der Umwelt an das Gehirn weitergegeben. Aufge- nommene Nahrung transportiert damit also auch immer über Vagusafferenzen Signale aus der Umwelt an das Gehirn. So bewirkt etwa die orale Aufnahme von Nahrung wäh- rend der Passage des Magendarmtraktes eine mechanische und chemische Stimulation des Magens und Darms sowie eine Ausschüttung regulatorisch wirkender Botenstoffe.

Das erste Signalmolekül aus dem Darm, welches erforscht wurde, war Cholecystokinin (CCK). Wenn CCK an CCK-A Rezeptoren bindet, wird die Nahrungsaufnahme gehemmt. Cholecystokinin aktiviert hierfür direkt Afferenzen des Nervus vagus und diese Signale werden, wie die der anderen Botenstoffe ebenfalls, vorerst über das Ganglion inferius zum Nucleus tractus solitarii übertragen (s. Abb. 8).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 8 : Der Vagusnerv ist ein zentraler Vermittler der bidirektionalen Kommunikation zwischen Gehirn und Darm (Pavlov & Tracey, 2012) In diesem Schema finden die Rolle der Microbiota und die antiinflammatorischen Aufgaben des Vagus keine Berücksichtigung.

Im Nucleus tractus solitarii (NTS) werden die Informationen aus dem gesamten Gastroin- testinaltrakt mit den Signalen aus dem Hypothalamus verbunden. Der Nucleus tractus solitarii erhält dazu sowohl Informationen aus der Area postrema (AP) als auch über di- rekte vagale Afferenzen. (Hay & Bishop, 1991) Darüber hinaus weist der NTS selbst wechselseitige neuronale Verbindungen zum Nucleus paraventricularis (PVN) und dem Nukleus arcuatus (ARC) auf (siehe Abb. 4 ). Im Kerngebiet des ARC werden die im Blut zirkulierenden Signalmoleküle Leptin und Insulin in eine neuronale Antwort umgewandelt. (Schwartz, Woods, Porte, Seeley, & Baskin, 2000).

Die Area postrema und die Eminentia mediana besitzen keine Blut-Hirn-Schranke, sie zählen zu den zirkumventrikulären Organen. Die Elektronendichte des Liquor cerebrospi- anis entspricht hier genau den lokalen Umgebungsbedingungen. Der Liquor besteht, wie erwähnt, zu 99,9% aus Wasser und er umspült nicht nur die zirkumventrikulären Organe, sondern auch den Nucleus suprachiasmaticus (SCN). Dies ist in besonderem Maße für die Entzündungsregulierung wichtig, denn im Fall systemischer Entzündungen befinden sich Zytokine und/oder Toxine im Blut. Diese Information gelangt dann über die zirkum- ventrikulären Organe an der Area postrema ins Gehirn. Da hier auch die autonomen Mo- torneurone des Hirnstammes aktiviert werden, welche Efferenzen zur Milz aktivieren, kann man davon ausgehen, dass systemische Entzündungen mit zirkulierenden Zytoki- nen vom Gehirn wahrgenommen und zur Aktivierung des cholinergen antiinflammatori- schen Reflexes führen. Auch dies wird im Rahmen der Überbrückungstherapie mittels Vagusnervstimulation zur Verbesserung der Inflammationskontrolle zu bedenken sein. (Bray, 2000; Campos, Shiina, & Ritter, 2014; Carabotti, Scirocco, Maselli, & Severi, 2015; Forsythe, Bienenstock, & Kunze, 2014; Matteoli & Boeckxstaens, 2013; Moran, Baldes- sarini, Salorio, Lowery, & Schwartz, 1997; Rogers et al., 2016; Ueno & Nakazato, 2016; Zhou & Foster, 2015)

2. 2. 3. 3 Natürliche Stimulation von Vagusafferenzen

Prinzipiell findet eine Verbesserung der vagalen Kontrolle nicht nur über eine Stimulation durch die natürliche Signalgebung in Form des Lichtes statt, sondern sie ist überall dort möglich, wo sich Vagusafferenzen befinden. Dabei ist es irrelevant, ob die Anregung nun über Bewegung, Atmung oder Ernährung oder aber zentral wirksame Therapien, wie in Abbildung 9 aufgeführt, erfolgt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 9 : Beispiele für nicht-elektrische Vagusnervstimulation (Bruno Bonaz, Valérie Sinniger, & Sonia Pellissier, 2016)

2.2.4 Entzündungshemmung durch vagale Kontrolle

Die Entzündungshemmung ist eine der bedeutensten Aufgabe des Vagusnervs in Rah- men des Prinzips der Inhibition. Die Kontrolle von Entzündungen wird generell über 2

Mechanismen gewährleistet: selbstkontrollierende lokale Immunreaktionen und die Im- munregulation durch das Gehirn, welche durch das autonome Nervensystem vermittelt wird. Der Vagusnerv reguliert dabei Entzündungen über:

-Suppression der Zytokinproduktion durch Makrophagen.
-Regulation der Adhäsionsmoleküle an inflammatorischen Zellen.
- Spezifische CD4+ T-Lymphocyten, die Cholinacetyltransferase (ChAT) exprimieren (ChAT+T Zellen) und Nervensignale übertragen können, so dass sie cholinerge Informa- tion auch in Geweben verbreiten könnten, die keine direkte Innervation besitzen.

Sowohl bei lokaler als auch systemischer Entzündung kann durch elektrische Stimulation des Vagusnervs oder Gabe von α7-nAChR-selektiven Agonisten eine Unterdrückung der Entzündungsreaktion erreicht werden. Die Milz ist der zentrale Bildungsort von TNF- alpha. Dadurch wirkt sich vor allem hier der hemmende Effekt der Vagusnervstimulation (VNS) aus. Der antientzündliche Effekt der VNS ist aber auch vom Vorhandensein No- radrenalin-hältiger Nervenendigungen in der Milz abhängig. Es gibt keine direkte synapti- sche Verbindung zwischen Vagusnerv und Milz über die sympathischen Fasern des Ple- xus lienalis, da VNS in diesen keine messbaren Aktionspotenziale verursacht. Die Ace- tylcholin (ACh)-synthetisierende T-Lymphozyten in der Milz stellen daher die nicht- neurale Verbindung zwischen Vagus und Milz dar. Alpha-7-nikotinische Acetylcholinre- zeptoren sind ebenfalls essentiell. Sie finden sich an den sympathischen Nervenenden im Bereich der Milz. Der cholinerge antiinflammatorische Reflex wurde im Tierversuch durch Vagotomie, Denervierung der Milz oder Splenektomie aufgehoben. (Martelli, McKinley, & McAllen, 2014)

Entzündungen sind eine lokale, durchaus schützende Antwort der unspezifischen Abwehr zum Beispiel auf ein Eindringen von Pathogenen und lösen weitere spezifische Immun- reaktionen aus. Die Mechanismen der entzündungsfördernden und -hemmenden Pro- zesse unterliegen grundsätzlich einer präzisen Regulation. Die Regulation von Entzün- dung und Entzündungshemmung ist eine wichtige Grundvoraussetzung für Gesundheit und Homöostase. Im Rahmen von Erkrankungen ist dieses heikle Gleichgewicht jedoch oft gestört.

Eine akute Entzündung ist ein rascher und normalerweise selbstlimitierender Prozess, der Minuten bis hin zu Tagen dauern kann. Er umfasst Veränderungen der Durchblutung, lokale Botenstoffe (Zytokine, NO, Prostaglandine, Histamin usw.) werden in einem streng regulierten Ablauf gebildet, Immunzellen migrieren in den und aus dem betroffenen Be- reich, um Erreger zu zerstören, geschädigtes Gewebe zu reparieren und gleichzeitig auch eine spezifische und langfristige Immunantwort gegen diese Erreger anzustoßen. Im Gegensatz dazu ist die neuronale Signalgebung eine besonders kurzfristige Kontrolle.

Wenn die entstehende Gewebsschädigung ausgeprägt ist, äußert sie sich klinisch als Schwellung, Rötung, Schmerz und Erwärmung. Jedoch nicht immer kommt es zu einer kompletten Restitutio ad integrum und die meisten chronischen Erkrankungen sind mit einer vor sich hinschwelenden, subklinischen Minimalentzündung verbunden.

Auf molekuarer Ebene kann eine akute Entzündung einen Mangel an Elektronen oder einen Überschuss an Protonen bedeuten. Eine chronische Entzündung weist meist bei- des – zu wenig Elektronen und zu viel Protonen – auf. Der Protonengradient gibt unter- schiedliche Protonen-, genauer gesagt hydratisierte H+-Ionen-Konzentrationen an. Da die H+-Konzentration als pH-Wert definiert ist, werden die Begriffe Protonengradient und pH-Gradient synonym verwendet. Je niedriger der pH-Wert umso geringer ist die Aus- schlusszone des Zellwassers ausgeprägt. Letzteres begünstigt den Verlust der mito- chondrialen Funktion durch abnehmende ATP-Produktion. Dies spiegelt sich in der vaga- len Kontrolle wieder.

2. 2. 4. 1 Entzündungsätiologie

Im Fall einer bakteriellen Infektion dienen Moleküle der Pathogene als Signale, die dem Immunsystem durch Makrophagen, Monozyten und dendritische Zellen präsentiert wer- den (s. Abb. 10). Diese Pathogen-assoziierten molekularen Muster (PAMPs) aktivieren Toll-like Rezeptoren (TLR) und führen zu einer erhöhten Expression von NF-kappa-B und inflammatorischen Zytokinen wie Tumornekrosefaktor alpha (TNF-alpha) und Interleukin 6 (IL-6). Im Rahmen von sterilen Entzündungsreaktionen, wie sie vielen Autoimmuner-krankungen zugrunde liegen, werden aus geschädigten Zellen Moleküle freigesetzt, die als DAMPs bezeichnet werden. DAMPs bedeutet Damage-associated molecular pat- terns. Es handelt sich dabei um Moleküle, die eine inflammatorische Antwort auslösen und aufrechterhalten können. Protein-DAMPS sind zum Beispiel heat-shock proteins, HMGB1 (High-Mobility Group Box 1) und Proteine der extrazellulären Matrix. Aber auch ATP, Harnsäure und DNA außerhalb des Kerns wirken als nicht-Protein-DAMPs. Beiden Gruppen, PAMPS und DAMPS, ist gemein, dass sie Makrophagen, sogenannte Fresszel- len aktivieren..( Eller-Berndl, Die Entzündungsreaktion und der Einfluss des autonomen Nervensystems, 2015 (Hausarbeit) (Andersson & Tracey, 2012; Sundman & Olofsson, 2014a)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 10 : Inflammation ist ein Schlüsselprozess in unserer Abwehr von Pathogenen und in der Wundheilung. Durch Gewebsschädigung entstehende Moleküle (DAMPs und PAMPs) werden durch pattern recognition Rezeptoren (PRRs) erkannt und führen zu einer Akti- vierung des unspezifischen Immunsystems, der Makrophagen. Diese erste Reaktion setzt eine ganze Kaskade von weiteren Reaktionen in Gang, um letztlich wieder gesun- de Verhältnisse herzustellen. PRRs beeinhalten die Gruppen der membrangebundenen Toll-like Rezeptoren (TLRs) und die nucleotide-binding oligomerization domain- Rezeptoren (NLRs). (Sundman & Olofsson, 2014b)

Während Makrophagen durch ihre Fähigkeit zur Phagozytose und Antigenpräsentation die zelluläre Komponente des angeborenen Immunsystems darstellen, ist die Autophagie der intrazelluläre Mechanismus zum Abbau zelleigener Bestandteile. Sie ist ein lysosomaler Abbau- und Recyclingvorgang, eine Überlebensstrategie bei Umwelt- und Zellstress, der ausschließlich nachts abläuft und eine Strategie der Zellen darstellt, um Energie zu sparen. Dabei wird sequestriertes Material vom restlichen Zytoplasma getrennt und kann dann abgebaut werden. Dies gilt neben zelleigenen Bestandteilen auch für virale und bakterielle Antigene. Autophagie lässt sich bis auf den letzten gemeinsamen Vorfahren der Eukaryo- ten zurückführen und stellt somit auch eine der frühesten Abwehrstrategien der Eukaryoten dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 11 : Im Rahmen der Entzündungsreaktion, in der Zytokine wie TNF-alpha, IL-1, IL-6 und High-Mobility-Group-Protein B1 (HMGB1) freigesetzt werden, wird im ZNS auch Krank- heitsverhalten, das sogenannte “sickness behaviour” ausgelöst. Quelle: (Kevin J. Tracey, 2010)

2. 2. 4. 2 Systemische Entzündungen

Ein vorerst lokaler Prozess im Sinne einer „silent inflammation“ kann sich, vermittelt durch das Zentralnervensystem, zu einem systemischen Prozess mit Ausschüttung von Akut- phaseproteinen und Symptomen wie Fieber, Müdigkeit und Anorexie ausweiten. Zytokine können Krankheitsverhalten (sickness behaviour) peripher aktivieren, ohne die Blut-Hirn- Schranke zu überschreiten. Vor allem Interleukin1 (IL-1 beta) kann Fieberanstieg über die Aktivierung sensorischer Neurone des Nervus Vagus bewirken (siehe Abb. 11).( Eller-Berndl, Die Entzündungsreaktion und der Einfluss des autonomen Nervensystems, 2015 (Hausarbeit) (Dinarello, 2015; M. K. Hansen, O'Connor, Goehler, Watkins, & Maier, 2001)

2. 2. 4. 3 Regulation der Entzündungsreaktion

Im Rahmen der Regulation ist ein gewisser Aktionsradius vorgesehen. So gibt es zu je- der Aktivierung auch eine Beendigung durch einen „Bremser“. Da eine ungebremste und unkontrollierte Entzündung und Zytokinproduktion ausgedehnte Gewebeschädigungen, entzündliche Erkrankungen, Schock und möglicherweise Tod verursachen können, ist es wesentlich, dass die Entzündungsantwort eng reguliert und kontrolliert wird.

Lokale Faktoren

Es ist eine Reihe von Kontrollmechanismen vorhanden, die proinflammatorische Vorgän- ge ausbalancieren können, zum Beispiel die Freisetzung inhibitorischer Zytokine oder löslicher Zytokin-Rezeptoren ebenso wie die Aktivierung regulatorischer T-Lymphozyten und Pattern-Recognition Rezeptoren (PRR) wie zum Beispiel der Toll-like Rezeptoren (TLR) und nucleotide-binding oligomerization domain (NOD) Rezeptoren. Bei Letzteren handelt es sich um eine erst kürzlich gefundene Gruppe von Proteinen, die intrazelluläre Pathogen-assoziierte molekulare Muster (PAMPs) erkennen und als Konsequenz den Transkriptionsfaktor NF-κ B aktivieren können. Rezeptoren für Zytokine und Prostaglan- dine werden auch durch sensorische Neurone exprimiert. (Chiu, von Hehn, & Woolf, 2012; Pavlov & Tracey, 2017).( Eller-Berndl, Die Entzündungsreaktion und der Einfluss des autonomen Nervensystems, 2015 (Hausarbeit)

Neuronale Regulation

Insgesamt bieten sensorische Nerven dem Gehirn die molekulare Grundlage, um Infor- mationen über eine lokale Entzündung in der Peripherie zu erhalten. Tatsächlich können sie unabhängig von einer Aktivierung des Immunsystems auf das Vorhandensein von mikrobiellen Stoffwechselprodukten reagieren. Da sensorische Nerven ein dichtes Netz- werk über der gesamten Körperoberfläche bilden, stellt dies die anatomische Vorausset- zung für eine präzise Ortung von eindringenden Pathogenen, Gewebsschäden und Ent- zündungen durch das Gehirn dar. Umgekehrt exprimieren eine Reihe von Immunzellen Rezeptoren für Neurotransmitter, einschließlich Dopamin, Acetylcholin (ACh) und Norad- renalin (NA), welche die Aktivität und Differenzierung von Leukozyten regulieren können. Zunehmend zeigt sich, daß ein Großteil der neuronalen Regulation der Immunreaktionen nach klassischen Kriterien eines Reflexes abläuft. Cholinerge und adrenerge Signalge- bung und deren funktionelles Zusammenwirken ermöglichen diese neuroimmunologi- schen Regulationsmechanismen. Auch die lymphoiden Organe des Immunsystems wer- den durch cholinerge, katecholaminerge, dopaminerge und peptiderge Neurone inner- viert. Folglich gibt es ein anatomisches und molekulares System, um das Immunsystem in einer reflektorischen Art und Weise zu überwachen und zu regulieren. (Kox & Pickkers, 2015; Pavlov & Tracey, 2017)

Das Nervensystem kommuniziert durch die direkte Innervation der primären und sekun- dären lymphatischen Organe mit dem Immunsystem. Dies ist nicht, wie früher angenom- men, autark. Wenn man die Literatur durchforstet, zeigt sich, dass alle relevanten Organe des Immunsystems, einschließlich des Thymus, der Milz und der Lymphknoten, durch das autonome Nervensystem direkt innerviert werden. Die Rolle der parasympathischen Versorgung am Thymus ist dabei jedoch noch ungeklärt, obwohl die vagalen Efferenzen für die Reifung der Thymuszellen bedeutsam sein könnten. Vagusnervstimulation verursacht dabei einen vorübergehenden Anstieg der Lymphozyten, die aus dem Thymus freigesetzt werden, ein Effekt, der nach Vagotomie oder nikotinischer Rezeptorblockade ausbleibt. (Antonica, Magni, Mearini, & Paolocci, 1994; Niijima, 1995) Die Milz nimmt dabei eine Schlüsselposition in der neuronalen Regulation der Immunantwort ein, denn die Makropha- gen der Milz sind die hauptsächliche Quelle der Anflutung von TNF-alpha im Serum, die 2 Stunden nach Aktivierung durch Endotoxämie erfolgt. (Mauricio Rosas-Ballina et al., 2008)

Drei Wege der antiinflammatorischen Wirkung des Vagusnervs

Wie bereits erwähnt nimmt der Vagusnerv in der neuronalen Kontrolle mit seinen kom- plexen Fuktionen und dem ausgedehnten Versorgungsgebiet an den Schnittstellen zur Umwelt mit rund 80% Afferenzen eine Schlüsselposition ein (vgl. Kapitel2.2.1).

Watkins et al. entdeckten bereits 1995, dass sensorische Neuronen die Anwesenheit von Entzündung im Gewebe feststellen können. Diese Reaktion auf IL-1 bedingte Inflammati- on wird durch den Nervus Vagus vermittelt und kann durch Vagotomie oder einen selek- tiven Antagonisten am IL-1 Rezeptor aufgehoben werden. (Watkins et al., 1995) Der Vagusnerv nimmt Entzündungen in seinem Versorgungsgebiet wahr und schränkt diese im Rahmen des von Tracey erstmals beschriebenen cholinergen antiinflammatorischen Reflexes (CAP) ein. Dies erfolgt einerseits durch Beeinflussung der Hypothalamus- Hypophysen-Nebennierenachse (vgl. Kapitel 2,2,2) andererseits durch autonome Regu- lationsmechanismen, die immunologische Organe steuern. (K. J. Tracey, 2009)

Der Vagusnerv kann somit Entzündungen auf drei Arten hemmen (siehe Abb 12) (Bruno

Bonaz, Valérie Sinniger, & Sonia Pellissier, 2016):

- Vagusafferenzen stimulieren die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren- Achse, wodurch Cortisol aus der Nebenniere freigesetzt wird.
- Der cholinerge antiinflammatorische Reflex wird durch vagale Efferenzen vermit- telt, die Synapsen zu Neuronen des Plexus myentericus besitzen und Acetylcho- lin (ACh) abgeben, welches an α-7-nikotinische ACh-Rezeptoren von Makropha- gen bindet, um die Freisetzung von TNF-alpha zu verhindern.
- Auf einem dritten Weg beeinflusst der Vagusnerv efferent die sympathischen Fa- sern des Plexus lienalis (splenicus). Wie genau diese Beeinflussung allerdings vonstattengeht, ist immer noch Gegenstand der Diskussion. Der Nervus vagus hat anatomisch keine direkte Verbindung zur Milz. Er zieht zum Ganglion coelia- cum, wo sich die Nervenzellkörper der adrenergen Fasern des Plexus lienalis be- finden. Möglicherweise laufen auch Sympathikusfasern im Nervus vagus mit, dies wurde jedenfalls im Halsbereich nachgewiesen (Verlinden, Rijkers, Hoogland, & Herrler, 2016). Noradrenalin wird an den distalen Enden der Rami lienales freigesetzt und bindet an beta2-adrenerge Rezeptoren der CD4 T- Lymphozyten der Milz, die ACh freisetzen. ACh verhindert über α-7-nikotinische ACh-Rezeptoren die Freisetzung von TNF-alpha aus Milzmakrophagen. (Bruno Bonaz, Valérie Sinniger, & Sonia Pellissier, 2016)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 12: Drei Wege der antiinflammatorischen Wirkung des Vagusnervs und potenzielle Intervention durch invasive VNS. (B. Bonaz, V. Sinniger, & S. Pellissier, 2016)

„ Mikrobiota-Darm-Vagus-Gehirn Achse“

Vor allem der Magen-Darm-Trakt wird dicht afferent und efferent durch den Vagus ver- sorgt und spielt damit für Nahrungsaufnahme, Verdauung und Darmbarriere eine wichtige Rolle. Zusätzlich übernimmt er immunmodulatorische Eigenschaften. Inzwischen gibt es zunehmend Studien, die zeigen, dass Mikrobiota und entzündliche Zustände in unserem Darm auf diesem Weg offensichtlich unser Gehirn und unsere Stimmung beeinflussen. Ein Beispiel dafür ist die anxiolytische und antidepressive Wirkung von Lactobacillus rhamnosus. (Montiel-Castro, Gonzalez-Cervantes, Bravo-Ruiseco, & Pacheco-Lopez, 2013; Perez-Burgos et al., 2013; Powley, 2000; Powley, Spaulding, & Haglof, 2011; Sta- kenborg, 2013;(Carabotti, Scirocco, Maselli, & Severi, 2015)

„ Pulmonaler parasympathischer inflammatorischer Reflex“

Ein interessantes Arbeitsmodell ist der "Pulmonary Parasympathetic Inflammatory Reflex“ in Anlehnung an den cholinergen antiinflammorischen Reflex. Dabei beginnt der afferente Pfad in den terminalen Bronchioli oder Alveolen, wo zahlreiche Rezeptoren sitzen. Auch die neuroendokrinen Zellen in der Lunge sind komplexe Sensoren, die vorwiegend von vagalen Afferenzen aus dem Ganglion nodosum versorgt werden. Die afferenten Signale erreichen den Nucleus tractus solitarii im Hirnstamm, wo die Zuordnung und Verarbeitung erfolgt, während der efferente Reflexbogen die distalen Lungenepithelzellen innerviert, wobei nicht klar ist, wie die Alveolen erreicht werden. Die vagalen Nervenenden setzen in jedem Fall Acetylcholin frei, welches die alpha-7-nikotinischen Acetylcholinrezeptoren (α7-nAChR) proinflammatorischer Zellen oder Epithelzellen aktiviert, um die Produktion entzündungsfördernder Zytokine zu modulieren. (Wu, Li, & Su, 2014) (Pinheiro et al.,2015; Yang, Zhao, Gao, & Su, 2014)

Für Erkrankungen mit einer bestehende Dysbalance autonomer und inflammatorischer Reflexe, die entsprechend hohe TNF-alpha Spiegel aufweisen, erscheint die Vagus- nervstimulation (VNS) als ein sinnvoller therapeutischer Ansatz. Ob dabei nun die trans- kutane aurikuläre oder die invasive zervikale Stimulation gewählt wird, ist unerheblich. Der Vagusnerv wirkt sowohl afferent über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren- Achse als auch efferent über den cholinergen antiinflammatorischen Reflex antientzünd- lich.

2.3 Herzratenvariabilität (HRV)

2. 3. 1 Vagusfunktion und Herz-Gehirn-Achse

Wie bereits erwähnt, dominiert die parasympathische Aktivität in Ruhe. Die Eigenfre- quenz der Schrittmacherzellen des Herzens beträgt in der Jugend 107 und mit 50 Jahren rund 90 Schläge pro Minute und wird unter Ruhebedingungen durch eine normale vagale Kontrolle auf 60-70 Schläge pro Minute reduziert. (T. Opthof, 2000) Sympathikuseffekte auf die Herzfrequenz fallen bei guter vagaler Kontrolle erheblich geringer aus als bei schwacher vagaler Aktivität. Außerdem werden vagale Effekte, wenn dies möglich ist, bei starker Sympathikusaktivität zunehmend stärker wirksam. Dies zeigt das Überwiegen des parasympathischen Einflusses auf die Herzfrequenz und wird als akzentuierter Antago- nismus bezeichnet. (Uijtdehaage & Thayer, 2000)

Der Vagusnerv ist auf Grund seiner Myelinisierung nach Stimulation zu einer Drosselung der Herzrate bereits in Millisekunden befähigt, während der Sympathikus erst nach Sekunden eine Beschleunigung der Herzrate verursacht (s. Abb. 13). (Warner & Cox, 1962) Eine Vagusaktivierung führt somit zu einem unmittelbaren Effekt auf die Herzfrequenz, welcher jedoch auch bereits nach 1-2 Herzschlägen endet, so dass Veränderungen der Herzrate von einem Schlag zum nächsten, egal ob nach unten oder nach oben, immer parasympathisch vermittelt sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 13: Stimulation von Vagus- und Sympathikusfasern. Links: Unmittelbare Veränderung der Herzrate nach Stimulation des rechten Nervus vagus bei Frequenzen von 7 und 10 Hz beim Hund. Rechts: Reaktion der Herzfrequenz eines anästhesierten Hundes auf konti- nuierliche Stimulation sympathischer Nerven bei Frequenzen von 20 Hz für 30 Sek. Mod. nach (Warner & Cox, 1962)

Der Vagusnerv versorgt über das intrinsische kardiale Nervensystem rechts den primären Rhythmusgeber Sinusknoten und links den AV-Knoten sowie die atriale Muskulatur. Bo- tenstoff ist hier wiederum Acetylcholin (ACh), welches vorwiegend an M2-muskarinische Rezeptoren bindet, die sich auch diffus im Ventrikel befinden. Die vagale Kontrolle ist somit, im Gegensatz zu früheren Annahmen, imstande, die starke inotrope Antwort auf eine adrenerge Aktivierung zu unterdrücken. Es wird auch von einem intrinsischen Ner- vensystem des Herzens ausgegangen, welches aus sensorisch afferenten Nervenzellen, Interneuronen und motorisch efferent adrenergen und cholinergen Neuronen besteht, welche mit intrathorakalen extrakardialen Ganglien kommunizieren und allesamt unter tonischem Einfluss des autonomen Nervensystems und zirkulierender Katecholaminen stehen. (Ardell et al., 2016; Armour, 2007)

Afferente Neuronen des Herzens beeinflussen die neuronale Aktivität im Nucleus para- ventricularis (PVN) (Affleck, Coote, & Pyner, 2012) und im Nucleus tractus solitarii (NTS) (W. W. Chen et al., 2015). Diese Ansammlung an Neuronen moduliert zahlreiche kardi- ovaskuläre Reflexe wie den arteriellen Baroreflex und den Chemoreflex. (Ardell et al., 2016)

2.3.2 Die dynamische Ordnung der Herzratenvariabilität

Eine gute Variabilität wird traditionellerweise mit Gesundheit und körperlicher Leistungs- fähigkeit in Verbindung gebracht. Obwohl diese Variabilität wie zufällig erscheint, verbirgt sich dahinter eine dynamische Ordnung. Die Existenz biologischer Rhythmen, die noch dazu häufig gekoppelt sind, ist einer der Beweise für Kohärenz in unserem Körper.

Wenn man sich die ungeheure Menge an Molekülen in unserem Körper vorstellt, erhebt sich die Frage, wie die Natur in der Lage ist, all diese Moleküle, die verstreut im Körper für gewisse Prozesse zur selben Zeit koordiniert werden müssen, zu orchestrieren. Um sich diese Aufgabe plastischer vorstellen zu können, sei hier die eindrückliche Metapher von Frau Prof. Mae-Wan Ho zitiert: Es ist, als ob man einen Freund in einem finsteren, riesigen und überfüllten Ballsaal zu suchen versucht! Die Antwort auf diese Frage kann damit definitiv nicht die Biochemie liefern, eine photoelektrische Lösung wäre hingegen möglich. Bei photoelektrischen Reaktionen ist die Zeit nicht relevant, da die Auslösung von Elektronen von der Wellenlänge abhängig ist und ohne zeitliche Verzögerung erfolgt, bei biochemischen Reaktionen jedoch schon.

Die Sonne versorgt uns mit einem elektromagnetischen Spektrum, welches durch die Atmosphäre gefiltert wird. Das Licht, welches unseren Köper erreicht, ist unpolarisiert und polarisiert sich erst durch das Auftreffen auf die Moleküle im Körper. Licht ist Welle und Teilchen zugleich und besteht aus Photonen, den Elementarteilchen des elektromagneti- schen Feldes. Jedes Photon trägt eine der Frequenz proportionale Energie. Elektromag- netische Wellen besitzen so, je nach spezifischer Frequenz, unterschiedliche Energie und auch Periodizität. Getroffene Moleküle resorbieren diese Energie und beginnen zu oszillieren. Dies wird als Resonanzenergietransfer bezeichnet. So kann die erhaltene Information an andere, weit entfernte Partner übermittelt werden und Zeit beziehungs- weise Distanz spielen keine Rolle. Oszillatoren, die in derselben Frequenz schwingen, tendieren zur Synchronisation. Zum Beispiel lässt sich eine synchronisierte elektrische Aktivierung für die Schrittmacherzellen des Herzens sowie das neuronale Netzwerk des zirkadianen Rhythmusgebers im Hypothalamus – dem Nucleus suprachiasmaticus – und die Insulin-sezernierenden Zellen des Pankreas nachweisen. Die Kommunikation zwi- schen der Umwelt und dem Körper sowie innerhalb des Körpers erfolgt somit mittels dy- namischer elektromagnetischer Feldinteraktionen.

Das Herz ist dabei unser größter Oszillator und normalerweise kein „Solist“, sondern agiert „symphonisch“ mit anderen „Spielern“, was sich in der Herzratenvariabilität abbil- det. Diese Kommunikation erfolgt jeweils immer bidirektional. Wenn sie zusammenbricht und die Kohärenz verloren geht, kehrt das Herz zu seinem Eigenrhythmus zurück, im schlimmsten Fall in eine Pulsstarre, die durch einen Herzschlag so regelmäßig wie ein Metronom gekennzeichnet ist. Oder, um es wieder mit den Worten von Frau Prof. Mae- Wan Ho auszudrücken: Dieser Zustand ist vergleichbar mit einer sehr langweiligen Per- son, die ständig dieselben Dinge erzählt, ohne auf irgendjemand anderen zu hören oder zu antworten. (Ho, 2010; Hunt, 2013)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 14: Herzratenvariabilität eines jungen, gesunden (oben) und eines alten, sterbenden Her- zens (unten); Beziehung zwischen Komplexizität und Entropie im Laufe des Lebens. (Sturmberg, Bennett, Picard, & Seely, 2015) (HRV-Aufnahmen: Eller-Berndl)

Wie können wir nun einzelne Frequenzkomponenten aus dem EKG-Signal, die vagalen efferenten Enflüsse entsprechen, welches wir erhalten, ermitteln? Die Basis für die Be- rechnung jeglicher HRV-Messungen ist die Aufzeichnung und Analyse der Sequenzen der zeitlichen Abstände zwischen den R-Zacken des EKGs bei bestehendem Sinus- rhythmus. Diese Abstände werden als inter-beat intervals (IBIs) bezeichnet. Physiologi- sche Verhältnisse am Messort Herz sind grundsätzlich Voraussetzung, um eine Aussage über den Einfluss des Vagusnervs auf die Herzaktion treffen zu können.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 15: IBI (Robert J. Ellis, 2012)

Um genaue Ergebnisse zu erhalten, ist technisch gesehen eine möglichst hohe Abtastra- te erforderlich.

[...]

Ende der Leseprobe aus 172 Seiten

Details

Titel
Transkutane afferente Vagusnervstimulation in der Prävention und dem Management von Erkrankungen mit eingeschränkter vagaler Kontrolle
Hochschule
Dresden International University
Note
1,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
172
Katalognummer
V502302
ISBN (eBook)
9783346045683
ISBN (Buch)
9783346045690
Sprache
Deutsch
Schlagworte
vagusnervstimulation, prävention, vagusnerv, hrv, herzratenvariabilität, transcutane afferente Vagusstimulation, nervus vagus, schmerz, entzündung, vagale kontrolle, vorhofflimmern, splenektomie, inflammation, regeneration
Arbeit zitieren
Doris Eller-Berndl (Autor:in), 2017, Transkutane afferente Vagusnervstimulation in der Prävention und dem Management von Erkrankungen mit eingeschränkter vagaler Kontrolle, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/502302

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