Roma und Sinti in Europa. Diskriminierung und die Herausforderungen der Inklusion


Bachelorarbeit, 2018

93 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Aktuelle Lage der Roma und Sinti in Europa
1.2 Begründung der Forschungsfrage

2. Definition bedeutender Begriffe
2.1 Romanes - Die Sprache der Roma und Sinti
2.2 Roma und Sinti
2.3 Zigeuner
2.4 Ägypter
2.5 Gadje
2.6 Ethnische Minderheit
2.7 Inklusion/ Exklusion
2.8 Marginalisierung

3. Historischer Rückblick
3.1.Der lange Weg aus Indien nach Europa
3.1.1 Die Roma in Rumänien
3.1.2 Die Sinti und Roma in Deutschland
3.1.3 Die Roma in ehemaligen Jugoslawien
3.2 Zahlen und Fakten
3.3 Kultur der Roma und Sinti in Europa
3.3.1 Das Romanes als Bestandsverzeichnis der Roma Kultur
3.3.2 Das musikalische Kulturgut
3.3.3 Roma und Sinti in der Welt der Literatur und der Bühne
3.3.4 Sind Roma und Sinti in Europa sesshaft oder nicht?

4. Antiziganismus in Europa
4.1 Klärung zentraler Begriffe
4.2 Antiromaismus
4.3 „Porajmos“: NS-Völkermord an den Roma und Sinti in Europa
4.3.1 Der Unterschied zwischen Nationalsozialismus und Faschismus
4.3.2 Roma und Sinti im Nationalsozialismus 1938-
4.4 Die „zweite Verfolgung“ der Roma und Sinti in Europa
4.5 Antiromaismus in Kontext des Ressentiments und Affekts

5. Sozialen Arbeit als Instrument zur Inklusion
5.1 Soziale Arbeit als Wissenschaft
5.2 Lebensweltorientierung
5.2.1 Alltagsorientierung der Soziale Arbeit
5.2.2 Struktur- und Handlungsmaximen
5.2.3 Der Alltag als Basis einer Profession
5.2.4 Praxisbezug: 6. Internationale Roma-Frauenkonferenz in Europa
5.3 Empowerment
5.3.1 Amerikanische Bürgerrechtsbewegung in Kontext Sozialer Arbeit
5.3.2 Die Ressourcendiagnostik
5.3.3 Weitere Methoden des Empowerments
5.3.4 Ein Konzept zwischen Selbstbestimmung und Bevormundung
5.3.5 Praxisbezug: „Sieht uns!“ Empowerment gegen Antiromaismus
5.4 Biographiearbeit
5.4.1 Der Begriff der Biographie
5.4.2 Zur Gast in fremden Erinnerungen
5.4.3 Diversität der Methoden der Biographiearbeit
5.4.4. Praxisbezug: Vergangenheit gibt der Zukunft eine neue Aussicht
5.4.4.1 Die Roma-Herkunft nicht verstecken

6. Politisches Mandat der Roma und Sinti in Europa
6.1 Das Erwachen eines nationalen Bewusstseins
6.1.1 EU-Rahmen zur Roma und Sinti Inklusion bis
6.1.2 Abgeschoben in einen sicheren Herkunftsstaat
6.2 Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma in Deutschland
6.2.1 Umsetzung der EU-Rahmen 2011 in Deutschland bis
6.2.2 Roma in Europa - der Kampf für ein würdiges Leben

7. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Abbildungen

Abkürzungen

1. Einleitung

„Für Menschen kann beides zum Tode führen:

die offene Verfolgung und die romantische Idealisierung.“

(Hakel und Eder 1992: 10)

1.1 Aktuelle Lage der Roma und Sinti in Europa

Am 20ten Februar 2018 berichtet die Süddeutsche Zeitung auf ihrem Internetportal über ein „Historisches Ereignis“. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und der Vorsitzende des Landesverbandes für Sinti und Roma, Erich Schnee- berger, unterzeichneten einen Staatsvertrag. In dem fünfseitigen Dokument, das noch vom Landtag förmlich verabschiedet werden muss, verpflichtete sich der Freistaat Bayern, mit jährlich 474 700 Euro für eine bessere Inklusion der Roma und Sinti in der bayerischen Gesellschaft Sorge zu tragen. Die Präambel beinhaltet, dass die eth- nische Minderheit bereits seit 600 Jahren im Bayern lebt und sie aufgrund der Leis- tungen, die für die Gesellschaft des Freistaates geleistet wurden, ein Anrecht auf be- sonderen Schutz vor Diskriminierung und Förderung hat. Der Vertrag soll die Grund- lage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in Gegenwart und Zukunft sein. Die Sprache der Roma und Sinti, das Romanes, soll als höchstes kulturelles Gut ge- schützt und gefördert werden. In den bayerischen Schulen sollen die Schüler mehr über die Geschichte und Verfolgung der Ethnie aufgeklärt werden. Sinti und Roma sollten ihre Herkunft nicht verheimlichen müssen, man erhofft sich hiervon eine bes- sere Integration. Rechtsextreme Werbeschilder, wie das der NPD: „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma“, sollen der Vergangenheit angehören.

Bis zur Unterzeichnung dieses Vertrags war es ein langer politischer Weg. Schon im Jahr 2015 hatten die Landtagsgrünen einen Antrag für eine Erarbeitung eines Staats- vertrags gestellt. Das erste Bundesland, das sich gegen die Stigmatisierung von Roma und Sinti vertraglich verpflichtete, war Baden-Württemberg im Jahr 2013. Im Jahr 2017 kam Hessen dazu. In Rheinland-Pfalz und Bremen bestehen Rahmenver- einbarungen für diese Volksgruppe. Die Basis für diese Verträge ist das europäische Rahmenübereinkommen von 1995 zum Schutz nationaler Minderheiten, dem sich Deutschland 1998 angeschlossen hatte. Seit diesem Zeitpunkt gelten die deutschen Roma und Sinti, vergleichbar mit der dänischen Minderheit, den Friesen und den Sor- ben, offiziell als anerkannte deutsche ethnische Minderheiten. In Schleswig-Holstein hat der Schutz von Minderheiten sogar Verfassungsrang. (Süddeutsche Zeitung 2018)

Am 21. Februar 2018 fand in Berlin die Konferenz „Antiziganismus im Film“ statt. Es ging hauptsächlich um den vom Staat finanzierten und vom SWR produzierten Kin- derfilm „Nellys Abenteuer“, in dem ein deutsches Teenie-Mädchen aus einer Wohl- standsfamilie in Rumänien von kriminellen Roma entführt wird und dann von Roma- Teenies befreit und wieder zu ihrer Familie zurückgebracht wird. Im Film, der in einem Kinderkanal und im SWR ausgestrahlt wurde, werden Roma gezeigt, die in einem unzivilisierten rumänischen Dorf leben. In der daraufhin stattfindenden Debatte zwi- schen dem Zentralrat der Sinti und Roma und dem SWR kam heraus, dass das ei- gentliche Ziel der Produktion des Films war, Vorurteile gegenüber der Ethnie abzu- bauen und nicht beabsichtigt war, bestehende Stereotypen zu bestärken. Bei Work- shops einer initiierten Konferenz in Berlin wurde vorgeschlagen, dass nur noch An- gehörige der Minderheit Filme über Roma und Sinti erstellen sollten. Der Vorsitzende des Zentralrates Romani Rose lehnte dies aber ab und bittet stattdessen um mehr Sensibilisierung im Kontext mit antiziganistischen Strukturen bei der Produktion von Filmen. Er erinnert an einen Dokumentarfilm von Peter Nestler „Zigeuner sein“ (1970), der adäquat an hunderte von Jahren alte Geschichte der Sinti und Roma erinnert. Laut Romani Rose spiegelt ein Film die Weltanschauung der Produzierenden wieder und kann die Zuschauer daher stark subjektiv beeinflussen. Deswegen sollten sich Verantwortliche, die an der Produktion eines Mediengutes beteiligt sind, besser mit dem behandelten Thema auseinandersetzen, um negative Folgen, wie Exklusion, zu vermeiden. (Amadeo-Antonio-Stiftung 2018)

Da ich mich selbst mit dem oben genannten Film auseinandergesetzt habe, behaupte ich, dass das Mediengut sowohl positive als auch negative Diskriminierungselemente beinhaltet, die ich später im Text genauer betrachten werde.

Da sich der oben genannte Film in Rumänien abspielt, werde ich mich im nächsten Abschnitt mit dem realen Status der Roma in Rumänien auseinandersetzen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung1 :http://www.adz.ro/artikel/artikel/ich-bin-ja-kein-rassist-aber-die-zigeuner/ (IRES 2013)

Die oben aufgeführte Grafik zeigt die Ergebnisse einer vom rumänischen Institut für Evaluation und Strategie (IRES) durchgeführten Umfrage (2013), die zeigt, dass in Rumänien ein starkes Stereotyp gegenüber Roma besteht. Die meisten Rumänen, 82% der Befragten, schreiben der Roma negative Charakterzüge zu. In christlich ge- prägten Landstrichen werden schon im Kindesalter Vorurteile gegen Roma vermittelt. Kinder werden mit Aussagen: „Wenn du nicht brav bist, bringe ich dich zu den Zigeu- nern!“ konfrontiert und erzogen. Politiker bauen Mauern um Roma Siedlungen, ähn- lich wie Hitler damals für die Juden im Nationalsozialismus. Alarmierend an der Studie sei, dass nur für 3% der Bevölkerung die Roma „normal“ sind. (Allgemeine Deutsche Zeitung 2014)

1.2 Begründung der Forschungsfrage

Im Laufe meines Studiums der Sozialen Arbeit an der Hochschule Esslingen und der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, habe ich von Dozierenden und Studieren- den oft die Frage „Wer sind überhaupt Roma und Sinti?“ gehört. Als Angehörige der ethnischen Minderheit, die ihre Identität als Romni aus Angst vor Diskriminierung jah- relang verleugnet hat, werde ich mich in der folgenden schriftlichen Arbeit wissen- schaftlich mit der Frage beschäftigen: „Warum werden Roma und Sinti in Europa so stark diskriminiert, dass dies sogar zu einer Marginalisierung führt?“ Und weiterfüh- rend: „Durch welche Konzepte und Methoden der Sozialen Arbeit ist eine Inklusion dieser nationalen Minderheit in Europa möglich?“.

Ich werde die Geschichte des Volkes untersuchen: Woher kommen die Roma und Sinti? Welche Sprache sprechen sie? Welcher Religion und Kultur gehören sie an? Aufgrund welcher Daten und Fakten resultieren die Vorurteile gegenüber dieser Gruppe? Welche Rolle spielen Bildung und Kultur bei der Inklusion im europäischen bzw. deutschen Lebensraum?

Ich werde auch einen wissenschaftlichen Diskurs zum Thema positiver und negativer „Antiziganismus“ führen und dabei untersuchen, ob in diese wissenschaftliche Be- zeichnung, die eigentlich Diskriminierung bekämpfen sollte, rassistische Segmente etabliert sind.

„Roma und Sinti im Nationalsozialismus“ werden ebenfalls ein wichtiger Teil meiner Arbeit sein. Warum hat Deutschland den Genozid über ca. eine halbe Million Roma und Sinti 30 Jahre lang verleugnet? Besteht die Gefahr, dass sich die Geschichte in Deutschland und Europa wiederholt?

Als Instrumente gegen Antiziganismus werde ich drei Konzepte und deren diverse Methoden der Sozialen Arbeit vorstellen. Mein eigenes Outing als Deutsche Roma aus Mazedonien und die damit verbundenen emotionalen Irritationen werde ich eben- falls im Kontext zur Biographiearbeit erörtern.

Die Tatsache, dass viele erfolgreiche Roma und Sinti aus Angst vor Stigmatisierung ihre Identität verbergen, wirft auch viele Fragen auf. Diese werde ich versuchen zu beantworten.

Am Ende werde ich das politische Mandat der Roma und Sinti in Europa untersuchen, um herauszufinden, welche Möglichkeiten Roma und Sinti haben, sich auf europäi- scher Ebene politisch für ihre Rechte einzusetzen. Als Abschluss werde ich ein Fazit verfassen, indem ich meine Ergebnisse zusammenfasse und präsentiere.

Ich weise darauf hin, dass ich in meiner Bachelorthesis mit dem Begriff „Roma“ eine Bezeichnung für die Angehörige der Minderheit aus Ost- und Südeuropa und „Sinti“ für die Subjekte der mittel-, west- und nordeuropäischen Volksgruppen benutzen werde. Da die Mehrheit der ethnischen Minderheit in Europa aus „Roma“ besteht, wird dies oft als Übergriff benutzt und „Sinti“ als Synonym für die in Deutschland le- bende Subjekte der Minderheit verwendet. Mit „Roma und Sinti“ werden beide Ge- schlechter (feminine und maskuline Angehörige der ethnischen Minderheit) definiere, um das Lesen des schriftlichen Werks zu vereinfachen.

2. Definition bedeutender Begriffe

Aufgrund dessen, dass die folgende schriftliche Auseinandersetzung mit einem kom- plexen Thema der Problemlagen der Roma und Sinti in Europa diverse Begrifflichkei- ten und Fremdwörter enthält, werde ich in diesem Abschnitt ein paar bedeutende Be- grifflichkeiten erläutern bzw. definieren.

2.1 Romanes - Die Sprache der Roma und Sinti

„Romanes“, auch „Romani Chib“ genannt, ist die Sprache der Roma und Sinti und hat für die Identität des Volkes eine zentrale Bedeutung. Es ist das bedeutendste kultu- relle Gut der Ethnie. Die Sprache der Roma ist die stärkste Ressource der nationalen Minderheit, die ich später im Text erörtern werde.

2.2 Roma und Sinti

In der Literatur sind sehr viele Namen für die Volksgruppe vorzufinden, die im Kontext mit den Orten, in denen die Roma gelebt, oder Berufen, die sie ausgeübt haben, ste- hen. Im folgenden Text werde ich die wichtigsten Bezeichnungen für Roma und Sinti definieren.

„Roma“ wird in europäischen Institutionen als Sammelbegriff für alle Sinti und Roma benutzt. „Rom“ bedeutet auf Romanes „Mann“ oder „Ehemann“. Die Bezeichnung für diese Volksgruppe ist in allen Dialekten der Sprachen bekannt. Dagegen ist die Selbstbezeichnung der deutschen nationalen Minderheit „Sinti“ erst ab dem 18. Jahr- hundert belegt. Dadurch lässt sich die These, dass die Bezeichnung „Sinti“ von einer im heutigen Pakistan liegenden Provinz „Sindh“ abgeleitet worden ist, widerlegen. Sie verliert dadurch ihren asiatischen Ursprung, da die Identität dieser Gruppe erst durch die lange Interaktion mit der deutschen Sprache und Kultur entstand. Der Begriff „Sinti und Roma“ wird in Deutschland für alle Romanes sprechenden Gruppen benutzt und ist gleichzeitig die männliche Pluralform der Individuen des Volkes. In Österreich wird das Wortpaar „Roma und Sinti“ benutzt, da dort mehr Roma als Sinti beheimatet sind. Die maskuline Singularform ist „Sinto“ bzw. „Rom“, die feminine lautet „Sintez(z)a o- der „Sintiz(z)a und „Romni“. Die weibliche Pluralform ist „Romnja“ und „Sintez(z)e/ Sintiz(z)e. (Fings 2016: 11-15)

Djuric, Becker und Bertolt Bengsch vermuten, dass möglicherweise die Bezeichnung „Rom“ von einem indischen Stamm „Dom“ abgeleitet wurde und erlauben sich die Hypothese, dass der Name „Sinti“ von der Region „Sindh“ entstammen könnte, die zum ersten Mal nach der Spaltung des indischen Reiches in historischen Dokumen- ten erwähnt wird. Ferner, dass „Rom“ auf Romanes „Mensch“ bedeutet. (2002: 43)

Der Philologe S. A. Wolf stellt eine Vermutung auf, dass „Sinti“ eventuell vom altindi-schen Wort für Bund, Genossen, Kameraden hergeleitet worden ist. (Böhmer, 1984:4)

Laut Heinschlink und Hemetek wird das Wort „Sinti“ bzw. „Sinto“ nicht nur für die Volksgruppen in Deutschland, sondern auch für die, die in Frankreich und Italien le- ben, benutzt. (1994: 110) Andere Wissenschaftler besagen, dass die Angehörigen der „Roma“ Gruppe eher im südosteuropäischen Raum, außerhalb Deutschlands, le- ben. Im englischen Sprachraum wird die Ethnie „Gypsie“, in Spanien „Gitanos“ be- nannt. (Djuric, Becker, Bertolt Bengsch 2002: 42 - 43)

In Frankreich sind die Sinti und Roma auch als „Tsiganes“ bekannt, oder als „Bohe- miens“, das von der Zeit abstammt, in der der ungarische, deutsche und böhmische König (später auch Kaiser) Siegmund der Minderheit Schutzbriefe ausgestellt hat.

2.3 Zigeuner

Die Herkunft der Fremdbezeichnung „Zigeuner“ ist wissenschaftlich noch nicht ge- klärt. Es wird vermutet, dass es vom altgriechischen „Athinganoi“ (eine Volksgruppe in Westanatolien), vom persischen “Cinganch“ (Musiker, Tänzer) bzw. „Asinkan“ (Schmiede), vom alttürkischen „cigan“ (arm) oder aus dem ägyptischen Sprachraum entstammt. In Deutschland wurde es im Volksmund vom „ziehenden Gauner“ abge- leitet, was den Begriff negativ beeinflusst hat. (Fings 2016: 12-14)

Laut des EPD sollte das Wort „Zigeuner“ eigentlich „Menschen, die nicht sesshaft sind“ bezeichnen. Da aber unsere Gesellschaft diese Bezeichnung für rassistische Zwecke missbraucht hat, lehnen die Roma und Sinti diese Benennung ausdrücklich ab. (1991)

2.4 Ägypter

Die ersten Roma, die sich in Mitteleuropa angesiedelt haben, bezeichneten sich selbst als Pilger und Büßer aus Klein-Ägypten. Mit größter Wahrscheinlichkeit bezog sich die Volksgruppe auf die Roma-Siedlung „Gypte“ bei Methoni in Peleponnes. Laut Vossens Vermutung trafen die Roma hier auf Pilger, die die Vorteile genossen haben, von der Restbevölkerung verpflegt zu werden und übernahmen deswegen deren Sta- tus in Mitteleuropa. Aufgrund dessen dachten die Chronisten, dass sie sich mit „Ägyp- ter“ auseinandersetzen. (Eder 1993: 31)

2.5 Gadje

„Gadje“ (Plural) ist die Bezeichnung auf Romanes für „Nicht Roma / Sinti“, es bedeutet Bauer, Mensch oder Mann und wird für Angehörige der Mehrheitsgesellschaft be- nutzt, die in der lokalen Umgebung leben. Menschen aus fernen Ländern werden nach dem Land benannt, in dem sie leben. Die Abgrenzung der Roma / Sinti zu den „Gadje“ ist für deren Identitätsfindung von hoher Bedeutung. „Gadjo“ ist Singular mas- kulin und „Gadji“ ist Singular feminin.

2.6 Ethnische Minderheit

Der Begriff „Ethnische Minderheit“ entstammt aus der UNO-Deklaration zu den Min- derheitsrechten von 1992. Auch im Artikel 27 von UNO Pakt II existiert das Recht der Minderheiten. Definiert hat es Francesco Capotorti im Jahr 1979, als Sonderbericht- erstatter der Minderheit-Unterkommission. Jules Deschenes veränderte 1985 dies nur etwas. Seine Definition lautet, dass Minderheiten an der niedrigen Anzahl in ei- nem Land zu erkennen sind und dass sie in der staatlichen Hierarchie stark unterge- ordnet sind. Die Volksgruppe unterscheidet sich in der Kultur, Religion und Sprache von der Mehrheitsgesellschaft. Subjekte der Minderheiten besitzen die Staatsange- hörigkeit des Staates, in dem sie leben und streben nach einer Gruppenidentität. Capotorit behauptet, dass der individuelle Wille darüber entscheiden würde, ob sich eine Person einer Minderheit zugehörig fühlt, aber auch die Bereitschaft der Gruppe, dieses Subjekt anzunehmen. Die ethnischen Minderheiten seien in einem Staat ei- nem Machdefizit ausgesetzt, deswegen wäre das Risiko, Opfer von Diskriminierung zu werden, sehr hoch. Laut des UNO-Menschenrechtsausschusses von 1994 haben auch ausländische Personen ein Recht darauf, sich auf das Minderheitenrecht des Landes zu berufen. (Humanrights.Ch 2016)

Das „Minderheitenrecht“ ist in Deutschland in Artikel 3 des Grundgesetzes enthalten, in dem jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes, der Abstammung, Rasse, Sprache, Herkunft, Religion, politischen Anschauung oder Behinderung ab- gelehnt wird. (Juristisches Informationszentrum der BRD 2018) In Deutschland leben vier anerkannte ethnische autochthone (altgriechisch: alteingesessen) Minderheiten. Es sind die Dänen von Südschleswig, die Friesen, die deutschen Sinti und Roma sowie die Lausitzer Sorben. Sie werden durch den Bund und die Länder der „Euro- päischen Charta der Regional- oder Minderheitssprache“ und das vom Europarat ver- fasste „Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten“ gesetzlich be- schützt und gefördert. Die ethnischen Minderheiten sind aufgrund der Auswirkung europäischer Geschichte, Grenzziehung und weiteren historischen Ereignissen ent- standen. (Minderheitssekretariat 2018)

2.7 Inklusion / Exklusion

„Inklusion“ bedeutet auf Lateinisch „Einschluss“ (inclusio) und bedeutet „Einbezie- hung und unbedingte Zugehörigkeit“, das heißt, ein Recht auf Etwas zu haben, ohne vorhandene Bedingungen vorweisen zu müssen. Inklusion beruht auf einer vielfälti- gen Gesellschaftsstruktur. Das Gegenteil ist eine „Exklusion“, das heißt, dass Sub- jekte aufgrund bestimmter Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Hautfarbe von der Gesellschaft ausgeschlossen oder sogar marginalisiert werden.

In der Bildungspolitik bedeutet „Inklusion“, dass Schüler nicht nach Intellekt oder kör- perlicher Verfassung selektiert werden dürfen, sondern alle Individuen ein Bildungs- institut besuchen dürfen. Die große Herausförderung für die Politik ist es, eine gesell- schaftliche Struktur zu schaffen, in der Menschen nicht auf stigmatisierende Barrieren stoßen. Am Beispiel der Integration von Migrant*innen in Deutschland bedeutet dies, dass sie in die deutsche Gesellschaftsstruktur hineingeleitet werden sollen. Aber auch Barrierefreiheit im Allgemeinen, damit Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen bspw. Zugang zu öffentlichen Gebäuden haben können. Im Umkehrprinzip bedeutet es, dass Subjekte, die nicht ausgegrenzt werden, auch keine Inklusion benötigen.

Ulrich Niehof sagt aber auch: „Allen Menschen Recht getan, ist eine Kunst, die nie- mand kann“. (Fachlexikon der Sozialen Arbeit 2017: 435) Damit möchte uns der Autor mitteilen, dass eine ideale Gesellschaft, in der alle Individuen gleichberechtigt sind und niemand diskriminiert wird, zwar angestrebt werden soll, uns aber bewusst sein sollte, dass eine absolute Aufhebung sozialer Ungleichheit eventuell niemals erreicht werden kann. Laut Erfahrungen von Menschen mit körperlichen und seelischen Be- einträchtigungen, scheitern erschaffene homogene gesellschaftliche Strukturen oft daran, dass Experten*innen nicht bereit sind, durch innovative Konzepte ihre traditio- nellen Methoden zu vernachlässigen, sondern es befürworten, ihre Aufgaben an spe- zifische Institutionen zu delegieren. (Fachlexikon der Sozialen Arbeit 2017: 435)

2.8 Marginalisierung

An folgendem Beispiel wird die Marginalisierung der Roma in Europa sichtbar: Zwei Jahre nach der „Decade of Roma Inclusion“ (2005-2015), auf Deutsch „Roma De- cade“, die der Weltbank-Präsident James D. Wolfensohn veranlasste, um Roma in Europa zu inkludieren, leben die Roma in Rumänien immer noch in hoch prekären Lebenslagen. Nach den Kopenhagener Kriterien, sind sie die einzige Minderheit, die in diesem europäischen Land marginalisiert wird, da sie einen sehr schweren bzw. keinen Zugang zu Bildung, Arbeits- und Wohnungsmarkt, Gesundheitswesen, sozia- len Absicherungen und Transferleistungen hat. Die Zahl der Roma Schüler*innen ist zwar in den letzten Jahren gestiegen, aber die Qualität der Bildung, die vermittelt wird, ist sehr niedrig und wird auf „mangelhaft“ eingestuft. Die Roma Kinder dürfen nur die niedrigsten Bildungsstufen besuchen, sind dabei nicht ausreichend mit Materialien ausgestattet und werden täglich mit negativen Vorurteilen konfrontiert. Die Politik würde sich zwar Mühe geben, Roma zu inkludieren, aber scheitere an fehlenden Strukturen, um adäquate Projekte ausführen zu können. (Deutscher Bundestag 2007)

Da ich bislang für meine Bachelorthesis bedeutende Begriffe mit Hilfe wissenschaft- lichen Kontextes erklärt habe, damit der rote Faden meines wissenschaftlichen Dis- kurses zu erkennen ist, werde ich mich jetzt dem Hauptteil meiner Bachelor Arbeit widmen, der mit einem historischen Rückblick beginnt, uns dann die Gegenwart prä- sentiert und schließlich einen Ausblick in die Zukunft der Roma und Sinti in Europa gibt.

3. Historischer Rückblick

Im folgenden Text werde ich das Thema erörtern, mit dem sich seit Jahrhunderten viele Wissenschaftler und Autoren auseinandersetzen. Woher kommen die Roma und Sinti und worauf beruhen die in unserer europäischen Gesellschaft herrschenden Ste- reotypen? Ich werde mich mit den Ressourcen der Minderheit beschäftigen, die dem Volk trotz der Assimilations- und Vernichtungstheorien der Mehrheitsgesellschaft, die heutige Gegenwart in Europa ermöglichen.

Aufgrund der unzureichenden Quellen, lässt sich der Weg der Roma und Sinti nach Europa nur erschwert zurückverfolgen. Mehrere Wissenschaftler haben sich mit dem Thema beschäftigt und ihre Ergebnisse wie folgt dokumentiert.

3.1. Der lange Weg aus Indien nach Europa

Köpf spekuliert, dass das Volk der Roma Juden seien und Jahre lang ein verborgenes Leben in den Wäldern geführt hat. Es könnten auch Ägypter sein, die ihr Land verlas- sen mussten, weil sie Josef und Maria verstoßen haben. Laut der Erzählung eines Roma hat das Volk in einem Königreich namens „Sindh“ in Wohlstand gelebt, bis die Mohammedaner ins Land kamen und sie zur Auswanderung nach Arabien, Byzanz und Armenien gezwungen haben. (1994: 27-28)

Auch der Arbeitskreis der „Sinti und Roma und Kirche Stuttgart“ bestätigt die Hypo- these, dass die Minderheit zwischen 800 und 1000 nach Christi aufgrund starker Zu- wanderung von arabischen Stämmen aus ihrer nordwestindischen Heimat vertrieben wurde. (2012: 5)

Djuric, Becker, Bertolt Bengsch widerlegen die oben genannten Thesen. Diese besa- gen, dass der bedeutendste Beweis für die Herkunft der Roma deren Sprache „Ro- manes“ ist. Die Lieder, Legenden, komplizierten Denkaufgaben und Bezeichnungen sind das Bestandsverzeichnis ihrer Kultur, die trotz der zahlreichen Wanderungen und Einflüssen diverser Sprachen viele wichtige Informationen über die Vergangen- heit dieses Volkes liefert. Weitere Erkenntnisse geben Schriftstücke aus verschiede- nen Ländern, die leider bis heute nicht adäquat analysiert worden sind. Ein anderer Grund sind eventuell die indischen Wurzeln des Volkes. In der indischen Histologie sind leider keine Hinweise auf Roma oder andere Minderheiten, die zu der Zeit in Indien gelebt haben, vorzufinden. Der zweite Grund ist, dass die Geschichte der Roma vermehrt nur verbal verbreitet wurde. Im indischen Epos „Mahabharat“ wird der Kampf zwischen zwei uralten indischen Völker beschrieben. Eines davon hieß „Ro- makha“ bzw. „Romashi“. Im zweiten Buch „Sabhaparva“ wird berichtet, dass die „Ro- makha“ mit den „Saki“, „Tukarah“ und „Kanaha“ zum Zentrum des indischen Reiches gereist sind. Die „Tukarah“ waren Rassepferdezüchter, die „Saki“ waren aus Nord- westindien und die „Kanaha“ stammten aus dem Volk der „Yadava“. Nur über die „Romakha“ wird nichts Weiteres erörtert. In der Geschichtensammlung „Vishu purana“ wird auch über „Romakha“, „Romashu“ und „Romasci“ erzählt. Dies könnten eventuell die Vorfahren der heutigen europäischen Roma und Sinti sein. (2002)

Der persische Dichter Firdausi sowie die Wissenschaftler Hamza von Isfahan verfass- ten 941 bis 1021 Schriften, in denen die Roma als Abkömmlinge der „Luren“ bezeich- net werden. „Im Jahr 420 kamen nach diesen Erzählungen ungefähr zwölftausend Musikanten aus Lur auf Einladung von Shah Bahram Ghur nach Persien.“ (Djuric, Becker, Bertolt Bengsch 2002: 41-42)

Laut der Autorin Beate Eder schreibt Firdausi zwischen 224 und 651 Folgendes:

„ ...wie Bahram Gur die Zigeuner von Indien nach Persien brachte:

Der Schah schickte Kamelreiter an König Shangul Mit der Botschaft: „Mein gütiger und hilfreicher Fürst, Wähle zehntausend aus dem Stamm der Zigeuner,

Männer sowohl als Weiber, geschickt im Harfenspiel,

Und sende sie mir zu. Ich wünsche durch dies unverbesserliche Volk

Meine Ziele zu erreichen.“ (Eder Beate 1993: 28-29)

Der persische König wollte, dass aus dem Volk der Roma Bauern entstehen. Aber als er sah, dass dies nicht deren Bedürfnissen entsprach, ließ er sie in die weite Welt weiterziehen.

In der deutschen Übersetzung wird wortwörtlich von „Zigeunern“ berichtet. Die „Luri“ sind eine nomadische indische Volksgruppe, die im 4. und 5. Jahrhundert nach Chris- tus aus Nordindien nach Persien ausgewandert ist. Die „Luri“ leben heute noch in Persien, Afghanistan und Pakistan. (Eder 1993: 28-29)

Laut der Autoren Djuric, Becker und Bertolt Bengsch verließen die ersten Gruppen der Roma im 4. Jahrhundert ihre indische Heimat. Der Grund für ihre Auswanderung waren soziale und wirtschaftliche Notlagen. Die Migration ins Nachbarland Persien geschah in verschiedenen Zeitabständen. Im siebten und zehnten Jahrhundert fand die zweite Auswanderung nach Kurdistan und Armenien statt. Die Roma-Stämme waren gezwungen, wegen der Expansion der Araber das persische Gebiet zu verlas- sen. Nach dem Untergang des Ghazi-Imperiums drohte die Gefahr der Sklaverei, deswegen musste die Minderheit erneut ihre neue Heimat verlassen und wanderte weiter Richtung Türkei und Griechenland. Im 13. Jahrhundert herrscht erneut Krieg, und viele der Roma-Gemeinschaft kamen ums Leben, nur wenige konnten sich ret- ten. Erst im 14. Jahrhundert beginnt die europäisch wissenschaftlich belegte Ge- schichte der Roma und Sinti. (2002)

Auch die Historikerin Karola Fings vertritt die These, dass die verschiedenen Dialekte des Romanes der Wissenschaft nahelegen, dass die Volksgruppen, auch die der mit- teleuropäischen Sinti, um 1000 nach Christus zum ersten Mal Südosteuropa erreich- ten. Lev Tcherenkov und Stephane Laederich behaupten, dass eine Gruppe der Min- derheit im vierten und fünften Jahrhundert aus Nordwestindien nach Persien und im siebten Jahrhundert nach Armenien ausgewandert ist. Die Thesen anderer Wissen- schaftler der späteren persischen Migrationstheorie wird mit folgender Aussage wie- derlegt: der Tatsache, dass die Sprache der Roma keine arabischen Wörter enthält, da bis zum siebten Jahrhundert Persien noch nicht von Arabern besetzt war. Lingu- istisch lässt sich auch die weitere Wanderung zum Byzantinischen Reich am Ende des ersten Jahrhunderts belegen: Romanes enthält viele griechische Wörter, die be- legen, dass entweder Griechisch die Handelssprache der Roma oder die Ethnie im Landesteil Thrakien ansässig war, in dem vorwiegend Griechisch gesprochen wurde. Es wird vermutet, dass die Halbinsel Peloponnes erst im dreizehnten Jahrhundert von der Gruppe erreicht worden ist. (Fings 2016: 34-35)

Laut der Wissenschaftlerin Eder kamen die Roma schon im 9. bzw. 10. Jahrhundert nach Konstantinopel (Griechenland). Belege beweisen, dass im Jahr 1100 zum ers- ten Mal auf dem Berg Athos „Ansinkanos“ angesiedelt sind. Ein georgischer Mönch bezeichnet sie als „Zauberer und Spitzbuben“. Im 13. Jahrhundert gibt es Berichte über ein Volk auf Kreta und Korfu, dass in Zelten und Höhlen lebte. Es wird vermutet, dass die Minderheit ihre Wanderung aus Kleinasien und Griechenland nach Mitteleu- ropa nicht fortgesetzt hätte, wenn sich das Osmanische Reich nicht weiter exponiert hätte. (1993: 32)

Am Anfang des 14. Jahrhunderts kamen die ersten Roma auf dem Balkan an. Im gleichen Jahrhundert begann auch, aufgrund der Erweiterung des Osmanischen Rei- ches, die Emigration zu den restlichen Teilen Europas. Aber zwei Drittel blieben im Gebiet der Osmanen. Den Beweis dafür liefert eine wichtige wissenschaftliche Quelle, das „Steuer Register“. Im Jahr 1522 / 23 wurden im europäischen Osmanischen Reich 17.191 Roma-Haushalte registriert. Zwei Drittel davon waren Christen, der Rest galt als Nomadenvolk. Die meisten lebten im heutigen Bulgarien mit 5.701 Haushal- ten. Die meist ausgeübte Tätigkeit der Roma war das Schmiedehandwerk. Es gab aber auch : „…Ofenbauer, Schuhmacher, Maler, Brunnengräber, Süßwarenhersteller, Käseproduzenten, Metzger, Kebab Verkäufer, Gärtner, Eselbesitzer, Wächter, Die- ner, Polizisten, Sattler, Unterhaltungskünstler, sogar einige Mönche, Bauern oder Landarbeiter…“ (Fings 2016: 34-35) Dies widerspricht auch dem Stereotyp, dass Roma nicht sesshaft waren. Die genaue Zahl lässt sich aber mit Hilfe des Registers nicht erschließen, weil die Roma, die für das Militär oder in einer Festung gearbeitet haben, keine Steuer zahlen mussten und dadurch nicht erfasst werden konnten.

Auf der Flucht von dem türkischen Militär migrierten viele Roma über Ungarn und Böhmen nach West- und Nordeuropa. Sie wanderten in kleinen und in bis zu 300 Personen großen Gruppen, meistens zu Fuß. Beweise liefern unterschiedliche Stadt- chroniken. Die erste deutsche Schrift über Roma stammt aus einer im Jahr 1417 er- stellten Rechnung der Stadt Hildesheim, in der „Klein-Ägypter“ vom Stadtrat Almosen erhielten. Ähnliche Ereignisse sind auch in Bologna 1422 und Paris 1427 dokumen- tiert worden. Laut jüngster Forschung handelte es sich um eine Binnenmigration der Roma, somit tauchten 1462 die ersten Gruppen des Volkes in Spanien und zu Beginn des 16. Jahrhunderts in England, Schottland und Skandinavien auf. Da es bei den west- und nordeuropäischen Romanes-Dialekten an rumänischen, westslawischen und ungarischen Worten fehlt, gehen die Forscher davon aus, dass sich die Gruppen nicht so lange in diesen Ländern aufgehalten haben. Dagegen werden die Roma, die in Ostmitteleuropa sesshaft sind, als „karpatische Roma“ bezeichnet, die meisten da- von üben das Handwerk der Schmiede aus oder sind Musikanten. Laut Chroniken hatte das Volk keine Integrationsprobleme im Kontext der Sprache oder der Infra- struktur des Staates, in den sie immigrierten, dadurch konnten sie selbstbewusst vor Herrschenden auftreten, indem sie sich als Herzoge oder Grafen mit Reichtum und Untertanen präsentierten.

In dem seinerzeitigen zersplitterten europäischen Territorium waren die „Schutz- briefe“, die sie von Fürsten und Königen erhielten, für das wandernde Volk von enorm hoher Bedeutung. Die Dokumente ermöglichten der Volksgruppe, ohne Steuern Grenzen zu überqueren und bei Bedarf Unterkunft und finanzielle Unterstützung zu erhalten. Dies zeigt, dass die Roma und Sinti als Dienstleister Interaktionen mit Schutzmächten pflegten. Der berühmteste Aussteller der Schutzbriefe war der rö- misch-deutsche Kaiser Sigismund, der 1436 der Ethnie Schutz gewährte und als Ge- genleistung wichtige Informationen über seine türkischen Feinde bekam. Deswegen standen die Angehörigen der Minderheit unter dem Verdacht der Spionage. Da die meisten Roma ein Handwerk ausübten, waren sie auch eine unerwünschte Konkur- renz für die Zünfte, deswegen wurden sie ungern in den Städten geduldet.

Eine große europäische Ausnahme war das Fürstentum Moldawien und Walachei, das im 15. und 16. Jahrhundert vom Osmanischen Reich besetzt worden ist und im 19. Jahrhundert dem heutigen Rumänien entsprach. Als die Türken die Herrschaft über den Handel und die Landwirtschaft übernahmen, haben Staat, Kirche und Groß- herren mit der Versklavung der Roma, die handwerklich sehr begabt waren, ihre fi- nanziellen Lücken ausgeglichen. Die Roma mussten bis ins 19. Jahrhundert für den Staat als Schmiede, Holzarbeiter, Goldwäscher oder Bärenführer arbeiten.

Im Heiligen Römischen Reich wurden im 15. bis 18. Jahrhundert die Roma als Spione etabliert und deswegen für „vogelfrei“ erklärt. Das heißt, dass Nicht-Roma sie verfol- gen und sogar umbringen konnten, ohne gegen das Gesetz zu verstoßen.

Im Königreich Spanien wurden sie stark stigmatisiert, da sie 1499 aufgefordert wur- den, das Land zu verlassen bzw. im Fall eines Nomadisierens zum Tode verurteilt werden konnten.

In Frankreich mussten die Roma Zwangsarbeit verrichten und Portugal hat 1538 das unbeliebte Volk nach Afrika und Brasilien deportiert.

Roma, die im Jahr 1540 England verlassen sollten, wanderten nach Wales und Schottland, oder gelangten über Skandinavien bis nach Finnland und Estland.

Es wird vermutet, dass im Falle der Ausführung aller marginalisierenden Verordnun- gen der Mehrheitsbevölkerung vermutlich alle Roma im 18. Jahrhundert ausgerottet worden wären. Aber durch die vom dreißigjährigen Krieg hervorgerufene prekäre Le- benslage der Mehrheitsbevölkerung kam es auch zu Armutsbekämpfungsstrategien der „Gadje“. Somit fand die Minderheit Gleichgesinnte, denen sie sich anschloss und damit die Identität des kriminellen, fahrenden Volkes verlor. Dies bedeutete die Ret- tung der Ethnie.

Maria Theresia (1717-1780), Königin von Ungarn (damals Kroatien und Transsylva- nien=Siebenbürgen), die bekannteste Vertreterin des aufgeklärten Absolutismus, de- ren höchste Priorität das Gemeinwohl des Volkes galt, führte 1758 die Theresianische Reformationspolitik ein. In der neuen „Zigeunerpolitik“ durften die Roma nicht mehr vertrieben werden, mussten aber ihr Gewerbe aufgeben, Landwirtschaft betreiben und Steuern zahlen. Sie durften nicht mehr Romanes sprechen und nicht ihren Woh- nort verlassen. Die Jugendlichen mussten eine Ausbildung und mit Erreichen des sechzehnten Lebensjahres den Militärdienst absolvieren. Eheschließungen unter Roma und Romnja wurden verboten und Mischehen gefördert. Kinder wurden im Alter von fünf Jahren ihren Eltern entrissen. Die Subjekte der ethischen Minderheit sollten soweit assimiliert werden, dass sie nach drei Jahren „Neu-Ungarn“ oder „Neubürger“ genannt werden konnten. Maria Theresias Sohn Joseph II. (1741-1790) verfasste das Regelwerk „Hauptregulatio“, in dem er dem Volk der Roma mehr Rechte zusprach. Sie durften zum Beispiel eigene Häuser bauen und eigenes Land erwerben. Unter anderem hat er 1783 in Bukowina das Gesetz zur Leibeigenschaft der Roma aufge- hoben. Die Autorin macht uns aber darauf aufmerksam, dass es in dieser Zeit auch Versuche der Assimilation gegenüber anderer Minderheiten, wie Juden und Protes- tanten, gab.

Im russischen Reich lebten im Jahr 1806 ca. 48.247 Roma, die seit dem 15. Jahrhun- dert dort ansässig waren und keiner Diskriminierung ausgesetzt wurden. Die Inklusion in die russische Gesellschaft ermöglichte dem Volk eine erfolgreiche historische Ent- wicklung, das Entstehen von hoch angesehenen musikalischen Persönlichkeiten so- wie eheliche Verbindungen mit dem russischen Adel. (Fings 2016: 34-53)

3.1.1 Die Roma in Rumänien

Laut aktueller Statistik leben in Rumänien die meisten Roma. (Statista 2018) Djuric, Becken und Bertolt Bengsch besagen, dass die Wissenschaft zum ersten Mal 1417 Roma in Rumänien erwähnt. In Siebenbürgen notierte aber ein Chronist bereits 1416 folgendes über deren Ankunft: “Ihre Edelleute sind wohlgekleidet und ehrbar, sie sprechen viele Sprachen.“ (Djuric, Becken und Bertolt Bengsch 2002: 130) Es gibt aber weitere Beweise, dass das Volk schon früher in Rumänien gelebt hat, ohne die Aufmerksamkeit der Mehrheitsgesellschaft zu erregen.

Der rumänische Wissenschaftler B. P. Hazdeu (1830-1890) erwähnt eine von ihm in einem Kloster gefundene Akte, in der von „familia Acigang“ (Roma-Familien) die Rede ist. Die Roma in Rumänien leben in circa dreißig Gruppen, die sich nach Stämmen und Beschäftigung differenzieren. Der Autor C. J. Pop Serborianu unterteilt, in seinem in Paris erschienen Buch 1930, die Minderheit in zwei große Gruppen:

Die erste ist die der Nomaden „Lajasi“ bzw. „Lajesi“, die Tätigkeiten wie „Curari“ (Mes- serhersteller), „Ferari“ (Gegenstände aus Eisen produzieren) oder „Lautaari“ (Musi- ker) ausübten. Diese Gruppe hat inzwischen die Muttersprache fast vollständig ver- gessen.

Die zweite Gruppe ist die der sesshaften „Vatrasi“ bzw. „Vatrari“, deren Angehörige in der Landwirtschaft tätig waren. Diese sind total assimiliert und nur an äußerlichen Merkmalen als Roma zu erkennen. Diese Gruppe nimmt seit Anfang dieses Jahrhun- derts Bildungsinstitutionen in Anspruch und kann sogar akademische Abschlüsse vor- weisen, bekennt sich aber nicht der Zugehörigkeit zu der ethnischen Minderheit. (2002: 128-130)

3.1.2 Die Sinti und Roma in Deutschland

Zurzeit leben in Deutschland ca. 120.000 Sinti und Roma. (Statista 2018) Das Urkun- debuch der Stadt Hildesheim sagt Folgendes über die ersten Sinti in Deutschland aus: „Mit einem halben Stüber Wein bewirtete die Stadt Hildesheim am 20. Septem- ber 1407 ihre Gäste, die „Tataren“, während man deren Papiere prüfte.“ (Djuric, Be- cken, Bertolt Bengsch 2002: 195)

„Tataren“ wurden damals die Subjekte der ethnischen Minderheit der Sinti und Roma aus Norddeutschland, Niederlande und Skandinavien benannt. Djuric, Becken und Bertolt Bengsch bestätigen auch Fings These, dass sich dank „Sigismunds Schutz- briefes“ die Roma innerhalb Deutschlands ungehindert bewegen konnten. Die Auto- ren vermuten nur eine andere Epoche als Fings. Laut deren These wurde dieses Do- kument in Lindau schon zwischen Januar 1417 und April 1418 erstellt. Es wird von den Autoren behauptet, dass der höchste weltliche Herrscher der Christenheit sein großes Reich nicht alleine kontrollieren konnte und deswegen die Roma beauftragte, die damals türkische Gebiete überquerten, ihm wichtigen Informationen über das Os- manische Reich zu übermitteln.

In Bayern tauchen die Sinti das erste Mal im Jahr 1439 auf. Die bayerische Chronik berichtet Folgendes: „..dass die Zigeuner unter ihrem König Zindel unser Land durch- streifen.“ (Djuric, Becken, Bertolt Bengsch 2002: 197) Hier wird das erste Mal der Name des Königs „Zindel“ in Kontext mit der Bezeichnung „Sinti“ gebracht. Am 13. April 1488 stellt die Burggräfin Johanna Penig in Leisingen ein Zeugnis für eine Roma Gruppe aus, indem sie die Individuen des Volkes als „gebührlich und aufrichtig“ (Dju- ric, Becken, Bertolt Bengsch 2002: 197) bezeichnet.

Der Mathematiker und Geograph Sebastian Münster (1488-1552) beschreibt in sei- nem Werk „Cosmographie universa“, dass die Roma die ersten Jahrzehnte in Europa in Frieden mit der Mehrheitsgesellschaft verbrachten. Im 15. Jahrhundert herrschte in Europa die „Türkengefahr“, „Sigismunds Schutzbrief“ wurde auf dem Lindauer Reichstag für ungültig erklärt. Somit galten die Roma mit ihrer fremden Anschaulich- keit und Sprache als türkische Spione, Heiden und Überträger von infektiösen Erkran- kungen. Hiermit bestätigen auch weitere Autoren das „vogelfreie“ Dasein der Roma in Deutschland. Jede Gruppe des Volkes hatte einen Anführer, der sich für das Wohl- ergehen seines Volkes einsetzte, indem er mit Machthabern verhandelte. Ihren Le- bensunterhalt verdienten sie in verschiedenen Wanderhandwerken. Hier wird auch das handwerklich begabte Volk als Konkurrenz der Zünfte definiert, das aus den Märkten der Städte verdrängt wurde.

Um der Hungersnot zu entfliehen, betrieben viele der Sinti das Betteln und Wahrsa- gen, das in der Zeit des Protestantismus als unchristlich tituliert wurde. Aufgrund der prekären Lebenslagen im dreißigjährigen Krieg bildeten sich innerhalb der Mehrheits- gesellschaft viele Räuberbanden und immer mehr Menschen wurden zu „Vaganten“, dies waren wandernde Bettler, Hausierer, Taschenspieler oder Kesselflicker. Die zehn Prozent der in prekären lagen lebende „Gadje“ fanden bei dem von Verfolgun- gen geprägten Volk der Sinti eine Zuflucht. So entstand eine neue Subkultur mit ei- genen Verhaltensmustern. Sie entwickelten eine Geheimsprache, das „Rotwelsch“, das „Romanes-Wörter“ enthält und Geheimzeichen, mit denen sie nonverbal kommu- nizieren konnten, ohne entdeckt zu werden. Nach dem Krieg befahl Kaiser Karl VI. am 15. Januar 1721, die Roma erneut für „vogelfrei“ zu erklären. Vor den Städten standen „Zigeunerstöcke“ als Warnung für die Mehrheitsbevölkerung. Es waren Sym- bole für die Sanktionen bei Missachtung der Regeln, diese waren Auspeitschungen, Brandmarkierungen und weitere körperliche Verstümmelungen. Nur der Landgraf von Hessen-Darmstadt, Ludwig IX., widersetzte sich diesen Vorschriften und ermöglichte 1736 dem Roma-Volk ein halbes Jahrhundert ein menschenwürdiges Leben, indem er viele Sinti in seiner kleinen Armee als Söldner aufnahm.

Ende des 17. Jahrhunderts erschien das Buch des Historikers Heinrich Moritz Gottlieb „Historischer Versuch über die Zigeuner, betreffend die Lebensart und Verfassung, Sitten und Schicksale dieses Volkes in Europa, nebst ihrem Ursprung“, dass die Ste- reotypen über die Sinti und Roma in Deutschland bis heute bestimmt. Laut dem Wis- senschaftler sind bei den Subjekten der Minderheit Faulheit, Neigung zur Kriminalität und ein ausgeprägter sexueller Trieb genetisch bedingt. Der Autor bezeichnet sie als „Halbmenschen“.

Im 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Industrialisierung, gerieten die Roma aufgrund der industriellen Konkurrenz ihres Handwerks immer häufiger in die Arbeitslosigkeit. Der Bundestag beschloss 1891 die „Anweisung zu Bekämpfung des Zigeunerwe- sens“, dass den Sinti und Roma in Deutschland die Erteilung von Arbeitsbüchern ver- weigerte. Dadurch konnten die Angehörigen der Minderheit innerhalb Deutschlands keine geregelten Tätigkeiten ausüben, um auf legale Weise ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Am 31. Dezember 1842 trat an der Stelle des im ganzen deutschen Kaiserreich bis dahin herrschende Preußische Staatsbürgergesetz „ius soli“ (das Bodenrecht), das neue „ius sangui“ (das Blutrecht). Somit wurden die Sinti und Roma aufgrund ihrer äußerlichen Merkmale diskriminiert. Nur die „inländischen“ Sinti, was für diese Sub- jekte sehr schwer nachzuweisen war, durften in Deutschland bleiben, alle anderen Sinti und Roma wurden in die Nachbarländer abgeschoben. In Bayern wurde im Auf- trag der Kriminalpolizei 1911 eine „Zigeunerkartei“ angelegt, die die Sinti systema- tisch erfassen sollte und in der die Fingerabdrücke aller bayerischen Sinti und Roma dokumentiert waren. Diese Kartei bildete die Basis für die Verfolgung im Nationalso- zialismus, dass ich im Weitern Text näher beleuchten werde. (Djuric, Becken, Bertolt Bengsch 2002: 195-209)

3.1.3 Die Roma im ehemaligen Jugoslawien

Laut der Statistik lebten im Jahr 2002 im zerfallenen Vielvölkerstaat Jugoslawien ca.220.000 Roma. Aber laut Schätzungen der Wissenschaftler leben im Land über einer Million Menschen, die dieser Minderheit angehören. Als wichtige Gruppen werden „Gurbeti“, „Arlije“ und „Kalderas“ benannt.

Die Forschung besagt, dass die ersten Roma im 11. Jahrhundert die mittelalterlichen byzantinischen Länder besiedelt hatten. Eine Studie des Wissenschaftlers Tatomir Vukanovic beweist, dass die Roma zum ersten Mal im 12. und 13. Jahrhundert im Gebiet des heutigen ehemaligen Jugoslawien erwähnt wurden. Es wird sogar vermu- tet, dass das Volk aufgrund der türkischen Expansion schon vor dem 11. Jahrhundert in Mazedonien ansässig war. Nikofon Gregoras erzählt in „Geschichten von Byzanz“ im Jahr 1323 über ein „seltsames Volk“ (Djuric, Becken, Bertolt Bengsch 2002: 104), dass aus Konstantinopel nach Serbien und Mazedonien kam. (Djuric, Becken, Bertolt Bengsch 2002: 103-104)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbild 2: http://www.antikefan.de/kulturen/byzanz.htmlDas Byzantinische Reich

Das Byzantinische Reich gründete Konstantin der Große im Jahre 330. Es bestand bis zur Eroberung durch den Osmanen Sultan Memet II. im Jahre 1453, um die antike- römische und vor allem griechische Kultur und den christlich-orthodoxen Glauben zu bewahren. Diese Epoche prägt immer noch das heutige christliche Europa. (Antike- fan.de 2018)

In einem Archiv der kroatischen Stadt Dubrovnik gibt es Dokumente, die Roma-Kolo- nien in Zagreb und Ljubljana nachweisen. Als im 16. Jahrhundert die Osmanen Dubrovnik einnehmen wollten, waren unter den Söldnern auch Angehörige des Roma-Volkes. Die meisten waren Christen, aber wechselten aufgrund der islami- schen Herrschaft zum Islam, um sich steuerliche Vorteile zu verschaffen. Die Türken nannten bzw. nennen die Roma immer noch „Cingene“ oder „Kipti“ (Zigeuner), von denen sich in der Zeit ungefähr 12.000 auf dem Balkan aufgehalten haben. Ihre Exis- tenz haben sie durch Schmiedehandwerk, Musizieren, Zucht und Handel von Pferden gesichert. Die Roma hatten die gleichen Bürgerrechte wie die Türken, allerdings durf- ten sie nicht türkische Moscheen und Friedhöfe benutzen. Im Jahr 1834 wurden in Serbien 18.000 Roma gezählt, von denen im 19. Jahrhundert viele getauft wurden. (Djuric, Becken, Bertolt Bengsch 2002: 103-110)

Zurzeit leben in Serbien ca. 500.000 Roma. (Statista 2018) In Mazedonien lebten 1895 ca. 22.000 Roma, im Gegensatz zur aktuellen Zahl von 185.000 Roma (Statista 2018).

Nach der Befreiung vom Osmanischen Reich musste die Minderheit eine „Zigeuner- kopfsteuer“ zahlen. Die politische Einstellung des Roma-Volkes war sehr individuell ausgeprägt. Die Volksgruppen unterlagen einer zunehmenden linguistischen und pat- riotischen Assimilation, somit kämpften sie im ersten und zweiten Weltkrieg an der Seite des Landes, in dem sie lebten.

Vom 12. bis zum 20. Jahrhundert gab es im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens Ex- und Inklusion der Roma. Im Jahr 1927 gab es das erste politische Mandat der Roma, die „Erste serbisch-zigeunerische Genossenschaft“, die erst ab 1970 soziale Projekte zu Gunsten des Roma-Volkes ausführen konnte. Auch weitere Organisationen setz- ten sich mit Erfolg für die Integration der Roma in der jugoslawischen Gesellschaft ein. Dem Balkankrieg, der im Jahr 1991 begann, fielen auch viele Roma zum Opfer. In Bosnien leben zurzeit, aufgrund der „Ethnischen Säuberung“ im Balkankrieg, von ehemals 80.000 Roma, fast keine Roma mehr. Die meisten sind ins Ausland geflo- hen.

Auf dem Balkan sind Gesetze, die die ethnischen Minderheiten vor Marginalisierung schützen sollen zwar vorhanden, werden aber trotzdem von der Mehrheitsbevölke- rung missachtet. (Djuric, Becken, Bertolt Bengsch 2002: 110-117)

3.2 Zahlen und Fakten

Schätzungen zur Folge gibt es in der Welt ca. 12 Millionen Roma und Sinti. Acht Mil- lionen leben in Europa, davon 6 Millionen in Ost- und Südosteuropa. Laut Joachim Kraus, der sich in seiner Magisterarbeit an der Humboldt-Universität Berlin mit dem Thema Roma und Sinti auseinandergesetzt hat, sind die genannten Zahlen der An- gehörigen der Ethnie in Europa mit Vorsicht zu betrachten. Vor allem die Zahl der Minderheit in Osteuropa sei ungenau evaluiert. Unter Umständen könnte, laut Wis- senschaftler*innen, die in Rumänien erhobene Zahl der Roma verdreifacht werden. Als Gründe werden unterschiedliche Kriterien und Definitionsdefizite der verschiede- nen Roma-Stämme von Seite der Evaluierenden angegeben. Um eine exakte Evalu- ation zu erzielen, sei zu beachten, dass das Volk auch innerhalb eines Landes auf der kulturellen, religiösen, linguistischen und sozialen Ebene eine stark heterogene Gruppe ist. Auf der politischen Ebene ist es wichtig zu erwähnen, dass eventuell die europäischen politischen Akteure, die Zahl der Roma minimieren, um den inklusiven Handlungsbedarf begründet reduzieren zu können, damit bestimmte politische Ziele erreicht werden können. Deswegen sollten Roma-Organisationen exakte quantitative und qualitative Evaluationen, als Instrument gegen die Diskriminierung von Roma und Sinti in Europa, in ihrem Programm involvieren. (OWEP 2003)

Die Wissenschaftlerin Karola Fings bestätigt auch die oben genannte These, begrün- det aber differenzierter, dass Politiker einerseits die Zahl der Roma und Sinti senken lassen, damit sie eine fiktionale homogene Gesellschaft präsentieren können, die Zahl andererseits aber auch gezielt erhöhen, um die Gefahr, die aus dem unbeliebten Volk hervorgeht, zu dramatisieren. (2016: 28)

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Ende der Leseprobe aus 93 Seiten

Details

Titel
Roma und Sinti in Europa. Diskriminierung und die Herausforderungen der Inklusion
Hochschule
Evangelische Hochschule Ludwigsburg (ehem. Evangelische Fachhochschule Reutlingen-Ludwigsburg; Standort Ludwigsburg)
Note
2,5
Autor
Jahr
2018
Seiten
93
Katalognummer
V503588
ISBN (eBook)
9783346046765
ISBN (Buch)
9783346046772
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Roma und Sinti in Europa
Arbeit zitieren
Elma Abazovska (Autor:in), 2018, Roma und Sinti in Europa. Diskriminierung und die Herausforderungen der Inklusion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/503588

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