Die Tugend der Gerechtigkeit in der "Summa Theologiae" des Thomas von Aquin


Dossier / Travail, 2013

22 Pages, Note: 1,3


Extrait


Inhalt

Einleitung

I. Philosophische und theologische Grundlagen des Gerechtigkeitsbegriffs
a) Die aristotelische Grundlage des Gerechtigkeitsbegriffs bei Thomas von Aquin
b) Theologische Vorbedingungen des Gerechtigkeitsbegriffs

II. Der Begriff der Gerechtigkeit in der summa theologiae des Thomas von Aquin
b) Die Gerechtigkeit als iustitia generalis
c) Die Gerechtigkeit als iustitia particularis
d) Die Verteilungsgerechtigkeit – iustitia distributiva
e) Die Ausgleichsgerechtigkeit – iustitia kommutativa
h) Die mit dem Gerechtigkeitsbegriff verbundenen Tugenden

III. Die Vervollkommnung der Gerechtigkeit durch die Theologaltugend der Liebe

IV. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Der Begriff der Gerechtigkeit ist innerhalb der philosophischen und theologischen Diskurse seit dem Beginn des Bestehens ihrer jeweiligen und gemeinsamen Deutung der Welt ein vielseitig thematisierter, in unserer Jetztzeit des 21. Jahrhunderts genauso wie mit dem Einsetzen der Verschriftlichung „biblischer Geschichte“ und dem Beginn der Philosophie in der Antike. Das begriffliche Sinnieren über die Bedeutung von Gerechtigkeit, so könnte man meinen, setzt bereits da ein, wo der Mensch in seinem gesellschaftlichen Zusammenhang zu seinen Mitmenschen oder wie Platon und Aristoteles es benennen, er als dzoon politikon existiert.

Thomas von Aquin, der mit seinem Gedankensystem einer Ineinanderverschränkung von vor allem aristotelisch-philosophischen und theologischen Inhalten der katholischen Glaubenslehre zu einem der Hauptvertreter der Scholastik zählt, hat in seiner Summa theologiae den Begriff der Gerechtigkeit in theologisch-philosophischer Perspektive einer gegenseitigen Synthese der Disziplinen beleuchtet.

In der folgenden Auseinandersetzung soll die Frage nach der Konstitution eben jenes Begriffs der iustitia im System der Gerechtigkeitskonzeption bei Thomas von Aquin erörter werden. Dazu wird so vorgegangen, dass im einführenden Teil zunächst die jeweiligen Voraussetzungen der philosophisch-aristotelischen und theologischen Tradition zum Begriff der Gerechtigkeitskonzeption in einer überblickenden Perspektive skizziert und eine Übersicht der strukturellen Grundanalogien des Systems der Gerechtigkeitskonzeption bei Aristoteles und Thomas erörtert werden.

Generell geht es in der Auseinandersetzung zum Begriff der Gerechtigkeit in folgender Auseinandersetzung um die systematische Darstellung der iustitia, zu deren Erfassung der Grundsystematik vor allem die Textpassage über „das Recht und die Gerechtigkeit“ betrachtet wird.

Der eigentliche Hauptteil wird somit die thomanische Darstellung des Gerechtigkeitsbegriffs in seiner summa theologiae behandeln, die das Verständnis der iustitia auf der Basis eben jener theologisch-philosophischen Perspektive her entfaltet. Zunächst wird dazu der allgemeine Gerechtigkeitsbegriff des Thomas thematisiert, der in das System der Tugendlehre eingeordnet wird.

Nach der Anschauung des zunächst allgemeinen Begriffs von Gerechtigkeit wird die Verdeutlichung des Gerechtigkeitsbegriffs in der Partikularitätsbegriffe der Verteilungs- und der Ausgleichsgerechtigkeit thematisiert. An Hand der Begriffe der Vergeltung und der Restitution soll der Begriff der kommutativen Gerechtigkeit an konkreten Beispielen verdeutlicht werden. In dem abschließenden Teil der Auseinandersetzung soll dann jener theologische Begriff durch den die Gerechtigkeit zu ihrer Vervollkommnung gelangt erörtert werden.

Hierzu rückt die primäre Theologaltugend der Liebe in den Vordergrund der Betrachtung, Neben der Veranschaulichung der gegenseitigen Ergänzung der Tugendbegriffe von Gerechtigkeit und Liebe soll auch die Differenzen der Liebe zum Gerechtigkeitsbegriff thematisiert werden. In einem abschließenden Resümee werden die Kernelemente der Auseinandersetzung nochmals überblickend zusammengefasst.

I. Philosophische und theologische Grundlagen des Gerechtigkeitsbegriffs

a) Die aristotelische Grundlage des Gerechtigkeitsbegriffs bei Thomas von Aquin

Aristoteles handelt den Gerechtigkeitsbegriff im fünften Buch der Nikomachischen Ethik innerhalb seiner Tugendtheorie ab. Das aristotelische Konzept der Tugenden wird durch die Tugenden der Tapferkeit, Besonnenheit, Großzügigkeit, Hochsinnigkeit, Ruhe, Aufrichtigkeit, Gewandtheit, Freundlichkeit, Feinfühligkeit und der Empörung bestimmt. Nach dem sogenannten Mesotesprinzip gilt es das Tugendhafte im Widerstand gegen die Prinzipien der Lust und Unlust in der Mitte von Übermaß und Mangel zu treffen.1

In der Lehre von den endoxa definiert Aristoteles Gerechtigkeit als „jene Grundhaltung […], von der her die Menschen die Fähigkeit haben, gerechte Handlungen zu vollziehen“, und „von der aus sie [de facto] gerecht handeln und ein festes Verlangen nach dem Gerechten haben“.2

Der Aristoteliker Thomas konzipiert sein System der Tugenden nicht auf Basis der „Elf- Tugenden“ wie Aristoteles, sondern strukturiert es an Hand des platonischen Tugendmodells der Gerechtigkeit, Klugheit, Tapferkeit und Besonnenheit.

Von der begrifflichen Ausarbeitung des Gerechtigkeitsbegriffs orientiert sich Thomas jedoch wesentlich an der Vorlage der Nikomachischen Ethik. Hierzu zeigen sich strukturelle Grundanalogien der Gerechtigkeit in ihrer Darstellung:

Thomas geht wie Aristoteles von der begrifflichen Besonderheit des allgemeinen Gerechtigkeitsbegriffs der iustitia generalis über zu ihren Partikularbegriffen, woraufhin die Unterteilung in die kommutative und distributive Form der iustitia particularis erfolgt. Er betrachtet die Gerechtigkeit mit Blick auf den Aspekt eines gerechten Tuns genau wie Aristoteles von einer freien Willensentscheidung ausgehend. Auch hier wird das Mesotesprinzip dadurch geltend, dass das gerechte Tun die Mitte zwischen Unrechttun und Unrechterleiden trifft. Das sogenannte Vervollkommnungsprinzip, in welchem die Gerechtigkeit letztlich zu ihrer Vollendung gelangt, ist im strukturellen Verständnis ebenso genuin aristotelisch, auch wenn im Gegensatz zu Aristoteles bei Thomas an Stelle der Freundschaft die Theologaltugend der Liebe tritt.

Neben der strukturellen Grundanalogien des Gerechtigkeitsbegriffs unterscheidet sich die Darbringung des Gerechtigkeitsbegriffs bei Thomas zu Aristoteles. Während Aristoteles den Gerechtigkeitsbegriff in deskriptiver Form behandelt, verfährt Thomas in seiner summa theologiae nach der dialektischen Methode der quaestio disputata.

Die in Form der quaestiones geführte Auseinandersetzung über den Gerechtigkeitsbegriff wird bei Thomas in einem Pro- und Kontradiskurs dargebracht, innerhalb dessen Thomas Lehrautoritäten theologischer und philosophischer Tradition in seine Argumentationsstränge einbindet und sie innerhalb der responsa zu einer nicht immer nur widerlegenden, sondern oftmals auch mit zusätzlichen und weiterführenden Differenzierungen versehenen Schlussfolgerung führt.3

Die bei Thomas innerhalb seiner summa theologiae vertretene theologische Perspektive betrifft den Gerechtigkeitsbegriff des Thomas als eine Unterscheidung zu Aristoteles, insofern er die Gerechtigkeit vom jüdisch-christlichen Gottesurgrund her betrachtet und auf die zentrale christliche Botschaft der Liebe als teleologischem Vervollkommnungsprinzip zuspitzt.

b) Theologische Vorbedingungen des Gerechtigkeitsbegriffs

Die theologische Konnotation des Gerechtigkeitsbegriffs, die grundlegend auf den Deutungen der biblischen Tradition des Alten und Neuen Testamentes beruht und bereits in der Patristik mit dem platonischen und aristotelischen Gerechtigkeitsbegriffen verknüpft wurde, wird in der Hauptpassage der Gerechtigkeitsauseinandersetzung "Recht und Gerechtigkeit" bei Thomas zwar nur graduell in der Darstellung theologischer Gelehrtenmeinungen eingebunden, sie ist jedoch durch die Umfassung der theologischen Gehalte dem Gerechtigkeitsbegriff der summa theologiae implizit.

Ein prominentes Beispiel des alttestamentlichen Rechtsverständnisses, das den alttestamentlich facettenreichen Begriff exemplifiziert, ist die sogenannte Talionsformel, die Thomas im Zusammenhang des im Späteren ausgeführten Begriffs der Vergeltung im Zusammenhang mit der Gerechtigkeit thematisiert. Die allgemein betrachtet alttestamentliche Rede von der „Gerechtigkeit“ hat ihre unmittelbare Verbindung zur lebensweltlichen Praxis in der engen Verknüpfung mit dem religiösen Ritus, worin ein wesentlicher Unterschied zur philosophischen Tradition ersichtlich wird. Der alttestamentliche Gerechtigkeitsbegriff in seiner rituell religiösen Konnotation beinhaltet den Aspekt des Glaubens an die Objektivation der Gerechtigkeit als göttlichem Ausdruck, in der Gott auch in den Perspektiven von Gnade und von Verheißungstreue sich seinem Volk Israel mit den ethischen Verpflichtungen gegenüber der Thora offenbart.4 Die aristotelische Wendung von Gerechtigkeit ist hingegen schwerpunkthaft in einem politischen Kontext zu betrachten. Das Neue Testament bringt von der Ausgangsbasis des Judentums eine im Vergleich zum Alten Testament neue Gewichtung der Gerechtigkeit hervor. Die neutestamentlichen Traditionen zum Gerechtigkeitsbegriff sind dazu ebenso vielfältig, wie die des Alten Testamentes. Sie kann in einem groben Überblick in das Verständnis a) der Gerechtigkeit durch Umkehr und Buße bei Johannes dem Täufer, b) der Gerechtigkeit durch die Liebe und Barmherzigkeit Gottes in Jesus von Nazareth, c) der Gerechtigkeit durch die Rechtfertigung und Versöhnung bei Paulus und d) der Gerechtigkeit des Richters, Richtenden und des Gerichts in der Offenbarung des Johannes thematisch differenziert werden. Für das Gerechtigkeitskonzept innerhalb der summa theologiae werden im Schwerpunkt Punkt b) die Priorität der Liebe und die darin inbegriffene Barmherzigkeit zu einem wesentlichen und Zielführenden Charakteristikum der Gerechtigkeitssynthese theologischer und philosophischer Couleur bei Thomas.5

II. Der Begriff der Gerechtigkeit in der summa theologiae des Thomas von Aquin

Übersicht zur Textstelle „Recht und Gerechtigkeit“ innerhalb der summa theologiae:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

b) Die Gerechtigkeit als iustitia generalis

Innerhalb des philosophischen Viererschemas der Tugenden – Klugheit, Besonnenheit, Tapferkeit und Gerechtigkeit – wird Gerechtigkeit von Thomas in questio 58 als primäre Gemeinwohltugend definiert. „Da Gerechtigkeit Ausgleich bedeutet, ergibt sich aus ihrem Wesen, dass sie auf einen anderen gerichtet ist, … .6 In dem Nachaußenbezug werden die gerechten Akte des Handelnden nicht auf das Individuum selbst bezogen, sondern sind primär auf den Nachaußenbezug des Mitmenschen, also auf das gesellschaftliche Gefüge im Allgemeinen, gerichtet.7 Die gerechten Akte bestehen darin, „ einem jedem das Seine “ zu geben, also den Ausgleich des debitums bzw. des Geschuldeten aus der Perspektive des bonum commune zu vollziehen.. Wie der Begriff des bonum commune beschreibt, geht es in der Thematisierung der Gerechtigkeit um die prinzipielle Priorität des gesellschaftlichen Allgemeinwohls, worin in der grundsätzlichen Verhältnisbestimmung von Allgemeinheit und Partikularität, die Notwendigkeit des Einzelwohls der Person zur Geltung kommt.8

Die Person ist die kleinste Teileinheit der Gesellschaft als Ganzer, die die Formen des gerechten Handelns aus der Grundvoraussetzung ihrer Subjekthaftigkeit vollzieht.

Von den zwei menschlichen „Seelenteilvermögen“ des Subjekts wird der Vollzug der Gerechtigkeit primär nicht dem kognitiven Vermögen, also weder Ratio noch Intellekt zu geschrieben. Ebenso scheidet der Bereich des appetitus sensitivus und dessen sensitiver Teile (irascibile, concupiscibile) als primärer Moment des Initials aus, da für den Vollzug der gerechten Handlung die Herstellung von relationalen Ausgleichsmomenten in den sozialen Nachaußenwendungen notwendig ist, die das sensitive Streben übersteigt. Der Vollzug der Gerechtigkeit wird dem Bereich des appetitus rationalis zugeschrieben. In der Vorraussetzung des Erkennens von gerechten Ausgleichsrelationen wird bei Thomas der Wille als entscheidendes Moment des Initials von Agitationen insgesamt und somit auch von gerechten Handlungen betrachtet. Zur Bedingung des appetitus rationalis in seinem freien Entscheidungsmoment tritt die Beständigkeit der gerechten Haltung als Merkmal des tugendhaft Gerechten hinzu.9 Hierzu wird auch die Erziehung und Ausbildung der Gerechtigkeit durch die „Rechtmachung des Willens“ innerhalb der Seelenvermögen des Subjekts notwendig, um die beschriebene Priorität des bonum commune in einem gerechten Handeln kontinuierlich vollziehen zu können.10 Das neben dem appetitus rationalis bestehende Seelenvermögen des appetitus sensitivus und die Aufgabe der Ordnung der mit dem sinnlichen Streben assoziierten Leidenschaften fällt im Kontext des Kardinaltugendensystems "Gerechtigkeit, Klugheit, Tapferkeit und Mäßigung", wie beschrieben nicht in den Geltungsbereich der Gerechtigkeit. Thomas spricht, gemäß Augustinus, in Bezug zu den Seelenvermögen von einer strukturellen Trennung der Aufgabenfelder im Bereich der jeweiligen Tugendform:

[...]


1 Vgl. a.a.O., 40-41.

2 Aristoteles, Nikomachische Ethik 1129 a 5 f.

3 Vgl. Speer, Andreas: Thomas von Aquin - Die summa theologiae, 24.

4 Vgl., Finkel, Asher: Gerechtigkeit, II Judentum, 412

5 Vgl., Ansorge, Dirk: Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes, 303.

6 Thomas, II-II, q. 58, art. 2.

7 Vgl. ebd..

8 Vgl. Mühlum, Christoph: Zum Wohl des Menschen, 214.

9 Vgl. a.a.O., Mühlum, 217.

10 Vgl. Pforden, Dietmar von der: Über die Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit bei Thomas von Aquin, 105.

Fin de l'extrait de 22 pages

Résumé des informations

Titre
Die Tugend der Gerechtigkeit in der "Summa Theologiae" des Thomas von Aquin
Université
University of Cologne  (Philosophisches Seminar)
Note
1,3
Auteur
Année
2013
Pages
22
N° de catalogue
V503663
ISBN (ebook)
9783346053695
ISBN (Livre)
9783346053701
Langue
allemand
Mots clés
tugend, gerechtigkeit, summa, theologiae, thomas, aquin
Citation du texte
Chung Guk Bai (Auteur), 2013, Die Tugend der Gerechtigkeit in der "Summa Theologiae" des Thomas von Aquin, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/503663

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