Theoretische Unterrichtsmethoden zum Training von Kommunikation in einer multikulturellen Klasse

Nach den Kulturstandards von Alexander Thomas


Hausarbeit, 2019

43 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1) Einleitung

2) Kommunikationsprobleme zwischen den Kulturen

3) Kulturstandards nach Alexander Thomas
3.1) Sach- und Regelorientierung vs. Personen- und Beziehungsorientierung
3.2) Das Zeitverständnis
3.3) Direkte Kommunikation vs. indirekte Kommunikation
3.4) Individualismus vs. Kollektivismus
3.5) Distanzverhalten
3.6) Hierarchieverständnis
3.7) Privates und Berufliches
3.8) Verhalten in der Öffentlichkeit

4.) Interkulturelle Kompetenz und Interkulturelles Lernen bei Lehrkräften und Lernenden

5.) Die Methoden
5.1) Methoden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken
5.2) Methoden, um den Kollektivismus in der Klasse zu fördern
5.3) Methoden, die Bewusstsein und Respekt gegenüber anderen fördern (Distanz, Religion, Kultur)

6) Fazit

Literatur

Anlage

1) Einleitung

„Wenn Menschen, die einander nicht verstehen, zumindest verstehen, dass sie sich nicht verstehen, dann verstehen sie einander besser als wenn sie nicht verstehen, dass sie einander nicht verstehen.“ Gustav Ichheiser (1949)

Ich habe dieses Zitat von Ichheiser ausgewählt, weil es aus meiner Sicht zusammenfasst, was die optimale Kommunikationsbasis multikultureller Gruppen wäre. Nicht nur die Sprache bedingt das Verstehen – sie beschreibt nur einen von vielen Aspekten, die Kommunikation ausmachen. Essentiellere Faktoren wie Empathie, Toleranz, Akzeptanz und Respekt gegenüber der fremden Kultur haben meines Erachtens einen wirksameren positiven Einfluss auf eine harmonische Kommunikation, als es die Überwindung von Sprachbarrieren allein könnte. Es ist nicht allein nötig, eine gemeinsame Sprache zu beherrschen, um sich zu verständigen. Es geht um das Verstehen. Und Verstehen heißt, füreinander Verständnis aufzubringen, um eine harmonische Kommunikationsbasis zu finden.

Vor allem im schulischen Bereich, in dem gerade in der heutigen Zeit, ein Aufeinanderstoßen verschiedener Kulturen keine Seltenheit geworden ist, stelle ich mir die Fragen, wie sich die Kommunikation verbessern lässt, ohne dass die Sprache als Grundvoraussetzung gilt. Wie lässt sich ein Gemeinschaftsgefühl an einem Ort schaffen, wo so viel Fremdes aufeinander trifft? Was muss mir als Lehrkraft einer multikulturellen Klasse bewusst werden, und was muss ich den Lernenden ins Bewusstsein rufen, um Konflikte zu vermeiden, die aufgrund kultureller Missverständnisse entstehen könnten?

Um mir diese Fragen zu beantworten, werde ich mich in dieser Arbeit mit der Theorie von Alexander Thomas zum Thema Kulturstandards auseinandersetzen, da sie aus meiner Sicht ein interessanter Ansatz ist, um mögliche Verständigungsschwierigkeiten von Personen unterschiedlicher Kulturen zu verstehen und zu vermeiden. Darauf aufbauend möchte ich herausfinden, was ich als Lehrkraft tun kann, um für einen harmonischen Umgang innerhalb der Klasse zu sorgen. Welche Unterrichtsmethoden würden sich also, basierend auf den Kulturstandards, eignen, um das Gefühl der Fremdheit zu überwinden und sich für die Akzeptanz, Toleranz und den Respekt zwischen den Kulturen einzusetzen?

2) Kommunikationsprobleme zwischen den Kulturen

Eine harmonische Kommunikation ist essentiell für einen guten Unterricht. Herrschen Konflikte aufgrund von gravierenden Missverständnissen, Vorurteilen oder Angst vor der Fremdheit kann ein reibungsloser Unterricht problematisch, wenn nicht sogar unmöglich werden. Eine missverstandene Geste, ein missdeuteter Blick, ein unerwartetes Verhalten oder ein ungünstig gewähltes Wort – Kommunikation ist sehr vielschichtig. Wie der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik schon 1984 gesagt hat: „Man kann nicht nicht kommunizieren“, denn alles menschliche Handeln ist Kommunikation. Auch wenn das sprachliche Verständnis nur lückenhaft oder sogar gar nicht gegeben ist, kommunizieren die Menschen auch über Verhaltensweisen, wie lachen, schreien, weinen oder sogar schweigen.1 Die Kommunikation und die Kommunikationsforschung ist demnach ein sehr breites Gebiet. Die Fragen, die die Kommunikation zwischen Anhängern verschiedener Kulturen betreffen, fällt unter das Forschungsgebiet der Interkulturellen Kommunikation. Dort beschäftigt man sich mit „dem Zusammenhang zwischen Sprache, Kommunikation und Gesellschaft“.2

Laut dem zwischenmenschlichen Kommunikationsmodell von Schulz von Thun, wird eine Kommunikation zum potentiellen Konflikt, wenn sich die beabsichtigte Botschaft (verbal oder nonverbal) des Senders nicht mit der Botschaft deckt, die beim Empfänger angekommen ist. Die korrekte Vermittlung und Aufnahme der Nachricht ist abhängig von verschiedenen Faktoren, wie der Beziehung zwischen den kommunizierenden Personen, dem Grad der Offenheit, mit der die Nachricht gesandt wurde und dem Fakt, dass der Empfänger auch fähig ist, die Botschaft richtig zu deuten.3 Um also eine erfolgreichere Kommunikation zu gewährleisten, sollten die Kommunizierenden möglichst gleiche Vorstellungen, Kenntnisse und Bezüge besitzen. Diese Voraussetzung gilt vor allem, wenn die Gesprächspartner einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund haben. Je größer die kulturelle Diskrepanz ist, desto eher besteht die Möglichkeit eines Missverständnisses.4

Der kulturelle Hintergrund eines jeden Menschen beeinflusst seine Vorstellung, die er von der Welt und seinen Mitmenschen hat. So haben Menschen unterschiedlicher Kulturen beispielsweise verschiedene Vorstellungen von der Zeit. Obwohl die Zeit eine Idee ist, die allen Kulturen bekannt ist, ist ihre Wahrnehmung doch unterschiedlich. Während aus den USA das Sprichwort „Zeit ist Geld“ (Benjamin Franklin, 1748) stammt und es in England heißt „Der frühe Vogel fängt den Wurm“, sagt man in Australien „Die Europäer haben die Uhr, wir haben die Zeit“ und in Asien: „In der Ruhe liegt die Kraft“.5

Das Beispiel „Zeit“ als ein Faktor kulturell unterschiedlicher Wahrnehmung mag harmlos erscheinen, doch differenzieren die Menschen unterschiedlicher Kulturen beispielsweise auch zwischen ihrem Verständnis von Höflichkeit (z. B. in Japan gilt ein direktes „Nein“ als sehr unhöflich), der Ausgeprägtheit von Mimik und Gestik (z. B.: in Russland werden Fremde nicht angelächelt), dem Distanzverhalten (z.B.: in Deutschland, Großbritannien und Holland legt man Wert auf eine größere Distanz zum Gegenüber als in Spanien, Griechenland oder Italien.6 ) oder dem Blickverhalten (z. B.: Araber haben mehr Blickkontakt als Europäer, und Navajo Indianer werten den direkten Blickkontakt als Versuch der Dominanz)7.

Das Verhalten, das eine Kultur während der Kommunikation zeigt, variiert zum Teil stark vom Verhalten einer anderen Kultur und kann im schlimmsten Fall zu gravierenden Missverständnissen führen. Die Verschiedenheit im Kommunikationsverhalten in den Kulturen wurde von Alexander Thomas untersucht, welcher daraus das Modell der Kulturstandards entwickelt hat.

3) Kulturstandards nach Alexander Thomas

Der Begriff 'Kultur' ist sehr weit fassbar und beinahe unmöglich in einer Definition zusammenzufassen. So gibt es über 150 Definitionen, die 1952 alleine von Kroeber und Kluckhohn gezählt wurden.8 Thomas beschreibt 'Kultur' unter der Anmerkung, dass auch diese Definition nicht alle Aspekte erfasst, wie folgt:

Kultur ist ein universelles Phänomen. Alle Menschen leben in einer spezifischen Kultur und entwickeln sie weiter. Kultur strukturiert ein für die Bevölkerung spezifisches Handlungsfeld, das von geschaffenen und genutzten Objekten bis hin zu Institutionen, Ideen und Werten reicht. Kultur manifestiert sich immer in einem für eine Nation, Gesellschaft, Organisation oder Gruppe typischen Orientierungssystem. Dieses Orientierungssystem wird aus spezifischen Symbolen (z.B. Sprache, Gestik, Mimik, Kleidung, Begrüßungsritualen) gebildet und in der jeweiligen Gesellschaft, Organisation oder Gruppe tradiert, das heißt an die nachfolgende Generation weitergegeben. Das Orientierungssystem definiert für alle Mitglieder ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft oder Gruppe und ermöglicht ihnen ihre ganz eigene Umwelt- bewältigung. Kultur beeinflusst das Wahrnehmen, Denken, Werten und Handeln aller Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft. Das kulturspezifische Orientierungssystem schafft einerseits Handlungsmöglichkeiten und Handlungsanreize, andererseits aber auch Handlungsbedingungen und setzt Handlungsgrenzen fest. (Thomas 2003)9

Laut Thomas zeigt jede Kultur also bestimmte Verhaltensmuster, die als Orientierung für die Kommunikation oder den Umgang mit dem Gegenüber dienen. Dieses Orientierungssystem, das für die jeweilige Kultur typisch ist, bezeichnet Thomas als Kulturstandard. Dieses zeigt folgende Merkmale auf:10

– Kulturstandards sind Arten des Wahrnehmens, Denkens, Wertens und Handelns, die von der Mehrzahl der Mitglieder einer bestimmten Kultur für sich und andere als normal, typisch und verbindlich angesehen werden.
– Eigenes und fremdes Verhalten wird aufgrund dieser Kulturstandards gesteuert, reguliert und beurteilt.
– Kulturstandards besitzen Regulationsfunktion in einem weiten Bereich der Situationsbewältigung und des Umgangs mit Personen.
– Die individuelle und gruppenspezifische Art und Weise des Umgangs mit Kulturstandards zur Verhaltensregulation kann innerhalb eines gewissen Toleranzbereiches variieren.
– Verhaltensweisen, die sich außerhalb der bereichsspezifischen Grenzen bewegen, werden von der sozialen Umwelt abgelehnt und sanktioniert.

Die Kulturstandards sind demnach Faktoren, die die Art und Weise unseres Verhaltens beeinflussen und zum Teil auch rechtfertigen. Sie sind ein Teil der Identität einer jeden Person und erklären unser Empfinden von Bekanntem und Fremdem. Je mehr sich also die Kulturstandards ähneln, desto bekannter und vorhersehbarer sind das Verhalten des Gegenübers und somit auch die Toleranz demjenigen gegenüber. Im Umkehrschluss gilt, dass stark unterschiedliche Kulturstandards eher die negativen Emotionen hervorrufen, die die meisten vermutlich mit Fremden, Unbekannten und Nicht-Durchschaubaren assoziieren. Vor allem der letzte Punkt der Definition der Kulturstandards zeigt auf, dass die Begegnung von Personen, die unterschiedliche Kulturstandards haben, leicht in Missverständnisse oder gar Konflikte ausarten kann.

Die folgende Tabelle zeigt einen Vergleich zwischen den Kulturstandards der deutschen Kultur und ausgewählten anderen Kulturen. Ich habe die Kulturstandards der Türken und Polen gewählt, da aus diesen Ländern die meisten Ausländer in Deutschland kommen. Die Kulturstandards der Arabischen Golfstaaten und der Länder Ostasiens sollen einen allgemeinen Vergleichswert darstellen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten11 12 13 14 15

Tabelle 1: Vergleich der Kulturstandards

3.1) Sach- und Regelorientierung vs. Personen- und Beziehungsorientierung

Für den „typischen“ Deutschen ist es wichtig, zuerst die Arbeit zu erledigen, bevor man sich mit der Pflege von Beziehungen oder mit den persönlichen Bedürfnissen auseinandersetzt. Der Vorrang der Arbeit vor dem Persönlichen spiegelt das deutsche Verständnis von Professionalität wider und macht die sprichwörtliche deutsche Verlässlichkeit aus. Im Gegenzug haben die Deutschen den Ruf wegen ihres hohen Bedürfnisses an termin- und vertragsgerechtem Verhalten unflexibel, rechthaberisch und kleinlich zu sein.16 Dies gilt vor allem in der beruflichen Ebene, überträgt sich aber sicherlich auch auf das Schulische. So wird beispielsweise das Sprichwort „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ gern im Unterricht als Argument gebraucht wird, um die Lernenden an ihre Aufgabe zu erinnern und um Unlust zu unterbinden und zu motivieren. (Koll, 2003)

In anderen Kulturen, wie zum Beispiel den asiatischen oder arabischen, stehen die Personen und die Beziehungen an erster Stelle. Das heißt, dass nicht, wie in Deutschland, erst nach getaner Arbeit Zeit für ein persönliches Gespräch ist, sondern dass diese parallel ablaufen. Auf beruflicher Ebene gilt daher, dass ohne eine gute persönliche Beziehung, Geschäfte nicht erfolgreich ablaufen können. Daher kommen bei der Arbeit häufig Fragen zum Wohlbefinden, der Familie und ähnlichem auf, was in diesen Kulturen als große Höflichkeit gilt, aus deutscher Sicht jedoch aufdringlich und zeitverschwenderisch wirken kann.17

Eine mögliche Konfliktsituation im schulischen Bereich könnte hierbei zwischen der deutschen, sachorientierten Lehrkraft und den personenorientierten Lernenden aus anderen Kulturen entstehen, wenn die Lehrkraft beispielsweise das direkte Arbeiten an einem Thema erwartet, die Lernenden aber aus Höflichkeit zunächst auf persönliche Fragen eingehen wollen. Dieser mögliche Konflikt lässt sich jedoch leicht umgehen, wenn beispielsweise eine Vorstellungsrunde oder Fragen zum vergangenen Wochenende zum Stundenbeginn als Routine eingeführt werden.

3.2) Das Zeitverständnis

Ähnlich wie die Regel- und Sachorientierung ist auch die korrekte Einhaltung von Terminen ein Kulturstandard der Deutschen. Dieses zeitfixierte und termintreue Denken ist ein weiterer Punkt, der die Deutschen auf andere Kulturen unflexibel wirken lässt. In Deutschland werden selbst Ruhephasen, die Freizeit und der Urlaub penibel eingeplant und anschließend auch durchgeführt. Eine Abweichung von einem gesetzten Termin ruft bei vielen Deutschen Unbehagen und Stress hervor.18

Im Gegensatz dazu steht das häufig polychrone Zeitverständnis anderer Kulturen. Das heißt, dass nicht eine Tätigkeit abgeschlossen wird, bevor eine andere beginnt, sondern dass mehrere Tätigkeiten gleichzeitig erledigt werden. Zudem wird in vielen Kulturen wegen ihrer Personen- und Beziehungsorientierung mehr Wert auf soziale Kontakte und Bedürfnisse als auf die Einhaltung von Terminen gelegt. So werden Zeitpläne oft verschoben oder es kommt zu Verspätungen, da persönliche Angelegenheiten höher eingeschätzt werden.19

Bezogen auf das Schulische ist das Konfliktpotenzial wegen des unterschiedlichen Zeitverständnisses höher. Eine deutsche Lehrkraft erwartet beispielsweise einen pünktlichen Beginn des Unterrichts und würde jedes Zuspätkommen als unerwünschte Unterbrechung ansehen – vielleicht sogar als Respektlosigkeit. Um hier Konflikte zwischen Lehrkraft und Lernenden zu vermeiden, sollte in solchen Fällen stets geklärt werden, was die Verspätung verursacht hat und anschließend gemeinsam festgelegt werden, wo die Prioritäten liegen sollten.

3.3) Direkte Kommunikation vs. indirekte Kommunikation

Die Kommunikation der Deutschen zeichnet sich durch Direktheit und Offenheit aus. Es wird deutlich vermittelt, was beabsichtigt ist oder nicht und Meinungen werden auch gerne diskutiert. Im Gegensatz dazu steht die indirekte Kommunikation vieler anderer Kulturen. Bei dieser Art zu kommunizieren hängt die Botschaft stark vom Kontext ab.

Auch Mimik und Gestik beeinflusst, was die eigentliche Nachricht ist. Direktheiten werden deshalb oftmals als schroff, unhöflich oder gar bedrohlich empfunden.20

In der Schule, wo die Kommunikation nicht nur zwischen Lehrkraft und Lernenden, sondern auch zwischen Lehrkraft und Eltern stattfindet, kann diese unterschiedliche Art und Weise zu kommunizieren schnell Missverständnisse hervorrufen. Eine Person, die indirekte und unterschwellige Kommunikation gewohnt ist und auch praktiziert, könnte sich schnell beleidigt fühlen oder Unsympathien entwickeln, wenn sie mit einer direkten Aussage konfrontiert wird. Im umgekehrten Fall würde eine deutsche Lehrkraft vermutlich indirekte Hinweise nicht realisieren, da sie es nicht gewohnt ist darauf zu achten.

Ich denke, im Falle der Kommunikation mit den Eltern und Schülern wäre die Kommunikation mit Ich-Botschaften geeignet, um Direktheit und somit das Gefühl von Angriffen zu vermeiden. Innerhalb der Klasse könnte man im Laufe der Zeit, die direkte Kommunikation üben, um mehr Verständnis für die deutsche Kommunikationsart zu vermitteln – das würde aus meiner Sicht allerdings längere Zeit in Anspruch nehmen, da sich Kommunikationsarten vermutlich nicht schnell ändern lassen.

3.4) Individualismus vs. Kollektivismus

Die individualistische Einstellung im Berufsleben beschreibt in Deutschland den Ausdruck nach Unabhängigkeit, Eigenständigkeit und Verantwortungsbereitschaft. Es ist kein Kontrollorgan nötig, das jeden Arbeitsschritt vorschreibt, sondern man hat seine Aufgabe mit einem gewissen Spielraum und ergreift selbst die Initiative, sobald es Probleme oder Fragen gibt.21 Im Kollektivismus bestimmt dagegen das Denken und Handeln der Gruppe. Innerhalb dieser Gruppe achten alle Mitglieder auf Harmonie und Nähe. Bezogen auf den familiären Bereich bedeutet eine individualistische Erziehung, dass allein die Eltern für ihr Kind verantwortlich sind, ihm Werte vermitteln und mit ihm spielen. In der kollektivistischen geprägten Einstellung trägt zum Beispiel die gesamte Großfamilie zur Erziehung der Kinder bei. Die Erziehungsrolle wird also unter den Mitgliedern der Familie aufgeteilt: Die Mutter versorgt die Kinder, die Großmutter vermitteln Werte durch Erzählungen, die Gemeinschaft sorgt für den Schutz, die Kinder spielen miteinander.22

Das kollektivistische Denken ist meines Erachtens eine gute Möglichkeit, um das Gemeinschaftsgefühl innerhalb einer Klasse zu steigern und somit für ein harmonisches Miteinander zu sorgen. Das Arbeiten in Gruppen ist eine beliebte Methode, um die sozialen Kompetenzen zu fördern und entspräche auch dem kollektiven Denken, das viele Kulturen gewöhnt sind. Möglicherweise lässt sich diese Einstellung nutzen, um für eine grundlegend angenehme Atmosphäre innerhalb der Klasse zu sorgen.

3.5) Distanzverhalten

Die Frage nach der richtigen Distanz im schulischen Bereich wird heutzutage immer wieder thematisiert. Klare Regeln gibt es in deutschen Schulen nicht, was häufig zu Unsicherheiten auf Seiten der Lehrkräfte führt. Grundlegend gilt jedoch, dass die Reaktion des Gegenübers (z. B. offene oder verkrampfte Körperhaltung, offener oder fluchtsuchender Blick) ausschlaggebend dafür ist, ob Distanz oder Nähe gewünscht ist. In anderen Kulturen ist das Distanzverhalten genauer reguliert. So wird beispielsweise in arabischen Ländern zusätzlich zwischen den Geschlechtern unterschieden, ob Körperkontakt angebracht ist oder nicht. Während eine kurze körperliche Distanz und viele Berührungen zwischen Gleichgeschlechtlichen – auch bei Fremden - üblich sind, ist ein ähnliches Verhalten zwischen Männern und Frauen nicht gern gesehen.23

In Deutschland ist das Distanzverhalten zwischen fremden Erwachsenen größer, wenn auch freier bezüglich der Geschlechterfrage.24

In Bezug auf den Unterricht sollte meiner Meinung nach der Lehrkraft das jeweilige kulturell geprägte Wohlgefühl von Distanz bewusst sein und ansonsten das allgemein geltende Distanzverhalten gültig sein, das auf Respekt und Achtung des Gegenübers basiert und welches in der Klasse unbedingt auch angesprochen werden sollte.

3.6) Hierarchieverständnis

Das Hierarchieverständnis in Deutschland ist allgemein gesehen weniger stark ausgeprägt als in vielen anderen Kulturen. Natürlich gibt es Vorgesetzte und Chefs, die Anweisungen geben und die Verantwortung für den Erfolg der Arbeit tragen, doch sind sie nicht frei von Kritik, wenn diese angebracht ist. Beiträge und Vorschläge werden auch als hilfreich angesehen und als Form der guten Zusammenarbeit gewertet. In anderen Kulturen könnte so ein Verhalten als grobe Unhöflichkeit gesehen werden, da der Vorgesetzte eine besondere Autorität darstellt.

Des Weiteren legen andere Kulturen großen Wert auf die Meinungen der Älteren. Das heißt, dass Senioren besonderen Respekt entgegengebracht wird und allgemein gilt, dass der Ältere als der Weisere auch der Ranghöhere ist.25

Prinzipiell ist das fremdkulturelle Verhalten bezüglich des Hierarchieverhaltens meines Erachtens vorteilhaft an deutschen Schulen, da es hier üblicher zu sein scheint, dass die Lehrkraft sich den Respekt der Lernenden im Laufe der Zeit durch seine Kompetenz, sein Verhalten gegenüber der Klasse und dem Grad seiner Strenge erarbeitet. Ist das respektable Verhalten aufgrund des hierarchischen Verständnisses im vornherein gegeben, erleichtert dies stark das Management der Klasse.

Zu Irritationen könnte es jedoch bei der Wahl gewisser Aufgabenstellungen kommen. Kulturen mit stark ausgeprägter hierarchischer Vorstellung erwarten beispielsweise nicht, dass von ihnen konstruktive Verbesserungsvorschläge für eine bestimmte Sachlage gefordert werden können. Fragt eine Lehrkraft die Lernenden also nach Ideen, könnte das schnell als Schwäche oder Inkompetenz ausgelegt werden, da die Lernenden erwarten, dass ihnen gesagt wird, was sie wie machen sollen. Möglicherweise müsste hier frühzeitig geklärt werden, welche Vorteile es hat, wenn alle ihre Ideen beitragen.26

[...]


1 Rohr (2008) S.55

2 Redaktion Johannes Gutenberg Universität (2017)

3 Vgl. Losche (2003) S.43

4 Losche (2003) S.45

5 Popp (o.D.)

6 Losche (2003) S.59

7 Losche (2003) S.55

8 Thomas (2005) S.21

9 Thomas (2005) S.22

10 Thomas (2005) S.25

11 Koll (2003)

12 (1) Redaktion der IAG (o.D.)

13 Redaktion IHK Mittlerer Niederrhein (2016)

14 (2) Redaktion der IAG (o.D.)

15 Schroll-Machl (2005)

16 Koll (2003) S.2

17 Redaktion der IAG (o.D.) S.2

18 Koll (2003) S.3

19 Gundling (2015) S.16

20 Koll (2003) S.3

21 Koll (2003) S.3

22 Gundling (2015) S.17

23 Vgl. Kramer-Niederhauser (2014)

24 Müller (2017)

25 Müller (2017)

26 Ebd.

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Theoretische Unterrichtsmethoden zum Training von Kommunikation in einer multikulturellen Klasse
Untertitel
Nach den Kulturstandards von Alexander Thomas
Hochschule
Universität Potsdam  (Institut für Erziehungswissenschaften)
Veranstaltung
Mit Konflikten umgehen
Autor
Jahr
2019
Seiten
43
Katalognummer
V503713
ISBN (eBook)
9783346053466
ISBN (Buch)
9783346053473
Sprache
Deutsch
Schlagworte
theoretische, unterrichtsmethoden, training, kommunikation, klasse, nach, kulturstandards, alexander, thomas
Arbeit zitieren
Anne-Kristin Fülbier (Autor:in), 2019, Theoretische Unterrichtsmethoden zum Training von Kommunikation in einer multikulturellen Klasse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/503713

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