Einsamkeit. Welchen Einfluss haben die Variablen der Persönlichkeit?


Textbook, 2020

174 Pages


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Danksagung

Inhaltsverzeichnis

Abstract
Gender Erklärung

1 Einleitung

2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Beschreibung der Konstrukte

3 Fragestellung und Hypothesen
3.1 Fragestellung 1: Es gibt einen Zusammenhang zwischen sozialer Isolation, Einsamkeit und Lebenszufriedenheit.
3.2 Fragestellung 2: Es gibt einen Zusammenhang zwischen den Big 5, Einsamkeit und Lebenszufriedenheit.
3.3 Fragestellung 3: Es gibt einen Zusammenhang zwischen generalisierten Kontrollüberzeugungen, Einsamkeit und Lebenszufriedenheit.

4 Methoden
4.1 Stichprobe und Untersuchungsablauf
4.2 Instrumente
4.3 Auswertungsmethoden

5 Ergebnisse
5.1 Deskriptive Ergebnisse
5.2 Darstellung der Ergebnisse im Detail

6 Diskussion und Interpretation der Ergebnisse
6.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
6.2 Theoretische Implikationen
6.3 Praktische Implikationen
6.4 Limitationen und Ausblick

7 Conclusio

Literaturverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anhang
Fragebogen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum:

Copyright © Science Factory 2020

Ein Imprint der GRIN Publishing GmbH, München

Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany

Covergestaltung: GRIN Publishing GmbH

The drive to escape loneliness animates all our passions, thoughts, and actions; all we think, say, and do.

Ben Mijuskovic (2015

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei all jenen bedanken, die mich bei der Anfertigung dieser Masterarbeit unterstützt und durch die Zeit meines Studiums begleitet haben.

Mein besonderer Dank gilt Prof. Maria Hildegard Walter, die mir jederzeit für Fragen und Anregungen zur Seite gestanden hat und mich tatkräftig unterstützt hat. Vielen lieben Dank für Ihre Zeit und Geduld, die Sie für mich und diese Arbeit aufgebracht haben.

Ich möchte mich außerdem bei allen Teilnehmern meiner Befragung bedanken, ohne die diese Arbeit nicht hätte entstehen können.

Für das formale Korrekturlesen meiner Arbeit bedanke ich mich bei meiner langjährigen Freundin Chrissy. Ein Dankeschön auch an Pit Hasenkorn, für die anregenden Gespräche zum Thema Einsamkeit. Dank gilt hierbei auch meiner Oma, die mir bei der Akquirierung von Teilnehmern sehr geholfen hat.

Danke auch meinem Freund Julian, der mir in vielen Telefonaten in den letzten Wochen der Masterarbeit emotionalen Rückhalt gegeben hat.

Ein riesengroßes Dankeschön gilt meinen Freunden in Innsbruck, die mich von Anfang an begleitet haben und mir eine unvergessliche Zeit bereitet haben.

Der größte Dank gilt meiner Familie, dank der ich mich wohl niemals wirklich einsam fühlen werde. Ihr habt mir das Studium und die Zeit in Innsbruck erst ermöglicht. Danke.

Abstract

In den letzten Jahren wurde Einsamkeit als Indikator und Vulnerabilitätsfaktor für das physische und psychische Wohlbefinden in großem Ausmaß untersucht. Die negativen Auswirkungen von Einsamkeit auf die Lebenszufriedenheit wurden hierbei mehrfach nachgewiesen. Diese Studie erweitert die Untersuchungen des Zusammenhangs von Einsamkeit und Lebenszufriedenheit um die Persönlichkeitsvariablen der Big Five-Dimensionen Neurotizismus, Extraversion, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit und um die generalisierten Kontrollüberzeugungen. Zudem wird untersucht, inwiefern sich der Effekt sozialer Isolation auf die Lebenszufriedenheit durch die Einsamkeit erklären lässt, da diese zwei Konstrukte in der bisherigen Forschung zum Wohlbefinden häufig unscharf voneinander abgegrenzt wurden.

Die Daten wurden anhand 448 Probanden zwischen 16 und 93 Jahren erhoben. Einsamkeit wurde mit der UCLA Loneliness Scale (Döring & Bortz, 1993), soziale Isolation mit der Lubben Social Network Scale (Lubben & Gironda, 2003), die Big Five-Dimensionen mit dem NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (Borkenau & Ostendorf, 2008), generalisierte Kontrollüberzeugungen mit dem IPC-Fragebogen zu Kontrollüberzeugungen (Krampen, 1979) und Lebenszufriedenheit mit der Satisfaction With Life Scale (Glaesmer, Grande, Braehler, & Roth, 2011) erhoben.

Folgende Zusammenhänge werden von der Einsamkeit mediiert: Der Zusammenhang von sozialer Isolation und der Lebenszufriedenheit (a*b = -,37; 95% CI [-,46; -,29]), der Zusammenhang von Neurotizismus (a*b = -1,92; 95% CI [-2,41; -1,43]), Extraversion (a*b = 2,99; 95% CI [2,30; 3,79]), Verträglichkeit (a*b = 3,12; 95% CI [2,41; 3,91]) und Gewissenhaftigkeit (a*b = 1,88; 95% CI [1,30; 2,49]) mit der Lebenszufriedenheit, und zuletzt die Zusammenhänge internaler (a*b = 2,39; 95% CI [1,75; 3,10]) und externaler Kontrollüberzeugungen (a*b = -2,32; 95% CI [-3,04; -1,66]) mit der Lebenszufriedenheit. Die Zusammenhänge der sozialen Isolation und der Verträglichkeit mit der Lebenszufriedenheit werden vollständig von der Einsamkeit mediiert.

Die Limitationen der Studie ergeben sich durch die fehlende Repräsentativität der Stichprobe, durch das gewählte Forschungsdesign, das keine Kausalaussagen zulässt und durch mögliche konfundierende Effekte der soziodemographischen Variablen. In zukünftigen Untersuchungen wäre es interessant, den Einfluss von Persönlichkeitsvariablen auf den Zusammenhang von sozialer Isolation und Einsamkeit zu untersuchen, neben dem Effekt der Einsamkeit auf die Lebenszufriedenheit auch die affektive Komponente des subjektiven Wohlbefindens zu erfassen, und die einzelnen Faktoren der Einsamkeit (soziale Einsamkeit, emotionale Einsamkeit, Einsamkeitsgefühle) zu berücksichtigen. Im Hinblick auf praktischen Implikationen liefert die Studie drei Ansatzpunkte für verschiedene Präventionen und Interventionen, die an verschiedenen Stellen des Kreislaufs der Einsamkeit ansetzen.

* * *

Over the past few years loneliness as an indicator and factor of vulnerability of physical and mental well-being has been investigated to a great extent. Here the impact of loneliness on life satisfaction has been demonstrated repeatedly. This study is aimed to expand the association of loneliness and life satisfaction and take personality variables such as the big five dimensions neuroticism, extraversion, agreeableness and conscientiousness and locus of control into consideration. In addition the mediating effect of loneliness on the association of social isolation and life satisfaction is investigated to clarify the diffuse differentiation of social isolation and loneliness.

The data have been assessed on a sample of 448 subjects aged from 16 to 93 years. Loneliness has been assessed with the UCLA Loneliness-Scale (Döring &Bortz, 1993), social isolation with the Lubben Social Network-Scale (Lubben &Gironda, 2003), the Big Five Traits with the NEO Five Factor-Inventory (Borkenau &Ostendorf, 2008), locus of control with the general IPC-Scale (Krampen, 1979) and life satisfaction with the Satisfaction with life-Scale (Glaesmer et al., 2011).

The following associations are mediated by loneliness: The association of social isolation and life satisfaction (b = -,37; 95% CI [-,46; -,29]), the associations between neuroticism (b = -1,92; 95% CI [-2,41; -1,43]), extraversion (b = 2,99; 95% CI [2,30; 3,79]), agreeableness (b = 3,12; 95% CI [2,41; 3,91]) and conscientiousness (b = 1,88; 95% CI [1,30; 2,49]) with life satisfaction and the associations between an intern locus of control (b = 2,39; 95% CI [1,75; 3,10]) and an extern locus of control (b = -2,32; 95% CI [-3,04; -1,66]) with life satisfaction. The associations between social isolation and agreeableness with life satisfaction are fully mediated by loneliness.

The limitations of the study result from the lacking representativeness of the sample of the study, from the design of the study which doesn’t allow causality and from possible confounding sociodemographic variables. Future research should aim to investigate the influence of personality variables on the association of social isolation and loneliness. Furthermore the effect of loneliness on the affective component of well-being and the single factors of loneliness (social loneliness, emotional loneliness, feelings of loneliness) should also be considered. In terms of practical implications the study brings up three starting points for prevention and intervention at different stages of loneliness.

Gender Erklärung

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Masterarbeit die Sprachform des generischen Maskulinums verwendet. Es wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll.

1 Einleitung

Einsamkeit schade der Gesundheit mehr als 15 Zigaretten am Tag. Einsamkeit könne Herzkrankheiten, Depressionen, Demenz, Angstzustände und andere Krankheiten befördern. Einsamkeit sei tödlich, so der Psychiater und Einsamkeitsforscher, Manfred Spitzer (Spitzer, 2018). Spätestens seit der Einführung eines Einsamkeitsministeriums 2018 in Großbritannien ist eine explosionsartige Thematisierung von Einsamkeit in Studien verschiedenster Disziplinen zu verzeichnen und auch im deutschsprachigen Raum wird die Notwendigkeit eines solchen Ministeriums diskutiert. Einsamkeit gilt fälschlicherweise als ein Phänomen älterer Generationen. Tatsächlich kennen Einsamkeitsgefühle keine Altersbegrenzung und sind in allen Gesellschaftsschichten vorzufinden (Cacioppo, 2013). Die negativen Auswirkungen auf die Psyche und den Körper gelten inzwischen als gesichert (West, Kellner, & Moore-West, 1986; Blai, 1989; Kupersmidt, Sigda, Sedikides, & Voegler, 1999). Zudem scheinen Einsamkeitsgefühle in den westlichen Kulturen weiter zuzunehmen (Cacioppo, 2013), was das Thema derzeit sowohl in der Forschung, als auch in populistischer Literatur so präsent macht Schon Aristoteles beschrieb den Menschen mit seinem Begriff „zoon politikon“ als ein soziales, auf Gemeinschaft ausgerichtetes Wesen. Diese Veranlagung zur Sozialität geht bis weit auf die Ursprünge des Menschen zurück: Der Mensch ist weder das größte, das stärkste, noch das schnellste Lebewesen. Der evolutionäre Vorteil des Menschen ist nicht seine individuelle Macht, sondern kollektive Fähigkeiten, die für unsere Vorfahren einen klaren Überlebensvorteil darstellten (Cacioppo, 2013). Die sozialen Fähigkeiten des homo sapiens entwickelten sich im Laufe der Hominisation zusammen mit neuronalen, hormonellen und genetischen Mechanismen (Cacioppo, 2013), weshalb das Bedürfnis nach sozialer Bindung auch heute noch tief in uns verankert ist.

In der Psychologie wird Einsamkeit als ein aversiver Zustand bezeichnet, der auftritt, wenn das soziale Netzwerk einer Person subjektiv als quantitativ oder qualitativ defizient wahrgenommen wird (Perlman, 1988). Bisherige Studien zum Thema Einsamkeit beschäftigten sich vor allem mit pathologischen Auswirkungen, verschiedenen Copingstrategien und mit den Effekten auf das Wohlbefinden.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Variablen der Persönlichkeit in der Entstehung von Einsamkeit näher zu beleuchten, um zukünftig die zahlreichen schädlichen Auswirkungen der Einsamkeit durch präventive Ansätze eindämmen zu können. Zusätzlich gilt es, über die Unklarheiten bezüglich des Zusammenhangs von Einsamkeit und dem verwandten Konstrukt der sozialen Isolation aufzuklären, die in bisherigen Forschungen zu widersprüchlichen Ergebnissen geführt haben.

2 Theoretischer Hintergrund

2.1 Beschreibung der Konstrukte

2.1.1 Einsamkeit

2.1.1.1 Definition

Unter „Einsamkeit“ kann sich ein jeder etwas vorstellen, dennoch ist dieser Begriff in der Alltagssprache und in der Psychologie oft verschieden definiert. Die Konzeption von Einsamkeit als multidimensionales Phänomen (Heinrich & Gullone, 2006) ist in der Psychologie allgemein hin anerkannt, weshalb im Folgenden auf die verschiedenen Dimensionen von Einsamkeit eingegangen wird, die alle zusammengenommen das Konstrukt „Einsamkeit“ in seiner Fülle abzubilden versuchen. Perlman (1988) beschreibt Einsamkeit als eine unangenehme Erfahrung, die auftritt, wenn das soziale Netzwerk einer Person subjektiv als quantitativ oder qualitativ defizient wahrgenommen wird. Diese Definition fasst drei wesentliche Punkte zusammen, die wissenschaftsübergreifend akzeptiert sind: Erstens, Einsamkeit resultiert aus einer kognitiven Diskrepanz zwischen erwünschten und tatsächlichen sozialen Kontakten. Dabei kommt es neben der Anzahl, vielmehr auf die Qualität der Beziehungen an (Pinquart & Sörensen, 2001). Zweitens gilt Einsamkeit als eine subjektive Erfahrung. Sie ist nicht mit sozialer Isolation zu verwechseln, was den objektiven Mangel an sozialen Bindungen beschreibt. Drittens ist die Erfahrung von Einsamkeit aversiv und löst Stress aus. DeJong-Gierveld erweitert 1989 die Konzeption Perlmans. Sie nimmt die Werte, Normen und Standards, die im Leben einer Person bestehen, in die Definition Perlmans mit auf: Demnach werden die Erwartungen an soziale Beziehungen durch die Gesellschaft, in der man sich befindet, mitbeeinflusst, was sich wiederum auf die Bewertung seines sozialen Netzwerks als zufriedenstellend oder mangelhaft auswirkt. Hinzu kommt außerdem eine zeitliche Dimension, also die Frage, wie Betroffene ihre Einsamkeit interpretieren - als veränderbar und kurzweilig oder als hoffnungslos (DeJong-Gierveld, 1989), wobei letzteres schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach sich ziehen kann (Heinrich &Gullone, 2006). Weiss und Bowlby (1980) differenzieren zwischen emotionaler Einsamkeit, die von einer Abwesenheit naher Bezugspersonen oder intimer emotionaler Bindungen herrührt und sozialer Einsamkeit, die den Mangel einer breiteren Gruppe von Kontakten oder einer Unterbringung in einem sozialen Netzwerk beschreibt. Emotionale und soziale Einsamkeit können sich nicht gegenseitig kompensieren. Emotionale Einsamkeit ist beispielsweise das Ergebnis einer Scheidung oder des Todes des Partners und birgt intensive Gefühle der Leere und des Verlassenwerdens. Diese Art von Einsamkeit kann oft nur durch eine neue intime Beziehung gelöst werden. Freunde oder Familie können diese Form der Einsamkeit nicht völlig aufheben. Der soziale Typ der Einsamkeit kann wiederum nicht von einem Partner kompensiert werden (Stroebe, Stroebe, Abakoumkin, & Schut, 1996). Hawkley, Browne und Cacioppo (2005) fügen der bisherigen Definition eine evolutionäre Perspektive hinzu und beschreiben Einsamkeit als biologisches Konstrukt, das eine Veränderung im Verhalten bewirken und zur Weitergabe des eigenen Genpools antreiben soll. Sie teilen Einsamkeit in drei grundlegende Dimensionen ein, die den Grad der Isolation in drei verwandte, aber unterscheidbare Domänen gliedern: Intime Bindungen, Face-to-Face Beziehungen und soziale Identitäten. Der erste Faktor ist hierbei vergleichbar mit dem Faktor emotionaler, der zweite Faktor mit dem sozialer Einsamkeit von Weiss (1973). Während der erste Faktor aus evolutionärer Sicht hauptsächlich dafür zuständig ist, eine Gefährdung von Beziehungen zu erkennen und dazu zu motivieren, die Beziehungen zu reparieren, fungiert der zweite Faktor als Bestrafung für egoistisches Verhalten und als negativer Verstärker für sozial positive Verhaltensweisen, wie Empathie und Mitgefühl: Wenn ein Individuum sich einsam fühlt, wird es dazu angetrieben, das eigene Verhalten bezüglich Anderen zu überdenken und die Quelle der Einsamkeit bei sich und seinem Verhalten zu suchen. Der dritte Faktor ist die kollektive Isolation und beschreibt die wahrgenommene Abwesenheit von bedeutungsvollen Beziehungen zu einer Gruppe, die über das Level an einzelnen Individuen hinausgeht (beispielsweise Schule, Team, Nation, etc.). Menschen sind an das Leben in einer Gruppe gewöhnt. Sie haben kollektive Identitäten und müssen fähig sein, komplexe Hierarchien, soziale Normen und kulturelle Entwicklungen zu verstehen und wenn nötig, die eigenen Interessen unter die Interessen der Gruppe zu stellen, um langfristig Vorteile für sich erzielen zu können (Hawkley et al., 2005).

2.1.1.2 Prävalenz

Bezüglich der Prävalenz von Einsamkeit gibt es viele unterschiedliche Ergebnisse, die meist auf methodische Unterschiede in der Erhebung oder in der Einteilung der Altersgruppen zurückzuführen sind. Luhmann und Hawkley (2016) versuchten die verschiedenen Ergebnisse einzuordnen und liefern eine aktuelle Übersicht über das Auftreten von Einsamkeitsgefühlen über die Lebensspanne hinweg. Demnach sind Einsamkeitsgefühle nicht, wie häufig angenommen, auf das hohe Alter beschränkt. Im Gegenteil scheinen Einsamkeitsgefühle neben dem hohen Erwachsenenalter (über 80 Jahre), vor allem in jungen Jahren (bis 30 Jahre) am häufigsten aufzutreten und im Alter von 30-80 Jahren abzunehmen (Pinquart & Sörensen, 2003; Qualter et al., 2015). Dieser altersabhängige Verlauf konnte auch für die deutsche Bevölkerung bestätigt werden (Luhmann &Hawkley, 2016). Masi, Chen, Hawkley und Cacioppo (2011) zeigten in ihrer Meta-Analyse, dass auch schon Kinder Gefühle der Einsamkeit kennen. So berichten Erstklässler in 12 % der Fälle, sich in der Schule einsam zu fühlen (Cassidy & Asher, 1992).

Viele Faktoren sprechen dafür, dass die Einsamkeit in den nächsten Jahrzehnten noch weiter zunehmen wird. Die Hauptursache stellt der demographische Wandel und die Alterung der Gesellschaft in den westlichen Nationen dar. Hinzu kommen die erhöhte Wahrscheinlichkeit der Verwitwung, die mit steigendem Alter zunimmt (Masi et al., 2011), verspätete Heirat (Goldstein & Kenney, 2001), die wachsende Anzahl an Einfamilienhaushalten (U.S. Bureau of Labor Statistics, 2003) und reduzierte Fruchtbarkeitsraten (Taylor et al., 2010).

2.1.1.3 Quellen der Einsamkeit über die Ontogenese

Je nach Alter zeigen sich unterschiedliche Ursprünge von Einsamkeit, die auf die ontogenetischen Veränderungen hinsichtlich der Bedürfnisse zurückzuführen sind (Parkhurst & Hopmeyer, 1999). Peer-Freundschaften gelten als eine der ersten (erfassbaren) Quellen der Einsamkeit. In der frühen Kindheit bauen Freundschaften vor allem auf Nähe und gemeinsamen Aktivitäten auf. Im Laufe der Kindheit jedoch wird die Qualität von Freundschaften immer wichtiger. Kinder verändern ihr Bedürfnis von körperlicher Nähe zu einem Bedürfnis nach Wertschätzung, Verständnis, Selbstoffenbarung und Empathie (Bigelow, 1977; Parker & Asher, 1993). Diese Erwartungen entwickeln sich über die Jugend und das junge Erwachsenenalter hinweg weiter und fokussieren sich dabei immer mehr auf das Bedürfnis nach Intimität (Buhrmester, 1990; Steinberg & Morris, 2001). Während die Quantität an Freundschaften in der frühen Kindheit also subjektiv wichtiger erscheint, verschiebt sich der Fokus im späteren Verlauf auf die Qualität der Beziehungen. Eine zweite wichtige Quelle von Einsamkeit ist die Peer-Gruppe. In der frühen Kindheit scheint die Zugehörigkeit zu einer Peer-Gruppe nicht von Wichtigkeit zu sein, sofern es sich nicht um extremen Ausschluss oder Schikane durch eine Gruppe handelt (Kochenderfer-Ladd & Wardrop, 2001). Jugendliche streben neben der Akzeptanz durch Freunde, vor allem eine Akzeptanz durch die Peer-Gruppe an. Im späteren Verlauf sinkt die Wichtigkeit des sozialen Status. Das Bedürfnis nach intimen Freundschaften bleibt jedoch bestehen. Ein weiterer wichtiger Risikofaktor für Einsamkeit in der Pubertät ist die Bildung der eigenen Identität (Qualter et al., 2015). Zusätzlich kommen im Verlauf der Jugend romantische Beziehungen als eine dritte Quelle der Einsamkeit hinzu (Collins, Welsh, & Furman, 2009). Hierbei steigen im Laufe der Entwicklung die Ansprüche an die Partnerschaft (Dush & Amato, 2005). Durch das Erwachsenenalter hindurch zieht sich die Qualität der Ehe als ein wichtiger Faktor der Einsamkeit (Ed Diener, Gohm, Suh, & Oishi, 2000). Im hohen Alter entwickeln sich weitere Risikofaktoren, wie beispielsweise der Verlust eines Partners, reduzierte soziale Aktivitäten aufgrund wachsender körperlicher Einschränkungen und einem schlechteren Gesundheitszustand (Dykstra, van Tilburg, & DeJong-Gierveld, 2005). Hinzu kommt auch die Konfrontation mit der Gebrechlichkeit des Partners (Dykstra et al., 2005).

2.1.1.4 Korrelate von Einsamkeit in der Forschungsliteratur

Bei der Darstellung der Korrelate der einzelnen Konstrukte werden ausschließlich jene Zusammenhänge erwähnt, die bereits mehrmals repliziert worden sind und nach neuestem Kenntnisstand als soweit gesichert gelten.

Einsamkeit wird häufig mit älteren Menschen assoziiert, jedoch zeigen Untersuchungen, dass Einsamkeitsgefühle auch bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen starken Anstieg verzeichnen. Die Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten BBC-Umfrage (BBC Media Centre, 2018) mit über 55.000 Befragten - die bisher größte Umfrage zum Thema Einsamkeit - zeigen, dass Menschen zwischen 16 und 24 Jahren Einsamkeit am häufigsten und am intensivsten erleben. Pinquart und Sörensen (2001) berichten in ihrer Meta-Analyse von einem U-förmigen Verlauf der Einsamkeit in Bezug auf das Alter, wobei Menschen im jungen Erwachsenenalter und Menschen im hohen Alter die höchsten Einsamkeitswerte aufweisen. Für den Anstieg der Einsamkeitsgefühle in jungen Jahren haben Forscher mehrere Entwicklungs- und soziale Faktoren verantwortlich gemacht (Brennan, 1982). Der Theorie nach haben Jugendliche häufig sehr hohe Erwartungen an ihre sozialen Beziehungen, die kaum erfüllt werden können. Zudem bestehen Unklarheiten in ihrer sozialen Rolle. Das Selbstkonzept von jungen Menschen ist häufig konfus und noch nicht ausgebildet. Hieraus entsteht ein Gefühl der Identitätsdiffusion (Goth et al., 2012), was wiederum mit Einsamkeit assoziiert ist (Goosens & Marcoen, 1999). Jugendliche reorganisieren ihre soziale Welt und trennen sich von der Wahrnehmung der Eltern als ihre primären Bezugspersonen. Hiernach sind zunächst die Peer-Gruppe und später romantische Beziehungen für das Gefühl der Eingebundenheit verantwortlich (Franzoi & Davis, 1985). Werden die Bindungen subjektiv als defizient wahrgenommen, kann dies bei Jugendlichen zu starken Einsamkeitsgefühlen führen (Neto & Barros, 2000). Auch der Übergang in das Studentendasein und Arbeitsleben und der damit verbundene Auszug von zu Hause zeigt Auswirkungen auf die Einsamkeit (Shaver, Furman, & Buhrmester, 1985). Sippola und Bukowski (1999) folgern aus den oben genannten Entwicklungsaufgaben des Jugend- und jungen Erwachsenenalters, dass Einsamkeit in dieser Phase möglicherweise sogar als eine normative Erfahrung anzusehen ist. Mit dem Drang nach Autonomie, Individualität und Identitätsbildung in der Jugend geht ein erhöhtes Risiko für Separationsgefühle einher, was zu einem stärkeren Bedürfnis nach Bindung führt und folglich in einer erhöhten Vulnerabilität für Einsamkeit endet (Brennan, 1982). Die erhöhten Einsamkeitswerte bei älteren Stichproben sind unter anderem dadurch zu erklären, dass die Risikofaktoren für Einsamkeit im hohen Alter zahlreicher sind. Ältere Menschen erfahren häufiger den Verlust von Bezugspersonen und haben folglich kleinere soziale Netzwerke. Zudem sind sie häufiger durch Behinderungen beeinträchtigt und dadurch in sozialen Aktivitäten eingeschränkt (DeJong-Gierveld & van Tilburg, 1999; Green, Richardson, Lago, & Schatten-Jones, 2001; Luo, Hawkley, Waite, & Cacioppo, 2012).

In Bezug auf das Geschlecht folgern Heinrich und Gullone (2006) in ihrer Meta-Analyse, dass gefundene Geschlechtsunterschiede bezüglich der Einsamkeit wahrscheinlich lediglich Folge methodischer Artefakte (z.B. unterschiedliche Erhebungsmethoden) sind. Zudem wird vermutet, dass Frauen eher gewillt sind Einsamkeit zuzugeben als Männer (Borys & Perlman, 1985).

Eltern-Kind-Beziehungen haben ebenfalls einen Einfluss auf Einsamkeitsgefühle (Heinrich &Gullone, 2006). Nach Bowlby (1969) bieten die Bindungen, die Kinder mit ihren Eltern formen, Erfahrungen von Wärme, Intimität und Sicherheit, die für spätere Beziehungen und Intimität wichtig sind. Hojat (1987) folgert im Rahmen der Bindungstheorie, dass Störungen in den Beziehungen der Kindheit in Angst vor Intimität, Gefühlen der Vulnerabilität und in Ablösung resultieren können. Cassidy und Berlin (1999) argumentieren, dass Schwierigkeiten in frühkindlichen Bindungen die Bildung gesunder Repräsentationsmodelle (Wahrnehmung von Anderen und sich Selbst) verhindern. Diese Effekte resultieren in Schwierigkeiten in späteren Bindungen und in einem erhöhten Risiko, sich einsam zu fühlen (Chipuer, 2001).

Untersuchungen zum Einfluss der Kultur auf die Einsamkeit sind rar (Hawkley, Gu, Luo, & Cacioppo, 2012) und es besteht bisher kein Konsens in Bezug auf die Prävalenz von Einsamkeit als Ergebnis individualistischer oder kollektivistischer Kulturen (Chen et al., 2004). Generell gilt jedoch der soziale Vergleich als eine der Hauptursachen von Einsamkeit. Er beeinflusst, wie schwerwiegend das soziale Defizit interpretiert wird (Perlman & Peplau, 1981). Soziokulturelle Normen scheinen die erwünschte und erwartete Größe und die Qualität sozialer Netzwerke zu definieren und sich darauf auszuwirken, wie Mängel in diesen Bereichen wahrgenommen werden (Ayalon, Palgi, Avidor, & Bodner, 2016).

Der Einfluss des Beziehungsstatus auf die erlebte Einsamkeit lässt sich wie folgt zusammenfassen: Verheiratete sind grundsätzlich weniger, geschiedene und verwitwete Menschen häufiger einsam (Dykstra & Fokkema, 2007; Pinquart &Sörensen, 2001; Rokach & Brock, 1996; Savikko, Routasalo, Tilvis, Strandberg, & Pitkälä, 2005; Victor & Yang, 2012; Dykstra & DeJong-Gierveld, 2004; Perlman & Peplau, 1984; Savikko et al., 2005; Berg, Mellström, Persson, & Svanborg, 1981; Neto &Barros, 2000). Auch ein niedriger sozio-ökonomischer Status wirkt sich auf die Einsamkeit aus (Perlman, 1988; Ferreira-Alves, Magalhães, Viola, & Simoes, 2014; Hawkley et al., 2008 Harvey & Bahr, 1974; Perlman &Peplau, 1981; Weiss, 1973). Das Alleine Leben ist ebenso mit Einsamkeit korreliert (DeJong-Gierveld, 1987; Döring &Bortz, 1993; Perlman, 1988). Physisches Alleinsein kann besonders dann zu Einsamkeitsgefühlen führen, wenn die Zeit alleine, subjektiv unbefriedigend verbracht wird (Csikszentmihalyi, 2001).

Neben dispositionellen Faktoren sind auch kontextuelle Merkmale, also soziokulturelle Faktoren aus der Umwelt des Individuums, für das Verständnis von Einsamkeit unerlässlich. Diese beinhalten das soziale Netzwerk, Beziehungsstandards (Erwartungen an Beziehungen) und Hintergrundmerkmale wie Gesundheit (DeJong-Gierveld, van Tilburg, & Dykstra, 2012). Situative Faktoren wie Umzug, Scheidung, Tod oder Trennung von einer signifikanten Bezugsperson sind weitere Faktoren, die zu einem Gefühl der Einsamkeit beitragen können (Cacioppo & Hawkley, 2009; Doman & Le Roux, 2010).

Einer der Hauptgründe für die wachsende Anzahl an Studien rund um das Thema Einsamkeit ist deren Auswirkung auf die Gesundheit. Im Folgenden wird auf den Zusammenhang von Einsamkeit mit psychischen Problemen, Gesundheit, somatischem Distress und physischen Krankheiten eingegangen:

Heinrich und Gullone (2006) beschreiben den Prototyp einer einsamen Person als verzweifelt, depressiv, gelangweilt und selbstabwertend mit generell negativen Einstellungen in Bezug auf sich selbst und andere, sowie passiv und unfähig im sozialen Kontakt. Die empirische Forschung zeigt, dass Einsamkeit in der Allgemeinbevölkerung von verschiedenen negativen Kognitionen begleitet wird. Diese äußern sich in einer erhöhten Aufmerksamkeit gegenüber sozialen Bedrohungen, einer generellen Erwartung negativer sozialer Interaktionen und einer Wahrnehmungsverzerrung, die negative gegenüber positiven sozialen Informationen priorisiert. Folglich empfinden einsame Menschen oft Feindseligkeit, Stress, Pessimismus und Angst (Cacioppo et al., 2006; Cacioppo &Hawkley, 2009). Einsamkeit ist außerdem mit emotionalen Aspekten wie Scham, Schuld, Kummer und Traurigkeit assoziiert (Rostami & Jowkar, 2016; Vanhalst, Luyckx, Raes, & Goossens, 2012). Einsame Menschen haben meist ein geringes Durchsetzungsvermögen (Bahr, Peplau, & Perlman, 1984; Hojat, 1982; Horowitz, French, & Anderson, 1982; Russell, Peplau, & Cutrona, 1980) und einen niedrigen Selbstwert (Brage, Meredith, & Woodward, 1993; Hymel, Rubin, Rowden, & LeMare, 1990; Larson, 1999; Schultz & Moore, 1988). Generell ist Einsamkeit mit mangelhaften sozialen Fähigkeiten verbunden (Hawkley, Burleson, Berntson, & Cacioppo, 2003; Rotenberg, 1994), was unter anderem zu einer Zurückstoßung durch Peers, Schikane und einem Mangel an qualitativ hochwertigen Freundschaften führen kann (Crick & Ladd, 1993; Kochenderfer & Ladd, 1996; Parker &Asher, 1993). Unbehaglichkeit und Verunsicherung in sozialen Interaktionen, Angst vor Intimität und Entwicklungsdefizite durch beispielsweise Vernachlässigung im Kindesalter sind laut Rokach und Brock (1996) häufig berichtete Gründe von Einsamkeit.

In psychopathologischer Hinsicht ist Einsamkeit mit einer Reihe von psychiatrischen Krankheitsbildern assoziiert: Es zeigte sich ein Zusammenhang mit Angst (B. Mijuskovic, 1986), sozialer Phobie (Moore & Schultz, 1983), Schizophrenie (Deniro, 1995), Depression bei Jugendlichen (König & Abrams, 1999; Moore &Schultz, 1983) und Erwachsenen (Goswick & Jones, 1981), Parasuizid, Suizid und Suizidgedanken (Birtchnell & Alarcon, 1971; Peck, 1983), Essstörungen (Coric & Murstein, 1993) und Übergewicht (Schumaker, Krejci, Small, & Sargent, 1985), Alkohol- und Drogenabhängigkeit (Brennan, 1982), Schlafstörungen (Cacioppo, Hawkley, Berntson et al., 2002), Müdigkeit (DiTommaso & Spinner, 1997) und vermehrtem Distress (Kiecolt-Glaser, Ricker et al., 1984). Eine klinische Langzeitstudie fand zudem einen kausalen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Demenz. Das Demenzrisiko zeigte sich bei einsamen Menschen mehr als doppelt so hoch, selbst wenn statistisch für soziale Isolation kontrolliert wurde (Wilson et al., 2007).

Einsamkeit wurde in zahlreichen Studien mit erhöhter Morbidität und Sterblichkeit assoziiert (Hawkley, Thisted, Masi, & Cacioppo, 2010; Paul, Ayis, & Ebrahim, 2006; Luo et al., 2012; Paul et al., 2006). Einsamkeit hat negative Auswirkungen auf das Immunsystem (Kiecolt-Glaser, Garner et al., 1984) und das kardio-vaskuläre System (Cacioppo, Hawkley, Crawford et al., 2002). Zudem wurde bei einsamen Menschen eine erhöhte Cortisol-Konzentration nachgewiesen (Kiecolt-Glaser, Ricker et al., 1984; Pressman et al., 2005; Steptoe, Owen, Kunz-Ebrecht, & Brydon, 2004), was unter anderem für eine geringere inflammatorische Kontrolle sorgt und so vermehrt zu entzündlichen Krankheiten führen kann (Hawkley & Cacioppo, 2010). Das erhöhte Mortalitätsrisiko von Einsamkeit ist vergleichbar mit Risikofaktoren wie geringer physischer Aktivität, Übergewicht, Substanzmissbrauch, schlechter mentaler Gesundheit, Verletzung oder Gewalt, geringer Qualität der Umwelt und mangelndem Zugang zu Gesundheitsservices (Holt-Lunstat, Smith, Baker, Harris, & Stephenson, 2015).

Die Häufigkeit von Einsamkeitsgefühlen im sozialen Umfeld scheint sich auch auf die eigene Einsamkeit auszuwirken: Cacioppo, Fowler und Christakis (2009) fanden in einer Langzeitstudie heraus, dass Einsamkeit sich wie ein ansteckender Prozess verbreitet: Menschen, die in direktem Kontakt mit einem sich einsam fühlenden Menschen sind, haben vier Jahre später ein doppeltes Risiko, selbst einsam zu sein.

2.1.1.5 Coping

Rokach und Brock (1998) benannten Reflexion und Akzeptanz, Selbstentfaltung und Verständnis, Bildung und Erhaltung eines sozialen Unterstützungsnetzwerks, Distanzieren und Leugnen, Unterstützung durch Religion und Glaube und gesteigerte Aktivität als die verschiedenen Copingstrategien bezüglich der Einsamkeitsgefühle. Reflexion und Akzeptanz stehen hierbei für die Beschäftigung mit eigenen Gefühlen, Gedanken und der Entfremdung von anderen. Ziel ist das Gewahrsein und die Akzeptanz der eigenen Einsamkeit und folglich eine kognitive Umstrukturierung der Situation durch die Entdeckung und Umsetzung persönlicher Ressourcen. Selbstentfaltung und Verständnis meint die Stärke und den Glauben an sich selbst, und ein besseres Verständnis von sich selbst und seiner Situation.Der Faktor „Soziales Netzwerk zur Unterstützung“ fokussiert sich auf vermehrte soziale Interaktionen mit anderen und die qualitative Verbesserung bisheriger sozialer Verbindungen oder die Gewinnung neuer Beziehungen. Distanzieren und Leugnen meint ungesunde Verhaltensweisen wie übertriebenen Medikamentenkonsum, Alkohol- und Drogenmissbrauch, selbstinduzierte soziale Isolation, Suizidversuche, kriminelles Verhalten oder das Leugnen seiner Einsamkeit. Spitzer, ein deutscher Psychiater und Forscher zum Thema Einsamkeit, berichtet von dem Phänomen des Schmerzmittelmissbrauchs – Schmerzmittel zur Behandlung physischer Schmerzen - um sozialen Schmerz, unter anderem ausgelöst durch Einsamkeit, zu reduzieren (Spitzer, 2018). In funktionellen MRT-Untersuchungen wurde herausgefunden, dass sozialer und physischer Schmerz zum Teil in denselben Gehirnarealen verarbeitet werden. In den Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass Medikamente zur Unterdrückung physischen Schmerzes auch sozialen Schmerz (experimentell induziert durch sozialen Ausschluss) lindern konnten (DeWall et al., 2010).Die Dimension „Religion und Glaube“ bezieht sich auf ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das Menschen durch religiöse Gemeinschaften oder den Glauben an Gott oder eine höhere Macht erfahren. Der letzte Faktor der gesteigerten Aktivität meint sowohl die Beschäftigung mit sich selbst, als auch das Teilnehmen an extracurricularen Aktivitäten, welche die Zeit, die alleine verbracht wird, schöner, produktiver und bedeutungsvoller gestalten und dazu verhelfen soll, soziale Kontakte und Beziehungen zu stärken.

Derzeit wird vor allem dem Medienkonsum und dem Online-Verhalten als Copingstrategie von Einsamkeit besondere Aufmerksamkeit zuteil.

2.1.1.6 Neurobiologie

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Menschen bilden Partnerschaften, Gruppen, Organisationen über ihre individuellen Strukturen hinaus. Einsamkeit, also die wahrgenommene Abwesenheit dieser sozialen Strukturen oder qualitative Mängel innerhalb des sozialen Netzwerks, und die Reaktion darauf, sind im Laufe der menschlichen Evolution zusammen mit genetischen, neuronalen und hormonellen Entwicklungen entstanden (Cacioppo, Capitanio, & Cacioppo, 2014). Hierbei hat sich das Gehirn als Schlüsselorgan für soziale Bindungen und Prozesse entwickelt.

Generell scheint das Gehirn in zwei separate Mechanismen für soziale Bindung strukturiert zu sein: Dopaminerge Neuronen im ventralen tegmentalen Areal (kurz: VTA), die nach und während einer sozialen Interaktion ein befriedigendes Gefühl auslösen und dopaminerge Neuronen im dorsalen Raphe-Kern (im Hirnstamm gelegen), die Einsamkeitsgefühle entstehen lassen, wenn Betroffene sich als Individuen ohne bedeutungsvolle soziale Beziehung wahrnehmen (Matthews et al., 2016).

Etwas spezifischer fassen Cacioppo und Cacioppo (2018) den bisherigen Forschungsstand zum Thema Einsamkeit und neuronale Korrelate wie folgt zusammen: Die bisher identifizierten Regionen, die mit der Wahrnehmung von Einsamkeit und der Reaktion auf diese assoziiert sind, sind der präfrontale Kortex (kurz: PFC), das cingulo-operculare Netzwerk, die Amygdala und der Nucleus Striae terminalis (kurz: BNST) (Cacioppo et al., 2015; Cacioppo, Capitanio et al., 2014; Matthews et al., 2016). Der PFC ist in die Wahrnehmung sozialer Isolation involviert und leitet seine Information an die Amygdala und den BNST weiter. Diese bereiten die physiologische Anpassung vor: Die Amygdala und der BNST projizieren die wahrgenommenen sozialen Informationen zu den hypothalamischen Arealen und zum Hirnstamm, die dann die autonomen, neuroendokrinen und behavioralen Antworten auf die Stimuli beeinflussen. Hierbei ist die Amygdala eher für schnelle Reaktionen auf spezifische soziale Bedrohungen zuständig, während der BNST eher langsame und länger anhaltende Reaktionen auf andauernde Bedrohungen beeinflusst.

Vor allem bei den evolutionären Vorfahren des Menschen galten soziale Isolation, und das häufig damit verbundene Gefühl der Einsamkeit, als Bedrohung für das eigene Leben.

2.1.1.7 Genetik

Canli und Kollegen (2017) befassten sich mit den Auswirkungen der Einsamkeit auf die Genregulation, also inwiefern die Aktivität eines Gens von Einsamkeitsgefühlen beeinflusst wird. Sie konnten in ihren Gen-Analysen zeigen, dass das bei einsamen Menschen am stärksten hochregulierte Gen, das Kokain- und Amphetamin-regulierende Transkript-Protein (CART) ist. CART interagiert mit Dopamin, einem Neurotransmitter, der unter anderem für ein Gefühl der Belohnung verantwortlich ist. Wenn das CART in den Nucleus Accumbens infundiert, wirkt es gegen die Effekte von Dopamin, unterdrückt also ein Belohnungsgefühl. Die Autoren vermuten, dass durch diesen Effekt soziale Interaktionen für einsame Menschen weniger belohnend sind und beziehen sich dabei auf frühere Untersuchungen, wonach einsame Menschen soziale Interaktionen als weniger positiv und belohnend wahrnehmen (Cacioppo et al., 2000; Hawkley et al., 2003; Wheeler, Reis, & Nezlek, 1983).

Einsamkeit kann zu einem Herunterregeln der antiviralen Genexpression führen. Die Aktivierung von Genen, die Viren bekämpfen, wird also unterdrückt und somit die Immunabwehr geschwächt. Zudem kann es zu einer Hochregulierung der inflammatorischen Genexpression kommen, wodurch Entzündungen vermehrt auftreten können (Cole et al., 2015; Cole, Hawkley, Arevalo, & Cacioppo, 2011; Creswell et al., 2012).

In Fragen der Erblichkeit von Einsamkeit gibt es bisher sehr widersprüchliche Ergebnisse. Zu erwähnen ist hier eine der neuesten Studien von Gao und Kollegen (2017). Diese unterscheidet sich von bisherigen Studien durch die größere Anzahl an Probanden (N = 10.000) und das Design als Genomweite Assoziationsstudie, also die Untersuchung des gesamten Genoms, und nicht nur einzelner Gene. Die Autoren fanden eine gemeinsame Vererbung (polygene Vererbung) von Einsamkeit und einigen Persönlichkeitseigenschaften (Neurotizismus, depressive Symptome). Sie schließen daraus, dass Einsamkeit nur als mäßig erblich gilt und eine Prädisposition für Einsamkeit hauptsächlich über die Erblichkeit von Drittvariablen entsteht.

2.1.1.8 Evolutionäre Perspektive

Cacioppo und Cacioppo (2018) beschreiben Einsamkeit als Symptom eines unerfüllten Grundbedürfnisses des Menschen: dem Bedürfnis nach sozialer Bindung: Genauso wie der Mensch bei Durst nach Wasser und bei Hunger nach Nahrung sucht, sucht er bei Einsamkeit (zumindest unbewusst) nach sozialer Nähe und Intimität. Die evolutionäre Überlebensmaschinerie findet nicht im physischen Körper ihr Ende, sondern geht in den sozialen Körper mit seinem Grundbedürfnis nach sozialer Bindung über (Cacioppo &Cacioppo, 2018).

Aus evolutionärer Sicht stellte das Bedürfnis nach Zugehörigkeit einen Überlebensvorteil dar (Baumeister & Leary, 1995): Den menschlichen Vorfahren fiel es leichter zu sammeln, zu jagen, zu koordinieren, Essen zu teilen, Unterschlupf zu bauen und ihre Ressourcen und sich selbst zu beschützen, wenn sie in einer Gruppe zusammenarbeiteten. Zudem erleichterte das Leben in der Gruppe das Finden eines Partners und die Fortpflanzung und sicherte Unterstützung in der Aufzucht des Nachwuchses. Durch das Leben in der Gruppe wurde der individuelle Energieaufwand reduziert, Wissen weitergegeben und Aufgabenteilung ermöglicht. So wurden soziale Interaktionen internal von positiven Emotionen und soziale Deprivation von negativen Gefühlen begleitet (Baumeister &Leary, 1995).

Qualter und Kollegen (2015) prägen in ihrem Entstehungsmodell von Einsamkeit den Begriff des „Reaffiliation Motive“ (kurz: RAM), welches die Motivation beschreibt, sich bei wahrgenommener Isolation (wieder) sozial einzugliedern. Deshalb ist Einsamkeit auch häufig lediglich eine kurzweilige Erfahrung, sofern die soziale Reintegration gelingt. Manchmal können diese Versuche jedoch versagen und zu langanhaltender Einsamkeit mit zahlreichen negativen Auswirkungen führen. Das RAM wird aktiviert, wenn der Mensch sich sozial isoliert fühlt und daraus ein aversives Gefühl resultiert, das signalisiert, dass die eigenen sozialen Beziehungen geschädigt oder bedroht sind. Hierdurch wird die Motivation getriggert, seine Bündnisse zu schützen oder zu reparieren (Cacioppo, Cacioppo, & Boomsma, 2014). Zunächst werden behaviorale Prozesse angeregt, die anfangs einen Rückzug aus initialen sozialen Interaktionen bewirken. Es scheint zunächst widersprüchlich, dass Einsamkeit dazu motiviert, sich weiter aus sozialen Interaktionen zurückzuziehen, da dieses Verhalten die Wahrscheinlichkeit der Einsamkeitsgefühle zu erhöhen vermag. Dieser initiale Rückzug ist jedoch adaptiv und erlaubt eine Beobachtung, eine Selbstreflexion und anschließende Urteilsbildung über angebrachtes soziales Verhalten (Cacioppo &Hawkley, 2009). Nach dem behavioralen wird das kognitive System aktiviert, was zu einer Hypervigilanz für soziale Reize führt. Die Hypervigilanz dient dem Absuchen sozialer Situationen nach möglichen sozialen Bedrohungen. Soziale Informationen werden deshalb überproportional häufig negativ interpretiert (negativer kognitive Bias), was die einsame Person in ihren negativen Gedanken im sozialen Kontext bestätigt, zu weiterem Rückzug führt und schließlich in einem sich selbst verstärkendem Kreislauf endet (Cacioppo &Hawkley, 2009). Das Modell zeigt, dass der Ausstieg aus diesem Kreislauf an dem Punkt der Hypervigilanz und der Überwachung der sozialen Umgebung ansetzen sollte. An diesem Punkt könnten Menschen, die zuvor Einsamkeit erfahren haben, dazu befähigt werden, ihre maladaptiven Verhaltensweisen zu verändern und sich sozial zu reintegrieren. Bei voller Funktionsfähigkeit des RAM wird an dieser Stelle die Entwicklung gesunder sozialer Beziehungen angetrieben (Masi et al., 2011).

Nimmt der Organismus sich als einsam wahr, wird ihm automatisch eine Umwelt wiedergegeben, in der ihm die Wahrscheinlichkeit für evolutionäre Fitnessvorteile durch Altruismus oder gegenseitige Hilfe gering erscheinen. Als Konsequenz verhält sich der Organismus im Sinne der Selbsterhaltung egoistisch. Dieser Egoismus war zwar vor allem früher für das kurzfristige Überleben hilfreich, langfristig überwiegen jedoch die schädlichen Folgen, welche vor allem in späteren Lebensabschnitten mit einer schlechteren physiologischen Resilienz und mangelhaften psychologisch-kompensatorischen Mechanismen assoziiert sind (Cacioppo &Cacioppo, 2018).

2.1.2 Soziale Isolation

2.1.2.1 Definition

Soziale Isolation ist von verwandten Konstrukten wie Einsamkeit und Alleinsein abzugrenzen, denn auch wenn die Begriffe häufig synonym verwendet werden, beschreiben sie Verschiedenes (Victor, Scambler, Bond, & Bowling, 2000). Menschen, die sich durch den objektiv sichtbaren Mangel an sozialen Beziehungen nicht gestört fühlen, werden nicht als einsam charakterisiert, sie gelten als sozial isoliert. Im entgegengesetzten Fall können sich auch sozial eingebundene Individuen einsam fühlen. Zusammenfassend bezieht sich der Begriff „soziale Isolation“ auf den objektiven Zustand, wenig oder kaum in Kontakt mit anderen Menschen zu sein, während Einsamkeit den subjektiv aversiven Zustand meint (Wenger, Davies, Shahtahmasebi, & Scott, 1996).

Alleinsein und soziale Isolation sind im Gegensatz zur Einsamkeit nicht notwendigerweise negativ behaftet: Alleinsein und soziale Isolation können sich positiv auf Kreativität, Selbstreflexion, Selbstregulierung, Identitätsbildung, Konzentration, Denken und Lernen auswirken (Buchholz & Catton, 1999). Alleinsein, soziale Isolation und Einsamkeit hängen dahingehend zusammen, dass es soziale Gegebenheiten gibt, die mit allen drei Konzepten assoziiert sind, wie zum Beispiel die Persönlichkeit und Bewältigungsstrategien, demographische Merkmale (Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus, etc.) und Lebensereignisse (Migration, Renteneintritt, Trauerfall etc.) (Victor et al., 2000).

Soziale Netzwerke können nach den Gesichtspunkten Größe und Ausmaß, Dichte, Erreichbarkeit und Direktionalität untersucht werden (Auslander & Litwin, 1987; Weinberg & Marlowe, 1983). Ersteres beschreibt die Zahl der Menschen innerhalb des Netzwerks, Dichte meint das Ausmaß, zu dem sich die Menschen in dem Netzwerk gegenseitig kennen, Erreichbarkeit bezieht sich auf den Grad, zu dem die Mitglieder des Netzwerks miteinander kommunizieren können und Direktionalität erfragt, inwiefern die Beziehungen reziprok sind.

2.1.2.2 Prävalenz

In bisherigen Forschungsarbeiten wurde soziale Isolation meist unter der Definition von Einsamkeit erhoben oder hauptsächlich in sehr hohen Altersgruppen erfragt und hierbei oft speziell bei Menschen in Pflegeeinrichtungen oder Einrichtungen des betreuten Wohnens. Im Rahmen der National Health and Aging Trends Study von 2011, einer groß angelegten Studie in den USA zu Fragen der Versorgung älterer Menschen, ordneten sich 24 % der Menschen aus Einrichtungen des betreuten Wohnens als sozial isoliert ein, wobei 4 % als schwerwiegend sozial isoliert eingestuft werden können (Cudjoe et al., 2018).

2.1.2.3 Korrelate sozialer Isolation in der Forschungsliteratur

Altern gilt als Risikofaktor für soziale Isolation (Iliffe et al., 2007). Vor allem ältere Menschen in industriellen Nationen weisen ein erhöhtes Risiko für soziale Isolation auf (Dickens, Richards, Greaves, & Campbell, 2011; Findlay, 2003; Social Care Institute for Excellence, 2012). Ältere Menschen gelten aufgrund geringerer Mobilität, schwindender sozialer Netzwerke durch vermehrte Todesfälle im sozialen Umfeld und aufgrund von Lebensveränderungen durch den Renteneintritt, als gefährdeter für soziale Isolation (Social Care Institute for Excellence, 2012).

Frauen scheinen weniger sozial isoliert zu sein (Cornwell, Laumann, & Schumm, 2008; McPherson, Smith-Lovin, & Brashears, 2006; Stacey, 1998). Heirat gilt als protektiver Faktor (Boden-Albala, Litwak, Elkind, Rundek, & Sacco, 2005; Fratiglioni, Paillard-Borg, & Winblad, 2004; Wang, Karp, Winblad, & Fratiglioni, 2002). Soziale Isolation korreliert mit einem geringen sozioökonomischen Status (Bassuk, Glass, & Berkman, 1999; Havens, Hall, Sylvestre, & Jivan, 2004; Iliffe et al., 2007) und Alleine Leben kann zu einem kleineren sozialen Netzwerk führen und so zu sozialer Isolation beitragen (Berkman, 2000; Havens et al., 2004; Howat, Iredell, Grenade, Nedwetzky, & Collins, 2004; Iliffe et al., 2007; Lubben &Gironda, 2003). Ein höheres Bildungsniveau soll vor sozialer Isolation schützen (Stacey, 1998; Waite & Lehrer, 2003).

Bei Menschen mit schwerwiegenden psychischen Krankheiten führt soziale Isolation vermehrt zu Wahn (Garety, Kuipers, Fowler, Freeman, & Bebbington, 2001) und mangelnder Krankheitseinsicht (Cattan, White, Bond, & Learmouth, 2005). Im Gegensatz dazu erholen sich sozial eingebundene Menschen schneller von psychotischen Symptomen (Calsyn & Winter, 2002). Soziale Isolation führt in der Jugend vermehrt zu Suizidversuchen (Hall-Lande, Eisenberg, Christenson, & Neumark-Sztainer, 2007). Nach Baek (2014) provozieren psychische Krankheiten, wie Depression, Narzissmus, schizoide, schizotype, vermeidende Persönlichkeitsstörung, Schizophrenie und PTBS die Wahrscheinlichkeit der sozialen Isolation.

Nicholson (2012) fasste in seinem Review soziale Isolation und seine körperlichen Auswirkungen zusammen: Soziale Isolation kann bei älteren Menschen zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen führen und das allgemeine Sterblichkeitsrisiko vergrößern (Eng, Rimm, Fitzmaurice, & Kawachi, 2002). Isolation kann zu Rehospitalisierung führen (Mistry, Rosansky, McGuire, McDermott, & Jarvik, 2001) und den Alkoholkonsum steigern (Hanson, 1994). Sozial isolierte Menschen haben ein größeres Risiko für kognitiven Abbau (Béland, Zunzunegui, Alvarado, Otero, & del Ser, 2005), wohingegen Menschen mit einem größeren sozialen Netzwerk besser vor Demenz geschützt sind (Fratiglioni et al., 2004; Wang et al., 2002). Soziale Isolation ist ein Prädiktor für Herzerkrankungen (Boden-Albala et al., 2005) und vermehrtes Auftreten von Erkältungen (Cohen, Doyle, Skoner, Rabin, & Gwaltney, 1997).

2.1.2.4 Zusammenhang von Einsamkeit und sozialer Isolation

In früheren Forschungen wurden Einsamkeit und soziale Isolation häufig miteinander assoziiert (Jones, 1981; Stokes, 1985), wobei die Dichte des sozialen Netzwerks als stärkster Prädiktor für Einsamkeitsgefühle galt. Neuere Studien zum Zusammenhang der beiden Konstrukte sind widersprüchlich: Teilweise bestätigen sie den Zusammenhang von sozialer Isolation und Einsamkeit (Yildirim & Kocabiyik, 2010), teilweise können die Assoziationen nicht repliziert werden (Coyle & Dugan, 2012; Perissinotto & Covinsky, 2014). Die sich widersprechenden Resultate könnten das Ergebnis methodischer Unterschiede (Verwendung verschiedener Fragebögen, verschiedene Erhebungsmethoden, etc.) sein. Zudem ist die Abgrenzung der beiden Konstrukte in der bisherigen Forschungsliteratur unscharf, was im weiteren Verlauf zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen kann (Dykstra &DeJong-Gierveld, 2004).

In ihrer Meta-Analyse stellten Pinquart und Sörensen (2001) einen schwachen, aber signifikanten Zusammenhang zwischen sozialer Isolation und Einsamkeit heraus. Inzwischen besteht weitgehender Konsens, Einsamkeit als eine mögliche Folge der Bewertung einer Situation, die durch eine geringe Anzahl an Beziehungen charakterisiert ist, anzusehen (Dykstra et al., 2005). Sozial isolierte Menschen sind nicht notwendigerweise einsam und einsame Menschen sind im objektivem Sinne nicht immer sozial isoliert, dennoch besteht häufig ein Zusammenhang. Einsamkeit und soziale Isolation gelten als separate Konstrukte mit sich teilweise überlappenden Eigenschaften (Smith & Victor, 2018; Victor et al., 2000). Die Assoziation scheint also möglicherweise aufgrund von Drittvariablen zustande zu kommen, die beide Konstrukte gemein haben.

2.1.3 Big Five

2.1.3.1 Historische Entwicklung

Die Big Five der Persönlichkeit gehen auf den lexikalischen Ansatz zurück, der in der Psychologie die Annahme beschreibt, dass alle wichtigen Persönlichkeitseigenschaften in der Alltagssprache repräsentiert sind und erstmals von Galton (1884) verwendet wurde. Die erste systematische Zusammenstellung lexikalischer Daten lieferten Allport und Odbert (1936), die wiederum Catell verwendete und mittels faktorenanalytischer Untersuchungen zu seinem 16-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (Cattell, Eber, & Tatsuoka, 1970) gelangte, auf dessen Variablensatz viele spätere Untersuchungen basierten. Tupes und Christal (1992) fanden in ihren Faktorenanalysen von Persönlichkeitseigenschaften immer wieder fünf gemeinsame Faktoren, die später von Goldberg (1981) erstmals die „Big Five“ genannt wurden und von Costa und McCrae 1989 in dem Fragebogen NEO-FFI verarbeitet wurden.

2.1.3.2 Definition

Das Modell der Big Five basiert auf fünf grundlegenden Faktoren, die der Beschreibung der Persönlichkeit dienen. Die Faktoren konnten kulturübergreifend nachgewiesen werden und gelten in der Psychologie als allgemein anerkannt (Pervin, Cervone, & John, 2005). Das Modell beinhaltet die fünf Dimensionen Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Diese Persönlichkeitseigenschaften können laut Maltby, Day und Macaskill (2011) zuverlässig gemessen werden, spiegeln sich stark im Verhalten wieder, sind über das Alter hinweg sehr beständig und werden dabei mit zunehmendem Alter immer beständiger (Roberts & DelVecchio, 2000).

Costa und McCrae sind zwei der einflussreichsten Forscher des eigenschaftstheoretischen Ansatzes und Entwickler des mit am häufigsten verwendeten Persönlichkeitsfragebogens NEO-PI-R. Sie definieren die fünf Persönlichkeitseigenschaften wie folgt (Costa, McCrae, 1992): Menschen mit hohen Werten in dem Faktor „Neurotizismus“ weisen eine geringe emotionale Stabilität auf und sind sehr sprunghaft in ihren Emotionen. Menschen mit einer hohen emotionalen Stabilität hingegen sind ruhig und angepasst. „Extraversion“ beschreibt den Grad der Geselligkeit einer Person. Personen mit hohen Werten in diesem Faktor sind durchsetzungsfähig, optimistisch, tatkräftig und freundlich. Menschen mit geringen Werten werden als „introvertiert“ bezeichnet und gelten als reserviert und eher zurückgezogen in zwischenmenschlichen Situationen. Der Faktor „Offenheit für Erfahrungen“ umfasst Eigenschaften wie intellektuelle Neugier, divergentes Denken (also Denken auf verschiedenen Wegen), eine Zugänglichkeit für neue Ideen und eine ausgeprägte Vorstellungskraft. Menschen mit hohen Werten in dieser Dimension sind unkonventionell und unabhängig in ihrem Denken, was sich auch in ihren Handlungen niederschlägt. Menschen, die wenig offen für neue Erfahrungen sind, bevorzugen das Vertraute und sind eher konventionell veranlagt. Die Dimension „Verträglichkeit“ bezieht sich hauptsächlich auf soziale Interaktionen. Verträgliche Individuen sind hilfsbereit, vertrauensvoll und sympathisch, wohingegen weniger verträgliche Menschen misstrauisch, skeptisch und unkooperativ erscheinen. „Gewissenhaftigkeit“ steht für Kontrolle und Selbstdisziplin, Entschlossenheit, Organisieren und Planen im Voraus. Dieser Faktor kommt vor allem im beruflichen Leben zum Tragen. Menschen mit einer geringen Ausprägung sind leicht ablenkbar und unzuverlässig.

2.1.3.3 Korrelate der Big Five in der Forschungsliteratur

Generell sind Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit positiv mit dem Alter assoziiert, während Extraversion und Offenheit negativ mit dem Alter zusammenhängen (Costa et al., 1986; Helson, Kwan, John, & Jones, 2002; Mroczek, Spiro, & Griffin, 2009; Srivastava, John, Gosling, & Potter, 2003). Neurotizismuswerte scheinen ebenso mit dem Alter zu sinken (Donnellan & Lucas, 2008).

Geschlechtsunterschiede sind im Vergleich zu den Unterschieden innerhalb eines Geschlechts sehr gering (McCrae, 2002) und werden deshalb nicht weiter spezifiziert.

Die fünf Hauptdimensionen sind in jeweils sechs Facetten gegliedert (siehe Tabelle 1):

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Facetten des Fünf-Faktoren-Modells nach Costa & McCrae, 1992

Quelle: Costa & McCrae, 1992

Meta-Analysen zeigen, dass Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit mit akademischer Leistung korrelieren (Poropat, 2009) und zu beruflicher Leistung beitragen (Roberts, Kuncel, Shiner, Caspi, & Goldberg, 2007): Beispielsweise sagen die Ratings von Jugendlichen in Neurotizismus, Extraversion, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit den Berufsstatus zu einem 46 Jahre späteren Zeitpunkt vorher. Neurotizismus hingegen ist negativ mit beruflichem Status assoziiert (Judge, Higgins, Thoresen, & Barrick, 1999).

Die Big Five scheinen sich auch auf den Beziehungsstatus auszuwirken. Eigenschaften, die charakteristisch für Neurotizismus sind, wie Ängstlichkeit oder übermäßige Sensibilität, erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung (Kelly & Conley, 1987; Tucker, Kressin, Spiro, & Ruscio, 1998). Im Gegensatz dazu verbleiben gewissenhaftere und verträglichere Menschen länger in ihrer Ehe und vermeiden Scheidungen (Kelly &Conley, 1987; Kinnunen & Pulkkinen, 2003).

Borkenau und Ostendorf (2008) fanden einen Zusammenhang zwischen Neurotizismus und körperlichen Beschwerden, Extraversion und Bindung, Verträglichkeit und sozialer Orientierung, sowie zwischen Gewissenhaftigkeit und Leistung bzw. Leistungsorientierung. Siegler und Brummett (2000) analysierten die Beziehung von Persönlichkeit und psychologischem Wohlbefinden in einer Stichprobe von ca. 2.400 Erwachsenen mittleren Alters und wiesen starke positive Korrelationen zwischen psychologischem Wohlbefinden mit Extraversion und Offenheit, sowie negative Zusammenhänge mit Neurotizismus nach.

Theoretische Überlegungen zeigen, dass mentale Störungen in zwei breite Spektren unterteilt werden können: Internalisierend (beispielsweise Angst, Depression und PTBS) und externalisierend (beispielsweise Substanzmissbrauch und antisoziales Verhalten). Internalisierende und externalisierende Störungen sind assoziiert mit hohen Neurotizismuswerten (Clark, 2005; Krueger, Markon, Patrick, Benning, & Kramer, 2007; Krueger, McGue, & Iacono, 2001) und geringen Werten in Gewissenhaftigkeit (Kotov, Gamez, Schmidt, & Watson, 2010). Besonders Belastungsstörungen hängen stark mit Neurotizismus zusammen, gefolgt von Angststörungen und externalisierenden Störungen (Watson, Kotov, & Gamez, 2006). Die geringsten Zusammenhänge zeigt Neurotizismus mit Substanzmissbrauch und spezifischer Phobie. Clark, Watson und Mineka (1994) geben an, dass alle Angststörungen und depressiven Symptomatiken mit Neurotizismus assoziiert sind. Dysthymie und soziale Phobie, zeigen starke Zusammenhänge mit Intraversion (Brown, Chorpita, & Barlow, 1998; Kotov, Watson, Robles, & Schmidt, 2007; Watson, Clark, & Carey, 1988). Eine geringe Verträglichkeit wurde assoziiert mit Substanzmissbrauch und spezifischer Phobie und Gewissenhaftigkeit zeigte sich in den Untersuchungen von Kotov, Gamez, Schmidt und Watson (2010) als negativer Prädiktor für Angststörungen, depressiven Störungen und Substanzmissbrauch.

Hudek und Kardum (2009) stellten in ihren Untersuchungen Neurotizismus konsistent als den stärksten negativen Prädiktor der Big Five für die subjektive Gesundheit heraus: Bezüglich chronischer Krankheiten zeigt lediglich Neurotizismus Effekte. Im hohen Alter ist Neurotizismus mit einer Anzahl medizinischer Probleme, negativ empfundenem Gesundheitsstatus und mit der Häufigkeit von Arztbesuchen verbunden. Extraversion wurde positiv mit Gesundheitsverhalten und Lebenserwartung assoziiert (Hudek &Kardum, 2009). Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität gelten als positive Faktoren für ein längeres Leben (Roberts et al., 2007). Verträglichkeit und Offenheit hängen mit einer positiveren Wahrnehmung der Gesundheit zusammen (Hudek &Kardum, 2009).

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Excerpt out of 174 pages

Details

Title
Einsamkeit. Welchen Einfluss haben die Variablen der Persönlichkeit?
Author
Year
2020
Pages
174
Catalog Number
V504615
ISBN (eBook)
9783964871473
ISBN (Book)
9783964871480
Language
German
Keywords
Big Five, locus of control, Kontrollüberzeugungen, Einsamkeit, soziale Isolation, Lebenszufriedenheit, big 5
Quote paper
Romy Schwarz (Author), 2020, Einsamkeit. Welchen Einfluss haben die Variablen der Persönlichkeit?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/504615

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