In der Bundesrepublik ist es grundsätzlich Aufgabe der Legislative, Normen zu setzen. Die Exekutive hat dagegen die Aufgabe, die von der Legislative erlassenen Normen umzusetzen. Dies entspricht dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der in der deutschen Rechtsordnung verfassungsrechtlich verankert ist.
Da die Europäische Union (noch) keine Staatsqualität besitzt, verfügt sie über keine Gewaltenteilung im klassischen Sinn. In den EU-Verträgen werden die drei Gewalten Legislative, Exekutive und Judikative nicht ausdrücklich aufgeführt oder unterschieden. Um einer Machtkonzentration einzelner Institutionen entgegenzuwirken, hat sich für die unionsrechtliche Form der Gewaltenteilung der Begriff des institutionellen Gleichgewichts konstituiert. Der Union liegt ein dem rechtsstaatlichen Gewaltenteilungsprinzip ähnelndes Prinzip der Funktionenteilung zugrunde, welches Aufgabenverschiebungen zwischen den Organen verhindern und die ausbalancierte Kompetenzordnung gewährleisten soll.
Von diesem Gewaltenteilungsschema sind beide Rechtsordnungen in der Praxis bedeutend abgewichen. Es ist illusorisch, die Vielgestaltigkeit und Dynamik der Wirklichkeit in Gesetzen einzufangen. Denn je detaillierter gesetzliche Regelungen ausfallen, desto höher ist das Risiko, dass sich die an der Gesetzgebung beteiligten Akteure nicht einigen können. Normen werden daher in zunehmendem Ausmaß nicht auf dem traditionellen Weg der parlamentarischen Gesetzgebung durch die eigentlichen Gesetzgebungsorgane in Form von Gesetzen, sondern durch die Exekutive in Form von Rechtsverordnungen erlassen.
Eine solche Umverteilung der Kompetenzen widerspricht in ihrem Kern der Idee der Gewaltenteilung, da die Exekutive Aufgaben wahrnimmt, die dem Kompetenzbereich der Legislative zufällt. Die deutsche Rechtsordnung erkennt diese „Durchbrechung“ des Gewaltenteilungsgrundsatzes und die damit verbundene rechtsetzende Ermächtigung der Exekutive jedoch als Notwendigkeit einer optimierenden Funktionenordnung an. Der Befugnis der Exekutive zur Rechtsetzung wird in beiden Rechtsordnungen durch die Verankerung von Ermächtigungsnormen - Art. 80 GG und Art. 290, 291 AEUV - Gültigkeit verliehen.
Die ungleichartige Ausgestaltung der exekutiven Rechtsetzung in Deutschland und der Europäischen Union näher zu beleuchten, ist mit Blick auf die gesetzlichen Neuerungen seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags das Ziel der Arbeit.
Inhaltsverzeichnis
- Erstes Kapitel: Einführung
- 1. Abschnitt: Gegenstand der Untersuchung: Die Rechtsetzungsermächtigungen der Exekutive
- 2. Abschnitt: Terminologie
- I. Zur Bestimmungsproblematik des Rechtsetzungsbegriffs.
- II. Der Begriff der Rechtsetzung im nationalen Recht.
- III. Der Begriff der Rechtsetzung im Unionsrecht.
- 3. Abschnitt: Themenrelevante Eingrenzung und Gang der Untersuchung.
- Zweites Kapitel: Der Vorbehalt des Gesetzes
- 1. Abschnitt: Der Vorbehalt des Gesetzes unter dem Grundgesetz
- I. Allgemeine Bedeutung und Funktion.
- II. Terminologische Abgrenzungen
- 1. Gesetzesvorbehalt.
- 2. Parlamentsvorbehalt.
- 3. Rechtssatzvorbehalt.
- III. Reichweite des Vorbehalts des Gesetzes.
- 1. Die Lehre vom Totalvorbehalt.
- 2. Die Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts.
- 2. Abschnitt: Der Vorbehalt des „Gesetzes\" auf Unionsebene.
- I. Der fehlende Gesetzesbegriff im geltenden Unionsrecht.
- 1. EU-Verträge.
- 2. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.
- II. Die fehlende Unterscheidung zwischen Gesetzes- und Verordnungsakten.
- III. Funktionen des unionsrechtlichen Gesetzesvorbehalts.
- IV. Die Reichweite des Gesetzesvorbehalts unter dem Einfluss der „Wesentlichkeitsrechtsprechung“ des Europäischen Gerichtshofs.
- 3. Abschnitt: Zwischenfazit.
- Drittes Kapitel: Die Ermächtigung zur exekutiven Rechtsetzung
- 1. Abschnitt: Die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen.
- I. Die Ermächtigungsnorm des Art. 80 Abs. 1 GG.
- 1. Historische Einordnung der Regelung.
- 2. Der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG.
- II. Die exekutiven Ermächtigungsnormen im Unionsrecht.
- 1. Delegierte Rechtsakte nach Art. 290 AEUV.
- a) Die Regelungen des Art. 290 Abs. 1 AEUV.
- b) Bedingungen der Übertragung nach Art. 290 Abs. 2 AEUV.
- 2. Durchführungsrechtsakte nach Art. 291 AEUV.
- 3. Die Einbindung des Komitologieverfahrens in die exekutive Rechtsetzung der Union.
- a) Die Ausgestaltung des Komitologieverfahrens vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon.
- b) Die Einbeziehung des Komitologieverfahrens in die neue Regelung seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon.
- aa) in Hinblick auf delegierte Rechtsakte (Art. 290 AEUV).
- bb) in Hinblick auf Durchführungsrechtsakte (Art. 291 AEUV).
- 2. Abschnitt: Die Beteiligung der Legislative.
- I. Parlamentarische Einflussmöglichkeiten auf die Verordnungsgebung des Art. 80 GG.
- 1. Einflussnahme auf die Verordnungsgebung durch Gesetz.
- 2. Einflussnahme des Parlaments aufgrund eines Gesetzes.
- II. Einflussmöglichkeiten des Parlaments und des Rats auf die Rechtsetzung der Kommission.
- 1. Verhältnis zwischen Art. 290 und Art. 291 AEUV.
- 2. Beteiligung der Legislative an der delegierten Rechtsetzung.
- Viertes Kapitel: Abschließender Vergleich und Fazit
- Der Vorbehalt des Gesetzes im nationalen und unionsrechtlichen Kontext
- Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Exekutive
- Beteiligung der Legislative an der Rechtsetzung
- Vergleich der Rechtsetzungssysteme in Deutschland und der EU
- Regulierungsmechanismen und Kontrollbefugnisse
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit dem Vergleich der Rechtsetzungsermächtigungen der Exekutive in der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union. Sie analysiert den Unterschied zwischen den Normen des Art. 80 GG und den Artikeln 290 und 291 AEUV. Die Untersuchung konzentriert sich auf die rechtlichen Grundlagen, die Ermächtigungsprozesse und die jeweiligen Einflussmöglichkeiten der Legislative.
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel der Arbeit liefert eine Einführung in die Thematik der Rechtsetzungsermächtigungen der Exekutive. Es definiert den Begriff der Rechtsetzung im deutschen und europäischen Kontext und grenzt den Gegenstand der Untersuchung ein. Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Prinzip des Gesetzesvorbehalts, das sowohl im Grundgesetz als auch im Unionsrecht eine wichtige Rolle spielt. Es werden die unterschiedlichen Ausprägungen des Gesetzesvorbehalts in beiden Rechtsordnungen analysiert. Das dritte Kapitel behandelt die Ermächtigung zur exekutiven Rechtsetzung. Es untersucht die rechtlichen Grundlagen der Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an die Exekutive, insbesondere im Hinblick auf den Art. 80 GG und die Artikel 290 und 291 AEUV. Das vierte Kapitel bietet einen abschließenden Vergleich der beiden Rechtsetzungssysteme und zieht ein Fazit über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten.
Schlüsselwörter
Rechtsetzungsermächtigung, Exekutive, Gesetzgebung, Delegation, Grundgesetz, Art. 80 GG, Europäische Union, AEUV, Art. 290 AEUV, Art. 291 AEUV, Gesetzesvorbehalt, Parlamentsvorbehalt, Rechtssatzvorbehalt, Wesentlichkeitstheorie, Komitologieverfahren, Kontrollmechanismen.
- Arbeit zitieren
- Jan Lundberg (Autor:in), 2011, Rechtsetzungsermächtigungen der Exekutive in der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/505283