Customer Analytics im Retail Banking. Wie eine verbesserte Kundenbindung die Wettbewerbsfähigkeit steigert


Livre Spécialisé, 2020

84 Pages


Extrait


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1 Wettbewerbsvorteile durch eine verbesserte Kundenbindung
1.1 Problemstellung und Relevanz des Themas
1.2 Zielsetzung und methodische Vorgehensweise
1.3 Arbeit im Überblick

2 Herausforderungen im Retail Banking
2.1 Begriff des Retail Bankings
2.2 Aktuelle Herausforderungen im bankbetrieblichen Umfeld
2.3 Einfluss der Kundenbindung auf die Wettbewerbsfähigkeit

3 Customer Analytics als Schlüssel für eine verbesserte Kundenbindung
3.1 Grundlagen und Begriffsbestimmungen
3.2 Einfluss von Customer Analytics auf die Kundenbindung

4 Retail Banking von morgen
4.1 Digitale Reife von Analytics im Retail Banking
4.2 Status Quo der Analytics-Anwendung im Retail Banking
4.3 Handlungsempfehlungen für die Praxis

5 Abschließende Betrachtung

Literaturverzeichnis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Trends und Auswirkungen auf das heutige Retail Banking

Abb. 2: Anzahl der Kreditinstitute und Zweigstellen in Deutschland

Abb. 3: Monetärer Nutzen langfristiger Kundenbeziehungen

Abb. 4: Analytics-Reifegradmodell im Retail Banking

Abb. 5: Roadmap zur erfolgreichen Analytics-Umsetzung

1 Wettbewerbsvorteile durch eine verbesserte Kundenbindung

1.1 Problemstellung und Relevanz des Themas

Der langfristige Erhalt profitabler Kundenbeziehungen erweist sich für Unternehmen zunehmend als eine der zentralen und gleichzeitig immer schwieriger zu meisternden Herausforderungen.1 Angesichts der hohen Kosten für die Neukundengewinnung und abnehmenden Kundenbindung in wettbewerbsintensiven Märkten, verbunden mit sinkenden Erträgen und immer anspruchsvolleren Regularien, liegt der Fokus daher zunehmend auf der Stärkung von bereits bestehenden Kundenbeziehungen.2

Erfahrungen aus der Unternehmenspraxis indizieren, dass der Erhalt von Bestandskunden3 nur 10 bis 20 Prozent der Aufwendungen erfordert, die das Marketing für die Akquisition neuer Kunden in Anspruch nimmt.4 Gleichzeitig belegen Reichenheld und Sasser (1990) in einer empirischen Studie mit mehr als 100 Unternehmen in über 14 Industrien, dass bereits eine 5-prozentige Senkung der Kunden­abwanderungsrate die Gewinne eines Unternehmens bis zu 85 Prozent steigern kann.5 So geben zufriedene Kunden im Vergleich zu wechselbereiten Kunden sogar bis zu viermal mehr aus.6 Für den langfristigen Unternehmenserfolg ist es daher besonders in wettbewerbsreichen Branchen entscheidend, dass Unternehmen Erkenntnis für die Korrelation zwischen Kundenabwanderung und Profitabilität eines Unternehmens zeigen. Denn jährlich verliert ein Unternehmen im Durchschnitt zwischen 15 und 20 Prozent seiner Kundschaft an Wettbewerber, obwohl bereits die Halbierung der Abwanderungsrate die durchschnittliche Laufzeit der Kundenbeziehung und somit auch das durchschnittliche Unternehmenswachstum mehr als verdoppeln kann.7 Insbesondere vor dem Hintergrund eines standardisierten Produkt- und Dienstleistungsangebots, welches für das klassische Retail Banking8 üblich ist, wird die Bedeutsamkeit einer starken Kundenbindung deutlich. Daher kann davon ausgegangen werden, dass Kunden sich allein von den Produkten und Dienstleistungen im Retail Banking nur wenig überzeugen lassen. Eine Wettbewerbsdifferenzierung kann daher lediglich über eine verbesserte Kundenbindung geschaffen werden.9

Gemäß Studien wie dem „World Retail Banking 2018“ von Capgemini Consulting und Efma als auch „Digital Consumption“ vom World Economic Forum sind die Vorreiter im Feld optimierter Kunden­bindungen vor allem Technologie-Giganten (Tech-Giganten) wie Amazon, Apple oder Google. Denn Tech-Giganten bieten durch personalisierte Produktempfehlungen ein universelles Kundenerlebnis an, ohne dabei ihre Produkte und Dienstleistungen neu zu erfinden. Ermöglicht wird dieses kundengerechte Erlebnis durch den effektiven Gebrauch von Kundendaten. So verwenden bspw. Streaming-Anbieter und onlinebasierte Versandhäuser wie Amazon, iTunes und Netflix spezielle Algorithmen, um die Film-, Musik- oder allgemeinen Präferenzen ihrer Kunden zu ermitteln und darauf basierende Produktempfehlungen zu generieren.10 Die Folge daraus sind verbesserte Kundenbindungen sowie steigende, industrieübergreifende Kundenerwartungen.11

Bevor das Retail Banking allerdings mit der Verbesserung von Kundenbindung beginnen kann, ist es entscheidend, das Verhalten, die Erwartungen und Wünsche eines jeden Kunden zu kennen.12 Anders als bei zahlreichen Kleinbetrieben, wie bspw. Bäckereien oder Friseursalons, die einen Großteil ihrer Kunden und dessen Erwartungen und Vorlieben kennen, können Unternehmen mit mehreren Millionen von Kunden nicht im gleichen Umfang persönliche Kundenbeziehungen pflegen. Aufgrund dessen müssen Banken anfangen, die gesammelten Daten, die bei fast jeder Kundeninteraktion entstehen, optimal zu nutzen. Genauer bedeutet das, mit computergestützten Methoden ein verbessertes Verständnis über die eigenen Kunden zu erhalten, um anschließend auf Basis der Ergebnisse personalisierte Angebote und Leistungen anzubieten, die die Kundenbindung verbessern.13 Methoden wie Customer Analytics14 können dabei auf bereits bestehende Customer-Relationship-Management (CRM) Systeme aufbauen und mittels moderner Analyseverfahren die Zusammenhänge in großen Datenmengen entdecken.15 Erst durch die Anwendung von Algorithmen kann dann aus großen Datenmengen ein Mehrwert gewonnen werden. Daher stehen dynamische Algorithmen, wie z. B. vordefinierte Abläufe oder selbstlernende Programme, im Mittelpunkt der Digitalisierung. Insbesondere zu einer Zeit, in der sich die Menge an Daten rund alle zwei Jahre verdoppelt, wird die Rolle von Algorithmen zur Auswertung zunehmend wichtiger.16

Entgegen des rasanten Fortschritts in diesem Bereich, fehlt in der Praxis vieler Unternehmen weiterhin die klare Verwirklichung und Umsetzung der neuesten technologischen Möglichkeiten. Dies zeigt u. a. die Studie „Halten Finanzdienstleister Schritt mit der Digitalisierung?“ von Roland Berger. Den Studienergebnissen zufolge nimmt die digitale Reife bei Retail Banken zwar zu, dennoch ist die Branche im Vergleich zu digitalen Vorreitern noch stark mit Basisaufgaben in der Digitalisierung beschäftigt.17 Aufgrund ihrer Kundennähe haben speziell Retail Banken das Potenzial auf eine Vielzahl von Daten zurückzugreifen und entsprechende Projekte umzusetzen, welche die Kundenbindung verbessern können. Demzufolge war es theoretisch noch nie so leicht mithilfe der Technologie ein besseres Kundenerlebnis zu schaffen. Aber zahlreiche regulatorische Prämissen und konservative Unternehmensstrukturen hindern den Gebrauch dieses Potenzials. So gilt es dieses Potenzial durch strukturiertes und strategisches Vorgehen auszuschöpfen.

1.2 Zielsetzung und methodische Vorgehensweise

Das Ziel dieser wissenschaftlichen Arbeit ist es aufzuzeigen, dass durch den Einsatz von Customer Analytics die Kundenbindung und damit die zukünftige Wettbewerbssituation im Retail Banking verbessert werden kann. Hierfür wird angenommen, dass zwischen der Customer Analytics-Anwendung und der Steigerung von Kundenbindung und folglich der Wettbewerbsfähigkeit im Retail-Banken-Sektor eine positive Korrelation gegeben ist. Die Anwendungsvoraussetzungen werden mit den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung als gegeben angesehen.

Um dieses noch junge Thema wissenschaftlich zu untersuchen und zu belegen, werden zentrale Begrifflichkeiten und relevante Zusammenhänge literarisch und auf Basis empirischer Nachweise näher erläutert. Die Erkenntnisse unterstützen die Herleitung und Darstellung der Wechselwirkungen zwischen Customer Analytics, Kundenbindung und den daraus resultierenden Wettbewerbsvorteilen. Die Funktionsweise und Umsetzung von Customer Analytics im Retail Banking wird mittels eines selbsterstellten Reifegradmodells dargestellt. Die Ableitung von Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Umsetzung erfolgt in strategischer, organisatorischer und tech­nischer Ausrichtung. Dabei bilden beim Aufbau der Arbeit folgende Fragestellungen die Grundlage:

- Welchen Einfluss hat der Einsatz von Customer Analytics auf die Kundenbindung und die Wettbewerbsfähigkeit von Retail Banken?
- Wie definiert sich die Funktionsweise von Customer Analytics und was sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung im Retail Banking?

Die methodische Herangehensweise entspricht der Literaturarbeit, um das Thema aus theoretischer Sicht zu erfassen. Die vorausgehende Hypothese wird vornehmlich anhand eines Querschnitts von ausgewählten Publikationen bewertet. Die Basis bilden Informationen und Daten aus wissenschaftlichen Quellen wie Fachbücher, Fachzeitschriften und repräsentative Studien sowie themenspezifische Internetquellen. Aufgrund ähnlichen und globalen Digitalisierungs­tendenzen werden in der vorliegenden Ausarbeitung regionale Unterschiede nur vergleichend herangezogen.

1.3 Arbeit im Überblick

Diese Arbeit gliedert sich in insgesamt fünf Bereiche. Das einleitende erste Kapitel stellt die Aktualität der Problemstellung und die grundlegende Relevanz des Themas dar. Einen Überblick verschaffen die Zielsetzung und methodische Vorgehensweise der Arbeit.

Im zweiten Kapitel erfolgt zur Präzisierung des Themas die Definition vom Retail Banking und dessen Differenzierung zu herkömmlichen Banken. Im Anschluss werden die gegenwärtigen Herausforderungen in der Bankenbranche aufgearbeitet und in diesem Zusam­menhang die Bedeutung der Kundenbindung näher erläutert. Hierbei wird besonders auf die Probleme des steigenden Wettbewerbs, sinkender Erträge und Kundenbindungen, anspruchsvoll werdender Regularien und steigender Kundenerwartungen eingegangen. Das Kapitelende skizziert den Einfluss verbesserter Kundenbindungen auf die Wettbewerbsfähigkeit im Retail Banking.

Das dritte Kapitel erläutert das Konzept von Customer Analytics. Weiterhin sind der Prozess und die Ziele von Customer Analytics am Beispiel einer Retail Bank dargestellt. Abschließend werden auf Basis der vorangehenden Erkenntnisse die Auswirkungen von Customer Analytics auf die Kundenbindung eingegangen.

Im vierten Kapitel sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung von Customer Analytics im Retail Banking aus strategischer, organisatorischer und technischer Sicht skizziert und im Kontext des digitalen Reifegradmodells bewertet. Anschließend wird der digitale Fortschritt und der aktuelle Analytics-Einsatz im Retail Banking hinsichtlich aller drei Dimensionen bewertet. Die abschließenden Handlungsempfehlungen für die Praxis basieren auf den abgeleiteten Ergebnissen.

Im fünften und letzten Kapitel sind die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammengefasst. Zudem sind die Grenzen der Arbeit dargelegt und rückblickend diskutiert. Das Kapitel schließt mit dem weiteren Forschungsbedarf in der Zukunft ab.

2 Herausforderungen im Retail Banking

Der gesamte Finanzsektor hat innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte enorme Veränderungen erlebt. Das Retail Banking ist hiervon nicht ausgeschlossen und vernimmt bis heute eine spürbare Zunahme im Wettbewerbsdruck.18 Vor der detaillierten Darstellung der Herausforderungen des Retail Bankings und dessen aktuellen Status ist jedoch die Klärung und somit Abgrenzung der Terminologien von Bedeutung.

2.1 Begriff des Retail Bankings

Für den Begriff Retail Banking finden sich sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch in der Praxis eine Vielzahl von Definitionen. Viele dieser teils überlappenden und teils widersprüchlichen Definitionen machen eine trennscharfe oder gar eindeutige Präzisierung schwierig.19 Oft liegen die Unterschiede in der Festlegung der Vermögengrenzen im Privatkundengeschäft der Banken. Die Grenzen sind hier nicht offensichtlich.20 Grundsätzlich wird unter Retail Banking ein relativ breit angelegtes Bankgeschäft mit Mengenkunden verstanden, welches überwiegend mit standardisierten, einheit­lichen und wenig erklärungsbedürftigen Produkten arbeitet.21 Aufgrund des Angebots von standardisierten Finanzprodukten und -dienstleistungen, bei denen Kunden wenig bis gar keine Betreuung benötigen, wird das Retail Banking häufig auch als standardisiertes Privatkundengeschäft bezeichnet.22 Der Ursprung des Wortes liegt im angloamerikanischen Sprachraum, wobei mit dem Begriff „Retailing“ der Verkauf von Produkten an einen Endverbraucher, analog zum Einzelhandel, verstanden wird.23 Das Leistungsspektrum reicht hierbei vom einfachen Zahlungsverkehr bis hin zum betragsmäßig limitierten Kredit- und Anlagegeschäft. Zudem verfügen Kunden dabei grundsätzlich nur über ein geringes bis gar kein Anlagevermögen.24 Hier ist ausschlaggebend, dass sich Retail Banking und Private Banking versus dem Firmenkundengeschäft der Banken auf Privatkunden konzentrieren. Die Höhe des anzulegenden Vermögens und der Beratungsbedarf des Kunden bestimmen die jeweilige Zugehörigkeit zum Retail Banking oder Private Banking.25 Privatkunden verfügen hierbei über ein Anlagevermögen ab 250.000 bzw. 275.000 Euro.26 Dabei sind die Anforderungen an die Produkte und Leistungen als auch der Umfang der Kundenberatung aufgrund der Komplexität der Anlagemöglichkeiten im Private Banking deutlich höher.27

In der Literatur wird das Retail Geschäft weiter untergliedert, zum einen in das klassische Retail Banking und zum anderen in das Personal Banking. Im Vergleich besteht das Retail Banking aus Kunden mit einem geringen Beratungsbedarf und Anlagevolumen. Hierbei können die Bedürfnisse dieser Kunden bereits durch standardisierte Produkte und wenig Beratung befriedigt werden. Hingegen besitzen Kunden im Personal Banking ein größeres Anlagevolumen. Galasso (1993) spezifiziert dies bspw. mit einem mittleren Beratungsbedarf für standardisierte Produkte und setzt die Untergrenze der Anlagevolumens auf 30.000 Schweizer Franken.28 Nach dem heutigen Stand entspricht das umgerechnet etwa 26.500 Euro.29 Da allerdings in der Praxis und Literatur die beiden Bereiche selten separat betrachtet werden und auch keine Unterscheidung in der Organisationsform innerhalb eines Unternehmens vorliegt, wird in dieser Arbeit keine Trennung zwischen Retail Banking und Personal Banking vorgenommen.30

Eine weitere grundlegende Charakteristik vom traditionellen Retail Banking ist das weit ausgeprägte Filialnetz. So gab es im Jahr 2015 deutschlandweit 36.005 Bankfilialen.31 Heute bieten Retail Banken neben dem Filialgeschäft auch Mobil- und Internet-Banking als zusätzliche Dienstleistung an. Virtuelle Banken oder sog. FinTechs wie N26 und Revolut verzichten sogar ganz auf lokale Standorte.32 Die Bezeichnung „FinTech“ setzt sich hierbei aus den Begriffen Financial Services und Technology zusammen und charakterisieren Unternehmen, die für ihre Finanzdienstleistungen nur moderne Technologien anwenden.33 Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass virtuelle Banken auf einer viel niedrigeren Kostenbasis arbeiten, weil sie kein teures Filialnetz unterhalten und keine veralteten Informationstechnologien (IT) benutzen, die hohe Wartungskosten erfordern.34 Bis auf die dadurch steigende Vielfalt und den Wettbewerb auf dem Markt, unterscheiden sich Internetbanken nicht weiter von den traditionellen Retail Banken.35

Die Ausführungen zur Konkretisierung von Retail Banking entsprechen der zusammenfassenden Definition von Horn (2009): „Retail Banking ist ein auf den Massenmarkt fokussiertes Privatkundengeschäft. Dieses umfasst den Verkauf standardisierter Finanzprodukte und Finanzdienstleistungen an nicht bis weniger vermögende Kunden, die nur einen geringen bis gar keinen Beratungsbedarf haben. Dabei stehen Basisdienstleistungen, wie die Abwicklung des Zahlenverkehrs […] und Versicherungen, im Vordergrund.“36

2.2 Aktuelle Herausforderungen im bankbetrieblichen Umfeld

Um im Themenkomplex der Arbeit Handlungsempfehlungen für das Retail Banking zu erarbeiten und auszusprechen, ist ein Grundverständnis über die aktuellen Treiber in der Branche notwendig.37 Denn ein sich konstant wandelnder Bankenmarkt bedarf die ständige Anpassung an neue Gegebenheiten, weshalb sich auch das Retail Banking einem radikalen Wandel unterziehen muss, um langfristig noch wettbewerbsfähig zu bleiben.38

Ein wettbewerbsintensiver Markt, sinkende Margen, neue aufsichtsrechtliche Anforderungen und steigende Kundenerwartungen sind nur einige der Treiber, die das Bankenumfeld in den letzten Jahren geprägt haben.39 Neben weiteren Einflussgrößen wie dem wachsenden Kostendruck und der Bedrohung durch neue Wettbewerber, ist aus der Praxis und Literatur ersichtlich, dass die genannten Treiber nicht nur das Retail Banking, sondern sich auch gegenseitig beein­flussen.40 So können sinkende Margen durch ein wettbewerbsintensives Umfeld gemeinsam mit Mindestkapitalanforderungen begründet werden. Der Grund hierfür ist, dass Banken eine Differenzierung von anderen Marktteilnehmern nicht mehr ohne weiteres durch eine Reduzierung der Preise für Produkte und Dienstleistungen erreichen können.41

Ein weiterer Zusammenhang lässt sich zwischen neuen Technologien und den Kundenerwartungen an Bankprodukte und -leistungen feststellen. Tech-Giganten, die ein positives Kundenerlebnis schaffen, sorgen für eine branchenübergreifende Zunahme der Kundenbedürfnisse und als Folge zu sinkenden Kundenbindungen.42 Im Wesentlichen lassen sich hierzu sieben Trends anführen, die einen entscheidenden Einfluss auf das heutige Retail Banking nehmen: Aktivität der Wettbewerber, geringe Profitabilität, wachsender Kostendruck, Niedrigzinsumfeld, Entwicklung des Aufsichtsrechts, sinkende Kundenbindungen und neue Technologien. Diese sind in Abbildung 1 visualisiert und erläutert.43

Die gestiegene Wettbewerbsintensität um den Privatkunden stellt im Retail Banking eine ernstzunehmende Herausforderung dar. Hierbei hat insbesondere das Internet die klassischen Markteintritts­barrieren für ausländische und neue Finanzdienstleister deutlich reduziert.44 Der Wettbewerb wird, außer der traditionellen Konkurrenz aus dem originären Bankgeschäft, zusätzlich durch sog. Near- und Non-Banks sowie durch den Eintritt neuer virtueller Wettbewerber weiter verschärft.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Trends und Auswirkungen auf das heutige Retail Banking45

Unter Near-Banks werden Finanzdienstleister verstanden, die zunehmend im Wettbewerb mit konventionellen Kreditinstituten stehen, indem sie ihr Leistungsspektrum um originäre Bankprodukte erweitern. Prominente Beispiele hierfür sind Versicherungs­gesellschaften, die ihre eigenen Investmentgesellschaften gegründet haben, um eine größere Bandbreite an Vermögensanlagen anzubieten. Dagegen sind Non-Banks branchenfremde Akteure, wie z. B. Automobilhersteller und Tech-Giganten, die profitable Finanzdienstleistungen anbieten. So ist es bereits Wettbewerbern aus der Automobilbranche gelungen, Erfolge durch günstigere Finanzierungs- und Leasingprodukte zu verzeichnen und die Wettbewerbsprodukte der Banken in Folge zu verdrängen.46 Gerade virtuelle Banken konnten in den letzten Jahren enorme Zuwachsraten erzielen. Zum Beispiel baute N26 nach eigenen Angaben in der Zeit von Januar 2015 bis Oktober 2018 einen Kundenstamm von über 1,5 Mio. Kunden auf. Dieser Trend setzt sich mit einer täglichen Wachstumsrate von rund 5.000 Neukunden unverändert fort.47 Im gleichen Zeitraum gewann Revolut mehr als 3 Mio. Neukunden.48 Infolgedessen halten die neuen Finanzintermediäre mittlerweile fast die Hälfte der Vermögenswerte bzw. Assets im europäischen Finanzsektor und sind innerhalb von neun Jahren von 22 Prozent (2008) auf 48 Prozent (2017) gestiegen. Wenn Versicherer und Pensionsfonds mitberücksichtigt werden, steigt der Anteil an den verlorenen Assets auf rund 63 Prozent.49

Zur Wettbewerbszunahme ist zeitgleich eine voranschreitende Konsolidierung der Banken zu erkennen. Die Anzahl der Banken ist in vielen westeuropäischen Ländern und Nordamerika seit Jahren stetig gesunken.50 In Deutschland ist bspw. von 2012 bis 2015 die Anzahl der Kreditinstitute (Kreditgenossenschaften, Sparkassen und Kreditbanken) von 1.928 um rund 10 Prozent auf 1.737 und das entsprechende Filialnetz von 35.853 um fast 6 Prozent auf 33.705 gesunken.51 Ein ähnlicher Trend ist auch in den USA und in der Schweiz zu beobachten. Als auschlaggebenden Grund für die Konsolidierung der Banken gilt der Rückgang der Erträge.52 Die entgangenen Erträge und gestiegenen Kosten konnten trotz jahrelanger Restrukturierung, Personalabbau und Filialschließungen nicht ausgeglichen werden.53 So sind vor allem die deutschen Banken mit einer Aufwand-Ertrag-Quote (Cost-Income-Ratio) von über 70 Prozent weiterhin wenig profitabel – der höchste Wert in der Europäischen Union.54 Die schlechte Profitabilität ist mitunter auf das seit Jahren bestehende Niedrigzinsumfeld zurückzuführen: niedrigere Zinseinnahmen auf der Ertragsseite und ein höherer Rückstellungsbedarf für die betriebliche Altersversorgung der Mitarbeiter auf der Kostenseite.55

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Anzahl der Kreditinstitute und Zweigstellen in Deutschland56

Ebenfalls mitverantwortlich für die derzeitige Situation im Retail Banking ist der hohe und weiter zunehmende Grad an Regulierungen.57 So hat als Folge der Finanzkrise die Anzahl an regulatorischen Vorschriften stark zugenommen und sich seit 2011 sogar verdreifacht.58 Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei den Regulierungen üblicherweise um länderspezifische Vorschriften handelt und insbesondere internationale Banken mit mehreren Vorschriften in denselben Regulierungsbereichen konfrontiert sind.59 Für die Banken entstehen dadurch erhebliche (Mehr-)Kosten, die bspw. auf umfangreiche Kontroll- und Berichtspflichten oder der Einstellung von teuren Spezialisten, die die Umsetzungen der Regulatoren vorantreiben, zurückzuführen sind. Außerdem sinkt das Ertragspotenzial der Banken beachtlich, da sie mehr Eigenkapital vorweisen und zur Einhaltung der neuen Bestimmungen auf risikoreiche Geschäfte verzichten.60 Die neueste Untersuchung der Unternehmensberatung zeb „European Banking Study 2018“ prognostiziert für das Jahr 2022, dass sich die Eigenkapitalrendite bei europäischen Banken aufgrund des zusätzlichen Regulierungsaufwands von 7,1 Prozent auf voraussichtlich 4,2 Prozent verschlechtern wird.61 Im internationalen Vergleich sind dt. Banken aufgrund relativ unflexibler Kostenstrukturen davon stärker betroffen als andere Finanzinstitute.62

Das heutige Retail Banking wird zusätzlich zu den genannten Trends durch sinkende Kundenbindungen und der Zunahme der nicht profitablen Geschäftsbeziehungen unter Druck gesetzt. So zeigen Untersuchungen, dass im Durchschnitt mehr als 60 Prozent der Kundenbeziehungen im Privatkundengeschäft defizitär sind.63 Denn heutzutage ermöglichen moderne und mittlerweile stark verbreitete elektronische Medien einen schnellen und unkomplizierten Vergleich der günstigsten Anbieter. Das Resultat ist ein transparenter Markt, der die Verbundenheit von Kunden zu ihrer Hausbank zunehmend verringert.64 Verstärkt wird diese Entwicklungstendenz durch die Produkte und Dienstleistungen der Tech-Giganten, wie z. B. Amazon und Apple, die mithilfe von personalisierten Produktempfehlungen ihren Kunden ein reibungsloses Kundenerlebnis verschaffen und dadurch industrieübergreifend die Kundenerwartungen steigern.65 So zeigt die Boston Consulting Group in ihrer Studie zum Retail Geschäft „The Power of Personalization“ aus dem Jahr 2018, dass 54 Prozent der 14.000 befragten Bankkunden ihr neues Konto primär auf Basis des angebotenen personalisierten Erlebnisses des Anbieters ausgewählt haben.66

[...]


1 Vgl. Vogel (2006), S. 1; Link/Seidl (2009), S. 5; Rennhak (2006), S. 283.

2 Vgl. Ansell/Harrison/Archibald (2007), S. 394 f.; Linoff/Berry (2011), S. 56; Levesque/McDougall (1996), S. 12; Lohmann (1997), S. 1; Vogel (2006), S. 1; Omarini (2015), S. 16; Geyer (2009), S. 16 ff.; A.T. Kearney (2017), S. 4, Abruf: 12.11.2018.

3 Aus Gründen der vereinfachten Lesbarkeit wird im Folgenden bei personenbezogen Bezeichnungen wertungsfrei nur die männliche Form verwendet. Angesprochen sind jedoch stets beide Geschlechter.

4 Vgl. Müller/Riesenbeck (1991), S. 69; Lohmann (1997), S. 13; Dong/Yao/Cui (2011), S. 1289.

5 Vgl. Reichheld/Sasser (1990), S. 107.

6 Vgl. Vogel (2006), S. 1.

7 Vgl. Reichheld/Sasser (1990), S. 107.

8 Siehe hierzu Kapitel 2.1.

9 Vgl. Barnes/Howlett (1998), S. 21 f.; Omarini (2015), S. 21; Oehler (2004), S. 25.

10 Vgl. Bhaduri/Fogarty (2016), S. 12.

11 Vgl. Capgemini/Efma (2018), S. 11, Abruf: 12.11.2018; World Economic Forum (2016), S. 8, Abruf: 12.11.2018.

12 Vgl. Isson (2018), S. 110.

13 Vgl. Isson (2018), S. 115; Budale/Mane (2013), S. 508.

14 Siehe hierzu Kapitel 3.1.2.

15 Vgl. Linoff/Berry (2011), S. 18.

16 Vgl. Hu et al. (2014), S. 652; Gentsch (2018), S. 13; Demirkan/Delen (2013), S. 412; Witten et al. (2017), S. 1.

17 Vgl. Gentsch (2018), S. 2; Roland Berger (2018), S. 5, Abruf: 20.11.2018, Die Ergebnisse der Online-Umfrage beruhen auf den Antworten von 60 Teilnehmern aus zehn Ländern, die aus allen Bereichen des Retail-Banking-Sektors stammen und Banken unterschiedlichster Größe repräsentieren.

18 Vgl. Ansell/Harrison/Archibald (2007), S. 394 f.; Levesque/McDougall (1996), S. 12; Vogel (2006), S. 1; Omarini (2015), S. 16; Geyer (2009), S. 16 ff.; A.T. Kearney (2017), S. 4, Abruf: 12.11.2018.

19 Vgl. Oehler (2004), S. 6; Adrion (1997), S. 8; Omarini (2015), S. 16 ff.

20 Vgl. Salmen (2003), S. 92; Horn (2009), S. 8.

21 Vgl. Galasso (1999), S. 23; Meiers/Schilling/Baedorf (2011), S. 22; Keck/Hahn (2006), S. 26 f.

22 Vgl. Röhrs (2008), S. 7; Horn (2009), S. 5.

23 Vgl. Meiers/Schilling/Baedorf (2011), S. 22.

24 Vgl. Oehler (2004), S. 6; Adrion (1997), S. 11; Duderstadt (2006), S. 7; Heffernan (1996), S. 24 ff.; Meiers/Schilling/Baedorf (2011), S. 22; Röhrs (2008), S. 7; Horn (2009), S. 5.

25 Vgl. Heffernan (1996), S. 24 f.; Galasso (1999), S. 23.

26 Vgl. Meiers/Schilling/Baedorf (2011), S. 49. Die Empirie von Private Banking Anbietern im deutschsprachigen Raum zeigt eine durchschnittliche Einstiegshürde von 900.000 Euro, dies jedoch bedingt durch einige Ausreißer nach oben. Der Untersuchungsmodus liegt bei 250.000 Euro und der Median bei 275.000 Euro.

27 Vgl. Blahusch (2012), S. 17.

28 Vgl. Galasso (1999), S. 23.

29 Vgl. Börse-Online (o. J.), Abruf: 01.01.2019.

30 Vgl. Heffernan (1996), S. 24 ff.; Röhrs (2008), S. 5 ff.

31 Vgl. Bankenverband (2016), Abruf: 13.11.2018.

32 Vgl. N26 (2019), Abruf: 13.11.2018; Revolut (2019), Abruf: 05.01.2019.

33 Vgl. Gründerszene (o. J.), Abruf: 13.11.2018.

34 Vgl. Grynkiewicz (2018), Abruf: 01.01.2019.

35 Vgl. Pond/Hloucha (2017), S. 4.

36 Horn (2009), S. 6.

37 Vgl. Omarini (2015), S. 184; Blahusch (2012), S. 30.

38 Vgl. Krishnan (2014), S. 24 f.; Swacha-lech (2017), S. 94.

39 Vgl. Ansell/Harrison/Archibald (2007), S. 394 f.; Linoff/Berry (2011), S. 56; Levesque/McDougall (1996), S. 12; Lohmann (1997), S. 1; Vogel (2006), S. 1; Omarini (2015), S. 16; Geyer (2009), S. 16 ff.; A.T. Kearney (2017), S. 4, Abruf: 12.11.2018.

40 Vgl. Blahusch (2012), S. 30 ff.; Geyer (2009), S. 15 ff.

41 Vgl. Omarini (2015), S. 21.

42 Vgl. World Economic Forum (2016), S. 4, Abruf: 12.11.2018.

43 Vgl. Ansell/Harrison/Archibald (2007), S. 394 f.; Linoff/Berry (2011), S. 56; Levesque/McDougall (1996), S. 12; Lohmann (1997), S. 1; Vogel (2006), S. 1; Omarini (2015), S. 16; Geyer (2009), S. 16 ff.; A.T. Kearney (2017), S. 4, Abruf: 12.11.2018.

44 Vgl. Ansell/Harrison/Archibald (2007), S. 394 f.; Levesque/McDougall (1996), S. 12; Vogel (2006), S. 1; Omarini (2015), S. 16; Geyer (2009), S. 16 ff.; A.T. Kearney (2017), S. 4, Abruf: 12.11.2018.

45 In Anlehnung an: Grafmeyer (2003), S. 25.

46 Vgl. Salmen (2003), S. 10 f.

47 Vgl. N26 (2018), S. 1, Abruf: 05.01.2019.

48 Vgl. Revolut (2019), Abruf: 05.01.2019.

49 Vgl. zeb (2018), S. 3, Abruf: 22.11.2018.

50 Vgl. Alt/Puschmann (2016), S. 24.

51 Vgl. Bankenverband (2016), Abruf: 13.11.2018.

52 Vgl. Alt/Puschmann (2016), S. 24.

53 Vgl. zeb (2018), S. 8, Abruf: 22.11.2018.

54 Vgl. Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes (2016), S. 7, Abruf: 12.11.2018; A.T. Kearney (2017), S. 3, Abruf: 12.11.2018.

55 Vgl. Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes (2016), S. 9, Abruf: 12.11.2018.

56 In Anlehnung an: Keck/Hahn (2006), S. 37; Bankenverband (2016), Abruf: 13.11.2018.

57 Vgl. Keck/Hahn (2006), S. 33.

58 Vgl. Alt/Puschmann (2016), S. 25; Boston Consulting Group (2018), S. 8, Abruf: 14.11.2018.

59 Vgl. Alt/Puschmann (2016), S. 26.

60 Vgl. Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes (2016), S. 11, Abruf: 12.11.2018.

61 Vgl. zeb (2018), S. 11, Abruf: 22.11.2018.

62 Vgl. Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes (2016), S. 12, Abruf: 12.11.2018.

63 Vgl. Stuhldreier (2002), S. 75 ff.

64 Vgl. Geyer (2009), S. 18 f.; Keck/Hahn (2006), S. 32; Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes (2016), S. 12, Abruf: 12.11.2018.

65 Vgl. Capgemini/Efma (2018), S. 11, Abruf: 12.11.2018; World Economic Forum (2016), S. 8, Abruf: 12.11.2018.

66 Vgl. Boston Consulting Group (2018), S. 16, Abruf: 14.11.2018.

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Titre
Customer Analytics im Retail Banking. Wie eine verbesserte Kundenbindung die Wettbewerbsfähigkeit steigert
Auteur
Année
2020
Pages
84
N° de catalogue
V505662
ISBN (ebook)
9783960958024
ISBN (Livre)
9783960958031
Langue
allemand
Mots clés
Bankensektor, Customer Relationship Management, CRM, Interaktion, Personalisierung
Citation du texte
Metin Baki (Auteur), 2020, Customer Analytics im Retail Banking. Wie eine verbesserte Kundenbindung die Wettbewerbsfähigkeit steigert, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/505662

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