Muslimische Religionspraxis in der Grundschule. Umgang im Unterricht und Befragung von Schulleiterinnen und Schulleitern


Tesis de Máster, 2019

139 Páginas, Calificación: 2,3


Extracto


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG
1.1 Begründung der Themenwahl und Aktualität der Thematik
1.2 Gliederung der Arbeit und Vorgehensweise
1.3 Forschungsgegenstand

I THEORETISCHERTEIL

2. DEFINITION UND ERKLÄRUNG DER BEGRIFFLICHSTEN
2.1 Säkularität in Deutschland
2.1.1 Islam und der säkulare demokratische Rechtsstaat
2.2 Religionsfreiheit (positiv/negativ) und die Grenzen der Religionsfreiheit
2.2.1 Religionsfreiheit und Schule

3. MUSLIMISCHE RELIGIONSPRAXIS IM SCHULALLTAG - FORSCHUNGSSTAND
3.1 Thematische Fokussierung
3.1.1 Der Ramadan
3.1.2 Das Kopftuch
3.1.3 Unterricht und muslimische Religionspraxis
3.1.5 Klassenfährten
3.1.6 Umgang mit dem anderen Geschlecht
3.1.7 Beten in der Schule
3.1.8 Essensvorschriften
3.1.9 Bitdungs- und Erziehungspartnerschaft mit muslimischen Eltern
3.2 Situation an Bremer Schulen

II EMPIRISCHERTEIL

4. METHODISCHES VORGEHEN
4.1 Erhebungsphase
4.1.1 Das problemzentrierte Interview
4.1.2 Entwicklung des Interviewleitfadens
4.1.3 Zugang zum Forschungsfeld und Auswahl der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner
4.1.4 Interviewpartnerinnen und Interviewpartner
4.1.5 Durchführung der Interviews
4.2 Transkription
4.3 Auswertungsphase
4.3.1 Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring
4.3.2 Durchführung der Methode

III DARSTELLUNG DER ERGEBNISSE UND DISKUSSION

5. ERKENNTNISGEWINN DURCH DIE BEFRAGUNGEN DER SCHULLEITERINNEN UND SCHULLEITER.
5.1 Essensvorschriften
5.2 Ramadan
5.3 Unterricht und muslimische Religionspraxis
5.4 Kopftuch
5.5 Umgang mit dem anderen Geschlecht
5.6 Beten in der Schule
5.7 „Elternarbeit"
5.8 Vorhandene Unterstützungen und erwünschte Unterstützungen im Umgang mit muslimischer Religionspraxis im Alltag der Grundschulen

6. DISKUSSION DER ERGEBNISSE
6.1 Methodenkritik (Gütekriterien)
6.2 Interpretation der gewonnenen Ergebnisse

IVFAZITUND AUSBLICK

LITERATURVERZEICHNIS

INTERNETQUELLEN

VI ANHANG

Danksagung

Diese Masterarbeit entstand im Rahmen des Studienganges „Erziehungs­und Bildungswissenschaften des Primär- und Elementarbereichs“ an der Universität Bremen. Die Idee für das Thema der Masterarbeit erwuchs aus meinem Studienpraxis-Projekt. Nach Absprache mit meiner Erstprüferin, Frau Prof. Dr. Yasemin Karaka§oglu, entwickelte ich die endgültige Thematik mit entsprechender Fragestellung.

In dieser Danksagung möchte ich all denjenigen danken, die mich bei meiner Arbeit unterstützt haben.

Ich bedanke mich herzlich bei meinen Betreuerinnen dieserArbeit, Frau Prof. Dr. Yasemin Karaka§oglu und Frau Heidrich, für ihre intensive Begleitung. Auch meiner Familie und besonders meinem Ehemann möchte ich für die mentale und finanzielle Unterstützung danken. Außerdem möchte ich mich bei meiner Mutter bedanken, die mir während des Schreibens meiner Masterarbeit beigestanden hat. Ohne ihre Hilfe wäre dieses Studium nicht möglich gewesen.

Verden (Aller), den 26.08.2019, Rana Özkaynak

1. Einleitung

1.1 Begründung derThemenwahl undAktualitätder Thematik

Diese wissenschaftliche Arbeit setzt sich mit der Thematik muslimischer Religionspraxis im Schulalltag der Grundschule auseinander. Medienberichte zeigen die Aktualität des Themas an deutschen Schulen auf. Beispielsweise schreibt die Ruhrnachricht über das Fasten während der Schulzeit. Der Titel dieses Zeitungsartikels lautet „Fasten-Verbot für muslimische Grundschüler? - Das steht Lehrern nicht zu.“ (Rezek, 2019). Hier geht es darum, wie weit eine Lehrkraft gehen darf und wo die Grenzen der Religionsfreiheit liegen. Ein anderes Beispiel ist das Ablehnen des Schwimmunterrichts. Gerade muslimische Mädchen, die ein Kopftuch tragen, wollen häufig nicht am Schwimmunterricht teilnehmen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gab es hierzu einen Bericht „In Deutschland gehe ich nicht mehr schwimmen“ (Benninghoff & Franke, 2018). Dies sind lediglich zwei aktuelle Berichte, die hier als Beispiele herangezogen werden sollen. Die Diskussion über den Umgang mit muslimischen Schülerinnen und Schülern ist hoch aktuell und nicht immer wissen sich die Lehrkräfte zu helfen, wenn der Schwimmunterricht durch Nichtteilnahme behindert wird oder wenn durch das Fasten der Schülerinnen und Schüler die Konzentration nachlässt. Constantin Schreiber, ein Journalist und Bestsellerautor, beschäftigt sich mit Schulbüchern aus islamisch geprägten Ländern. Er analysierte insbesondere Schulbücher aus Afghanistan, der Türkei, Ägypten, Iran und aus palästinensischen Gebieten. Ihm fiel auf, dass die meisten Schulbücher insbesondere dem Westen gegenüber sehr wertend seien. Der Westen würde hierbei geradezu als Feindbild deklariert.

Zudem gäben einige Schulbücher aus dem Iran und Ägypten klare Verhaltensregeln vor. Beispielsweise sollen sich die Frauen aus dem Iran bedecken, denn sie seien ein Juwel, welches vor den lüsternen Blicken der Männer versteckt werden müsse. In Ägypten hat Schreiber erlebt, dass die Schülerinnen in dick und dünn unterteilt wurden und dass ihnen gezeigt wurde, wie sie sich ihrer Körperform entsprechend zu kleiden hätten.

Constantin Schreiber macht für diese Entdeckungen nicht den Islam verantwortlich, sondern die Menschen, die den Islam dafür nutzen, ihre Interessen durchzusetzen. Obwohl der Titel seines Buches „Kinder des Koran“ auf den ersten Blick darauf anspielt, dass die Religion für die Botschaften in den Schulbüchern verantwortlich sei, versucht er aufzuzeigen, wie der Islam für nichtreligiöse Zwecke missbraucht wird (vgl. Schreiber, 2019).

Aus all diesen Ländern kommen Schülerinnen und Schüler aus den unterschiedlichsten Gründen nach Deutschland. Push- und Pullfaktoren beinhalten oft politische und wirtschaftliche Faktoren.

Einige dieser Immigranten haben bereits Schulen in ihrem Heimatland besucht und sind geprägt von diesem Weltbild, wie es in den genannten Schulbüchern aufgezeigt wird.

Dies zu wissen ist für Lehrerinnen und Lehrer von großer Bedeutung, denn es begründet in einigen Fällen das Verhalten der muslimischen Schülerinnen und Schüler. Mit dieser Thematik sollten sich Lehrkräfte auseinandersetzen, um befremdliche oder störende Faktoren im Unterricht, die aus der muslimischen Religionspraxis hervorgehen, zu verstehen und adäquat darauf zu reagieren.

Mit der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit sollen Erfahrungsberichte von Bremer Schulleiterinnen und Schulleitern im Umgang mit der muslimischen Religionspraxis im Schulalltag der Grundschule erfasst und Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden.

1.2 Gliederung derArbeit und Vorgehensweise

Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit beginnt mit dem theoretischen Teil. Im theoretischen Teil werden Begrifflichkeiten definiert und erläutert. Zum besseren Verständnis der Arbeit sollen die Begriffe Säkularität in Deutschland, Islam und der säkulare, demokratische Rechtsstaat, Religionsfreiheit (positive/negative) und die Grenzen der Religionsfreiheit sowie Religionsfreiheit und Schule näher definiert werden.

Im dritten Kapitel wird der Forschungsstand in Hinblick auf die muslimische Religionspraxis im Schulalltag dargestellt. Dabei werde ich mich auf folgende Themen fokussieren: der Ramadan, das Kopftuch, der Unterricht und muslimische Religionspraxis, Klassenfahrten, Umgang mit dem anderen Geschlecht, beten in der Schule, Essensvorschrift und die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit muslimischen Eltern.

Abschließend wird im dritten Kapitel die aktuelle Situation an Bremer Schulen bezüglich des Umgangs mit der muslimischen Religionspraxis im Schulalltag dargestellt.

Danach folgt der empirische Teil der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit. Dieser beginnt im vierten Kapitel und stellt das methodische Vorgehen dar. Hier wird aufgezeigt, was ein problemzentriertes Interview ist, wie sich der Interviewleitfaden entwickelt, wie sich der Zugang zum Forschungsfeld und die Auswahl der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner gestalten und wie die letztendliche Durchführung des Interviews ablaufen wird. All diese Punkte bilden die Erhebungsphase (4.1). Im zweiten Teil des vierten Kapitels wird die Transkription der einzelnen Interviews erläutert. Im dritten Teil des vierten Kapitels wird die Interviewanalyse nach Philipp Mayring dargelegt und anschließend werden die Interviews nach dieser Methode analysiert.

Im dritten Teil der vorliegenden Masterarbeit geht es um die Darstellung der Ergebnisse sowie deren Diskussion. Dabei werden alle Erkenntnisse im fünften Kapitel in vorher festgelegten Kategorien zusammengefasst. Erkenntnisse, die vorher nicht beachtet wurden, werden neu kategorisiert, falls sie zu keiner anderen Kategorie passen. Im sechsten Kapitel erfolgen eine Methodenkritik sowie die Interpretation der gewonnenen Erkenntnisse. Die wissenschaftliche Arbeit endet mit dem Fazit und einem Ausblick.

1.3 Forschungsgegenstand

Der Forschungsgegenstand der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit liegt darin, die Erfahrungen von Schulleiterinnen und Schulleitern in Hinblick auf den Umgang mit der muslimischen Religionspraxis darzustellen. Dabei sollen konkrete Situationen erfragt und Umgangsmethoden dargestellt werden.

Die zu befragenden Schulleitungen der verschiedenen Schulen sollen dabei einen groben Überblick über die Situation im Bundesland Bremen aufzeigen. Dabei sollen folgende Fragen geklärt werden:

- Wo sind die Grenzen der Religionsfreiheit an Schulen?
- Welchen Handlungsbedarf sehen die Bremer Schulleiterinnen und Schulleiter an ihren Schulen?
- Welche Unterstützungsmöglichkeit gibt es und welche zusätzlichen Möglichkeiten werden benötigt?

Antworten auf diese Fragen sollen durch diese Masterarbeit gefunden werden.

I Theoretischer Teil

2. Definition und Erklärung der Begrifflichkeiten

2.1 Säkularitätin Deutschland

Säkularität bedeutet, dass sich eine Sache von den Konfessionen der Religion löst. Die Säkularisierung hatte ihren Anfang im Jahr 1802, als durch eine Kabinettsordnung des Kurfürsten Maximilian IV fast sämtliche Klöster aufgehoben wurden. Das Kircheneigentum wurde auf den Staat übertragen und die Kirche somit entmachtet. Dies war eine Revolution von oben, die gleichzeitig das Mittelalter verabschiedete (vgl.: Pollack, 2003).

Für die moderne Demokratie ist es selbstverständlich, dass Politik und Religion voneinander zu trennen sind, jedoch muss dies nicht zwangsläufig so sein. In Frankreich herrscht ein laizistisches System: Staat und Religion werden hier streng getrennt. In Großbritannien wird das staatskirchliche System praktiziert. Deutschland zeichnet sich durch eine Mischung der beiden genannten Systeme aus. In den vergangenen Jahren hat sich die religiöse Gesinnung in Deutschland stark gewandelt.

Die fortschreitende Säkularisierung, die religiöse Pluralisierung, die Individualisierung und die Integration des Islams stellen Staat und Religion vor eine neue Herausforderung (Pickel, 2018).

2.1.1 Islam und der säkulare demokratische Rechtsstaat

Der Islam verfügt über die Scharia als eine Art Normsystem. Viele Nichtmuslime, aber auch einige Muslime, sehen diese als Bedrohung für den säkularen demokratischen Rechtsstaat. Die Scharia beinhaltet Gesetze, Werte und Normen, an die sich die Musliminnen und Muslime zu halten haben. In der Scharia werden Vorschriften über das Gebet, die Heirat, das Fasten sowie allgemeine Verhaltensregeln formuliert. Einige muslimische Länder halten sich generell an die Scharia. Andere wiederum sehen die Scharia lediglich als Richtwert, jedoch nicht als politische Instanz (Rohe, 2011).

Der radikale Islamismus und seine Anhänger gehen verbal und auch nonverbal gegen den säkularen demokratischen Staat an; gemeint sind hier Gruppierungen, wie zum Beispiel der Daesh oder andere radikale extremistische Gruppen. Das Thema ist sehr aktuell und betrifft nur eine Randgruppe der Musliminnen und Muslime. Die meisten der muslimischen Bürgerinnen und Bürger akzeptieren den säkularen demokratischen Rechtsstaat (Rohe, 2011).

Die Türkei, ein überwiegend muslimisches Land, pflegt seit Jahrzehnten einen streng laizistischen Staat. Ein Teil der Bevölkerung sieht die Religion als Bedrohung für den demokratischen Staat an. In Deutschland wird die Religion nicht als Bedrohung für das demokratische System angesehen, sondern als Bereicherung für das gute Zusammenleben und als gemeinnützige Organisation für Sinnstiftung empfunden (Rohe, 2011). Zusammenfassend kann im Islam und damit seitens der Musliminnen und Muslime zwischen religiösen Normen und Rechtsnormen unterschieden und getrennt werden. Religiöse Normen zeigen beispielsweise wie gefastet oder gebetet werden soll. Bei Rechtsnormen, wie dem Familienrecht oder dem Strafrecht, handelt es sich um Normen, die dem Staat obliegen (Rohe, 2011).

Die Scharia kann in einigen Punkten zur demokratischen Verfassung passen, jedoch gibt es Situationen, in denen bei Einhaltung der Scharia das demokratische System gefährdet wäre. In diesem Punkt wäre der Islam mit dem säkularen demokratischen Rechtsstaat nicht zu vereinbaren (Ucar, 2012).

2.2 Religionsfreiheit (positiv/negativ) und die Grenzen der Religionsfreiheit

Die Religionsfreiheit ist ein im Grundgesetz verankertes Menschenrecht. Dieses schützt den Bürger in seinem religiösen und weltanschaulichen Glauben. Die Religionsfreiheit besitzt einen negativen und einen positiven Aspekt(Krämer, 2014, S. 19f.).

Die negative Komponente besagt, dass niemand vom Staat oder der Kirche gezwungen werden darf, ein bestimmtes Glaubensbekenntnis oder eine religiöse Handlung zu praktizieren. Bürgerinnen und Bürger dürfen nicht dazu gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten, die Religion zu wechseln oder gegen den eigenen Willen in einer Religionsgemeinschaft zu verbleiben (vgl. Pieroth & Schiink, 2005).

Die positive Komponente drückt aus, dass jeder Mensch das Recht hat, eine Glaubens- oder Weltanschauung frei zu wählen und einer Religionsgemeinschaft beizutreten. Zusätzlich ist gestattet, dass jeder eine Religionsgemeinschaft gründen darf. Die private und auch öffentliche Praktizierung der jeweiligen Religion ist erlaubt. Auch die Ausübung von religiösen Traditionen und der religiöse Unterricht sind grundlegende Rechte. Man kann sich auch bewusst dazu entscheiden, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören (Pieroth & Schiink, 2005 S.138ff.).

In der Schule gerät die Religionsfreiheit an ihre Grenzen, denn hier trifft sie auf andere Werte. Professor Dr. Dr. Hilgendorf von der Universität Würzburg referiert über das Thema „Staat und Religion in Deutschland.“. Durch die steigende Diskussion insbesondere in den Medien über diverse Themen wie Ehrenmorde, Kopftuchverbot, Kreuze in der Schule, Islam als Unterrichtsfach, Religion und Gewalt etc., gewinnt das Thema „Grenzen der Religionsfreiheit“ immer mehran Bedeutung. Für Professor Dr. Dr. Hilgendorf stellt sich die Frage, ob die religiösen Bedürfnisse eines Menschen immer noch eine anthropologische Konstante darstellen (Hilgendorf & Pfahl- Traughbe, 2013).

Die religiösen Bedürfnisse einiger Religionen können gesetzlich nicht legimitiert werden. Gebietet eine Religion beispielsweise das Töten von Andersgläubigen, dann verstößt dies klar gegen die deutsche Verfassung und die Gesetze. Das heißt, dass jeder Religionsanhänger primär der staatlichen Gewalt unterworfen ist und die Rechte Dritter nicht verletzen darf, auch nicht, wenn dies religiös begründbar wäre. Professor Dr. Dr. Hilgendorf sieht es als notwendig an, die Gesellschaft zu religiöser und weltanschaulicher Toleranz zu „erziehen“. Damit sollen religiöse Gemeinschaften und deren Verbände Privilegien verlieren, sodass eine staatliche Neutralität gegenüber religiösen Fragen entsteht. Die Bürgerinnen und Bürger sollen anstelle der Werte der von ihnen ausgeübten Religion die Werte des Humanismus und der Aufklärung befolgen. Demnach sollten die Leitwerte einer Gesellschaft die Menschenrechte und die Menschenwürde sein (Hilgendorf& Pfahl-Traughbe, 2013).

Professor Dr. Armin Pfahl von der Fachhochschule des Bundes referiert über das Thema „Der fundamentalistische Charakter von Religion und die notwendigen Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Christentums und des Islams“. Pfahl geht es um den fundamentalistischen Charakter der Religionen, denn dieser begünstige Konflikte in der Gesellschaft. Fundamentalisten sind jene, die eine andere Denkweise nicht akzeptieren und diese bekämpfen wollen. Sie gehen vom Bösen und Guten aus, die eigene Religion ist dabei das Gute und alle anderen Religionen und Weltanschauungen sind böse (Hilgendorf& Pfahl-Traughbe, 2013).

Pfahl zeigt dies anhand von Textstellen aus der Bibel und dem Koran auf, in beiden heiligen Büchern werden Andersgläubige und Ungläubige mit der Hölle bestraft und gelten als wertlos. Religionen sollen nicht aus der Gesellschaft verdrängt werden. Es solle vielmehr eine Gleichstellung aller Religionen und Weltanschauungen entstehen und keine staatliche Präferenz zum Ausdruck gebracht werden. Nach Pfahl kann dies nur gelingen, wenn die Religionsfreiheit begrenzt wird. Demnach solle die Religionsfreiheit dort enden, wo andere Grund- und Menschenrechte gefährdet sind (Hilgendorf & Pfahl-Traughbe, 2013).

Probleme in den Schulen entstehen hauptsächlich, wenn es um den Anspruch der religiösen Bedürfnisse in nichtreligiösen Bereichen geht (wie zum Beispiel Klassenfahrten, Schulsport oder das Schächten von Tieren). Professor Dorothee de Neve ist Politikwissenschaftlerin an der Justus-Liebig- Universität in Gießen und beschäftigt sich mit dem Thema Grenzen der Religionsfreiheit. Diese Grenzen der Religionsfreiheit fasst sie in drei Punkten zusammen.

Zunächst stehen der Schutz des Individuums und seiner Rechte über der Religionsfreiheit. Damit verweist de Neve beispielsweise auf die Beschneidung der Frauen in bestimmen Kulturkreisen. Auch wenn dies religiös gerechtfertigt werden könnte, ist es dennoch eine massive Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (de Neve, 2011, S. 171-172).

Hierzu äußert sich auch Memet Kilic, ein Abgeordneter der Grünen Partei. Ihm geht es um das Beschneiden der Jungen im Islam und Judentum. Nach Memet Kilic soll dies erst ab dem 14. Lebensjahr geschehen und die Entscheidung solle vom Betroffenen selbst gefasst werden. Kilic appelliert an die Vernunft der Bürgerinnen und Bürger. Diese sollen das Recht der Unversehrtheit über ihre religiösen Interessen stellen. Mit 14 Jahren seien Jugendliche religionsmündig und können somitfür sich selbst entscheiden. Als zweiten Punkt, der die Grenzen der Religionsfreiheit aufzeigen soll, nennt Professor de Neve „Pluralismus und Toleranz“. Pluralismus im religiösen, politischen und auch im kulturellen Bereich ist in einem demokratischen Staat erwünscht. Jedoch ist es wichtig, dass sich die unterschiedlichen Religionen und Gemeinden gegenseitig akzeptieren und tolerieren. Ist das Gegenteil der Fall, können Parallelgesellschaften entstehen. Diese Parallelgesellschaften würden häufig bei muslimischen Gemeinschaften entstehen, denn diese sondern sich räumlich und auch symbolisch ab. Trotz dieser Erkenntnis sagt Professor de Neve, dass keine Gefährdung von muslimischen Gemeinschaften ausgehe. Anders sähe es mit Scientology aus. Diese stehe auch unter staatlicher Beobachtung und gelte als gegen rechtsstaatliche Normen verstoßende Sekte (de Neve, 2011, S. 174-178).

Professor Dorothee de Neve appelliert an die Toleranz der Bürgerinnen und Bürger gegenüber anderen Religions- und Weltansichten; denn nur so könne eine Parallelgesellschaft vermieden werden und mögliche Gefahren, die aus dieser Parallelgesellschaft resultieren, könnten durch Toleranz und Akzeptanz umgangen werden.

Der dritte Punkt, an dem die Religionsfreiheit an ihre Grenzen stoße, betreffe das Herrschaftsmonopol und die Gewaltenteilung. Jede Bürgerin und jeder Bürger haben das Recht, einen Vertreter für ihre Interessen zu wählen und auch für ihre Interessen zu demonstrieren. Doch auch hier gerät die Religionsfreiheit bei bestimmten Themen in Konflikt mit dem demokratischen Rechtsstaat. Themen wie Sterbehilfe, Abtreibung, Homosexualität etc. sind Streitpunkte zwischen der Regierung und religiösen Verbänden. Beispielsweise gilt Homosexualität in allen drei monotheistischen Weltreligionen als Sünde, die nicht toleriert oder gar akzeptiert werden kann. Anders sieht es die demokratische Regierung, denn es ist erlaubt, sich seinen Lebenspartner frei auszusuchen, solange es sich nicht um eine inzestuöseVerbindung handelt (de Neve, 2011, S. 178-182).

2.2.1 Religionsfreiheit und Schule

Alle drei Grenzen der Religionsfreiheit sind auch im Schulalltag anzutreffen, was aus der muslimischen Religionspraxis resultiert (siehe vorangegangenes Kapitel). Der Schutz des Individuums steht hier über dem Recht der Religionsfreiheit. Auch der zweite Punkt „Pluralismus und Toleranz“ kann auf den schulischen Alltag übertragen werden. Manchmal entstehen hier muslimische oder andere religiöse beziehungsweise kulturell bedingte Gruppen. Dies wird zum Problem, wenn diese Gruppen sich von den anderen absondern. Die Folgen sind religiös und kulturell bedingte Konflikte, ein angespanntes Klassenklima und damit ein gestörter Lernraum.

Auch der letzte Punkt, den Professor Dorothee de Neve erwähnt, Herrschaftsmonopol und Gewaltenteilung, passt zum Alltag der Schule. Die Grenzen der Religionsfreiheit können hier anhand des Themas Homosexualität gezeigt werden. Homosexualität gilt in vielen Religionen als Sünde, so auch im Islam. Wenn beispielsweise ein muslimischer, christlicher oder jüdischer Schüler oder Schülerin einen Homosexuellen auf irgendeine Weise diskriminiert, dann ist dies nicht in Ordnung und kann auch vor dem religiösen Hintergrund nicht gerechtfertigt werden.

Zusammenfassend ist die Religionsfreiheit ein wichtiges Menschenrecht und zugleich für die Kinder ein bedeutendes Merkmal für die individuelle Identitätsbildung. Dennoch ist es sinnvoll der Religionsfreiheit ihre Grenzen zu setzen, wenn die Rechte von Dritten gefährdet sind (de Neve, 2011, S. 182).

3. Muslimische Religionspraxis im Schulalltag - Forschungsstand

3.1 Thematische Fokussierung

Es gibt mehrere Handreichungen zum dem Thema Islam und Schule. Sie alle beschäftigen sich mit bestimmten Themen, wie dem Ramadan, dem Kopftuch, Sexualkunde oder Klassenfahrten etc.. Herausgegeben wurden diese Handreichungen beispielsweise vom Senat für Bildung, Wissenschaft und Forschung in Berlin und für Niedersachsen vom Niedersächsischen Kultusministerium in Hannover. Jedes Bundesland bietet solche Informationsmaterialien für Pädagogen an, um interkulturelle und antidiskriminierende Bildung zu ermöglichen sowie Chancengleichheit und ein friedliches und respektvolles Zusammenleben zu realisieren. Für diese wissenschaftliche Arbeit werden zwei Handreichungen und mehrere Lektüren herangezogen.

Die thematische Fokussierung basiert auf den Themen dieser Lektüren sowie den Handreichungen und wird von mir im Nachfolgenden näher erläutert.

3.1.1 Der Ramadan

Der islamische Kalender ist ein reiner Mondkalender. Seine Kalenderjahre bestehen aus zwölf Mondmonaten zu 29 oder 30 Tagen. 33 Jahre islamischer Zeitrechnung entsprechen 32 Jahren christlicher Zeitrechnung. In diesem Zeitraum wandern die Daten des islamischen Kalenders einmal durch ein Sonnenjahr. Aus der Perspektive des christlichen Kalenders beginnt der Fastenmonat jedes Jahr 10-12 Tage früher als im vorherigen Jahr (Schimmel, 2002). Der Ramadan ist der neunte Monat im islamischen Kalender. In diesem Monat sollen Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts essen oder trinken, nicht rauchen, keinen Geschlechtsverkehr haben und sich um einen vorbildlichen Lebenswandel bemühen. Letzteres bedeutet, anderen zu helfen, niemanden zu beschimpfen und nicht zu lügen (Schimmel, 2002). Der Monat Ramadan wird zum gemeinsamen Essen am Abend und zum gemeinsamen Beten genutzt, Familie und Freunde werden besucht und bekocht. Am Ende des Ramadans wird das Zuckerfest gefeiert. An diesem Tag werden Süßigkeiten gegessen und die Kleinsten werden beschenkt (Schimmel, 2002).

Am Zuckerfest bekommen muslimische Schülerinnen und Schüler den Tag freigestellt, sie dürfen entscheiden, ob sie den Tag zuhause bei der Familie oder in der Schule verbringen. Dies ist inzwischen gesetzlich vorgegeben und kann von muslimischen Kindern in Anspruch genommen werden (Altenberg, 2007).

Das Fasten im Ramadan ist nur Pflicht, wenn das geschlechtsreife Alter erreicht wurde. Außerdem sollten Kranke, schwangere Frauen, stillende Frauen, Frauen während ihrer Periode, Reisende und Kinder nicht fasten. Demnach ist das Fasten nur für die Muslime Pflicht, die körperlich hierzu in der Lage sind und denen es möglich ist zu fasten (Schimmel, 2002).

Jedoch fasten immer mehr Schülerinnen und Schüler, die noch nicht das geschlechtsreife Alter erreicht haben (Döhner, 2019). Für viele von ihnen wird das Fasten auch zu einer „Leistungsschau“ (Klein, 2019). Denn das Aushalten des Fastens ist gerade an heißen Tagen eine körperliche Herausforderung. Trotzdem gibt es durchaus Kinder, die während des Ramadans fasten. Nach einem Hadith des Propheten sei dies erlaubt, so können Muslime bereits im Kindesalter an das Fasten herangeführt werden. Nach diesem Hadith sollen Eltern ihren Kindern das Fasten nicht verbieten, sondern es ihren Kindern erlauben. Einige Eltern erlauben ihren Kindern bis zum Mittag zu fasten oder nach der Schule bis zum Iftar, dies zeichnet den offenen Islam aus (Prof. Dr. Zöllner, 2010).

Grundsätzlich dürfen Bildungseinrichtungen ihren Schülerinnen und Schülern das Fasten nicht verbieten. Das Fasten darf aber auch nicht als Entschuldigung beziehungsweise Befreiung vom Unterricht genutzt werden. Denn im Islam gilt es das Fasten als zusätzliche Leistung im Alltag zu erbringen, das Leben und die grundsätzlichen Pflichten sollen weiterhin praktiziert werden. Das Folgende ist die Rechtsgrundlage zur Befreiung vom Unterricht: Nr. 5 AV Schulpflicht zu §128 SchuIG: (2) Ein religiöses oder weltanschauliches Bekenntnis allein ist kein wichtiger Grund, der eine Befreiung rechtfertigt. Dies zeigt die eindeutige Position des deutschen Staates (Prof. Dr. Zöllner, 2010).

Auf Seiten des Islamrats gibt es ebenfalls eine Stellungnahme zum Thema Ramadan und Fasten von Schülerinnen und Schülern. Der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland in Köln sieht sich durch die aktuelle Lage in den Medien dazu beauftragt eine Stellungnahme abzugeben.

Der Islamrat sieht das Fasten nicht als Belastung, sondern als eine Entlastung. Demnach geht es beim Fasten nicht nur um einen Entzug von Essen und Trinken, sondern auch um das religiöse Meditieren und die Persönlichkeitsfindung.

Die Vorwürfe, dass die Fastenden zu wenig Schlaf bekommen, weist der Islamrat ab, denn in den Mittagsstunden könne dieser Schlaf nachgeholt werden. Außerdem können nächtliche Gebete auch Zuhause verrichtet werden, der Besuch in der Moschee nach dem Fastenbrechen basiere auf freiwilliger Basis.

Zudem könne der Sportunterricht im Ramadan so gestaltet werden, dass die muslimischen Schülerinnen und Schüler keinen Nachteil haben. Das Problem auf Klassenfahrten zu fasten erübrigt sich, da der Reisende vom Fasten befreit ist.

Der Islamrat appelliert sowohl an die Schulen, als auch an die Eltern. Ob und wann eine Schülerin oder ein Schüler fasten will, hängt von der Bereitschaft ab. Denn schlussendlich muss sich jeder diese Frage selbst stellen. Das heißt, wenn sich die Kinder beziehungsweise Jugendlichen nicht dazu in der Lage fühlen, dann können sie das Fasten und damit den Entzug vom Trinken und Essen unterbrechen. Denn der islamische Monat Ramadan bedeutet nicht nur, dass die Gläubigen fasten sollen, sondern dass Gläubige sich ihrer Person bewusstwerden. Ein nachhaltigeres Leben soll geschaffen werden, indem der Konsum eingeschränkt wird, gespendet werden soll und das Verhalten überdacht wird. Das Verhalten soll sich bessern, indem jegliche Art von Beleidigungen ganz besonders im Ramadan verboten werden (Islamrat fürdie Bundesrepublik Deutschland e.V., 2016).

Der Monat Ramadan steht auch für Versöhnung, denn in diesem Monat sollen Streitigkeiten und Auseinandersetzungen beigelegt werden.

Demnach ist die Diskussion in den Medien und auch im Alltag der Schulen für den Islamrat unbegründet. Im Islam gäbe es viele Vereinfachungen. Die Frage, ob es positiv ist für die Schülerinnen und Schüler im Unterricht zu fasten, soll im Einzelfall entschieden werden. Denn dies hänge von der physischen und psychischen Verfassung des Lernenden ab (vgl.: Islamratfür die Bundesrepublik Deutschland e.V., 2016).

3.1.2 Das Kopftuch

Das Kopftuch wird in den Medien immer häufiger diskutiert. Das Kopftuch repräsentiert für viele Nichtmuslime ein Symbol der Unterdrückung der Frauen. Daher wird den Kopftuch tragenden Frauen und Mädchen oft unterstellt, sich nicht in die deutsche Gesellschaft integriert zu haben (Toprak, 2014, S. 190).

Das Tragen des Kopftuches seitens der Lehrkraft wird in der Literatur und in den Medien stärker diskutiert, als das Tragen des Kopftuchs der muslimischen Schülerinnen. Dies liegt daran, dass es für die Lehrkraft ein sogenanntes Neutralitätsgebot gibt. Dieses verpflichtet die Lehrerinnen und Lehrer dazu, ihre Schülerinnen und Schüler weder in religiösen noch in politischen Weltwahrnehmungen zu beeinflussen. Nun kann das Kopftuch als ein Kleidungsstück gesehen werden und als private Religionsausübung oder es kann als bewusste Beeinflussung und als Symbol betrachtet werden (Karaka§oglu, Frauen mit Kopftuch in Deutschland, 2005).

In dieser wissenschaftlichen Arbeit geht es um das Kopftuchtragen der muslimischen Schülerinnen an sich.

Seit Mitte der 90er Jahre wird das Tragen des Kopftuches von muslimischen Schülerinnen auf juristischer Ebene diskutiert. Nach deutschem Recht darf das Tragen des Kopftuches nicht verboten werden, da ein Verbot gegen das Recht der Religionsfreiheit sprechen würde. Jeder Schüler und jede Schülerin darf seinen/ihren Glauben oder seine/ihre Weltanschauung frei ausleben, denn der Staat ist nicht befugt eine Evaluierung vorzunehmen (Karaka§oglu, 2006).

Es gibt mehrere Arten der Verschleierung, die sich in drei Grundarten zusammenfassen lassen. Zum einen gibt es den Hidschan, dieser zeichnet sich dadurch aus, dass lediglich die Haare und der Hals verdeckt werden. Des Weiteren gibt es den Niqab, dieser verdeckt zusätzlich den Mundbereich. Die Burka hingegen verdeckt schließlich den ganzen Körper mit einem meist schwarzen Schleier. Der Augenbereich ist ebenfalls mit einem gitterförmigen Stoff bedeckt. Im Folgenden beschäftige ich mich aber nur mit dem Kopftuch im Allgemeinen (Karaka§oglu, 2005).

Die Rechtsgrundlage in Deutschland besagt laut Artikel 4 Grundgesetz, dass Religionsfreiheit gewährleistet werden soll, dennoch können die Schulen ihre Entscheidungen selbst treffen. Diese Entscheidungen dürfen jedoch nicht gegen das Grundrecht der Religionsfreiheit verstoßen. Gemäß Artikel 70 des Grundgesetzes steht es den Ländern zu - im Bereich des Schulrechts - die Gesetzgebung in diesem Zusammenhang zu bestimmen. Ein Verbot oder eine Wertung seitens der Länder bezüglich des Kopftuches kann dennoch nicht erlassen werden, denn nach Artikel 6 Absatz 1 dürfen die Eltern der Schülerinnen und Schüler ihre Kinder religiös erziehen.

Im Koran äußern sich genau drei Verse über die Kleidung der Frau. Sie beinhalten keine konkrete Beschreibung und werden sehr unterschiedlich interpretiert. Verschiedene islamische Strömungen kommen daher zu unterschiedlichen Auslegungen, ob die Verhüllung des Gesichtes vorgeschrieben sei oder ob das Gesicht und die Hände der Frau sichtbar sein dürfen. Andere islamische Strömungen, wie beispielsweise die Aleviten, kennen generell kein aus dem Koran abgeleitetes Gebot, ein Kopftuch zu tragen (Knieps, 2005).

Trotz dieser wenigen Stellen und des offensichtlichen Disputs darüber, wie sie zu interpretieren seien, wird immer wieder explizit der Koran von denjenigen islamische Strömungen und Interessensgruppen als Referenz angegeben, die für das Tragen eines Kopftuches plädieren (Knieps, 2005). Zusammenfassend ist das Kopftuchtragen in deutschen Bildungsstätten nicht verboten und steht unter dem Schutz des Artikels 4 im Grundgesetz. Dennoch gibt es Schulen, die das Tragen des Kopftuchs ihrer Schülerinnen weder akzeptieren noch tolerieren (vgl.: Karakasoglu, 2006).

Muslimische Schülerinnen, die bereits ab der Grundschule das Kopftuch tragen, stellen lediglich Einzelfälle dar (Kleff, 2005, S. 71).

3.1.3 Unterricht und muslimische Religionspraxis

Für einige muslimische Schülerinnen und Schüler scheint der Sport- und Schwimmunterricht einen Widerspruch zu ihrer Religion darzustellen. Dies zeigen mehrere Fälle, in denen die Schüler und Schülerinnen mit Hilfe ihrer Eltern eine Befreiung vom Unterricht anstrebten. Ein Beispiel für eine solche Situation ereignete sich am 25. August 1993. Zwei muslimische Schülerinnen, jeweils zwölf und dreizehn Jahre alt, versuchten gerichtlich eine Befreiung vom koedukativen Sportunterricht zu erlangen. Das Gericht entschied zu Gunsten der Schülerinnen, denn das Gesetz der Religionsfreiheit in Artikel 4 schreibt dies vor. Demnach ist der Sportunterricht, durch unbeabsichtigte Berührungen zwischen Mädchen und Jungen, nicht islamisch vertretbar und würde somit die beiden Mädchen in ihrem Glauben verletzen. Jedoch gilt die Befreiung nur, wenn die Schule keinen getrennten Sportunterricht anbieten kann. Eine solche Befreiung gilt ausschließlich für den Sportunterricht und kann nicht auf andere Fächer übertragen werden (Karaka§oglu, Islam als Störfaktot in der Schule, 2006). Ein anderes Ereignis fand am 7. Mai 2008 in Düsseldorf statt. Eine muslimische Schülerin und ihre Eltern klagten vor Gericht die Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht ein. Diese Klage war nicht erfolgreich mit der Begründung, dass durch eine muslimisch angemessene Badebekleidung die Glaubensgebote nicht verletzt würden und daher könne die Schülerin durchaus am Schwimmunterricht teilnehmen (Wiite & Wenzler, 2014).

Ein Urteil vom Bundesverwaltungsgericht vom 11. September 2013 besagt, dass muslimische Schülerinnen, die das Kopftuch tragen, am Schwimmunterricht teilnehmen müssen, fakultativ mit einer muslimischen Badebekleidung (BVerwG 2013). Beide Fälle zeigen, dass es keine einheitliche Regelung bezüglich des koedukativen Sportunterrichts gibt. In erster Linie entscheiden die Schulen und dann die Gerichte der jeweiligen Länder. Für eine Befreiung muss ein hinreichender Grund vorliegen. Zusätzlich müssen die Schulen in diesen Ausnahmefällen einen getrennten Sportunterricht anbieten können (Hanewinkel, Hummitzsch, & Rebeggiani, 2013).

Zusammenfassend ist der Schwimmunterricht Teil des Lehrplans und ist damit für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend. Die Wichtigkeit des Schwimmunterrichts muss den Eltern bewusst gemacht werden und im persönlichen Gespräch sollte den muslimischen Eltern ebenfalls die Vertrauenswürdigkeit der Lehrkraft signalisiert werden. Es gibt Alternativen zum klassischen Badeanzug, wie beispielsweise ein Burkini, oder Bodykini, dies ist ein Schwimmanzug für bedeckte muslimische Frauen. Der Burkini ist aus Elasthan, er hat eine integrierte Kopfbedeckung und erfüllt somit die Anforderungen des Hidschabs. Eine andere Alternative ist das Tragen eines Neoprenanzugs oder langer Leggings und eines T-Shirts.

Der gemeinsame Sportunterricht stellt in diesem Zusammenhang kaum einen Konfliktpunkt dar.

Die Sexualerziehung ist sowohl die Aufgabe der Eltern als auch die der Schulen. Nach §1 Absatz 3 des Schulgesetzes muss die Sexualerziehung einen Teil der Gesamterziehung ausmachen. Die Schülerinnen und Schüler sollen ein verantwortungsvolles geschlechtliches Verhalten erwerben. Die Befreiung vom Sexualkundeunterricht kann nicht erwirkt werden, auch nicht wenn es religiös bedingte Einwände gibt. Primär ist der Sexualkundeunterricht also verpflichtend. Jedoch sollte der Sexualunterricht nach den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gestaltet werden. Sie sollen nicht in ihrem Schamgefühl verletzt werden.

Falls ein Sexualkundeunterricht in geschlechterhomogenen Gruppen erwünscht ist, sollte die Lehrkraft diesem nachgehen (falls möglich). Zusätzlich sollte der Unterricht behutsam, sensibel und respektvoll seitens der Lehrkraft und der Lernenden geführt werden. Die Schule und damit die Lehrerinnen und Lehrer sollten den Unterricht mit Berücksichtigung der religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung der Schülerinnen und Schüler führen (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2003)

Die Eltern sollen bestmöglich über den Sexualkundeunterricht informiert werden. Der Inhalt und die Ziele der Unterrichtseinheit sollten transparent sein. Bedenken seitens der Eltern sollten ernst genommen und der Unterricht entsprechend angepasst werden.

Der Versuch einer Mutter aus Hamburg, mittels einer Rechtsklage ihre beiden Töchter vom Sexualkundeunterricht zu befreien, wurde gerichtlich abgelehnt. Obwohl die Eltern das Erziehungsrecht ihrer Kinder haben, geht der Erziehungsauftrag des Staates diesem vor. Die Schülerinnen und Schüler sollen zur Mündigkeit erzogen werden, dies gibt das Gesetz - § 1 Absatz 3 Schulgesetzbuch - vor. Die sexuelle Aufklärung soll die Lernenden zu verantwortungsbewussten Erwachsenen heranziehen. Zudem begünstige eine Befreiung aus dem Sexualkundenunterricht eine Parallelgesellschaft innerhalb der Klasse. Dies sei schädlich für das Klassenklima und solle unterbunden werden (Leffers, 2004).

Das Urteil sei eine Erleichterung für Lehrerinnen und Lehrer im Gespräch mit den Eltern, denn dies ist nicht nur ein auftretendes Problem bei muslimischen, sondern auch bei andersgläubigen Eltern. Die klare Position des Gerichts fand auch bei islamisch geprägten Verbänden mehrheitlich Zustimmung. Hakki Keskin ist der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Auch er stimmt dem Urteil zu und erwähnt, dass eine Zustimmung zu Chaos geführt hätte, denn dies würde das Statement erzeugen, dass man sich unerwünschten Themen/Situationen immer entziehen könne (Leffers, 2004).

Der Sexualkundenunterricht ist damit verpflichtend für alle Schülerinnen und Schüler. Es gibt keine Ausnahmen; das Thema ist notwendig für die Erziehung der Schülerinnen und Schüler zu mündigen und aufgeklärten Erwachsenen.

3.1.5 Klassenfahrten

Das Thema Klassenfahrten wird gerade bei muslimischen Mädchen, deren Eltern streng religiös sind, ein großes Problem. Dies ist jedoch auch bei anderen Strenggläubigen der Fall.

Die Hauptsorge der Eltern ist, dass ihre Töchter während einer Klassenfahrt nicht effizient geschützt seien. Sie haben Angst, dass ihre Töchter von den männlichen Schülern unsittlich berührt werden oder es gar zu sexuellen Kontakten kommen könnte. Die Mädchen sind auf der Klassenfahrt auf sich alleine gestellt. Die Eltern haben nicht die volle Kontrolle. Zusätzlich ist es einigen muslimischen Eltern wichtig, dass ihre Kinder fünfmal am Tag beten. Eine Nichteinhaltung dieses Gebotes stellt für einige eine weitere Hürde dar. Der Entzug der elterlichen Kontrolle und die erstmalige relative Freiheit erzeugen einen ungeschützten Raum, den viele Eltern fürchten.

Die Rechtsgrundlage besagt, dass die Eltern das religiöse Erziehungsrecht haben, dem gegenüber jedoch der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schulen steht. Diese beiden Rechte können sich gegenseitig behindern, wie im folgenden Fall. Eine muslimische Schülerin aus Nordrhein-Westfalen klagte gegen ihre Schule, denn sie wollte offiziell von der Klassenfahrt befreit werden. Zu dieser Zeit ging das Mädchen in die 10. Klasse und ihr Hauptproblem war, dass sie ohne einen „Mahram“ nicht außerhalb ihres Hauses übernachten dürfe. Ein „Mahram“ ist ein männlicher Vertreter aus dem engeren Familienkreis (Vater, Großvater, Bruderetc.).

Die Klage wurde am 17.01.2002 abgelehnt mit der Begründung, dass ihr Bruder (aus der 9. Klasse) mitfahren könne. Diese muslimische Schülerin erwähnte weitere Gewissenskonflikte, die sie mit Antreten der Klassenfahrt haben würde. Sie hätte ständige Angst, dass in ihrem Essen Schweinefleisch sei. Zudem wüsste sie nicht, wie sie auf einer Klassenfahrt die zahlreichen Aktivitäten antreten und dabei pflichtbewusst ihre fünf Gebete am Tag verrichten solle. Die genannte Schülerin hat sich nach der Ablehnung ihrer Klage durch ein ärztliches Attest von der Klassenfahrt befreien lassen (Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 17.01.2002, Aktenzeichen 19B 99/02).

Dieses Beispiel zeigt, dass eine Befreiung nur dann genehmigt wird, wenn keine Lösung gefunden werden kann. Das Gespräch mit den muslimischen Eltern bezüglich ihrer potentiellen Ängste sollte von der Lehrkraft aktiv gesucht werden. Es kann aufzeigen, welche Probleme die betroffenen muslimischen Eltern sehen. Potentielle Ängste können auf Essensvorschriften, Alkoholkonsum, engem Kontakt mit dem anderen Geschlecht etc. beruhen. Zu allen Ängsten können Lösungen beziehungsweise Kompromisse gefunden werden, dies gibt das Islamforum Nordrhein-Westfallen vor (Islamforum Nordrhein-Westfallen, 2006). Auch der Zentralrat der Muslime hält die Sorgen der muslimischen Eltern in Hinblick auf Klassenfahrten für unbegründet und fordert die betroffenen Eltern dazu auf, ihre Töchter nicht von der Klassengemeinschaft zu isolieren.

Eine Lösung wird von der Leiterin des Fachausschusses Pädagogik im Zentralrat, Asiye Köhler, vorgeschlagen. Demnach solle stellvertretend für die besorgten Eltern eine für sie vertrauenswürdige Person begleitend mit auf eine Klassenfahrt fahren. Dies könnte beispielsweise eines der muslimischen Elternteile sein (Zentralrat der Muslime, 2005).

3.1.6 Umgang mit dem anderen Geschlecht

Zum größten Teil sind die typischen Problemfelder der muslimischen Jungen und Mädchen dieselben wie bei anderen Schülerinnen und Schülern. Dies können Probleme sein, die auf die Pubertät zurückzuführen sind, wie beispielsweise Liebeskummer, Auseinandersetzung mit dem anderen Geschlecht oder sexuelle Orientierung.

Dennoch zeigt sich in einigen Schulen immer mal wieder das Phänomen, dass besonders muslimische Schüler zu verbaler und nonverbaler Gewalt neigen. Dass an einigen Schulen die muslimischen Jungen wegen ihrer Aggressivität auffallen, kann mehrere Gründe haben.

Zum einen gibt es die institutioneile Diskriminierung, die es Jugendlichen mit Migrationshintergrund erschwert fair benotet zu werden und hierdurch kommt es bei einigen Schülerinnen und Schülern zu Frustration. Die geringe Schul- und Berufsausbildung einiger Eltern erschwert die Situation zusätzlich. Diese Eltern können ihre Kinder nicht unterstützen und wissen oft auch nicht von der Misere, in der ihr Kind steckt (Toprak, Integrationsunwillige Muslime?, 2010).

Ein anderer Grund für die Frustration bei einigen muslimischen Schülerinnen und Schülern ist die eigene Diskriminierungserfahrung. Diese kann in einem öffentlichen Raum stattgefunden haben, wie zum Beispiel in der Schule, im Sportverein, bei Behörden oder im privaten Raum, wie beispielsweise unter Freunden, in der Disco oder in der Nachbarschaft (Toprak, 2010).

Die eingeschränkte Sprachfähigkeit einiger muslimischer Schülerinnen und Schüler stellt ein großes Problem dar, denn dieser Umstand führt dazu, dass sich die Schülerinnen und Schüler in Konfliktsituationen nicht richtig äußern können, um sich zu verteidigen.

Untersuchungen haben ergeben, dass einige Kinder mit Migrationshintergrund in der dritten Generation weder die Muttersprache, noch die Umgebungssprache Deutsch einwandfrei beherrschen. Dies führt zu Frustration. Resultat dieser Frustration ist häufig ein aggressives Verhalten der Schülerinnen und Schüler, das sich oft in einer körperlichen Auseinandersetzung bemerkbar macht (Toprak, 2010).

Schülerinnen und Schüler, die Gewalt erlebt haben, neigen selbst ebenfalls zu gewalttätigem Verhalten. Dies könnte ebenfalls ein Grund für die Gewaltbereitschaft einiger Jugendlicher sein (Toprak, 2010). Gewaltanwendungen innerhalb der Familie als Erziehungsmaßnahme sind immer noch weit verbreitet. Gewalt wird bei nicht erwünschtem Verhalten der Kinder angewandt und soll diese disziplinieren. Dass dies ein Trugschluss ist, haben inzwischen mehrere Studien und Untersuchungen gezeigt. Trotzdem wenden einige Eltern Gewalt an, da sie überfordert mit der Situation sind oder sich an die Gewalt gewöhnt haben. Gewalt in der Familie führt zu einem Teufelskreis und diese Jugendlichen sind meist ebenfalls gewaltbereit. Dies äußert sich im Verhalten in der Schule oder an anderen öffentlichen Orten, wie zum Beispiel in Jugendtreffs, in der Disco, im Schwimmbad etc. (vgl.: Toprak, 2010).

Muslimische Mädchen werden zahlreichen Studien zufolge anders erzogen als muslimische Jungen. Die Mädchen werden streng erzogen und müssen allen Anforderungen ihrer Eltern ohne Widerspruch folgeleisten. Die muslimischen Jungen erfahren hingegen mehr Freiheit und es werden öfter Ausnahmen gemacht. Dem Wort der Mutter wird seitens der muslimischen Jungen öfter widersprochen als dem des Vaters. Die muslimischen Mädchen erfahren weniger Freiheiten als die Jungen. Sie sind häufiger im häuslichen Umfeld und verlassen das Haus seltener als die Jungen. Im Ganzen werden die Mädchen zu „guten Hausfrauen“ erzogen und die Jungen werden auf die dominante Rolle des Vaters vorbereitet und durch männliche Vorbilder geprägt. Die Mütter sind meist für den Haushalt zuständig und können in Erziehungsfragen nicht auf die Unterstützung des Ehemannes bauen. Dies resultiert nicht aus der Religion heraus, sondern meist aus der Kultur und dem sozialen Umfeld, aus dem die Eltern stammen (Toprak, 2010). Erziehung erfolgt geschlechterspezifisch und Rollenmodelle sind fest in der Herkunftsfamilie verankert.

Eine Studie von Baier et al. aus dem Jahr 2010 hat ergeben, dass muslimische Jugendliche ihrer Religion im Alltag eine bedeutende Rolle zuordnen. Rund 60% sehen ihre Religion als bestimmenden Indikator für ihren Lebensweg. Daher hat der Imam eine große Vorbildfunktion für diese Jugendlichen (Baier et al., 2010).

Zusammenfassend ist das auffällige gewalttätige Auftreten der muslimischen Jungen auf mehrere Ursachen zurückzuführen, die häufig familiär oder im sozialen Umkreis begründet sind. Die sozialen Rahmenbedingungen der muslimischen Jungen sind nicht optimal (Brenner, 2010 S.26ff.). Der Erziehungsstil der muslimischen Eltern basiert häufig auf dem Vermitteln der Werte „Respekt und Autorität“ (Toprak, 2012).

Eine andere Studie zeigt ein differenzierteres Bild von muslimischen, beziehungsweise türkischen, männlichen Jugendlichen. Eine Befragung in Hinblick auf das Männlichkeitsbild der muslimischen Jungen hat ergeben, dass die Vorstellung eines Mannes sehr unterschiedlich sein kann. Auf der einen Seite sehen einige der befragten Jungen die Rolle des Mannes darin, der Ernährer, der Bestimmer, der der sich durchsetzen kann und darf, zu sein. Zudem ist das Bild des Mannes religiös geprägt. Andere Befragte verfügen wiederum über ein deutlich moderneres, progressiveres Männlichkeitsbild. Sie wollen vernünftig sein, einen guten Schulabschluss sowie einen guten Beruf erlernen und ausüben. Männer, die sich im türkischen Café aufhalten, sind „Herumtreiber“ und schaden dem Familienleben. Zusätzlich hat die Studie ergeben, dass sich das Männlichkeitsbild und damit die Ansicht der muslimischen Jungen situativ verändert. In der Familie wird auf ein vernünftiges Verhalten geachtet und in den Peer-Gruppen verhalten sich die Jungen eher kindisch und geprägt von Gruppendynamik (Mertol, 2007).

Das Männlichkeitsbild von muslimischen Immigranten durchläuft einen stetigen Wandel und ist geprägt von ihrer Kultur sowie der Kultur der Aufnahmegesellschaft. Hauptsächlich jüngere Generationen verfügen über eine andere Wahrnehmung als beispielsweise die Einwanderergeneration. Ursächlich dafür ist das Aufwachsen zwischen zwei Kulturen mit daraus resultierenden Identitätsproblemen (Hagemann-White, 2010, S. 138).

3.1.7 Beten in der Schule

Das Beten in der Schule wurde seit dem Jahr 2007 zu einem aktuellen Thema. An einem Gymnasium in Berlin Wedding haben mehrere Jugendliche in ihrer Pause auf dem Schulflur das islamische Gebet verrichtet. Die Schulleitung hat dies unterbunden mit der Begründung, dass dies den Schulfrieden stören und das Gemeinschaftsgefühl der Schule gefährden würde.

Ein Schüler klagte gegen diese Unterbindung seitens der Schulleitung mit der Begründung, dass jeder Bürger seine Religion frei ausleben könne und auch in der Öffentlichkeit praktizieren dürfe. Diese Klage wurde im Jahr 2010 endgültig abgelehnt, denn das Beten im Schulflur mit den im Islam typischen Bewegungen und arabischen Versen aus dem Koran würde die Grundrechte Dritterverletzen (OVG Berlin-Brandenburg-27.05.2010-AZ: OVG 3B 29.09). Die Gebets-Befürworter haben folgende Argumente (Arnsperger, 2017):

I. Ein Muslim muss fünfmal am Tag beten. Das Mittagsgebet fällt in die Schul- und Unterrichtszeit.
II. Das Grundgesetz, Artikel 4, sieht die Freiheit der Religion und ungestörte Religionsausübung vor.
III. Die muslimischen Schülerinnen und Schüler würden sich mit der Erlaubnis in der Schule beten zu dürfen, akzeptiert und verstanden fühlen.

Die Gegner des Gebetes während der Schulzeit und im Schulgebäude bringen folgende Argumente vor (Arnsperger, 2017).:

I. Der Schulfrieden sei gefährdet. Diese Anschauung teilen sowohl Schulleiter als auch die Gerichte. Die Rektorin des Diesterweg­Gymnasiums berichtet beispielsweise über eine Auseinandersetzung, nachdem ein muslimischer Schüler gebetet hatte.
II. Die Glaubensfreiheit anderer Schülerinnen und Schüler würde gefährdet werden. Denn das öffentliche Beten könne ihre religiöse Sicht beeinträchtigen.
III. Die Lösung des Problems wäre ein Gebetsraum. Jedoch können auch andere gläubige Schülerinnen und Schüler aus den verschiedenen Religionen einen Gebetsraum verlangen und dies würde die Kapazitäten der Schule deutlich überschreiten. Ein gemeinsamer Raum für alle unterschiedlichen Religionen und eine gleichberechtigte Nutzung wären daher ideal.
IV. Ein weiterer Grund ist das Gebot der Neutralität. Demnach sollten Bildung und Religion beziehungsweise Weltanschauung voneinander getrennt sein.

Der Fall in Berlin Wedding ist jedoch ein Einzelfall, dies bedeutet, dass andere Schulen anders handeln können. Es gilt kein grundsätzliches Verbot für das Beten in der Schule. Die Entscheidung ist abhängig von den räumlichen und sozialen Voraussetzungen der Schule. Existieren bereits Konflikte unter den verschiedenen Religionszugehörigkeiten in der Schule, dann sollte das Thema sehr sensibel behandelt werden. Wenn die Schulatmosphäre es erlaubt, können sogenannte Räume der Weltreligionen zur Verfügung gestellt werden. In einem solchen Raum kann jeder Lernende meditieren und beten (Edler, 2018, S. 39f.).

Das Bedürfnis von muslimischen Schülerinnen und Schülern während der Schulzeit beten zu wollen, scheint ein Thema der höheren Klassenstufen zu sein (Edler, 2018).

3.1.8 Essensvorschriften

An immer mehr Schulen und Kindergärten wird in den Speiseplänen kein Schweinefleisch mehr angeboten. Dies liegt vor allem an der ständig wachsenden Anzahl der muslimischen Schülerinnen und Schüler. Zudem wird an der Qualität des Schweinefleisches gezweifelt (Oppel, 2017).

An Bremer Ganztagsschulen wird seit 2003 das Mittagsangebot nach dem Auftrag des Bildungsressorts von verschiedenen Cateringservices zubereitet. Im Angebot soll viel Mischkost ohne Schweinefleisch geboten werden. Zudem wird auf vitaminhaltige und gesunde Ernährung wert gelegt und Obst soll ein integraler Bestandteil sein (Oppel, 2017).

Die Bremer Schulen verzichten bewusst auf Schweinefleisch, so sollen sich die muslimischen Schülerinnen und Schüler sicher fühlen. Zudem wird mittels eines Mittagsangebot-Plans umfassend darüber informiert, aus welchen Zutaten die Gerichte bestehen. Die Kinder können sich somit ihre Mittagsmahlzeit bedarfs- und geschmacksorientiert zusammenstellen.

Jedoch sind nicht alle Befürworter der Vermeidung von Schweinefleisch. In der Politik setzt sich besonders die CSU gegen ein Schweinefleischverbot an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen ein. Demnach sei die deutsche Identität gefährdet und das Verbot würde zu einer Selbstverleugnung führen (Oppel, 2017).

Viele muslimische Schülerinnen und Schüler essen zudem auch keine Gelatine, ein Stoffgemisch dessen Hauptbestandteil denaturiertes oder hydrolysiertes Kollagen aus dem Bindegewebe von Schweinen ist. Dadurch ist der Verzehr von gelatinehaltigen Süßigkeiten etc. vielen muslimischen Schülerinnen und Schülern nicht möglich. Einige muslimische Schülerinnen und Schüler achten auch darauf, dass das Fleisch, auch wenn es kein Schwein ist, halal (=koscher) ist. Dies bedeutet, dass das Fleisch nach islamischen Vorschriften geschlachtet wurde. Dieser Bedingung können die Cateringservices nicht immer nachgehen, daher sind die angebotenen vegetarischen Gerichte eine gute Alternative.

3.1.9 Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit muslimischen Eltern

Die Elternarbeit ist wichtig für die pädagogische Praxis an Schulen, denn die Eltern sind für einen großen Teil der Erziehung der Schülerinnen und Schüler verantwortlich. Deswegen ist es für ein besseres Schulklima notwendig, mit den Eltern zusammenzuarbeiten und diese in den Schulalltag zu integrieren. Hierzu gehört auch, viel und auf Augenhöhe mit den Eltern der Schülerinnen und Schüler zu kommunizieren. Denn eine ungestörte Kommunikation ist der Schlüssel zu einer funktionierenden Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern (Fürstenau & Gomolla, 2009, S. 13ff.).

Nichtsdestotrotz darf Elternarbeit nicht als Problemfeld verstanden werden. Da der Begriff das Wort Arbeit beinhaltet und dieser Ausdruck häufig mit Sozialarbeit, Asylantenarbeit, Integrationsarbeit, Täter- oder Opferarbeit etc.in Verbindung gebracht wird, ist die Verwendung problematisch. Deswegen soll dieser Begriff weitestgehend in dieser wissenschaftlichen Arbeit vermieden werden. Stattdessen werden die Begriffe Bildungs- und Erziehungspartner verwendet, denn hier geht es um das partnerschaftliche Verständigen zwischen den Eltern und den Lehrkräften auf Augenhöhe. Die Schulen müssen davon ausgehen, dass alle Eltern den schulischen Erfolg ihrer Kinder unterstützen wollen. Dabei müssen Religion, Ethnie, Aussehen, Bildungsstand, Sozialer Stand oder politische Einstellung ungeachtet bleiben (Sacher, 2013).

Nur bei der exakten Wiedergabe von Aussagen der Interviewpartner sowie bei Zitierungen greife ich diese Begriffe auf, da sie von den Gesprächsteilnehmern verwendet wurden.

Die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern ist in Hinblick auf den schulischen Erfolg der Schülerinnen und Schüler von exzeptioneller Bedeutung. Studien zeigen, dass die Eltern einen höheren Einfluss auf den Bildungserfolg ihrer Kinder haben als die schulische Institution (Stange, Krüger, Henschel, & Schmitt, 2012, S. 12ff.).

Sacher verweist darauf, dass die Elternarbeit alleine für den Erfolg der Kinder in der Schule nicht ausreiche. Zusätzlich müssen im häuslichen Umfeld Hilfestellungen seitens der Eltern geleistet werden, wie zum Beispiel eine gute Arbeitsatmosphäre in einem Zimmer, Unterstützung bei den Hausaufgaben und ein geschütztes familiäres Leben (Sacher, 2008).

Dies gilt auch für muslimische Eltern, denn auch sie wünschen in der Regel den bestmöglichsten Schulabschluss für ihre Kinder. Sacher weist darauf hin, dass einige muslimische Eltern das Gefühl haben, ihren Kindern schulisch nicht helfen zu können. Ihnen fehlt es an adäquaten Handlungsmöglichkeiten, oft verursacht durch mangelndes Knowhow. Die Schulen haben damit den Auftrag, den Eltern Ratschläge und eventuell Anweisungen zu geben. Dies haben die Schulen in den letzten Jahren versäumt (Sacher, 2005).

Ziel ist es, dass muslimische Eltern in den Schulalltag integriert werden. Für eine funktionierende Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern sollten deren Interessen und Wünsche seitens der Schulen berücksichtigt werden. Dies setzt voraus, dass die Eltern sich aktiv am Schulleben ihrer Kinder beteiligen. Die Kommunikation mit den Eltern sollte immer wieder verbessert und ausgebaut werden. Durch all diese Präventionsmaßnahmen soll das Vertrauen der Eltern gegenüber der Schule aufgebaut und gestärkt werden (Bayram, 2004, S. 48 f.).

3.2 Situation an Bremer Schulen

Es gibt in Bremen keine besonderen Regelungen oder Vorgaben in Hinblick auf den Umgang mit muslimischer Religionspraxis im Alltag der Schule. Handreichungen oder Informationsblätter sollen Lehrerinnen und Lehrer sowie Pädagoginnen und Pädagogen auf dem neuesten Stand halten und Umgangsmöglichkeiten aufzeigen.

Im Informationsheft „Schule Aktuell“ vom Februar 2012 erhalten Lehrerinnen und Lehrer im Bremischen Schuldienst Informationen betreffend Migration und Bildung. In dieser Ausgabe wird deutlich gemacht, dass die Schulen von morgen sich durch ihre kulturelle Vielfalt charakterisieren werden. Sie werden multikulturell und international sein. Statistiken zeigen, dass ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler in Bremen einen Migrationshintergrund haben. Dies bedeutet, dass entweder sie oder ihre Eltern nach Deutschland zugewandert sind. In Bremer Grundschulen liegt der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund bei 36%. In Bremerhaven ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund etwas höher und liegt bei 40%. Dies zeigt, dass heute und in der Zukunft die familiäre Zuwanderungsgeschichte die Lebenssituation vieler Schülerinnen und Schüler in einem hohen Maße prägen wird. Die Lebenssituation der Schülerinnen und Schüler beeinflusst den Lernerfolg und ist damit ein ausgesprochen wichtiger Faktor, der von den Lehrerinnen und Lehrern berücksichtigt werden sollte. Kinder mit Zuwanderungsgeschichte leben in einer Welt voller Gegensätze. Ihre Identitätsbildung findet in einer Umgebung statt, in der Kulturen und Religionen aufeinandertreffen. Dies kann zu Verwirrung führen und eine besondere Herausforderung für diese Kinder darstellen. Die Schulen müssen sich dieser Herausforderung annehmen und ein Ort der Wertschätzung der anderen Sprachen, Kulturen und Religionen sein. Das Prinzip der demokratischen Gesellschaft und des demokratischen Lebens und Handelns soll in den Schulen vermittelt werden. Im Informationsblatt „Schule Aktuell“ wird berichtet, dass die Stadt Bremen diese Herausforderung als Chance sieht und nicht als Problemfeld. Die Bildung der Schülerinnen und Schüler ist demnach ein zentraler Bestandteil der erfolgreichen Integration. Die Integration der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund kann nur durch Akzeptanz der Kulturen geschehen, zudem müssen die Schulen und die Lehrkräfte offen sein für Vielfalt und diese nicht als Herausforderung sehen, sondern als Normalität an Bremer Schulen. Kinder und Jugendliche müssen optimal gefördert und ein respektvolles und wertschätzendes Lernumfeld muss gewährleistet werden (Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit, 2012).

Zusätzlich zu den Informationsblättern bietet Bremen den Lehrerinnen und Lehrern geeignete Fortbildungen zum Thema Interkulturalität an. Das Kompetenzzentrum „Interkulturalität in Schulen“ (Kom.ln) bietet Schulleiterinnen und Schulleitern, Lehrkräften, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern im Themenbereich Interkulturalität, Migrationspädagogik und Diversität seine Unterstützung an. Diese finden am Landesinstitut für Schule in Bremen statt. Beispielsweise wird aktuell eine schulinterne Fortbildung (SchiF) seitens Kom.ln angeboten. Hierbei handelt es sich um einen Workshop für Pädagoginnen und Pädagogen in Hinblick auf Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus. Der Workshop orientiert sich dabei am Vorbild ufuq.de, welche ein Kartenset entwickelt haben mit der Bezeichnung „THE KIDS ARE ALRIGHT“. Das Kartenset gibt Hintergrundinformationen und bietet Vorschläge für Umgangsweisen in schwierigen Situationen im Kontext Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus an. In diesem Workshop können sich Pädagogen und Pädagoginnen über ihre Erfahrungen austauschen und somit neue Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten aneignen. Dies ist für pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bremer Schulen gebührenfrei und dauert 90 Minuten. Eine Erweiterung des Workshops ist möglich und kann von Kom.ln betreut werden.

Zusätzlich bietet das Landesinstitut für Schule (LIS) in Bremen eine weitere schulinterne Fortbildung an.

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Final del extracto de 139 páginas

Detalles

Título
Muslimische Religionspraxis in der Grundschule. Umgang im Unterricht und Befragung von Schulleiterinnen und Schulleitern
Calificación
2,3
Autor
Año
2019
Páginas
139
No. de catálogo
V505767
ISBN (Ebook)
9783346064929
ISBN (Libro)
9783346064936
Idioma
Alemán
Palabras clave
Muslimische Schülerinnen und Schüler
Citar trabajo
Rana Özkaynak (Autor), 2019, Muslimische Religionspraxis in der Grundschule. Umgang im Unterricht und Befragung von Schulleiterinnen und Schulleitern, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/505767

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Título: Muslimische Religionspraxis in der Grundschule. Umgang im Unterricht und Befragung von Schulleiterinnen und Schulleitern



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