Der Glücksbegriff in unterschiedlichen kulturellen Kontexten


Bachelor Thesis, 2013

93 Pages, Grade: 1,3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einleitung

2 Semantik des Glücks

3 Europäische Glückswege
3.1 Glück in der Antike
3.1.1 Glücksphilosophie der klassischen Periode
3.1.2 Glücksphilosophie im Hellenismus
3.2 Europäische Glücksphilosophie nach der Antike
3.2.1 Glück im Mittelalter
3.2.2 Glück in der frühen Neuzeit und Moderne
3.3 Fazit der europäischen Glücksphilosophie

4 Das Glück des langen gesunden Lebens in China
4.1 Konfuzius und die konfuzianische Glücksphilosophie
4.2 Laotse und die daoistische Glücksphilosophie
4.3 Glück im Zen - Buddhismus
4.4 Chinesisches Glück im 20. Jahrhundert
4.5 You - Chinesischer Flow-Effekt
4.6 Fazit der chinesischen Glücksphilosophie

5 Glück als Überwindung des Leidens in Indien
5.1 Der Hinduismus und seine Glückssymbole
5.2 Glück im Buddhismus
5.3 Der Yoga des Patanjâli
5.4 Glücksverständnis im hinduistischen Tantrismus
5.5 Indien im 20. Jahrhundert, Materialismus und Mc Donalds
5.6 Fazit der indischen Glücksphilosophie

6 Glück als Gottesliebe in der arabischen Welt
6.1 Glück im Islam
6.2 Glück im Sufismus
6.3 Fazit der arabischen Glücksphilosophie

7 Lebenskunst im indigenen Kontext
7.1 Heiterkeit bei den Amazonas Indianern
7.2 Glück bei den Yequana Indiandern
7.3 Die sechs Juwelen der Nordamerikanischen Indianer
7.4 Glück in Afrika
7.5 Fazit der indianischen und afrikanischen Glücksphilosophie

8 Messbares Glück
8.1 Ländervergleiche
8.2 Bruttoglücksprodukt Bhutan

9 Resümee

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Vorwort

“Die Ruhe der Seele bringt echtes Glück, denn dieses besteht nicht aus Geld und Gut, in Ehre und Genuß, sondern in Selbstverleugnung und Entsagung! Darum finden wir die glücklichsten und zufriedensten Menschen in den ein- fachsten Lebensstellungen, in den Hütten, und nicht in den Palästen.“ (Heinrich Hansjakob (1837 – 1916))

1 Einleitung

Während meines Studienprojektes im Rahmen des Studienganges der Sozialen Arbeit konnte ich die großartige Chance nutzen, für mehrere Monate in einem anderen Land und somit auch in einem völlig fremden Kulturkreis zu leben. Meine Reise führte mich für sechs Monate durch Benin, ein Land in Westafrika. Hier waren kulturelle Unterschiede ständig und intensiv zu spüren. Dies bein- haltete unter anderem das Klima, die Sprache, die Hygiene, den Umgang mitei- nander und so gut wie alle zwischenmenschlichen Phänomene. Benin ist eines der ärmsten Länder der Welt, wobei es dort vor allem an gesundheitlicher Ver- sorgung und auch an ausreichender Nahrungsmittelvielfalt mangelt. Das tägli- che Leben ist geprägt von existenziellen Ängsten und gesundheitlichen Prob- lemen. „Joveau Joveau, Cadeau Cadeau“, („Weißer Weißer, Geschenk Ge- schenk“) hört man die Kinder rufen, wenn man durch die Orte läuft.

Eine unheimliche Flut an neuen Eindrücken und den daraus entstandenen Emotionen brach auf mich herein. Diese galt es zu verarbeiten und zu ordnen, denn nur so war es mir möglich, mich in dieser neuen Welt zu recht zu finden und mich voll und ganz auf das fremde Leben einzulassen. Am meisten musste ich mich an die dort vorherrschende Armut gewöhnen, besonders bezogen auf die Lebensverhältnisse der Kinder. Verwundert hat mich jedoch, wie zufrieden und freundlich die Menschen trotz dieser schwierigen Umstände dort waren.

Vor meinem Aufenthalt in Afrika bin ich von einem engen Zusammenhang zwi- schen materiellem Wohlstand und Lebensfreude ausgegangen. In meiner Gast- familie habe ich auf drei Zimmern mit elf Beninern zusammengelebt und musste lernen ohne Waschmaschine, Dusche und Toilette zu leben. Jedoch habe ich festgestellt, dass mir dies leichter fiel, als ich anfangs dachte. Die Tatsache, gemeinsam mit der Familie das Essen über loderndem Feuer, anstatt mit Hilfe eines Backofens zuzubereiten, machte mich schlicht und einfach glücklich. Das Gefühl der Gemeinschaft und des familiären Zusammenhalts war hier sehr in- tensiv ausgeprägt und wurde durch die gemeinsame Erledigung täglicher Auf- gaben noch verstärkt. So wurde beispielweise jeden Abend zusammen ge- kocht, gegessen und auch abgewaschen. Dies beanspruchte fast den gesam- ten Abend und abgesehen davon, dass überhaupt kein Fernseher vorhanden war, habe ich nicht das Bedürfnis verspürt, abends Fernseh zu schauen oder mich mit meinem Laptop zu beschäftigen. Man saß beisammen, hat sich von den Geschehnissen des Tages erzählt und immer wieder besuchten uns Ver- wandte oder Nachbarn.

So konnte ich lernen, mit wenig materiellen Dingen zufrieden zu sein und war nicht weniger glücklich, als ich es in Deutschland war, wenn nicht sogar glückli- cher. Letzteres ist wohl der Grund für meine nachhaltige Faszination an dem Thema Glück im kulturellen Kontext und der Auslöser für die vorliegende Arbeit.

In welchem Bezug also stehen die Wege zum Glück im kulturellen Kontext einer Gesellschaft und welche Lebensstrategien ermöglichen ein erfolgreiches Leben im Sinne einer Lebenskunst? Während meines Studienprojektes habe ich ge- lernt, dass das Lebensglück in engem Zusammenhang mit dem soziokulturellen Umfeld einer Gesellschaft steht und die kulturelle Umgebung mit ihren Instru- menten, Gedanken, Philosophien und Lebenseinstellungen wesentlich zum subjektiven Glücksempfinden bei trägt.

Das Thema Glück hat Hochkonjunktur, in den Buchhandlungen wimmelt es nur so von Glücksratgebern und auch im Fernsehen bemühen sich selbst ernannte Glücksgurus, wie beispielsweise Eckhart von Hirschhausen, den glückssuchen- den Zuschauern einen optimalen Weg zu weisen. Die vielfältige Beschäftigung mit dem Thema Glück hat sicher auch damit zu tun, dass sich die Welt in den letzten 20 Jahren sehr schnell verändert hat. Die weltweilte Globalisierung hat zu einer enormen Beschleunigung der Lebensverhältnisse und zu jeder Menge Unübersichtlichkeiten geführt. Noch keine Generation stand so sehr im Bann des Glücks wie unsere, so klagt der französische Philosoph und Schriftsteller Pascal Bruckner. Er meint, dass Glück zum Diktat wird und wir durch die mas- senmediale Verbreitung des Glücks zu Glückshysterikern geworden sind. (Vgl. Stürmer (2011), 9) Wilhelm Schmid ergänzt zudem, dass immer mehr Men- schen unglücklich sind, weil sie glauben, immer glücklicher sein zu müssen. Passend erscheint hier die Geschichte des Mulla Nasrudin, dem Till Eulenspie- gel des Orients:

„‘Was habt ihr verloren, Mulla Nasrudin‘? ‚Meinen Schlüssel‘, sagte Nasrudin. Eine Weile suchten sie beide zusammen; dann sagte der andere: ‚Wo ist er euch denn heruntergefallen‘? ‚Zu Hause‘. ‚Ja um Himmels Willen, warum sucht ihr dann hier‘? ‚Na hier ist doch mehr Licht‘.“ (Idris (2000) 62)

Jeder sucht nach dem Schlüssel, sei es der Schlüssel zum Glück, der Schlüssel zur Freiheit oder der Schlüssel zum Erfolg. Jedoch scheint es so, als würden alle diesen Schlüssel am falschen Ort suchen. So sind wir verführt und geblen- det von den schrillen Reklamebotschaften der Glücksindustrie und suchen un- seren Glücksschlüssel draußen im Scheinwerfer der Werbung und der Gesell- schaft. Jedoch haben wir ihn in unserem Inneren verloren und es bedarf der Selbstreflexion um unser wahres Glück zu finden. Oder wie Ernst Stürmer es passend beschreibt:

„Der Zeitgenössische Glückssucher droht in ein verwirrendes Labyrinth zu geraten, ein Irrgarten mit Wegverzweigungen, Sackgassen, Umwegen, Schleifen und Fallen, wenn er auf das gängige Glücksblabla unserer Kon- sum- und Spaßgesellschaft hereinfällt und sich vom schillernden Talmiglanz des Pseudoglücks blenden lässt.“ (Stürmer (2011) 12f.)

So folgt diese Arbeit nicht den Meinungen von ‚Glücksdiletanten‘, die Plastik- glück fabrizieren und dieses marktschreierisch im Sonderangebot verkaufen, sondern den Spuren von Meistern der Lebenskunst aller Zeiten über die ganze Welt verteilt.

Im ersten Teil der vorliegenden Arbeit wird es allgemein um das Thema Glück gehen. Auf der Suche nach einem objektiven Glücksbegriff werden verschie- denste Überlegungen vorgestellt. Die Ausführungen von Martin Seel und An- nemarie Pieper sind hier von besonderer Bedeutung. Nachdem gründlich in die Glücksthematik eingeleitet wurde, wird sich der zweite Teil dieser Arbeit mit dem europäischen Glücksbegriff befassen. Dieser reicht von der Antike bis über das Mittelalter in die moderne Neuzeit und widmet sich unter anderem der Fra- ge, inwieweit sich der Glücksbegriff in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat und ob wir in unserer heutigen Gesellschaft noch etwas von den alten Denkern der Antike lernen können. Die Kapitel vier, fünf und sechs beschäftigen sich mit der asiatischen Lebenskunst von China über Indien bis nach Arabien. Überall in Deutschland begegnet man den Spuren der Kultur Asiens. Man stößt auf chine- sische Fast-Food Läden, indische und arabische Restaurants, asiatische Medi- tationszentren oder asiatische Medizin bei vielen niedergelassenen Ärzten. „Die Welt globalisiert sich, nicht nur als Markt, sondern auch als ein Geist.“ (Lutz von Werder (2001), 10) So findet man in Europa, in Form von traditioneller chinesi- scher Medizin, indischem Yoga oder sufischer arabischen Mystik, verschiedene Aspekte der Lebenskunst des Fernen Ostens. Zusammenfassend geht es in China um die Kunst des langen Lebens, in Indien um die Kunst dem Leiden zu entfliehen und in Arabien darum, in der Liebe zu Gott das Ich als Quelle der Angst aufzuheben. Das siebte Kapitel dieser Arbeit beschreibt das Glücksver- ständnis der indigenen Völker von den Amazonas-Indianern, über die Yequana Indianer Venezuelas bis hin nach Afrika. Hier spielt das Buch „The Anthropolo- gy of Love and Anger: The Aesthetics of Conviviality in Native Amazonia”, ver- fasst von Joanna Overing, welches dem Gefühlsleben der Amazonas-Indianer gewidmet ist, eine große Rolle. Weiterhin bieten die Ausführungen von Jean- Liedloff einen interessanten Einblick in das Zusammenleben der Yequana- Indianer. Hier wird sich besonders darauf konzentriert, inwieweit der Grundstein für das Glücksempfinden bereits in der Kindheit gelegt wird. Weiterhin wird die afrikanische Glücksphilosophie vorgestellt, welche durch Weisheiten aus My- then und Sagen geprägt ist. Das achte Kapitel verweist auf den Glücksbegriff unterschiedlicher kultureller Kontexte ohne regionale Einschränkung. Somit werden publizierte Ländervergleiche über den Glückszustand einer Nation dar- gestellt um zu belegen, inwieweit sich das Glücksgefühl einer Kultur messen lässt. Hier wird beispielhaft das Land Bhutan vorgestellt. Das Resümee wird diese Arbeit zusammenfassen und auch persönliche Sichtweisen der Autorin zulassen.

2 Semantik des Glücks

Der Begriff Glück stammt aus dem mittelhochdeutschen Wort „geglücke“ und tauchte erstmals im 12. Jahrhundert in der frühhöfischen Literatur der Minne- sänger auf. (Vgl. Duden (2001), 282) In der Übersetzung bedeutet „geglücke“ so viel wie Geschick, günstiger Ausgang oder guter Lebensunterhalt. (Vgl. Schildhammer (2009, 28). Im deutschen Sprachraum war jedoch auch der alt- hochdeutsche Begriff „Heil“ weit verbreitet. Das Grußwort „Heil“ besagt: Alles wird gut. So sind uns beispielsweise die Grußformeln „Petri Heil“ oder „Waid- manns Heil“ bekannt. Das Wort Glück wird in mehreren Bedeutungen verwen- det und steht sowohl für Glück haben, Glücksmomente erleben oder dauerhaft glücklich sein. Im weitesten Sinne handelt es sich bei dem Konstrukt Glück um einen Oberbegriff für alle Vorstellungen vom guten Leben. (Vgl. Veenhoven (2011a), 396) Meist werden die Begriffe des Glücklichseins und der Zufrieden- heit umgangssprachlich, sowie sozialwissenschaftlich, für einen positiven Zu- stand synonym verwendet. Aus diesem Grund werden in der vorliegenden Ar- beit auch Begriffe wie Lebenskunst, Lebensqualität, Zufriedenheit und happiness verwendet. Im Folgenden werden einige grundsätzliche Überlegun- gen zum Glück angestellt. Allerdings ist dieses Thema zu komplex, um alle As- pekte beleuchten zu können.

Zu der Frage nach dem Glück gibt es die verschiedensten Überlegungen, wel- che sich in der Geschichte der Menschheit immer wieder gewandelt haben und auch kulturell höchst verschieden zu sein scheinen. Unterschiedliche Wissen- schaftsbereiche wie die Philosophie, die Psychologie, die Soziologie, die Poli- tikwissenschaften aber auch naturwissenschaftliche Fächer wie die Medizin oder die Neurobiologie beschäftigen sich mit dem Glücksbegriff. Beispielhaft für die Glücksforschung ist zum einen die World database of happiness (WDH), 1980 als Projekt der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Erasmus-Universität Rotterdam, von Ruut Veenhoven ins Leben gerufen und zum anderen das Insti- tut für europäische Glücksforschung in Wien. (Vgl. Veenhoven (2011b), 338ff.) Die Frage nach dem Sinn des Lebens war in allen Kulturen zu allen Zeiten ein wichtiges Thema. So haben sich mit dieser Frage schon Philosophen wie Aris- toteles vor hunderten von Jahren befasst und versucht, eine Erklärung zu ge- ben. Aristoteles deklarierte die Frage nach dem Glück und der Zufriedenheit als letzte Handlungsziele des Menschen. (Vgl. Csikszentmihalyi (2010), 13) Schnell wird klar, dass es schwierig ist, eine allgemeingültige Definition von „Glück“ zu bestimmen, denn jedes Individuum versteht unter diesem Begriff etwas ande- res. Jedoch lässt sich deutlich erkennen, „[…], dass die Menschen unter Glück eigentlich immer etwas Positives verstehen und dabei sehr oft die Lebensquali- tät eine wichtige Rolle spielt.“ (Konz (2012), 1)

Martin Seel unterscheidet terminologisch zwischen günstigem Zufall und menschlichem Wohlergehen. Letzteres definiert er als Glück. (Vgl. Seel (1999), 56) Unser Glück hängt davon ab, was wir persönlich für wichtig halten: „Nur das kann als Glück zählen, was von den Betroffenen als Glück erfahren werden kann.“ (Seel (1999), 59) Demnach darf man niemanden sein Glück zuschrei- ben. Zudem nimmt Seel zwei grundsätzliche Kategorisierungen von Glück vor. Zum einen erläutert er episodisches Glück und zum anderen übergreifendes Glück. „Der Satz ‚Ich bin glücklich‘ kann sich auf ein Glück beziehen, das ich hier und jetzt empfinde, oder auf die übergreifende Qualität meines Lebens.“ (Seel (1999), 62) Genuss und kleine Glücksmomente, wie ein geselliger Abend mit Freunden, kennzeichnen Glücksempfinden über eine kurze Dauer. Wenn dieses Gefühl anhält oder viele Glücksmomente hintereinander erlebt werden, dann spricht man von einem glücklichen Leben. Zwar ist ein glückliches Lebens ohne episodische Glücksmomente nicht möglich, aber Seel stellt deutlich her- aus, dass ein glückliches Leben nicht bloß aus einer nicht enden wollenden Kette von Episoden des Glücks besteht. „[…], zu einem guten menschlichen Leben gehört ein gelingendes Bestehen von erfreulichen und unerfreulichen Situationen verschiedenster Art.“ (Seel (1999), 62) Dementsprechend ist das Empfinden von Schmerz, ohne den das Glück nicht erfahrbar wäre, unerläss- lich. Sowohl Glück als auch Unglück sind ubiquitäre Strukturelemente der Welt. Demnach gibt es einerseits Aspekte des positiven Wohlbefindens wie Glück, Zufriedenheit, Vergnügen, Gesundheit oder Freude. Andererseits gibt es aber auch negative Aspekte des Wohlbefindens, wie Sorgen, Entfremdung, Angst, Trauer oder Depressionen. (Vgl. Glatzer (1992), 76)

Desweiteren wird in der Literatur zwischen dem Eudaimonismus, zurückgehend auf Aristoteles, (Vgl. Horn (2011), 121ff.) und dem Hedonismus, nach Aristipp und Epikur, (Vgl. Horn (2011), 127ff.) unterschieden. Im Eudaimonismus gehtes um die aktive Gestaltung des Glücks in Form von Tätigkeit, wohingegen Glück im Hedonismus eine positive Empfindung, erwachsen aus Lust und Un- lust, meint. Ausführliche Erklärungen hierzu folgen in dem Kapitel der antiken Glücksphilosophie.

Um den Glücksbegriff zusammenfassend zu beschreiben erscheint ein Zitat von Annemarie Pieper sehr passend:

„Allen Entwürfen eines guten Lebens ist gemeinsam, dass sie ein Glücks- konzept beinhalten, mit dessen Umsetzung die Frage nach dem Sinn des Lebens und die Hoffnung auf ein im Ganzen gelungenes Dasein verknüpft wird.“ (Pieper (2007), 10)

3 Europäische Glückswege

Die alten Griechen und Römer, vor der Zeit der antiken Denker ab dem 5. Jahr- hundert, sahen das Glück als ein Geschenk der Götter an. Die römische Glücksgöttin Fortuna war es, die das Glück nach Lust und Laune an die Men- schen verteilte.

„Sie entschied nur nach eigenem Gutdünken, ohne sich von Gebeten, Opfer- gaben oder Verdiensten der Menschen beeindrucken zu lassen.“ (Stürmer (2011), 62) Glück war also nicht an menschliche Leistungen oder menschliches Handeln geknüpft und somit konnte der Mensch nicht aktiv etwas zu Gunsten des per- sönlichen Glücks tun. (Vgl. Stürmer (2011), 62f.) In den folgenden Kapiteln wird beleuchtet, inwiefern sich der europäische Glücksbegriff seit der Antike bis in das 21. Jahrhundert entwickelt hat. Um diese Entwicklung besser nachvollzie- hen zu können, werden einige wesentliche Denker der verschiedenen Perioden herangezogen und die wichtigsten Überlegungen ihres Glücksverständnisses dargestellt. Anhand der Ausführungen von Sokrates, Platon und Aristoteles wird deutlich, dass die griechische Klassik einen objektiven Glücksbegriff besaß. Sodann wird dargestellt, dass das Glücksverständnis im Hellenismus, also der- jenigen Epoche der antiken Geistesgeschichte, die auf die Klassik folgt, einer Subjektivierung und radikalen Privatisierung unterlag. Abschließend wird der Glücksbegriff der modernen Neuzeit beleuchtet und mit den Worten von Wil- helm Schmid wird dieses Kapitel abgeschlossen.

3.1 Glück in der Antike

„Wollte man die antike Philosophie präzise datieren, so ließe sich behaupten, sie beginne im Jahre 585 v. Chr. und ende im Jahr 529 n. Chr.“ (Horn (2013), 7)

So umfasst die antike Philosophie einen Zeitraum von etwa 1100 Jahren. Im Folgenden liegt der Fokus allerdings auf der klassischen Zeit und auf dem Hel- lenismus. Die griechische Bedeutung für Glück ist Eudämonie und dessen Be- sitz, verstanden als Zustand vollkommener Wunschlosigkeit, gilt für die griechi- schen Philosophen als das höchste vom Menschen zugängige Gut. Eudämonie bedeutet übersetzt so viel wie ‚einen guten Dämon haben‘ oder ‚unter einem guten Stern stehen‘. (Vgl. Hossenfelder (2010), 77) Robert Spaemann sieht in der Eudämonie allerdings nicht das Erreichen einer Glückseligkeit im Sinne ei- nes Zustandes subjektiver Euphorie, sondern schlägt eine Übersetzung des Wortes Eudämonie im Sinne des „Gelingen des Lebens“ vor. (Vgl. Spaemann (1990), 21) Weiterhin sind die Abkehr von materiellen Gütern und die Hinwen- dung zu einer inneren Befindlichkeit typisch für die Entwicklung antiker philoso- phischer Glücksvorstellungen. (Vgl. Spaemann (1990), 679) Allein die Philoso- phen der römischen und griechischen Antike sollen 288 Ansichten über das Glück entwickelt haben. (Vgl. Stürmer (2011), 52)

3.1.1 Glücksphilosophie der klassischen Periode

Die sogenannte Periode der antiken klassischen Philosophie ist im Wesentli- chen von dem großen Dreigestirn Sokrates, Platon und Aristoteles geprägt. Weiterhin ergibt sich aber für jeden Einzelnen von ihnen eine aus den jeweili- gen Lebensumständen resultierende, gänzlich andere Wirkung auf die Nach- welt. (Vgl. Masek (2011), 117)

Das Wirken Sokrates (496-399 v. Chr.) kann als eine Antwort auf die gewaltige politische und moralische Krise, in der sich Athen in und nach der Zeit der Pe- loponnesischen Kriege befand, gesehen werden. Sokrates stellte die Frage nach verbindlichen ethischen Normen in einer radikal neuen Sichtweise. So leitete er am Ende der Naturphilosophen und Sophisten eine neue Ära ein und gilt als Begründer der griechischen Philosophie, so wie wir sie heute kennen. Während die Sophisten der Meinung waren, „[…] daß wer richtig leben will, sei- ne Begierden muss so groß werden lassen als möglich und sie nicht einzwän- gen darf, […]“, (Gorg.( 491e-492a) hält Sokrates seinem sophistischen Wider- sacher Kallikes entgegen, dass wahres Glück und richtiges Leben an Glückse- ligkeit und Beständigkeit gebunden seien, wozu die Beherrschung zügelloser Begierden gehöre. Sokrates erklärt, dass Macht, materielle Güter, eine gesell- schaftliche Stellung, also das Trachten nach Gütern keine Erfüllung bringt, son- dern dass dauerhaftes Glück nur dann erreichbar ist, wenn man in Tugend lebt. Nur wer aufhört, Gefangener seiner Selbst zu sein und seine Seele durch das praktische Wissen um die Tugend befreit, gelangt zum Glück. (Vgl. Masek (2011), 118 – 145) Glück ist also die Belohnung für das gerechte Handeln und die Suche nach dem Guten.

„Eine gerechte Seelenverfassung zahlt sich aus, weil sie dem Einzelnen zur Eudämonie bzw. zu einem guten Leben verhilft, den Einzelnen also in die Lage versetzt, sein Gutes zu verwirklichen […].“ (Graeser (1993), 177)

Auch Platon (428 – 348 v. Chr.) ist der Meinung, dass Glück nicht über materi- elle Dinge zu erreichen ist, sondern nur im inneren der Seele. Er meint, dass zum einen das Glück im Sinne eines erfüllten Lebens in der Polis (Staat), zum anderen das Glück einer umfassenden Bildung und eines tugendhaften Lebens und weiterhin das Glück als Teilhabe am beständigen Glück, dem Agathon (das Gute), ein gutes Leben charakterisieren. (Vgl. (Horn) 2011), 117-122) Für Pla- ton ist die Idee des Guten der höchste Erkenntnisgegenstand, denn diese ist eins mit der göttlichen Vernunft. Zudem meint er, dass sich Glück aus einer an- gemessenen seelischen Verfassung ergebe. Dazu gehört eine gerechte und sittlich orientierte Lebensführung. Wer gut lebt ist also glücklich und wer ein schlechtes Leben führt entsprechend unglücklich:

„[…], wer aber gut handelt, der muss auch selig und glücklich, der schlechte dagegen, der schlecht handelt, unglücklich sein.“ (Gorg. 507 b8-c7)

Um wirklich glücklich zu sein, bedarf es der Erkenntnis und des Wissens um die Unzulänglichkeit und Unvollkommenheit menschlicher Glücksbestrebungen. Erst durch das Erkennen des Guten kommt er zur edlen und schönen Mensch- lichkeit. Platon ist somit Begründer eines transzendenten Glücksbildes. (Schild- hammer (2009), 36f.)

Aristoteles (384 – 322 v. Chr. ), Schüler Platons, stellt in seiner nikomachischen Ethik deutlich heraus, dass alle Menschen nach Glück streben:

„Was ist das Ziel der Staatskunst und welches das höchste von den Gütern, die man durch Handeln erreichen kann. In seiner Benennung stimmen fast alle überein. Das Glück […], wobei gutes Leben und gutes Handeln in eins gesetzt werden mit Glücklichsein.“ (NE 1095a)

Für Aristoteles bildet die Welt einen sinnvoll geordneten Kosmos, in welchem jedem Wesen und jedem Ding ein bestimmter Platz und eine bestimmte Rolle zugeschrieben sind. So trägt der Apfelbaum Äpfel und der Birnenbaum Birnen. Für den Menschen ist die wesenhafte Rolle das vernünftige Denken, denn die- ses unterscheidet uns von allen anderen Lebewesen. Wer also vollkommen vernünftig handelt, wird restlos glücklich werden. Glück liegt demnach nicht in der Erfüllung der persönlichen Neigungen und Wünsche des Einzelnen, die bei jedem anders geartet sein können, sondern in der Erfüllung einer kosmischen Ordnung, die für alle dieselbe ist. Aus diesem Grund ist Glück ein äußeres, ob- jektives Verhältnis, das für jedermann einsehbar ist und kein innerer Zustand, der nur für das Subjekt unmittelbar zugänglich wäre. In der nikomachischen Ethik beschreibt er ausführlich seine Vorstellung eines glücklichen und vollen- deten Lebens, welches zur Glückseligkeit (Eudaimonia) führt. Glück ist nicht etwas, das man hat, sondern etwas, das erarbeitet werden muss und was jeder Mensch durch Tüchtigkeit und Übung erreichen kann. (Vgl. Forschner (1996),

1) In diesem Zusammenhang schreibt er:

„Wenn im Gegenteil die Eudämonie, wie oben dargelegt worden ist, eher in eine Art der Betätigung zu setzen ist; und wenn nun von den Arten der Betä- tigung die einen notgedrungen und um durch sie anderes zu erreichen be- trieben werden, die anderen aber an und für sich den Gegenstand des Wol- lens bilden: so muß man die Eudämonie offenbar zu der Klasse derjenigen Betätigungen zählen, die an und für sich, und nicht zu denen, die um ande- res zu erreichen gewollt werden. Denn die Eudämonie bedarf nichts, sie ge- nügt sich selbst. An und für sich aber gewollt werden diejenigen Betätigun- gen, bei denen nichts weiter begehrt wird als die Tätigkeit selbst. Dahin nun zählen die Menschen erstens die der sittlichen Anforderung entsprechenden Handlungsweisen; denn das Edle und Würdige zu tun gehört zu dem, was an und für sich gewollt werden soll.“ (NE 1176b)

Eine tugendhafte Handlung ist also nur dann gut, wenn sie um ihrer Selbstwillen getan wird. (Vgl. Höffe (2010), 6.) Nach Aristoteles hängen Glück und tugend- haftes Handeln also unmittelbar miteinander zusammen, durch Passivität lässt sich kein Glück erreichen. (Vgl. Horn (2011), 121 ff.)

3.1.2 Glücksphilosophie im Hellenismus

Am Beispiel des Aristoteles wurde deutlich, dass für die griechische Klassik die Eudämonie ein objektiver Zustand ist, „über dessen Vorliegen nicht das Befin- den des Betroffenen, sondern die metaphysische Weltordnung entscheidet.“ (Hossenfelder (2010), 84) Wenn wir also die Rolle, die uns vorgegeben ist erfül- len, werden wir glücklich. Kurz um: Eudämonie ist die Verwirklichung aller vor- gesetzten Zwecke. Im Hellenismus hingegen werden diese Zwecke nicht von einer metaphysischen Ordnung vorgegeben, sondern jeder Einzelne setzt sie sich selbst. Aufgrund des aufkommenden Individualismus wird der Mensch mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Schon Aristipp (435 – 36 0 v. Chr.), Schüler des Sokrates, welcher eigentlich in die Periode der Klassik einzuordnen ist, weist auf die persönlichen Empfindungen der Menschen hin. Er ist der Ansicht, dass das Einzige, was dem Menschen zuverlässig erfahrbar ist, seine eigenen privaten Empfindungen sind und so muss er sein Handeln nach eben diesen richten. Handlungsentscheidend sind demnach das Empfinden von Lust oder Unlust. (Vgl. Hossenfelder (2010), 79f.) Diogenes (404-323 n.Chr.) referiert hierzu:

„Beweis aber dafür, daß die Lust das höchste Gut darstelle, sei die Tatsache, daß wir uns von Kindheit an unwillkürlich zu ihr hingezogen fühlten und, wenn wir sie erlangten, wir nichts weiter begehrten und daß wir so sehr flö- hen, wie die ihr entgegengesetzte Unlust.“ (Diogenes (2008), 88)

Weiterhin war Diogenes der Meinung, dass die Natur das Maß aller Dinge sei und so lehnte er beispielweise Kultur, Eigentum, Staat und gesellschaftliche Zwänge ab. Glücklich ist also derjenige, der im Einklang mit der Natur lebt und nichts besitzt. Weiterhin müsse der Mensch frei und unabhängig sein, um rest- los glücklich zu werden. Wer also keine Bedürfnisse hat und nichts besitzt, kann nichts verlieren und somit auch nicht enttäuscht werden. (Vgl. Hossenfelder (2010), 80) Aufgrund dieser Lebensweise und seiner absoluten Schamlosigkeit bekam Diogenes den Spitznamen „Hund“ (kyon). Daher wurde seine Philoso- phie auch als Kynismus bezeichnet. (Vgl. Döring (1998), 289)

Die Begriffe Lust und Unlust werden durch Epikur (341 – 271 v. Chr.) differen- zierter beschrieben. (Vgl. Held (2007), 9) Eine zentrale Annahme der epikurei- schen Glücksphilosophie ist die Schmerzvermeidung. Epikur sieht das Ziel des Lebens in der Empfindung von Lust (Hedoné) und in der Vermeidung von Un- lust. Wobei er nicht die überschweifende Lust meint, sondern Lust im Sinne ei- nes gelungenen Lebens. Bei Hedoné denkt Epikur also nicht an: „Weichlichkeit und parfümierte Kissen, nicht an Purpurgewänder und Goldschmuck, nicht an Trinkgelage und Festschmäuse, nicht an Fleischeslust und Sinnenkitzel […]. (Stürmer (2011), 60) sondern Lust bedeutet für ihn: „keine Schmerzen haben im körperlichen Bereich und im seelischen Bereich keine Unruhe verspüren.“ (Stürmer (2011), 60) Zusätzlich verwendet Epikur den Begriff der Ataraxie (Unerschütterlichkeit). Sie bezeichnet die innere Seelenruhe, gekennzeichnet durch Affektlosigkeit und emotionale Gelassenheit gegenüber Schicksalsschlä- gen und ähnlichen Außeneinwirkungen. (Horn (2011), 127) Die Lehre Epikurs stellte sich gegen den Staat, die Religion und auch die Kultur, denn er betonte:

„Du bist nicht da für einen Gott mit seiner Kirche und nicht für einen Staat und schon gar nicht für eine Aufgabe in der großmächtigen Kultur. Du bist da, um Dein einziges, einmaliges Leben mit Glück zu füllen.“ (Epikur (341 – 271 v. Chr.))

Epikur war es wichtig im Jetzt zu leben, sodass sein „Lebe bewusst!“ am besten mit dem Lateinischen: „Carpe Diem!“ – Nutze den Tag (Epikur (341 – 271 v.Chr.)) auszudrücken ist. Das epikureische Glücksideal stützt sich auf zwei Elemente: „auf die Idee einer souveränen Weltorientierung und auf die einer reflektierten Genussfähigkeit.“ (Horn (2011), 127)

„Beides soll man durch philosophische Einsicht und durch gezielte Übungen erlangen können.“ (Horn (2011), 127)

Die Periode des Hellenismus wird mit der Philosophie der Stoiker, welche im Kynismus wurzelt und wesentlich durch Zenon, Cicero und Seneca geprägt ist, abgeschlossen. Der Grundbegriff der Stoa, welche eine der wirkungsmächtigs- ten philosophischen Lehrgebäude in der abendländischen Geschichte bezeich- net, ist die Leidenschaftslosigkeit, denn in ihr besteht das Glück der Seele. (Vgl. Horn (2011), 127) Weiterhin ist Seneca der Meinung, dass die Natur durch gött- liche Vernunft bestimmt wird. Man soll also im Einklang mit der kosmischen Ordnung leben und dementsprechend seine Leidenschaften und Begierden zu- rückdrängen. Vernünftig ist, wer aufgrund des sicheren Urteils die Tugend zum Maßstab des Handelns werden lässt.

„Ziel, sagen sie, sei das ‚‘glücklich Leben‘ (to eudaimonein), um dessentwil- len alles getan wird, das selbst aber nicht um eines anderen willen vollzogen wird; dieses aber bestehe im ‘tugendgemäß leben‘, im ‘leben in Überein- stimmung‘, oder, was dasselbe ist, im ‘leben gemäß der Natur‘ […}.“ (Forschner (1996), 45)

Mit der Tugend findet man Distanz zu Lust und Trauer und nur die Tugend macht frei von Willkür. (Vgl. Forschner (1996), 45-50) Schicksalsüberlegenheit, Unerschütterlichkeit und Gelassenheit in allen Lebenslagen, das ist die goldene Regel der Stoiker. (Vgl. Stürmer (2011), 58)

Wenn das Glück im Sinne des Hellenismus die Befriedigung aller Bedürfnisse meint, so kann man es auf zwei Weisen sichern: Entweder versucht man also möglichst viele Bedürfnisse zu befriedigen oder einfach möglichst wenige Be- dürfnisse zu haben. Die Hellenisten gingen den zweiten Weg. Es wurden nur solche Bedürfnisse gestattet, von denen sicher war, dass sie sich jederzeit be-friedigen lassen würden. Als Leitgedanke gilt: „Damit wir können, was wir wol- len, müssen wir wollen, was wir können.“ (Hossenfelder (2010), 85) Das helle- nistische Glücksrezept besteht also darin, nur das zu erstreben, wo nach man jederzeit wirklich verfügt und alles was unverfügbar ist, als glücksirrelevant zu betrachten. In den folgenden Kapiteln wird deutlich, dass die Neuzeit hingegen den ersten Weg gewählt zu haben scheint, denn durch die technische Beherr- schung der Natur werden die immer neuen, pluralistischen Bedürfnisse zu stil- len versucht. (Hossenfelder (2010), 85) Zudem wenden sich die Hellenisten mit ihrer Philosophie an den Einzelnen und beschwören nicht die Solidargemein- schaft der Menschen. Sie rufen nicht zur Anstrengung aller für das Allgemein- wohl auf, sondern zeigen, wie der Einzelne ganz für sich alleine, ohne die Hilfe anderer, glücklich werden kann. Weiterhin versprechen die hellenistischen Phi- losophen das Glück in der Gegenwart und vertrösten nicht auf das große Glück im Jenseits. Sie lehren uns die Konzentration des gegenwärtigen Augenblicks und nicht den starren Blick in Richtung Zukunft. (Hossenfelder (2010), 90f.)

3.2 Europäische Glücksphilosophie nach der Antike

Die Glücksphilosophien der Antike haben Eingang in die bis in unsere Zeit rei- chenden europäischen Philosophien der Lebenskunst gefunden. Das prinzipiell Neue, das hinzugekommen ist, war die christliche Vorstellung, dass der dauer- hafte Glückszustand nicht irdisch ist, sondern erst nach dem Tod erreicht wer- den kann. Desweiteren sind die europäischen Glücksphilosophien stark auf das Selbst konzentriert und haben wenig Bezug zur Spiritualität.

3.2.1 Glück im Mittelalter

Stellvertretend für die Glücksphilosophie des Mittelalters, welche stark durch die christliche Religion geprägt war und Gott als Glücksmonopol ansah, wird die Darstellung von Augustinus (354-430) näher beleuchtet. Er prägte den Begriff des sündigen Menschen, der durch seine Sterblichkeit die Welt vor einer ewig gültigen, göttlichen Wahrheit sehen muss: Wahres Glück und das höchste Ziel menschlichen Handelns bedeutet für ihn ein Leben bei Gott zu führen. (Vgl. Horn (2011), 133) Glück tritt dann ein, wenn alles Begehren ein Ende hat:

„Glück ist demnach das, worin alles Handeln und Begehren zum Stillstand kommt; niemand könne glücklich sein, wenn er etwas Begehrtes nicht habe.“ (Horn (1995), 44)

Weiterhin insistiert Augustinus, dass Güter wie Genuss oder Reichtum wegen ihrer zeitlichen Unbeständigkeit und ihrer häufigen Unverfügbarkeit nicht wirk- lich glückstauglich sind:

„Als glücksrelevantes Gut kommt nur etwas in Frage, das alles Handeln und Begehren zum Stillstand bringt; niemand könne glücklich sein, wenn er im- mer noch etwas Weiteres begehre.“ (Horn (2010), 106)

Als das Gute, was ein solch permanentes Glück herbeiführen kann, kommt nach Augustinus Ansicht nur Gott in Frage. Glück erlangt man nur im Innersten seiner Seele.

3.2.2 Glück in der frühen Neuzeit und Moderne

Von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahr- hunderts ist das Zeitalter der hedonistischen Glücksphilosophie einzuordnen. Für die britischen Philosophen galt das Leben als gut und glücklich, in welchem die angenehmen Gefühle die Unangenehmen überwiegen. Die beiden führen- den englischen Philosophen des 17. Jahrhunderts, Thomas Hobbes (1588- 16 7 9 ) und John Locke (1632-1704) waren stark durch die Lehren Epikurs be- einflusst. Hobbes war Materialist und lehrte, dass der Mensch durch eigensüch- tige Triebe geleitet sei. (Vgl. Schefczyk (2011), 164) Er meint, dass Glück das ständige Fortschreiten von einer Begierde zur nächsten ist. Der Mensch kann nur glücklich werden, wenn er so viele Güter wie möglich anhäuft um seine Be- gierden zu befriedigen. (Vgl. Kersting (1992), 79 ff.) Wir erinnern uns an den Hellenismus und die Wahl der zwei Wege zum Glück. Statt der Bedürfnisein- schränkung wird hier der Weg der Bedürfnisbefriedigung gewählt. Zudem sieht Hobbes die Moral als „eine rationale, durch das aufgeklärte Eigeninteresse mo- tivierte Einschränkung der menschlichen Triebnatur.“ (Schefczyk (2011), 164) Weiterhin betont er, dass dieses unersättliche Glücksstreben durch einen Ge- sellschaftsvertrag reguliert werden muss.

Ein vergleichbares Bild von Glück und Moral, angelehnt an Epikur, zeigt sich auch bei John Locke:

„Im Essay Concerning Human Understanding (1689) erklärt er, Dinge seien gut und schlecht nur mit Blick auf Lust und Unlust. Wir nennen gut, was uns Lust bereitet oder Unlust vermindert.“ (Schefczyk (2011), 165)

Nach Locke ist Glück eine private Angelegenheit und glücklich ist der, der alles tut was möglichst viel Vergnügen bereitet, um so die innere Leere zu überwin- den. Sowohl Hobbes als auch Locke vertreten ein Sanktionsmodell moralischer Verbindlichkeit. Ähnlich wie bei Hobbes findet auch Locke wichtig, dass die Verhaltensweisen durch vom Staat gegebene Verträge geregelt werden. Nur so kann für den Einzelnen innerhalb einer Gesellschaft Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit erlangt werden. (Vgl. Schefczyk (2011), 163ff.)

Eine weitere Erscheinungsform des Eudämonismus ist der neuzeitliche Utilita- rismus. Dieser, von Hobbes und Hume vorbereitet, der Sache nach von Ben- tham begründet, dem Begriff nach erstmals von Mills Hauptwerk „Utilitarianism“ (1863) so benannt und von Sidgwick am differenziertesten ausgebaut, ist bis heute in der englischsprachigen Welt die wichtigste Richtung einer normativen empiristischen Ethik. Hauptvertreter des klassischen Utilitarismus sind Jeremy Bentham (1748 – 1832) und John Stuart Mill (1806 – 1873). Nach dem Utilita- rismus untersteht das Glück des Einzelnen der Gesellschaft. Was also der größten Zahl der Menschen Glück bringt, gilt als wichtig und gut. Bentham ver- trat den Hedonismus, indem er in Leid und Freud die Motive menschlichen Handelns sah:

„Die Natur hat die Menschen unter die Herrschaft zweier souveräner Gebie- ter gestellt – Leid und Freud. […]. Sie beherrschen uns in allem, was wir tun, was wir sagen, was wir denken.“ (Höffe (2010), 55)

Das allgemeine, größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl ist das Grund- prinzip des Handlungsutilitarismus, vertreten durch Bentham. Was werden die positiven oder negativen Folgen für die Betroffenen sein, wenn ich in dieser Si- tuation in einer bestimmten Weise handle? Alles was wir tun, soll unser Le- bensglück steigern oder zumindest Leid vermindern. Die Handlung eines Indivi- duums oder einer Institution ist dementsprechend danach zu bewerten, inwie- fern sie das Glück der durch die Handlung Betroffenen fördert oder verhindert. Für den Utilitarismus ist also diejenige Handlung moralisch richtig, deren Folgen für das Wohlergehen aller Betroffenen optimal sind. Jedoch stellt Bentham geis- tige und körperliche Freuden auf eine Stufe und macht keinen Unterschied zwischen Qualität oder Dauer einer Freude. Im Gegensatz zu Bentham war für Mill nicht nur die Quantität sondern auch die Qualität einer Lust wichtig. Er ist der Meinung, dass nicht alle Glücksarten gleichwertig sind:

„It’s better to be a human being dissatisfied than a pig satisfied; better to be Socrates dissatisfied than a fool satisfied. And if the fool, or the pig, is of a different opinion, it is because they only know their side of the question.“ (Mill (1871), 154)

Als oberstes Moralprinzip verlangt er, stets nach derjenigen Handlungsregel zu handeln, deren Befolgung für alle Menschen vom größtmöglichen Nutzen ist und in Übereinstimmung mit einer allgemeingültigen Regel erfolgt. Abschlie- ßend lässt sich sagen, dass das Nützlichkeitsdenken, das größte, kollektive Glück, im 18. und 19. Jahrhundert ein Umdenken in Politik und Wirtschaft an- gestoßen hat. Der Marxismus, der Kommunismus und die Idee des Wohlfahrts- staates sind somit Nachwirkungen des Utilitarismus. (Vgl. Schefczyk (2011), 168ff.)

Fast zeitgleich mit Bentham und Mill befasste sich Immanuel Kant (1724 – 18 0 4 ) mit dem Glücksbegriff. Für ihn bedeutet glücklich sein: „[…] zufrieden sein mit seinem Leben im Ganzen, an ihm durchgängig und in jeder Hinsicht gefallen haben.“ (Forschner (1994), 119) Immanuel Kant schreibt in Seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten:

„Es ist ein Unglück, daß der Begriff der Glückseligkeit ein so unbestimmter Begriff ist, daß, obgleich jeder Mensch zu dieser zu gelangen wünscht, er doch niemals bestimmt und mit sich selbst einstimmig sagen kann, was er eigentlich wünsche und wolle." (Kant (1785), 418)

Kant folgert daraus, dass man nur vage Ratsschläge zur Erreichung der Glück- seligkeit geben kann. Es lassen sich keine allgemeingültigen Prinzipien finden. Die Philosophen der Antike waren hierin gänzlich anderer Ansicht. Sie waren der Überzeugung, dass es die wesentliche Aufgabe der Philosophie sei, einen verbindlichen Weg zur Glückseligkeit zu weisen. In diesem Sinne ist Kants Auf- fassung repräsentativ für unser ganzes neuzeitliches Denken. (Vgl. Hossenfel- der (2010), 75ff.) Wer kann schon mit Sicherheit sagen, was ihn vollkommen glücklich macht?! Kant untermauert diese Vermutung der Unsicherheit mit eini- gen Beispielen:

"Will jemand Reichtum, wieviel Sorge, Neid und Nachstellung könnte er sich dadurch nicht auf den Hals ziehen. Will er viel Erkenntnis und Einsicht, viel- leicht könnte das ein nur um desto schärferes Auge werden, um die Übel, die sich für ihn jetzt noch verbergen und doch nicht vermieden werden können, ihm nur um desto schrecklicher zu zeigen, oder seinen Begierden, die ihm schon genug zu schaffen machen, noch mehr Bedürfnisse aufzubürden.“ (Kant (1785), 418)

Im hedonistisch notwendigen Verlangen versucht der Mensch seine Neigung zu befriedigen. Dem gegenüber steht der kategorische Imperativ der besagt:

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde.“ (Kant (1786), 52) Der kategorische Imperativ verpflichtet den Menschen zum Einhalten bestimmter Pflichten und in deren Verwirklichung liegt die Glückserlangung. Pflichterfüllung und Glückseligkeit sind demnach also nicht voneinander zu trennen. Glück wird zu einer morali- schen Aufgabe. Kant ist also der Meinung, dass Glückseligkeit die gewusste, gewünschte und erhoffte Nebenwirkung moralischer Einstellung und Lebens- führung ist. Der subjektive Glücksbegriff hingegen ist für Kant nicht greifbar, da schon die einfachsten Meinungen schwankend sind und der gesamte Begriff damit selbst für individuelle Begriffsdefinitionen nur temporär gültig ist. Weiter- hin ist Kant der Ansicht, dass die Verbindung von Moralität und Glückseligkeit, die eine unparteiliche Vernunft verlangt, in diesem Leben nicht zu erwarten und nicht zu leisten ist; sie ist Gegenstand eines reinen (christlichen) Vernunftglau- bens. (Vgl. Forschner (1994), 150)

Im Zusammenhang mit dem Verständnis des Glücksbegriffes nach Kant ist auf Friederich Nietzsche (1844 - 1900) zu verweisen. Er lehnt, ganz im Gegensatz zu Kant, die Fixierung der Glückserlangung auf Tugend oder auf Sittengesetze ab. So schreibt er: „Die Bestie in uns will belogen werden; Moral ist Notlüge, damit wir von ihr nicht zerrissen werden.“ (Nietzsche (1999), 64) Nach Nietz- sche ist das jetzige Leben das Leben im Paradies. Daher soll man sich seine Gegenwart so schön wie möglich gestalten. Das eigene schöpferische Potenzi- al soll, im Sinne eines kreativen Egos, ausgelebt werden.

In der deutschen Gegenwartsphilosophie befasst sich namentlich Wilhelm Schmid (geb. 1953), Schüler von Foucault, mit der Glücksthematik. Die Selbst- sorgen stehen im Mittelpunkt seiner Betrachtungen, denn er sagt, dass eine reflektierte Lebenskunst an der Sorge um sich selbst ansetzt. Vor allem aber warnt Schmid die Menschen davor unglücklich zu werden, nur weil sie glauben um jeden Preis glücklich sein zu müssen. Schmid konzipiert daher eine Philo- sophie der Lebenskunst, die statt Glück die Fülle des Lebens anvisiert. Der Mensch muss sein Leben bejahenswert gestalten, denn dieses besteht nun mal eben nicht nur aus Glück und Freude. (Vgl. Schmid (2012), 11) Durch diese positive Grundhaltung legt der Mensch den Grundstein für dauerhafte Lebens- zufriedenheit, die mit Angst, Misslingen, Enttäuschung und Vergehen koexistie- ren kann. (Vgl. Stürmer (2011), 69) Nach Ansicht Schmidts werden die Men- schen nicht glücklicher, indem sie dem Glück nachjagen, sondern indem sie sich an das Unglück gewöhnen.

3.3 Fazit der europäischen Glücksphilosophie

Appius Claudius (um 300 v. Chr.) prägte den Satz: „Jeder ist seines Glückes Schmied.” (Lautenbach (2002), 285) Dieses Zitat fasst zusammen, was die griechischen Philosophen nach langen Nachdenkprozessen erkannt haben. In diesem Sinne haben uns Platon und Aristoteles gelehrt, dass jeder Mensch selbst dafür verantwortlich ist, sein Glück zu erarbeiten. Zum Glück gehört Tätig sein, um seine vorhandenen intellektuellen Fähigkeiten und moralischen Ver- pflichtungen erfüllen zu können. Für unsere heutige Gesellschaft, in der die Glücksvorstellungen im Profitstreben und Güterkonsum liegen, bieten die philo- sophischen Glücksbotschaften des Abendlandes, zwischen höchstem Genuss und freiwilliger Askese, einige Schwerpunkte, die auch in der Neuzeit noch er- halten sind. Stürmer stellt hier zum einen heraus, dass sich Glücksstreben nicht am Haben sondern am Sein orientieren muss. Demokrit schon hat erkannt, dass das Glück nicht im Geld wohnt, sondern in der Seele zuhause ist. (Vgl. Capelle (1938), 441) Weiterhin ist derjenige glücklich, welcher allen Vorkomm- nissen etwas Gutes abgewinnen kann. Es gilt, angelehnt an die Askese der an- tiken Philosophie, negative Gefühle zu bändigen und positive zu pflegen:

„Sich an Leid klammern und seine Miesere bejammern, vermehrt und verschlimmert das Unglück.“ (Stürmer (2011), 70)

Verfährt man wie die griechische Klassik und nimmt eine überindividuelle Ord- nung an, so hat man eigentlich keinerlei Schwierigkeiten mit dem Glücksbegriff. Die Probleme treten erst auf, wenn man eine individualistische Auffassung, wie sie seit dem Hellenismus des Abendlandes weithin vorherrscht, favorisiert. Hier besteht die Gefahr, dass sich der Begriff des Glücks immer weiter verflüchtigt und letztlich mit dem der Lust zusammenfällt. Diese Gefahr lässt sich nur ban- nen, indem man den hellenistischen Philosophen folgt und sich nicht Bedürfnis- erweckung sondern Bedürfnisbeschränkung als Ziel setzt. Gerade in unserer heutigen Zeit scheint dem hellenistischen Konzept eine besondere Aktualität zuzuwachsen. Seit man die Nachteile und Gefahren der neuzeitlichen Einstel- lungen mit ihren sorglosen Ausbeutungen der Natur erkannt hat, wird der Schrei nach Abhilfe immer größer. Doch die Wege, die man teilweise einschlägt, stel- len keine effektive Abhilfe dar. Es geht weiterhin darum, die Natur in den Griff zu bekommen. Zwar hat man erkannt, dass man sie pfleglicher behandeln muss, aber sie wird nach wie vor als Besitz des Menschen gesehen. Um ernst- haft an diesen Problemen arbeiten zu können, bedarf es einer Überprüfung der allgemein vorherrschenden Grundeinstellung, bei welcher die hellenistischen Denker vielleicht Abhilfe schaffen könnten.

[...]

Excerpt out of 93 pages

Details

Title
Der Glücksbegriff in unterschiedlichen kulturellen Kontexten
College
University of Applied Sciences North Rhine-Westphalia Aachen
Grade
1,3
Author
Year
2013
Pages
93
Catalog Number
V505883
ISBN (eBook)
9783346061720
ISBN (Book)
9783346061737
Language
German
Keywords
glücksbegriff, kontexten
Quote paper
Janina Pletziger (Author), 2013, Der Glücksbegriff in unterschiedlichen kulturellen Kontexten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/505883

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