Professionelles Handeln im Zwangskontext. Wie können Zwangssituationen in sozialen Diensten professionell bewältigt werden?


Hausarbeit, 2019

33 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffserklärungen
2.1 professionelles Handeln
2.2 Zwangskontext
2.2.1 Zwang
2.2.2 Zwangskontext in der Sozialen Arbeit

3. Zwangssituationen in sozialen Diensten
3.1 Situation des Klienten
3.2 Situation des Professionellen

4. Möglichkeiten eines professionellen Umgangs mit Zwangskontexten in der Sozialen Arbeit
4.1 Motivationsarbeit
4.2 Stärkenorientierung
4.3 Rollenklärung
4.4 Beziehungsgestaltung

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis

Eidesstattliche Erklärung

1. Einleitung

Laut der Psychoanalytikerin Mara Selvini Palazzoli gilt es „Abschied zu nehmen von der Erwartung…, dass die Menschen aus einer echten Motivation heraus unsere Hilfe freiwillig in Anspruch nehmen“ (vgl. Cirillo u. Di Blasio, 1992, zit. n. Conen, 2005, S. 167). Professionelle Fachkräfte der Sozialen Arbeit stehen demnach immer häufiger vor der Aufgabe, Klienten, welche nicht aus Eigeninitiative soziale Dienstleistungen aufsuchen, Hilfe und Unterstützung anzubieten. Sozialarbeiter treten dementsprechend zunehmend in Kontakt mit Adressaten, die die angebotene Hilfe nicht wünschen und gegebenenfalls auch nicht annehmen. Hinsichtlich dieser Entwicklungen gilt das professionelle Arbeiten und Handeln in Zwangssituationen mittlerweile als relevanter Bestandteil der Sozialen Arbeit (vgl. Hesser, 2001, S. 25; vgl. Eger, 2016, S. 57).

In der nachfolgenden Ausführung wird professionelles Handeln sozialer Dienste im Zwangskontext thematisiert. Hierbei wird die Frage untersucht, wie Zwangssituationen in der Sozialen Arbeit professionell bewältigt werden können? Um einen Einstieg in die Thematik zu ermöglichen, werden die Begrifflichkeiten „professionelles Handeln“ und „Zwangskontext“ zu Beginn der Ausführung definiert. Hierbei erfolgt die Darstellung von „professionellem Handeln“ nach Schütze und Oevermann unter Einbezug der Begrifflichkeiten „Profession“ und „Professionalität. Darauffolgend beschäftigt sich dieses Kapitel zunächst mit einer allgemeinen Definition des Begriffs „Zwang“. Der Terminus „Zwangskontext“ wird anschließend mit besonderem Augenmerk auf die Soziale Arbeit näher erläutert. Hierauf folgt die Darlegung möglicher Initiativen zur Entstehung von Klientenkontakten. Das dritte Kapitel bezieht sich auf Zwangssituationen in sozialen Diensten. Diesbezüglich wird verstärkt sowohl auf die Situation des Klienten als auch auf die Situation der beruflichen Fachkraft eingegangen. In Bezug auf die Situation des Klienten werden mögliche Reaktionen, welche sich in Zwangskontexten meist in Abwehr- und Vermeidungsverhalten gestalten, näher betrachtet. Hinsichtlich der Situation von Fachkräften in Zwangskontexten untersucht dieses Kapitel eventuelle Anforderungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten, mit welchen Berufsvertreter der Sozialen Arbeit in Zwangssituationen konfrontiert werden können. Dabei wird die Soziale Arbeit im Spannungsfeld eines doppelten Mandats zwischen Hilfe und Kontrolle vertieft beschrieben. Das vierte Kapitel behandelt Möglichkeiten einer professionellen Bewältigung von Zwangskontexten in der Sozialen Arbeit. Dabei erfolgt die Thematisierung einiger hilfreicher Haltungen von professionellen Helfern innerhalb der Arbeit mit Pflichtklientschaft. Um die Fragestellung zu beantworten, werden als Optionen des professionellen Umgangs mit unfreiwilligen Klienten in sozialen Diensten die Methoden der Motivationsarbeit, der Stärkenorientierung, der Rollenklärung als auch der Beziehungsgestaltung vorgestellt. Bezogen auf die Beschäftigung mit diesen Inhalten werden im Fazit die Ergebnisse diskutiert und resümiert.

Innerhalb dieser Arbeit werde ich mich zugunsten der besseren Lesbarkeit auf männliche Formen beschränken. Die Ausführung bezieht sich jedoch auf Personen jedes Geschlechts.

2. Begriffserklärungen

Um einen Einstieg in die Thematik zu realisieren, beschäftigt sich dieses Kapitel mit der Erläuterung der Schlüsselbegriffe „professionelles Handeln“ und „Zwangskontext“. Hierbei fokussiert sich die Ausführung speziell auf Zwangskontexte innerhalb der Sozialen Arbeit.

2.1 professionelles Handeln

Um professionelles Handeln definieren zu können, müssen die Begrifflichkeiten „Profession“ und „Professionalität“ in diesem Zusammenhang gleichwohl thematisiert werden. Was macht professionelles Handeln aus? Die nachfolgende Ausführung bezieht sich dabei auf Vorstellungen von Schütze und Oevermann.

Laut Schütze (1992) gilt Profession als „ein von der alltäglichen Laienwelt, aber auch von anderen Expertensinnwelten – relativ abgegrenzter Orientierungs- und Handlungsbereich, in welchem sowohl wissenschaftlich als auch praktisch ausgebildete Berufsexperten gesellschaftlich lizenzierte Dienstleistungen für ihnen per gesellschaftlichem Mandat anbefohlenen Klienten bzw. Abnehmer vollbringen“ (vgl. Schütze, 1992, S. 135). Hughes (1984) zufolge stellen dementsprechend der Besitz eines gesellschaftlichen Auftrags (das Mandat) und der Erlaubnis (die Lizenz) für einen speziellen Dienst am Klienten die beiden relevantesten Bedingungen für Professionalität dar (S. 287f.). Dem zuständigen Berufsexperten wird hierbei der Auftrag der effektiven Problembearbeitung der Klientel durch die Gesellschaft zugewiesen (vgl. ebd.). Mittels der Existenz einer Lizenz verfügen professionelle Berufspraktiker über das Recht, den betroffenen Menschen vorzuschreiben, was im Bereich ihrer Lebensvollzüge sowohl als korrekt als auch als gut einzustufen ist (vgl. ebd.). Durch den Besitz einer solchen Lizenz sind zuständige Berufstätige demzufolge berechtigt, spezielle Maßnahmen zur Problembearbeitung für die anbefohlenen Klienten zu planen und ebenso durchzuführen. Die durch die Gesellschaft vermittelte Zuständigkeit beinhaltet, dass die Fachkraft stets das Klientenwohl zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit macht (vgl. Hughes, 1984, S. 289; vgl. Schütze, 1992, S.135). Obwohl hierbei Widersprüche zwischen der Orientierung am persönlichen Wohl des Klienten und der Orientierung am Wohl der Allgemeinheit auftreten können, stellt die maßgebliche Fokussierung auf das Wohlbefinden des Klienten dennoch ein unabkömmliches Charakteristikum professionellen Handelns dar (vgl. Schütze, 1992, S. 135). Des Weiteren vereinbart der Berufsexperte mit dem ihm zugewiesenen Klienten einen stets heiklen und immer wieder bedrohten Vertrauenskontrakt, welcher sich auf die Beförderung des Klientenwohls mittels professionellen Arbeitens ausrichtet (vgl. ebd., S. 136). Zur Beschäftigung der Fall- bzw. Projektproblematik des betroffenen Klienten bedient sich die berufliche Fachkraft im Arbeitsverlauf an Analyse- und Handlungsverfahren, die auf wissenschaftlichen Grundlagen basieren und für die Laienwelt nicht ohne weiteres zugänglich sind (vgl. ebd.). Hieran schließt sich, dass eine Profession, um professionell Handeln zu können, über eine „eingegrenzte symbolische Sinnwelt“ mit implizierten wissenschaftlichen Fachdisziplinen verfügen muss, die sich nach außen hin abschirmen kann (vgl. ebd., S. 142). Im Zuge der Anwendung der zuvor genannten Verfahren kann es jedoch immer wieder zur Entwicklung von Paradoxien professionellen Handelns kommen. Die Entstehung solcher Schwierigkeiten bzw. Dilemmata professionellen Handelns lassen sich darauf zurückführen, dass der höhersymbolische Bereich, an welchem sich die Fachkraft orientiert, nicht allzu problemlos mit der existierenden Alltagswelt seines beruflichen Handelns als auch mit der Lebensart des Klienten zu vereinbaren ist. Der Versuch der Abarbeitung der Paradoxien ist dann nicht selten mit der Entstehung von Berufsfehlern und negativen Auswirkungen auf das Leben des Klienten verbunden (vgl., ebd., S. 137f.).

Professionelles Handeln ist auf Krisensituationen ausgerichtet (vgl. Nadai & Sommerfeld, 2005, S. 183). In Hinblick auf Oevermann (2000) erscheinen Professionen dementsprechend immer dann als unerlässlich, wenn „Krisen der Autonomie der Lebenspraxis“ oder „Krisen der gesellschaftlichen Ordnung“ auftreten (S. 62). Berufliches Handeln gilt also als professionalisierungsbedürftig, wenn eine eigenständige auf Autonomie basierende Krisenbewältigung durch die Betroffenen selbst nicht mehr möglich ist (vgl. ebd.). Die stellvertretende Krisenbewältigung stellt diesbezüglich die maßgebliche Funktion professionellen Agierens dar (vgl. Nadai & Sommerfeld, 2005, S. 183). Sobald Betroffene für generell standardisierbare Problemlagen und Krisenkonstellationen ihrer Lebenspraxis keine adäquaten Problemlösungen entwickeln können, erscheint eine stellvertretende Krisenbekämpfung vielmehr als unerlässlich. Infolge einer Überforderung der primären Lebenspraxis mit der Krisenbewältigung findet demnach die Delegation an einen „wissenschaftlich legitimierten Experten“ statt (vgl. Dexheimer, 2011, S. 10). Hiernach impliziert die stellvertretende Krisenbewältigung die Unterstützung des Klienten durch den Experten. Die vorherrschenden Krisensituationen beziehen sich stets auf die Autonomie des Klienten, welche entweder als beeinträchtigt oder als gefährdet gilt. Diesbezüglich verweist das „Oevermannsche Professionsmodell“ auf die Frage, wie die Autonomie der Klienten unter den Gegebenheiten einer noch zu entwickelnden oder gar beeinträchtigten Autonomie der Lebenspraxis mit fremder Unterstützung (erneut) hergestellt werden kann (vgl. Oevermann, 2000, S. 62)? Die professionellen Hilfeleistungen zielen hierbei auf die Ermöglichung der Deutung und ebenso der Bewältigung der gegenwärtigen Problematiken durch den Klienten selbst ab (vgl. Kraimer, 2013, S. 83).

Die Wiederherstellung der Autonomie als hauptsächliches Interesse des Klienten steht auch im Vordergrund des pädagogischen Arbeitsbündnisses (vgl. Oevermann, 2000, S. 72). Arbeitsbündnisse gelten als Basis professionellen Handelns. Ein sogenanntes Arbeitsbündnis nach Oevermann impliziert die Herstellung einer professionellen Beziehung zwischen Professionellen und Klienten (vgl. Oevermann, 2000, S. 61f.). Die Vorstellung eines Arbeitsbündnisses besagt, dass der Erfolg professionellen Handelns nicht alleine durch die korrekte Anwendung von Fachwissen auf zu behandelnde Probleme erfolgt, sondern vielmehr eine gelingende und von beiden Seiten gewollte Zusammenarbeit erfordert. Beim Arbeitsbündnis wird sich demnach nicht allein auf die expertenhafte Hilfestellung gestützt – auch der Klient aktiviert seine persönlichen Ressourcen bei der stellvertretenden Krisenbewältigung. Hiernach werden sowohl der Klient als auch die berufliche Fachkraft als ganze Person in das Arbeitsbündnis eingebunden (vgl. Becker-Lenz & Müller-Hermann, 2013, S. 222f.). Aufgrund seines existierenden Dilemmas übernimmt der Klient hier die Rolle des Klienten-Status mit der Pflicht, sich an der Bewältigung seiner persönlichen Krise zu beteiligen. Ebenso muss die berufliche Fachkraft im Sinne des Arbeitsbündnisses persönliches Interesse an dem Klienten und an dessen Problematik als ganze Person vermitteln und darüber hinaus ihre Aufmerksamkeit auf das Verstehen der vorliegenden Krise richten (vgl. ebd.). Die Idee des Arbeitsbündnisses strebt im Zuge der Vermeidung der Abhängigkeit von der Expertise generell die Verhinderung der Beschränkung der Autonomie des Klienten an (vgl. Oevermann, 2000, S. 62). Stattdessen leistet die berufliche Fachkraft im Sinne des Grundsatzes „Hilfe zur Selbsthilfe“ Unterstützung zur Mobilisierung der selbständigen Kräfte des betroffenen Klienten (vgl. Becker-Lenz & Müller Herrmann, 2013, S. 222). Diesem Grundgedanken zufolge zielt die Unterstützung der Klienten durch Professionelle mittels der Einschätzung und ebenso Stärkung existierender Krisenbewältigungspotenziale darauf ab, dass die Klienten nach Beendigung der professionellen Hilfemaßnahmen selbst- und eigenständig mit möglichen persönlichen Problemen auskommen (vgl. ebd., S. 223f.).

Im idealsten Fall charakterisiert sich das oben genannte „Anbefohlensein“ der Klienten dadurch, dass die Kontaktaufnahme mit den Berufsexperten auf selbständiger und freiwilliger Basis der Klienten erfolgt (vgl. Schütze, 1992, S. 135). Eine von der professionellen Fachkraft und ebenso vom Klienten gewollte Kooperation und Partnerschaft gilt in diesem Zusammenhang als relevante Bedingung für den Erfolg professionellen Agierens. Die freiwillige Inanspruchnahme von professioneller Hilfe durch Klienten aufgrund persönlicher Problemlagen stellt diesbezüglich auch ein elementares Merkmal von Arbeitsbündnissen dar (vgl. Becker-Lenz & Müller-Hermann, 2013, S. 222). Wie sich am Beispiel des Schülers innerhalb einer Gesellschaft mit bestehender Schulpflicht zeigt, gilt die Freiwilligkeit der Kontaktaufnahme jedoch nicht immer als Selbstverständlichkeit (vgl. Schütze, 1992, S. 135). Im folgenden Teil sollen daher Zwangskontexte ausführlich thematisiert werden.

2.2 Zwangskontext

Das folgende Kapitel beschäftigt sich zunächst allgemein mit der Definition von „Zwang“ und „Zwangskontexten“. Darauffolgend werden Zwangskontexte speziell im Handlungsfeld der Sozialen Arbeit näher erläutert.

2.2.1 Zwang

Umgangssprachlich lässt sich der Terminus „Zwang“ in etwa gleichsetzen mit den Begrifflichkeiten „Druck“ oder „Belastung“. Der Begriff „Zwang“ impliziert diesbezüglich eine zwingende Verpflichtung, Notwendigkeit oder auch ausgeführte Gewalt (vgl. Cecchin & Conen, 2007, S. 70f.). Hieran schließt sich, dass „Zwang“ als „Ausdruck des Ausgeliefertseins an eine stärkere Macht“ gilt (vgl. Gumpinger, 2011, S. 11). Wo Zwang vorliegt, wird dann die Abwesenheit einer freien Willensbildung als auch –durchsetzung festgestellt. Den Betroffenen fehlt es demnach an Freiwilligkeit im Sinne der Fähigkeit nach Vorstellung des eigenen Willens zu agieren (vgl. Kaminsky, 2015, S. 5). Hierbei können Situationen entstehen, innerhalb welcher persönlich relevante Entscheidungen über den eigenen Kopf hinweg durch Andere gefällt werden (vgl. Gumpinger, 2001, S. 11). Zwang gilt oftmals als Mittel, um eine Behandlung überhaupt aktivieren und einleiten zu können. Bei einer möglichen Ablehnung der Zusammenarbeit durch Klienten fehlt es demnach auf Seiten der Professionellen zumeist nicht an der Bereitschaft zur Einleitung von Zwangsmaßnahmen. Wenn sich das professionelle Handeln hauptsächlich auf das Klientenwohl fokussiert, bestehen dementsprechend keinerlei Bedenken, Druck und Zwang auf die jeweiligen Klienten auszuüben (vgl. Bullens, 1993, S. 409; vgl. Drewes & Krott, 1996, S. 200; vgl. Wendt, 1997, S. 17). Zwangsmaßnahmen werden jedoch nicht wahlweise erfasst, sondern aufgrund der Existenz einer Zwangslage von Betroffenen und dem mangelnden Vorhandensein von alternativen Wahlmöglichkeiten (vgl. Wendt, 1997, S. 19).

2.2.2 Zwangskontext in der Sozialen Arbeit

Oftmals mangelt es Menschen, die über unzählige Problemlagen und Belastungen verfügen, an relevanten Kompetenzen, die sie für eine eigenständige und effektive Lebensführung benötigen (vgl. Gehrmann & Müller, 2016c, S. 113f.). Im besten Fall suchen solche Menschen mit Hilfebedarf aus eigenem Antrieb zuständige Einrichtungen auf. Diese Vorgehensweise ist allerdings in vielen Fällen nicht gegeben (vgl. Kähler & Zobrist, 2013, S. 22). Wirth (1982) stellte mittels empirischer Befunde fest, dass belastete Personen oftmals nicht in der Lage sind, von sich aus vorhandene Schwierigkeiten als solche zu erkennen, Vorstellungen von Unterstützung zu entwickeln und adäquate Schritte nach außen zu vollziehen (S. 79). Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass Klienten der Sozialen Arbeit überwiegend aus Eigeninitiative Kontakte zu Angeboten sozialer Dienste aufnehmen, entstehen solche Kontaktaufnahmen innerhalb der Sozialen Arbeit vielmehr aufgrund unterschiedlicher Dimensionen von Freiheit (vgl. Kähler & Zobrist, 2013, S. 17). Generell lassen sich Initiativen zur Entstehung von Klientenkontakten nach dem „Ursprung der Initiative zu dieser Kontaktaufnahme“ unterscheiden:

1. „selbstinitiierte Kontaktaufnahmen (die Initiative für die Kontaktaufnahme geht von der jeweiligen Person aus);
2. Kontaktaufnahmen durch Einflüsse des informellen oder formellen Netzwerks;
3. Kontaktaufnahmen aufgrund rechtlicher Vorgaben“ (vgl. Kähler & Zobrist, 2013, S. 18).

Wenn Menschen mit ihrem persönlichen Verhalten und ihren eigenen Lebensverhältnissen unzufrieden sind, suchen sie bei mangelnden Ressourcen aus dem persönlichen Umfeld gegebenenfalls Unterstützung und Hilfe für Veränderung an anderer Stelle (vgl. ebd., S. 9). Oftmals kommen hierbei professionelle Fachkräfte aus sozialen Diensten in Frage. Solche Kontaktaufnahmen mit unterstützenden Institutionen gelten als selbstinitiiert, sind frei von Außeneinflüssen und befinden sich demnach in der Autonomie der betroffenen hilfesuchenden Person (vgl. ebd.). Die Bezeichnung „Zwangskontext“ wird als Kennzeichnung für alle Kontaktaufnahmen verwendet, die nicht von Klienten selbstinitiiert sind. Ein Zwangskontext besteht also, wenn die Kontaktierung eines sozialen Dienstes nicht ohne Außendruck erfolgt (vgl. Kähler & Zobrist, 2013, S. 18). Nicht selten weisen Menschen gewisse Verhaltensweisen auf, die Dritte (Bekannte, Behörden, Gericht, Jugendamt, Krankenkasse etc.) auffordern, diesen Personen Veränderungen zu raten oder gegebenenfalls auch aufzuzwingen (vgl. Conen, 2005, S. 167; vgl. Gumpinger, 2016, S. 26). Der zuvor bereits erwähnte Außendruck, der für fremdinitiierte Kontaktaufnahmen zu sozialen Diensten verantwortlich ist, kann hierbei durch soziale Netzwerke oder aufgrund rechtlicher Vorgaben erfolgen. Hinsichtlich des sozialen Netzwerks der betroffenen Personen stellt das informelle Netzwerk das persönliche Umfeld des Klienten dar, während sich das formelle Netzwerk meist zusammensetzt aus Lehrern, Kindergärtnern, Hausärzten, Behörden oder auch Vorgesetzten. Obwohl hier keine rechtliche Vorgabe mit damit verbundenen Sanktionen vorliegt, entpuppen sich solche Netzwerkeinflüsse in der Realität der sozialarbeiterischen Praxis als besonders wirksam, da die Klienten die angebotenen Programme häufig dennoch als Zwang interpretieren und empfinden. Der Druck durch Angehörige des Netzwerks erweist sich demzufolge als äußerst mächtig und einflussreich (vgl. Kähler & Zobrist, 2013, S. 22f.). Bei Kontaktaufnahmen aufgrund rechtlicher Anweisungen werden Klienten mehr oder weniger zur Kontaktierung sozialer Dienste gezwungen. Die Androhung von Sanktionen und empfindlichen Konsequenzen verstärken hierbei den Druck der Klienten, Angebote von Sozialeinrichtungen in Anspruch zu nehmen (vgl. ebd., S. 25f.). Ausschließlich bei der Drohung unangenehmer Konsequenzen, gelten Strategien, welche Zwang implizieren, als sinnvoll, nützlich und hilfreich (vgl. Cecchin & Conen, 2007, S. 73). Demnach spielen die Art und Stärke der möglichen Sanktionen und Konsequenzen bei den von Netzwerkangehörigen oder durch gesetzliche Vorschriften entstehenden Kontakte mit sozialen Diensten eine relevante Rolle. Die Androhung von Konsequenzen und Bestrafungen werden hier als Beeinflussungsmittel von betroffenen Personen genutzt (vgl. Kähler & Zobrist, 2013, S. 40).

Soziale Arbeit mit unfreiwilligen Klienten erfolgt häufig in folgenden Tätigkeitsfeldern: in der Bewährungshilfe, im Strafvollzug, in der Vormundschaft, im Kinder- und Jugendschutz, in der Schuldnerberatung, in der Jugendgerichtshilfe, im Jugendamt, in der Jugendhilfe, in der Erziehungsbeistandschaft, in Drogen- und Suchtentzugskliniken etc. (vgl. Hesser, 2001, S. 25; vgl. Cecchin & Conen, 2007, S. 156). Beispiele für die unfreiwillig initiierte Inanspruchnahme von Angeboten sozialer Dienste sind u.a. der Besuch eines Straffälligen bei seinem Bewährungshelfer, die Teilnahme eines Drogenabhängigen an einer Drogenberatung aufgrund einer gerichtlichen Anordnung oder auch die Unterbringung eines Kindes im Kinderheim entgegen der elterlichen Proteste (vgl. Trotter, 2001, S. 100).

3. Zwangssituationen in sozialen Diensten

Zwang kann zwar helfen, überhaupt einen Kontakt mit Klienten zu ermöglichen und somit auch Klienten für Hilfen zu erreichen, die diese andernfalls niemals erhalten hätten, jedoch bringt die Arbeit im Zwangskontext einige Phänomene mit sich, die das professionelle Agieren als äußerst schwierig gestalten (vgl. Hampe-Grosser, 2003, S. 158; vgl. Cecchin & Conen, 2007, S. 74 & 97). Das folgende Kapitel beschäftigt sich daher mit der Frage, was passiert, wenn Kontakte zwischen professionellen Akteuren der Sozialen Arbeit und ihren jeweiligen Klienten infolge von Außendruck stattfinden? Hierbei bezieht sich die Ausführung sowohl auf die Situation der Klienten als auch auf die der Professionellen mit Blick auf mögliche Verhaltensweisen, Reaktionen, Herausforderungen, Schwierigkeiten und Problematiken, die auf beiden Seiten durch das Agieren im Zwangskontext auftreten können.

3.1 Situation des Klienten

Da die Inanspruchnahme von sozialen Dienstleistungen im Zwangskontext aufgrund der Anweisung durch andere Menschen oder auch durch gesetzliche Vorgaben mit Androhung von empfindlichen Konsequenzen erfolgt, werden solche Klienten häufig als „Pflichtklientschaft“ oder als „unfreiwillige Klienten“ bezeichnet (vgl. Trotter, 2001, S. 101; vgl. Kähler & Zobrist, 2013, S. 26). Diese Art von Klienten bitten nicht eigenständig um Hilfe, sind schwierig zu erreichen und meist mit zahlreichen und vielfältigen Problemlagen belastet (vgl. Hesser, 2001, S. 25).

Der Empfang von Hilfe- und Unterstützungsleistungen, welche nicht durch eine Person selbst erwünscht bzw. eingefordert werden, sind für den Betroffenen mit der Entstehung einiger Schwierigkeiten verbunden (vgl. Cecchin & Conen, 2007, S. 95). Klienten in Zwangskontexten sind nicht nur mit dem Druck durch außenstehende Personen oder der möglichen Drohung mit rechtlichen Maßnahmen, sondern auch mit dem eventuellen Verlust persönlicher Ressourcen und Privilegien konfrontiert (vgl. Schone, 2002, S. 952; vgl. Cecchin & Conen, 2007, S. 74). Durch von außen verordnete Eingriffe in die eigene Lebenswelt, wie es bei fremdinitiierten Kontaktaufnahmen der Fall ist, kommt es zu Einschränkungen der persönlichen Entscheidungs- und Handlungsspielräume der betroffenen Menschen. Erzwungene Hilfeleistungen gelten demzufolge als starke Eingrenzung der Autonomie des Klienten. Es erscheint daher als nicht verwunderlich, dass bei Menschen in Situationen die von außen angeordnet wurden, mit äußerst massiven Reaktionen zu rechnen ist (vgl. Kähler & Zobrist, 2013, S. 50f. & 71). Solche Reaktionen können sich in ausgesprochen differenten Verhaltensweisen der Klienten ausprägen.

Damit sich der Mensch auf eigene Weise entfalten und verhalten kann, gelten die Existenz von Freiheit, die Vorstellung von Unabhängigkeit und das Fehlen von Zwang als unerlässlich (vgl. Dickenberger, 1979, S. 4; vgl. Raab et. al., 2010, S. 65f.). Gerade der Einsatz von Zwang und Druck, um Menschen in Zwangskontexten dazu zu bringen, gewisse Dinge zu tun, löst jedoch häufig Gegenreaktionen und die Ausbildung von Reaktanz aus (vgl. Hesser, 2001, S. 29; vgl. Cecchin & Conen, 2007, S. 88). Reaktanz gilt als innerer Widerstand und stellt eine typische Handlungs- und Verhaltensweise bei Klienten dar, die eine Sozialeinrichtung nicht aus Eigeninitiative aufgesucht haben (vgl. Mayer & Werth, 2008, S. 253; vgl. Kähler & Zobrist, 2013, S. 50f.). Als reaktantes Verhalten gelten Handlungsmuster, die den Veränderungsprozess von Klienten be- oder sogar verhindern. Dazu gehören beispielsweise Verhaltensweisen wie das Argumentieren, das Unterbrechen, das Negieren, das Ignorieren, das Nichteinhalten von Bedingungen, Manipulationsstrategien, oberflächliche Kooperationen, offene Feindseligkeiten, fehlende Terminwahrnehmungen, kindisches oder vermeidendes Verhalten etc. (vgl. Cecchin & Conen, 2007, S. 84; vgl. Klug & Zobrist, 2016, S. 81f.). Die Reaktanz-Theorie bezeichnet eine übliche Reaktion von Pflichtklienten auf die von außen vorgenommene Drohung vom Verlust und der Einschränkung der persönlichen Entscheidungsoptionen, Handlungsfreiheit und ebenso der Autonomie, die vom Individuum als äußerst bedeutsam erfahren werden (vgl. Hesser, 2001, S. 29). Es liegt die Annahme vor, dass sich diese Menschen bei Bedrohung ihrer Freiheit gegen die empfundenen Beeinflussungen und Eingriffe in ihre persönliche Lebenswelt auflehnen (vgl. ebd.). Reaktanz, welche auch als Abwehrreaktion bezeichnet werden kann, beinhaltet demnach die Neigung, den Ratschlägen und Empfehlungen professioneller Helfer zu widerstehen, um befürchtete Einschränkungen von bestimmten Freiheiten abzuwehren oder die eigene Autonomie zu verteidigen bzw. wiederherzustellen. Durch entsprechende Abwehrreaktionen unternehmen Pflichtklienten folglich den Versuch, ihre Autonomie und Freiheit trotz von außen auferlegter Veränderungsanforderungen so wenig wie nur möglich einschränken zu lassen (vgl. Conen, 2007, S. 83; vgl. Mayer & Werth, 2008, S. 253f.). Die Ausprägung des reaktanten Verhaltens ist abhängig davon, wie unberechtigt, gravierend und umfassend diese Einschränkungen durch die Klienten erlebt und eingeschätzt werden (vgl. Hartung, 2000, S. 67).

[...]

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Professionelles Handeln im Zwangskontext. Wie können Zwangssituationen in sozialen Diensten professionell bewältigt werden?
Hochschule
Universität Trier
Note
1,3
Jahr
2019
Seiten
33
Katalognummer
V506210
ISBN (eBook)
9783346047274
ISBN (Buch)
9783346047281
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Professionalität, Zwangskontext, professionelles Handeln
Arbeit zitieren
Anonym, 2019, Professionelles Handeln im Zwangskontext. Wie können Zwangssituationen in sozialen Diensten professionell bewältigt werden?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/506210

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