Brasilien unter der Präsidentschaft Cardosos. Wie erfolgreich waren seine ökomomischen Reformen und wie hat dies die brasilianische Demokratie beeinflußt?


Trabajo, 2002

21 Páginas, Calificación: 2,0


Extracto


Gliederung

Einleitung

1. Die politische Dynamik ökonomischer Reformen
1.1 Demokratiebegriff
1.2 Effekte ökonomischer Reformen auf Demokratie
1.3 Kritik

2. Wirtschaftspolitische Maßnahmen der Regierung Cardoso
2.1 Notwendigkeit und Grundlage der Reform
2.2 Wirtschaftspolitik unter Cardoso
2.3 Reaktionen in der Gesellschaft auf die Reformen

3. Strukturelle Zwänge in Brasilien
3.1 Ungleichheit
3.2 Öffentliche Sicherheit
3.3 Korruption
3.4 Mängel des politischen Systems

Zusammenfassung / Ergebnis

Literatur

Einleitung

In wenigen Tagen wird die Regierungszeit des Präsidenten von Brasilien, Fernando Henrique Cardoso, zu Ende gehen. In seiner Amtszeit fand die größte wirtschaftliche Transformation in der jüngeren Geschichte des südamerikanischen Riesenstaates statt. Es handelte sich dabei um eine Neuorientierung der brasilianischen Ökonomie, weg von einer binnenmarktorientierten, import- substituierenden Industrialisierung zu einem neoliberalen, weltmarktoffenen System. Diese Neuerungen hatten zwar schon unter seinen Vorgängern angefangen, sind nun aber erstmals umfassend verwirklicht worden.

Angesichts dessen, daß Brasilien erst vor kurzem, Mitte der achtziger Jahre, wieder zur Demokratie zurückkehrte, stellt sich aus politikwissenschaftlicher Sicht die Frage, inwiefern diese ökonomischen Reformen die demokratische Entwicklung des Landes beeinflußt haben.

Eine der bedeutensten Theorien zu diesem Thema stammt dabei von Adam Przeworski.1 Nach ihm sind solche Reformen und eine Demokratie nicht verträglich und das Scheitern einer der beiden wahrscheinlich. Diese Annahme soll für den Fall Brasiliens in der vorliegenden Arbeit untersucht werden. Dabei wird zunächst der Ansatz Przeworskis dargelegt werden, worauf kurz auf die Kritik an dieser Sichtweise eingegangen wird. Da nach der Meinung einiger Autoren die Handlungsmöglichkeiten der Akteure bei solchen Reformen auch durch die speziellen Zustände in einem Land beeinflußt werden, sollen auch diese hier genannt werden. Angesichts des Umfanges der Arbeit wird sich dabei auf die Phänomene der Ungleichheit, Unsicherheit, Korruption und den Mängeln des politischen Systems beschränkt, aber auch diese allein lassen schon eine Überprüfung der Theorie Przeworskis zu.

Neben der genannten Arbeit von Przeworski stützt sich die vorliegende Arbeit für die Wirtschaftspolitik im wesentlichen auf Meyer-Stamer, für die Reaktionen der Bevölkerung und die Eigenheiten Brasiliens auf die Werke von Hofmeister, Nolte2 und die zahlreichen aktuellen Berichte.

1. Die politische Dynamik ökonomischer Reformen

1.1 Demokratiebegriff

Die Definition Przeworskis von Demokratie fußt u.a. auf den Annahmen des Rational Choice. Dessen Grundüberlegung ist, daß alle sozialen Situationen auf individuelle Handlungen zurückgeführt werden können. Diese beruhen auf durch rationale Wahlen getroffene Entscheidungen. Eine rationale Wahl findet statt, wenn deren Entscheidungskriterium für eine bestimmte Handlungsalternative unter Abwägung aller Vor- und Nachteile den Präferenzen des Individuums am ehesten entspricht, also eine Nutzenmaximierung stattfindet.3

Als ein zentrales Merkmal von Demokratie sieht Przeworski deren Wettbewerbscharakter. Nach Schumpeter, auf den diese Sicht zurückgeht, ist Demokratie die Ordnung der Institutionen zur Erreichung politischer Entscheidungen, bei welcher Einzelne die Entscheidungsbefugnis vermittels eines Konkurrenzkampfes um die Stimmen des Volkes erwerben.4

Demokratie ist somit das institutionalisierte unsichere Ergebnis von Interessen- konflikten. Unsicherheit herrscht deshalb, weil das Ergebnis dieses Prozesses, trotz aller Einschränkungen durch Institutionen und den Ressourcen der konkurierenden Parteien, nicht vorhersehbar ist. Von einer stabilen, sich selbst tragenden Demokratie kann man nach ihm dann sprechen, wenn die politisch relevanten Kräfte den Konflikt um die Durchsetzung ihre Werte und Interessen diesem Zusammenspiel der demokratischen Institutionen mit unsicherem Ausgang unterordnen und die Resultate selbst bei einer Niederlage respektieren.5 Damit die Verlierer innerhalb des demokratischen Systems verbleiben, muß nach Przeworski zum einen für sie möglich sein, ihre Interessen dort auch weiterhin zu vertreten und es muß die Aussicht bestehen, daß sie diese irgendwann auch umsetzen können. Diesen Aspekt nennt Przeworski Fairness, was auch die Wahrung der Menschenrechte und den Schutz vor willkürlicher Gewalt für alle Teilnehmer umfasst. Zum anderen muß die Demokratie für die Verlierer besser sein als jede Zukunft unter einer undemokratischen Alternative, was er Effektivität nennt. Hierbei ist eine wichtige Dimension die ökonomischen Effizienz, was dann auch reale Möglichkeiten zur Verbesserung der materiellen Situation umfassen sollte.

Damit eine Demokratie stabil ist, muß die Regierung stark genug sein, um effektiv zu regieren und gleichzeitig so schwach, daß sie nicht wichtige Interessen anderer gesellschaftlicher Gruppen unterdrückt. Weiterhin wichtig ist hier auch die Erreichbarkeit einer undemokratischen Alternative zum jetzigen System .6

1.2 Effekte ökonomischer Reformen auf Demokratie

Dieses Demokratieverständnis vorausgesetzt stellt sich nach Przeworski nun die Frage, welche Auswirkungen eine strukturelle ökonomische Reform auf eine Demokratie hat und ob sie unter deren Bedingungen erfolgreich durchführbar ist. Entscheident sind dabei die ökonomischen Kosten einer solchen Änderung, denn nach Przeworski ist dabei eine zeitweise ökonomische Verschlechterung unver- meidbar. So wird bei einem Übergang von Protektionismus zu einem liberalen Modell bsp. die Inflation durch die Anpassung von regulierten Preisen an reele Marktpreise und die Abschaffung von Subventionen zunehmen. Weiterhin werden durch den zunehmenden Wettbewerb, der Verringerung des öffentlichen Sektors und auch die in der Inflation zunehmenden Forderungen nach Lohnerhöhungen viele Unternehmen zum Abbau von Überkapazitäten oder gar zur Schliessung gezwungen. So folgt eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit, Verringerung des Kapitalstocks und der Abnahme von ökonomischen Aktivitäten.7

Somit führt nach Przeworski eine ökonomische Strukturanpassung zu einem Rückgang der ökonomischen Leistungen eines Landes. Für die politischen Kräfte des Landes ergeben sich daraus für ihn drei Strategiemöglichkeiten. Neben der Möglichkeit, zur Vermeidung dieser Effekte gar keine Reformen durchzuführen ist eine radikale Schocktherapie möglich. Hier werden die wichtigsten Reformmaßnahmen auf einen Schlag eingeführt. Die Folge sind hohe Kosten der Veränderungen bei einer schnellen Erholung der Wirtschaft. Die dritte Möglichkeit ist eine graduelle Strategie, in der die Reformmaßnahmen nach und nach eingeführt werden. So sind niedrigere Transformationskosten zu erwarten, aber es dauert auch länger, bis sich die Wirtschaft wieder erholt hat.

Welche dieser Optionen gewählt wird, hängt von den drei Akteuren Technokraten, Bevölkerung und Regierung ab. Dabei drängen die Technokraten, welche die Reformen entwerfen, auf eine schnelle und genaue Umsetzung ihrer Vorschläge, um die Kosten zu minimieren und eine stabile Ökonomie möglichst schnell zu erreichen. So und durch die Probleme, die aus der noch unreformierten Wirtschaft entstehen, werden die Politiker der Regierung zu schnellen Veränderungen gedrängt. Gleichzeitig müssen sie als rationale Akteure auch die sozialen Kosten der wirtschaftlichen Veränderungen fürchten Wenn es in deren Folge zu Unmut in der Bevölkerung kommt, ist ihre Wiederwahl gefährdet. So ist für Przeworski die wahrscheinlichste Strategie, daß die Politiker im Wahlkampf die sozialen Kosten der Reformen verharmlosen oder sich sogar gegen Neuerungen aussprechen, um dann nach der Wahl diese unter dem Druck der ökonomischen Realität doch einzuführen. Dann versuchen sie diese möglichst schnell durchzuführen, um sie bis zur nächsten Wahl abzuschliessen. Die Meinung der Bevölkerung hängt von deren Erwartungen bezüglich der Zukunft ab. Desto optimistischer sie sind, desto radikaler können die Reformen sein.

Przeworski geht davon aus, daß im Laufe der Reformen das allgemeine Vertrauen in ihren Erfolg schwindet und der Widerstand in Bevölkerung und politischer Opposition zunehmen wird. Dadurch wird die Regierung zu einer weniger soziale Kosten verursachende Strategie gezwungen, bis nach Neuwahlen eine andere Regierung wieder den radikalen Weg verfolgt. Eine Folge aus dieser Entwicklung ist, daß jede Regierung versuchen wird, so viele Reformen wie möglich durchzusetzen, bevor der Widerstand zu groß wird.8

Eine weitere Folge ist auch, daß solche Reformen die politische Lage in dem jeweiligen Land allgemein destabilisiert, wie weit dies geht, hängt von der Situation und dem Verhalten der politischen Kräfte wie Parteien oder Gewerkschaften ab. Wenn sie stark und gegen die Reformen sind, wird eine Destabilisierung wahrscheinlicher, bei Schwäche oder Unterstützung derselben unwahrscheinlicher.

Der aber immer zu erwartende Druck der Opposition wird die die Reformen vorantreibende Regierung zum Handeln zwingen. Wählt sie dabei den Weg der Verhandlungen, muß sie eventuell Kompromisse machen, die den Erfolg der Reformen gefährden könnten. Da die jeweilige Regierung aber von dem Erfolg ihrer Reformen überzeugt ist, ist es oft so, daß sie den Weg der diskussionslosen Dekrete wählt oder versucht, die Opposition zu schwächen. Beides ruft wieder Widerstand und dann meist ein Einlenken hervor. Dieser politische Schlingerkurs wird dann als Konzeptionslosigkeit und mangelnde Durchsetzungskraft wahrgenommen, der Staat erscheint als die Hauptquelle der ökonomischen Misere.9 Die Konsequenz der von Przeworski so genannten „voodoo politics“, wo immer neue magische Formeln für eine Reform von den politischen Kräften präsentiert werden, ist ein Vertrauensverlust der Bevölkerung. Die Opposition wird schlecht behandelt, wenn versucht wird, die Reformen per Dekret ohne Konultationen an ihr vorbei einzuführen oder bei stattfindenden Verhandlungen nur die Zustimmung zu bereits festgelegten Reformen gefordert wird. So tritt eine insgesamte Schwächung der Demokratie ein, was sich durch eine weitere Verfolgung der ökonomischen Reformen noch verstärken kann, bis schließlich der Punkt erreicht werden kann, wo man entweder die Reformen oder die repräsentativen Institutionen aufgeben muß.10

Für Przeworski ergibt sich somit aus der politischen Dynamik ökonomischer Reformen ein negativer Effekt für die Demokratie, da dabei ein Konflikt zwischen den Anforderungen der Fairness und der Effektivität des demokratischen Systems auftritt. Es tritt eine politische Destabilisierung ein, die die Neigung der Akteure verstärkt, ihre Konflikte außerhalb der demokratischen Institutionen auszutragen.11

1.3 Kritik

Przeworskis Annahmen haben in der politikwissenschaftlichen Diskussion auch Kritik hervorgerufen. Eine der wichtigsten davon betrifft die mangelnde Berücksichtigung des Kontextes, in dem die Akteure handeln. Przeworski konzentrierte sich auf den vollständig informierten und uneingeschränkt zweckrationalen „homo oeconomicus“ seines rational-choice-Ansatzes. So wird aber laut seinen Kritikern die jeweilige Situation und das Umfeld mit deren ökonomischen, externen, strukturellen, institutionellen und sonstigen Zwängen, in dem der Akteur handelt und die nicht von seinem rationalen Willen abhängen, vernachlässigt. Diese Zwänge aber beschränken einerseits den Handelnden sowohl in der Anzahl als auch in der Wahl seiner möglichen Handlungsoptionen. Gerade in Lateinamerika bestand bsp. in der Folge der Verschuldungskrise der ökonomische Zwang zu einem Wechsel des Wirtschaftssystems, somit war dort die Bewahrung des status-quo keine Handlungsalternative. Andererseits können diese Zwänge, vor allem, wenn sie als Institutionen eines Landes auftreten, ganz neue Möglichkeiten des Umganges mit Krisen eröffnen.12

2. Wirtschaftspolitische Maßnahmen der Regierung Cardoso

2.1 Notwendigkeit und Grundlage der Reform

Die wirtschaftpolitischen Änderungen in Brasilien war durch das Scheitern der Entwicklungsstrategie der importsubstituierenden Industrialisierung (kurz : ISI) notwendig geworden. Diese war in ganz Lateinamerika, nach einem Konzept der UN-Wirtschaftkommision für Lateinamerika und der Karibik (CEPAL), seit den dreissiger und vierziger Jahren angewandt worden. Man hatte auf eine staatlich gelenkte Industrialisierung und einen Protektionismus für die dortigen Märkte gesetzt. In diesen Ländern kam es aber ab den sechziger Jahren zunehmend zu einer Stagnation. Gründe dafür waren u.a. ein Rückgang der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft aufgrund der Subventionen und zu große und defizitäre öffentliche Sektoren. Unter der Herrschaft der Militärs in den Siebzigern kam noch eine Überschuldungskrise hinzu. So entschied man sich nach dem Rückkehr zur Demokratie Ende der achtziger Jahre zu ökonomischen Reformen.13

Grundlage waren dabei neoliberale Konzepte. Diese Theorierichtung hatte sich seit den siebziger Jahren international durchgesetzt und wird auch von den internationalen Finanzorganisationen, wie bsp. der Internationale Währungsfond (IWF) oder der Weltbank vertreten. So wurde externer Druck in Form von Stabilisierungs- und Strukturanpassungsprogrammen zur Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit auf Brasilien ausgeübt. Diese Maßnahmen sind der Inhalt des sogenannten „Washingtoner Konsenses“, er umfasst folgende Forderungen :

Es soll zunächst eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben und des öffentlichen Defizits geben, was durch ein Ende von wahlosen Subventionen und einer gezielten Förderung zukunftsträchtiger Projekte wie bsp. Infrastruktur erreicht werden soll. Eine Steuerreform soll ein gerechtes Steuersystem schaffen, eine Liberalisierung des Finanzwesens den staatlichen Einfluß auf die Höhe der Zinsraten beenden und der Wechselkurs der Währungen soll freigegeben werden.

[...]


1 Przeworski, Democracy.

2 Hofmeister, Nolte.

3 Muno, S.17.

4 Przeworski, Democracy, S.10; Schumpeter, S.428.

5 Przeworski, Democracy, S.12-14.; Przeworski, Spiel, S.190.

6 Przeworski, Democracy ,S.32f., 37 ; Muno, S.19f.

7 Przeworski, Democracy, S.136, 152f.

8 Przeworski, Democracy, S.162ff.

9 Przeworski, Democracy, S.180,186 ; Muno, S.25f.

10 Przeworski, Democracy, S.186f.

11 Muno, S.27f.

12 Sangmeister (1995), S.228; Karl, S.7; Muno, S.76, 80.

13 Werz, S.37-39, 45, 48-50; Meyer-Stamer, S.4.

Final del extracto de 21 páginas

Detalles

Título
Brasilien unter der Präsidentschaft Cardosos. Wie erfolgreich waren seine ökomomischen Reformen und wie hat dies die brasilianische Demokratie beeinflußt?
Universidad
Johannes Gutenberg University Mainz  ( Institut für Politikwissenschaft)
Curso
Hauptseminar 'Demokratie und ökonomische Reformen in Lateinamerika'
Calificación
2,0
Autor
Año
2002
Páginas
21
No. de catálogo
V50682
ISBN (Ebook)
9783638468596
ISBN (Libro)
9783640300983
Tamaño de fichero
478 KB
Idioma
Alemán
Notas
Gegenstand dieser Arbeit ist der Einfluß ökonomischer Reformen auf die demokratische Entwicklung eines Staates am Beispiel Brasiliens unter der Präsidentschaft Cardosos.
Palabras clave
Brasilien, Präsidentschaft, Cardosos, Reformen, Demokratie, Hauptseminar, Reformen, Lateinamerika“
Citar trabajo
M. A. Jochen Lehnhardt (Autor), 2002, Brasilien unter der Präsidentschaft Cardosos. Wie erfolgreich waren seine ökomomischen Reformen und wie hat dies die brasilianische Demokratie beeinflußt?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50682

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