Das Gewaltschutzgesetz. Zweck, Analyse, Evaluation


Seminararbeit, 2019

31 Seiten, Note: 12


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Das Gewaltschutzgesetz – Zweck, Analyse, Evaluation 1

A. Einleitung

B. Gegenstand der Analyse und Evaluation: Das Gewaltschutzgesetz
I. Inhalt des Gewaltschutzgesetzes
1. Schutzanordnungen (§ 1 GewSchG)
a) Schutzanordnungen bei bestimmten Verletzungen oder Drohung damit (§ 1 I, ggf. i. V. m. II Nr. 1 GewSchG)
b) Schutzanordnungen bei Eindringen in die Wohnung oder befriedetes Besitz- tum eines anderen oder bei bestimmten unzumutbaren Belästigungen (§ 1 II Nr. 2 a) oder b) i. V. m. I GewSchG)
c) Vorübergehender Zustand der Unzurechnungsfähigkeit (§ 1 III GewSchG)
2. Wohnungszuweisung (§ 2 GewSchG)
3. Strafbewehrung bei Zuwiderhandlung (§ 4 GewSchG)
4. Geltungsbereich und Konkurrenzen (§§ 3, 4 S. 2 GewSchG)
II. Gesetzeszweck
1. Oberziel: Verringerung von Gewalt und unzumutbaren Belästigungen durch Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes
2. Unterziel I: Schaffung von Rechtssicherheit bezüglich zivilgerichtlicher Schutzanordnungen und Wohnungszuweisungen (§§ 1, 2 GewSchG)
3. Unterziel II: Effektive Durchsetzung durch Strafbewehrung (§ 4 GewSchG)
III. Zwischenbetrachtung

C. Evaluation des GewSchG 6
I. Durchführung der Evaluation
II. Unterziel I: Schaffung von Rechtssicherheit bezüglich zivilgerichtlicher Schutzanordnungen und Wohnungszuweisungen
1. Maßnahme I: Schaffung einer klaren Rechtsgrundlage für Schutzanordnungen bei bestimmten Verletzungen und der Drohung damit (§ 1 I, ggf. i. V. m. II Nr. 1 Gew-SchG)
a) Befunde
aa) Kein Schutz der sexuellen Selbstbestimmung
bb) Probleme in der Beweiserbringung
cc) Erfolg des Antrags
dd) Effektivität der Maßnahmen
b) Einflussfaktoren
aa) Antragstellung
(1) Einleitung
(2) Bekanntheits- und Informationsgrad
(3) Hindernisse auf Seite der Antragsteller
(4) Hindernisse auf Seite der Institutionen
(5) Ergebnis
bb) Geschlecht
cc) Kindeswohl
c) Auswertung und Verbesserungsbedarf
2. Maßnahme II: Schaffung einer klaren Rechtsgrundlage für Schutzanordnungen bei Eindringen in die Wohnung oder befriedetes Besitztum eines anderen sowie bei be- stimmten unzumutbaren Belästigungen (§ 1 II Nr. 2 a) und b) i. V. m. I GewSchG)
a) Unterschied zu § 238 StGB
b) Befunde
aa) Befristung
bb) Probleme in der Beweiserbringung
cc) Erfolg des Antrags
dd) Effektivität der Maßnahme
c) Auswertung
3. Maßnahme III: Schaffung einer klaren Rechtsgrundlage für die Wohnungsüberlas-sung (§ 2 GewSchG)
a) Befunde
aa) Einbezug nichtehelicher Lebensgemeinschaften und -partnerschaften
bb) Gesteigerte Situationsangemessenheit
cc) Gefahr des Missbrauchs
dd) Probleme in der Beweiserbringung
ee) Erfolg des Antrags
ff) Effektivität
b) Einflussfaktor: Beantragung einer Wohnungszuweisung nach § 1361b BGB
c) Auswertung und Verbesserungsbedarf
III. Unterziel II: Effektive Durchsetzung durch Strafbewehrung (§ 4 GewSchG)
1. Befunde
a) Hohes Interesse der Opfer an Sanktionierung
b) Forderung nach Erhöhung des Strafrahmens
c) Fehlende Koppelung mit § 1 GewSchG
d) Probleme in der Beweiserbringung
e) Erfolg des Antrags
f) Effektivität
aa) Verstöße bei mehr als einem Drittel der Fälle
bb) Vergleich mit § 238 StGB
2. Auswertung
IV. Oberziel: Verringerung von Gewalt und unzumutbaren Belästigungen
1. Wirkung des GewSchG auf den Täter
2. Verringerung von Gewalt und unzumutbaren Belästigungen in Zahlen
a) Viktimisierungsgrad von Frauen
b) Viktimisierungsgrad von Männern, homosexuellen Personen und Pflegebe-dürftigen
3. Auswertung

D. Fazit

Literaturverzeichnis

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Das Gewaltschutzgesetz – Zweck, Analyse, Evaluation

A. Einleitung

Das Gewaltschutzgesetz (im Folgenden: GewSchG) trat 2002 infolge der wahrgenommenen Zunahme von Gewalt und Stalking sowie weltweiter politischer Bestrebungen zum Schutze der Frauen[1] in Kraft. Auch wenn das GewSchG beide Geschlechter schützt, so fußte es auf dem Umstand, dass Gewalt gegen Frauen v. a. im häuslichen Bereich lange als untrennbares Verhältnis der Geschlechter hingenommen wurde. Die Polizei beschränkte sich meist auf Streitschlichtung. Frauen konnten nur in Frauenhäusern Schutz suchen. Mit dem GewSchG sollten Betroffene nun einen verbesserten zivilgerichtlichen Schutz bei wiederholter Gewalt und unzumutbaren Belästigungen erfahren.[2]

Aufgabe dieser Arbeit ist es, die einzelnen Maßnahmen des GewSchG zu analysieren und zu evaluieren, inwieweit der Gesetzgeber seine mit dem GewSchG gesetzten Ziele erreichen konnte und inwieweit Verbesserungsbedarf besteht. Im ersten Teil der Arbeit werden der Inhalt (B. I.) und Zweck (B. II.) des GewSchG vorgestellt. Im zweiten Teil der Arbeit wird erläutert, wie die weitere Analyse und Evaluation durchgeführt wird (C. I.). Danach werden die einzelnen Schutzmaßnahmen (C. II.) sowie die Strafbewehrung (C. III.) analysiert und evaluiert. Zum Schluss wird untersucht, ob wiederholte Gewalt und unzumutbare Belästigungen sich in den letzten Jahren verringert haben (C. IV.).

B. Gegenstand der Analyse und Evaluation: Das Gewaltschutzgesetz

Das GewSchG ist als Teil des „Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung“ am 1.1.2002 in Kraft getreten[3]. Das vier Paragraphen umfassende Gesetz beinhaltet v. A. verfahrensrechtliche Grundlagen für Schutzanordnungen (§ 1 GewSchG) und Wohnungszuweisungen (§ 2 GewSchG) bei Gewaltanwendungen, der Drohung damit oder unzumutbaren Belästigungen sowie eine Strafbewehrung (§ 4 GewSchG) bei Zuwiderhandlungen gegen Schutzmaßnahmen und Vergleiche.

I. Inhalt des Gewaltschutzgesetzes

1. Schutzanordnungen (§ 1 GewSchG)

a) Schutzanordnungen bei bestimmten Verletzungen oder Drohung damit (§ 1 I, ggf. i. V. m. II Nr. 1 GewSchG)

Gemäß § 1 I 1 GewSchG hat das Gericht, wenn eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen Person widerrechtlich verletzt hat, auf Antrag der verletzten Person die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlich sind. Dies gilt entsprechend, wenn der Person mit der Verletzung gedroht wurde (§ 1 II 1 Nr. 1 GewSchG).

Bei § 1 (und auch § 2) GewSchG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Vorschrift. Die materiell-rechtliche Grundlage eines nach § 1 GewSchG durchsetzbaren Anspruchs ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung von §§ 823, 1004 BGB auf die in § 1 GewSchG genannten Rechtsgüter Körper, Gesundheit und Freiheit.[4]

§ 1 I GewSchG erfordert eine Wiederholungsgefahr. Bei einmaliger Gewaltanwendung[5] wird diese tatsächlich vermutet[6], bei einer Drohung müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen[7]. Kennen Täter und Opfer sich kaum, werden diese schwer zu begründen sein. Die Annahme der Wiederholungsgefahr zu widerlegen, obliegt dem Täter (sog. Beweislastumkehr)[8].

In § 1 I 3 GewSchG ist beispielhaft der Inhalt von Schutzmaßnahmen aufgelistet. Das Gericht kann z. B. anordnen, dass der Täter es zu unterlassen hat, die Wohnung der verletzten Person zu betreten (Nr. 1; sog. Betretungsverbot), sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten (Nr. 2; sog. Näherungsverbot), andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält (Nr. 3; sog. erweitertes Näherungsverbot)[9], Verbindung zur verletzten Person aufzunehmen (Nr. 4; sog. Kontaktverbot) oder Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen (Nr. 5; sog. Verbot, mit der verletzten Person Zusammentreffen herbeizuführen). Für alle Schutzanordnungen gilt die Einschränkung, dass sie keine Handlungen untersagen dürfen, die zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich sind (§ 1 I 3 a. E. GewSchG). Ein berechtigtes Interesse ist z. B. die Durchführung des Umgangsrechts mit gemeinsamen Kindern[10].[11]

b) Schutzanordnungen bei Eindringen in die Wohnung oder befriedetes Besitztum eines anderen oder bei bestimmten unzumutbaren Belästigungen (§ 1 II Nr. 2 a) oder b) i. V. m. I GewSchG)

§ 1 II 1 Nr. 2 GewSchG erweitert den Erlass von Schutzanordnungen auf die Fälle, in denen eine Person widerrechtlich und vorsätzlich in die Wohnung einer anderen Person oder deren befriedetes Besitztum eindringt (Nr. 2 a)) oder eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass sie ihr gegen ihren ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt (Nr. 2 b)). Dabei muss die belästigte Person gegenüber dem Täter ausdrücklich erklärt haben, die Kontaktaufnahme, die Nachstellung oder das Verfolgen nicht zu wollen. Eine unzumutbare Belästigung liegt nicht vor, wenn die Handlung des Täters der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient (§ 1 II 2 GewSchG a. E.).[12]

c) Vorübergehender Zustand der Unzurechnungsfähigkeit (§ 1 III GewSchG)

Der Gesetzgeber wollte auch solche Fälle geschützt sehen, in denen der Täter sich in einen vorübergehenden Zustand der Unzurechnungsfähigkeit versetzt[13]. Nach § 1 III GewSchG kann das Gericht Schutzanordnungen auch dann verhängen, wenn der Täter die Taten nach Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 S. 1 in einem vorübergehenden Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begangen hat, in den er sich durch den Konsum von Alkohol oder anderer berauschender Mittel versetzt hat.

2. Wohnungszuweisung (§ 2 GewSchG)

Mit der Schutzanordnung nach § 1 I 1, ggf. i. V. m. III GewSchG kann gleichzeitig eine Wohnungsüberlassung nach § 2 GewSchG ausgesprochen werden. Danach kann die verletzte Person vom Täter verlangen, ihr die gemeinsam genutzte Wohnung zur alleinigen Benutzung zu überlassen, wenn die verletzte Person und der Täter zum Zeitpunkt der Tat einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt geführt haben (§ 2 I GewSchG). Darunter fallen Ehepartner, homo- und heterosexuelle Partnerschaften sowie „Lebensgemeinschaft[en], die auf Dauer angelegt [sind], keine weiteren Bindungen gleicher Art [zulassen] und sich durch innere Bindungen [auszeichnen], die ein gegenseitiges Füreinandereinstehen begründen und die über eine reine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen“[14]. Nach § 2 VI 1 GewSchG kann die verletzte Person einen Anspruch auf Wohnungsüberlassung auch bei einer Drohung mit Verletzungen nach § 1 I GewSchG durchsetzen, wenn dies erforderlich ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Insb. gelte dies bei einer Gefährdung des Kindeswohls (§ 2 VI 2 GewSchG). Die Wohnungsüberlassung ist ggf. auf maximal ein Jahr zu befristen (§ 2 II GewSchG).[15]

3. Strafbewehrung bei Zuwiderhandlung (§ 4 GewSchG)

Nach § 4 S. 1 Nr. 1 GewSchG macht sich strafbar, wer einer vollstreckbaren Anordnung nach § 1 I 1 GewSchG, ggf. i. V. m. II 1 GewSchG zuwiderhandelt. Es macht sich nach § 4 S. 1 Nr. 2 GewSchG auch strafbar, wer der vollstreckbaren Verpflichtung aus einem Vergleich zuwiderhandelt, soweit der Vergleich nach § 214 a S. 1 FamFG i. V. m. § 1 I 1 oder 3, jeweils auch i. V. m. § 1 II 1 GewSchG, bestätigt worden ist. Zuwiderhandlungen können mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe sanktioniert werden. § 4 GewSchG ist ein Offizialdelikt, d. h. es wird von Amts wegen verfolgt[16].

4. Geltungsbereich und Konkurrenzen (§§ 3, 4 S. 2 GewSchG)

Die Vorschriften des GewSchG gelten nicht im Verhältnis des Verletzten zu dessen Eltern oder anderen sorgeberechtigten Personen (§ 3 I GewSchG). Dort gelten die allgemeinen Vorschriften für Sorgerechts-, Vormundschafts- oder Pflegschaftsverhältnisse. Das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung wurde ein Jahr zuvor im BGB verankert[17]. Weitergehende Ansprüche der verletzten Person sowie die Strafbarkeit des Täters nach anderen Vorschriften bleiben gem. § 3 II und § 4 S. 2 GewSchG unberührt.

II. Gesetzeszweck

1. Oberziel: Verringerung von Gewalt und unzumutbaren Belästigungen durch Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes

Gesetzeszweck des GewSchG ist die Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und unzumutbaren Belästigungen. Als Grund nennt der Gesetzgeber die Zunahme von Gewalttaten insb. im häuslichen Umfeld. Von dieser seien v. a. Frauen und Kinder betroffen. Auch nähme das Maß an Eingriffen in die Privatsphäre der Bürger zu, das sich in unzumutbaren Belästigungen wie ständigem Verfolgen und Nachstellen („stalking“) äußere. Langfristig sollten die Maßnahmen des GewSchG zur Schaffung eines Klimas beitragen, in dem „Gewalt in jedweder Form, insbesondere auch die gegen Frauen und Kinder, geächtet ist“.[18]

2. Unterziel I: Schaffung von Rechtssicherheit bezüglich zivilgerichtlicher Schutzanordnungen und Wohnungszuweisungen (§§ 1, 2 GewSchG)

Vor Inkrafttreten des GewSchG herrschte ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit im zivilrechtlichen Umgang mit Gewalt und unzumutbaren Belästigungen[19]. So gab es zwar einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch gem. §§ 12, 862, 1004 i. V. m. 823 BGB analog bzgl. weiterer Gewalttaten, Drohungen oder Belästigungen, doch wurde er von Gerichten unterschiedlich angewendet. Schutzanordnungen wurden selten ausgesprochen. Zudem waren die präventiven Schutzmöglichkeiten der Polizei unzureichend und konnten die Gefährdung des Opfers nur kurzfristig verhindern. Diese Lücke sollte das GewSchG durch eine eigene gesetzliche Grundlage für zivilrechtliche Abwehr- und Unterlassungsansprüche schließen (§ 1 GewSchG).[20]

Mit § 2 GewSchG wollte der Gesetzgeber eine klare Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Wohnungsüberlassung bei Gewalttaten in häuslichen Gemeinschaften sowohl inner- als auch außerhalb der Ehe[21] nach dem Vorbild von § 1361b BGB, jedoch mit Abschaffung der Schwelle der „schweren Härte“ (§ 1361b I 1 BGB a. F.), schaffen.[22]

3. Unterziel II: Effektive Durchsetzung durch Strafbewehrung (§ 4 GewSchG)

Die effektive Durchsetzung der Schutzanordnungen sollte dadurch gewährleistet werden, dass der Verstoß gegen ebensolche mit Strafe bewehrt werde. Die Durchsetzung allein mit den Mitteln der Zwangsvollstreckung könne diesen Schutz nicht gewährleisten.[23]

III. Zwischenbetrachtung

Aufgrund der wahrgenommen Zunahme von wiederholter Gewalt und Stalking möchte der Gesetzgeber Betroffenen mit dem GewSchG einen verbesserten zivilgerichtlichen Schutz bieten. Nach dem GewSchG können Schutzmaßnahmen wie Kontakt- und Näherungsverbote bei sich wiederholenden Verletzungen von Körper, Gesundheit oder Freiheit eines anderen sowie bei der Drohung damit angeordnet werden. Maßnahmen können auch nach dem Eindringen in die Wohnung oder befriedetes Besitztum eines anderen sowie bei unzumutbaren Belästigungen in Form von wiederholten Nachstellungen ergriffen werden. Zur effektiven Durchsetzung dieser Maßnahmen sind Zuwiderhandlungen mit Strafe bewehrt. Des Weiteren kann der Verletzte verlangen, dass ihm die mit dem Täter gemeinsam genutzte Wohnung für eine bestimmte Zeit überlassen wird.

C. Evaluation des GewSchG

I. Durchführung der Evaluation

Evaluationen nach Inkrafttreten eines Gesetzes dienen dazu, Informationen sowohl über den Zielerreichungsgrad als auch über intendierte und nicht-intendierte Wirkungen einer rechtlichen Regelung zusammenzutragen und zu bewerten. In der Evaluation des GewSchG werden kritische Stellungnahmen analysiert sowie Befunde aus der empirischen Forschung zu Stärken und Schwächen sowie der Wirksamkeit des GewSchG betrachtet (Unterkapitel „Befunde“). Faktoren, die daneben die Wirksamkeit des GewSchG beeinflussen, werden unter den Gliederungspunkten „Einflussfaktoren“ erläutert. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden in den Unterkapiteln „Auswertung [und ggf. Verbesserungsbedarf]“ zusammengefasst und bewertet. Am Ende des Kapitels wird hinterfragt, ob Gewalt und unzumutbare Belästigungen sich in den letzten 15 Jahren verringert haben.[24]

II. Unterziel I: Schaffung von Rechtssicherheit bezüglich zivilgerichtlicher Schutzanordnungen und Wohnungszuweisungen

1. Maßnahme I: Schaffung einer klaren Rechtsgrundlage für Schutzanordnungen bei bestimmten Verletzungen und der Drohung damit (§ 1 I, ggf. i. V. m. II Nr. 1 GewSchG)

a) Befunde

2017 war § 1 GewSchG in 38.978 Fällen Gegenstand von erledigten Verfahren[25] und betrug damit einen Anteil von 6,6 % an allen erledigten Verfahren vor den Familiengerichten.[26] Laut einer Aktenanalyse 2004 hatten ca. 44 % der Anträge Näherungs- oder Kontaktverbote sowie Verbote konkreter Handlungen zum Gegenstand[27]. Weitere 25 % wurden mit Wohnungszuweisungen kombiniert[28].

aa) Kein Schutz der sexuellen Selbstbestimmung

Nachdem seit 2016 die sexuelle Belästigung in § 184i StGB strafbar ist, plädieren alle Landesjustizminister dafür, den Schutz des § 1 GewSchG auf die sexuelle Selbstbestimmung auszudehnen[29]. Die bisherige Qualifikation als Bagatelldelikt sei der Tragweite der Tat und der Auswirkungen für das Opfer in vielen Fällen nicht angemessen. Aufgrund der psychischen Folgen, die z. B. bei mehreren Gelegenheiten wiederholte Berührungen im Genitalbereich[30] für das Opfer haben, ist durchaus zu verstehen, dass Opfer entsprechenden Schutz vor weiteren Begehungen erfahren sollten. Ob Anträge nach dieser Norm jedoch einen großen Anteil in zukünftigen Gewaltschutzverfahren haben werden, bleibt abzuwarten. 2017 wurden lediglich 530 Personen nach § 184i StGB verurteilt[31]. Bis das BMJV, das diese Forderung gerade prüft, ggf. umsetzt, steht dem Opfer neben den Normen nach dem StGB zumindest ein allgemeiner zivilrechtlicher Unterlassungstatbestand zur Verfügung.[32]

bb) Probleme in der Beweiserbringung

Gewaltschutzverfahren werden wegen erleichterter Verfahrensregelungen[33] meist im Eilverfahren geführt. 2017 ergingen 35.750 einstweilige Anordnungen nach § 1 GewSchG und stellten damit 92 % aller Verfahren nach diesem Paragraphen[34]. Bei Eilverfahren muss Richtern aufgrund der Kürze meist eine eidesstattliche Versicherung genügen. So ist die Zahl der eidesstattlichen Versicherungen seit 1995/96 um 20 Prozentpunkte auf 82,6 % 2004 gestiegen[35]. Kommt es dennoch zu einer Hauptverhandlung, bemängelt Fauth-Engel, dass oft weder ärztliche Atteste noch Polizeiberichte oder Zeugen angeführt würden. So wurde der Polizeibericht 2004 nur in 23, 1 % der Fälle, ärztliche Atteste in einem Drittel der Fälle und Zeugen in 21 % der Fälle angeführt[36]. Auf dieser Grundlage könnten Richter ihre Entscheidung nicht mit objektivierbarem Anknüpfungspunkt treffen und müssten sich z. B. durch die Beobachtung des Verhaltens der Beteiligten zueinander oder die Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Einlassungen auf eine „Bauchentscheidung“ verlassen. Dies ist i. H. a. einen möglichen Missbrauch durch den Ast. kritisch zu sehen[37]. Positiv ist zumindest, dass die Anführung der Beweismittel seit 1995/96 leicht gestiegen ist.[38]

cc) Erfolg des Antrags

Laut einer Aktenanalyse 2004 wurden 54 % der Schutzmaßnahmen bewilligt oder vereinbart. Ein Viertel der Anträge wurde zurückgenommen, der Rest wurde erledigt, ruhte oder wurde vom Gericht abgelehnt. Eine Rücknahme, Erledigung oder Ablehnung erfolgte insb., wenn die Beteiligten sich noch in einer Beziehung befanden, sich versöhnt oder eine außergerichtliche Lösung gefunden haben. Ein Grund für eine Ablehnung von Seiten des Gerichts war z. B., dass die Gewalthandlungen als nicht gravierend genug angesehen wurden.[39]

dd) Effektivität der Maßnahmen[40]

In einer Opferbefragung 2005 gab ungefähr die Hälfte der Betroffenen an, der Täter habe gegen die Schutzmaßnahmen verstoßen[41]. Meist konnten sie sich eigenmächtig dagegen wehren, erstatteten Strafanzeige oder zogen die Polizei hinzu. 16 % aller Betroffenen räumten jedoch ein, dass sie dem Täter die Erlaubnis gegeben hätten, gegen die Schutzmaßnahmen zu verstoßen.[42]

Am wirksamsten hielten in einer Expertenbefragung 2002/03[43] 78 % das Betretungsverbot (§ 1 I 3 Nr. 1 GewSchG). Das Näherungs- (Nr. 2, Nr. 3) und Kontaktverbot (Nr. 4) wird von ungefähr der Hälfte als wirkungsvolle Maßnahme gehalten. Richter, Gerichtsvollzieher, Frauenhäuser oder Jugendämter hielten die Regelungen im Vergleich zu Polizeibediensteten und Anwälten für weniger effektiv. Dies mag daran liegen, dass diese Berufsgruppen eine größere Skepsis bezüglich des nur schwer durchsetzbaren völligen Näherungs- und Kontaktverbots haben, wenn die Antragsgegner z. B. durch gemeinsame Kinder einen regelmäßigen Umgang pflegen. In diesem Zuge schlagen viele Stimmen vor, die gerichtlichen Anordnungen zum Kontakt- und Näherungsverbot zu präzisieren[44]. So könnte der Umgang i. R. d. Gewaltschutzverfahrens befristet ausgesetzt, von Beratungs- und Therapieauflagen abhängig gemacht oder die Übertretung von Schutzanordnungen zur Durchführung von Absprachen erlaubt werden.[45]

Auch das Verbot, ein Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen (Nr. 5), wird von der Hälfte der Befragten als wirksam eingeschätzt. Hier schlagen die Gerichtsvollzieher vor, die Polizei einzubeziehen. Diese könnten routinemäßig durch das Gericht über Anordnungen informiert werden und ggf. präventive polizeiliche Maßnahmen ergreifen.[46]

[...]


[1] Declaration on the Elimination of Violence against Women der VN 1993, VN-Musterrechtsvorschriften 1996 und Kampagne zur vollständigen Ächtung von Gewalt gegen Frauen der EU 1997

[2] BT-Drs. 14/5429 S. 1 f., 10 f.; Leuze-Mohr S. 144 f.; Schweikert 2001 S. 52 - 54

[3] BGBl. 2001 I Nr. 67 S. 3513 f., 3518

[4] BT-Drs. 14/5429 S. 11 f.; BGH, Beschl. v. 26.02.2014 – XII ZB 373/11 Rn. 13

[5] Wird im Folgenden der Begriff der „Gewalt“ verwendet, so ist darunter die tatbestandsmäßige Verletzung des Körpers, Gesundheit oder Freiheit eines anderen zu verstehen.

[6] Palandt/ Brudermüller, § 1 GewSchG Rn. 6

[7] OLG Saarbrücken NJW-RR 2006, 747 f.

[8] BT-Drs. 14/5429 S. 19, 28 unter Hinweis auf BGH NJW 1987, 2225 und BayOblG NJW-RR 1987, 463

[9] Z. B. die Arbeitsstelle des Opfers oder der vom gemeinsamen Kind besuchte Kindergarten (BT-Drs. 14/5429 S. 29)

[10] BeckOK/ Reinken § 1 GewSchG Rn. 27

[11] NK-BGB/ Heinke § 1 GewSchG Rn. 20-27

[12] id. Rn. 15 f.; im Folgenden wird dafür als Überbegriff „Stalking“ verwendet.

[13] BT-Drs. 14/5429 S. 28

[14] BT-Drs. 14/5429 S. 20, 30

[15] id. S. 11, 14 f., 19, 21, 27 f.

[16] BeckOK/ Reinken Rn. 1

[17] BGBl. I S. 1479; BT-Drs. 14/5429 S. 11, 17

[18] BT-Drs. 14/5429 S. 1 f., 10 f.

[19] BT-Drs. 14/5429 S. 1, 16

[20] id. S. 1, 10 f., 14; NK-BGB/ Heinke Vorbem. GewSchG Rn. 2

[21] Vor dem GewSchG gab es diesen Anspruch nur nach § 1361b BGB für getrenntlebende Ehegatten und nach § 14 LPartG für eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften (NK-BGB/ Heinke Fn. 1, 2).

[22] BT-Drs. 14/5429 S. 1, 21

[23] id. S. 2, 10 f., 17, 21, 32 f.

[24] Böhret et al. S. 255; Rottleuthner et al. S. 18-26, 33; Ziekow et al. S. 15 f., 25

[25] Alle abschließend vor dem jeweiligen Gericht bearbeiteten Verfahren, z. B. durch Beschluss, gerichtlichen Vergleich oder Rücknahme des Antrags (vgl. FamGer S. 22).

[26] FamGer S. 18

[27] Diese Einteilung der Maßnahmen beruht darauf, dass z. Zt. der Aktenanalyse keine generelle Nomenklatur verfügbar war (Rupp S. 136).

[28] Rupp S. 138; daneben wurden z. B. Näherungsverbote bzgl. der Kinder gefordert (Rupp S. 137).

[29] Taten gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung fallen bereits unter § 1 Abs. 1 Satz 1 GewSchG, soweit sie mit einer nicht ganz unbedeutenden Einwirkung auf den Körper des Opfers verbunden sind (FamR/ Grandke Rn. 12).

[30] BT-Drs. 18/9097 S. 30

[31] Strafverf. 2017 S. 33

[32] JuMiKo S. 1.; Suliak

[33] Vgl. §§ 214, 49 ff. FamFG; MüKo/ Krüger § 1 GewSchG Rn. 33

[34] FamGer 2017, S. 12, 18

[35] Der Anteil gilt für alle Verfahren, jedoch ist auch die Zahl der einstweiligen Anordnungen gestiegen (Rupp S. 197, 201).

[36] Mehrfachnennung möglich (Rupp S. 200 f.).

[37] Vgl. Bock GewSchG S. 15

[38] Fauth-Engel S. 28; Rupp S. 200 f.

[39] Rupp S. 164 f., 173-175

[40] Unter Effektivität wird verstanden, ob die dem Täter auferlegten Maßnahmen tatsächlich eingehalten wurden und was ggf. gegen eine geminderte Effektivität getan werden kann.

[41] In der Befragung wurde nicht unterteilt nach Schutzanordnungen aufgrund von Gewalthandlungen oder aufgrund unzumutbarer Belästigungen (Rupp S. 250).

[42] Rupp S. 249 f.

[43] Wenn in dieser Arbeit von Experten die Rede ist, bezieht sich dies auf eine rechtstatsächliche Untersuchung von Rupp, bei der 2002/03 900 Richter, Anwälte, Rechtspfleger, Gerichtsvollzieher, Polizisten, Beratungseinrichtungen, Frauenhäuser und Jugendämter befragt wurden (Rupp S. 27).

[44] bff S. 3-5; Krüger NZFam S. 295 f.; Rupp S. 67, 83-85, 265; Schweikert 2001, S. 61 f.

[45] Rupp S. 65-67, 83-85, 265, 285 f.

[46] id. S. 67

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Das Gewaltschutzgesetz. Zweck, Analyse, Evaluation
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
12
Autor
Jahr
2019
Seiten
31
Katalognummer
V508187
ISBN (eBook)
9783346072344
ISBN (Buch)
9783346072351
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gewaltschutzgesetz, Häusliche Gewalt, Stalking
Arbeit zitieren
Miriam Katharina Thiel (Autor:in), 2019, Das Gewaltschutzgesetz. Zweck, Analyse, Evaluation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/508187

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