Die Spuren einer Herr-Diener-Komik in den Dramentexten Samuel Becketts am Beispiel von Waiting for Godot und Endgame


Trabajo, 2005

22 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhalt

1. Einführung

2. Herr und Diener als tradierte Figuren

3. Die Spuren der Herr-Diener-Komik bei Beckett
3.1 Endgame
3.1.1 Nonverbale Komik in Endg ame
3.1.2 Verbale Komik in Endgame
3.2 Waiting for Godot
3.2.1 Nonverbale Komik
3.2.2 Verbale Komik in Godot

4. Schlußbemerkung

Anhang

"Wir sind heitere Menschen. Und wenn es Anlaß zum

Scherzen gibt, lachen wir gern einmal." [Loriot, Pappa ante Portas]

1. Einführung

Jede Form der Komik braucht ein Objekt des Lachens. Dies kann ein Mensch oder eine Gruppe Menschen, ein Tier oder auch (selten) ein Gegenstand sein. Allerdings muß im Theater Komik generiert werden durch Situationen, die den Zuschauer zum Lachen animieren. Dies kann funktionieren über eine einzelne Figur, welche sich selbst durch ihre Aktionen und / oder Repliken lächerlich macht. Möglich innerhalb der Formen des Komischen ist aber auch eine Konstellation von Figurenpaaren, aus deren Verhältnis heraus Komik entsteht. Einen solchen Fall der Generierung des Komischen finden wir in dem Figurenpaar Herr und Diener. Beiden sind durch sozialen Stand und gesellschaftliche Konvention bestimmte Verhaltensweisen erlaubt oder auch untersagt. Dies kann sich sprachlich (Dialogkomik), aber auch mimisch-gestisch (Körperkomik) oder lautlich (Klangkomik) äußern.

Ein starker körperlicher Kontrast zwischen zwei Darstellern allein kann den Zuschauer zum Lachen reizen und nicht grundlos sprechen wir von einem "komischen Paar", wenn wir folgendes sehen, " Zwei Menschen, der eine riesengroß, der andere winzigklein, schreiten Arm in Arm würdevoll daher." [Bergson 1972, S. 118]. Diese Paarung erinnert heute an Zirkusclowns oder auch an das Komikerduo Stan Laurel und Oliver Hardy, die den Clownstypus des 20ten Jahrhunderts verkörpern. Der Kontrast im Äußeren läßt uns auf ein Gefälle zwischen zwei Figuren schließen, welches nicht auf deren Aussehen beschränkt bleibt. Ein solches Gefälle ist das, was uns zum Lachen reizt. Gelacht wird also über eine Inkongruenz zwischen Vorstellungen (ästhetische, moralische oder andere) und dem Realen:

"Alles Steife ist der Gesellschaft verdächtig. [...] Wer sich absondert, der gibt sich der Lächerlichkeit preis, weil die Komik zum großen Teil von dieser Isolierung lebt. Dies erklärt, weshalb die Komik so oft auf die Sitten, die Ideen, die Vorurteile einer Gesellschaft bezogen ist." [Bergson 1972, S. 96]

[Zitat kann in den Fließtext integriert werden aufgrund der Länge]

Daß sich die Vorstellung von einem Grundtypus des Komischen bis in unsere Alltagssprache hineinzieht, ist darauf begründet, daß wir solchen Figurenpaaren seit der Antike in verschiedenen Formen und Texten des Komischen begegnen.

Ziel dieser Arbeit ist es zunächst einmal, die Kontrastfiguren von Herr und Diener in ihrer Entwicklung bis ins 20. Jahrhundert darzustellen, um dann in einem zweiten Teil zu untersuchen, wie Samuel Beckett in den Theaterstücken Waiting for Godot und Endgame Merkmale einer Herr-Diener-Komik verwendet.

2. Herr und Diener als tradierte Figuren

Der erste überlieferte Theatertext, in dem sich ein Figurenpaar aus Diener und Herr findet, sind Die Frösche des Aristophanes von 405 vor unserer Zeit [Wilpert, 1997, S. 408]. Diener Xanthias ist hier ein Doppel seines Herrn Dionysos, des Gottes des Theaters. Ihm ist es erlaubt auszusprechen, was der Herr nicht sagen darf. Diese Erlaubnis kann als ein Hinweis darauf gesehen werden, daß Herr und Diener Positionen innerhalb einer Ordnung einnehmen, die unabhängig von der konkreten Figur Rollenerwartungen impliziert.

Die Spiegelbildlichkeit zwischen Herr und Diener findet sich vor allem ausgedrückt in einer Verkleidungsszene, in der beide beständig die Rolle des Herakles wechseln, die Dionysos für seinen Besuch in der Unterwelt angenommen hat, um Dionysos vor Schlägen zu schützen, die Herkules gelten. Die Verkleidung hinkt dabei stets der Handlung hinterher [vgl. Aristophanes, 2003, Akt II, Szenen 1 bis 5]. Die Szene endet damit, daß Dionysos für die Vergehen des Herakles verprügelt wird. Diese Prügel-Szene [Aristophanes, 2003, Akt II, Sz.5], in welcher der Gott höchst ungöttlich jammert und weint, ist, neben dem seitenverkehrten Verhältnis beider Figuren, ein frühes Beispiel derber Körperkomik, bei welcher die Schmerzen des Protagonisten und die Schwäche des Gottes verlacht werden - auch von seinem Sklaven: "XANTHIAS (triumphierend) Ha, das hat gesessen!" [ebenda]. Auch das Lachen selbst hat eine strafende Qualität, die über den von ihm produzierten Ausschluß aus der Gemeinschaft entsteht: "Da nun das Lachen für den, dem es gilt, immer ein bißchen demütigend ist, kann man es als eine wahre soziale Züchtigung betrachten." [Bergson 1972, S. 94]

Die über den Kostümwechsel zustande gekommene Rollenumkehrung ermöglicht dem Diener ein offenes Lachen über den (getarnten) Herrn, wie es der Karneval kennt, zu dem traditionell gesellschaftliche wie auch Geschlechterrollen umgekehrt werden. So kennt der Karneval noch heute die Figuren des "Prinzen" und - im Kölner "Dreigestirn" – die Figur der "Jungfrau", die beide traditionell von männlichen Bürgern dargestellt werden.

Die griechischen Figuren werden zu Vorbildern, die auch das römische Theater nach Belieben nutzt und weiter ausbaut und die von dort ihren Eingang in die Tradition der Commedia dell'Arte (im folgenden CdA) finden. Da wenige antike Texte überliefert sind, werden bis in die Neuzeit die bekannten Texte immer wieder abgewandelt und umgeschrieben. Wichtigste Quellen für die Komödie sind hierbei sicherlich die Texte der Römer Titus M. Plautus (250 – 184 v. u. Z.) und Publius Terentius Afer (195 – 159 v. u. Z.), die beide Stücke der griechischen "neuen Komödie" für den Geschmack des römischen Publikums umarbeiteten, wobei sie deren Inhalte beibehielten. Als Beispiel für eine Neuerung an der Dienerfigur möchte ich die Komödie Miles Gloriosus (dt. "Der glorreiche Hauptmann) des Plautus anführen. Die Figur des Dieners Sceledrus ist seinem prahlerischen Herrn, einem feigen Aufschneider, weit überlegen, braucht ihn aber zum Überleben.

Auch auf der formalen Ebene ist die Kontrastfigur des Herrn vonnöten, bleibt das Abhängigkeitsverhältnis unter den Figuren bestehen, braucht die ironische Replik des Dieners die Vorlage in der Rede des Herrn. Der Diener wird im Miles Gloriosus zum Führer der Intrige, eine Funktion, die er auch in der CdA übernimmt. In den wenigen erhalten gebliebenen "Canevas" (dt. "Gewebe") dieser Spielform, die grob den Handlungsverlauf skizzieren, kann man an einigen Punkten Kontinuitäten innerhalb der Figurenanlage des Dieners ausmachen. Die italienische Stegreifkomödie belegt die (maskentragenden) Dienerfiguren mit dem Sammelnamen "Zanni"[1], faßt sie also in einem Rollenfach zusammen, das mit anderen Fächern, wie den "Inammorati" (dt. "Die Liebenden"), aber auch mit den anderen Masken, die Nebenrollen einnahmen, kontrastierte. Unter den letzteren ist vor allem der "Capitano" zu nennen, eine Parodie auf spanische Soldaten. Die Figur spricht ein mit spanischen Ausdrücken gespicktes Italienisch und ist (wie der Miles Gloriosus) ein Angeber, der seine Wirkung auf die Damenwelt erheblich überschätzt. Diese Figuration bot Gelegenheit zu sexuellen Späßen, Zoten und groben Anzüglichkeiten, welche den Zuschauern gesellschaftlich nicht erlaubt waren und ihnen Möglichkeit zum Lachen über das Tabuisierte boten. Diese Figur findet sich wieder im Titelhelden von Mozarts Don Giovanni (Libretto: Lorenzo da Ponte) von 1787. In der Figur des Herrn folgt hier ein Capitano als libertinärer Adliger seinem erotischen Drang und verstößt dabei gegen die herrschenden Regeln des Anstandes. Sein Diener, Leporello, verfügt über Züge des Harlekins aus der alten Volkskomödie: er hilft seinem Herrn bei dessen Abenteuern und stellt sich dabei etwas ungeschickt an, außerdem besitzt er einen großen oralen und sexuellen Appetit.

Und eben dieser Harlekin, wie wir ihn als Typus heute kennen, hat seine Wurzeln ebenfalls in der CdA. Er geht zurück auf die Figur des Arlecchino, den Diener mit der schwarzen Halbmaske aus Leder und dem - später zum Rhombenmuster stilisierten - Kostüm aus Fellflicken. Sein Name leitet sich ab aus dem italienischen Hellechinno (dt. "kleiner Teufel") und weist ihn als Mitglied einer Teufelssarabande aus. Über die Jahrhunderte – vor allem in der Comedié italienne – verlor der Arlecchino seine teuflischen Eigenschaften, es blieben ihm die Verfressenheit (der ständige Hunger, der ihn als ein Mitglied der Unterschicht ausweist), die Faulheit, die Bauernschläue und als Beigabe eine Fliegenklatsche, die zu verschiedensten Zwecken eingesetzt werden kann. Eine vergleichbare Entwicklung nimmt eine weitere CdA-Figur: Pulcinella, aus dem Pierrot entwickelt wird. Diesen weiß gekleideten Typus der CdA mit der markanten Mütze und dem starken Buckel (denn auch körperliche Gebrechen und Fehlleistungen können zum Lachen reizen) finden wir auf zahlreichen Werken des Malers Giovanni D. Tiepolo (1727-1804). Ganze Heerscharen Pulcinellas bevölkern auf diesen Bildern den Himmel und nehmen den Göttern (den höchsten Herren) ihren angestammten Platz. Hier finden sich die Grundzüge der Dienerrollen – enorme Verfressenheit und ebensolche Faulheit – wieder. Zeitgenössische Formen eines Duos aus Pulcinella und Arlecchino finden wir unter anderem im Zirkus. Dort ist über die Kostüme von weißgekleidetem "traurigem" Clown und "Dummem August" des deutschen Sprachraums, die Bezugnahme auf die Typen der CdA deutlicher als in Theater, Film und Fernsehen. Im Englischen finden wir einen Verweis auf Pulcinella in der Figur des "Mr. Punch", die zum einen lautlich auf den italienischen Ursprungsnamen hindeutet, zum anderen einen Hinweis auf die derben Gewaltspäße der CdA trägt. Zu deren Spiel gehörten aber auch die "lazzi", eigentlich Clownsspäße. Ebenso war sie geprägt durch Schlagfertigkeit ("battute", dt. schlagfertige Antworten) und Witz ("concetti", dt. geistreiche Einfälle). Ihre größten Veränderungen, aber auch ihre lebhafteste Rezeption erfuhren die Figuren der CdA auf französischen Bühnen.

Im 18. Jahrhundert finden wir in Frankreich zahllose Stücke mit einem Arlecchino als Protagonisten. Das Théâtre de la Foire (das Jahrmarktstheater fahrender Gruppen) hatte das Erbe der CdA angetreten, aber auch auf dem Théâtre Italienne wurde deren Tradition gepflegt.

Mit der Titelfigur der Komödie La folle journée ou Le mariage de Figaro (1775-78) von Pierre A. C. de Beaumarchais (1732-1799) tritt erstmals in der Geschichte der Komödie eine Dienerfigur auf, die den Herrn - Graf Almaviva - in Liebesangelegenheiten aussticht und daran hindert, an der eigenen Verlobten das jus primae noctis auszuüben. Damit sind die Machtverhältnisse zwischen den Figuren Herr und Diener aufgeweicht.

Einen Bruch erfuhr die französische Komödientradition durch die französische Revolution (1789 - 1799): 1790 wurden in Paris das Maskentragen, der Karneval und auch das Komödiensprechen per Verordnung verboten. Der freie Bürger sollte sein Gesicht nicht hinter einer Maske verstecken. Befürchtete schädliche Einflüsse der Komödie auf die Gesellschaft durch ihre Freizügigkeit sollten durch das Verbot vermieden werden.

Einen vorläufigen Endpunkt erreicht die Entwicklung der Figuren in den Farcen Alfred Jarrys (1873-1907). Sein Ubu ist Dienerfigur - so in Ubu enchaîné précédé de Ubu Roi (dt. Ubu Knecht) von 1900, aber auch Herrschergestalt als Ubu Roi, (1888, dt. König Ubu). Mit Ubu deutet sich der Wandel der Dienerfigur zu einem neuen Typus des 20. Jahrhunderts an. War er bisher Untertan, so ist er nun ein Diktator, dem gewisse Züge der Dienerrollen geblieben sind. So ist die Figur mit Hörnern ausgestattet wie einige der "Zanni". Ihr Körperbau gleicht dem einer Tonne und verweist damit auf den oralen Trieb vieler Dienerfiguren. Wichtigste Beigabe des Ubu ist der "unnennbare Besen" (bâton-à-physique), der -wie die Fliegenklatsche- zu den verschiedensten Zwecken eingesetzt werden kann. Neben dem Besen sind als Requisiten noch markant: die Schlangenlederpeitsche, die Ubu als einen Herrn ausweist, und die Spirale auf seinem dicken Bauch, die ihn als einen Nachfahren des Pulcinella kennzeichnet (siehe Abbildung Titelblatt). Die Entwicklung des komischen Theaters ist sicherlich nicht mit Ubu abgeschlossen, dennoch bildete er den Höhepunkt einer Entwicklung, denn die komischen Typen verschwinden ab dem 20. Jahrhundert zusehends von den Bühnen und neue komische Charaktere werden kaum mehr geschaffen, vielmehr wird das Bekannte unter veränderten Bedingungen neu belebt.

[...]


[1] Es handelt sich hierbei um eine Verkürzung von "Giovanni". Der Name stand als pars pro toto für den Diener, wie im heutigen Sprachgebrauch "James" als Bezeichnung für den englischen Butler verwendet wird.

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Detalles

Título
Die Spuren einer Herr-Diener-Komik in den Dramentexten Samuel Becketts am Beispiel von Waiting for Godot und Endgame
Universidad
Justus-Liebig-University Giessen
Curso
The History of British Comedy: Genres, Media, Poetics
Calificación
1,0
Autor
Año
2005
Páginas
22
No. de catálogo
V50833
ISBN (Ebook)
9783638469586
Tamaño de fichero
497 KB
Idioma
Alemán
Notas
Die Arbeit sucht nach den Spuren der aus der Antike tradierten Herr-Diener Komik in den Werken von Beckett. Dabei werden die klassischen griechischen und lateinischen Dramentexte ebenso zum Vergleich herangezogen wie die Kinofilme von Charlie Chaplin.
Palabras clave
Spuren, Herr-Diener-Komik, Dramentexten, Samuel, Becketts, Beispiel, Waiting, Godot, Endgame, History, British, Comedy, Genres, Media, Poetics
Citar trabajo
Julia Siebert (Autor), 2005, Die Spuren einer Herr-Diener-Komik in den Dramentexten Samuel Becketts am Beispiel von Waiting for Godot und Endgame, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50833

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