Kunstkritik heute und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wie hat sich die Kunstkritik in Deutschland entwickelt?


Hausarbeit, 2016

16 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kunstkritiker als „Weggefährten der Künstler“
2.1 Der Umbruch in der Kunstkritik um 1900
2.2 Das Verhältnis von Künstler, Kunstkritiker und Publikum
2.3 Karl Schefflers Anforderungen an die Kunstkritik

3. Zeitgenössische Kunst und ihre Kritiker
3.1 Kunst ohne Kriterien
3.2 Der Markt ersetzt den Kunstkritiker
3.3 Der Beruf des Kunstkritikers heute

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Kritik bedeutet nach den Begriffen der Kunst zu fragen, nach ihren Funktionen und ihrer Herkunft, bedeutet auch, sich ein Urteil zu erlauben, sich unbeliebt zu machen, sich vor Missverständnissen nicht zu fürchten.“

Hanno Rauterberg 2008

Dieses Zitat von Hanno Rauterberg stellt eine Konkretisierung Albert Dresdners Definition der Kunstkritik dar, eines deutschen Kunstkritikers, der sich 1915 als einer der Ersten wissenschaftlich mit der Kunstkritik auseinandersetzte, welcher die Aufgaben der Kunstkritik in der Untersuchung, Wertung und Beeinflussung der zeitgenössischen Kunst verortete.[1]

In dieser Arbeit untersuche ich, wann diesem Grundsatz gefolgt wurde, wann nicht und aus welchen Gründen dies jeweils geschah.

Ich beschränke mich in dieser Betrachtung auf die Kunstkritik zu Beginn des 20. und des 21. Jahrhunderts in Deutschland. Ein kurzer Vergleich mit vorangegangenen Epochen findet in Kapitel 2.1 statt.

Um mich der Kunstkritik des 20. Jahrhunderts zu nähern, habe ich mich hauptsächlich mit Karl Scheffler beschäftigt – einem der einflussreichsten und fortschrittlichsten Kritiker seiner Zeit, der sich nicht nur mehrfach über das Wesen der Kunst sondern auch über das der Kunstkritik geäußert hat und daher eine gute Grundlage für die Beschäftigung mit diesem Thema darstellt.

Die eingangs genannte Definition stellt allerdings nicht nur eine Konkretisierung der Dresdners dar, sondern bringt auch einen anderen wichtigen Begriff zur Sprache: den des Missverständnisses.

Wie Fehlurteile zu den jeweiligen Zeiten bewertet werden und wie mit ihnen umgegangen wurde bzw. wird, ist ebenfalls ein Teil dieser Arbeit und – so viel darf verraten werden – offenbart grundlegende Unterschiede zwischen den Epochen.[2]

2. Kunstkritiker als „Weggefährten der Künstler“

2.1 Der Umbruch in der Kunstkritik um 1900

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befand sich die Kunstwelt, und zu ihr gehört auch die Kunstkritik, im Umbruch. Die konservative, staatlich anerkannte Kunst der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin, allen voran Anton von Werner, stand den jungen, progressiven Künstlern, die die Sezession bildeten, entgegen.[3] 1892 gründete sich die Gruppe der XI, deren selbstorganisierte Ausstellung in der Presse zerrissen wurde. Eine Ausstellung des Künstlers Munch wurde sogar als ein Skandal gesehen und geschlossen.[4] Nicht nur die Obrigkeit, auch die Öffentlichkeit war den Sezessionisten gegenüber durchaus skeptisch eingestellt. Einen großen Anteil daran hatten die alteingesessenen Kunstkritiker wie Ludwig Pietsch.[5]

Mit dem künstlerischen gingen auch ein gesellschaftlicher Umschwung und ein Generationswechsel in der Kunstkritik einher. Das erstarkte Pressewesen bot eine gute Plattform für die jungen Kunstkritiker, die diese ausführlich nutzten.[6]

Mit den Methoden der Kunstkritiker der alten Generation, die sich noch als Kunstrichter verstanden,[7] und mir ihrer Sprache, die unter dem Vorwurf stand verklausuliert zu sein, wurde gebrochen. Andreas Schmidt tat dies, indem er 1906 mit dem im selben Jahr von Karl Eugen Schmidt verfassten Büchlein „der perfekte Kunstkenner“ abrechnete. „Der Kenner muss sich dadurch auszeichnen, daß [sic] er anders urteilt als der große Haufen“ (Schmidt 1906) lautet dort zum Beispiel die wichtigste Voraussetzung für einen Kunstkritiker. Wissen und Empfindungen spielten dabei aber keine Rolle, denn empfinden könne ja jeder, der Kenner hingegen erhalte seine Legitimation dadurch, dass er gewisse Phrasen und Wörter kenne. Von diesen stellt Kael Eugen Schmidt sogar an die hundert dem Leser vor und gibt so eine Anleitung zur Kunstkritik. Eine Anleitung, die Andreas Schmidt als Betrug am Publikum bezeichnet und die zeigt, dass die Praxis der Kunstrichter sich auch selbst auf die oben genannten Aspekte reduzierte.[8]

Die neue Kunstkritik entstand auch aus einer Notwendigkeit heraus, denn auf eines der wichtigsten Kriterien – die Vergleichbarkeit von Natur und Bild – konnten sich spätestens die Kritiker der Blauen Reiter um 1910 nicht mehr berufen, da die Darstellung der Wirklichkeit dort keine Rolle mehr spielte.[9] Es traten andere Gesichtspunkte in den Fokus, wie zum Beispiel die Anerkennung der schöpferischen Phantasie des Künstlers.[10]

2.2 Das Verhältnis von Künstler, Kunstkritiker und Publikum

Die Kritiker lehnten die Kunst der Akademie als überkommen ab und verstanden sich vielmehr als Wegbereiter der Moderne. Sie kämpfen nicht gegen die Künstler, sondern mit ihnen und versuchten gemeinsam die Avantgarde gegen das Kleinbürgertum zu behaupten. Rauterberg bezeichnet sie als „Entwicklungshelfer“ der Moderne, als „Talentsucher“ und „Trendforscher“.[11]

Ihr Selbstverständnis änderte sich dahingehend, dass sie nicht die Künstler belehren und über sie richten, sondern im Gegenteil selbst lernen wollten.[12] Sie nahmen im Kunstgeschehen eine lenkende Position ein und versuchten, aktiv auf die öffentliche Meinung und auf die Entwicklung der Kunst Einfluss zu nehmen.[13] Diese Dynamik wertete die Kunstkritik auch als literarische Gattung auf.[14]

Nicht umsonst steht in der Überschrift der Kunstkritiker zwischen dem Künstler und dem Publikum, denn auch die Kunstkritik als Instanz nahm eine Zwischenstellung ein.[15]

Es wurden viele Kunstzeitschriften gegründet, so zum Beispiel „Kunst und Künstler“, „Dekorative Kunst“ oder „das Atelier“, die sich mit der neuen Kunst auseinandersetzten und die zum Teil ein sehr breites Publikum erreichten. Die Sezession, die sich unter Kunstkennern längst schon großer Beliebtheit erfreute, sollte so auch der Öffentlichkeit nähergebracht werden.[16]

Eine weitere neue Eigenschaft der Kunstkritik war die Selbstreflexion und die stetige Kritik an sich selbst. 1906 wurde sogar eine Zeitschrift mit Namen „Kritik der Kritik“ gegründet. Dies zeigt den Selbstfindungsprozess der noch jungen neuen Generation von Kunstkritikern, die, aus den vermeintlichen Fehlern ihrer Vorgänger lernend, von Dogmatismus und Absolutismus abrückt. Damit einher geht auch eine rege Diskussion um die gesellschaftliche Aufgabe der Kunstkritik.[17]

Ich denke, man kann behaupten, dass zu diesem Zeitpunkt eine immanente Kritik an der Kunst einsetzte, da die Kritiker nicht mehr auf Bewertungskriterien wie Vergleichbarkeit von Natur und Bild oder das Genre zurückgriffen, sondern den Künstler ihre eigenen Kriterien zugestanden.

Über die Funktion von Kunstkritik hat Karl Scheffler eine klare Meinung: „Vom Kritiker muss die Nation die rechte Art der Kritik lernen“ (Scheffler 1906)[18] Er kritisiert die überhandnehmende Kritik in der täglichen Presse[19], die seiner Meinung nach von dem Leser, der ja letztendlich der Geldgeber ist, abhängig sei. Dieser erwarte und bezahle für objektive Urteile. Solche Urteile gebe es aber nicht. Laut Scheffler ist Kritik eine Erkenntnistätigkeit und der Kritiker selbst muss sein Urteil stetig hinterfragen und gegebenenfalls revidieren. Keinesfalls aber sei seine Aufgabe das simple Erzeugen von Meinungen.[20]

2.3 Karl Schefflers Anforderungen an die Kunstkritik

Zweifellos kann man die Kunstkritik des Beginns des 20. Jahrhunderts nicht anhand einer einzelnen Person erläutern. Da Karl Scheffler als einem Vorreiter der neuen Kritik und als einem der einflussreichsten Kritiker eine große Bedeutung zukommt, sollen seine Thesen und Aussagen hier stellvertretend für die Gattung der Kunstkritik zu dieser Zeit stehen.

Als gelernter Dekorationsmaler und später als Musterzeichner in einer Tapetenfabrik tätig, war Scheffler Autodidakt.[21],[22] Dies sollte auch seine Meinung über die Kunstkritik prägen. Er war der Meinung, dass wissenschaftliche Arbeit mit der Kunst einem Werturteil entgegenstünde, da ersteres Intellekt, letzteres aber Gefühl erfordere. Die wissenschaftliche Arbeit stehe den Historikern zu, welche außerdem die Aufgabe hätten, ein Bild historisch einzuordnen, was sie voreingenommen mache. Einen guten Kunstkritiker zeichne lediglich seine Fähigkeit aus, Kunst emotional zu erfahren.[23]

[...]


[1] Dresdner, Albert, Die Entstehung der Kunstkritik. Im Zusammenhang mit der Geschichte des europäischen Kunstlebens, Amsterdam/Dresden 2001, S. 28.

[2] Zeisig, Andreas, Studien zu Karl Schefflers Kunstkritik und Kunstbegriff. Mit einer annotierten Bibliographie seiner Veröffentlichungen, Tönning/Lübeck/Marburg 2006, S.13.

[3] Möseneder, Karl (Hg.), Streit um Bilder. Von Byzanz bis Duchamp, Berlin 1997, S. XXIX

[4] Zeising 2006, S. 34.

[5] Zeising 2006, S. 85f.

[6] Zeising 2006, S. 13.

[7] Herder, Johann Gottfried. Kunstrichterei, Geschmack und Genie. (=Schriften zur Kunsttheorie Bd. IX), Berlin 1994, S. 5.

[8] Schmidt, Andreas, Kunstkritik, in: Zeitung für christliche Kunst Bd. 19, Düsseldorf 1906, S. 303-306.

[9] Grohmann, Dr. Will/Blöcker, Günther/ Luft, Friedrich, Kritik in unserer Zeit. Literatur, Theater, Musik, Bildende Kunst, Göttingen 1960, S. 66.

[10] Horn, Luise Christine, Begriffe der neuesten Kunstkritik. Zur Funktion und Kritik ihrer ästhetischen Kategorien, München 1976, S. 9.

[11] Rauterberg, Hanno, Und das ist Kunst? Eine Qualitätsprüfung, Frankfurt a.M. 2008, S. 71.

[12] Zeising 2006, S. 86.

[13] Zeising 2006, S. 13.

[14] Zeising 2006, S. 86.

[15] Dresdner 2001, S. 33.

[16] Zeising 2006, S. 43.

[17] Zeising 2006, S. 87.

[18] Zeising 2006, S. 103.

[19] Zeising 2006, S. 105.

[20] Zeising 2006, S. 102.

[21] Dieser Tätigkeit ging Scheffler lange Zeit nach. Erst mit der Übernahme der Leitung von „Kunst und Künstler“ 1906 konnte er von seiner Tätigkeit als Kunstkritiker leben. (Zeising 2006, S. 44)

[22] Zeising 2006, S. 33f.

[23] Zeising 2006, S. 90.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Kunstkritik heute und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wie hat sich die Kunstkritik in Deutschland entwickelt?
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
16
Katalognummer
V508709
ISBN (eBook)
9783346082404
ISBN (Buch)
9783346082411
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kunstkritik, beginn, jahrhunderts, deutschland
Arbeit zitieren
Sophie Schmidt (Autor:in), 2016, Kunstkritik heute und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Wie hat sich die Kunstkritik in Deutschland entwickelt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/508709

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