Leseprobe
Inhalt
Einleitung
Gesellschaftsverständnis Bertolt Brechts
„Aus dem Lesebuch für Städtebewohner“
Brechts Verhältnis zu Frauen oder Die Kühle in der Liebeslyrik
Schlussteil
Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Bild des anfänglichen 20. Jahrhunderts ist gezeichnet von Industrialisierung, technischen Fortschritten und politischen Spannungen. Außerdem geprägt vom Imperialismus, sowie anderen Machtkämpfen bis hin zum Ersten Weltkrieg. Durch diese Entwicklung gibt es gleichzeitig weniger Platz für die traditionellen Werte wie Religion oder Familie. Es ist eine Welt entstanden in welcher sich auch die Menschen immer stärker verändern und anpassen mussten. Zuvor lebten sie auf dem Land und arbeiteten als Bauern oder in anderen handwerklichen Berufen, die Zahl der Bevölkerung wuchs jedoch stetig weiter an und machte ein Verbleiben in den arbeitsarmen Gebieten immer unmöglicher. Auch das Aufkommen von neuen Berufsfeldern durch die Verbesserungen im Gebiet der Technik trug dazu bei, dass man gezwungen war seine Heimat zu verlassen und in größere Städte umzusiedeln. Die Urbanisierung schritt immer weiter voran und so veränderte sich auch die Gesellschaft. Folglich stellt sich die Frage wie sich die Menschen selbst und auch in ihren Beziehungen untereinander entwickeln werden. Viele Autoren befassten sich mit diesem Wandel der Gesellschaft, vor allem die Expressionisten und Anhänger der Neuen Sachlichkeit setzten sich mit Großstadtgeschichten als Gesellschaftskritik auseinander.[1] So können auch einige Werke Bertolt Brechts durchaus diesen Strömungen zugeordnet werden. Aus dem Lesebuch für Städtebewohner stellt sehr deutlich seine Einstellung zur neu entwickelten Großstadt dar und auch sein Gesellschaftsverständnis und kann daraus abgelesen werden. Wie sich diese Entwicklungen auf Brecht und sein Verhältnis zu anderen Menschen auswirkte, untersuche ich anhand der von ihm geschriebenen Liebeslyrik. Hier zeigt sich das Bild des charismatischen Brecht im Hinblick auf die Frauen in einer kühlen und sehr offenen Art worauf ich im letzten Teil meiner Arbeit eingehen werde.
Gesellschaftsverständnis Bertolt Brechts
Wenn es um das Verständnis Bertolt Brechts von Gesellschaft geht, so kann man auf viele seiner Werke zurückgreifen. Beispielsweise kritisiert Brecht in Der gute Mensch von Sezuan überwiegend Religion, sowie das kapitalistische System. Obwohl er sich durch seine Erziehung in seinem ersten lyrischen Sammelband, der Hauspostille, noch der Religion zugewandt hatte. Ich werde mich im Folgenden zwar ebenfalls mit der frühen Lyrik beschäftigen, vor allem aber mit dem Werk Aus dem Lesebuch für Städtebewohner, in welchem eine gesonderte Annahme von Gesellschaft herauszulesen ist.
„Aus dem Lesebuch für Städtebewohner“
Die Zusammenstellung der zehn häufig nur mit Ziffern betitelten Gedichte entstand 1925-1928 und ist laut Brecht als Gebrauchslyrik zu verstehen.[2] Dieser Zweck ist bereits dem Titel zu entnehmen, denn als Lesebuch wurden Lehr- und Lernbücher bezeichnet. In diesem Fall sind die Lehren offensichtlich an die Einwohner in einer Stadt gerichtet.
Formal fällt vor allem im Unterschied zur Hauspostille auf, dass auf spezielle Unterteilung in Lektionen oder Kapitel verzichtet wurde und es ist auch keine besondere Individualität der Gedichte untereinander erkennbar.[3] Vorerst möchte ich jedoch auf Gedicht 1 im Speziellen eingehen, bevor ich allgemeingültige Aussagen treffe.
Ohne Kenntnis zur Gedichtsammlung wirkt der Titel 1 wenig aufschlussreich und kann für sich stehend keine großen Interpretationsmöglichkeiten bergen. Im Zusammenhang zum Lesebuch fällt auf, dass fast jedes Gedicht chronologisch mit einer Ziffer betitelt ist, sodass Gedicht 1 eine Einleitung darstellt.[4] Eingeteilt ist das Gedicht in sechs Strophen mit je sechs Zeilen, wobei nur die dritte Strophe ein Fünfzeiler ist und damit einen Bruch erzeugt. Am Ende steht ein einzelner Satz in eckigen Klammern in der Funktion einer Antithese, auf welchen ich am Ende der Interpretation noch einmal genau eingehen werde, da dies typisch ist für Aus dem Lesebuch für Städtebewohner.
Allgemein erscheinen die Strophen unsystematisch und ohne Zusammenhang, sie sind reimlos, ohne einheitliches Metrum und bilden nur durch den Inhalt eine Bindung. Es fällt jedoch auf, dass jede letzte Zeile aus demselben Satz „Verwisch die Spuren!“ besteht, wodurch ein apellativer Grundcharakter entsteht. Dazu tragen ebenfalls die häufige Verwendung von Imperativen wie zum Beispiel „trenne“ (Z. 1), „gehe“ (Z.2) und „suche“ (Z.3) sowie das Personalpronomen „du“ bei. Es wird ein Adressat angesprochen, dem das Verhalten in der Stadt sachlich und ohne Wertung erläutert werden soll. Der Redegestus ist sehr neutral und stellt während des gesamten Gedichts keine Moral vor, sondern beschreibt nur aus der Beobachterperspektive eine Belehrung in Form der Anrede.[5] Deutlich erkennbar ist die inhaltliche Steigerung vom Aufgeben der Freunde, dann der Eltern und schließlich sogar der eigenen Identität indem man sich selbst aufgibt und keinerlei Individualität zulässt. Das führt am Ende des Gedichtes sogar soweit, dass man nicht darauf hinweist überhaupt gelebt zu haben, indem man kein Grab errichten lässt. Der Angesprochene soll sein Leben aufgeben, anonym und isoliert weiterleben um im Kampf in der Großstadt überleben zu können.[6] Dadurch, dass man jeglichen Kontakt zu anderen Menschen unterbricht, zeigt sich auch die Kälte und Emotionslosigkeit, die formal durch das Weglassen von Bildhaftigkeit und Ausschmückungen erreicht wird. In der literarischen Tradition der Neuen Sachlichkeit geschrieben ist die Sprache sehr stark an der des Alltags orientiert und so für jeden verständlich. Nach Lamping ist Brecht somit der „erste moderne deutsche Lyriker von Rang“ dem es gelang den sprachlichen Abstand zwischen Lyrik und der zeitgenössischen Wirklichkeit aufzuheben.[7] Ebenfalls ein Merkmal dieser Strömung ist die rein deskriptive Technik, die dem Leser erlaubt seine eigene Meinung zu bilden.
Allein der letzte Satz des Gedichtes („Das wurde mir gesagt“ Z.30)[8] stellt eine Antithese zur vorhergehenden neutralen und eher kalten Belehrung zum Städteleben dar. Formal in eckige Klammern gesetzt und auch durch den inhaltlichen Wechsel von der Anrede zur eigenen Erfahrung erzeugt sie einen für Brecht sehr typischen Bruch. Durch diesen wird eine paradoxe Abweichung zu den vorher genannten Lehren erreicht, denn das artikulierte Ich distanziert sich von den gepredigten Verhaltensweisen. Durch das Anfügen dieses Satzes wird deutlich, dass ein gewisser Zweifel besteht, diese Belehrungen vollständig zu befolgen, da sie selbst nur von anderen aufgetragen wurden.
Da es diese eingeklammerten Sätze in den meisten Gedichten der Sammlung Aus dem Lesebuch für Städtebewohner gibt, ist es notwendig sie in einem größeren Kontext zu analysieren. Die ersten sechs Gedichte, sowie das zehnte weisen jeweils Abschnitte in eckigen Klammern auf („Das wurde mir gesagt.“ „1“ S.159f Z.30, „Das hast du schon sagen hören.“ „2“ S. 161f Z.36, „So sprechen wir mit unseren Vätern.“ „3“ S.162 Z. 22, „So habe ich Leute sich anstrengen sehen.“ „4“ S.163 Z. 18, „Das habe ich eine Frau sagen hören.“ „5“ S.163f Z.54, „Das habe ich schon Leute sagen hören.“ „6“ S.165f Z.14).[9] Während in den Gedichten ein „anonymes Kollektiv“[10] auftritt, stammen diese Aussagesätze vielmehr vom artikulierten Ich selbst. Deutlich hierbei, dass die vorher beschriebenen Verhaltensweisen und Handlungsvorschläge nicht von diesem formuliert wurden, sondern nur als Hörensagen überliefert sind.[11] Die Regeln die dem Städtebewohner gezeigt werden sollen, können so nicht oder nur ansatzweise allgemeingültig verstanden werden. Die Distanz des Sprechers zeigt, dass man sie kritisch hinterfragen sollte, wobei aber auch keine Alternative geboten wird.[12] Es liegt also am Leser selbst inwiefern er diese Lehren für sich annimmt oder ob es ihm gelingt den tieferen Sinn in ihnen zu finden. Das Fehlen von jeglicher Moral macht es ihm nicht einfacher zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, die von den Gedichten ausgehende Provokation soll helfen, dass er die Gegebenheiten annehmen kann, um damit diese zum Guten zu wenden.[13] Durch diese Zeilen wird ein bei Brecht beliebtes Element der Antithetik verwendet, mit welchem der Leser auf die Missstände in der Gesellschaft aufmerksam gemacht werden soll. Erklärend dafür gilt vor allem Gedicht „10“ des Lesebuchs, welches vor der posthumen Bearbeitung durch Helene Weigel das Schlussgedicht der Sammlung darstellte. Erstmals tritt hier das artikulierte Ich selbst als Sprecherinstanz auf und rechtfertigt die vorhergehenden Belehrungen.[14] Alles Gesagte sei nur „Wie die Wirklichkeit selber“ (Z.8), „nüchtern“(Z.9) und „kalt“ (Z.2).[15]
Hier zeigt sich das Bild welches auch Brecht als Autor von der Gesellschaft hat, die Probleme des modernen Lebens der 20er Jahre, der Kampf im Großstadtdschungel sind für ihn Realität. Sie ist zum Einen geprägt durch Kälte, die er in vielen seiner Werke immer wieder zum Thema macht[16] und auch in einem Tagebucheintrag während seines Aufenthalts in Berlin im November 1921 reflektiert hat:
„Immer wieder bricht es aus: die Anarchie in der Brust, der Krampf. Der Ekel und die Verzweiflung. Das ist die Kälte, die man in seinem Herzen findet. Man lacht, man verachtet das, aber es sitzt im Lachen selbst, und es nährt die Verachtung.“[17].
Die Strategie des Städtebewohners um diese kalte Atmosphäre zu überleben muss sein, sich an die Härte anzupassen und das erschließt sich bereits aus den Gedichten des Lesebuchs. Entgegen der Erwartung in der Stadt ein besseres Leben führen zu können, sollen die Gedichte den neuen Städtebewohner anleiten und belehren, sodass er sich der Wirklichkeit entgegenstellen kann. Als Assimilation an die Gegebenheiten muss man vollkommen anonym und ohne Kontakt zu „Kameraden“ oder auch „Eltern“ leben und seine Existenz niemandem offenbaren („Verwisch die Spuren“).[18] Diese Annahme von starker Konkurrenz unter den Menschen kann mit einer in dieser Zeit entstandenen Gesellschaftslehre, dem Sozialdarwinismus erklärt werden. Die Lehren Charles Darwin zur Evolution werden in diesem Konzept aus ihrem Umfeld der Natur gerissen und auf die Menschen übertragen. Zusammenfassend kann man Darwins Evolutionstheorie in drei Grundsätze gliedern: natürliche Auslese, Sieg des Stärkeren und Kampf ums Dasein.[19] Grob gesagt ist die ständig wachsende Population im Kampf um die vorhandenen geringen Ressourcen und steht so in starker Konkurrenz und Selektion. Nur wer sich an diese Bedingungen anpasst, kann auch überleben.[20] Das wird auch in Brechts Lesebuch klar, wenn man von Assimilation an die Gegebenheiten der Stadt erfährt: „Der Städtebewohner kann es sich nicht mehr leisten, Individuum sein zu wollen.“.[21]
Brechts Bild von Gesellschaft wurde vor allem durch den in einer höheren Position in der Papierfabrik Augsburgs arbeitenden Vater stark geprägt und kam dann durch eigene Erfahrungen mit dem „kalten Chicago“ wie er Berlin stets nannte, vervollständigt.[22] Erst durch das genauere Studium des Marxismus und Kommunismus verfestigte sich Brechts Kritik an der Gesellschaft zur Kritik am Kapitalismus im Besonderen.
Brechts Verhältnis zu Frauen oder Die Kühle in der Liebeslyrik
Da Brechts Meinung zur Stadt und der Gesellschaft im Allgemeinen eher kalt und hart ausgeprägt war, stellt sich die Frage wie Brecht den Frauen gegenüberstand. Kann in einer derart anonymen und vor allem auch konkurrenzorientierten Welt etwas so Zartes wie die Liebe entstehen? Sicher ist, dass Brecht viele Liebesgedichte verfasst hat, auch wenn er diese nicht so häufig in seinen Gedichtsammlungen veröffentlichte und viele erst posthum an die Öffentlichkeit gelangten.[23] Allgemein kann man das Schaffen der Liebeslyrik in zwei Phasen einteilen: die frühe Zeit und die Liebeslieder ab den 1950er Jahren. Zwischendurch beschäftigt sich Brecht vorwiegend mit politischen Themen, wie dem Marxismus oder den verschiedenen Stationen im Exil.[24]
Beim Lesen der Gedichtsammlung herausgegeben von Jan Knopf, fällt einem auf, dass viele der Gedichte Brechts einen derben Charakter haben und sich nicht der Liebe als Gefühl, sondern vielmehr dem körperlichen Akt hingeben. Bereits in den frühen Jahren schrieb er über Prostituierte, zum Beispiel in den Augsburger Sonetten: Ratschläge einer älteren Fohse an eine jüngere oder von der Rolle der Frau beim Geschlechtsverkehr Sonett Nr. 10. Von der Scham beim Weibe. In einer harten und ehrlichen Sprache schildert Brecht Fantasien, Weisheiten oder andere pornographische Gedanken, wie auch das Gedicht Über die Verführung von Engeln von 1948 beweist. Hier wird rein inhaltlich erläutert, wie der sexuelle Akt mit einem Engel vollzogen werden soll, wobei dies in sehr offenen und direkten Worten geschieht: „Verzieh ihn in den Hauseingang“ (Z.2), „fick ihn“ (Z.6), „an die Hoden fassen“ (Z.10)[25]. Wie wirkt sich dies auf den Autor Brecht aus, ist er ein pornographischer Sexist und sieht die Frauen nur als Objekte und „Fohsen“ oder steckt mehr hinter diesen derb erotischen Gedichten? In Sonett Nr. 10. Von der Scham beim Weibe wird ein bestimmtes Frauenbild beschrieben mit Adjektiven wie „unersättlich“ (Z.2), „rasch“ (Z.3), sowie „schnell“ (Z.3) oder auch „schön“ (Z.12).[26] Das artikulierte Ich sehnt sich nach einer sexuell erfahrenen Frau, die sich beim Geschlechtsverkehr fallen lassen und diesen ebenso genießen kann wie der Mann.[27] Dieses Bild der Frau ist bereits in der sexuellen Revolution um die Jahrhundertwende geprägt worden, bei der nun die sexuellen Bedürfnisse beider Geschlechter anerkannt sind. Damit wird in diesem Sonett ein fortschrittliches Bild von Frauen belegt, es wechselt jedoch in den Gedichten oft zwischen zwei gegensätzlichen Typen - die Hure oder die Geliebte. Letzteres zeigt sich in unterschiedlichen lyrischen Werken, die sich auf eine andere Art und Weise zur Liebe äußern. Da feststeht, dass die obszöne Lyrik von Brecht meistens nicht selbst publiziert worden ist, sondern erst posthum der Öffentlichkeit preisgegeben wurde, muss man seine Meinung hier differenzierter betrachten. Es handelt sich also um rein private Zeilen, die Brecht aus seinem dichterischen Vergnügen heraus aufschrieb und vielleicht auch gelegentlich mit einigen Frauen teilte. Es sind auch andere Formen der Liebeslyrik vorhanden und zeigen ein differenzierteres Bild von Frauen und Liebe, als es im erotischen Naturalismus vorkommt. In dem um 1925 entstandenen Sonett Entdeckung an einer jungen Frau [28] gibt es ebenfalls keine direkte Thematisierung von Liebe, allerdings werden andere Motive sichtbar. Inhaltlich wird eine Situation des Abschieds beschrieben, bei der das artikulierte Ich nach einer gemeinsamen Nacht die Wohnung einer Frau verlassen will, als er an ihr ein graues Haar entdeckt. Damit wird ihm das Gehen unmöglich und er beschließt zu bleiben und die Zeit zu genießen. Nicht nur äußerlich ist ein Barockgedicht erkennbar, da es in 2 Quartette und 2 Terzette eingeteilt ist. Wobei die ersten beiden Strophen in einem Kreuzreim klar abgeteilt sind und in der dritten und vierten Strophe das Reimschema nach abc acb verläuft. Auch inhaltlich liegt eine Gemeinsamkeit vor, da die Motive ,carpe diem' und ,memento mori' in der hier beschriebenen Vergänglichkeit der Schönheit und der Frau zu finden sind: „doch nütze deine Zeit“ (Z.10), „daß du vergehst“ (Z.13).[29] Die metaphorische Verwendung von „zwischen Tür und Angel“ (Z.11) ist nicht mehr wie am Anfang des Gedichts auf die räumliche Situation bezogen, sondern vielmehr auf den Übergang zwischen Jugend und Alter, Leben und Tod. Damit ist ein wichtiges Element von Brechts Liebeslyrik deutlich geworden, die Vergänglichkeit. Oftmals findet sich diese in Form einer Wolke vor, wie beispielsweise in Erinnerung an die Marie A., in welcher das artikulierte Ich sich nicht an die Geliebte selbst, sondern nur an die Situation in der es sie liebte und über ihnen eine weiße Wolke schwebte, erinnert.[30] Doch auch in diesem Gedicht wird sichtbar, dass es nicht um die Liebe an sich geht, sondern Brecht sie nur in Verbindung mit Frauen und Geliebten thematisiert. Es ist als würde er versuchen die Liebe aus der Liebeslyrik zu verbannen, wodurch eine starke Entemotionalisierung entsteht.[31] Auch durch die Verlegung der Ereignisse in die Vergangenheit und das Schreiben im Präteritum wird eine gewisse Distanzierung erzeugt. Gefühle und kitschige Zeilen wie sie oft auch in der Liebeslyrik anderer großer Schriftsteller vorkamen, findet man bei Brecht nicht. Er verbleibt konsequent im Stil des Naturalismus, sachlich und nüchtern beschreibt er selbst Liebesszenen in einer sehr kühlen oder auch obszönen Art und Weise. Dennoch wird im Gedicht Entdeckung an einer jungen Frau auch eine gewisse Zuneigung gezeigt, denn das artikulierte Ich verlässt die Frau nicht und wendet sich von ihr ab, sondern versucht weiterhin bei ihr zu sein. Der Abschied ist etwas Schmerzliches, dem es mit dem vorzeitigen Verlassen entgegenwirken könnte, aber es beschließt trotzdem zu bleiben. Darin ist doch eine gewisse Zärtlichkeit erkennbar und so gesteht Brecht in einem anderen Gedicht Terzinen über die Liebe: „So ist die Liebe Liebenden ein Halt.“.[32] Auch in der angesprochenen Vergänglichkeit kann nicht nur Negatives gesehen werden, sie ist einfach ein Teil des Lebens. Auch Brecht sieht dies als unumgängliches Naturgesetz an. Später beschäftigt er sich auch mit den Lehren des Taoismus, welche eine ähnliche Grundposition vertreten, wie sich anhand seines Gedichts Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration beweisen lässt.[33] Grob gesehen liegt der Sinn darin, dass alles vergehen wird, egal wie stark es ist:
„Daß das weiche Wasser in Bewegung
Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.
Du verstehst, das Harte unterliegt.“[34]
[...]
[1] Kittstein, Ulrich: Bertolt Brecht. Paderborn 2008, S. 67.
[2] Müller, Klaus-Detlef: Bertolt Brecht. Epoche - Werk – Wirkung. München 2000, S. 34.
[3] Knopf, Jan: Brecht – Handbuch. Bd. 2: Gedichte. Stuttgart 2001, S. 159f.
[4] Ebd., S159-169.
[5] Müller, Klaus-Detlef: Bertolt Brecht. Epoche - Werk – Wirkung. München 2000, S.36.
[6] Lamping, Dieter: Das lyrische Gedicht. Definitionen zu Theorie und Geschichte der Gattung. Göttingen 2000 3. Auflage, S 213ff.
[7] Ebd., S. 215.
[8] Knopf, Jan: Brecht – Handbuch. Bd. 2: Gedichte. Stuttgart 2001, S.160.
[9] Knopf, Jan: Brecht – Handbuch. Bd. 2: Gedichte. Stuttgart 2001, S.159- 166.
[10] Müller, Klaus-Detlef: Bertolt Brecht. Epoche - Werk – Wirkung. München 2000, S.39.
[11] Ebd., S.36.
[12] Petersdorff, Dirk von: Fliehkräfte der Moderne. Zur Ich – Konstitution in der Lyrik des frühen 20.
Jahrhunderts. Tübingen 2005, S. 168f.
[13] Mrotzek, Thomas: Bertolt Brechts Lesebuch für Städtebewohner: Gedichte im Spiegel der Gesellschaft –
Was bewirkt Lyrik im 20. Jahrhundert? München 2006, S. 18f.
[14] Petersdorff, Dirk von: Fliehkräfte der Moderne. Zur Ich – Konstitution in der Lyrik des frühen 20.
Jahrhunderts. Tübingen 2005, S. 168.
[15] Knopf, Jan: Brecht – Handbuch. Bd. 2: Gedichte. Stuttgart 2001, S. 169.
[16] Kindt, Tom u.a.: Ungeheuer Brecht. Eine Biographie seines Werks. Göttingen 2006, S. 168.
[17] Ramthun, Herta: Bertolt Brecht. Tagebücher 1920-1922. Autobiographische Aufzeichnungen 1920-1954.
Frankfurt am Main 1975, S. 178.
[18] Knopf, Jan: Brecht – Handbuch. Bd. 2: Gedichte. Stuttgart 2001, S. 159.
[19] Mayr, Ernst: Die Entwicklung der biologischen Gedankenwelt. Vielfalt, Evolution und Vererbung. Berlin
u.a.1984, S.384ff.
[20] Petersdorff, Dirk von: Fliehkräfte der Moderne. Zur Ich – Konstitution in der Lyrik des frühen 20.
Jahrhunderts. Tübingen 2005, S. 163.
[21] Müller, Klaus-Detlef: Bertolt Brecht. Epoche - Werk – Wirkung. München 2000, S.36.
[22] Petersdorff, Dirk von: Fliehkräfte der Moderne. Zur Ich – Konstitution in der Lyrik des frühen 20.
Jahrhunderts. Tübingen 2005, S. 161ff.
[23] Müller, Hans-Harald, Tom Kindt: Brechts frühe Lyrik: Brecht, Gott, die Natur und die Liebe. München
2002, S. 71.
[24] Hotho, Teresa: Die Liebeslyrik Bertolt Brechts ab 1933. München 2010, S. 2.
[25] Knopf, Jan: Brecht – Handbuch. Bd. 2: Gedichte. Stuttgart 2001, S.1457.
[26] Ebd., S.135.
[27] Kugli, Anna:Feminist Brecht?: Zum Verhältnis der Geschlechter im Werk Bertolt Brechts. München 2006,
S. 86.
[28] Knopf, Jan: Brecht – Handbuch. Bd. 2: Gedichte. Stuttgart 2001, S.685f.
[29] Ebd., S.686.
[30] Ebd., S. 95f.
[31] Müller, Hans-Harald, Tom Kindt: Brechts frühe Lyrik: Brecht, Gott, die Natur und die Liebe. München
2002, S. 74.
[32] Knopf, Jan: Brecht – Handbuch. Bd. 2: Gedichte. Stuttgart 2001, S.796.
[33] Ebd., 296-298.
[34] Ebd., S.297.