Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Unterschiedliche Auffassungen von Gender, Geschlecht und Geschlechterunterschieden
3. Geschlechterunterschiede in der Bildungswahl
4. Geschlechtsspezifische Schulleistungen
4.1 Geschlechtsspezifische Muster in den Leseleistungen
4.2 Geschlechtsspezifische Muster in Mathematik und Naturwissenschaften
5. Ursachen der Geschlechterunterschiede im Bildungserfolg
6. Geschlechtergerechtigkeit in der Schule
7. Resümee
Literatur
1. Einleitung
Die Diskussion um das Genderthema im Bildungswesen ist bereits seit einigen Jahren präsent. Mit einem steigenden Frauenanteil, unter dem Schlagwort „Feminisierung des Lehrerberufs“, werden negative Entwicklungen im Bildungswesen in Verbindung gebracht. Es ist die Rede von der Bevorzugung von Mädchen, einer „Verweiblichung“ des Schulklimas und von einer Diskriminierung der Buben (vgl. Rißland & Sieland, 2000). Durch die PISA-Ergebnisse sowie durch den ersten nationalen Bildungsbericht wurde die Aufmerksamkeit auf die neue Problemthematik gelenkt: „Jungen sind in der Schule weniger erfolgreich als Mädchen.“ (Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006). PISA hat im Gegensatz zu Deutschland in Österreich nur ein sehr geringes mediales und politisches Echo ausgelöst. Dies ist jedoch überraschend, da das österreichische Bildungssystem bekanntlich stark selektiv ist und die Bildungschancen auch davon abhängen, welches Geschlecht man hat (vgl. OECD, 2000). In Europa ist die Gleichstellung der beiden Geschlechter bereits seit längerem ein wichtiges gestecktes Ziel. 1970 wurde bereits damit begonnen, einen Grundstein für die Gleichbehandlung und die Chancengleichheit der Geschlechter in Europa zu setzen. Doch die Umsetzung bereitet immer noch große Schwierigkeiten. In den meisten Staaten bilden die Frauen an den Hochschulen und Universitäten zwar die Mehrheit, jedoch ist ihr Verdienst im späteren Beruf im Gegensatz zu den Männern immer noch geringer. In der Allgemein- und Berufsbildung gibt es ebenfalls geschlechtsspezifische Unterschiede in Bezug auf den Bildungserfolg und die Wahl der Bildungsgänge. Über die letzten Jahrzehnte hinweg gab es starke Veränderungen, wenn man die Differenzen zwischen den Geschlechtern in der Bildung betrachtet und sie sind im Zusammenhang mit dem Bildungserfolg auch komplexer geworden. Einerseits herrscht natürlich eine Ungerechtigkeit aufgrund der Geschlechterstereotypisierung, andererseits können diese Geschlechterunterschiede auch das Wirtschaftswachstum und die soziale Eingliederung negativ beeinflussen. Beispielsweise machen Frauen immer noch die Minderheit in den Bereichen Naturwissenschaft, Mathematik und Technik aus und im Gegensatz dazu sind Jungen eher gefährdet, schlechte Leseleistungen zu erzielen. Und genau diese Beispiele zeigen auf, dass Geschlechterunterschiede im Bereich Bildung unter die Lupe genommen werden müssen, um Maßnahmen zur Erhöhung der Bildungserfolge zu entwickeln (vgl. Eurydice, 2010).
In der vorliegenden Seminararbeit wird zu Beginn die Begriffsdefinition von Gender, Geschlecht und deren Unterschiede erklärt. Danach werden die Geschlechterunterschiede in der Bildungswahl durch eine Tabelle näher erläutert. Im darauffolgenden Punkt geht es um geschlechtsspezifische Schulleistungen, wobei hier näher auf die Leseleistung und auf Mathematik und Naturwissenschaften eingegangen wird. Im Anschluss werden mögliche Ursachen der Geschlechterunterschiede im Bildungserfolg erläutert und der letzte Punkt der Arbeit handelt von der Geschlechtergerechtigkeit in der Schule. Den Schluss der Seminararbeit bildet ein persönliches Resümee, das sich nach der Bearbeitung des Themas eingestellt hat.
2. Unterschiedliche Auffassungen von Gender, Geschlecht und Geschlechterunterschieden
Eine Reihe von Wissenschaftler haben versucht, die Begriffe „Geschlecht“ (englisch: sex) und „Gender“ voneinander abzugrenzen und ihre genaue Bedeutung festzulegen, um zu verstehen, wie sich biologische und andere Faktoren auf das menschliche Verhalten auswirken (vgl. Eurydice, 2010).
Hierzu werden zwei Versuche einer Definition angeführt:
- „Der Begriff Geschlecht (engl. sex) bezieht sich auf die biologischen und physiologischen Merkmale, über die Mann und Frau definiert werden.“ (WHO, 2009)
- „Der Begriff Gender bezieht sich auf die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Merkmale und Möglichkeiten, die mit ‚Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ bzw. mit der Zugehörigkeit zum männlichen oder weiblichen Geschlecht assoziiert werden. In den meisten Gesellschaften unterscheiden sich Männer und Frauen hinsichtlich der Tätigkeiten, die sie ausführen, des Zugangs zu und der Kontrolle über Ressourcen und der Teilhabe an Entscheidungsprozessen. Und in den meisten Gesellschaften haben Frauen als Gruppe weniger Zugang zu Ressourcen, Chancen und Entscheidungsprozessen als Männer.“ (Desprez-Bouanchaud u. a., 1987, S. 20-21)
Seit geraumer Zeit sind in den westlichen Kulturen zwei unterschiedliche Ansätze zur Betrachtung und Differenzierung von Gender- und Geschlechterunterschiede in der Bildung vorzufinden, die wie folgt lauten:
Der erste Ansatz wirkt sehr konservativ, da hier die Unterschiede zwischen Männern und Frauen auf die Natur zurückgeführt werden. Sie werden als biologisch bedingt und damit verbunden als unveränderlich beschrieben und festgelegt. In vielen Kulturen und über viele Epochen hinweg wurde die Sichtweise, dass Frauen den Männern unterlegen sind, nicht kritisiert und einfach so hingenommen. Es wurden auch typische Rollenbilder vermittelt: So wurde beispielsweise dem Mann der öffentliche Raum, sprich die Arbeit zugeschrieben, während die Frau im privaten Raum, dem Haushalt zurückblieb. Zudem wurde auch behauptet, dass die Fortpflanzung gefährdet sei, wenn Frauen an Universitäten studieren dürfen.
Der zweite Ansatz ist progressiv bedingt und meint, dass die sozialen Rollen der Geschlechter von den Einflüssen der jeweiligen vorherrschenden historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Situation abhängig sind und deshalb auch veränderbar sind. Die Position der Frau war in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten sehr unterschiedlich besetzt, jedoch war sie den Männern meist untergeordnet. Deshalb kann man auch davon ausgehen, dass Geschlechterunterschiede auf kulturelle Einflüsse zurückzuführen sind, beispielsweise durch die Auffassungen und Einstellungen, die zu der vorherrschenden Zeit im Vordergrund standen.
Bildung ist hierbei ein Instrument, das dabei helfen kann, verständlich zu machen, warum Geschlechterunterschiede in einem bestimmten geschichtlichen Zeitabschnitt als vordergründig galten und dies noch immer tun und um stereotypische Denkweisen zu hinterfragen und eine Gleichstellung der Geschlechter zu ermöglichen (vgl. Eurydice, 2010).
3. Geschlechterunterschiede in der Bildungswahl
In einem österreichischen Forschungsprojekt von Johann Bacher et al. wurde hinterfragt, ob Geschlechterunterschiede eine Auswirkung auf die Bildungswahl haben. Das öibf (Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung) führte eine Studie durch, die Motive und Hintergründe für die Entscheidung eines Bildungsweges untersuchte. Diese Studie war der Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt und die dabei entstandenen Daten wurden gemeinsam vom Institut für Soziologie der JKU Linz (unter der Leitung von Johann Bacher und Martina Beham) und dem öibf (unter der Leitung von Norbert Lachmayr) analysiert. Der Fokus lag dabei auf dem Gender-Aspekt und es wurde untersucht, ob Jungen auf schulischer Ebene benachteiligt sind.
Die Analyse der Bildungspartizipation nach Geschlecht und Schulstufen wird im Folgenden zusammengefasst:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Beim Übergang in die Sekundarstufe I zeigen sich noch geringe Unterschiede. Bei einem AHS-Besuch beträgt das Chancenverhältnis 1,17 für die Mädchen. Das weibliche Geschlecht hat im Gegensatz zum männlichen eine um 17% höhere Chance, in die AHS-Unterstufe zu gehen. Die Differenz beträgt hier also 4%. Die Differenzen steigen dann in der Sekundarstufe I an: Jungen müssen häufiger eine AHS-Unterstufe wiederholen und steigen dann oft auch aus.
Das führt zu dem Ergebnis, dass am Ende der Sekundarstufe I die Jungen „verloren“ habe und das Chancenverhältnis in der 9. Schulstufe 1,23 ist. In der 10. Schulstufe ist zu sehen, dass dies auf 1,67 bzw. auf 1,40 steigt. Dazu gibt es nach Bacher zwei Ursachen: Einerseits scheiden mehr Mädchen nach der 9. Schulstufe aus dem Schulsystem aus und andererseits besuchen die übrigen Mädchen danach häufiger eine Schule mit Matura.
Durch diese Befunde kommt man also nach der Frage, ob die Jungen schulisch benachteiligt sind, zu folgendem Ergebnis: Sie sind insofern benachteiligt, weil sie weniger oft eine Schule mit Matura besuchen. Aber umgekehrt bleiben sie im Gegensatz zu den Mädchen, die oft nur kurze Ausbildungen absolvieren und nach der Pflichtschulzeit aussteigen, länger im Schulsystem. Eine allgemeine Benachteiligung ist also nicht der Fall. Dazu kommen auch noch Unterschiede innerhalb der Bildungsstufe. Mädchen wählen häufiger einen Ausbildungsweg mit geringerem Prestige und geringen Karrieremöglichkeiten (vgl. Bacher et al., 2008).
4. Geschlechtsspezifische Schulleistungen
Die Unausgewogenheit der Geschlechterverteilung im Tertiärbereich ist ein typisches geschlechtsspezifisches Muster. An den Hochschulen und Universitäten ist das weibliche Geschlecht im Gegensatz zum männlichen in den Bereichen Mathematik, Naturwissenschaften und Technik eine Minderheit. Im Gegensatz dazu sind die Männer in den Erziehungswissenschaften und in Gesundheitsbereichen unterrepräsentiert. Möglicherweise ist der Bildungserfolg von Mädchen und Jungen in der Schule daran schuld, dass solche geschlechtsabhängigen Berufsentscheidungsmuster entstehen. Teilweise kann das auch mit dem Interesse und der Einstellung gegenüber gewissen Schulfächern zusammenhängen. Die analysierten geschlechtsspezifischen Unterschiede der Schulleistungen, betreffend der Fächer Mathematik und Naturwissenschaften, können durchaus die Antwort auf die Frage sein, warum das weibliche Geschlecht in diesen Sparten schwach vertreten ist. Und andererseits kann uns das Wissen um eine schlechtere Leseleistung von Jungen im Gegensatz zu Mädchen möglicherweise dazu verhelfen, um zu verstehen, warum Männer seltener die Bereiche Erziehungs- und Geisteswissenschaften in den höheren Bildungsebenen wählen (vgl. Eurydice, 2010).
4.1 Geschlechtsspezifische Muster in den Leseleistungen
„Alle jüngeren internationalen Leistungsmessungsstudien sind sich darin einig, dass Mädchen tendenziell bessere Leistungen im Lesen erbringen als Jungen.“ (Eurydice, 2010).
Anhand der Ergebnisse von PIRLS 2006 (Progress in International Reading Literacy Study) konnte man unter Betrachtung der Schülerinnen und Schüler aus der 4. Jahrgangsstufe feststellen, dass die Mädchen mit ihren Leseleistungen weit vorne liegen und das sogar in fast allen Staaten. Nur in Spanien und Luxemburg waren die Leseleistungen von beiden Geschlechtern annähernd gleich (vgl. Mullis et al., 2007). Der Studie ist außerdem zu entnehmen, dass es auch in einzelnen Aspekten und Anwendungsbereichen der Lesekompetenz Geschlechterunterschiede gibt. In allen europäischen Staaten beispielsweise, weisen die Mädchen bessere Ergebnisse m Bereich „Lesen literarischer Texte“ auf. Hingegen wurden im Bereich „Lesen informierender Texte“ kaum bis gar keine Unterschiede bezüglich des Geschlechts gefunden. Das trifft vor allem auf die europäischen Staaten wie die Französische Gemeinschaft Belgiens, Spanien, Italien, Luxemburg und Ungarn zu. Bei den älteren Schülerinnen und Schülern, die bei den Schulleistungsstudien zur Testung hinzugezogen wurden, waren die Mädchen ebenfalls besser im Lesen als die Jungen. PISA-Studien (Programme for International Student Assessment), bei denen der Kompetenzstand der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler überprüft wurde, machten ebenfalls deutlich, dass bei den Mädchen ein beachtlicher Leistungsvorsprung besteht und das in so gut wie allen europäischen Staaten (vgl. Eurydice, 2010; BMUKK, 2007).
4.2 Geschlechtsspezifische Muster in Mathematik und Naturwissenschaften
In dem Fach Mathematik findet man weniger ausgeprägte und konstante geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede im Gegensatz zum Bereich der Lesekompetenz. Die Untersuchungen von TIMSS (Trends in International Mathematics and Sciences Study) zeigen ebenfalls keine eindeutigen Ergebnisse in Bezug auf die geschlechtsabhängigen Leistungsdivergenzen in Mathematik. Meist ist zwischen Mädchen und Jungen in der vierten und achten Jahrgangsstufe kein konstanter Leistungsunterschied zu verzeichnen. PISA zufolge haben Jungen jedoch einen leichten Leistungsvorsprung in Mathematik, jedoch gilt das nicht für alle Staaten. Aus einer Studie von PISA 2000, bei der ein Leistungsvergleich der 15-Jährigen durchgeführt wurde, resultierte, dass in der Hälfte der europäischen Staaten das männliche Geschlecht besser in ihren Ergebnissen abschnitt als das weibliche Geschlecht. In den übrigen Staaten waren keine Geschlechterunterschiede ersichtlich (vgl. OECD, 2001). Der eventuell vorliegende Leistungsvorsprung der männlichen Schüler war überwiegend darauf zurückzuführen, dass im Verhältnis viele Jungen überdurchschnittlich gut abschnitten und nicht darauf, dass der Anteil der Jungen in der Gruppe leistungsschwacher Schüler niedriger war.
In den Naturwissenschaften wurden im Gegensatz zu Mathematik und den Leseleistungen insgesamt die geringsten geschlechtsspezifischen Unterschiede festgestellt (vgl. Eurydice, 2010).
5. Ursachen der Geschlechterunterschiede im Bildungserfolg
Wenn man von den Ursachen oder auslösenden Faktoren von Bildungsungleichheiten zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht spricht, ist heutzutage vorerst immer zu klären, welche Ungleichheit gemeint ist, da es mehrere Arten davon gibt: Ungleichheiten im Kompetenzerwerb oder in den Schulabschlüssen, wobei man hier die jeweiligen Kompetenzbereiche voneinander abgrenzen muss (beispielsweise Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaften oder Sozialwissenschaften).
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