Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Veldekes Unterwelt
2.1 Der Gang durch die Unterwelt
2.2 Die Unterschiede der Unterwelt im Eneasroman zur Unterwelt der Aeneis und des Roman d’Eneas
2.3 Die Seelenvorstellungen
3. Darstellung von Angst
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Konzept der Wiedergeburt wird schon seitjeher in religiösen Kreisen diskutiert und kritisiert. Hiermit eng verbunden sind auch die Begriffe Angst und Tod, denn wer dem Tod nahesteht, spürt zumeist auch eine omnipotente Gegenwart von Angst.
Mit diesen Themen beschäftigt sich auch die vorliegende Arbeit, die sich auf den Eneasroman von Heinrich von Veldeke1 bezieht und grob in zwei Themenbereiche gegliedert ist. Dabei erfolgt eine Fixierung auf Eneas Gang durch die Unterwelt. Zunächst wird der Unterweltsgang in verkürzter Form abermals dargestellt, woraufhin Unterschiede zwischen dem Eneasroman und seinen beiden Vorlagen, der Aeneis Vergils und dem Roman d’Eneas eines unbekannten französischen Mittelalterautors, aufgezeigt und analysiert werden. Zum Abschluss des ersten Bereiches erfolgt eine sachliche Auseinandersetzung mit den Seelenvorstellungen zu Zeiten Vergils und Veldekes, wobei die unterschiedlichen Konzepte durchleuchtet werden.
Der zweite Themenbereich beschäftigt sich mit der Materie der Angst. Bevor eine gezielte Untersuchung des besagten Romanabschnittes in Bezug auf diese Thematik erfolgt, wird der im Mittelalter vorherrschende Umgang nahegelegt. Dabei wird auch auf Erzählstrukturen Rücksicht genommen.
Grund für die Themenauswahl ist die Tatsache, dass es gerade zur heutigen Zeit, in welcher die Konfrontation der Religionen Tagesthema ist, interessant ist, wie zurückliegende Epochen, gleich ihrer religiösen Ansicht, mit der Thematik der Wiedergeburt, des Todes und der Angst umgegangen sind.
2. Veldekes Unterwelt
2.1 Der Gang durch die Unterwelt
Tod - ein kurzes, aber doch so vielsagendes Wort, das zumeist mit großer Ehrfurcht verbunden ist. Es beschreibt das Ende des irdischen Lebens einesjeden Menschen, unabhängig davon, was dieser über die Zeit nach dem Tod denkt.
Auch Eneas, der Protagonist in Heinrich von Veldekes Eneasroman, sieht sich auf seiner Reise des Öfteren mit dem Tod konfrontiert. Am deutlichsten geschieht dies wohl während seines Gangs durch die Unterwelt, bei welchem er durch die Seherin Sybille geleitet wird (vgl. ER 2881 - 3739). Bevor er jedoch die Unterwelt betritt, muss er den Göttern ein Opfer bringen und mit einigen Besonderheiten ausgestattet werden. Zunächst isst er ein Kraut und verwendet eine Salbe, so dass er gegen den beißenden Gestank, den Rauch und das Höllenfeuer geschützt ist (vgl. ER 2848ff). Weiterhin führt er ein leuchtendes Schwert mit sich, das sie in der Finsternis sicher leiten soll (vgl. ER 2872ff). Auffällig hierbei sind die explizit genannten und wiederkehrenden Kennzeichen der Unterwelt, wie Gestank, Feuer und Finsternis, die erste Attributionen zur christlichen Höllenvorstellung aufweisen.
Um die Unterwelt zu betreten, steigen die beiden einen breiten, langen und düsteren Krater herab, an dessen Boden ein glühender Strom fließt. Dort finden sie auch eine große, nackte Menschenmenge vor, die weinend und im Eis umherirrend von Drachen, Löwen, Schlangen und Leoparden unter großem Leid zerfleischt wird. Es handelt sich hierbei um die Menschen, die ihr irdisches Leben durch einen Selbstmord beendet haben und daher in der Unterwelt zunächst so lange dafür büßen müssen, bis ihre Sünden getilgt sind und sie somit übers Wasser gesetzt werden können (vgl. ER 2984 ff.). Hierbei ist vom angrenzenden Fluss Phlegethon die Rede, der nur mithilfe des grauenerregenden Fährmanns Charon und dessen Schiff überquert werden kann. Auf der anderen Seite angekommen, gelangen der Protagonist und seine Begleiterin an ein Gewässer namens Ob- livio, das alle Erinnerungen löscht, sobald man davon trinkt. Die trinkenden Gestalten hinter sich lassend, erreichen Eneas und Sybille die Pforte, die sie noch tiefer in die Finsternis bringt und von Cerberus, dem angsterregenden, dreiköpfigen Wesen, bewacht wird (vgl. ER3193).
Nachdem die beiden die Pforte schließlich durchschritten haben, treffen sie zunächst auf verschiedene Gruppen, die nur ganz kurz vorgestellt werden. Zuerst passieren sie die unter großen Qualen leidenden, ungeborenen Kinder, gefolgt von denen, die den Tod aus Liebe gewählt haben. Hier trifft Eneas auch Dido (vgl. ER 3296), wobei dies eigentlich einen logischen Widerspruch darstellt, da sie nicht in einem Atemzug mit den Selbstmördern genannt wird, sondern an einem separaten Platz aufzufinden ist. Offensichtlich gab es also unterschiedlich bewertete Formen von Selbstmord, dies nicht nur bei Veldeke.
Bevor der Held und die Seherin schließlich zu einer überaus düsteren und furchterregenden, von Rhadamanthus selbst regierten Stadt, die Sybille als „rehte helle“ (ER 3384) bezeichnet, gelangen, passieren sie die im Krieg Gefallenen, unter denen Eneas einige seiner früheren Weggefährten erblicken muss (vgl. ER 3310 ff.). Nachdem Sybille dem Protagonisten nun von den Strafen, welche Rhadamanthus verrichtet (vgl. ER 3403), berichtet hat, lassen die beiden die Hölle hinter sich und nähern sich ihrem eigentlichen Ziel, den Elysischen Gefilden.
Hier trifft Eneas auf seinen verstorbenen Vater Anchises, der dem Sohn die glorreiche Zukunft prophezeit (vgl. ER 3618 ff.). Einerseits spricht er von noch bevorstehenden Gefahren, andererseits aber weist er vor allem auf den Ruhm und das mächtige Reich hin, welches aus der Blutslinie Eneas hervorgehen wird. Natürlich liegt hier der Fokus auf dem römischen Imperium, denn „Rome houbetstat wesen sai in der werlde uberai“ (ER 3681 f.). Somit wird auch der Sinn und Zweck der gesamten Unterweltsfahrt deutlich, da sie als nichts Anderes zu interpretieren ist, als eine Rechtfertigung des Herrschaftsanspruchs der Römer aufgrund göttlichen Willens. Hierzu ist insbesondere zu beachten, dass sich das Kaiserreich im Mittelalter als Abkomme des Römischen Reiches sah und diese Thematik somit an großem Interesse gewann.
Schlussendlich bedankt sich Eneas bei seinem Vater und verlässt die Unterwelt in Begleitung von Sybille, um zu seinen Gefährten zurück zu kehren und die Prophezeiung zu verwirklichen.
2.2 Die Unterschiede der Unterwelt im Eneasroman zur Unterwelt der Aeneis und des Roman d’Eneas
Dem Gang durch die Unterwelt wird bei Vergil das sechste Buch seiner Aeneis gewidmet, an welchem sich sowohl der unbekannte französische Autor um 1160 als auch Veldeke selbst orientiert haben. Jedoch hat sich besonders Veldeke einigen Uminterpretationen sowie Umstellungen im Erzählablauf bedient, die im Folgenden dargelegt werden. Dennoch stellt sich die Frage, wieso es diese Abweichungen zur Urfassung eigentlich gibt. Dafür gibt es drei mögliche Gründe.
Der erste Grund für Abweichungen in den Fassungen könnte sein, dass die mittelalterlichen Autoren im Vergleich zu Vergil einen anderen literarischen Kontext hatten. Es herrschte keine Kenntnis von den Hintergründen Vergils, dessen Werk deutliche Parallelen z.B. zur Odyssee aufweist und auch als Versuch zu verstehen ist, diese zu übertrumpfen. Da die Rezipienten diese Werke nicht kannten, wurden einige Einzelheiten unter anderem aus Unverständnis schlichtweg weggelassen2 ’3.
Ein weiterer Grund für Unterschiede der Werke, sind wohl „die spezifisch römischen Interessen lokaler, kultischer und historisch-politischer Art, die Vergils Epos prägen, im Mittelalter aber auf Unverständnis, Desinteresse [...] stoßen konnten und deshalb nicht berücksichtigt wurden.“4 Wie bereits im ersten Teil erwähnt, verstand sich das mittelalterliche Kaiserreich als Abkomme des Römischen Reiches, daher wird auch die Gründungsgeschichte in den mittelalterlichen Werken thematisiert. Jedoch hatten sie für die bei Vergils Ausführung vorzufindenden Einzelheiten, wie ausschweifende Personenaufzählungen, keinen Bedarf.
Ein letzter, aber sehr entscheidender Punkt ist wohl der religiöse Hintergrund, vor welchem die Fassungen auszuwerten sind. Während die Urfassung zweifellos nach römischem Glauben auszulegen ist, standen Veldeke und der französische Anonymous vor dem Problem, dass einige Vorstellungen Vergils mit dem christlichen Glauben nicht zu vereinbaren waren. Ein Beispiel hierfür ist die gesellschaftlich-christliche Vorstellung des Paradieses, wodurch die beiden mittelalterlichen Autoren keine allzu ausschweifende Beschreibung der Elysischen Gefilde zulassen konnten.5 Nachdem nun die möglichen Gründe für Abweichungen zwischen den einzelnen Fassungen aufgezeigt wurden, nähern wir uns diesenjetzt explizit.
Wie bereits in der Beschreibung des Gangs durch die Unterwelt erwähnt, treffen Sybille und Eneas vor ihrem Eintritt in die Unterwelt Vorkehrungen, die sie später gegen Gefahren schützen sollen. Dies geschieht sowohl im Roman d’Eneas als auch bei Ve- ldeke, wobei beide vor allem die Begriffe Gestank, Feuer und Rauch hervorheben, wodurch sie bereits erste Höllenassoziationen aufweisen, um darauf hinzudeuten, dass die ganze Unterwelt als Hölle im christlichen Sinne zu verstehen ist. Bei Vergil erfährt man hiervon nichts.6 Anders verhält es sich mit der Beschreibung der Monster am Eingang der Unterwelt. In der Urfassung wird uns davon berichtet. Im Roman d’Eneas erfolgen kleine Änderung bis hin zu einer Verminderung der Anzahl7, welche Veldeke letztendlich komplett reduziert, da sie schlichtweg nicht der Vorstellung der Hölle nach christlichen Glauben entsprechen.
Auch die Stelle, an der Eneas und Sybille zum Fluss gelangen, über den der Fährmann Charon die Toten transportiert, wurde von Veldeke massiv überarbeitet. Bei ihm warten die Selbstmörder vorm Phlegeton, bis sie ihre Sünde gebüßt haben. Er erschafft folglich eine Art Fegefeuer, was in krassem Kontrast zu den Erzählungen bei Vergil und dem altfranzösischen Unbekannten steht, da diese an gleicher Stelle von den Unbestatteten reden, die vor dem Acheronfluss auf ihre Überfahrt warten. Sehr auffallend ist auch die Beschreibung des Charon, der bei Veldeke als Teufel und mit einem Hundeschwanz, bei Vergil und im Roman d’Eneas lediglich als alter und hässlicher Mann beschrieben wird. Veldeke bleibt seiner Anpassung an die Höllenvorstellungen also treu. Dieses Merkmal ist ebenso bei Cerberus bemerkbar. Auch dort halten die drei Fassungen ihre Beschreibungsmuster bei.8 Ein weiterer entscheidender Unterschied folgt auf die Fahrt mit Charon. Während Vergil den Fluss des Vergessen, bei ihm Lethefluss genannt, erst im Elysischen Gefilde nennt, wenn die Seelen wiedergeboren werden sollen, bezeichnen Veldeke und auch der Roman diesen Fluss als Oblivio, wobei er sich direkt nach der Kahnfahrt befindet. Zu ihm eilen die Toten, um zu vergessen, was ihnen zuvor widerfahren ist. Somit wird er vonjeglicher Reinkamationsfunktion befreit und der Widerspruch zur christlichen Anschauung behoben. Aus diesem Grund ist auch die Szene mit Anchises verändert worden. Vom Lethefluss ist keine Rede, Eneas wird bloß an ein klares Gewässer geführt, wo er auf eine visionäre Artjeden seiner Nachfahren schattenhaft vorgestellt bekommt. Diese Schatten dürfen aber nicht mit der Darstellung Vergils verwechselt werden, der die Seelen der Nachfahren aufgrund der Reinkarnationslehre im Elysium verweilen lässt. Auch dieses Elysium stellt für Veldeke ein Problem dar, denn es weist paradieshafte Züge auf und ist daher an völlig falscher Stelle lokalisiert. Gerade deshalb lässt Veldeke eine Beschreibung der Elysischen Gefilde fast komplett aus. Im völligen Kontrast dazu steht die Darstellung des Tartarus, der im Übrigen in allen drei Werken gleich aufgebaut ist und ziemlich ausführlich beschrieben wird. Ein letzter Unterschied zwischen den Werken betrifft das Gebiet der Säuglinge, von denen zwar in allen Fassungen gesprochen wird, welche aber bloß Veldeke näher als Ungeborene tituliert. Dies ist ein Hinweis auf den sogenannten Limbus, ein nach christlichem Glauben besonderer Ort für vor der Geburt Verstorbene.9
Die aufgezählten Unterschiede zeigen offen auf, dass sich die mittelalterlichen Werke zwar sehr am Vorbild Vergils orientiert, diesesjedoch nach christlichen Blickwinkeln versucht haben umzugestalten. Während der Roman d’Eneas etwas zurückhaltender vorging, versuchte insbesondere Veldeke sehr deutlich, die Vorstellungen anzupassen. Jedoch muss auch beachtet werden, dass beiden Autoren aufgrund der Geschichtserzählung Schranken auferlegt waren.
[...]
1 Die Textgrundlage bildet die 1986 erschienene Ausgabe von Reclam. Zitate aus dieser Ausgabe werden im Folgenden im laufenden Text durch Nennung der Sigle ER und der Verszahl belegt.
2 Vgl. Kem, Peter: Der Gang durch die Unterwelt in Vergils Aeneis, im Roman d’Eneas und in Veldekes Eneasroman. In: Kunst und saelde: Festschrift für Trude Ehlert. Hrsg. v. Katharina Boll. Würzburg: Kö- nigshausen&Neumann2011. S. 115- 130, hier 117.
3 s. Knauer, Georg Nicolaus: Die Aeneis und Homer. Studien zur poetischen Technik Vergils mit Listen der Homerzitate in der Aeneis. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1964.
4 Kem, Peter: Der Gang durch die Unterwelt in Vergils Aeneis, im Roman d’Eneas und in Veldekes Eneasroman. In: Kunst und saelde: Festschrift für Trude Ehlert. Hrsg. v. Katharina Boll. Würzburg: Königshau- sen&Neumann2011. S. 115- 130, hier 122.
5 Vgl. Fromm, Hans: Die Unterwelt des Eneas. In: Arbeiten zur deutschen Literatur des Mittelalters. Hrsg, v. Hans Fromm. Tübingen: MaxNiemeyerVerlag 1989. S. 101 - 121, hier S. 113.
6 Vgl. Kem, Peter: Der Gang durch die Unterwelt in Vergils Aeneis, im Roman d’Eneas und in Veldekes Eneasroman. In: Kunst und saelde: Festschrift für Trude Ehlert. Hrsg. v. Katharina Boll. Würzburg: Kö- nigshausen&Neumann2011.S. 115-130,hierS. 125.
7 Vgl. Fromm, Hans: Die Unterwelt des Eneas. In: Arbeiten zur deutschen Literatur des Mittelalters. Hrsg, v. Hans Fromm. Tübingen: MaxNiemeyerVerlag 1989. S. 101 - 121, hier S. 107.
8 Vgl. Kem, Peter: Der Gang durch die Unterwelt in Vergils Aeneis, im Roman d’Eneas und in Veldekes Eneasroman. In: Kunst und saelde: Festschrift für Trude Ehlert. Hrsg. v. Katharina Boll. Würzburg: Kö- nigshausen&Neumann2011. S. 115- 130, hier S.126f.
9 Vgl. Kem, Peter: Der Gang durch die Unterwelt in Vergils Aeneis, im Roman d’Eneas und in Veldekes Eneasroman. In: Kunst und saelde: Festschrift für Trude Ehlert. Hrsg. v. Katharina Boll. Würzburg: Königshausen & Neumann 2011. S. 115- 130, hier S.127f.