Im Jahre 1665 zog es Evliyāʾ Çelebi zusammen mit dem Großbotschafter Ḳara Meḥmed Paşa als ersten osmanischen Reisenden in die habsburgische Reichshauptstadt Wien, was in der österreichisch-türkischen Geschichte einmalig war. Noch ein Jahr zuvor erlitt das Osmanische Reich in der Schlacht bei Mogersdorf beziehungsweise St. Gotthard unter dem Befehl des Großwesirs Fāżıl Aḥmed Paşa seine erste große Niederlage mit einem Hauptheer, was einen entscheidenden Wendepunkt in der osmanischen Kriegsgeschichte an der Westgrenze markierte und die bis dato unaufhaltsam scheinende Expansion gen Mitteleuropa plötzlich ins Stocken geraten ließ.
Jener Sieg der christlichen Allianz von Habsburg und Frankreich wurde zum Vorboten des bevorstehenden duraklama dönemi (dt.: ‘Stagnationsphase’), was unter anderem dazu führte, dass das Osmanische Reich erstmals auf Augenhöhe mit seinem Erzfeind aus dem Westen verhandeln musste und nicht mehr aus der bisher gewohnten Position der Überlegenheit seine Bedingungen diktieren konnte. Das Debakel vor Wien war allerdings mehr als nur eine militärische Niederlage für die Osmanen und lieferte ein offenkundiges Indiz dafür, wie weit die Divergenz zwischen der islamisch-osmanischen Welt und dem Westen bereits fortgeschritten war. Bis heute wurden in der Forschung zur Osmanistik zahlreiche Erklärungsversuche vorgelegt, um die maßgeblichen Gründe für den Niedergang des letzten türkischen Reiches in der Weltgeschichte zu ermitteln, welche jedoch unter Umständen zu kurz greifen.
So sollen zunächst die grundlegenden Thesen der bisherigen Forschungsliteratur in diesem Kontext aufgegriffen und näher beleuchtet werden, um sie dann im weiteren Verlauf der Seminararbeit um eigene Anregungen bzw. Vorschläge zu ergänzen. Das zentrale Augenmerk der Untersuchungen liegt hierbei auf dem 16. sowie 17. Jahrhundert, da diese Epoche den häufigsten Bezugspunkt der Forschung hinsichtlich des Divergenzprozesses darstellt und die entscheidenden Ereignisse bzw. Symptome aufweist, die dafür verantwortlich waren, dass das Osmanische Reich langsam aber sicher seine jahrhundertelange Vormachtstellung in Südosteuropa gegenüber den westlichen Großmächten bzw. dem Heiligen Römischen Reich unter der Regie der Habsburger Monarchie verlor.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Faktoren der negativen Divergenz im Osmanischen Reich
- Inflation
- Demographischer Wandel
- Scheitern des timar-Systems
- Kapitulationen
- Militär
- Biographie Evliyā' Çelebis
- Familiäre Abstammung
- Bildung
- Aufstieg zum muṣāḥib und seyyāḥ-ı 'ālem
- Aspekte wahrgenommener Divergenz im Wiener Seyāḥat-nāme
- Habsburger Armee
- Medizin
- Anekdote zu einer komplexen OP
- Chirurgie im Osmanischen Reich der Frühen Neuzeit.
- Buchdruck und Medienrevolution
- Gesellschaftliches Verhältnis von Mann und Frau
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Seminararbeit befasst sich mit der Frage der Divergenz zwischen der islamisch-osmanischen Welt und dem Westen im 16. und 17. Jahrhundert, insbesondere am Beispiel der Wiener Reise des osmanischen Reisenden Evliya Çelebi im Jahr 1665.
- Die Analyse der Faktoren, die zur negativen Divergenz des Osmanischen Reiches führten, insbesondere die Inflation, den demographischen Wandel, das Scheitern des timar-Systems, Kapitulationen und die militärische Entwicklung.
- Die Untersuchung der Biographie Evliya Çelebis als Reisender und seine Wahrnehmung der westlichen Welt.
- Die Analyse der im Wiener Seyāḥat-nāme beschriebenen Aspekte der Divergenz, insbesondere die Habsburger Armee, die Medizin, der Buchdruck und das gesellschaftliche Verhältnis von Mann und Frau.
- Die Einordnung der Beobachtungen Çelebis in den Kontext der frühneuzeitlichen Prozesse der Divergenz zwischen der islamisch-osmanischen Welt und dem Westen.
- Die Reflexion der osmanischen Sichtweise auf die Divergenz und ihre Bedeutung für das bipolare Verständnis des Divergenzproblems.
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt die historische Situation im 17. Jahrhundert vor, insbesondere die osmanische Niederlage in der Schlacht bei Mogersdorf und den Beginn der Stagnationsphase im Osmanischen Reich. Es wird die Notwendigkeit einer eingehenden Analyse der Divergenz zwischen der osmanischen Welt und dem Westen betont.
Faktoren der negativen Divergenz im Osmanischen Reich
Dieses Kapitel beleuchtet die wichtigsten Faktoren, die zum Niedergang des Osmanischen Reiches führten. Es werden die Auswirkungen der Inflation, des demographischen Wandels, des Scheiterns des timar-Systems, der Kapitulationen und der militärischen Schwäche erläutert.
Biographie Evliyā' Çelebis
Dieses Kapitel gibt einen Überblick über das Leben des Reisenden Evliya Çelebi. Es behandelt seine familiäre Abstammung, seine Bildung und seinen Aufstieg zum muṣāḥib und seyyāḥ-ı 'ālem.
Aspekte wahrgenommener Divergenz im Wiener Seyāḥat-nāme
Dieses Kapitel befasst sich mit den Beobachtungen Çelebis in Wien und seinen Beschreibungen der Habsburger Armee, der Medizin, des Buchdrucks und des gesellschaftlichen Verhältnisses von Mann und Frau. Es werden Anekdoten aus dem Seyāḥat-nāme zitiert, um Einblicke in Çelebis Wahrnehmung der westlichen Welt zu gewinnen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter der Arbeit sind: Osmanisches Reich, Divergenz, West-Ost-Beziehungen, Wiener Türkenbelagerungen, Evliya Çelebi, Seyāḥat-nāme, Inflation, Militär, Medizin, Buchdruck, Gesellschaft, Kultur.
- Quote paper
- Ugur Koc (Author), 2019, Osmanische Divergenz und der Wiener Reisebericht Evliyāʾ Çelebis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/512607