Verbrüderung am 38. Breitengrad. Die Wiedervereinigungsfrage Koreas im Kontext von historisch-politischen Entwicklungen und globalen Herausforderungen


Bachelor Thesis, 2018

66 Pages, Grade: 1,7

Anonymous


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Inhaltsverzeichnis

1 Einführung
1.1 Relevanz der Arbeit
1.2 Zielsetzung und Aufbau

2 Historisch-politischer Hintergrund des geteilten Koreas
2.1 Vom Kolonialstaat zur vorläufigen Teilung
2.2 Der Koreakrieg 1950-
2.2.1 Kriegsverlauf und entscheidende Akteure
2.2.2 Das Waffenstillstandsabkommen

3 Entwicklungen in Nord- und Südkorea nach
3.1 Südkorea: Vom autoritären System zur Demokratie
3.1.1 Die Sechs Republiken und ihre Entscheidungsträger
3.1.2 Wirtschaftswunderland - Vom Agrarstaat zum Global Player
3.1.3 Internationale Beziehungen: Die Vereinigten Staaten und China
3.2 Nordkorea: Das Kim-Regime
3.2.1 Von Kim Il Sung bis Kim Jong Un - Der Diktator als Gott
3.2.2 Staatsideologien und Kernwaffen: Zur Legitimation des Regimes
3.2.3 Außenbeziehungen: Zwischen Abhängigkeit und Konfrontation

4 Realität oder Utopie: Die Vereinigungsfrage Koreas
4.1 Die Wechselhaftigkeit der innerkoreanischen Beziehungen
4.2 Die nationale und internationale Tragweite einer Vereinigung
4.2.1 Innenpolitische Herausforderungen in Korea
4.2.2 Der wirtschaftliche Aspekt: Differenzen und Chancen
4.2.3 Vereinigung oder Status quo - Globale Interessen in der Koreafrage
4.3 Divergente Mentalitäten
4.3.1 Der Wille des Volkes: Wiedervereinigung gewünscht?
4.3.2 Verwestlichung versus Staatsideologie

5 Fazit und Ausblick: Koreas ungewisse Zukunft

Literaturverzeichnis

In der ganzen Welt ist jeder Politiker sehr für Revolution, für Vernunft und Niederlegung der Waffen - nur beim Feind, ja nicht bei sich selbst.

Hermann Hesse

Hinweise

Jegliche subjektive Ansichten in dieser Arbeit spiegeln ausschließlich die Meinung des Autors wider. Eine potentielle überholte Aktualität dieser Arbeit zum Zeitpunkt der Veröffentlichung oder zu einem späteren Zugriffszeitpunkt kann aufgrund ihrer hohen Brisanz nicht ausgeschlossen werden.

Im Koreanischen wird der Familienname dem Vornamen vorangestellt. Die Transkription der koreanischen Namen und Begriffe in der vorliegenden Arbeit basiert auf der revidierten Romanisierung. Handelt es sich hingegen um einen in westlichen Publikationen bereits mit abweichender Schreibweise etablierten Personennamen, wird dieser verwendet.

1 Einführung

1.1 Relevanz der Arbeit

Aus überdimensionalen Lautsprechern, aufgestellt im nordkoreanischen Dorf Kijeong-dong kurz hinter der innerkoreanischen Grenze, ertönte bis April 2018 laute Propaganda für Kim Jong Uns Regime. Ein paar Kilometer weiter, in den Räumlichkeiten der blauen Baracken von Panmunjeom entlang der Demarkationslinie am 38. Breitengrad, ist die Spannung zwischen den Soldaten Nord- und Südkoreas förmlich greifbar. 1953 wurde hier durch die Unterzeichnung eines Waffenstillstandes der Koreakrieg faktisch beendet. Kriegshandlungen finden hier nicht mehr statt, dennoch ging Südkorea in die Offensive: Denn der Süden beschallte zurück - mit südkoreanischer Popmusik.

Angesichts des lang erwarteten Gipfeltreffens zwischen dem nordkoreanischen Machtinhaber Kim Jong Un und Südkoreas Präsidenten Moon Jae-in verzichteten Nord und Süd auf jegliche Art von psychologischer Kriegsführung durch propagandistische Beschallung, um diesen wichtigen Schritt in Richtung einer friedlichen Annäherung zu untermauern. Am 27. April 2018 schaut die Welt nach Korea, und wieder sind die blauen Baracken Schauplatz eines zukunftsweisenden Ereignisses: Kim und Moon schütteln sich die Hände und übertreten im Zuge ihres Gipfeltreffens die innerkoreanische Landesgrenze. Keine zwei Monate später folgt die nächste historische Begegnung: Erstmals treffen sich ein amtierender US-Präsident und nordkoreanischer Machtinhaber zu bilateralen Gesprächen und stellen der internationalen Gemeinschaft einen gemeinsamen Fahrplan über die Denuklearisierung Nordkoreas in Aussicht. War dies eine beispiellose mutige Begegnung zweier Staatsmänner, wie Donald Trump das Gipfeltreffen im Nachhinein so charmant selbstlos bezeichnete, oder nur ein weiterer Austausch leerer Versprechungen in einer Reihe von internationalen Annäherungsversuchen mit dem Kim-Regime? Während Trump seine Zuversicht auf eine friedliche Entwicklung der Koreafrage bekräftigt und das Ende der nuklearen Bedrohung durch Nordkorea schon in Stein gemeißelt sieht, bleibt der faktische Erfolg dieser und früherer Begegnungen weiter fragwürdig.

Kaum ein Konflikt der Welt ist so brisant und spannungsgeladen wie der auf der Koreanischen Halbinsel. An der am stärksten bewachten Grenze der Welt wird ein jahrzehntelanger Konflikt zwischen zwei ehemals verbrüderten Staaten ausgetragen, dessen Folgen bis heute andauern. Die Debatte um die koreanische Wiedervereinigung sorgt seit jeher nicht nur auf der Halbinsel für Zündstoff, auch im globalpolitischen Raum ist man sich über das Verfahren mit Nordkorea weitgehend uneinig. Gespräche über eine mögliche Wiedervereinigung finden statt - doch ist die Stimmungslage des nordkoreanischen Machtinhabers Kim Jong Un mehr als wankelmütig. Gestern noch nukleare Aufrüstung und Raketentests vor der Küste Nordkoreas mit Geschossen, die das nordamerikanische und europäische Festland mühelos erreichen könnten, heute ein besonnenes Gipfeltreffen mit Südkorea unter dem Beteuern, künftig auf militärische Provokationsaktionen verzichten zu wollen, ja sogar mit dem gegenseitigen Versprechen einer gänzlichen Denuklearisierung der Halbinsel. Dieses politische Tauziehen lässt die Welt immer wieder den Atem anhalten, sei es vor der Aussicht auf einen positiven politischen Paradigmenwechsel oder unguter Vorahnung auf eine potentielle Eskalation, und sich fragen, wieso es beide koreanischen Staaten bislang nach mehr als 60 Jahren in der politischen Grauzone des Waffenstillstands noch nicht zu einer endgültigen Lösung, oder zumindest einer entscheidenden Annäherung im Konflikt gebracht haben.

1.2 Zielsetzung und Aufbau

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, dem Leser eine Übersicht über den politischen und gesellschaftlichen Kontext Süd- und Nordkoreas im Zuge des Korea-Konflikts zu verschaffen, um die anschließende Frage nach der Möglichkeit, den Prämissen sowie den Konsequenzen einer Wiedervereinigung unter den gegebenen Aspekten erörtern zu können. Es soll nicht Gegenstand dieser Arbeit sein, Handlungsempfehlungen zu geben oder sich explizit - etwa in Form eines politischen Manifestes - für eine der Konfliktparteien zu positionieren. Es gilt vielmehr, die Krise im globalen Kontext unter Berücksichtigung von nationalen und globalen politischen Geschehnissen, Entwicklungen und Interessen darzustellen.

Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert. Um den historischen Kontext der Verfeindung von Nord- und Südkorea verstehen zu können, soll in Kapitel 2 zunächst die Teilung der Halbinsel im Zuge der konfliktreichen Zeit der japanischen Besatzung und des Zweiten Weltkrieges veranschaulicht werden, die den Ausgangspunkt der Spaltung des Landes in den kommunistischen Norden und den demokratischen Süden darstellt. Der darauffolgende Koreakrieg wird in seinem Verlauf in Hinblick auf die Rolle der US, der Vereinten Nationen und Chinas dargestellt und das Waffenstillstandsabkommen als Ergebnis des Krieges betrachtet.

Die politischen Veränderungen, wie sie nach Kriegsende parallel in Nord- und Südkorea abliefen, bilden mit Kapitel 3 einen weiteren Kernpunkt dieser Arbeit. Welche Präsidenten haben mit ihrer Politik die Situation Südkoreas maßgeblich geprägt? Wie konnte der Süden nach dem verheerenden Krieg von einer bettelarmen Gesellschaft zu einer Industrienation und Mitglied der G20 heranwachsen? Welche Beziehungen pflegt der Staat heute zu den einstigen Akteuren des Koreakrieges? Diese Fragen sollen im ersten Teil des Kapitels beantwortet werden. Der zweite Teil veranschaulicht die politische Situation Nordkoreas, erklärt die ideologische Beziehung des Volkes zum Kim-Regime und zeigt dessen internationale politische Beziehungen auf.

Nachdem die historischen und politischen Hintergründe der Halbinsel erläutert wurden, kann im vierten Kapitel die Frage nach einer Wiedervereinigung gestellt werden. Die bisherigen Annäherungsversuche und Rückschläge beider Koreas werden zunächst in Kapitel 4.1 in ihrem wechselhaften Verlauf aufgeführt. Kapitel 4.2 befasst sich mit den Voraussetzungen und der nationalen sowie internationalen Tragweite und Einschätzung der Koreafrage. Es soll dargestellt werden, ob eine Vereinigung für die Halbinsel tragbar sein kann und welche politischen und wirtschaftlichen Chancen und Herausforderungen sich für Nord- und Südkorea ergeben können. Weiterhin werden die Interessen internationaler staatlicher Akteure, allen voran die Chinas und der Vereinigten Staaten, in der Koreafrage gezeigt. Der Fokus auf die unterschiedliche Mentalität Nord- und Südkoreas soll schließlich in Kapitel 4.3 einen Einblick in den zivilgesellschaftlichen Aspekt einer Wiedervereinigung geben.

Ein abschließendes Resümee soll die politischen und ideologischen Entwicklungen beider Staaten bis hin zur gegenwärtigen Lage rekapitulieren und einen Ausblick geben auf zukünftige Chancen und Ereignisse, die die Koreafrage maßgeblich beeinflussen werden.

2 Historisch-politischer Hintergrund des geteilten Koreas

2.1 Vom Kolonialstaat zur vorläufigen Teilung

Lange Zeit galt Korea als ein selbstbestimmtes, nach außen abgeschottetes Land mit eigener Kultur, Wirtschaft und Recht. Nach dem Krieg um die Vorherrschaft auf der Halbinsel zwischen China, Japan und Russland wurde Korea 1905 infolge des Territorialstreits zunächst unter Schutzherrschaft Japans gestellt, mit der völkerrechtswidrigen Annexion Koreas durch Japan ein Jahr später begann 1910 für die Halbinsel eine Phase der Unterdrückung und Gewalt, deren Auswirkungen bis heute den angespannten Beziehungen zwischen diesen Nationen zu Grunde liegen.1 Die Annexion begründete Japan mit dem Anliegen beider Staaten -die forcierte Unterzeichnung Koreas ließ Tokio völlig außer Acht -, durch derartige weitreichende politische Struktur- und Machtveränderungen den Frieden und die Stabilität, sowie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation der Koreanischen Halbinsel beizubehalten und verbessern zu wollen.2

Korea wurde 1910 somit offiziell zu einer Kolonie Japans. Die Folgen dieses Abkommens waren für Japan vor allem wirtschaftlich höchst profitabel, für Korea hingegen ein massiver Rückschlag für die zivilgesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Situation des Landes durch eine jahrzehntelange wirtschaftliche Ausplünderung. Das angebliche Ziel des Annexions-Abkommens - die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation Koreas - wurde somit in keinem Aspekt erreicht, Korea galt lediglich als ökonomisch vorteilhafte Kolonie zweiter Klasse. In der koreanischen Bevölkerung organisierte sich während der Zeit der Besetzung ein antijapanischer Widerstand, der gegen die Assimilierung und Unterdrückung Japans und für die kulturelle Autonomie demonstrierte.3

Am 100. Jahrestag der Annexion der Koreanischen Halbinsel entschuldigte sich der japanische Ministerpräsident Naoto Kan, stellvertretend für seine Regierung, für die Zeit der politischen und gesellschaftlichen Unterdrückung.4 Ein Jahrhundert nach der folgenreichen Annexion herrscht noch immer ein öffentliches Klima der Antipathie gegenüber Japan unter älteren Teilen der Bevölkerung - vor allem denjenigen, die die Kolonialzeit und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen noch miterlebt hatten, wie etwa damalige Zwangsprostituierte. Die Entschuldigung Kans war für viele Südkoreaner aufgrund des Mangels an aufrichtigem Bedauern und des Ausbleibens jeglicher finanziellen oder sonstigen Entschädigung für die Opfer aber kaum mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen der historischen Bewältigung wird sich „der koreanisch- j apanische Streit über die Geschichte (...) immer wieder neu entzünden, weil die Koreaner eine ,Vergangenheitsbewältigung im Sinne der Gerechtigkeit fordern und die ,Vergangenheitsbewältigung durch Vergessen‘ ablehnen, welche sich die Japaner vorstellen.“5

Mit Aussicht auf ein Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Korea seine Unabhängigkeit bereits 1943 auf der Konferenz von Kairo durch die USA, Großbritannien und China zugesagt, zwei Jahre später, auf der Konferenz von Jalta 1945, wurde sich jedoch auf eine vorübergehende Treuhandschaft und somit die Verwaltung der Rechte Koreas im eigenen Namen und die Auflösung Koreas als japanische Kolonie geeinigt.6 Akteure dieser „Vier-Mächte- Treuhänderschaft“7 waren demnach die USA, die Sowjetunion, Großbritannien und China. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 und der bedingungslosen Kapitulation Japans nach den Atomangriffen auf Hiroshima und Nagasaki durch die USA sollte theoretisch auch die Unabhängigkeit der einstigen Kolonie folgen.

Durch den Kriegseintritt Russlands kurz zuvor befanden sich dessen Truppen jedoch bereits im Norden der Koreanischen Halbinsel. Die USA unter Präsident Truman befürchteten, dass sie durch die Ausbreitung Russlands mit zu wenig Macht und Besatzungsgebiet auf der Halbinsel zu kurz kommen würden. Stalin stimmte dem darauffolgenden Vorschlag der USA, der „Teilung des Verantwortungsbereiches der beiden Kriegspartner in Korea am 38. Breitengrad“8, zu. Die Auswahl des 38. Breitengrades als Trennlinie mag willkürlich erscheinen, immerhin teilt sie die Halbinsel in zwei nahezu gleich große Teile, mit dem Ziehen der Grenze an dieser Linie befand sich Seoul als damaliges politisches und wirtschaftliches Zentrum jedoch auf Seiten der USA. Im Süden zeichnete sich durch die folgenden Veränderungen durch Rhee Syngman die politische Linie der Besatzungsmacht USA ab, während sich mit Kim Il Sung - hier noch als Parteivorstand der kommunistischen und antijapanischen Fraktion - im Norden der Kommunismus Russlands und Chinas durchsetzte. Diese politischen Entwicklungen waren der Wegbereiter für die folgende Ausrufung beider Besatzungszonen als eigenständige Staaten durch Rhee Syngman bzw. Kim Il Sung, und somit die faktische Teilung der Halbinsel in Nord und Süd in Anlehnung an den 38. Breitengrad im August bzw. September 1948.9

2.2 Der Koreakrieg 1950-1953

War letzten Endes jene Aufteilung am 38. Breitengrad in die beiden Verantwortungsbereiche - die Sowjetunion im Norden, die USA im Süden - verantwortlich für die ideologische Spaltung der Halbinsel und somit den Ausbruch des Koreakrieges? Zeitlich zwischen der Erholungs- und Wiederaufbauphase des Zweiten Weltkriegs und dem Vietnamkrieg gelegen - man könnte fast meinen, sogar untergegangen -, ist das Wissen vom und über den Koreakrieg - der erste Konflikt des Kalten Krieges - heute vor allem in der westlichen Welt wenig ausgeprägt, weshalb er oft als der „vergessene Krieg“ betitelt wird. Die Thematik ist jedoch insofern höchst aktuell, da die Spannungen zwischen Nord und Süd immer wieder drohen, zu eskalieren und bis zum heutigen Tag kein Friedensabkommen unterzeichnet wurde; Nord- und Südkorea befinden sich demnach offiziell noch immer im Krieg.

2.2.1 Kriegsverlauf und entscheidende Akteure

Nach der Teilung Koreas in das kommunistisch besetzte Gebiet im Norden unter der Führung von Kim Il Sung und den Süden unter Rhee Syngman zogen sich 1848 die Besatzungstruppen Russlands, und darauffolgend auch die der USA, aus den jeweiligen Teilen des Landes zurück. Kim ersuchte daraufhin bei Stalin Unterstützung für „Möglichkeiten einer militärischen Lösung der Wiedervereinigung“10. Hier zeichnete sich bereits sein Vorhaben ab, sich den Süden einzuverleiben und seinen kommunistischen Staat auf die gesamte Halbinsel auszubreiten. Nachdem Stalin seinem Vorschlag, den amerikanischen Einfluss im Süden ein Ende zu bereiten, schließlich zustimmte, stand einem „,Befreiungskrieg‘ zur Wiedervereinigung Koreas“11, wie er von Kim und Stalin bezeichnet wurde, nichts mehr im Weg. Der 25. Juni 1950 markiert mit dem Überschreiten der Demarkationslinie am 38. Breitengrad und dem Einmarsch der nordkoreanischen Soldaten in den Süden den offiziellen Kriegsbeginn auf der Koreanischen Halbinsel.

Mit der Duldung und Befürwortung einer derartigen militärischen Kriegshandlung in seinem Besatzungsgebiet verstieß die Sowjetunion als eines der Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen gegen die UN-Charta, da sie und Nordkorea nicht nur den auf internationale Friedensbemühungen ausgelegten Leitsatz der Charta missachteten, sondern unter anderem auch gegen den Grundsatz der friedlichen Klärung von zwischenstaatlichen Streitigkeiten handelten.12 US-Präsident Truman reagierte umgehend und ersuchte noch am gleichen Tag der Invasion die Unterstützung der UN, die ihm durch ein Mandat grünes Licht zum Eingreifen in den Konflikt erteilte, laut diesem „Südkorea alle Unterstützung gegeben werden dürfe, um den bewaffneten Angriff zurückzuschlagen und Frieden und Sicherheit wiederherzustellen“13. Durch dieses Mandat war die Legitimierung der militärischen Unterstützung Südkoreas durch amerikanische und UN-Truppen in den Konflikt gegeben. Die Truppen der Vereinten Nationen, der US-Armee und Südkoreas wurden somit zu Alliierten im Koreakrieg. Durch die Unterstützung der UN gelang es dem US-Militär und den südkoreanischen Soldaten, die rote Armee bis weit in den Norden, an die Grenze zu China, zurückzudrängen, nachdem diese zuvor bereits binnen weniger Tage die Hauptstadt Seoul eingenommen hatte und bis in den äußersten Süden der Halbinsel vorgedrungen war.14

Die Volksrepublik China, als Teil des kommunistischen Blocks mit der Sowjetunion und Nordkorea, sah dem Vormarsch der UN-Truppen äußerst argwöhnisch entgegen. Der damalige Premierminister Zhou Enlai machte den USA deutlich, dass ein derartiges Voranschreiten von amerikanischen Truppen an chinesisches Territorialgebiet nicht geduldet werde: Sollten die amerikanischen Truppen den 38. Breitengrad überqueren, werde die chinesische Armee in die Offensive gehen.15

Im Oktober 1950 geschah genau dies - Truppen Südkoreas überquerten die Demarkationslinie, drangen weiter ins Innere des Landes ein, bis sie schließlich die nordkoreanische Hauptstadt Pyeongyang besetzen konnten, und stießen bis in den Nordosten der Halbinsel und zum Fluss Yalu an der Grenze zu China vor. Der oben genannten Drohung der chinesischen Regierung zum Trotz, sah der Befehlshaber der US-Truppen MacArthur die Problematik weniger in der chinesischen Armee, sondern in einem eventuellen Eingreifen der Sowjetunion.16 Derweil gelang es China, unbemerkt in der damaligen Mandschurei stationierte Truppen nach Nordkorea zu schleusen. Im Dezember 1950 setzten die nordkoreanischen Truppen durch die Unterstützung der chinesischen Armee - Sowjetische Truppen unterstützten zudem den Norden hauptsächlich durch die Bereitstellung von Waffen und Beihilfe im Luftangriff - zum Gegenschlag an; Pyeongyang wurde wieder in ihre Gewalt gebracht. Südlich von Seoul stießen sie jedoch erneut auf den Widerstand der Alliierten, denen es gelang, nach schweren Verlusten auf beiden Seiten, wieder bis über den 38. Breitengrad in den Norden vorzurücken.17 In den folgenden Monaten kam es immer wieder zu Rückeroberungen von Gebieten durch die rote Armee bzw. die UN-Truppen, jedoch konnte bis zum Ende des Krieges im Juli 1953 keine Kriegspartei die andere völlig zurückdrängen oder entscheidend dezimieren. Dennoch gilt der Koreakrieg als „schwerste kriegerische Auseinandersetzung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges“18.

2.2.2 Das Waffenstillstandsabkommen

Initiiert von der UN-Delegation der Sowjetunion, nach dem deren Kriegsausrüstung und Streitkräfte für die Unterstützung Chinas erschöpft waren und unter Anbetracht der hohen Verluste in der chinesischen Armee, fanden die ersten Verhandlungen über einen Waffenstillstand bereits im Juli 1951 statt und zogen sich nach langwierigen Verhandlungen und zahlreichen Unterbrechungen und Wiederaufnahmen bis zum Juli 1953 fort. Unterschrieben wurde der Vertrag schließlich am 27. Juli 1953 an der Demarkationslinie in Panmunjeom vom Befehlshaber der US-Truppen und dem General der UN-Streitkräfte seitens der Alliierten, und dem General Nordkoreas sowie der Chinas als Vertreter der kommunistischen Streitkräfte.19

Dies markierte zwar den Beginn der vorläufigen Einstellung von Kampfhandlungen auf der Koreanischen Halbinsel, aber mitnichten den Friedensbeginn zwischen Nord- und Südkorea. In der Präambel des Vertrages wird die Absicht der unterzeichnenden Parteien deutlich:

„ The undersigned (...), in the interest of stopping the Korean conflict (...) and with the objective of establishing an armistice which will insure a complete cessation of hostilities and of all acts of armed force in Korea until a final peaceful settlement is achieved, (.) agree to accept and to be bound and governed by the conditions and terms of armistice set forth in the following articles and paragraphs“ 20.

Das Waffenstillstandsabkommen war demnach eben genau das: ein Vertrag, der beide Parteien zur Einstellung von Kampfhandlungen verpflichtet, der jedoch auch einseitig oder von beiden Parteien aufgekündigt werden und so den Konflikt in den offiziellen Ausgangszustand zurückversetzen kann, da er im Völkerrecht als nicht bindend gilt; es handelt sich also nicht um einen gesetzmäßigen Friedensvertrag, sondern vielmehr um ein Provisorium - ein Provisorium, das seit mehr als 60 Jahren besteht. Das Abkommen hält zudem die von da an geltende Landesgrenze zwischen Nordkorea und Südkorea fest: Ein zwei Kilometer breiter Streifen entlang der Demarkationslinie wurde als entmilitarisierte Zone ausgewiesen, wobei es Soldaten, insbesondere Zivilisten, beider Nationen nur mit ausdrücklicher Autorisierung gestattet ist, diese zu betreten - abgesehen von den dort stationierten koreanischen Soldaten auf ihren respektiven Seiten.21

3 Entwicklungen in Nord- und Südkorea nach 1953

Seit der offiziellen Teilung nach Ende des Krieges verlief die Entwicklung beider junger Staaten politisch zunächst ähnlich - auf beiden Seiten etablierte sich eine autoritäre, vom Militär gestützte Regierungsform. Da sich im Süden mit der Zeit jedoch eine demokratische Linie bildete, verlief die Politik beider Koreas zunehmend antagonistisch. Inwiefern sich diese Gegensätze auf nationalpolitischer, gesellschaftlicher und ideologischer Ebene gebildet haben, soll in den folgenden Kapiteln veranschaulicht werden.

3.1 Südkorea: Vom autoritären System zur Demokratie

3.1.1 Die Sechs Republiken und ihre Entscheidungsträger

Setzt man sich mit den politischen Etappen Südkoreas seit 1948 - also seit der Ausrufung Südkoreas als unabhängigen Staat durch Rhee Syngman - auseinander, so erfolgt die Darstellung der Phasen oft mit der Einteilung in Republiken, wobei eine solche Republik nicht unbedingt deckungsgleich mit der Amtszeit einer Regierungsperiode ist.

Die Erste Republik, datiert von 1948 bis 1960, unter Rhee Syngman - seinerzeit Mitglied des antijapanischen Widerstands während der Kolonialzeit - charakterisiert sich vor allem durch dessen antikommunistisches und zugleich autoritäres Staatsverständnis. Besonders umstritten waren seine strikte Vorgehensweise, die politische Partizipation der Opposition zu unterbinden - die Einführung der Präsidentschaft auf Lebenszeit und die Hinrichtung eines Oppositionellen seien hier als Beispiel genannt - und das Stellen von jedwedem Sympathisieren mit dem Norden unter harte Strafen. Nach dem Aufdecken von Manipulationen seiner Wiederwahl 1960 und dem immer stärker werdenden Unmut gegenüber dem Präsidenten, der schließlich in Massenproteste gipfelte, sah sich Rhee schließlich gezwungen, im selben Jahr zurückzutreten und ins Exil zu gehen.22

Die darauffolgende Verfassungsänderung hin zu einem parlamentarischen System markiert die Zweite Republik von 1960 bis 1961. Dieser Versuch hin zur Demokratisierung wurde jedoch durch den bald folgenden Militärputsch unter General Park Chung Hee im Mai 1961 zum Erliegen gebracht und läutete die langanhaltende und politisch bewegte Periode der Dritten Republik ein.23 Park, nunmehr zum Präsidenten gewählt, führte das Land mit militärischer Härte und legte das Fundament für die ersten „Grundstrukturen des ,gelenkten Kapitalismus‘ südkoreanischer Prägung (.) [und] die Grundzüge des Überwachungs- und Repressionsstaates“24.

Während dieser Militärdiktatur forcierte Park den Ausbau einer exportorientierten Wirtschaftsstruktur, wodurch sich die ökonomische Lage des Landes merklich verbesserte, die Opposition ließ jedoch während seiner Präsidentschaft immer wieder Korruptionsvorwürfe verlauten und klagte die autoritäre Regierungsweise - insbesondere die Missachtung von Bürgerrechten wie der Meinungs- und Pressefreiheit - an. 1973 erließ Park infolge der Vierten Republik die sog. Yusin-Reform, durch welche die Verfassung außer Kraft gesetzt, politische Aktivitäten verboten, die Legislative aufgelöst und somit die totale Autokratie Parks gewährleistet wurde. Im Zuge dieser Reform kam es vermehrt zu Studentenprotesten und immer lauter werdender Kritik seitens der Opposition, die schließlich mit einem Attentat auf den Präsidenten 1979 ihren Höhepunkt fanden. Der Ermordung Parks folgte eine Zeit der politischen Unruhe, die Übergangsregierung wurde wenige Monate später durch die militärische Machtübernahme unter Chun Doo-hwan gestürzt, der - ähnlich wie Park - kurz nach dem Militärputsch zum Präsidenten gewählt wurde und unter Verhängen des Kriegsrechts Aufstände blutig niederschlagen ließ. Somit war die Fünfte Republik von 1980 bis 1987 abermals geprägt von einem Legitimationsdefizit. Chun trieb die ökonomische Entwicklung des Landes, wie sie unter Park ihren Anfang fand, weiter. Dies hatte jedoch - von der Regierung unbeabsichtigt - zur Folge, dass sich das Volk durch die verbesserte Infrastruktur und Bildungschancen zu organisieren und wehren begann: Erste Demokratisierungsbewegungen wurden gegründet.25

Eine Liberalisierung der Militärherrschaft war die widerwillige Antwort der Regierung auf die scharfe Kritik an der Legitimierung, die von der Opposition und der breiten Öffentlichkeit ausging. Nachdem sich 1987 die Regierung unter Chun nach ausladenden Demonstrationen durch die Demokratiebewegungen gezwungen sah, zurückzutreten, war der Weg zwar frei für die ersten direkten Präsidentschaftswahlen, da aber Uneinigkeiten in der Opposition bezüglich der Kandidatenaufstellung herrschte, konnte sich Roh Tae-woo, der Favorit des bisherigen Regimes, durchsetzen. Obwohl unter dessen Führung von 1988 bis 1993 der Demokratisierungsprozess vorangetrieben und somit die Sechste Republik eingeläutet wurde - die mit ihrer Regierungsform der Demokratie bis heute anhält -, protestierten die Demokratiebewegungen gegen den amtierenden Präsidenten und seinen militärischen Hintergrund.26

Das Jahr 1993 markiert mit dem darauffolgenden Präsidentenwechsel zu Kim Young- sam den wichtigsten Wendepunkt in der jüngeren Politikgeschichte Südkoreas: Nicht nur, dass erstmals ein Staatschef ohne militärischen Hintergrund seit der Gründung des unabhängigen Staates 1948 an der Macht war; das gesamte Militär wurde aus jeglicher Regierungsbeteiligung ausgeschlossen - der entscheidende Schritt für das Voranschreiten der Demokratie im Land.27 Mit dem Wechsel der Staatsführung 1998 zu Kim Dae-jung entwickelten sich langsam aber sicher die Anfänge eines Rechtsstaates. Kim begnadigte die von seinem Vorgänger wegen Korruption und Kriegsverbrechen verurteilten ehemaligen Staatschefs Chun Doo-hwan und Roh Tae-woo - beide hatten mit ihrer Regierung eine harte Linie gegen den Norden geführt.28 Er zielte hiermit auf eine Entspannung der Lage sowohl auf nationaler Ebene, als auch zwischen Nord und Süd ab, was sich auch in seiner sog. „Sonnenscheinpolitik“ abzeichnete. Hauptziel dieser war die Annäherung an Nordkorea und die Förderung eines politischen und gesellschaftlichen Dialogs beider Staaten. Für seinen Beitrag zu Demokratie und Wahrung von Menschenrechten im Zuge seiner Aussöhnungsgesuche mit Nordkorea erhielt er im gleichen Jahr den Friedensnobelpreis.29

Präsident Roh Moo-hyun führte diese progressive Linie der Annäherung an Nordkorea während seiner Amtszeit von 2003 bis 2008 weiter. Von politischen Skandalen jedoch nicht ausgenommen, beging der ehemalige Präsident 2009, nachdem Korruptionsvorwürfe gegen ihn in die Öffentlichkeit gelangten und zu polizeilichen Ermittlungen führten, Suizid.30 Unter Lee Myung-bak - ein früherer Bürgermeister Seouls und 2008 zum Staatspräsidenten gewählt - wurde die Regierung wieder in eine konservative Schiene bezüglich der Beziehungen zum Norden gelenkt. Lee sah die Verbesserung des Lebensstandards für das eigene Volk als Priorität an und trieb die Wirtschaftspolitik des Landes, unter anderem mit einem Freihandelsabkommen mit den USA und der EU, bis zu seinem Amtsende 2013 voran.31 Bereits vor seinem Amtsantritt der Korruption beschuldigt, jedoch freigesprochen worden, musste sich Lee erneut Anfang 2018 Korruptionsvorwürfen entgegenstellen. Aufgrund von Bestechung und Veruntreuung von Geldern wurde schließlich im April dieses Jahres Anklage gegen den ehemaligen Staatschef erhoben.32

Und damit reißt der Faden der Präsidentschaftsskandale nicht ab. Als erste Präsidentin des Landes sorgte Park Geun-hye für Aufsehen: Nicht nur, dass sie 2013 als Tochter des ehemaligen Militärdiktators Park Chun Hee und aus dem konservativen Lager in Zeiten der Demokratie gewählt wurde; auch ihr wurden Korruption, Veruntreuung von Staatsgeheimnissen und -geldern in Millionenhöhe sowie Machtmissbrauch und Erpressung von Großkonzernen vorgeworfen. Nach Massenprotesten in der Hauptstadt Seoul und weiten Teilen des Landes kam es im Dezember 2016 schließlich zur Amtsenthebung und der kurz darauffolgenden Festnahme Parks. Im April diesen Jahres wurde sie zu einer 24-jährigen Haftstrafe und einer Geldstrafe in Millionenhöhe verurteilt. Dies markierte bereits den dritten Fall von Korruption innerhalb von nur sieben Jahren.33

Aufgrund dieses Vorfalls kam es so bereits im Frühjahr 2017 zu Neuwahlen, aus denen Moon Jae-in aus dem progressiven Lager mit deutlichem Vorsprung vor seinen konservativen Mitstreitern als Sieger hervorging. In seiner politischen Karriere und Laufbahn als Menschenrechtsanwalt bekennt er sich zur linksliberalen Ideologie, verteidigte Kritiker der damaligen autoritären Regime in Gerichtsprozessen und arbeitete schließlich unter dem ehemaligen Präsidenten Roh Moo-hyun als dessen rechtlicher Berater.34 Mit seinem Hintergrund als Kind nordkoreanischer Kriegsflüchtlinge und seiner frühen Protesthaltung gegenüber den autoritären Regimen Südkoreas vor den Zeiten der Demokratie ist es Moon mit seiner Nordpolitik an einem Dialog zwischen Nord- und Südkorea gelegen.35

3.1.2 Wirtschaftswunderland - Vom Agrarstaat zum Global Player

Seit dem Ende des Krieges hat Südkorea ein nahezu unerschütterlich starkes Wirtschaftswachstum vorzuweisen, dass auf den durch die Politik unter Park Chung Hee und Chun Doo-hwan implementierten Wirtschaftsstrategien beruht, und es somit zu einer High­Tech-Nation und Asiens viertgrößter Volkswirtschaft - nach China, Indien und Japan - gebracht.

Durch die Jahrhunderte gewollter Isolation nach außen, und somit der Abwendung von jeglichen Importen und Exporten, war die Halbinsel auf seine eigenen landwirtschaftlichen Ressourcen angewiesen, wobei es von vorneherein keine natürlichen Rohstoffe hatte, die das Land hätte exportieren können. Im Zuge der japanischen Kolonialzeit und des Zweiten Weltkrieges war Korea gezwungen, den Löwenanteil seiner landwirtschaftlichen Erzeugnisse an Japan anzugeben, was für die heimische Wirtschaft katastrophale Auswirkungen hatte. Auch hatte der Süden nach der Teilung mit dem industriell geprägten Norden der Halbinsel wichtige Produktionsstätten verloren. Während des Krieges und die ersten Jahre danach galt Südkorea als eine der ärmsten Agrargesellschaften der Welt. Nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens 1953 lag der Fokus auf dem Wiederaufbau des durch den Krieg zerstörten Landes - vornehmlich dem der Städte und der Infrastruktur.

Der Verlauf der südkoreanischen Wirtschaft ab Anfang der 50er Jahre ist durch mehrere Phasen gekennzeichnet, die vor allem in ihren Anfängen geprägt sind von Import- und Exportregulierung und dem Fokus auf den Ausbau der Industrie. Zunächst wurde der finanziellen Krise nach Kriegsende mit Auslandsinvestitionen in Industrie und Infrastruktur durch die USA entgegengetreten und Zinsen forciert niedrig gehalten - Zölle für Importe hingegen wurden stark angehoben, um damit das Wachstum der heimischen Industrieproduktion ankurbeln zu können. Diese Phase der Exportorientierung ab 1962 unter Präsident Park Chung Hee hatte ein stetig ansteigendes Wirtschaftswachstum zur Folge, in den 70er und 80er Jahren folgte der Ausbau der Schwerindustrie, vor allem der Stahlproduktion und des Schiffbaus, welche heute unter anderem Hauptexportgüter des Landes sind.36

Diese Phase der wirtschaftlichen Umstrukturierung und der beträchtlichen Verbesserung des Bruttoinlandsproduktes wird von Ökonomen auch als „Das Wunder vom Han-Fluss“ (orig.: The Miracle on the Han River) bezeichnet.37 Selbst aus der verheerenden Asienkrise von 1997 bis 1998 war Südkorea - nachdem es dem Staat durch Firmenzusammenbrüche und hohe Verschuldungen nicht möglich war, Kredite zu tilgen, der Internationale Währungsfonds schließlich mit Notfinanzierungen aushalf und das Land vor dem wirtschaftlichen Ruin bewahrte - mit vergleichsweise leichten Schrammen davongekommen.38

Maßgeblich beeinflusst haben die starke wirtschaftliche Expansion Südkoreas die sog. „Jaebeol“, die seit den 60er Jahren den Wirtschaftssektor des Landes grundsätzlich mitbestimmen. Beeinflusst durch Japan zu Zeiten der Besatzung orientierte sich Südkorea nach dem Ende des Koreakrieges auch an der kapitalistischen Kleinunternehmerstruktur des Landes, die der späteren Entstehung der Jaebeol zu Grunde lag.39

Der Begriff Jaebeol bezeichnet ein Konglomerat von selbstständigen Unternehmen unter einem Mutterkonzern, dessen Führung einer Familie unterliegt. Unternehmensübergreifende Kapitalbeteiligungen und Investitionen, die familieninterne Vergabe von Management- und Führungspositionen sowie die branchenübergreifende Konzernstruktur fungieren als zentrale Merkmale eines Jaebeol, wobei sie hauptsächlich in den Bereichen der Massenproduktionsgüter wie Unterhaltungselektronik und Automobilherstellung tätig sind. Neben der LG Group und der Hyundai Group bildet Samsung den wirtschaftlich und konzernstrukturell größten Jaebeol, mit Unternehmen im Bereich Unterhaltungselektronik, Baugewerbe und Immobilien, Schiffsbau sowie Versicherungen, wobei das Unternehmen Samsung Electronics durch die Herstellung von Smartphones und TV-Geräten weltweit den höchsten Bekanntheitsgrad innehat.40

Diese volkswirtschaftliche Dominanz der Großkonzerne ist seit jeher Angriffspunkt scharfer Kritik: Vorwürfe der Vetternwirtschaft und der Korruption sowie die seit Jahren stagnierende Löhne werden in diesem Zusammenhang immer wieder angeprangert. Dem gegenüberzustellen ist jedoch der unbestreitbare enorme ökonomische Aufschwung Südkoreas durch das Zutun der Großkonzerne. Legitimiert die stabile Wirtschaftslage des Landes also die vorgeworfenen unlauteren Mittel? Fest steht: Südkorea als eine aufkommende Wirtschaftsmacht wäre ohne seine Super-Konzerne undenkbar.

Seit 1999 ist Südkorea zudem Mitglied der „Gruppe der 20“ (kurz: G20), dem informellen Zusammenschluss der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.41 Die konkreten Aufgaben der G20-Mitglieder sind inhaltlich nicht strikt festgelegt, da es sich hierbei nicht um ein öffentliches politisches Organ handelt, generelles Ziel der G20 ist jedoch die „Erörterung zentraler Fragen internationaler Wirtschafts- und Währungspolitik zwischen den Staaten, die für die Stabilität des Finanz- und Währungssystems bedeutsam sind (...) [und für die] Stabilisierung des internationalen Finanzsystems und Vorbeugung von Krisen“42. Südkorea hat somit maßgeblichen Einfluss im globalen Wirtschaftsgeschehen erlangt - seine freie Marktwirtschaft ebnete zudem den Weg für die Mitgliedschaft in der WTO sowie der OECD und verhalf dem Staat, zu einem internationalen ökonomischen Player heranzuwachsen. Südkorea ist „ein bedeutender globaler Faktor, die 15. größte Volkswirtschaft, die siebtgrößte Exportnation und Heimatland weltweit operierender Konzerne“43, wie Thomas Kalinowski - Professor Internationaler Beziehungen an der Ewha Womans University in Seoul - es beschreibt. Längst ist Südkorea kein Schwellenland mehr: Der heute stärkste Tigerstaat - die Bezeichnung für die wirtschaftlich schnell wachsenden ostasiatischen Staaten Singapur, Taiwan, Hong Kong und Südkorea - könnte sogar bald, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, zu einer der führenden Industrienationen avancieren.

3.1.3 Internationale Beziehungen: Die Vereinigten Staaten und China

In diesem Abschnitt sollen die politischen Beziehungen zwischen Südkorea und seinen wichtigsten Akteuren im Koreakonflikt - die USA und China - veranschaulicht werden. Die innerkoreanischen Beziehungen werden aufgrund ihrer expliziten Stellung in dieser Arbeit in Kapitel 4.1 gesondert betrachtet.

Die Treuhandschaft der USA mit der Sowjetunion, Großbritannien und China brachte für die junge Republik nicht die erhoffte Unabhängigkeit, wie es ihr zuvor von den USA selbst versprochen wurde. Die Vereinigten Staaten - zentraler Akteur im Koreakrieg durch das Eingreifen nach der Invasion des Nordens - sind seit jeher eine militärische Präsenz im Land. Mit dem Militärbündnis von 1953 zwischen beiden Staaten wurde der „,Vertrag über gegenseitige Verteidigung zwischen der Republik Korea und den USA‘“44 geschlossen. Ergebnis dieses Vertrages war die Stationierung von amerikanischen Militärtruppen in Südkorea. Unter der Regierung von Chun Doo-hwan in den 80er Jahren wurde der Unmut gegenüber der Militärpräsenz der USA im Land immer heftiger, von radikal-ideologischen Bewegungen kam der Vorwurf, Südkorea sei durch die Teilung der Halbinsel und der „Vormundschaft“ durch die USA sowohl in politischer als auch gesellschaftlicher Hinsicht abhängig von diesen geworden.45 Es machte sich ein gewisser Anti-Amerikanismus im Land bemerkbar, der durch den Beschluss des Freihandelsabkommens 2012 zwischen Südkorea und den Vereinigten Staaten unter der Regierung von Lee Myung-bak erneut in der koreanischen Gesellschaft entflammte - es solle zu der militärischen Abhängigkeit nicht auch noch die wirtschaftliche hinzukommen.46

Die permanente Militärpräsenz der USA in Südkorea hält bis heute an. Zwar wurden die Truppenstärken über die Jahrzehnte hinweg kontinuierlich verringert, doch einen vollständigen Abzug des US-Militärs will die koreanische Regierung - selbst hinsichtlich aktueller Entwicklungen bezüglich einer Nord-Süd-Annäherung - nicht in Betracht ziehen.47 Die Debatte um die militärische Souveränität bleibt nach wie vor ein Streitpunkt in der Zivilgesellschaft Südkoreas.

Durch das Eingreifen der chinesischen Armee auf Seiten Nordkoreas in den Koreakrieg, wodurch letztendlich der Sieg der südkoreanischen Truppen verhindert werden konnte, waren die diplomatischen Beziehungen zu China lange Zeit eingefroren. Erst 1992 wurden diese während der Amtszeit von Roh Tae-woo wieder aufgenommen, um den Handel zwischen beiden Staaten voranzutreiben. China gilt heute nicht nur als wichtiger Handelspartner beider koreanischen Staaten, sondern auch als Brücke zwischen Südkorea und dem Norden. Die Befürwortung Chinas der „Sonnenscheinpolitik“ in den 90er Jahren unter Kim Dae-jung und die Initiierung der 6-Parteien-Gespräche - zwischen Süd- und Nordkorea, China, Russland, Japan und den USA -, bei denen der Fokus bei einer Lösung des nordkoreanischen Kernwaffenprogramms liegt, seien hier als Beispiel genannt.48

[...]


1 Vgl. Maull; Maull: Im Brennpunkt: Korea, S. 63 f.

2 Vgl. UCLA International Institute: Treaty of Annexation, The Proclamation.

3 Vgl. Maull; Maull: Im Brennpunkt: Korea, S. 64 f.

4 Vgl. Spiegel Online: Japan entschuldigt sich bei Südkorea.

5 Hwang: Schwierige Nachbarschaft: Südkoreas Beziehungen zu China und Japan, S. 222.

6 Vgl. Maull; Maull: Im Brennpunkt: Korea, S. 66.

7 Steininger: Der vergessene Krieg, S. 14.

8 Maull; Maull: Im Brennpunkt: Korea, S. 67.

9 Vgl. zu diesem Absatz: ebd., S. 66-69.

10 Stöver: Geschichte des Koreakriegs, S. 55.

11 Ebd., S. 56.

12 Vgl. Charta der Vereinten Nationen, Art. 1.

13 Stöver: Geschichte des Koreakriegs, S. 67.

14 Vgl. Maull; Maull: Im Brennpunkt: Korea, S. 70 f.

15 Vgl. Steininger: Der vergessene Krieg, S. 65 f.

16 Vgl. zu diesem Absatz: Stöver: Geschichte des Koreakriegs, S. 83-88.

17 Vgl. Stöver: Geschichte des Koreakriegs, S. 92 f.

18 Park: Der Koreakrieg, S. 67. Insgesamt kämpften mehr als 900.000 Soldaten auf Seiten Südkoreas (inkl. aller UN-Truppen aus etwa 20 Nationen) und etwa 1 Million Streitkräfte in der roten Armee (Nordkorea, VR China und die Sowjetunion). Schätzungen gehen von bis zu 4,5 Millionen Todesopfern aus, Soldaten und Zivilisten beider Seiten zusammengenommen.

19 Vgl. zu diesem Absatz: Steininger: Der vergessene Krieg, S. 182-186.

20 United States Forces Korea: The Korean War Armistice Agreement, Preamble.

21 Vgl. United States Forces Korea: The Korean War Armistice Agreement, Article 1.

22 Vgl. zu diesem Absatz: Kern: Südkorea, S. 471 f.

23 Vgl. ebd., S. 473.

24 Croissant: Südkorea: Von der Militärdiktatur zur Demokratie, S. 288.

25 Vgl. zu diesem Absatz: Croissant: Südkorea: Von der Militärdiktatur zur Demokratie, S. 288 f.

26 Vgl. zu diesem Absatz: Kern: Südkorea., S. 476 f.

27 Vgl. Köllner: Südkoreas politisches System, S. 65.

28 Vgl. Kern: Südkorea, S. 477.

29 Vgl. „Kim Dae-jung - Facts“, Nobel Media AB.

30 Vgl. Frankfurter Allgemeine: Südkoreas ehemaliger Präsident Roh stürzt in den Tod.

31 Vgl. Köllner; Flamm; Olbrich: Das politische System Südkoreas seit der Demokratisierung. Tab.: Südkoreas Staatspräsidenten seit 1987, S. 100.

32 Vgl. Handelsblatt: Südkoreas Expräsident Lee wegen Korruption angeklagt.

33 Vgl. zu diesem Absatz: Die Zeit: Südkoreas Ex-Präsidentin wegen Korruption schuldig gesprochen.

34 Vgl. Hanns-Seidel-Stiftung: Moon Jae-In wird neuer Präsident.

35 Vgl. Welter: Präsident Nichtlustig.

36 Vgl. zu diesem Absatz: Pascha: Von der Agrargesellschaft zum IT-Staat: Der Aufstieg Südkoreas zur Wirtschaftsmacht, S. 235-238.

37 Der Han (kor.: Hangang) fließt durch die Hauptstadt Seoul, bevor er im Westen in das Gelbe Meer mündet.

38 Vgl. Maull; Maull: Im Brennpunkt: Korea, S. 110 f.

39 Vgl. Pascha: Südkoreas Wirtschaft, S. 91.

40 Vgl. zu diesem Absatz: Kim; Mayer: Die Dominanz der Konzerne: Südkoreas Wirtschaftsstruktur, S. 253 f.

41 Hierzu zählen die BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), Japan, Saudi-Arabien, Mexiko, Südkorea, Deutschland, Indonesien, Australien, Türkei, die USA, Kanada, Italien, Frankreich, Großbritannien, Argentinien sowie die Europäische Union als Vertreter ihrer Mitgliedsstaaten.

42 „G20“, Bundeszentrale für politische Bildung.

43 Kalinowski: Südkoreas globale Rolle, S. 173.

44 Yi: Stand und Perspektiven des südkoreanisch-amerikanischen Bündnisses, S. 202.

45 Vgl. Köllner: Südkoreas politisches System, S. 61.

46 Vgl. Yi: Stand und Perspektiven des südkoreanisch-amerikanischen Bündnisses, S. 203.

47 Vgl. Frankfurter Allgemeine: Seoul will amerikanische Soldaten behalten.

48 Vgl. Filzmaier u.a.: Internationale Politik, S. 251 f.

Excerpt out of 66 pages

Details

Title
Verbrüderung am 38. Breitengrad. Die Wiedervereinigungsfrage Koreas im Kontext von historisch-politischen Entwicklungen und globalen Herausforderungen
College
University of Applied Sciences Fulda  (Sozialwissenschaften)
Grade
1,7
Year
2018
Pages
66
Catalog Number
V513911
ISBN (eBook)
9783346105424
ISBN (Book)
9783346105431
Language
German
Keywords
Politik, Korea, Nordkorea, Südkorea, Beziehungen, internationale, Koreakrieg, Geschichte, Wiedervereinigung, Wirtschaft, Sozialwissenschaften
Quote paper
Anonymous, 2018, Verbrüderung am 38. Breitengrad. Die Wiedervereinigungsfrage Koreas im Kontext von historisch-politischen Entwicklungen und globalen Herausforderungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/513911

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