Bürgerliche Zivilisierung in der Bretagne. Die Rolle der Sprache in den Zivilisierungsbestrebungen der bürgerlichen Gesellschaft


Hausarbeit, 2018

23 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Die Nation als Einheit
Die Rolle der Sprache

„Zivilisierung“?

Das Bürgertum
Der Diskurs

Einflussnahme auf die Peripherie
Die Kirche
Alphabetisierung
Das Schulsystem
Assoziationsbewegungen

Die deutsche Peripherie im Bürgertum: Eine Gegenüberstellung
Das Schulsystem

Resümee und Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

In der vorliegenden Arbeit soll der Versuch der „Zivilisierung der Peripherie durch die Bürgerlichkeit“ am Beispiel der Bretagne im 17. und 18. Jahrhunderts untersucht werden. Als roter Faden zieht sich die Rolle der Sprache als Identifikationsmerkmal und Zivilisierungswerkzeug durch die Arbeit.

Die Auseinandersetzung mit diesem Themenbereich macht es notwendig, Grundlagen zu klären und sich vor allem mit dem Begriff der „Zivilisierung“ auseinanderzusetzen. So werden zunächst die Einheits- und Zentralisierungsbestrebungen im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts umrissen, gefolgt von einer kurzen Untersuchung der Bedeutung der Sprache in der Umstrukturierung. Anschließend wird die Zivilisierungstheorie nach Norbert Elias umrissen und ein Bogen zum hier behandelten Thema geschlagen. Anschließend wird der Frage nachgegangen, welche Position die bürgerliche Gesellschaft in diesem Modell einnimmt und welche Bedeutung der Diskurs hat.

Die folgenden Beispiele für die Einflussnahme auf die Peripherie sind besonders durch ihre Nähe zur Sprache als Identifikationsmerkmal ausgewählt worden. Zudem wir das Spannungsfeld zwischen Kirche und Bürgerlichkeit eröffnet, das einen enormen Einfluss auf das Schulsystem eingenommen hatte und sich nach und nach verlagert. Auch die Einflussnahme der Geheimgesellschaften und Assoziationsbewegungen wird kurz umrissen, da sie sich nicht nur in den Zentren, sondern auch in Provinzstädten größter Beliebtheit erfreut hatten und vor allem mit der Verbreitung literarischer Texte eine besonders große Reichweite erlangen konnten.

Das Beispiel der Bretagne ist eines von vielen Beispielen, in denen die Bedeutung der Sprache als ausgrenzender Faktor gegenüber Dialekten, Regiolekten oder sogar Fremdsprachen, die auf dem Staatsgebiet gesprochen werden, verstanden werden kann. Abschließend wird anhand eines deutschen Beispiels ein anderer Zugang zu Sprache und Bürgertum eröffnet, in dem die Sprache als Sonderform als Merkmal von Bürgerlichkeit verstanden wird und als solche Definitionsgewalt behält. Am deutschen Beispiel wird die enge Verbindung von Sprache und Bildungswesen umso deutlicher, auch wenn eine zu genaue Vertiefung den Rahmen gesprengt hätte und somit der kirchliche Einfluss nicht sehr genau behandelt wird.

Im Fazit soll schließlich die Conclusio gezogen werden und auf die Leitfragen dieser Seminararbeit eingegangen werden: Was bedeutet Sprache in einem Umstrukturierungsprozess? Wie äußert sich der identitätsstiftende Faktor? Wie kann eine Obrigkeit oder eine dominierende Gesellschaft diese für sich verändern? Und wie findet all dies in der Bretagne statt?

Die Nation als Einheit

Im Frankreich nach der Revolution sollte die Nation von der Bevölkerung als Einheit begriffen werden, die als oberstes Gut zu schützen und zu verteidigen war. Um die Einheitlichkeit so durchzusetzen und in den Köpfen der Bevölkerung zu fixieren, wurde versucht, eine Geschichte mit ganzheitlichem Charakter zu konstruieren, die von der Antike über die gemeinsame keltisch-gallische Vergangenheit über das Ancien Régime in eine gemeinsame prächtige Zukunft führt. Die gemeinsame Gegenwart und Zukunft sollte durch eine gemeinsame Vergangenheit begründbar sein, die Nation als historisch gewachsenes Konstrukt, das in sich geschlossen und konsistent ist, in der Bevölkerung etabliert werden.1 Besonders das Bild der Antike als Geburtsort der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft wurde mit der Geburtsstunde der nationalen Einheit gleichgesetzt.

Das Ziel war die Schaffung eines kollektiven Gedächtnisses: Dieses zeichnet sich einerseits durch eine kommunikative Ebene aus, in der die Ergebnisse von Alltagskommunikationen innerhalb und mit einer Gruppe von Bedeutung sind, deren Frage also ist, wie über ein bestimmtes Thema, in diesem Fall die Nation, gesprochen wird, wie dieses gewertet und kommuniziert wird. Dem gegenüber steht die Schaffung einer kulturellen Ebene: Schicksalhafte Ereignisse der Vergangenheit werden so beleuchtet, dass sie sich als „Erinnerungsfiguren“ manifestieren und als gemeinsames Merkmal als unanfechtbar gelten.2

Dieser geschichtliche Bezug findet einen besonders ergiebigen Boden in der gallisch-druidischen Geschichte. Sie wurden als Kirchenfürsten, Gelehrte, Philosophen, Astrologen, Poeten und Magier verstanden, deren Naturverbundenheit sich in der Naturauffassung der Aufklärung wiederfände.3

Das Ziel der Schaffung eines kollektiven Gedächtnisses war die Schaffung eines Einheitsgefühls, das über die heterogene Bevölkerungsstruktur hinauswirken sollte und als Zugehörigkeitsgefühl stärker fixiert werden sollte als die Unterschiede. Die Geschichte Frankreichs zeichnet sich durch ein sich immer wieder veränderndes Staatsgebiet aus, deren ethnische Vielfalt sich in kulturellen und sprachlichen Unterschieden niederschlug und durch die wenigen Versuche, ein kulturelles Einheitsgefühl zu schaffen kein solches erzeugen konnte.4

Die Rolle der Sprache

Die Sprache ist ein wesentliches Mittel für die Identifikation mit einem größeren Ganzen, die sprachliche Vielfalt wurde jedoch unterdrückt und die Dialekte und Fremdsprachen wurden in Frankreich bereits vor der französischen Revolution verdrängt. Durch die Zentralisierungsbestrebungen, die die Verwaltung erleichtern sollten, wurde erst das Lateinische, dann das Französische als offizielle Gerichts- und Verwaltungssprache fixiert, das Bretonische und andere Sprachen und Dialekte wurden in die reine Mündlichkeit verdrängt, um die Vereinheitlichung zu unterstützen und der ethnischen Vielfalt ein wesentliches Identifikationsmerkmal zu nehmen und die Zentralisierung zu fördern.5

Dies jedoch war kein einfaches Unterfangen: Am Ende des Ancien Régime waren zwei Drittel der Franzosen kaum mit der schriftlichen oder mündlichen Sprache in Kontakt gekommen.6 Das bedeutet jedoch keineswegs, dass sie Analphabeten waren, sondern vielmehr, dass sie sich eher im Einzugsgebiet nicht-französischer Literatur befunden hatten. Zudem war das Interesse an einer rein schriftlichen Sprache, die nur zu Gerichts- oder Verwaltungszwecken verwendet wurde, besonders gering in den ländlichen Regionen, wo das gesamte Alltagsleben auf Baskisch, Flämisch, Bretonisch oder anderen Sprachen stattfand.

Unter der absolutistischen Herrschaft Ludwigs XIV. hatte sich vor allem Paris zum Zentrum der adeligen und durch das Bürgerrecht ausgezeichneten Gesellschaft aufgeschwungen, diese Elitenbildung verstärkte den Kontrast zwischen den ländlichen Provinzen und dem städtischen Zentrum noch.7

Nach der französischen Revolution wurde die Vormachtstellung des Französischen als Sprache der Revolution und der Nation befördert, um das Einheits- und Gleichheitsgefühl der Revolution zu transportieren und zu bestärken. 1793 wurde ein Gesetz erlassen, das in jeder Gemeinde eine staatliche Schule vorsah, in der nur auf Französisch unterrichtet werden durfte. Bereits frühere Gesetzesvorlagen, die beispielsweise in der Bretagne, einen zweisprachigen Schulunterricht vorsahen, waren abgelehnt worden.8

Das Beherrschen der jeweiligen Rechts- und Handelssprache ermöglicht schließlich die Teilhabe am offiziell und öffentlichen Leben und ist ein unanfechtbarer Baustein in der Schaffung eines kollektiven Gedächtnisses.

„Zivilisierung“?

Der Zivilisierungsbegriff wird nach Norbert Elias9 verstanden. Demzufolge ist Zivilisierung als Formalisierung von Kodes zu verstehen, der Kode besteht aus gesellschaftlich relevanten Elementen, der Relation zwischen diesen Elementen und den Regeln, die diesen Relationen zugrunde liegen. Es wird weiters unterschieden im gesellschaftlichen Umgang mit diesen Kodes: Einerseits die bewusste Auseinandersetzung, Ausdifferenzierung und Verfeinerung der Kodes, die auf Ästhetisierung abzielt und von Alfred Smudits als Kultivierung bezeichnet wird. Andererseits die Zivilisierung als disziplinierende, ausgrenzende Auseinandersetzung mit Kodes, die keinen Anspruch auf Ästhetisierung erhebt. Es gibt verschiedene Formen von Kodes und diese sind durchaus gesellschaftlichen Bedingungen unterworfen:

„Gesellschaftliche Kodes sind nicht gesellschaftliche Kodes a priori, sondern werden dazu gemacht. Entscheidend ist, wer die Definitionsmacht hat, die Beherrschung oder Nichtbeherrschung von Kodes als soziales Strukturierungsmerkmal einzusetzen.“

In diesem Fall ist das Bürgertum oder die bürgerliche Gesellschaft als Definitionsmacht zu verstehen, während die Kodes aus Verhaltensweisen, Gesprächsthemen, Kommunikationsformen, etc. bestehen. Dadurch wird auch die Bedeutung der Öffentlichkeit und der Verbreitung der Kommunikation durch Medialität klar: Kodes erreichen die „Zielgruppen“ durch diesen Weg. In der bürgerlichen Öffentlichkeit als Öffentlichkeit einer Schreib-Lese-Kultur wird die Verbreitung der Kodes durch grafische und literarische Mittel vorangetrieben, durch sekundäre Medien, die keine Antwort vom Empfänger nötig machen, sondern einfach rezipiert werden.

Doch der Versuch der Durchsetzung und Verbreitung von Kodes findet nicht nur positiven Anklang,10 so findet sich in den Zentren die Angst der Eliten vor dem Verlust ihrer Machtposition, während in der Peripherie die Angst vor dem Verlust tradierter Verhaltensmuster vorherrscht. Hier wird wieder die Bedeutung der Konstruktion eines Gemeinschaftsgefühls klar: Es muss zu einer Versöhnung der lokalen und regionalen Traditionen mit der bürgerlichen Praxis kommen, für diese Versöhnung ist das Gemeinschaftsgefühl einerseits das Mittel und andererseits das Ziel zur Durchsetzung.

Das Bürgertum

Das Bürgertum löst den Adel nicht als gesellschaftlich-politische Führungsschicht ab, zeichnet sich aber durch politische Partizipation, wirtschaftliche Leistung und besonders durch Lebensführung und Verhaltensweisen als führende soziale Form aus.11 Trotz der Veränderung des Bürgertums vom durch das Bürgerrecht ausgezeichneten Stadtbürgertum zu einer durch Identifizierung mit den Werten, Ideologien und mit der Lebensführung blieben viele Merkmale gleich: Die Verbindung mit der Stadt, die vornehmlich handwerks- und handelsbezogenen Berufe und das politische Selbstverständnis innerhalb der städtischen Verwaltung zum Beispiel.12

Durch die Entstehung einer neuen Markt- und Leistungsgesellschaft, die mit den Prinzipien der rechtlichen Gleichheit und der persönlichen (wirtschaftlich und beruflich geprägten) Freiheit sollten nun Besitz, Beruf und Bildung über die soziale Stellung und die individuellen Lebenschancen bestimmen. Es bildete sich ein „Wirtschaftsbürgertum“ und ein „Bildungsbürgertum“ heraus. Das Wirtschaftsbürgertum lässt sich in das Großbürgertum (industrielle Unternehmer, Handels- und Finanzbourgeoisie), eine Gruppe aus selbstständigen Kaufleuten, Handwerksmeistern und Gewerbetreibenden und das Kleinbürgertum (häufig nur durch Selbsteinschätzung, aber nicht durch materielle Lage vom „vierten Stand“ getrennt) unterteilen.13 Das Bildungsbürgertum umfasste höhere Beamte, Gymnasiallehrer, Professoren, Künstler, Geistliche, etc. Durch ihre geringeren materiellen Einflussmöglichkeiten zeichnet sich das Bildungsbürgertum besonders durch seine Rolle in der Entwicklung der bürgerlichen Kultur aus. Durch ihr gesellschaftliches Ansehen wird der Gedanke der Chancengleichheit durch Bildung belegt. Auch nichtadlige Offiziere, mittlere Beamte und Lehrer und, wenn auch zu Beginn recht wenige, Personen mit leitenden Aufgaben im erstarkenden Industriesektor zählten zum Bürgertum.14

Unabhängig von sozialökonomischen Kriterien bestimmen vor allem die Werte, Normen und Verhaltensweisen das Bürgertum. Diese bürgerliche Kultur verband die unterschiedlichen Sozialgruppen und richtete sich gegen die ständische Ordnung, gegen die Vormachtstellung von Adel und Kirche, gegen den Absolutismus und die religiöse Dogmatisierung. Stattdessen wurden Bildung, Leistung und ästhetische Kultur geschätzt und angestrebt, sowie ein neues Bild von Geselligkeit, Etikette und Umgangsformen und vor allem von intimer Privatheit und Öffentlichkeit etabliert und angestrebt.15

[...]


1 Thomas Hellmuth, Kulturgeschichte Frankreichs im 19. Jahrhundert, Wien 2019 (Buchmanuskript, erscheint voraussichtlich Anfang 2020), S. 4.

2 Ebd., S. 5.

3 Ebd., S. 11.

4 Susanne Kerschbaumer, Die Bretagne: Ihre Sozialisation und ihr Widerstand – Kultur- und Nationalitätsbewusstsein am Beispiel Per-Jakez Helias und Xavier Grall (Diplomarbeit Universität Wien 1990), S. 8.

5 Ebd., S. 9.

6 Hans Ulrich Gumbrecht/ Rolf Reichart/ Thomas Schleich (Hg.) Sozialgeschichte der Aufklärung in Frankreich, Teil II, Ancien Régime, Aufklärung und Revolution Bd. 4 (München/Wien 1981), S. 118.

7 Ebd., S. 9.

8 Kerschbaumer, Die Bretagne, S. 10.

9 Vgl. Alfred Smudits, Öffentlichkeit und der Prozeß der Zivilisation. In: Helmut Kuzmics (Hg.), Der unendliche Prozeß der Zivilisation. Zur Kultursoziologie der Moderne nach Norbert Elias (Frankfurt/New York), 113-126.

10 Hellmuth, Kulturgeschichte Frankreichs, S. 2.

11 Wolfgang von Hippel/ Bernhard Stier, Europa zwischen Reform und Revolution 1800-1850, Handbuch der Geschichte Europas 7 (Stuttgart 2012), S. 331.

12 Ebd., S. 332.

13 Ebd., S. 332.

14 Ebd. S., 332f.

15 Ebd., S. 333.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Bürgerliche Zivilisierung in der Bretagne. Die Rolle der Sprache in den Zivilisierungsbestrebungen der bürgerlichen Gesellschaft
Hochschule
Universität Wien
Note
2,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
23
Katalognummer
V515235
ISBN (eBook)
9783346106186
ISBN (Buch)
9783346106193
Sprache
Deutsch
Schlagworte
bürgerliche, zivilisierung, bretagne, rolle, sprache, zivilisierungsbestrebungen, gesellschaft
Arbeit zitieren
Michaela Klackl (Autor:in), 2018, Bürgerliche Zivilisierung in der Bretagne. Die Rolle der Sprache in den Zivilisierungsbestrebungen der bürgerlichen Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/515235

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